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Nebel über Hogwarts

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Ein Mangel an Empathie

Nebel über Hogwarts – Kapitel 18: Ein Mangel an Empathie
 

In Lilys Augen war Hogwarts noch nie so trübsinnig und still, so leer und unfreundlich gewesen wie in diesem letzten Jahr, das sie hier verbringen sollte. Als kleines Mädchen hatte sie sich jedes Jahr gefreut, wenn sie in den großen roten Zug einsteigen und ihre Fahrt nach Schottland antreten durfte, doch heute war diese hoffnungsvolle Erwartung nur noch eine dumpfe Erinnerung, die sie selbst nicht mehr so recht begriff.

Ihre Eltern lasen den Tagespropheten nicht, hatten keine magischen Verwandten und Freunde außer ihr, die ihnen von den traumatischen Ereignissen der letzten Monate berichten konnten, doch selbst sie spürten die Angst, die viele Hexen und Zauberer in diesen Tagen ergriffen hatte. Wie viel schlimmer war es also hier im Schloss, wo jeden Tag ein ganzer Schwarm von Eulen durch die hohen Fenster der Großen Halle hereinschoss, um Zeitungen, Briefe, Nachrichten von der Familie zu bringen, die alle von der Angst vor Du-weißt-schon-wem zu zittern schienen?

Lily seufzte auf und blickte den Haustisch entlang. Vor sieben Jahren war Hogwarts für sie ein Ort der Geheimnisse und des Wunders gewesen, jetzt war das Schloss vollgefüllt mit Angst, und das obwohl es unter dem Schutz des einzigen Zauberers stand, vor dem sich Du-weißt-schon-wer angeblich fürchtete. Und nach allem, was sie von ihren Freunden und deren Eltern wusste, war es außerhalb der schützenden Mauern, im Ministerium und in der Winkelgasse, noch schlimmer – und selbst das Gefühl hier im Schloss erinnerte sie an die Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern vom Krieg und den ungezählten Nächten, die sie in Luftschutzbunkern verbracht hatten, um den Bomben zu entgehen.

Wenn es keine Lichtblicke in dieser unangenehmen Atmosphäre gegeben hätte, Lily wäre vielleicht schon wieder nach Hause gefahren, doch aus all dem Grau strahlten manchmal doch kleine Sterne hervor. Sirius Black, der von Professor Lovejoy verhext wurde, war einer dieser positiven Momente, doch wirklich aufrecht hielt sie die Tatsache, dass Severus wieder mit ihr sprach, dass sie sich versöhnt hatten, dass es sich manchmal sogar anfühlte wie früher. Und Nathan Devers war geheilt in die Räumlichkeiten der Slytherins zurückgekehrt, was ihr eine Sorge von den Schultern nahm, die sie viel zu lange mit sich herumgetragen hatte.

Devers... Dass sie an den Jungen dachte, erinnerte sie daran, was sie eigentlich vorhatte und wieso sie noch immer an ihrem Platz am Gryffindor-Haustisch saß, obwohl sie ihr Frühstück schon längst beendet hatte. Der Vertrauensschüler aß am anderen Ende der Großen Halle mit einigen seiner Freunde, und Lily gab sich einen Ruck, erhob sich und lief so beiläufig wie möglich zu ihm hinüber, obwohl sie ihre Nervosität in ihrer Magengegend spüren konnte.

Er blickte erst auf, als sie ihn schon fast erreicht hatte, und betrachtete sie aus kühlen, braunen Augen, die sie während seiner Zeit im Krankenflügel noch nie gesehen hatte, sagte aber nichts. Auch die Blicke seiner... Freunde? Kollegen? hafteten auf ihr und sie musste den Reflex unterdrücken, an sich herabzublicken und den Fleck auf ihrer Bluse zu suchen. „Hi.“

Devers sagte nichts, ruckte nur ein wenig mit dem Kopf, um ihr zu bedeuten, weiterzusprechen, und als Lily sich umsah, um irgendetwas zu tun, sah sie Rabastan Lestrange am anderen Ende des Haustisches, der sie aufmerksam betrachtete. Sie schluckte. „Ich... ich wollte nur sagen, dass ich...“ Gegen ihren Willen hielt sie inne, die Sätze, die sie in ihrem Kopf vorbereitet hatte, um ihn anzusprechen, klangen plötzlich kindisch und unfertig im Angesicht seiner kühlen Reaktion. „Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht, und ich hoffe, dass wir jetzt in unseren verschiedenen Funktionen endlich zusammenarbeiten können.“

Devers schnaubte. „Und um das zu sagen, hast du den weiten Weg bis zum Slytherintisch unternommen? Ihr Gryffindors seid wirklich dämlicher, als ich dachte.“

Fast gegen ihren Willen spürte Lily, wie ihr Temperament sich in ihrer Brust bemerkbar machte und ihr die Röte in die Wangen schoss. „Und für Slytherins ist es wohl vollkommen unmöglich, es anzunehmen, wenn man nett zu ihnen sein möchte!“

„Dass du die Schulsprecherin bist, bedeutet nicht, dass ich dein bester Freund sein muss, Evans. Und jetzt zieh Leine!“

Für einen Moment erwog Lily, das Gespräch fortzuführen, doch die Erinnerung an Severus und an das, was er über Slytherins gesagt hatte, stieg wieder in ihr auf und sie begriff, wie unklug es wäre, Devers noch weiter zu bedrängen. Egal, was er fühlte, er würde nicht freundlich zu ihr sein können, während Rabastan Lestrange, einer der Nachwuchs-Todesser in seinem Haus, zusah – aber Wissen half nicht viel gegen unbändige Wut. „Schön“, fauchte sie, und dass er nicht reagierte, nur die Augenbrauen hob, stachelte ihren Zorn nur an. „Schön! Wenn du ein gut gemeintes Friedensangebot nicht erkennst, wenn du es siehst, dann bist du selbst schuld!“

Bevor er etwas erwidern konnte, stapfte sie davon, in die Richtung der Eingangshalle, und die Gruppe von Erstklässlern, die ihr entgegenkam, beeilte sich, ihr auszuweichen. Slytherins waren so dämlich!

Ehrenkodex, antiquierte Moralvorstellungen, die Reinheit des Blutes – warum konnten sie nicht einfach so geradlinig und ehrlich sein wie Gryffindors oder Hufflepuffs oder auch noch Ravenclaws? Wo lag der Reiz daran, in einem Haus zu sein, in dem man seinen Kollegen nicht vertrauen konnte, nicht wusste, wer im eigenen Schlafsaal einem vielleicht ein Messer in den Rücken rammen wollte? Und wieso zum Teufel hatte Severus eigentlich dorthin gewollt?

Sie schüttelte den Kopf und bemühte sich, etwas weniger fest auf den Teppichboden aufzustampfen, um den missbilligenden Blicken der Portraits zu entgehen. Eigentlich war sie doch selbst schuld. Sie wusste – nein, jeder wusste – dass Slytherins gemein und intrigant waren und sich nicht mit den Schülern aus anderen Häusern verstanden. Warum also musste sie es immer und immer wieder versuchen, einem von ihnen näher zu kommen, zuerst Severus und nun Devers?

Natürlich waren ihre verdammten Gefühle schuld. Sie mochte Severus, fand, dass er ein guter Mensch war, wenn er nicht von seinen verdammten Todesserfreunden beeinflusst wurde – und nun, wo sie nicht mehr an der Schule waren, alle ihre eigenen Wege gingen, kam dieser gute Mensch wieder zum Vorschein. Und Devers war ihr nicht mehr egal, seit sie Stunden damit verbracht hatte, im Krankenflügel an seinem Bett zu sitzen und sich um ihn zu sorgen – sie hatte sogar mit Black gesprochen, um ihm zu helfen, verdammt noch mal! War das in seinen Augen gar nichts wert?

Sie schüttelte den Kopf. Dass Emotionen nicht immer auf dieselbe Erwiderung trafen, sollte sie eigentlich wissen... immerhin hatte James Potter es noch immer nicht begriffen, dass sie nichts mit ihm zu tun haben wollte. Trotzdem fiel es ihr schwer zu verstehen, dass jemand nichts mit ihr zu tun haben wollte, dass jemand sie nicht mochte, und wütend blinzelte sie ein paar Tränen weg, bevor sie im Gemeinschaftsraum der Gryffindors verschwand.
 

Sie hatte ihren inneren Aufruhr noch immer nicht überwunden, als sie am Nachmittag desselben Tages am See entlanglief und in den warmen Strahlen der Sonne badete. Obwohl der Oktober nur noch wenige Tage entfernt war, war der erste Monat in Hogwarts wärmer gewesen als der ganze Sommer, den sie bei ihren Eltern verbracht hatte, und auch weitaus weniger nebelig. Lily konnte sich nicht erklären, wieso, genoss es aber in vollen Zügen – bis hinter einem Busch neben dem See Severus Snape hervortrat.

Sie zuckte zusammen und wollte schon nach ihrem Zauberstab greifen, als sie bemerkte, wer da vor ihr stand und ihre Schultern sich wieder entspannten. Trotzdem war ihre Reaktion nicht an Severus verloren, das bemerkte sie an dem verletzten Ausdruck auf seinem Gesicht. „Hallo. Ich hab dich zuerst gar nicht erkannt.“

„Lily.“ Ihre Worte glätteten seine Stirn ein wenig, doch der besorgte Ausdruck in seinen Augen blieb, als er sie auf einen der versteckteren Pfade auf den Ländereien führte, um nicht mit ihr gesehen zu werden.

Trotzdem blieb er so lange still und bedachte sie mit nachdenklichen Seitenblicken, dass es sie nervös machte und sie schließlich anhielt und sich zu ihm umdrehte. „Spuck es aus, Sev, bevor du dich daran verschluckst!“

Ihre Stimme klang harscher als beabsichtigt, zu viel Wut vom Morgen gärte noch in ihr, als dass sie sich hätte zusammennehmen können, und sie sah, wie Severus' Gesichtsausdruck sich verhärtete. „Devers hat mich angebrüllt und gefragt, ob du jetzt vollkommen den Verstand verloren hast.“

Lily funkelte ihn an. „Ich wollte nur nett sein!“

„Für ihn ist es allerdings gar nicht angenehm, wenn du nett zu ihm bist – oder möchtest du, dass er den nächsten Fluch abbekommt?“

„Natürlich nicht!“

Ihre grünen Augen bohrten sich in seine schwarzen, bis sie schließlich seufzte und zu Boden blickte. „Du weißt, dass ich das nicht will, Severus. Aber ich hab mir so lange Sorgen um ihn gemacht, bin so lange im Krankenflügel neben ihm gesessen... ich wollte einfach einmal ein paar Worte mit dem Menschen wechseln, der dahinter steckt.“

Severus schüttelte den Kopf. „Aber Devers weiß gar nichts von dir – er war bewusstlos, als du dir Sorgen um ihn gemacht hast. Und dass du mit dazu beigetragen hast, dass er wieder gesund wird, weiß auch niemand außer uns beiden und Dumbledore, also verhältst du dich für ihn jetzt vollkommen irrational. Und wenn Slytherins irrationales Verhalten bemerken, fangen sie an, nach Intrigen Ausschau zu halten, nach versteckten Motiven.“

„Aber ich habe keine versteckten Motive! Ich möchte ihn einfach nur kennen lernen!“

Selbst in ihrer Empörung bemerkte sie Severus' mitleidigen Blick, er sah sie an, wie sie vielleicht ein Kind angesehen hätte, das zwar sehr süß war, aber noch nicht begriffen hatte, wie die Welt wirklich funktionierte.

„Lily, das weiß er nicht. Er hat keine Ahnung, was du von ihm willst, er glaubt, du willst ihn für deine Zwecke einspannen und hat Angst, dass Black wieder auf ihn losgeht, wenn du ihm weiter hinterherläufst.“

Fast unterbewusst nahm sie wahr, wie die Wut in ihr hochkroch und ihr Urteilsvermögen beeinträchtigte, doch das war ihr in diesem Moment vollkommen egal. „Und seit wann weißt ausgerechnet du, was andere Menschen denken und fühlen?“

Severus' Gesicht verhärtete sich und seine Lippen verwandelten sich in diesen dünnen Strich, den sie zu hassen gelernt hatte. „Wie ich schon sagte, Lily, ich habe mit ihm gesprochen.“ Seine erzwungene Ruhe schnitt tief, wirkte wie eine kalte Dusche auf sie, und einen Moment später hatte sie sich wieder unter Kontrolle, auch wenn sie sich schämte.

„Es tut mir leid, Sev“, seufzte sie und er nickte. „Ich weiß.“

Sie wusste, mehr konnte sie nicht von ihm erwarten, und schweigend spazierten sie am See entlang durch das Sonnenlicht, das fröhlich und grün durch die Blätter fiel und auf Lily fast surreal wirkte.

„Trotzdem solltest du Devers in Ruhe lassen, Lily.“

Sie seufzte auf und blickte zu ihm hoch, in das blasse, entschlossene Gesicht eines jungen Mannes, der eher einen erneuten Streit mit ihr riskieren würde, als zuzulassen, dass sie wieder verletzt wurde. Ihre scharfe Antwort schmolz gemeinsam mit ihrem Stirnrunzeln hinweg. „Ich weiß, Severus... ich weiß.“

Ganz offensichtlich hatte er mit einer anderen Reaktion gerechnet, denn er hob die Augenbrauen, doch Lily schüttelte nur den Kopf und bedeutete ihm, weiter zu gehen und dem Pfad am See entlang zu folgen. Sie hoffte, dass ein wenig von dem Frieden der zwitschernden Vögel und rauschenden Blätter auch auf sie überspringen, ihre verletzten Gefühle besänftigen würde – denn sie konnte nicht einmal auf irgendjemanden wütend sein, um sich abzureagieren. Sie war an ihrer Situation ganz einfach selbst schuld, weil sie wieder einmal nicht nachgedacht hatte.

Auf den zweiten Blick wirkte all das, was Severus gesagt hatte, vernünftig und logisch, was es für sie noch peinlicher machte, dass sie nicht selbst auf die Idee gekommen war, einfach nachzudenken und ihren eigenen Verstand zu verwenden. Natürlich wusste Devers nicht, wer sie war, und dass er ihr plötzlich wichtig war, nachdem sie sich Sorgen um sie gemacht hatte, bedeutete nicht, dass es umgekehrt genauso sein musste. Im Nachhinein schämte sie sich fast, so egoistisch gewesen und seine Gefühle nicht bedacht zu haben, und das, wo sie Severus vorgeworfen hatte, kein Einfühlungsvermögen zu haben!

„Es tut mir leid“, wiederholte sie und spürte, wie er neben ihr inne hielt, überrascht und auch ein wenig verwirrt. „Ich habe meine Wut an dir ausgelassen, und das sollte ich nicht...“

Für einen Moment spürte sie, wie seine dunklen Augen auf ihr ruhten, dann streckte er seine Hand aus und drückte in einer Geste, die scheu und unsicher wirkte, ihre Schulter. Sie lächelte und gemeinsam gingen sie weiter, während Lily fand, dass der Herbst plötzlich viel farbenfroher aussah als noch Momente zuvor.

„Eigentlich könnten wir wieder einmal brauen, Severus. Das heißt, nur, wenn du das möchtest“, fügte sie hastig hinzu, doch der ehrliche Ausdruck von Freude auf seinem Gesicht überzeugte sie davon, dass ihr spontaner Impuls richtig gewesen war.

„Natürlich möchte ich das.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  rikku1987
2014-01-25T04:40:52+00:00 25.01.2014 05:40
Wieder ein schönes Kapitel


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