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Nebel über Hogwarts

von

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Halt mich fest

Nebel über Hogwarts – Kapitel 33: Halt mich fest
 

Während der November verging, sich Matsch in Eis verwandelte und Weihnachten nahte, blieb Severus ganz wider erwarten wenig Zeit, über sein problematisches Verhältnis zu Lily nachzudenken. Sie lernten, sie brauten, sie gingen zum Unterricht, und zwischen all diesen Ablenkungen hatte er wenig Gelegenheit, Überlegungen zur Zukunft anzustellen, zu dem, was sein würde, wenn sie Hogwarts verließen.

Ein kleiner Teil von ihm, ganz tief in seinem Inneren, wusste, dass das Schloss und die Schule ein geschützter Ort waren, eine eigene Welt, geschaffen von Albus Dumbledore, die wenig mit dem zu tun hatten, was dort draußen auf sie warten würde. Doch diese Gewissheit schob er meist zur Seite, besonders, wenn er Lilys Lächeln sah oder die Art, wie sie ihre Haare hinter ihr Ohr schob, wenn sie ihr beim Schreiben im Weg waren. Dann lebte er einfach nur im hier und jetzt, kümmerte sich nicht um die Zukunft, die sich mit jedem Tag, den er hier verbrachte, näher schob und sich vor ihm aufbaute wie ein dunkler Wall von Gewitterwolken.

Nur nachts, in der Einsamkeit seines Himmelbettes in einem Raum, den er mit vier anderen Jungen teilte, schlich sich die Angst zurück, doch dann erinnerte er sich an den Maskenball und das Gefühl von Lilys Hand in der seinen, an den weichen Stoff ihres Kleides unter seinen Fingern und den Blick, mit dem sie ihn angesehen hatte. An diesem Abend war er ihr Prinz gewesen, und das hatte nichts mit dem zynischen, bitteren Namen zu tun, den er sich schon vor Jahren in Anspielung auf seine Herkunft gegeben hatte. Halbblutprinz...

Auch die unnachgiebig herannahenden Weihnachtsferien verdrängte er aus seinem Bewusstsein, so gut es ging – er wusste, er würde in Hogwarts bleiben wie der größte Teil der Schüler, aber nicht wegen des Balles am Weihnachtstag, der wahrscheinlich eine Qual für ihn werden würde, sondern weil die Alternative so unendlich viel schlimmer war.

Weihnachten im Haus seiner Eltern war noch nie eine besinnliche Angelegenheit gewesen, sondern eher geprägt von drückender Leere im Wohnzimmer, vor allem unter dem Baum, wenn sie denn einen hatten, und von der Angst seiner Mutter. Er konnte sich an die vielen Weihnachtsabende erinnern, an denen sie am gedeckten Esstisch in der Küche saßen und gemeinsam auf den leeren Platz seines Vaters starrten, nicht wagten, ohne ihn anzufangen und trotzdem hofften, dass er nicht kommen würde, und mit ihm der Geruch nach Alkohol und Schweiß.

Severus verstand nicht, wieso die anderen Schüler Weihnachten mochten, sich auf ihre Familien freuten und auf die Dekoration. Für ihn war Weihnachten nur der eine Tag im Jahr, an dem sich seine Mutter noch mehr bemühte als sonst, Familienfrieden und Idylle zu verbreiten und an dem es ihr natürlich noch mehr wehtat, wenn sie scheiterte.

Er fühlte sich wie ein Feigling, sie damit alleine zu lassen, aber er hoffte, dass sie sich, wenn er nicht dort war, vielleicht weniger Mühe geben, weniger bitter enttäuscht werden würde, wenn das Fest nicht so verlief, wie sie es sich vorgestellt hatte. Tief in seinem Inneren wusste er, dass das eine vergebliche Hoffnung war, aber auch diesen Gedanken schob er zur Seite, bemüht, seine Illusionen noch ein kleines bisschen länger zu behalten.

Vielleicht in einem Jahr – vielleicht hatte er dann eine eigene Wohnung, konnte seine Mutter über die Feiertage einladen, sie einmal lächeln sehen, bevor sie wieder in die düstere, triste Welt aus Abhängigkeit zurückkehrte, die sie sich selbst gebaut hatte und die sie doch nicht verlassen wollte. Er verstand sie nicht, hatte schon vor vielen Jahren aufgegeben, sie verstehen zu wollen, doch der Wunsch, sie zu beschützen vor dem, das sie sich selbst ausgesucht hatte, blieb, so sehr er ihn auch schmerzte und so sehr er sich auch einreden wollte, dass seine Mutter das Recht hatte, zu wählen.

Der Brief, den er wenige Tage später erhielt, trug kein bisschen dazu bei, seine Stimmung aufzuhellen. Lucius lud ihn ein, für die ganzen Ferien nach Malfoy Manor zu kommen, zu ihm und seiner jungen Frau Narzissa, die er gerade geheiratet hatte und die wahrscheinlich mit einer Fülle an Festivitäten, Bällen und Abendgesellschaften beweisen wollte, dass sie das Haus ebenso gut füllen konnte wie ihre Vorgängerin. Die Überlegung war verführerisch – Weihnachten in einer gastlichen Umgebung, ohne die ganze Aufregung des Schlosses, das voll war mit Schülern und dem Gedanken, dass Lily zu diesem Ball mit jemand anderem tanzen würde. Doch dann blickte er sie wieder an, wie sie sich über den Kessel beugte und den Trank, den sie gerade brauten, vorsichtig umrührte, und seine Entschlossenheit schwand.

Schon vor einigen Tagen hatte er die Eule mit der Einladung erhalten und noch immer hatte er sich nicht entschieden, schob die Antwort weiter und weiter vor sich hinaus, wartete auf etwas, das ihm half, sich zu entscheiden und das wahrscheinlich nie passieren würde.

„Ich glaube, unser Ansatz ist zu dick“, meinte Lily, während sie mit kritischem Blick in den Kessel spähte und prüfend einige Tropfen des Trankes von der Kelle fließen ließ. „Wenn wir jetzt das Sandelholz hinzufügen, verliert es seine ganzen positiven Eigenschaften und das Ergebnis wirkt nicht stärkend, sondern eher ermüdend.“

Severus schnaubte. „Schlaftränke sind zwar auch nicht unpraktisch, aber jetzt nicht das, was wir erreichen wollten.“

Für einen Moment überlegte er, das Sandelholz trotzdem hinzuzufügen und das Ergebnis für seinen persönlichen Gebrauch zu verkorken – weniger Gedanken an Lily, bevor er schließlich einschlief – verwarf die Idee aber sofort. Lily würde bemerken, was er tat, und sich Sorgen machen und ihm tausende Fragen stellen – und er konnte schlecht zugeben, dass er abends wach lag, weil er über sie nachdachte und darüber, wie sich ihre Haut unter seinen Fingern anfühlte.

„Dann müssen wir uns die ganze Arbeit wohl noch einmal machen.“ Bei dem Gedanken fühlte er sich weniger frustriert, als er eigentlich vermutet hatte. Obwohl ihr Ergebnis nicht perfekt war, bedeutete der Neuanfang immerhin, dass er mehr Zeit mit Lily verbringen konnte, was seine Unzufriedenheit dämpfte.

Durch die zwei Nächte in der Woche, die Lily mittlerweile auf Patrouille verbrachte, konnten sie nicht besonders oft miteinander brauen, vor allem, da sie beide auch bereits jetzt für ihre Prüfungen lernen und so nebenbei auch den Unterricht besuchen mussten, und Severus gedachte, so viele Minuten wie möglich herauszuschinden. Mit einem nur halb genervten Schlenker seines Zauberstabes ließ er den zu dick gewordenen Inhalt ihres Kessels verschwinden und löschte das Feuer darunter, bevor er an den alten Schultisch trat, den sie für die Vorbereitung ihrer Zutaten verwendeten, und erneut begann, die Ingredienzien zu präparieren.

Auch Lily machte sich daran, ihm zu helfen, und manchmal ertappte er sich dabei, wie sein Blick zu ihren schmalen, schlanken Händen abglitt und er sie ein wenig beobachtete, bis er sich wieder seiner eigenen Aufgabe zuwandte.

„Wie sind eigentlich deine Patrouillen?“, fragte er beiläufig, während er nach der nächsten Petersilienwurzel griff und begann, sie in kleine Würfel zu schneiden – und versuchte, seine innere Anspannung zu verbergen. Sie hatte ihm kurz nach dem Angriff auf Hogsmeade erzählt, dass sie mit Potter unterwegs sein würde, und sich dem Anlass entsprechend ziemlich aufgeregt, aber danach war es überraschend still geworden und er hungerte nach Informationen.

Lily zuckte mit den Schultern, so gut man das eben konnte, während man getrocknete Löwenzahnblüten zerkleinerte. „Nicht so fürchterlich, wie ich das am Anfang gedacht habe. Potter hält meistens die Klappe – und wir beide wissen, dass das wahrscheinlich das achte Weltwunder ist – und Dorcas ist eigentlich ziemlich nett.“

Wie alle anderen in Hogwarts hatte Severus gedacht, dass die Freiwilligen, von denen Dumbledore in seiner Frühstücksrede nach dem Angriff sprach und die mithelfen würden, die Schule zu bewachen, Schüler aus den höheren Klassen sein würden. Niemand von ihnen hatte damit gerechnet, dass ein ganzer Haufen von Fremden einfallen würde, der ab und zu mit ihnen Mahlzeiten einnahm und mit den anderen auf Patrouille ging.

Nach allem, was Lily bis jetzt erzählt hatte, hatte Dorcas Meadowes sich mit einigen anderen beim Schulleiter gemeldet, nachdem bekannt geworden war, dass er nach zusätzlichen Kräften suchte. Mehr hatte sie offensichtlich nicht verraten, nicht, was ihr eigentlicher Beruf war und wie sie überhaupt von Dumbledores Bitte erfahren hatte, was Severus' Misstrauen schürte. Ein wenig beruhigt wurde seine Unruhe von der Tatsache, dass Meadowes kompetent schien – etwas, das er über Lilys anderen Begleiter, Potter, nicht sagen konnte – aber seine Slytherin-Instinkte bestanden darauf, dass hinter der Sache mehr steckte.

Lily lachte auf, als er seine Zweifel erwähnte. „Wirklich, Severus – bist du schon so sehr Slytherin, dass du hinter jedem Schatten eine Intrige vermutest und dass nichts einfach so sein kann, wie es gesagt wird? Manche Menschen sind eben ehrlich und tragen ihr Herz auf der Zunge – und ab und zu sagen sie sogar die Wahrheit.“

„Mh“, entgegnete er und bückte sich, um mit seinem Zauberstab die Flammen unter ihrem Kessel neu zu entfachen und zu verbergen, wie verletzt er sich von ihren Worten fühlte. Natürlich, er war anders als all ihre lachenden, dämlichen, arglosen Gryffindor-Freunde – aber das bedeutete nicht, dass sie seine Art zu leben in den Schmutz ziehen durfte.

„Severus.“

Das plötzliche Seufzen in ihrer Stimme lockte ihn unter dem Kessel hervor und er begegnete widerwillig ihrem Blick. „Ja?“

Sie verdrehte die Augen. „Du weißt genau, dass ich das, was ich gesagt habe, nicht böse gemeint habe.“ Ihre Musterung machte ihn nervös, sie schien nach irgendeiner Regung, irgendeinem Anzeichen in seiner Miene zu suchen, aber in seinem steinernen Gesicht zuckte nicht einmal ein Muskel. Ihrem Blick nach zu schließen fand sie das irritierend, aber davon ließ sie sich trotzdem nicht abhalten, weiterzusprechen. „Aber ich bin nicht dumm, Severus. Du hast deine Geheimnisse, und du erzählst mir nicht alles, was dir durch deinen Kopf geht – und das ist auch vollkommen in Ordnung so, niemand tut das. Aber dann erwarte bitte nicht von mir, dass ich blind dafür bin und glaube, du wärst ein offenes Buch.“

Er schluckte langsam, er hatte tatsächlich geglaubt, Lily täuschen zu können – zumindest ein wenig – und die Gewissheit, dass er kein halb so guter Schauspieler war, wie er dachte, erschreckte ihn. Und würde ihn zu noch größerem Ehrgeiz anstacheln. „Es tut mir leid, Lily.“

Sie schüttelte den Kopf. „Das muss es nicht – solange du nicht versuchst, mich für dumm zu verkaufen.“

Für einen Moment oder zwei sah sie ihm ernst ins Gesicht, dann machte sie diesen einen, letzten Schritt auf ihn zu und schlang die Arme um ihn, vergrub ihren Kopf an seiner Schulter. Die plötzliche, emotionale Geste überraschte ihn – wie das die meisten emotionalen Reaktionen taten – und er brauchte einen Moment, bis er reagieren und seine Arme um sie schlingen konnte. Sie seufzte leise auf und er drückte sie noch mehr, hielt sie fest, streichelte vorsichtig über ihr Haar und genoss jeden Augenblick der Nähe, die er viel zu selten fühlte, während er ihren Duft einsog.

„Pass auf dich auf, Severus... was auch immer du machst, pass auf dich auf. Bitte.“

Er spürte, wie der Knoten in seinem Hals anschwoll und versuchte, sich einen Weg nach draußen zu bahnen, also blieb ihm nichts übrig, als vorsichtig zu nicken und zu hoffen, dass sie die Geste spüren konnte – denn Worte waren ausgeschlossen.

Er wusste nicht, wie lange sie dort standen und sich festhielten – Severus wusste nicht, ob er sie mehr tröstete als sie ihn oder umgekehrt – bis sich schließlich ihr Zaubertränkekessel mit dem leisen Knacken von erhitztem Metall in Erinnerung brachte, das unendlich dröhnend wirkte in der Stille des leeren Klassenzimmers.

„Ich...“ Ein abgebrochener Satz, ein leises Schniefen von Lily, und sie löste sich von ihm, eilte zurück an ihren Arbeitsplatz, um die Vorbereitungen für den Stärkungstrank zu vollenden, während Severus die Hitze regulierte und die ersten Zutaten in den Kessel warf.

Den Rest des Abends sprachen sie über das kommende Quidditch-Match Slytherin gegen Ravenclaw, denn ein Thema, das ihnen beiden noch unwichtiger war, das sie noch weniger emotional berührte, wollte sich einfach nicht einstellen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  rikku1987
2014-03-20T01:24:36+00:00 20.03.2014 02:24
Jaja aus den beiden hätte wirklich was werden können. Was für eine Wendung das der späteren Geschichte geben wurde. Echt eine tolle Sache .


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