Zum Inhalt der Seite

Engelstränen

Martin x Taro
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Mein Engel

Hallo!

Hier kommt meine zweite Shônen-Ai FF. Sie war erst als One Shot geplant, hat sich dann aber zu einem Mehrteiler entwickelt.

Ich hoffe es gefällt! Viel Spaß beim Lesen!
 

LG Kyra
 

----
 

Mein Engel
 

Konnte man die Welt in Richtig und Falsch, Gut und Böse, Weiß und Schwarz einzuteilen?

Bestanden diese berüchtigten Grauzonen?
 

Gab es gute Menschen? Und gab es böse?
 

Durfte ein guter Mensch lügen? Durfte er fluchen? Durfte er egoistisch sein? Durfte er Gewalt anwenden – durfte er kämpfen? Durfte er hassen?
 

Wie definierte sich ein guter Mensch? Wie ein böser?
 

Durch seine Vergangenheit? Durch seine Situation? Durch sein Handeln? Durch sein Wissen? Durch seine Kraft? Durch seine Fähigkeiten? Durch seine Macht?
 

Oder durch seine Einstellung mit alle dem umzugehen, was geschehen war, was er tat, was er wusste, was er konnte... durch seinen Charakter?!
 

Wie definierte sich ein Engel?
 

Wusste er immer das Richtige zu tun? Leistete er sich nie einen Fehltritt? Tat er nie etwas Ungerechtes? Brachte er nie jemanden in Gefahr? War er perfekt?
 

Für viele mochte bei diesem Begriff solche Perfektion mitschwingen. Etwas Übernatürliches.

Für mich nicht...
 

Mein kleiner Engel hatte gelernt zu töten. Er hatte mit einer egoistischen Entscheidung viele Menschen in Gefahr gebracht. Er konnte besser kämpfen als ein Löwe. Er konnte lügen, ohne rot zu werden.
 

Aber er hatte dem abgeschworen. Er hatte sich nach Freiheit gesehnt, und bedauerte auch Jahre später noch das Leid, dass er angerichtet hatte. Er verteidigte das, was ihm lieb und teuer war, vermied dabei Gewalt, wo es nur ging. Er sagte nur nicht die Wahrheit, um sein gefährliches Geheimnis oder seine Privatsphäre zu wahren.
 

Er war nicht perfekt. Er machte Fehler und hatte Macken. Aber er bemühte sich. Er achtete seine Umwelt und war gutmütig, wobei er sich selbst manchmal vergaß.
 

Und das war mehr als jede Perfektion...
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Stumm betrachtete ich das kleine Foto in meinem Portemonnaie. Es war mein einziger Trost in der letzten Zeit.
 

Er lächelte. Und ich hoffte, dass er das in der Realität noch konnte. Auch wenn ich es bezweifelte. Ich wusste, wie wichtig ich ihm war. Die Wahrscheinlichkeit, dass er mit meinem angeblichen Tod klar gekommen war, war gering.
 

Mir war deutlich bewusst, wie sehr ich ihn verletzte. Und der Gedanke schmerzte, dass ich es noch schlimmer machen würde. Aber ich tat es für unsere Zukunft. Ich hoffte, dass er mir verzeihen konnte – dass ich nicht alles zerstört hatte. Das würde auch ich nicht ertragen. Inzwischen noch viel weniger.
 

Sein Lächeln löste bei mir mehr denn je aus. Seine Bedeutung hatte sich gewandelt. Ich mochte es nicht mehr...
 

...ich liebte es. Wenn es nach mir ginge, sollte er nur noch lächeln. Oder lachen. Oder grinsen. Einfach glücklich sein.

Ich liebte ihn – mehr als alles andere. Dieser Monat ohne ihn hatte mir die Augen geöffnet. Ich musste so schnell wie möglich zu ihm!
 

Konnte dieses verdammte Flugzeug nicht schneller fliegen?

Gift in der Seele

Huhu!

Hier kommt das nächste Kapitel! Nicht wundern, es ist nicht der gleiche Ich-Erzähler. Ich hoffe es gefällt!

Viel Spaß beim Lesen!
 

LG Kyra
 

---
 

Gift in der Seele
 

Die Musik plätscherte nur so dahin. Ich schenkte ihr nur unbewusst Beachtung. Die Texte interessierten mich nicht sonderlich. Nicht mehr. Sie waren der Hintergrund vom Hintergrund. Den einzigen Anlass, aus dem ich den CD-Player überhaupt eingeschaltet hatte, bot die Stimmung, die die Töne verbreiteten.
 

Es gab nichts besseres, als langsame, dramatische Musik, um in Trauer zu versinken. Daraus, dass ich das tat, machte ich keinen Hehl. Vor meinen Freunden nicht. Und schon gar nicht vor mir. Es wäre Unsinn gewesen, das Offensichtliche verleumden zu wollen.
 

Ich fühlte sie mit jedem Herzschlag. Jeder spürte es, selbst diejenigen mit wenig Feingefühl. Selbst wenn es jemanden geben sollte, bei dem dies nicht zu traf, er würde es sehen.
 

Die meisten verstanden meinen Situation – meine Trauer, meine Haltlosigkeit. Sie konnte nachvollziehen, dass mein Leben nicht mehr das war, was es einmal gewesen war. Sie wussten, wie sehr mein bester Freund, Makato, mein Dasein bestimmt hatte, und akzeptierten, dass ich jetzt, nach seiner Todmeldung, nicht mehr derselbe war. Ebenso schienen sie meinen Wunsch nach Ruhe zu verstehen.
 

Nur er... er tat das nicht. Er rammte mir immer wieder das Messer des Verlustes ins Fleisch. Seine Worte, seine Gesten, seine Ausstrahlung. Sie versetzten mir immer wieder einen neuen blutigen Messerstich.
 

Das Schlimmste war, ich konnte ihn dafür nicht einmal fertig oder nur auch verantwortlich machen... geschweige denn hassen. Ich wusste, er tat es unabsichtlich, konnte schließlich nichts dafür, Toto so ähnlich zu sein. Und wie sollte ich etwas verachten, was meinem besten Freund so nahe war. Es bedeute fast Toto selbst zu verabscheuen. Und das war ein Ding der Unmöglichkeit, ich hätte ihn nie hassen können, egal, was er mir angetan hätte.
 

Er war alles für mich – auch jetzt noch... darin lag mein Problem...
 

Ich hörte - wie durch Watte - die Wohnungstür ins Schloss fallen. Wieder einmal stellte sich mir die Frage, wer mich so sehr hassen konnte. Als wäre es nicht schon Strafe genug, den meistbedeuteten Menschen zu verlieren. Irgendjemand schien Spaß daran zu haben, mich leiden zu sehen. Warum sonst sollte dieser definitiv Nicht-Toto und dann irgendwie wieder Doch-Toto so kurz nach diesem Hiobserlebnis hier auftauchen, und dann auch noch ausgerechnet bei mir einziehen.
 

Wie gesagt, ich konnte den Anderen nicht hassen, aber ihn nicht zu mögen, weil er meine Qualen vervielfachte, das stand wir wohl zu. Aber wollte ich das?
 

„Hey, bin wieder da!“, hallte die Stimme meines Folterknechts durch die Wohnung.
 

„Schade, dass du nicht mit warst!“, erklang es munter aus Richtung der Schlafzimmertür. Lächelnd steckte er seinen Kopf ins Zimmer.
 

„War echt lustig“, meinte er, wurde aber von Silbe zu Silbe leiser. Das letzte Wort schien ihm, bei meinem Anblick, fast im Halse stecken zu bleiben. Er musterte mich, Besorgnis und Unsicherheit standen in seinen Augen geschrieben.
 

„Warum weinst du?“, fragte er unbeholfen, und schien mit der Situation überhaupt nicht klar zu kommen. „Ist irgendetwas während meiner Abwesenheit passiert?“
 

Ich schüttelte nur den Kopf. Verspürte nicht die Lust mit irgendwem darüber zu reden – schon gar nicht mit ihm.
 

„Lass mich einfach allein!“, murmelte ich heiser. Seine Anwesenheit war Gift. Doch anstatt meinen Wunsch zu beherzigen, kam er zu mir hinüber, wühlte dabei in den Taschen seiner Winterjacke, die er seltsamerweise noch nicht ausgezogen hatte. War er etwa, als allererstes zu mir gekommen? Schwer vorstellbar.
 

„Hier“, sagte er, als er anscheinend fündig geworden war, und hielt mir ein Taschentuch hin. Er versuchte sich an einem leichten Lächeln, scheiterte aber.
 

„Du bist dir sicher, dass ich nichts für dich tun kann?!“, fragte er vorsichtig, obwohl er meine Antwort schon zu kennen schien.
 

Während ich mir die Tränen aus dem Gesicht wischte, schüttelte ich den Kopf. Penibelst darauf bedacht, ihn nicht anzusehen, denn ein Blick in die besorgten blauen Augen, hätte nur eine weitere tiefe Wunde geschlagen. Und ich hatte wahrlich schon genug Schmerzen.
 

„Okay“, murmelte er leise, und nahm sich dann sein Bettzeugs. „Falls du deine Meinung doch noch ändern solltest, du findest mich auf dem Sofa.“ Dieses Mal glückte ihm das leichte, vertrauensvolle Lächeln.
 

Ich nickte und ließ mich zurück in die Laken fallen. Ich konnte es kaum erwarten, dass er verschwand.
 

„Gute Nacht“, sagte er noch, wobei er die Musikanlage ausschaltete.
 

Damit war er weg. Endlich.
 

Zugegeben, ich war einigermaßen überrascht, dass er freiwillig auf dem Sofa schlief. Sowieso war er heute nicht bohrend gewesen. Vermutlich sah ich schlimmer aus, als ich mich fühlte. Auch wenn ich eigentlich gedacht hätte, dass das unmöglich war.
 

Doch was anscheinende Unmöglichkeiten anging, hatte ich mich in der letzten Zeit des Öfteren geirrt. Zum Beispiel war ich davon ausgegangen, dass Martin, so hieß mein Folterknecht, mich, nach meinem Auftritt der ersten Tage, hassen oder zumindest ignorieren würde. Aber das tat er nicht. Er bemühte sich mit mir klar zu kommen, mehr noch, mich als Freund zu gewinnen. Aus irgendeinem, mir unerfindlichem Grund, war ich ihm sehr wichtig. Er mochte mich und versuchte immer wieder, etwas mit mir zu unternehmen. Für ihn schien es inakzeptabel, dass ich mich abkapselte und trübsinnig in der Ecke hockte.
 

Das war ein weiterer Grund, warum ich mich so schlecht fühlte. Auch wenn er nicht ganz so gewichtig war.
 

Martin war so verdammt nett zu mir, und ich trat das regelmäßig mit Füßen. Wäre die Sache mit Makato nicht gewesen, hätte ich ihn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sehr gemocht. Und das tat mir so schrecklich Leid. Martin litt darunter, obwohl er mit der Sache eigentlich gar nichts zu tun hatte.
 

Ich fühlte mich schuldig. Diesen Gedanken im Hinterkopf schlief ich ein.

Faszinierendes Chaos

Hey!

Hier ist das nächste Kapitel! Ich hoffe es gefällt!
 

LG Kyra
 

---
 

Faszinierendes Chaos
 

Als ich nach einer - tatsächlich alptraumlosen - Zeit des Schlafes mitten in der Nacht wieder aufwachte, fühlte ich mich erstaunlich gut. Wenn man mal davon absah, dass mir die Nähe und Geborgenheit Makatos fehlten.
 

Ziemlich wach für die Uhrzeit tapste ich ins Bad, um mir mein tränenverklebtes Gesicht zu waschen. Mein Spiegelbild war mehr oder weniger ein Schock, was mich dazu veranlasste, doch lieber zu duschen.
 

Meine Haare waren fettig, meine Augen verheult und meine Lippen wundgebissen. Man sah mir wirklich an, dass ich die ersten Tage meiner Herbstferien trauernd im Bett verbracht hatte.
 

Nach einer erfrischenden Dusche und einem neuen Bezug für mein Bett, ging ich in die Küche, um mir eine Kleinigkeit zu Essen zu machen. Auf dem Weg dorthin blieb mein Blick unweigerlich an Martin hängen, der auf der Couch im Wohnbereich tief und fest schlief. Ich hielt inne, und betrachtete ihn mit schmerzhaftem Unglaube.
 

Er hatte sich – soweit das bei seiner Größe möglich war – auf dem Sofa zusammengerollt, seine Bettdecke hing zu großen Teilen auf dem Fußboden und sein Kissen lag mehr in seinen Armen, als unter seinem Kopf. Ergo das reinste Chaos.

Es war mir unbegreiflich, wie man so einer Position gut schlafen konnte. Dieser Meinung schien Martin allerdings nicht zu sein. Er schien mehr als nur entspannt. Geradezu genüsslich.
 

So wie Makato, war mir sofort bewusst geworden. Der hatte auch nie Probleme damit gehabt, in den verdrehtesten Positionen zu schlafen, und am nächsten Morgen noch nicht mal unter Verspannungen zu leiden. Ich hatte immer gedacht, er wäre ein Einzelfall. Wie es aussah, hatte ich mich gründlich geirrt. Generell was die Vermutung anbelangte, Makato hätte einzigartige Angewohnheiten gehabt.
 

Der eindeutige Widerleg dieser Annahme schlummerte friedlich keine fünf Meter von mir entfernt. Es schien teilweise verhext, so ähnlich waren sich die beiden. Manchmal dachte ich, dass konnte gar nicht sein. Sowohl annähernd die gleiche Genialität, als auch die gleiche Trotteligkeit. Von einigen Gesten mal ganz abgesehen.
 

In der ersten Nacht, in der Martin hier geschlafen hatte, hatte ich glatt angenommen Toto wäre wieder da. Warum? Weil es dieser Depp tatsächlich fertig gebracht hatte, gegen die Badzimmertür anzulaufen, als er aufs Klo musste. Genau wie Makato schien er ungeheure Probleme damit zu haben, dass diese die einzige Tür in der Wohnung war, die keine Schiebetür war. In seiner Verschlafenheit wurde diese Tatsache anscheinend ausgeblendet, was fast täglich mit einem gewaltigen RUMS endete.
 

Inzwischen hatte ich das dumpfe Gefühl, dass dieser Zusammenstoß mir weitaus mehr weh tat. Es erinnerte mich jedes Mal aufs Neue an Toto. Ich brauchte jede Nacht wieder einen Moment bis ich begriff, dass es nur der ‚dämliche‘, deutsche Austauschschüler war. Es tat unsagbar weh, ließ mich nicht zur Ruhe kommen – keinen Abstand nehmen. Und dies war nur ein Beispiel für viele Wunden, die in mehr oder weniger regelmäßigen Zyklen wieder aufplatzen.
 

Kaputt. Gebrochen. Zerrissen. Blutig. Das waren nur einige Wörter, die meinen Seelenzustand beschrieben. Dennoch konnte ich keinen Schlussstrich ziehen. Dazu war die Hoffnung doch noch zu groß. Natürlich, mein Verstand wusste, dass es irrational war, dass jemand einen solch verheerenden Flugzeugabsturz unbemerkt überleben konnte. Aber wie erklärte ich das meinem Herzen... das 99% seiner Schläge für diesen Menschen tätigte. …
 

Ich stand immer noch bewegungslos an der offenstehenden Tür, die Küche und Wohnbereich trennte, starrte unentwegt - mit einer gewissen Faszination - auf den schlafenden Jungen, der bei mir solche Qualen auslöste. Vielleicht sollte ich mir wirklich mal die Frage stellen, ob ich masochistisch veranlagt war.
 

Das war ich hier tat, war so unglaublich dumm. Eigentlich sollte ich bemüht sein, mich von ihm fern zu halten. Ihn zu ignorieren. Aber aus irgendeinem Grund war mir das nicht möglich. Ich hegte die starke Vermutung, dass das mit Martins Bemühungen um meine Freundschaft zusammenhing. Ein Teil von mir – leider ein relativ einflussreicher - wollte ihn nicht enttäuschen.
 

Mühsam riss ich mich von dem Bild los und betrat kopfschüttelnd die Küche. Leider konnte das nicht den Gedanken vertreiben, der sich mir gerade aufdrängte. Ich konnte nicht genau sagen warum er mich gerade jetzt überrannte. Vielleicht war es, weil ich indirekt gerade eine gewisse soziale Gutmütigkeit zugegeben hatte, bei der ich mich selbst überging?
 

Jedenfalls hatte Makato mich so manches Mal Engel genannt. Auch wenn ich mich dagegen gesträubt hatte. Meiner Meinung nach hatte ich nicht viel mit einem solchen Wesen gemein. Dafür hatte ich zu viele Macken, und vor allen Dingen zu viel Unheil angerichtet.
 

Nachdenklich betrachtete ich den Inhalt des Kühlschranks. Sehr darauf bedacht, der gerade wieder aufgeschlitzten Wunde keine allzu große Beachtung zu schenken. Milch. Gekochtes Ei. Butter. Remoulade. Brot. Ich versuchte, fast schon verzweifelt, im Hier und Jetzt zu bleiben, und nicht wieder zu unserer Diskussion abzudriften. Es gelang mir erstaunlich gut. Erleichtert seufzend machte ich mich über das Essen her.
 

„Taro“, murmelte Martin, als ich gerade die Küche verließ. Wie ein Stromschlag durchzuckte es mich, mein Herz setzte einen Schlag aus. Ungläubig wandte ich mich ihm zu – auch wenn ich genau das eigentlich hatte vermeiden wollen. So aber wurde ich Zeuge, wie er genüsslich seinen Kopf im Kissen rieb und sich ein mir undefinierbares, geradezu seltsames Lächeln auf seinen Lippen bildete. Seltsam, aber schön. Galt das etwa mir?
 

Ich schüttelte den Kopf. Der konnte doch unmöglich von mir träumen. Warum sollte er? Ich war nicht gerade sehr freundlich zu ihm gewesen, hatte ihn größtenteils abgewiesen. Auch wenn ihn das nicht zu interessieren schien. Aber trotzdem... Ich meinte, er konnte unglaublich mit solch... solch einem angetanen Gesichtsausdruck von ausgerechnet mir träumen.
 

Das verwirrte mich. Mir eröffnete sich einfach nicht, warum er mich mochte. So sehr mochte. Eigentlich hatte er keinen Anlass dazu. Es war mir wirklich ein Rätsel. Und möglicherweise war das der Grund, warum er mich so faszinierte. Sonst hätte ich ihn vermutlich schon längst rausgeworfen. In diesem Fall war es aber ganz bestimmt sein Lächeln. Ich konnte meinen Blick kaum von seinen Lippen abwenden.
 

Inzwischen hatte er mit seinen Körper noch mehr Verrenkungen angestellt. Ich hatte das bei Makato kaum mit ansehen können. Meistens hatte ich Gegenmaßnahmen ergriffen. Immer dann, wenn es allzu schlimm wurde. Und das hier war schlimm. Ich verspürte den Drang, ihn zurückzubiegen. Auch wenn das hier nur ein Nicht-Toto mit deutlichem Toto-Verhaltensmuster war.
 

Ich schüttelte den Kopf. In letzter Zeit ratterte in meinem Gehirn so einiges durch. Nicht-Toto, Doch-Toto, Toto-Verhaltensmuster, Toto-Angewohnheiten. Diese Toto-Begriffe tauchten immer mal wieder auf. Irgendwie hatte das ja Humor, aber wenn man bedachte, dass sie sich ungewollt einschlichen, zeigte es nur auf eine leicht beängstigenden Art und Weise, wie sehr Makato mein Leben, pardon momentan eher Dahinvegetieren, bestimmte.
 

Seufzend ging ich zu Martin hinüber. Ich nahm ihn auf den Arm, wobei sein Kopf an meine Schulter fiel. Seine weichen, brauen Haare kitzelten meinen Hals. Ich brauchte nur einen Gang, um ihn samt Schlafutensilien in sein Bett zu schaffen. Schließlich hielt er sein Kissen immer noch umklammert und in der Decke hatte er mehr oder weniger verheddert.
 

Allerspätestens jetzt musste ich die Frage nach dem Masochisten wohl mit Ja beantworten. Scheiß drauf. Im Moment wollte ich einfach nur herausfinden, was für ein Lächeln das war. Es frustrierte mich, dass ich es nicht deuten konnte. Also würde ich jetzt genauere Beobachtungen anstellen.
 

Das Ganze verlief erstaunlich schmerzfrei. Was vermutlich daran lag, dass ich mich nicht entsinnen konnte, jemals ein solches Lächeln bei Makato gesehen zu haben. Ich brauchte bis zum Morgengrauen und etliche gemurmelte Taros, bis ich eine halbwegs zufriedenstellende Antwort gefunden hatte.
 

Meiner Meinung nach war dieses Lächeln eine bunte Mischung aus Entzücken, Freude, etwas Bedauern und Sehnsucht. Ich kriegte das zwar nicht wirklich mit mir zusammen – Einklang war meilenweit entfernt –, aber das war es, was meine Musterung ergeben hatte.
 

Ich fand es ungeheuer schön. Faszinierend schön. Irgendetwas, das ich noch nicht richtig einordnen konnte, löste diese kleine Geste bei mir aus. Ich wäre dem gern noch weiter auf den Grund gegangen, doch die Müdigkeit überfiel mich.
 

Mit einem angenehmen Kribbeln im Bauch schlief ich ein.

Die Wogen glätten sich

Hallo!
 

Dieses Kapitel ist für die nächsten zwei Wochen wohl das letzte. Da ich vom 14.-28. vermutlich nicht ins Internet können werde.

Danach werden noch fünf weitere Kapitel folgen, ebenso ein Epilog!
 

Ich hoffe es gefällt euch und wünsche viel Spaß beim Lesen!
 

LG Kyra
 

---
 

Die Wogen glätten sich
 

Gegen Mittag stand ich wieder auf. Relativ ausgeruht. Martin hingegen schien noch lange nicht der Meinung zu sein, ausgeschlafen zu haben. Er ‚tarote‘ immer noch munter vor sich hin. Kaum vorstellbar, aber wahr. Seine Träume handelten immer noch oder schon wieder von mir.
 

In gewisser Weise war es ein schönes Gefühl. Mir hatte in der letzten Zeit selten jemand so viel Beachtung geschenkt. Lag vielleicht auch daran, dass ich es nicht zugelassen hatte. Mein Folterknecht hätte sie mir bestimmt gegeben, wenn ich ihm nicht so deutlich die kalte Schulter gezeigt hätte.
 

Nachdem ich drei Tage ununterbrochen in der Bude gehockt hatte, trieb es mich nach draußen. Auch wenn das Wetter nicht gerade dazu einlud. Es kümmerte mich wenig. Sollte es doch anfangen zu regnen. Ich brauchte frische Luft und Abwechslung. Meine Zimmerdecke kannte ich inzwischen zu genüge.
 

Ein leichtes Mittagessen im Bauch, trat ich nach draußen und begann ziellos durch die Stadt zu streifen. Durch die Innenstadt, die Vergnügungsviertel, den Stadtpark, am Fluss entlang. Meine Umgebung nahm ich dabei nur am Rande war. Auch dass der Himmel irgendwann tatsächlich seine Schleusen öffnete, interessierte mich wenig.
 

Ich ließ die letzten Monate noch mal Revue passieren. Besonders kreisten meine Gedanken um Martin. Ich versuchte anhand der Geschehnisse herauszufinden, warum er mich anscheinend so mochte. Dabei fiel mir erstmals bewusst auf, dass er sich richtig für mich eingesetzt hatte und mich so manches Mal auch in Schutz genommen hatte.
 

Das machte die Sache allerdings nur noch komplizierter. Er hatte von Anfang an versucht, mir zu helfen, als er bemerkte hatte, wie es um mich stand. Irgendwie… Obwohl er es noch mal um einiges schlimmer gemacht hatte, war er wirklich bemüht, mich aus meinem Tief zu holen. Es wollte nicht in meinen Kopf.
 

Damals hatte er mich noch nicht mal gekannt. Und trotzdem... tat er so viel für mich. Warum war mir das noch nicht früher aufgefallen? Ich hatte es einfach so hingenommen, es war geradezu an mir vorbei gerauscht, dass jemand meine dämlichen Klassenkameraden zurecht gewiesen, regelrecht zusammen geschissen hatte, weil sie mich immer wieder damit aufzogen, dass ich ohne Makato nichts war.
 

Die Sticheleien waren schon alltäglich gewesen. Und innerlich hatte ich ihnen auch irgendwie Recht gegeben. Makato hatte mich aus meiner Einsamkeit befreit. Er hatte mir immer Kraft gegeben – ich hatte gewusst, wenn irgendetwas sein sollte, wäre er zu jeder Tages- und Nachtzeit für mich da gewesen. Durch ihn war ich zu einer starken Persönlichkeit geworden. Ruhig. Selbstbewusst. Durchsetzungsstark.
 

Ich hatte immer gewusst, was ich wollte. Wenn es nötig gewesen war, hatte ich dafür gekämpft. Und für Toto sowieso. Da hatte ich mich auch schon mal darüber hinweggesetzt, dass ich Gewalt verabscheute. Makato war für mich immer das Wichtigste im Leben gewesen.
 

Nachdem er weg war, hatte sich all das in Luft aufgelöst. Der Boden war mir unter den Füßen weggebrochen. Ich lebte vor mich hin. Stand morgens auf, ging zur Schule, oder tat irgendwelche andere belanglose Dinge, die alleine einfach keinen Spaß machten. Ich wusste mit den Tagen nichts mehr anzufangen.
 

Mir war plötzlich alles egal gewesen. Nur das jemand Toto beleidigte, hatte ich nicht zugelassen. Aber sonst... Ich war selbst auf dem Ohr taub geworden, dass mich jemand als Heulsuse oder Weichei betitelte. Es war irrelevant. Auch das mein Stolz dabei ziemlich zusammengeschrumpft war, hatte mich nicht gejuckt.
 

Daran hatte sich auch nach Martins Ankunft nichts geändert. Aber meine Teilnahmslosigkeit hatte sich teilweise verzogen. Ich ärgerte mich wieder – maßlos darüber, dass er mich nicht einfach in Ruhe ließ, dass er mir so weh tat. Und heute hatte er mir sogar positive Empfindungen entlockt.
 

Sein Lächeln ließ es mir ganz warm ums Herz werden. Immer wieder schossen mir auch andere Bilder von einem fröhlichen Martin durch den Kopf. Lachend. Grinsend. Schmunzelnd. Ich hatte plötzlich das dringende Bedürfnis nach mehr. Ich mochte es, mehr noch, wenn es mir galt, dann liebte ich es regelrecht.
 

Vielleicht sollte ich aufhören, ihn als Strafe anzusehen. Es stattdessen eher als Glück zu bezeichnen, dass er aufgetaucht war. Er füllte langsam die Leere, die in meinem Innern wütete. Martin war zwar ‚nur‘ ein Nicht-Toto mit Toto-Angewohnheiten und Toto-Eigenschaften, aber ich hatte das Gefühl, dass er sehr einnehmend sein konnte.
 

Er würde Makato nicht ersetzen können. Jemanden der das vermochte, würde es nie geben. Genauso wie es unmöglich war, dass ich ihn jemals vergessen, oder er mir auch nur ein Stückchen weniger bedeuten würde. Aber einen guten Freund zu haben, dass wäre bestimmt auch in Totos Sinne gewesen. Zumindest versuchen sollte ich es wohl.
 

„TARO“, erklang wie aufs Stichwort Martins Stimme in einer Mischung aus Erleichterung und Besorgnis. Seltsam.
 

Als ich mich umdrehte, sah ich ihn auf mich zugerannt kommen, die Kapuze seiner Jacke tief im Gesicht. Er war noch gar nicht ganz bei mir angekommen, da fragte er schon: „Geht’s dir gut?“
 

„Jaha“, antworte ich verdattert, beobachtete ihn verwirrt, wie er schnaufend stehen blieb und sich auf seinen Knien abstützend tief Luft holte. Er musterte mich kritisch. Dann hellte sich sein Gesicht etwas auf.
 

„Puh“, murmelte er halblaut, „dann war das nur ein dummer Scherz.“

Musste das für mich einen Sinn ergeben? Ich hatte das Gefühl etwas verpasst zu haben. Ich hatte in der letzten Zeit definitiv so einiges verpasst, aber bis jetzt hatte es mir nie etwas ausgemacht.
 

„Was ist los?“, fragte ich. Zum ersten Mal seit langem wirklich interessiert.
 

„Yuiwa hat bei mir angerufen, und behauptet er und seine Leute hätten dich zusammengeschlagen.“
 

Yuiwa sollte mich verprügeln können. Das war wirklich ein Scherz. Diese Witzfigur würde mir nie gewachsen sein. Ich schnaubte – fast beleidigt.
 

„Und das hast du geglaubt?“, fragte ich. „Ich meine, eigentlich sollte inzwischen auch bei dir angekommen sein, dass der Kerl mir nicht das Wasser reichen kann.“
 

„Ja, ist auch bei mir angekommen“, bestätigte er leicht grinsend, dann wurde er ernst. „Es ging auch nicht darum, dass du nicht die Kraft hast, dich zu verteidigen. Meine Sorge war eher, dass du keine Lust hast, dich zu verteidigen.“
 

Darauf erwiderte ich gar nichts. Es wunderte mich, wie gut er mich inzwischen kannte. Seine Zweifel waren durchaus berechtigt. Es wäre eine spontane Entscheidung gewesen, je nachdem bei was für einem Thema meinen Gedanken gerade gewesen wären.
 

„Du bist sicher, dass es dir gut geht?“, fragte er mich zweifelnd.
 

„Ja“, sagte ich schon fast etwas genervt.
 

„Du siehst aus wie tiefgefroren“, erwiderte er kritisch. Er glaubte mir wohl nicht.
 

Ich bemerkte erst jetzt, wie kalt mir eigentlich war. Ende Oktober und Regen passte wohl nicht so ganz zusammen. Aber es war nichts, was ich nicht überstehen würde.
 

„Ging mir lange nicht mehr so gut“, antwortete ich. Das stimmte sogar. Ich hatte mich in den letzten Monaten nie so gut gefühlt wie jetzt. Die Wellen der Trauer hatten niemals einen solchen Tiefpunkt erreicht.
 

„Deine Fingernägel sind ganz blau!“, stellte er fest. Er schien wirklich besorgt zu sein. Das war ja schon fast rührend, wenn man es so bezeichnen wollte. Auf jeden Fall tat es gut.
 

„Alles bestens!“, sagte ich nur.
 

„Sicher?“
 

„Ja verdammt!“, erwiderte ich, jetzt wirklich genervt. So viele unnötige Sorgen auf einem Haufen waren nicht mehr schön.
 

„Ich hab, ehrlich gesagt, etwas Angst dich zu berühren. Nicht das ich gleich deinen ganzen Arm in der Hand halte.“, meinte er grinsend. Inzwischen glaubte er mir wohl, dass mir nichts weiter fehlte. Allerdings schien er mich so schnell wie möglich nach Hause schaffen zu wollen. Und am besten wohl auch noch so, dass ich merkte, wie wenig er von meiner Aktion hielt.
 

Das brachte mich zum Schmunzeln. Ein ungewohntes Gefühl. Einerseits war das genau die Art von Humor, die ich mochte, und andererseits genoss ich es, ihn so leicht durchschauen zu können.
 

Martin starrte mich mit offenem Mund an. Dann legte sich dieses – wie ich inzwischen wusste – entzückte Lächeln um seine Mundwinkel. Mein Herz begann schneller zu schlagen. Ich wollte, dass dieser Moment niemals endete. Es tat so unendlich gut!
 

„Kommst du?“, fragte er drängend.
 

„Ja“, murmelte ich abwesend, folgte ihm ohne zu mucken. Es fühlte sich richtig an, so als ob ich an seine Seite gehörte. Ich hatte das Gefühl, dass es mehr als nur der Weg nach Hause war, den ich jetzt antrat. Eher der Weg zu mir zurück.

Küsschen

Hey!

Jetzt kann ich endlich wieder hochladen! ^^ Die nächsten Kapitel sind dann aus der Sicht von jemand anderem geschrieben. Wer das ist verrate, ich noch nicht! ;P

Ich hoffe, es gefällt euch! Viel Spaß beim Lesen!
 

LG Kyra
 

---
 

Küsschen

Martin bestand darauf, dass ich ein heißes Bad nahm. Meiner Meinung nach unnötig. Abtrocknen und neue Klamotten hätten völlig genügt. Aber er hatte sich nicht erweichen - eher gesagt nicht ignorieren - lassen.
 

Deswegen saß ich jetzt in der Badewanne. Und langsam aber sicher wurde ich wütend. Ich hatte seine Entscheidung so hingenommen, weil ich gedacht hatte, mich dabei etwas entspannen zu können. Aber davon war ich meilenweit entfernt.

Dank meines liebenswerten Mitbewohners. Aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen, kam er andauernd rein und wirbelte hier herum, sprich er verbreitete Unruhe.
 

Als ich ihn das nächste Mal auf dem Flur hörte, rief ich ihn zu mir. Mehr oder weniger unfreundlich. Keine fünf Sekunden später erschien sein perfekt frisierter Kopf in der Tür.
 

„Was ist?“, fragte er verwundert.
 

„Genau das wollte ich dich auch fragen“, meinte ich säuerlich. „Was soll der Mist?“
 

Sein Mienenspiel war nicht nachvollziehbar. Beginnend bei irritiert, wechselte es zu nachdenklich-besorgt und endete schließlich mit einem Grinsen. Was sein Gehirn da wohl fabriziert hatte?
 

Seine Reaktion erinnerte mich mal wieder an Makato. Der war manchmal auch so unberechenbar gewesen. Doch den Gedanken blockierte ich sofort. Schließlich war ich mir einig geworden, anzufangen Martin endlich nur noch als Martin zu sehen. Es erwies sich schon jetzt als nicht gerade einfach. Aber ich würde es irgendwie hinbekommen.
 

„Na ich spanne!“, meinte Martin und warf mir dabei einen so übertrieben anzüglichen Blick zu, dass ich keine Sekunde daran zweifelte, dass er mich auf den Arm nehmen wollte. Aber das Grinsen, das dabei sein Gesicht zierte, gefiel mir dermaßen gut, dass ich darauf einging. Den Spieß konnte man auch umdrehen.
 

„Na wenn das so ist“, grummelte ich, innerlich grinsend, und gespannt auf seine Reaktion. „Dann können wir den Unsinn ja auch beenden. Stattdessen lauf ich fünf Minuten mit offenem Bademantel durch die Wohnung!“
 

Sein Grinsen bekam etwas Erfreuliches. Er schien nicht damit gerechnet zu haben, dass ich in seinem Spielchen mitzog.
 

„Das“, sagte er, während er auf mich zu kam, „klingt sehr verlockend, aber würde dem eigentlichen Sinn dieser Übung wiedersprechen.“
 

„Und wie wäre es mit einem Erpressungsküsschen?“, fragte ich mit einem verführerischen Touch. So langsam begann mir, das Spaß zu machen. Das letzte Mal war lange her, bemerkte ich dabei im Hinterkopf.
 

Gespielt nachdenklich legte er den Kopf schief, und ließ sich neben der Badewanne nieder.
 

„Wie wär’s mit einem Kompromissküsschen?“, stellte er die überraschende Gegenfrage.
 

Darüber brauchte ich nicht lange nachzudenken. Ich hatte nie mit sowas gerechnet, sondern hatte es einfach nur - mehr oder weniger murrend - absitzen wollen. Wenn dabei jetzt noch etwas Gutes für mich herauskam, warum denn nicht?
 

„Kommt ganz auf den Kompromiss an!“, erwiderte ich deshalb.
 

„Hm“, kam erst nur von Martin und er verschränkte seine Arme auf dem Badewannenrand. „Wie wär’s damit: Du nimmst solange ein entspannendes Bad, bis dir wieder ganz warm ist, und ich lad dich dafür auf ein heißen Date ins Belacis ein?“
 

Abwartend blickte er mich an. Währenddessen unterzog ich ihn einer kurzen Musterung. Das konnte nur ein Scherz sein, auch wenn er ziemlich ernsthaft wirkte. Das Belacis war das nobelste und teuerste Restaurant in der ganzen Stadt. Sein überragender Ruf reichte bis zum Himmel.
 

Es war ausgeschlossen, dass er mich dorthin einlud. Ich passte nicht an einen solchen Ort - zumindest nach meiner Meinung, Makato hatte schon oft versucht mich dahinzuschleppen. Erfolglos versteht sich.
 

Zugegebenermaßen, etwas neugierig war ich, aber eigentlich hatte ich kein Interesse an einem Besuch. Schon gar nicht auf die Kosten eines anderen. Auch wenn Martin zweifelslos genügend Geld hatte, um sich 500 solcher Luxusrestaurants zu kaufen, und danach immer noch lange nicht pleite zu sein.
 

Ich war kein Schmarotzer. Ich vermied es mir Geld zu leihen, obwohl ich eigentlich chronisch abgebrannt war. Wenn es doch einmal sein musste, hatte ich es immer im kleinstmöglichen Zeitraum zurückgezahlt. Selbst wenn der- oder diejenige, dass gar nicht gewollt hatte.
 

„Also“, riss mich Martin neugierig aus meinen Gedanken.
 

Wie gesagt, es konnte nur ein Scherz sein. Deshalb würde ich wohl mit einer kleinen zusätzlichen Bedingung darauf eingehen. Einen ernstgemeinten Vorschlag, mit dem ich etwas anfangen konnte, würde er vermutlich eh nicht machen. Also konnte ich das Ganze auch mit so viel Entspannung und Ruhe zu Ende bringen wie möglich.
 

„Dir ist schon klar, dass entspannend bedeutet, dass dieses Rein- und Rausgerenne aufhört. Heißt entweder drinnenbleiben oder rausgehen!“, forderte ich.
 

„Kann ich mir noch etwas zu Essen holen?“, fragte er und bombardierte mich dabei mit einem flehenden Blick. So als würde er gleich verhungern. Abermals drängte sich der schmerzende Gedanken an Makato auf, und wieder schob ich ihn beiseite. Ein wehmütiges Stechen blieb dennoch.
 

„Meinetwegen!“, gestand ich Martin seufzend ein. Immer diese Leute, die pausenlos essen mussten.
 

„Super!“, grinste er voller Freude. Dann hielt er mir seine Hand hin, um einzuschlagen. „Deal“, sagte er.
 

Ich ignorierte seine Hand und beugte mich leicht zu ihm hinüber. Schließlich hatte er ein Kompromissküsschen haben wollen, keinen Handschlag.
 

„Deal“, murmelte ich leise, bevor ich meine Lippen ganz sanft auf die seinen legte. Sie waren unerwartet weich. Noch erstaunlicher war es, dass mein Herz auf einmal anfing, schneller zu schlagen.
 

Was ist los, dachte ich verwundert, irgendwie etwas berauscht, als ich mich wieder von ihm löste.
 

Martin blickte mich einen Moment lang total abwesend an. Danach grinste er und beugte sich etwas in meine Richtung. Wollte er etwa…?
 

Nein, wollte er nicht, stellte ich fest - schon fast etwas enttäuscht -, als er zu sprechen begann: „Gehe ich recht in der Annahme, dass es deine Zustimmung findet, wenn ich entgegen meiner Rolle, nicht Pirouetten drehend den Raum verlasse?“, fragte er hochtrabend, was mich unweigerlich leicht lächeln ließ.
 

„Ja, das ist ganz in meinem Sinne“, antworte ich beinahe genauso formell. „Da du dabei vermutlich etliche ruhestörende Laute von dir geben würdest, und du - bei deinem Geschick - wohl, auch nicht gerade leise, Bekanntschaft mit dem Boden machen würdest!“
 

Erst blickte Martin mich ungläubig an, dann begann er schallend zu lachen. Nachdem er sich wieder etwas beruhig hatte, erhob er sich grinsend.
 

„Du solltest das öfter machen! Es steht dir.“, sagte er im Gehen.
 

Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass er mein Lächeln gemeint hatte. Seltsamerweise bedeutete es mir viel, dass er dieser Meinung war. Mein Herz schlug noch immer etwas zu schnell.

Gespieltes Selbst

Hi!

So, das neue Kapitel ist da! ^^ Viel Spaß damit!
 

LG Kyra
 

---
 

Gespieltes Selbst
 

Nachdenklich betrachtete ich die Schale Weintrauben. Sollte ich sie abwaschen oder nicht?
 

Gestern wäre mir noch ganz klar gewesen, wie ich zu agieren hatte. Aber heute? Langsam aber sicher kam ich zu ihm durch. Auch wenn mir schleierhaft war, was der Auslöser dafür war. Allerdings sprachen wir von Taro. Da war das nicht unbedingt neu. Er hatte schon öfter mit unvorhergesehenen und unnachvollziehbaren Entscheidungen geglänzt.
 

Ja, ich gestand es mir zwar nicht gerne ein, aber selbst mir fiel es manchmal noch schwer, seine Denkweise vollständig zu verstehen. Ich wusste, was er erlebt hatte. Dennoch war es nicht ganz kalkulierbar, wie ihn diese Vergangenheit geprägt hatte. Und ich war mir sicher, dass er nur über das Wichtigste gesprochen hatte. Etliche Abscheulichkeiten hatte er wohl weggelassen. Wofür ich ihm durchaus dankbar war.
 

Letztendlich war ich einfach nur froh, dass er mich langsam an sich ran ließ – was nun dazu geführt hatte, war nur peripher von Belang. Die letzten beiden Monate waren für mich eine Qual gewesen. Auch wenn es mit den Schmerzen, die Taro erleiden musste ... mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen ...
 

Ich schluckte. Es fiel mir nicht leicht, dennoch zwang ich mich die Wahrheit zu denken ... auch wenn es mit den Schmerzen, die ich Taro aufbürdete, nicht zu vergleichen war. Es tat mir in der Seele weh, mein Herz war nahe am zerspringen, wenn ich ihn so sah, dennoch hatte ich noch Hoffnung. Und wohl auch eine nicht so geringe.
 

Seufzend stellte ich die Trauben in die Spüle und drehte den Hahn auf. Zu der Martin Matori Rolle hätte es zwar durchaus gut gepasst, sie einfach so wie sie waren ins Bad zu schleppen, und sie wenn er mich darauf ansprach, einfach ins Badewasser zu tauchen, aber wenn ich an das letzte Mal zurückdachte ...
 

Taro war ... hm ... nun ja ... mit einer guten Portion Ironie könnte man sagen, er war begeistert gewesen. Und zwar hochgradig.
 

Dabei wusste ich wirklich nicht, was er hatte. Ich fand meine Idee immer noch zum Kichern. Klar, dass er mich danach aus der Wanne gescheucht hatte und mir einen Vortrag darüber gehalten hatte, wie man es denn richtig machte, war nicht gerade zum Lachen gewesen. Sein Gesichtsausdruck im ersten Moment dafür umso mehr.
 

Jedenfalls hatte ich die Lehre daraus gezogen, dass er in diesem Bereich kein Fünkchen Spaß verstand. Ich wollte meine gerade neugewonnene Nähe nicht mit etwas so leicht Umgänglichem riskieren. Je eher er sich etwas aufgerappelt hatte, desto eher konnte ich ihm alles erklären. Auch wenn mir mein Vater selbst das verboten hatte.
 

Und dann würde er vielleicht mal wieder einen Gedanken an die Liebe verschenken. Oder zumindest eine Scheinbeziehung. Das würde es mir etwas erleichtern oder zumindest einen Zugang zu seinem Herzen bieten.
 

Dass es mich wirklich erwischt hatte, wusste ich spätestens nach dem Kuss von geradeeben. Mein Herz hatte zu rasen angefangen, und ich hatte mich beherrschen müssen, damit es bei dem sanften, kurzen Kuss blieb. Ich hatte das Gefühl gehabt, platzen zu müssen vor lauter unterdrückte Liebe.
 

Ich seufzte verträumt. Wie gern würde ich diesen Abend einfach nur kuschelnd und küssend mit ihm auf der Couch verbringen. Ihn einfach mal nach der langen Zeit verwöhnen. Leider konnte ich das voll vergessen. Ich war nicht mit ihm zusammen.
 

Aber ich hatte ein Date. Ich musste grinsen wie ein Honigkuchenpferd, und konnte den Drang durch die halbe Küche zu hüpfen nicht unterdrücken. Endlich hatte ich es geschafft, ihn zu einem Besuch im Belacis zu überreden. Er würde zwar nicht sonderlich begeistert sein, aber Kompromiss war Kompromiss. Daran hielt er sich, auch wenn er mosern würde, dass dieser nur zu meinem Vorteil war. Am Ende würde es ihm gefallen, dafür würde ich schon sorgen.
 

Immer noch voller Elan schüttelte ich die Schale mit den Trauben, bis das meiste Wasser abgetropft war, und nahm sie auf einem Geschirrtuch mit ins Bad. Nicht dass Taro mir noch den Kopf abriss, weil ich Wasserspuren im Teppich hinterließ.
 

Als ich ins Bad trat, dachte ich im ersten Moment, er wäre eingeschlafen. Es hätte mich nicht gewundert, er sah fertig aus, obwohl er die ganzen letzten Tage im Bett verbracht hatte. Und doch war da, seitdem ich ihn in der Stadt aufgegabelt hatte, noch etwas anderes ... nicht genau bestimmbar ... dennoch definitiv positiv ...
 

Erst als ich von seinem trotz allem hübschen Gesicht gefesselt, auf den Fliesen das Gleichgewicht verlor, erkannte ich das Gegenteil. Seine intensiv grünen Augen richteten sich überrascht auf mich. Ein lange nicht mehr gesehenes Funkeln trat in sie. Seine Mundwinkel zuckten nach oben.
 

Schmerzhaft machte ich mit dem Boden Bekanntschaft. Aber der Blick in sein halb amüsiertes, halb besorgtes Gesicht machte das wieder wett. Nur der Vollständigkeit halber, murrte ich „Au!“.
 

Endlich, dachte ich voller Erleichterung im Herzen, kein Desinteresse mehr! Es war schrecklich gewesen zu sehen, was ich aus ihm gemacht hatte. Und noch grausamer war es gewesen, keinen wirklichen Weg zu kennen, um ihm zu helfen. Das Wissen alles ganz zu zerstören, wenn ich ihm zu früh alles beichtete.
 

Ich wusste immer noch nicht warum, aber Taro war auf dem Weg der Besserung. Nicht mehr lange und ich konnte mich entschuldigen, ihm alles erzählen, ohne dass der Rest der Welt auch nur einen Hinweis bekam, dass ich geplaudert hatte.

„Alles in Ordnung?“, fragte er, die Besorgnis überwiegte.
 

„Nichts passiert!“, meinte ich munter, als ich mich am Wannenrand niederließ. Ich strahlte ihn an, konnte den Drang kaum unterdrücken, durch das ganze Bad zu springen, und meine neue Hoffnung herum zu posaunen.
 

Bald hab ich meinen Taro wieder! Bald hab ich meinen Taro wieder!, jubelte ich in Gedanken. Ich war innerlich ganz hibbelich vor Freude.
 

„Dann ist ja gut!“, murmelte er.
 

Es war seltsam, wie viel ich ihm auf einmal zu bedeuten schien. Was hatte ich da nur verpasst? So langsam wurde ich neugierig, besann mich aber darauf ihn, wenn überhaupt, später danach zu fragen.
 

Während ich mir die erste Weintraube in den Mund schob, musterte ich unauffällig seinen Körper, soweit das der Schaum und die Wasserspiegelung zuließen. Er hatte ziemlich abgenommen. Das hatte ich zwar schon geahnt, aber da er angefangen hatte einige meiner alten Klamotten zu tragen, die so oder so schon schlabbrig gewesen wären, hatte ich nie das Ausmaß erkennen können.
 

Ich war nicht sicher, was ich erwartet hatte, aber ich war erleichtert, obwohl er deutlich an Gewicht verloren hatte. Doch sein Körper wirkte lange nicht so zerbrechlich, wie in manchem Moment, in dem zusammengekauert in der Ecke seines Betts gehockt hatte. Und nur noch Haut und Knochen war er auch nicht.
 

„Nicht so der Renner, was?“, fragte Taro und mir schoss ertappt das Blut in die Wangen. Ich hatte mal wieder seine Beobachtungsgabe unterschätzt.
 

Es war eine einfache Feststellung gewesen. Er war nicht glücklich damit, aber er schämte sich nicht. Weder dafür, dass er sich so hängen gelassen hatte, noch dafür, dass ich ihn so ungeniert gemustert hatte. Manchmal hatte ich das Gefühl, „Scham“ wäre ein Fremdwort für ihn.
 

Ich lächelte leicht, als ich antwortete: „Etwas dünn, aber sonst ganz lecker!“
 

Das meinte ich ehrlich so. Man sah es Taro an, dass er die letzten zwei Monate mit viel Sport verbracht hatte. Er hatte sich regelrecht an seine einzige Routine geklammert. Ich hatte mit dem Thema nie viel anfangen können, deshalb verband er damit nicht viele schmerzhafte Erinnerungen. Dieses verstärkte Training hatte zusammen mit der verringerten Essensaufnahme für die rapide sinkenden Kilos gesorgt.
 

Wird Zeit, dass er wieder ordentlich isst, dachte ich und warf einen wehmütigen Blick auf die Trauben. Ich hatte kaum welche gehabt, dennoch entschloss ich mich, sie ihm zu geben.
 

„Hier, bitte“, nuschelte ich und genoss den verwunderten Blick, der zwischen mir und der Weintraubenschale hin und her wanderte. „Nimm sie, bevor mein Magen meinen Verstand doch noch umstimmt. Sie schmecken verdammt gut!“
 

„Danke“, murmelte er und nahm sie mir ab.
 

Meine Augen klebten regelrecht an seinem Mund. An seinen leicht kaputten Lippen, die trotzdem so sinnlich aussahen. Ich seufzte, und in meinem Kopf hämmerte angesichts der Bewegungen nur ein Wort: küssen.
 

„Irgendwie bist du süß!“ Taro grinste leicht und hielt mir eine Traube hin. Automatisch öffnete ich den Mund. Ein angenehmer Schauer lief mir über den Rücken, als seine Fingerspitzen meine Lippen streiften.
 

„Inwiefern?“ Egal wie sehr ich ihn mit fragenden Blicken löcherte, er ging nicht näher darauf ein. Frustriert seufzend verschränkte ich die Arme vor der Brust und zog einen Schmollmund.
 

„Sag ich doch“, murmelte er kaum hörbar, und ein leises Kichern kam über seine Lippen. Bevor ich etwas dazu sagen konnte, fuhr er lauter fort: „Ich will nicht unhöflich sein, aber ich bin etwas neugierig. Warum achtest du, chaotisch wie du bist, so sehr auf ein ordentliches Aussehen?“
 

Die Frage überraschte mich. Und ich war etwas unschlüssig, was ich darauf antworten sollte. Nach einem Moment entschloss ich mich für die Wahrheit:

„Das hat zwei Gründe, zumindest was meine Haare angeht. Die sehen nämlich ansonsten aus wie Kraut und Rüben.“
 

„Und der andere?“, harkte Taro sichtlich neugierig nach, als ich zögerte. Wo kamen auf einmal diese ganzen Gefühlsregungen her? Was hatte da nur den Damm gebrochen?
 

„Mein Vater meint, wenn ich schon so ein Chaot bin, dann sollte man es zumindest nicht auf den ersten Blick sehen. Ich halte nicht sonderlich viel von ihm, aber er hat mich in der Hand“, gestand ich.
 

„Hm. Erzählst du mir warum?“ In seinen Augen leuchtete das Verlangen, mehr über mich zu erfahren. Ich kannte dieses Funkeln, es war unverkennbar.
 

„Er droht mir, mich endgültig von jemandem zu trennen, der mir sehr viel bedeutet“, murmelte ich, und es tat gut mal darüber zu sprechen, auch wenn es nur indirekt war. Ich konnte ihm noch nicht sagen, dass er dieser jemand war.
 

„Kann er das denn?“
 

„Er hat die Macht dazu. Und wenn er mich nur in der Villa einsperren würde. Und in diesem Fall will ich kein unnötiges Risiko eingehen!“
 

„Ich bin kein unnötiges Risiko?“, fragte er leicht verwundert.
 

Ich schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, ganz bestimmt nicht! Wenn du jetzt denkst mich nach diesem halben Jahr los zu sein, hast du dich gewaltig geschnitten. Sobald es geht, gehört das Kopfkissen neben deinem wieder mir!“
 

Eine seiner Augenbrauen hob sich. Taro wirkte erstaunt. Aber glücklich.
 

„Ehrlich?“, fragte er leicht unsicher.
 

Huch. Was war nun? Bedeutete ihm das etwa so viel? Was hatte ich verpasst? Mann. Jetzt wollte ich es wirklich wissen. Aber fragen war noch nicht drin. Arg. Ich unterdrückte den Drang mir die Haare zu raufen. Erstens würden sie danach in alle möglichen Himmelsrichtungen abstehen, zweitens würde Taro mich bestimmt für bekloppt halten.
 

Also grinste ich nur übers ganze Gesicht. „Jupp...“, sagte ich, wurde dann aber durch die Klingel unterbrochen.
 

Funny, war mir bei dem Sturmgeklingel gleich klar. Ein Blick auf die Uhr bestätigte den Gedanken.
 

„Hups“, murmelte ich, „das hab ich glatt vergessen. Die wollten ja vorbeikommen.“

„Die ganze Clique?“, fragte Taro gequält. Ich konnte ihn verstehen. „Taktvoll“ war ein Wort, das nicht auf alle zutraf.
 

„Nozomi wird dir den Rücken schon relativ frei halten. Und notfalls bin ich ja auch noch da!“ Ich zwinkerte ihm zu, und ging dann zur Tür, die inzwischen schon unter den Schlägen von Fufu erbebte.
 

„Hey, sitzt ihr auf euren Ohren? Die Kapuze zerstört allmählich meine Frisur!“ Das war Vivi.
 

„Du solltest dir in dem Aufzug lieber Sorgen um deine Gesundheit machen!“, wendete Ryan ein.
 

„Könnt ihr eure Klappen von allein halten, oder muss ich sie euch stopfen. Ihr übertreibt maßlos.“ Eine mehr als genervte Caca.
 

„Leute, ihr seid mal wieder echt unmöglich!“, stöhnte Nono, und ich konnte mir bildlich vorstellen, wie sie eine Hand vor die Augen schlug.
 

Ungeduldige Zwillinge. Modetussi. Gesundheitsfreak. Kampfsportlerin. Vernunftmensch. Jap. Das war unverkennbar unsere verrückte Clique.
 

---

Na, wer ist überrascht?

Ausweglos

Hey!

Ich weiß, hat lange gedauert. Aber jetzt hab ich ein neues Kapitel im Gepäck!

Ich hoffe, es gefällt euch!
 

LG Kyra
 

---
 

Ausweglos
 

Der Abend nahm seinen Lauf wie ich es erwartet hatte. Das Theater begann, als Taro sich zu uns ins Wohnzimmer gesellte. Kaum hatte er sich zu mir aufs Sofa gesetzt, monierte Ryan schon, dass er viel zu dünn wäre und endlich wieder richtig essen sollte. Cathrin schlug zurück, dass er zu viel auf einmal wollte, schließlich sähe Taro ja schon deutlich besser aus. Es entbrannte zwischen den beiden eine Diskussion über Gesundheit, die Psyche des Menschen und, oho, Taktgefühl. Der Heftigkeit von Cacas Reaktion konnte man auch entnehmen, wessen Schuld es war, dass sie so säuerlich drauf war.
 

Fusutaji schaltete daraufhin den Fernseher ein. Da hielte er sich besser raus, war seine Begründung. Aber eigentlich fand er immer etwas, um sich abzukapseln und Sport zu sehen, was er bei sich zu Hause nicht konnte.
 

Funny und Vivi musterte Taro kritisch, dann nickten sie sich zustimmend zu. In Windeseile hatte Vivi ihr Büchlein, in dem sie alles Mögliche über uns aufschrieb, und einen Stift gezückt. Ich ahnte nichts Gutes. Wann immer das Ding zum Vorschein kam, schlug das Thema in Sex, Dates und Liebe um.
 

„Du bist verliebt!“, quickte Funny vergnügt, wie es zu erwarten gewesen war. Schlagartig herrschte Stille. Alle Blicke richteten sich auf Taro. Einige erwartungsvoll, andere ungläubig.
 

„Nope.“ Das war das einzige, was er darauf erwiderte. Es wirkte lässig, aber an der Art, wie er sich neben mir leicht anspannte, erkannte ich, dass es ihm eher lästig war. Er war einfach der Meinung, dass dieses Privatleben, weder sie noch Vivi und ihr Buch etwas anging.
 

Ich stimmte ihm da grundsätzlich zu. Nur machte ich mir den Spaß daraus, Vivi mit allerlei Unsinn zu verarschen. Damit waren unsere Gewohnheiten laut ihrer Statistiken, was das Thema „Liebe und Beziehungen“ anging, total gegensätzlich. Obwohl unser Verhalten in der Realität doch relativ nah bei einander lag: In einer Beziehung waren wir treu, als Single hatten wir nichts gegen den ein oder anderen One-Night-Stand einzuwenden.
 

„Du hattest ein heißes Date?“, versuchte es Funny weiter. Vivi starrte Taro noch immer über den Rand ihres Buches an. In ihren Augen brannte Sensationsgier.
 

„Nope“, war abermals die schlichte Antwort.
 

Vivi und Funny tauschten einen kurzen skeptischen Blick. „Verdammt guter Sex?“, fragte diesmal Vivi.
 

„Nope.“ Ich spürte, anscheinend im Gegensatz zu den anderen, dass Taros Stimmung langsam umschlug. Er hatte keine Lust auf diesen Terz – auch wenn er sich das kaum anmerken ließ. Ruhe, das war es, was er wollte, und in einem bestimmten Maß brachte.
 

„Was ist dann passiert?“, fragte Vivi verwirrt. Dass sie niemals jemandem die Zeit lassen konnte, bis er von sich aus darüber sprach. Ich wollte schon dazwischen gehen, als Taro widererwarten doch antwortete.
 

„Ich hab nachgedacht“, sagte er, auch jetzt lag ein leicht grüblerischer Ausdruck auf seinem Gesicht.
 

„Worüber?“, kam es gleich neugierig von Vivi. Diese Frage stellte sich auch mir. Allerdings hätte ich sie nie ausgesprochen. Ich respektierte, dass Taro nicht darüber sprechen wollte.
 

Er schwieg beharrlich. Ihren Blicken hielt er, schon fast trotzig, stand.
 

„Ach komm schon, Tata“, maulte jetzt Funny. Ebenso neugierig und ungeduldig. Das war bezeichnend. Typisch für die beiden.
 

„Weißt du, Funny“, sagte ich kalt und bereute, dass ich ihr als Martin Matori nicht ihren verhassten richtigen Vornamen um die Ohren hauen konnte. „Vielleicht solltest du genauso wie Vivi eine Karriere als Journalistin ins Auge fassen. Da könntet ihr beide eurer mangelndes Taktgefühl hinter euerm Beruf verstecken.“
 

Ich war sauer, wie in der letzten Zeit oft, wenn jemand Taro nicht den Abstand gewährte, den er brauchte. Ihr unschuldiges „Was denn? Ich bin nur neugierig“ machte es auch nicht besser.
 

„Ja und?“, zischte ich. „Das bin ich auch, aber frage ich?! Nein! Weil ich im Gegensatz zu euch merken, wenn jemand über etwas nicht sprechen will.“
 

Ich sah, dass Vivi eine bissige Erwiderung auf der Zunge lag. Sie schluckte sie hinunter, als Nozomi mit einem Tablette in der Küchentür erschien. Sie hatte darauf bestanden, Taro etwas zu kochen. Ich hatte nicht widersprochen, wohl wissend, dass Taro keine Lust dazu hatte und ich nicht mehr als Rührei (genießbar) zu standen bringen würde.
 

Während ein Blick von ihr in die Runde genügte, um jegliche, weiteren Fragen zu unterbinden, wanderte meiner wie hypnotisiert zu dem Inhalt des Tabletts. Das Wasser lief mir im Mund zusammen. Es roch köstlich.
 

„Untersteh dich!“, ermahnte sie mich, und riss mich aus meinem tranceartigen Zustand. „Das ist für Taro!“
 

„Noz, das wäre doch nicht nötig gewesen“, wehrte dieser jetzt ab, aber sie stellte das Tablett nur auf dem Couchtisch ab, und drückte ihm die Essstäbchen in die Hand.
 

„Ich wollt mich sowieso etwas lang machen“, murmelte ich, besann mich darauf, dass er es nötiger hatte als ich. Und so rollte ich mich neben Taros Beinen auf dem Sofa zusammen. Ausstrecken war leider nicht drin.
 

Ich döste tatsächlich ein. Das folgende Gespräch bekam ich nur ganz am Rande mit. Aber das war nicht genug, um dessen Inhalt zu behalten. Mit dem, was beredet worden war, wurde ich erst eine knappe Woche später konfrontiert.
 

Eine Woche, in der das Verhältnis zwischen Taro und mir tiefer geworden war. Von Tag zu Tag ging es ihm etwas besser. Er schloss sich wieder unseren Gruppenunternehmungen an und unternahm auch mit mir so einiges. Ich war glücklich. Und jedes Mal, wenn er mir auch nur ein noch so kleines Lächeln schenkte, ging mir das Herz auf. Es fiel mir immer schwerer mich zurückzuhalten. Zu gern hätte ich ihn geküsst. Oder einfach vertrauensvoll umarmt. Seinen Körper an meinem gefühlt.
 

Ich wusste, dass das außerhalb meiner Möglichkeiten lag. Ich war vor Liebe noch nicht so verblödet, um auch nur annähernd mein Ziel aus den Augen zu verlieren. Und dieses war allermindestens seine Freundschaft. Vielleicht wäre kurzfristig auf körperlicher Ebene etwas drin gewesen. Wenn ich es geschickt angestellt hätte, wäre es mir sicher gelungen, ihn zu verführen. Mir war keineswegs entgangen, wie sehr er sich nach Nähe und Zuneigung sehnte. Aber wie gesagt, ich war nicht dumm genug, diese Situation auszunutzen, und damit wohlmöglich sein Vertrauen in mich zu zerstören.
 

Es war später Abend, um nicht so zu sagen Nacht, als es zu dem Gespräch kam. Die Straßenlaterne vor unserer Wohnung warf schon lange kein schummriges Licht mehr in das Schlafzimmer. Nur meine kleine Nachtischlampe erhellte den Raum ein bisschen. Zum Lesen genügte sie, aber Taros Gesicht wurde in tiefe Schatten getaucht, als er das Licht im Flur löschte und die Tür hinter sich zu zog. Dennoch merkte ich sofort, dass ihm etwas auf der Seele lag.
 

Mit einer geschmeidigen Bewegung ließ er sich auf seinem Bett, welches aus Platzgründen genau neben meinem stand, im Schneidersitz nieder. Nur mit einem zu großen – sprich es hatte einmal mir gehört – dunkelblauen T-Shirt und Boxershorts bekleidet. Der Anblick seiner nackten, schlanken und zugleich kräftigen Beine sorgte nicht gerade dafür, dass mein eh schon großes Verlangen nach ihm sank.
 

„Was liest du da?“, fragte Taro neugierig. Er war eine richtige Leseratte, verschlang eigentlich alles, was er in die Finger bekam. Nur von dem hier würde er ganz bestimmt seine Finger lassen. Ein leichtes Lächeln huschte über mein Gesicht.
 

„Angewandte organische Chemie“, antwortete ich und wartete nur darauf, dass er das Gesicht verzog. Wenn Taro ein Fach überhaupt nicht mochte, dann war es Chemie. Er hatte keinen Zugang dazu.
 

„Igitt“, sagte er, wie ich es erwartet hatte. „Warum liest du sowas?“ Er schüttelte den Kopf und machte so ein deprimiertes, unwilliges Gesicht, wie sonst nur, wenn er für eine Chemiearbeit lernen musste.
 

„Mein Vater ist der Meinung, wenn ich schon eine so primitive öffentliche Schule besuchen muss, sollte ich mich in der Zeit zumindest anderweitig weiterbilden“, meinte ich schulterzuckend. „Na ja, ich komm damit klar, gibt schlimmeres.“
 

„Mein herzliches Beileid“, antwortete Taro. Es klang aufrichtig, aber seine Mundwinkel zuckten.
 

„Wie gesagt, ich hab kein Problem damit, mir das anzueignen“, sagte ich leicht irritiert.
 

„Ich meinte auch eher, dass du Schwierigkeiten haben wirst, mir das beizupuhlen. Da ich das jetzt weiß, wird dir diese unliebsame Aufgabe wohl zu teil werden. Tut mir ehrlich Leid, aber ich brauch unbedingt ne 4“, erklärte er.
 

Ich lachte. Es war nicht wirklich ein Schock oder in irgendeiner Art ein Ärgernis. Ich hatte mich schon lange darauf eingestellt. Es kümmerte mich also nicht wirklich.
 

„Schon schlimm wird es schon nicht werden!“, grinste ich und stellte mich ahnungslos.
 

„Oh doch!“, sagte Taro überzeugend. Gedanklich stimmte ich ihm zu. Aber bisher hatte ich es auch immer geschafft, zumindest kurzfristig einen Hauch von Chemie in seinen Kopf zu bekommen.
 

„Na ja, lass wir das“, meinte er. „Ich wollte mit dir über etwas anderes reden.“
 

Ich hatte es gewusst. Erwartungsvoll sah ich ihn an.
 

„Nur vorab: Ich bin nicht verrückt, und es ist mein voller Ernst ...“

„Bist du nicht?“, warf ich ein.
 

Taro grinste schief. Er kratzte sich leicht am Kopf, wobei seine schwarzen Locken im Takt seiner Bewegungen hin und her wippten. „Vielleicht ein bisschen. Vermutlich richte ich meine Frage gerade deshalb an dich, weil ich ein mindestens genauso großes Maß an Verrücktheit bei dir erwarte.“
 

Wieder lachte ich. „Möglicherweise.“
 

Er lächelte leicht, und kam dann gleich zum Punkt: „Hast du Lust auf ne Scheinbeziehung ... mit mir?“
 

Mir klappte der Mund auf. Scheiße. Ich hatte gehofft, dass er diese Frage stellen würde. Aber zu einem späteren Zeitpunkt. Jetzt hatte ich ein Problem. Ich liebte ihn und hatte auch vor ihm das später, wenn er über die Sache mit meinem Vater aufgeklärt war, zu sagen. Wenn ich also jetzt eine Beziehung mit ihm einging, könnte es ihm so erscheinen, als hätte ich das ausnutzen wollen. Und das war ein „No Go“.
 

Taro missinterpretierte meinen Gesichtsausdruck. Sicher begann er zu erklären: „Ich weiß nicht, ob die anderen mal darüber gesprochen haben. Makato und ich haben das öfter mal gemacht. Meistens vor Festtagen wie zum Beispiel Valentinstag. Ich bin ziemlich beliebt und werd mit Präsenten nur so überhäuft. Ich weiß, es klingt seltsam, aber ich will das nicht. Ich hab kein Problem damit, dass mich so viele mögen, aber die Geschenke von 99% der Leute bedeuten mir nichts. Sie sollten es lieber jemanden geben, der sich auch wirklich darüber freut und bei dem sie vielleicht Chancen haben. Eine Beziehung bringt einige zum Nachdenken, besonders wenn es denn auch noch eine mit dem gleichen Geschlecht ist. Grins nicht so, ich mein ‘s ernst!“
 

Ich konnte nicht anders. Ja, ich steckte gerade in einer verzwickten Situation, dennoch ... die nächste Engeldiskussion kam bestimmt. Und ich freute mich jetzt schon, ihn damit zu konfrontieren. Warum war ich noch nicht früher auf die Idee gekommen? Das würde ihm hoffentlich mal den Wind aus den Segeln nehmen.
 

Ich meine, bitte, wer ergriff schon Maßnahmen gegen Geschenke. Schon gar nicht jemand, der sich sonst nicht viel leisten konnte. Aber Taro tat es und zwar ziemlich überzeugend. Ich war damals nicht sehr begeistert gewesen. Meine Liebe für Süßigkeiten war groß, und sie geschenkt zu bekommen, war bequem. Also warum damit aufhören? Auch wenn ich gewusst hatte, dass er im Grunde natürlich recht hatte. Aber ich war eher der Meinung, dass die Leute für sich selbst verantwortlich waren, und damit selber Schuld. Das stimmte selbstverständlich auch, aber Schwärmerei machte halt oftmals blind.
 

Taros Einstellung war allerdings um einiges ehrenwerter. Letztendlich hatte er mich dann überzeugt. Der Gedanke alle zu verarschen, hatte mich aber auch gereizt. Es hatte mir regelrecht in den Fingern gejuckt. Und enttäuscht worden war ich definitiv nicht. Es war ein einziger Spaß gewesen.
 

„Also was ist?“, fragte Taro. Er hatte mir wohl angesehen, dass ich angestrengt nachdachte. Nur nicht darüber, worüber ich wohl hätte grübeln sollen. Nämlich eine passende Ausrede.
 

„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist“, murmelte ich leise und etwas zögerlich. In meinem Kopf hämmerte es. Ich brauchte eine Lösung, durch die ich ihn nicht verletzte, und zwar schnell. So leicht würde Taro nicht aufgeben, dass war mir klar. Es war nur eine Sache von Sekunden, bis er nachfragte. Dann kam mir die simple Lösung. Mein angeblicher Tod. „Ich mein, ich bin Makato sehr ähnlich“, setzte ich kräftiger hinterher. „Ich will nicht, dass du dir weh tust!“
 

Sein Gesicht lag im Halbdunkeln. Die Schatten hatten etwas Bedrohliches. Seine dunkelgrünen Augen nicht. Sie funkelten vor sanfter Entschlossenheit. In diesem Moment wurde mir endgültig klar, dass ich ein Problem hatte.
 

„Ich hätte dich nicht gefragt, wenn ich nicht der Meinung wäre, damit klarzukommen“, erklärte Taro ruhig und selbstbewusst. Er wusste, was er wollte. Und ohne eine richtige Erklärung würde er sich nicht geschlagen geben. Dumm, dass ich diese nicht hatte.
 

Obwohl ich mir dessen bewusst war, murmelte ich stockend: „Nein, das geht nicht!“
 

Mein Kopf war leer. Ich wusste keine Lösung. Etwas, was bei mir höchst selten vorkam. Ich verfluchte mich dafür, dass es gerade in diesem Moment soweit war.
 

„Ist dir das zuwider?“, fragte er. Es war schwer zu sagen, wie er sich fühlte. Der Umstand, dass ich schon eine Weile auf das Buch in meinem Schoß starrte, machte die Einschätzung auch nicht einfach.
 

„Nein“, antwortete ich schwach. Meine Gedanken rasten, kamen aber zu keinem Ergebnis. Außer, dass ich ein Problem hatte.
 

„Liegt es an mir?“, fragte er nach einem Moment des Zögerns. Ich erkannte die leise Angst vor einer Enttäuschung in seiner Stimme. Etwas, was ich auf keinen Fall wollte.
 

„Nein“, sagte ich wieder. Ich wusste, dass das nicht stimmte. Nicht wirklich. Aber ich wollte ihm nicht wehtun. Nicht noch einmal. Urplötzlich wurde mir klar, dass es meine bisherigen Lügen gewesen waren, die ihn so verletzt hatten. Anbetracht dessen konnte ich nicht anders, als die Wahrheit zu sagen. „Nur indirekt“, murmelte ich leise.
 

Stille herrschte im Raum. Eine unangenehme. Ich spürte regelrecht seine Verwirrung. Eine wackelige Mischung aus Angst, Erleichterung und Neugier. Und in meinem Kopf materialisierte sich langsam aber sicher ein Gedanke. Die einzige Möglichkeit. Wie so oft, war es die Wahrheit.

Vertrauensfrage

Hi!
 

Jetzt kommt die von vielen wohl schon lang ersehnte Aufklärung der Situation!

Ich hoffe es gefällt!
 

LG Kyra
 

---
 

Vertrauensfrage
 

Ich presste meine Lippen aufeinander. Erst jetzt merkte ich wie sehr sie bebten. Ich hatte Angst. Er würde mich vielleicht beschimpfen, was für ein unsensibles Arschloch ich sei, mich schlagen und dann hochkant rauswerfen. Ich wusste, ich hätte es verdient. Trotzdem hoffte ich auf eine andere Reaktion. Ich würde es kaum verkraften, wenn er sich jetzt von mir abwendete. Aber ich war ihm eine Erklärung schuldig. Früher oder später müsste ich es ihm sagen. Also warum nicht jetzt, bevor ich es noch schlimmer machte?
 

Eine spürbare Spannung lag in der Luft. Ich hatte die irrationale Vorstellung, es regelrecht knistern zu hören. Taro sagte nichts. Er spürte, dass mir etwas auf der Zunge lag, und wartete. So ruhig, wie eh und je, aber ich ahnte, dass in seinem Innern eine gewisse Nervosität brodelte.
 

Ich öffnete meine zitternden Lippen. Um Ruhe bemüht. Es fiel mir schwer. Ich sprach so schon ungern über meine Gefühle, geschweige denn das mir problemlos irgendwelche Geständnisse über die Lippen kamen. Nur ganz leise sagte ich: „Makato Kitano und Martin Matori sind ein und dieselbe Person!“
 

Taro schnappte hörbar nach Luft.
 

Jetzt war es raus. Ich konnte nicht sagen, dass es mir besser ging. Vor lauter Angst vor seiner Reaktion kniff ich meine Augen zusammen, die bis dahin auf dem Chemiebuch geruht hatten, und drehte meinen Kopf noch ein Stückchen weiter von ihm weg.
 

Angespannt saß ich da. Mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Trotzdem lauschte ich auf jedes kleine Geräusch. In Erwartung auf einen Ausbruch. Die Bettdecke raschelte unter seinen Bewegungen. Sein regelmäßiger Atem kam näher, bis ich ihn ganz leicht auf meiner Haut spüren konnte. Es war warm und kribbelte.
 

Ich hatte selten eine solche Angst verspürt. Die Sekunden kamen mir vor wie Stunden. Der Ärmel des T-Shirts strich fast lautlos über seine Haut, als er den Arm ausstreckte. Die Ahnung eines Schlages ließ mich meine Augenlider noch fester auf einander pressen. Ich zuckte zusammen, als seine Hand meine Wange berührte.
 

Federleicht strich Taro über meine Haut, den Wangenknochen hinter zu meinem Kinn, und zog meinen Kopf sanft zu sich herum. Unsicher öffnete ich meine Augen, blickte direkt in dunkles Grün. Sein Blick wanderte musternd über mein Gesicht. Der Ausdruck des Unglaubens wich in jeder Sekunde etwas Glück.
 

Ich konnte es nicht fassen. Entschloss dann aber für mich, dass das dicke Ende noch kommen würde. Für den Moment genoss ich aber seine warmen Fingerspitzen auf meinem Gesicht. Sie hinterließen eine prickelnde Spur, wo sie auch hinkamen.
 

Vorsichtig strich er mir die Haare aus der Stirn und musterte mein ganzes Gesicht. Sichtlich zufrieden zupfte er danach die dicken Strähnen meines Ponys wieder ordentlich zurecht. Ein tiefer Blick in meine Augen, ließ ihn erstaunt „Kontaktlinsen“ murmeln.
 

Seine Hände wanderten wieder über meine Wangen. „Einiges an Babyspeck verloren“, kommentierte er, bevor er begann meinen restlichen Körper abzutasten. „Generell“, fügte er hinzu.
 

Ich war zu berauscht von der sanften Behandlung, um mich darüber aufzuregen, dass in Zusammenhang mit meinem Körper das Wort „Babyspeck“ gefallen war. Die Berührungen waren einfach zu angenehm, um noch richtig denken zu können.
 

Eine Hand ruhte auf meiner Brust, die andere an meinem Oberschenkel, als er seine nächste Anmerkung machte: „Einiges kräftiger geworden, insgesamt viel durchtrainierter und ... unverschämter Weise auch noch ein gutes Stück gewachsen.“
 

Ich hätte fast gelächelt. Er war immer kleiner gewesen als ich. Meistens erheblich. Und ich hatte mir gern einen Spaß daraus gemacht, ihn etwas damit aufzuziehen. Aber als ich sah, dass seine Augen wässrig wurden und kurz darauf die ersten Tränen seine Wangen herunter kullerten, verging es mir.
 

Taro schlang die Arme um meinen Rücken und schmiegte sich an meine Brust. Schniefend murmelte er meinen Namen. Mit aller Kraft unterdrückte ich das Zittern, das meinen Körper zu überrollen drohte, als die Anspannung von mir abfiel. Ich wollte nicht, dass er sich jetzt auch noch verpflichtet fühlte, mich zu beruhigen. Es gelang mir zum Glück mich unter Kontrolle zu halten. Nur meinen Finger zuckten noch verräterisch. Deshalb nutzte ich meine Handballen um sanft Kreise über seinen Rücken zu zeichnen.
 

Manchmal beneidete ich ihn, um die Fähigkeit, sich seinen Gefühlen so hemmungslos hingeben zu können. Er wirkte danach immer befreit. Es ging ihm besser. Taro war in mancher Hinsicht echt seltsam. In Situationen, in denen kaum einer an seinem Stolz festhalten würde, tat er es, in anderen, in denen sich jeder Mann daran klammern würde, warf er ihn einfach über Bord. Taro war schlicht weg Taro, und dabei wunderbar einzigartig.
 

Die sanften Berührungen beruhigten nicht nur ihn. Auch meine Hände hatten aufgehört zu zittern. Mit sicherem Griff zog ich den kleinen, schlanken und doch so kräftigen Körper noch etwas fester an mich. Ich genoss jede Sekunde seiner Wärme und Nähe. Es fühlte sich so richtig an.
 

Ich wusste jetzt, dass meine Befürchtungen nicht wahr werden würden. Vielleich würde er noch wütend werden, mich einen Idioten schimpfen, aber er würde mich nicht aus seinem Leben verbannen. Dazu war er viel zu glücklich, mich wieder zu haben. Ich war froh darüber, regelrecht erleichtert. Obwohl mir klar war, dass ich viel zu gut dabei weg gekommen war, und deutlich anderes verdient gehabt hätte.
 

„Toto“, murmelte Taro.
 

„Hm.“
 

„Wenn mir jemals derjenige über den Weg laufen sollte, der dich dazu gebracht hat, ernsthaft Sport zu treiben, werde ich ihm kräftig in den Arsch treten!“, erklärte er.
 

Ungläubig blickte ich in sein Gesicht. Das konnte nur ein Witz sein. Er konnte unmöglich an mich denken, bei dem, was ich ihm alles angetan hatte. Trotzdem tat er es.
 

„Du erklärst mir allen Ernstes, dass du denjenigen bestrafen willst, der mich mit einigen unschönen Methoden dazu gezwungen hat, ein sportliches Training zu absolvieren, obwohl ich dich über Monate belogen und allein durch meine Anwesenheit verletzt habe. Meinst du nicht, dass es angebrachter wäre, mich anzuschreien und meinetwegen zu schlagen, weil ich so ein unsensibler Depp bin?“, redete ich mich in Rage.
 

„Nein“, antwortete Taro. Es klang so unglaublich bestimmt, dass ich keine Sekunde daran zweifelte, dass er es ernst meinte. „Du bist das Wichtigste auf der ganzen Welt für mich. Ich brauch dich. Wenn jemand dich verletzt, dann tut er auch mir weh!“
 

Ich seufzte. Und war dennoch unglaublich glücklich. Es bedeutete mir viel, dass ich ihm so wichtig war. Mein kleines Engelchen! Dafür hat er einiges bei mir gut, notierte ich mir im Hinterkopf.
 

„Erklär mir, was passiert ist!“, forderte er wenig später. Er zog das Buch, das immer noch zwischen uns lag und mir etwas unangenehm im Bauch drückte, hervor und schob es auf den Nachtisch. Mit einem leisen „klick“ ging die Lampe aus.

Ich war dankbar dafür, dass er mich so gut kannte. Vielleicht war auch das ein Grund dafür, dass er mir so leicht verzieh. Er wusste, dass ich ihn nie absichtlich verletzten würde. Jedenfalls fiel es mir wesentlich leichter die Geschehnisse zu schildern, wenn es dunkel war. Es gab mir Sicherheit, weil ich mich unbeobachteter fühlte.
 

„Ich hatte ziemliches Glück, dass ich den Flugzeugabsturz überlebte und dann auch noch an einer Insel angespült wurde. Dort hatte mein Vater gerade geschäftlich zu tun. Er erkannte mich, und setzte wohl sofort Himmel und Hölle in Bewegung, um mich in das nächste Krankenhaus fliegen zu lassen. Er war so besorgt, wie ich ihn noch nie erlebt hatte.
 

Jedenfalls beginn ich den Fehler, ihn zu bitten, dich zu benachrichtigen, dass es mir gut ginge. Er tat es natürlich nicht, sondern informierte sich über dich. Na ja, er hat’s nicht so mit Normalbügern. Er nahm mich mit nach Deutschland und wollte nach meiner Genesung da weiter machen, wo er aufgehörte hatte, bevor ich abgehauen war. Ich war so unkooperativ wie es mir nur möglich. Ich versuchte irgendwie ungestört an ein Telefon oder einen Computer zu gelangen, aber immer kam mir jemand dazwischen.
 

Das ging so lange, bis meinem Vater klar wurde, dass du der Grund warst, warum ich mich so wiedersetzte. Er versprach mir ein Auslandshalbjahr in Japan, wenn ich bestimmte Ziele erreichte. Natürlich hatte er noch weitere Bedingungen. Ich darf dir das hier eigentlich gar nicht erzählen. Er sagte, wenn er herausfinden würde, dass ich auch nur ein Wort gesagt hätte, würde ich dich nie wieder sehen. Das zwang mich in den letzten Monaten dazu, ziemlich untätig zu sein. Es tat mir weh, aber ich wusste, dass es viel zu auffällig sein würde, wenn ich zu früh alles erzählen würde. Tut mir Leid.
 

Jedenfalls sah ich darin meine einzige Chance, stimmte zu und machte mich an die Arbeit. Ich war wesentlich schneller, als er es erwartete hatte. Das wurmte ihn. Dennoch hielt er sich an die Abmachung. Ich glaube, er geht davon aus, dass ich nie in so kurzer Zeit unsere Beziehung wieder aufbauen kann.“
 

„Ich verstehe“, erwiderte Taro. Er wirkte noch glücklicher als zuvor. „Dann muss ich wohl in der nächsten Zeit etwas vorsichtig sein mit was ich dir gegenüber sage und wie mich verhalte.“
 

„Ja, das wär gut!“, stimmte ich zu. Eine tiefe Zufriedenheit stellte sich mehr und mehr ein. Das hatte ich hinter mir. Taro war mir nicht böse. Was wollte ich mehr?
 

„Ich glaub, das bekomm ich hin“, meinte er optimistisch. „Schließlich hab ich Ansporn genug.“
 

Da hatte er wohl Recht. Ich war mir ziemlich sicher, dass er es schaffen würde. Seine schauspielerischen Fähigkeiten waren gut genug, um es von diesem Punkt an glaubhaft weiter darzustellen.
 

„Weißt du“, setzte Taro an, „manchmal hatte ich wirklich das Gefühl, du wärst es. Aber ich hab mir gesagt, dass das gar nicht sein könnte. Schließlich hättest du keinen Grund, mir etwas vorzuspielen. Mir nicht zu sagen, dass du es bist. Ich hab so ein Vertrauen in dich gesetzt, dass alles andere einfach keinen Sinn machte. Und ganz ehrlich, für eineinhalb Monate hast du dich auch beträchtlich verändert.“
 

„Tut mir Leid“, sagte ich und hatte noch nie etwas mehr bedauert.

„Jetzt ist es wieder okay“, sagte er bestimmt und drückte mich in einen liegende Position, um sich gleich darauf wieder an meine Brust zu schmiegen. „Zwar auf eine etwas andere Art hast du mein Vertrauen nicht missbraucht.“
 

„Danke“, murmelte ich und zog ihn, um das zu unterstreichen noch etwas enger an mich. Die Szenerie mochte seltsam wirken. Zwei Jungen, die sich so dicht aneinander kuschelte, als würde es um ihr Leben gehen. Aber Taro brauchte das jetzt. Jede Minute, in der er sich nicht bewusst wäre, dass ich da war, würde ihn nicht schlafen lassen. Und was mich betraf: Ich würde mich definitiv nicht beklagen. Auch die Morgenlatte, die ich morgen ganz sicher haben würde, nahm ich für den sich vertrauensvoll an mich schmiegenden Körper gerne in Kauf.
 

„Toto“, fragte Taro. „Wenn mir etwas einfällt, dass es nicht so wirkt wie früher, bekomm ich dann meine Weihnachtsscheinbeziehung?“
 

Ich musste lächeln. Klar, dass er diesen Teil meiner Weigerung sofort verstanden hatte. Den anderen kannte er zum Glück noch nicht. Es würde wohl Konsequenzen haben, aber er klang so hoffnungsvoll, dass ich einfach nicht ablehnen konnte.

„Natürlich“, murmelte ich in seinen dichten Haarschopf.
 

Der nächste Tag begann wie ich es erwartet hatte. Mit einer Morgenlatte. Mühsam kämpfte ich mich aus dem Bett. Verhedderte mich in der Decke, stolperte und purzelte auf den Boden. Scheiße. Warum war das bloß immer so schwierig, wenn man nicht ganz wach war?
 

Dämmerig starrte ich an die Decke. Wartete bis sich zumindest nicht mehr alles vor meinen Augen drehte. Danach torkelte ich weiter meiner rettenden kalten Dusche entgegen. Mein Ziel schon fast erreicht, rutschte ich auf den letzten Metern auf der alten Duschmatte aus. Rums. Wieder lag ich auf dem Rücken.
 

„Warum immer ich?“, jammerte ich. Schmerzen jagten durch meine Schultern.
 

Ein leises Kichern drang durch das Rauschen des Wassers – warum war mir das nicht schon früher aufgefallen? – an meine Ohren. Ich folgte dem Geräusch mit meinem Blick und landete ... bei einem nackten Taro. Nur das Kondenswasser, das sich an den Scheiben der gläsernen Duschkabine abgesetzt hatte, behinderte minimal die Sicht auf seinen Körper. In meiner Hose wurde es noch ein bisschen enger.
 

„Scheiße“, fluchte ich und zwang mich meinen Blick von dem athletischen Körper abzuwenden.
 

„Ach komm“, grinste Taro, „sieh ’s positiv: Du hättest auch auf der Vorderseite landen können!“ Er drehte das Wasser ab und stieg aus der Dusche.
 

Ich verzog allein bei dem Gedanken das Gesicht. Autsch. Mühsam bekämpfte ich das Verlangen, dass der Anblick seines von Wassertropfen übersäten Körpers in mir wachrief. Ich hatte ihn noch nie so gewollt, wie in diesem Moment. Es musste herrlich sein ihn ... ich brach den Gedanken ab. Das war absolut nicht förderlich.
 

Das Rascheln von Stoff holte mich aus meinen mehr oder weniger Wunschträumen. Taro knotete gerade seinen dunkelblauen Bademantel zu und ließ sich danach neben mir auf den Fliesen nieder. Einen Moment musterte er meinen inzwischen vor Erregung leicht zittrigen Körper.
 

„Du hast es echt nötig“, stellte er dann fest.
 

„Du hast nicht zufälligerweise Lust, mir einen zu blasen?“, fragte ich, und hatte Schwierigkeiten es humorvoll klingen zu lassen. Ich konnte die kleine, irrationale Hoffnung nicht abschütteln, dass er Ja sagen würde.
 

„Nein, momentan nicht“, erwiderte Taro, lächelte dabei schon fast entschuldigend. Er hob mich vorsichtig in die Dusche. Ich erschauderte unter seinen Berührungen. Verdammt, fühlte sich das gut an.
 

„Stimmt es, was die anderen sagen?“, fragte er, während er das Wasser auf- und ganz kalt drehte. „Dass du die ganzen letzten Monate nie auch nur mit jemandem geflirtet hast?“
 

Ich unterdrückte einen Aufschrei, als das Wasser auf mich niederprasselte. War das kalt. Aber es kühlte meinen erhitzten Körper langsam wieder herunter.
 

„Es gab nur dich!“, erklärte ich mit klappernden Zähnen. In Gedanken korrigierte ich in „Es gibt nur dich und wird auch immer nur dich geben!“. Aber das konnte ich ihm ja jetzt noch nicht sagen. Ich sollte mich wohl anstrengen. Sonst würde ich bald ziemlich oft so ein Problem bekommen. Ich wusste nicht, wie lange ich das durchhalten konnte, ohne irgendwann über ihn herzufallen.
 

„Ich wollte mich nicht ablenken lassen“, sagte ich als Antwort auf Taros ungläubigen Blick. „Ich musste dir helfen, alles andere war nebensächlich.“
 

Seinen Augen und seine Stimme wurden sanft, als er mir lächelnd ein – im meinen Ohren – zuckersüßes „Danke!“ schenkte. Nachdem er das Wasser wieder abgestellt hatte, zog er mir die nassen Klamotten aus und wickelte mich fürsorglich in drei große, flauschige Handtücher. Mein Körper war so herunter gekühlt, dass seine Berührungen kein erneutes Feuer entfachten.
 

Ich widersprach auch nicht, als er mich auf die Arme nahm und zurück ins Schlafzimmer trug, um mich dort in meine Bettdecke einzupacken. Erst als ein weiteres Handtuch zum Vorschein kam und sich auch noch verdächtig meinen Kopf näherte, begann ich zu protestieren: „Lass das! Du zerstörst meine Frisur. Das wird das reinste Chaos.“
 

„Macht nichts!“, sagte er gutgelaunt und begann meine Haare trocken zu rubbeln. „Du bist auch das reinste Chaos. Und dich mag ich auch. Sehr sogar.“
 

Ich merkte, dass es zwecklos war. Wann immer er mit so einer Überzeugung sprach, musste man wirklich Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um ihn noch umzustimmen. Und dazu fror ich im Moment einfach zu erbärmlich.
 

Als Taro fertig war, betrachtete er mit schiefgelegtem Kopf sein Werk. „Ich weiß gar nicht, was du hast“, meinte er dann zufrieden grinsend, „passt doch ganz gut zu dir!“
 

Ich schnaubte nur, sparte mir lieber jeden Kommentar. Ich brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass die einzelnen Strähnen in alle möglichen und unmöglichen Himmelsrichtungen abstanden. Das wird eine Arbeit werden, das wieder zu richten, dachte ich seufzend.
 

„Weißt du, was ich mir hinsichtlich der Scheinbeziehung überlegt habe?“, fragte Taro rhetorisch. Ich wusste jetzt schon, dass es etwas mehr als nur leicht zwiespältiges sein würde. „Übung macht den Meister!“
 

Kaum hatte er das ausgesprochen, legte er schon seine Lippen auf meinen kalten Mund. Taro küsste mich so sanft und dennoch verlangend, dass mir Hören und Sehen verging. Nur noch die weichen, warmen Berührungen waren von Bedeutung.

Drei Worte

Hi!

Ich weiß, es ist lange her. Mit dem Kapitel hab ich mich etwas gequält. Es mehrfach umgeschrieben, überlegt, es noch zu kürzen. Es letztendlich aber gelassen. Jetzt ist es allein ein Viertel der ganzen Geschichte. Aber: Ich bin größtenteils zufrieden!
 

Ich hoffe, es gefällt euch auch!
 

LG Zyra
 

Drei Worte
 

Die Umsetzung von Taros Plan hatte sich als simple erwiesen. Ich hatte ihn niemals zuvor so geküsst, wie in dem Moment. Vielleicht lag es an den Gefühlen, die ich inzwischen für mein kleines Engelchen hegte. Früher war es nur Spaß gewesen. Ich hatte die Leute auf möglichst spektakuläre Art und Weise verarschen wollen. Nun allerdings wollte ich ihn fühlen und ihm zumindest durch meine Küsse zeigen, wie sehr ich ihn liebte.
 

Der Perfektionismus hingegen, mit dem wir die Scheinbeziehungen planten und vorbereiteten, hatte sich nicht verändert. Wir hatten rumgeknutscht - was jeden Morgen mit dem gleichen Ergebnis endete -, die entscheidenden Szenen unseres Plans immer wieder geprobt - wobei es genau wie früher zu etlichen kaum enden wollenden Laufkrämpfen gekommen war - und hatten in der Schule schon einige Grundlagen gelegt, wie zum Beispiel eifersüchtige Blicke, wenn der jeweils andere in Flirts oder viel Aufmerksamkeit fordernde Gespräche mit Mitschülern verwickelt wurde.
 

Inzwischen war es Ende November und unsere Vorbereitung war abgeschlossen. In den nächsten Tagen würden wir wohl zur Tat schreiten. Im Moment stand allerdings erst mal ein Staffellauf auf dem Plan. Wohl gemerkt draußen. Mit unseren kurzen, von der Schule vorgeschriebenen Klamotten. Bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. Ja, unser Sportlehrer hatte definitiv einen an der Klatsche.
 

Unsere Klasse war nicht die einzige, die sich im Laufe der letzten Jahre über den Kerl mehrfach beschwert hatte, aber irgendwie hatte er sich immer wieder aus der Sache heraus gewunden. Doch irgendwann würde meine Stunde schlagen, und ich würde den Idioten zum Mond und wieder zurück klagen.
 

Im Moment konnte ich leider nicht mehr tun, als versuchen mich warm zu halten, während ich darauf wartete, dass der Stab an mich übergeben wurde. Taro, auf der Band neben mir, tat es mir gleich. Wir waren beide Schlussläufer. Taro zu schlagen war nahezu unmöglich. Er war schon immer der Schnellste gewesen. Bei einer Staffel hatte ich allerdings mit etwas Hilfe der anderen Jungs unserer Klasse eine Chance.
 

Heute könnte ich möglicherweise gewinnen. Als ich den Stab übernahm, hatten die anderen auf Taros Gruppe einen recht passablen Vorsprung rausgelaufen. Sicher im Ziel war der aber noch lange nicht. Also gab ich richtig Gas. Holte alles aus meinem Körper heraus. Das würde verdammt knapp werden.
 

Gute 250 Meter lang hörte ich nur das Rascheln meines Atems und das Rauschen des Blutes in meinen Ohren. Doch dann durchbrach ein Schmerzensschrei die kalte Stille. Er veranlasste mich zu einer ziemlich ruckartigen Wende. Das war Taro gewesen.
 

Noch während ich die Meter zurücklief, die er Rückstand gehabt hatte, erkannte ich das Blut an seinen Beinen und Armen. Schwer atmend ließ ich mich neben ihm auf die Laufbahn sinken. Ohne nach dem Wie zu fragen, begutachtete ich mit rasendem Herzen die Wunden. Hoffentlich war es nicht allzu schlimm. Panik drohte mich zu erfassen, als ich die großflächigen, recht tiefen Schürfwunden sah. Eine an der Außenseite des linken Oberschenkels, eine an der Innenseite des rechten Unterschenkels, und den linken Unterarm hatte er sich auch etwas aufgeschrammt.
 

„Ist nicht so schlimm!“, versuchte Taro mich zu beruhigen, als er meinen panisch-besorgten Blick bemerkte. „Sind nur ein paar Kratzer!“
 

Ich schnaubte verächtlich. Sein leicht schmerzverzerrtes Gesicht sprach eine andere Sprache. Dennoch enthielt ich mich jeden weiteren Kommentars. Ich wusste, dass er, um mich zu beruhigen, noch ganz andere Dinge mit seinem verletzten Körper anstellen würde.
 

„Ich helf dir hoch!“, sagte ich stattdessen, immer noch reichlich besorgt. „Nicht dass du wohl möglich noch krank wirst!“
 

Taro biss tapfer die Zähne zusammen, während ich ihn mehr oder weniger alleine wieder auf seine geschundenen Beine stellte. Die Wunden brannten wahrscheinlich wie Hölle. Trotzdem versuchte er eigenständig zu stehen. Aber ohne mich. Das würde ich nicht zulassen. Ich wollte ihn gerade zurechtweisen, damit er sich bloß nicht übernahm, als endlich unser Sportlehrer bei uns ankam.
 

„Heiji, ich weiß ja, dass du eine Abneigung gegen Litaro hegst, aber damit bist du zu weit gegangen!“, bellte er wütend. „Geh dich umziehen und melde dich beim Direktor!“
 

Erst jetzt bemerkte ich, dass unser Klassenfeind Numero uno ziemlich genau an der Stelle stand, wo Taro wohl ins Stolpern geraten war. Verdammtes Arschloch! Mit einem selbstzufriedenen Grinsen spazierte er arrogant in Richtung Umkleidekabine davon. Ich warf ihm einen hasserfüllten Blick hinterher. Das würde der Scheißer noch bereuen.
 

„Litaro kannst du einigermaßen laufen?“, wendete sich unser Sportlehrer nun an Taro.
 

„Ja, geht schon!“, bestätigte er derart kräftig, dass es schon fast unangebracht war.
 

„Okay“, erklärte der Sklaventreiber, „Nozomi, du bringst ihn ins Krankenzimmer und kommst danach sofort zurück. Du läufst als letzte.“
 

„Aber ...“, setzte ich schon zum Protestieren an, als er mich unterbrach: „Du holst eure Sachen und gehst dann auch ins Krankenzimmer. Wenn nötig begleitest du Litaro nachher noch zum Arzt, ansonsten bringst du ihn nach Hause!“
 

Ich warf einen Blick auf Taro, der leicht gestützt von Nono, in Richtung Arztzimmer humpelte, dann stimmte ich zu und stürmte zur Sporthalle hinüber. Die Türen knallten hinter mir ins Schloss, meine Schuhe quietschen auf dem Boden und hinterließen wohl auch hier und da ein paar schwarzen Spuren, aber das war mir reichlich egal.
 

In der Umkleide angekommen schubste ich Heiji, der gerade gemächlich seine Duschsachen zusammensammelte, unsanft aus dem Weg und begann irgendwie unsere Klamotten und Schuhe in unsere Sporttaschen zu stopfen. Ich konnte mich auch noch umziehen, wenn ich bei Taro war.
 

„War gar nich schwer, Tarimo ‘n Bein zu stelln!“, kam es plötzlich überheblich von Heiji. „Und weißt du warum?“
 

Ich musste mich zwingen, nicht aggressiv zu werden. Dieser Parasit würde dafür noch bluten. Aber nicht jetzt. Meine Rache würde ganz bestimmt nicht erahnen lassen, dass es hierum ging. Erst mal würde er vom Direx eine saftige Strafe aufgebrummt bekommen, und später würde er das Opfer eines Streichs werden, der sich gewaschen hatte.
 

„Er hat dir die ganze Zeit auf den Arsch gestarrt, war wirklich nen Kinderspiel“, stichelte er weiter.
 

Ich hielt überrascht in der Bewegung inne. Er hatte was? Klar, ohne Frage, mein Arsch war Anstarrens würdig! Aber warum sollte Taro ...? Das machte doch keinen Sinn. Außer natürlich für die Scheinbeziehung, doch ... wie wahrscheinlich war es schon, dass jemand das mitbekam?
 

„Da bisde erstaunt, was? Hättste nich gedacht, dass der Kerl um dessn Freundschaft du dich so bemühst, ne scheiß Schwuchtel ist, was?“ Heiji brach in verächtliches Gelächter.
 

Noch ein Punkt mehr, für den er später bezahlen würde. Niemand beleidigte meinen besten Freund. Aber jetzt musste ich erst mal zu Taro. Mit zwei Schul- und Sporttaschen beladen eilte ich los, rammte eine davon noch irgendwie Heiji in den Magen, der fluchend zurückblieb.
 

Auf dem Weg zum Krankenzimmer dachte ich über seine Worte nach. Vielleicht hatte Taro gewusst, dass es dem Scheißer auffallen würde, und hatte sich deshalb spontan dafür entschieden, schließlich verbreite der nur allzu gern solchen Klatsch und Tratsch. Oder Heiji hatte einfach sein Wissen von unseren früheren „Beziehungen“ genutzt, um mich zu verunsichern.
 

Ich seufzte. Am besten fragte ich Taro gleich einfach, was passiert war. Das es auch noch eine dritte Möglichkeit gab, ließ ich beflissen außer Acht. Ich wollte mir keine unnötigen Hoffnungen machen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er wirklich auf mich stand, war so dermaßen gering.
 


 

„Ich mach, was zu essen.“
 

Ehe ich auch nur „piep“ sagen konnte, humpelte Taro schon den schmalen Flur in Richtung Küche davon. Die Schulkrankenschwester hatte die Wunden gesäubert, eine heilende Salbe aufgetragen und dann sowohl Beine als auch Arm bandagiert, für Pflaster waren die Verletzungen zu großflächig. Taro war während der Behandlung mehrere Male weggenickt. Hatte alles kommentarlos und ohne Laute des Schmerzes über sich ergehen lassen.
 

Als wir dann endlich gehen konnten, war er aber wieder so hellwach gewesen, dass er sich, zwar nur im übertragenem Sinne, mit Händen und Füßen gegen das von mir bestellte Taxi gewehrt hatte. Ich übertriebe maßlos und wegen der paar Kratzer sollte ich bloß nicht so einen Aufstand machen. Er hatte sich auf stur gestellt und am Ende waren wir dann tatsächlich nach Hause gelaufen. Wir hatten beide unsere Trümpfe in Diskussionen mit dem jeweils anderen. In dieser Situation waren die seinen höher gewesen.
 

Jetzt würde ich definitiv nicht meine Zeit mit irgendwelchen Argumenten vergeuden, sondern einfach handeln. Kurz entschlossen ließ ich unsere Taschen mitten im Eingangsbereich fallen. Das Poltern, als sich irgendetwas umwarfen ignorierte ich. Ohne mich mein Freund, dachte ich grimmig, du holst erst mal ein bisschen Schlaf nach.
 

Mit diesen Vorsatz stiefelte ich ihm hinterher, schlang von hinten meine Arme um seine Hüfte, hob ihn ein Stückchen hoch und verfrachtete ihn, unter lautstarken Protesten, ins Schlafzimmer.
 

„Was soll der Mist?“, fragte er missmutig, ließ sich aber so auf dem Bett absetzen.
 

„Erstens ist es gerade mal halb zwölf, und zweitens war deine Müdigkeit bestimmt nicht ganz unschuldig an dem Sturz. Also kannst du dich ruhig noch ein Weilchen hinlegen.“
 

Das stimmte ihn milde. „Okay. Meinetwegen.“ Zwar etwas widerwillig, stimmte er zu, schlüpfte aus der Schuluniform und machte es sich im Bett gemütlich. Na also, geht doch!
 

„Ich leiste dir Gesellschaft.“ Ich schnappte mir mein Chemiebuch, ließ mich auf meinem Bett nieder und stopfte mir mehrere Kissen in den Rücken, damit es nicht an Bequemlichkeit mangelte.
 

„Zu freundlich“, brummelte Taro wenig begeistert. „Bleib mir bloß mit dem Buch vom Leib.“
 

Ich lachte nur leise in mich hinein. Es war wohl nicht der rechte Zeitpunkt ihm zu sagen, dass die Chemieklausur noch vor den Weihnachtsferien anstand. Damit konnte ich ihm auch noch später die Laune vermiesen. Jetzt sollte er erst mal schlafen, und ich täte gut daran endlich die letzten 45 Seiten des Buches zu lesen. Ich war so oder so schon ein bisschen mit der Zeit im Rückstand.
 

Gerade mal sechs Seiten schaffte ich, bis meine Gedanken begannen abzuschweifen. Heijis Worte gingen mir nicht mehr aus dem Kopf, und die Hoffnung, dass es doch mehr zu bedeuten hatte, fand immer mehr Nährboden, in dem sie ihre Wurzeln schlagen konnte.
 

Dabei war es so unrealistisch. Die Vorstellung war geradezu lächerlich, dass Taro schwul war und auch noch auf mich stand. Da war die Wahrscheinlichkeit im Lotto zu gewinnen ja größer. Dennoch konnte ich nicht anders. Es gab nichts, was ich mir mehr wünschte als das.
 

Ich brauchte ihn. Und würde alles, was ich hatte, für ihn geben. Natürlich wäre es mir lieber, zu versuchen, etwas von dem, was ich hatte, ihm zu geben. Egal, was ich ihm schenkte, bei ihm wäre es gut aufgehoben ... wenn ich ihn denn erst mal davon überzeugt hatte, es anzunehmen. Er konnte so verdammt stur und störrisch sein.
 

Seufzend starrte ich weiterhin auf die Seite im Buch. Er war das Beste, was mir in meinem Leben je passiert war. Und auch wenn es schwer fiel, sollte ich mich wohl schon mal mit dem Gedanken anfreunden, nie mehr als „nur“ sein bester Freund zu sein. Ich wollte ihn ganz und gar und würde ihm mit dem größten Vergnügen, alles geben, was er brauchte, doch was nicht drin war, war nicht drin.
 

„Du bist verliebt!“ Es fehlte nicht viel, und ich wäre vor Schreck beinahe seitwärts aus dem Bett gesprungen. Und hätte mich dabei ohne Frage auf die Fresse gelegt. Automatisch blickte ich in Richtung Taro und sah mich plötzlich mit musternden, intensivgrünen Augen konfrontiert. Ihr Ausdruck war kaum zu deuten, was vermutlich auch daran lag, dass es in meinem Kopf drunter und drüber ging.
 

„Du hast doch nicht ernsthaft gedacht, dass mir das nicht auffallen würde, nachdem du mir erzählt hast, wer du bist.“
 

Ich starrte ihn immer noch fassungslos an. Nur langsam verarbeitete mein Gehirn die Informationen. Dementsprechend dauerte es einen Moment bis mir klar wurde, dass ich darüber gar nicht nachgedacht hatte. Vielleicht hätte ich es tun sollen.
 

Auf jeden Fall war das hier ein verdammtes Déjà-vu. Wieder war ich in Erklärungsnot, wieder wusste ich keine Antwort, wieder wollte ich ihn unter keinen Umständen verletzen.
 

Der traurige Ausdruck, den ich langsam aber sicher in seinen Augen erkannte, zeigte, dass ich abermals versagt hatte. Dass er jetzt auch noch auf der Unterlippe herumkaute, ein Zeichen von leichter Unentschlossenheit, machte es noch schlimmer.
 

Plötzlich wirkte sein schmaler, zusammengerollter Körper unter der dicken Winterdecke wieder ungemein verletzlich. Etwas was Taro normalerweise so überhaupt nicht war. Nur ich hatte es auf grandiose Weise mal wieder so weit gebracht.
 

„Warum hast du mir nichts erzählt?“, fragte er nach einiger Grübelei.
 

„Ich ...“, begann ich, doch im selben Moment wurde mir klar, dass ich nicht formulieren konnte, was ich fühlte. Ich war darin schon immer schlecht gewesen. Und wenn ich ehrlich war, fiel es mir selbst dann schwer, wenn ich wusste, was ich sagen wollte. Dabei fühlte ich mich alles andere als wohl.
 

„Ist schon okay. Ich hab es dir ja auch nicht gesagt. Deshalb sind wir uns, wenn überhaupt beide Rechenschaft schuldig.“ Während er sich aufsetzte, schüttelte er lächelnd den Kopf. „Ich hab zum ersten Mal gemerkt, wie schwer es sein kann, jemandem seine Gefühle zu gestehen.“
 

Inzwischen lief mein Gehirn wieder auf Hochtouren, und das sogar größtenteils geordnet. Seine Worte versetzten mir einen schmerzhaften Stich. Ich hatte nicht damit gerechnet, und der Gedanke, dass ich sein Herz an jemand anders verloren hatte, tat mehr weh als erwartet. Trotzdem war ich irgendwie auch froh; es zeigte mir, dass ich ihn nicht zerstört hatte.
 

„Kennst du das Lied 'Hello' von 4Lyn?“, fragte Taro mich plötzlich, ich konnte seinem Gedankengang nicht folgen.
 

„Hab's irgendwo schon mal gehört“, murmelte ich und versuchte ihn zu verstehen. In Wirklichkeit kam mir das Lied beinahe aus den Ohren wieder heraus. Es war eines der Stücke, dass Taro in den letzten Wochen rauf und runter gehört hatte. Am Ende hätte ich den CD-Player am liebsten in seine Einzelteile zerlegt.
 

„Im Refrain heißt es:
 

Love starts with a smile

and grows with a kiss

it always ends up in tears

and someone to miss
 

Ich hab in der letzten Zeit viel darüber nachgedacht, und ich glaube, es stimmt.“
 

Ich blinzelte überrascht. Die ersten beiden Aussagen, gut, da konnte ich mir wirklich vorstellen, dass sie Taro zusagten, aber die letzten? Kaum denkbar. Obwohl Taro einige wirklich unschöne Erfahrungen gemacht hatte, war ihm sein Glauben an die Liebe nie verloren gegangen. Woher kamen also jetzt diese Zweifel?
 

Hoffentlich war er nicht unglücklich verliebt. Das war das letzte, was ich ihm in seiner jetzigen Situation wünschte. Aber es stand zu befürchten. Hatte ihm jemand einen Korb gegeben? Wer war denn bitte schön so blöd? Er war der wundervollste Mensch, den ich kannte. Zugegeben, in meinen Augen. Ich war da nicht wirklich objektiv. So oder so entsprach der letzte Abschnitt aber definitiv nicht Taros Einstellung.
 

„Ach quatsch“, widersprach ich energisch, nicht gewillt, ihn seinen Glauben verlieren zu lassen. „Dazu laufen viel zu viele Gegenbeweise in der Gegend herum. Schau doch nur mal im Sommer in den Park!“
 

Das brachte ihn zum schmunzeln, dennoch erwiderte er: „Ja, aber das ist doch nur eine Momentaufnahme. Irgendwann wird es in die Brüche gehen. Spätestens der Tod reißt sie auseinander.“
 

„Aber wenn jemand stirbt, dann verschwinden noch lange nicht die Gefühle für diese Person“, hielt ich dagegen. Diese unglückliche Liebe schien ihn ziemlich mitzunehmen. Auch wenn mir das bisher nicht so aufgefallen. Sein Verhalten war in letzter Zeit sehr schlecht zu deuten gewesen. Mein angeblicher Tod hatte ihn schwer lesbar gemacht. Außerdem hatte Taro dadurch genau das widerlegt, was er sich gerade einzureden versuchte.
 

Es fiel mir schwer, das auch auszusprechen, aber es ging um Taro. Und solche negativen Gedanken passten nicht zu ihm. Wenn ich ihn schon nicht glücklich machen konnte, da musste ich halt dafür sorgen, dass es jemand anders tat. Wer auch immer das sein würde.
 

Der Gedanke war immer wieder seltsam. Normalerweise war ich nicht der Typ, der sich dermaßen selbstlos verhielt. Ich hatte schon früh lernen müssen, dass man mit einer guten Portion Egoismus oftmals mehr erreichte. Es gab nur wenige Menschen für die ich mein eigenes Glück zurückstellte. Und für niemanden so sehr wie für Taro.
 

Er begann zu lächeln, als ich es endlich in verständliche Worte gefasst hatte. „Ich hatte gehofft, dass du das sagst. Ich weiß auch nicht. Der Rest hat so schön gepasst, da kamen die Gedanken über den letzten Abschnitt ganz automatisch.“
 

„Verstehe.“ In Wirklichkeit dachte ich noch über seine Worte nach. Ich wollte wissen, wer diese idiotische Glückspilz war. Aber ich kam beim besten Willen nicht darauf, wen Taro in der letzten Zeit geküsst hatte. Außer mir. Wir waren kaum zu trennen gewesen. Es wäre mir bestimmt aufgefallen. Also blieb meiner gerade auf ein minimales geschrumpften Hoffnung nur noch ich. Was natürlich ein gewaltiger Ansporn war wieder anzuschwellen. Super.
 

Taro lächelte traurig. „Erinnerst du dich noch an den Abend am Anfang der Ferien. Du hast auf dem Sofa geschlafen.“
 

Ich nickte. Wie könnte ich das vergessen. Er hatte wirklich schlimm ausgesehen. So zerbrechlich, dass ich gedacht hatte, er würde gleich in einen Haufen Scherben zerfallen, wenn ich ihn mit meiner Anwesenheit noch weiter quälte. Und in der Nacht hatte ich einen wundervollen Traum, in dem er und ich die Hauptrollen spielten.
 

Aber warum fragte er mich danach. Taro war nicht der Typ für so abrupte Themenwechsel. Es musste also etwas damit zu tun haben. Was mich abermals hoffen ließ. Der realistisch denkende Teil meines Gehirn warnte mich vor einem ziemlich tiefen Fall mit einem extrem schmerzhaften Aufprall. Doch es half nichts.
 

„Du hast im Schlaf meinen Namen gemurmelt. Ich hab mich gewundert, und war gleichzeitig unglaublich fasziniert von deinem Lächeln. Es hat mich irgendwie berührt. Ich glaub, zu dem Zeitpunkt hatte ich vergessen, dass mich einige Leute wirklich schätzten. Ich hab dich zurück ins Bett gebracht und dich solange beobachtet, bis ich eingeschlafen bin. Seit langem hab ich mich wieder gut gefühlt.
 

Am nächsten Tag hab ich dann diesen Spaziergang gemacht. Du weißt schon, als Yuiwa dich angerufen hat, und dir weißmachen wollte, er hätte mich verprügelt. Jedenfalls ist mir damals zum ersten Mal klar geworden, wie sehr du dich für mich eingesetzt hast. Ich hab ein bisschen mit mir gerungen, und mich dazu entschieden, dir eine Chance zu geben. Als du dann voller Sorge vor mir stands, habe ich - wenn auch vielleicht nur unterbewusst - begriffen, dass du mir wirklich helfen könntest. Es fühlte sich plötzlich gut an, dich in meiner Nähe zu haben, obwohl die schmerzhaften Erinnerungen nicht ganz auszublenden waren.
 

Schon damals im Bad musste ich feststellen, dass es gar nicht so einfach war, damit klar zu kommen. Aber ich wollte es unbedingt, und mit der Zeit ist es mir leichter gefallen. Du bist ziemlich einnehmend.“
 

Er lächelte kurz, und ich wusste augenblicklich – auch ohne Gedankenleser zu sein –, was ihm in dem Moment durch den Kopf schoss. Vielleicht manchmal etwas anstrengend und nervenaufreibend, aber insgesamt sehr angenehm und unterhaltsam.
 

„Als ich dich kurz darauf geküsst hab, war ich im ersten Moment wie berauscht. Ich konnte mir nicht erklären, was genau los war, aber ich merkte deutlich, dass die Gefühle, die ich für dich hatte anschwollen, auch wenn ich nicht wusste, was es war. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich begriffen hatte, dass ...“ Er stockte kurz, und ich erkannten in seinen Augen eine wilde Schlacht zwischen Trauer und Zuneigung. Gleichzeitig blickten sie mich entschuldigend an. „... ich mich in dich verliebt hatte.“
 

Mir fiel die Kinnlade herunter. Für einen Moment tat ich nichts anderes, als ich einfach ungläubig anzustarren. Das ... Ich konnte es einfach nicht glauben. Mein Glück nicht fassen. ... Es erschien mir zu fantastisch, um wahr zu sein. Ein Traum, dachte ich kurz. Doch dann begriff ich endlich, und war nur noch erfüllt von Liebe und Glück. Er erwiderte tatsächlich meine Liebe.
 

„Tut mir Leid“, murmelte Taro. „Ich ... Die Scheinbeziehung hab ich vorgeschlagen, um herauszufinden, wie du generell zu Homosexualität stehst. Als du mir dann sagtest, wer du bist, dachte ich es würde alles wieder normal. Schließlich warst du mein bester Freund, und damit war ich immer mehr als glücklich gewesen. Also hab ich an der Scheinbeziehung festgehalten, musste aber schnell erkennen, dass ich mich geirrt hatte. Ich wollte mehr, als dein bester Freund sein. Ich hab viel nachgedacht in letzter Zeit – meistens nachts, deshalb bin ich jetzt auch so übermüdet. ... Wir sollten die Scheinbeziehung wohl besser abbrechen.“
 

„Ja ...“, erklärte ich, so gefangen in meinem immer noch kaum fassbaren Glück, dass ich die Trauer in seinen Augen und seiner Stimme kaum bemerkte. Und ehe ich vergnügt hinterher schieben konnte, dass wir das „Schein“ am besten bis in alle Ewigkeit verbannte, sagte er schon: „Gut, ... das hab ich mir gedacht. Ich lass dich jetzt erst mal alleine, damit du nachdenken kannst.“
 

Mit diesen Worten stand er traurig, dennoch gefasst, auf, und ich bemerkte erst jetzt, was ich angerichtet hatte. Es wäre wohl besser gewesen, ihn sofort zu küssen. Oder sonst irgendetwas in der Art zu tun. Schließlich wusste Taro nicht, dass ich das Selbe für ihn empfand. Mist.
 

Ich schluck ruckartig meine Decke zurück, ließ das Buch fallen, und stolperte ihm hinterher in den Flur.
 

„Hey Taro, warte! ... Verdammt. Du kannst jetzt nicht gehen. Ich muss dir was sagen. Ich ... ich brauch dich. Du bedeutest mir ... verdammt viel. Ich will dich nicht verlieren. Das ... es steht wirklich nicht zwischen uns.“ Ich redete noch einige Zeit weiter solches Zeug. Alles Dinge, die ich sonst kaum aussprach, aber die lange nicht das implizierten, was ich sagen wollte, was ich für ihn fühlte. Aber egal, wie sehr ich mich bemühte, diese verdammten drei Wörter kamen einfach nicht über meine Lippen.
 

Taro stand immer noch zwei Meter von mir entfernt. Im gerade Flur erschien es mir viel weiter. Ich hatte das Gefühl, dass mich ein Labyrinth aus meterhohen Steinwänden von meinem Ziel trennte. Dabei war es nur ein „Ich liebe dich“.
 

Ich sollte mir vielleicht etwas anderes einfallen lassen. Irgendetwas, das ihm verständlich machte, was ich ihm sagen wollte. Dass er schon die ganze Zeit versuchte, den tieferen Sinn meines Gestammels und meiner wilden Gestikulierei zu erkennen, sah ich an seinem Gesichtsausdruck. Mehr und mehr wurde der allerdings ratlos.
 

„Was genau willst du mir sagen? Versuch das Wesentliche in Worte zu fassen“, versuchte er mir zu helfen.
 

Das half mir in dieser Situation leider wenig. Das Wesentliche war „Ich liebe dich“, und „Ich liebe dich“ brachte ich einfach nicht hervor. Ich brauchte irgendwie ne Umschreibung.
 

„Weißt du, ich setzt mich jetzt ne Weile, sagen wir für ne Stunde, in den Park vier Straßen weiter. Dann hast du in Ruhe Zeit dir alles zu überlegen.“ Er setzte sich auf die Stufe, die unseren gefliesten Eingangsbereich vom restlichen Flur abtrennte und kramte in dem Durcheinander, dass ich hinterlassen hatte, als ich unseren Taschen dort fallen gelassen hatte, nach seinen Schuhen.
 

„Nein, warte.“ Ich machte einige Stritte zu ihm hinüber und ließ mich ein Stückchen von ihm entfernt auf den Teppich sinken. „Ich weiß, was ich sagen will, aber ... ich bekomm es einfach nicht raus. ... Ich glaub, ich hab es noch nie jemandem gesagt. ... Ich will dich nicht eine Stunde lang grübelnd im Park sitzen lassen.“
 

„Ist schon in Ordnung.“ Er streckte die Hand nach mir aus, um mich beruhigend am Arm zu berühren, zog sie dann aber unverrichteter Dinge zurück. „Du hast gesagt, dass es nicht zwischen uns steht. Das ist das Wichtigste für mich! Dass ich nicht alles zerstört hab, weil ich Depp mich in dich verlieb hab.“
 

„Du bist kein Depp!“, murmelte ich. „Ganz im Gegenteil!“
 

Plötzlich erinnerte ich mich daran, dass Taro einmal nach einem ziemlich heftigen Streit gesagt hatte, dass meine Stärke in solchen Situation eher das Handeln war. Instinktiv rutschte ich noch ein bisschen näher zu ihm und zog ihn sanft in meine Arme.
 

„Nicht!“, murmelte er, wehrte sich aber nicht gegen meine Umarmung. „Hörst du: Ganz im Gegenteil!“, erklärte ich noch einmal nachdrücklich und bettete meinen Kopf auf seinen.
 

Handeln, dachte ich, wäre ganz einfach. Ich bräuchte mit meinem Mund nur seine verheißungsvollen Lippen einzufangen. Aber irgendwie erschien mir das zu armselig. Es war so oder so erbärmlich, dass er mir seine Liebe gestand, und ich selbst mit dem Wissen nicht das Selbe hinbekam.
 

„Als du sagtest, dass ich im Handeln besser bin, als mit Worten zumindest in Situationen, in denen es um Gefühle geht, hattest du vollkommen Recht. Es gibt eine Handlung, aber das wäre irgendwie nicht fair. Wenn du es schon später nicht oft zu hören bekommen wirst, dann will ich es zumindest jetzt einmal aussprechen.“ Ich atmete einmal tief ein und nahm meinen ganzen Mut, wenn es das denn war, zusammen.
 

Es war nur ein hauchzartes Wispern, das über meine Lippen kam, aber Taro hörte es. Fast ruckartig setzte er sich in meiner Umarmung auf und blickte mir ins Gesicht
 

Er musterte mich ungläubig. Fand aber schnell heraus, dass es mein Ernst gewesen war. Ein warmer, vertrauensvoller Glanz trat in seine Augen und er schlang seine Arme um meinen Hals.
 

„An was für eine Handlung hattest du denn gedacht?“, fragte er grinsend, und stupste meine Nase neckisch mit der seinen an.
 

Ich zog ihn noch ein Stückchen näher zu mir heran, streifte flüchtig seine Lippen und hauchte: „Es wird dir sicher gefallen.“
 

„Ja?“
 

„Mhm.“ Sanft küsste ich ihn, und genoss einen Moment einfach nur die Wärme seines wohlgeformten Mundes, bevor ich begann meine Lippen zärtlich gegen seine zu bewegen. Taro ging sofort darauf ein, und seufzte hörbar zufrieden in den Kuss.
 

Als sich unsere Lippen wenig später wieder von einander trennten, wirkte er rundum glücklich. „Das kannst du gerne wiederholen!“
 

„Keine Sorge, das hab ich vor!“, versicherte ich ihm grinsend und konnte nur schwer widerstehen, es sofort zu tun. Erst mal würde ich uns sicherheitshalber ins Bett verfrachten.
 

Ich zog ihn komplett auf meinen Schoß, schob seine Beine vorsichtig um meine Hüfte, schlang meine Arme um ihn und stand leichte schwankend auf.
 

„Wegen der paar Kratzer bin ich noch lange nicht bewegungsunfähig“, murrte er, schmiegte sich dennoch behaglich an mich.
 

„Ich weiß“, sagte ich, waren die Erinnerungen an die Diskussion über die Bewältigung des Nachhauseweges doch noch mehr als frisch. „Ich dachte nur, es wäre der beste Weg dich möglichst nahe bei mir zu behalten.“
 

Das war der andere Teil der Wahrheit. Ich hatte das Gefühl, wenn ich ihn jetzt losließe, würde ich etwas ganz wichtiges verlieren.
 

„Gute Ausrede!“, erklärte er vergnügt, und begann zärtlich an meinem linken Ohr zu knabbern. Ein Grund ihn gleich noch ein bisschen fester an mich zu drücken. Das fühlte sich verdammt gut ein. „Nur um das gleich von vornherein klar zu stellen: Meine Größe ist kein Grund, warum ich mich von dir dominieren lassen sollte!“
 

Ich grinste, während ich mich behutsam mit ihm ins Bett sinken ließ. Sehr darauf bedacht Taros Verletzungen nicht mit meinem Körper zu belasten. „Nein, bestimmt nicht!“, versicherte ich aufrichtig. „Das wirst du so oder so freiwillig tun!“
 

„Ach ja?“, fragte er herausfordernd, vergrub seine Hände in meinen Haaren und zog meinen Kopf zu sich herunter, bis sich unsere Nasenspitzen berührten. „Du scheinst dir da ja sehr sicher zu sein.“
 

„Ja“, sagte ich bestimmt. Denn etwas anderes wollte ich nicht. Ich legte den Kopf leicht schief, überbrückte das letzte Stück, das unsere Lippen noch trennten und küsste ihn kurz, aber intensiv.
 

„Ich habe das Gefühl, dass das noch eine ziemlich ausgedehnte Diskussion wird. Lass uns das auf einen späteren Zeitpunkt verschieden!“, meinte er, sah mir dabei tief in die Augen und ich bemerkte sofort das Versprechen, das ihn den dunkelgrünen Weiten funkelte. Ich hatte von der ersten Sekunde an gewusst, dass es nicht leicht werden würde.
 

Ehe ich darauf noch etwas sagen konnte, zog er meinen Kopf zu sich herunter. Taro presste verlangend seine Lippen auf die meinen, nutzte mein überraschtes Keuchen aus, um mit seiner Zunge in meinen Mund einzudringen und begann dort so besitzergreifend zu räubern, dass mir im ersten Moment die Luft wegblieb.
 

Ja, definitiv, ich liebte ihn.

Du und ich - zusammen

Hi!
 

Hier ist also der Schluss der Geschichte. Wie viele sich wohl schon gedacht haben aus Taros Sicht.
 

Ich danke allen, insbesondere den netten Reviewschreibern, die die Geschichte bis hierhin begleitet haben und hoffe, dass das Lesen Spaß gemacht hat.
 

Viel Freude mit dem Epilog!
 

LG Kyra
 

---
 

Epilog: Du und ich - zusammen
 

Warum genau war ich noch mal hier?
 

Ich starrte an die mit Holzpaneelen verkleidete Decke, als ob ich dort eine Antwort finden würde. Der Raum war groß, das Bett ebenso. Es war angenehm weich und kuschelig warm.
 

Trotzdem war es exakt dieser Moment, in dem ich mich, seitdem ich diesem Skiurlaub zugestimmt hatte, zum ersten Mal wieder fragte, warum ich das noch mal getan hatte. Beides war Totos Schuld. Ohne Frage. Und das es gerade jetzt soweit war, lag wohl unter anderem an meinem leicht schmerzenden Arsch. Auch Totos Schuld.
 

Irgendetwas stimmte nicht. Definitiv. Ich war nie so nachgiebig wie in den letzten Tagen gewesen. Selbst ihm gegen über nicht. Oder gerade ihm gegenüber nicht? ... In diesem Bezug wohl eher letzteres.
 

Vielleicht hatte er mir unauffällig etwas in den Kaffee gemischt. Möglicherweise machte mich Weihnachten sentimental. Oder ich war einfach nur hoffnungslos in ihn verliebt.
 

Aber musste ich mir das wirklich bieten lassen?
 

Seufzend verschränkte ich meine Arme hinterm Kopf und schaute in sein entspanntes, selbstzufriedenes Gesicht. ... Das sich warm an meine Brust schmiegte. Eine Hand lag auf meiner linken Schulter, die andere ruhte an meiner rechten Seite. Sein Anblick war durchaus niedlich zu nennen.
 

Dennoch ... Ich überlegte erneut kurz, fand aber immer noch keinen Grund, der dieses Verhalten rechtfertigte. Nein, eindeutig, das war zu viel. Auch wenn das Gefühl, das sein warmer Atem auf meiner Brust hinterließ, zweifellos angenehm war.
 

Aber verdammt, deswegen musste ich es mir noch lange nicht bieten lassen, mich, nachdem ich schon nachgegeben hatte und er mich flachgelegt hatte, zu seinem Kopfkissen degradieren zu lassen. Obwohl ich ihn liebte. Er wirklich niedlich aussah. Und sein Atem ein Prickeln auf meiner Haut verursachte.
 

Wäre es anders herum gewesen. Okay, kein Problem. So jedoch war das hier, da ich schon in Fragen Weihnachtsgeschenke, Winterurlaub, Belacisbesuch und gestern Abend schlussendlich Sex nachgegeben hat, schlichtweg zu viel.
 

Wenn ich mich schon von ihm vögeln ließ, konnte er mich wohl danach wenigstens in den Arm nehmen. Punkt. Das war nicht weiter diskutierbar. Selbst wenn der Sex in der Position besser gewesen war, als ich es mir je hätte erträumen können. Und Toto für seine sonstigen Verhaltensweisen erstaunlich wenig ungestüm gewesen war. Es änderte nichts.
 

Entschlossen rüttelte ich an Totos Schulter. Er brummte widerwillig, schlug aber letztendlich seine Augen auf, als ich nicht lockerließ.
 

„Was is n los?“, fragte er mehr als verschlafen. Wenn ich nicht aufpasste, nickte er mir so wieder ein.
 

„Du benutzt mich als Kopfkissen!“, antwortete ich und schaute ihn wenig begeistert an.
 

„Du bist ziemlich bequem“, nuschelte er an meiner Brust, setzte sich, als er meinem Blick begegnete, auf und murmelte, während er sich müde seine Augen rieb: „‘Schuldigung.“
 

Obwohl mein Hintern wieder stärker zu schmerzen begann, richtete ich mich ebenfalls auf. So war ich wenigstens halbwegs auf Augenhöhe. Toto kannte mich lange und gut genug, um sofort zu bemerken, wann ich Schmerzen hatte. Deshalb überraschte es mich wenig, als er entschuldigend erklärte: „Ich hab dir weh getan. Tut mir leid. Das war nicht meine Absicht.“
 

„Das ist nicht das Problem!“, erwiderte ich und pikste ihm mit einem Finger in die Brust. „Wenn ich schon nachgebe, dann sorg zumindest dafür, dass ich es nachher nicht bereue. Der Sex war wirklich phänomenal, aber das ist nicht alles!“
 

„Ich ...“, setzte Toto an, aber ich unterbrach ihn, indem ich zwei Finger hob. „Zwei Möglichkeiten: Flachlegen lassen und in den Arm genommen werden oder flachlegen und in den Arm nehmen.“
 

Damit ließ ich mich wieder in die Laken sinken. Auch so sah ich, dass er mich dermaßen entsetzt ansah, als hätte ich ihm die Wahl zwischen Pest und Cholera gelassen.
 

Wenn es etwas gab, das zu Makato Kitano überhaupt nicht passte, dann waren es Schmerzen, insbesondere körperlich. Nichts ging er mehr aus dem Weg, als Schmerzen. Er begab sich gerne mal in Situation, wo des Öfteren welche lauerten, aber immer nur dann, wenn er das Risiko durch meine Gegenwart genügend minimiert sah.
 

Im ersten Moment, als ich begriffen hatte, was der Grund dafür war, dass er nicht mal in Erwägung zog, sich von mir dominieren zu lassen, hatte ich gelacht. Einfach, weil es so logisch war, und ich es nicht schon früher begriffen hatte. Im zweiten hatte ich sofort nachgegeben. Wenn ich ihn jemals unter mir haben wollte, dann musste ich ihm seine Angst nehmen können. Und das war nur möglich , wenn ich wusste, wie es war.
 

„Hey“, murmelte ich und streckte mein Hand nach seiner Wange aus, obwohl ich wusste, dass mein Arm dazu zu kurz war. „Ich liebe dich!“
 

Toto beugte sich über mich, sah mich entschuldigend und zugleich traurig an. Ich lächelte vertrauensvoll und liebkoste sanft seine Wange. Ich hasste es, wenn er niedergeschlagen war. „Es ist ... Du weißt ...“ Er brach ab.
 

„Ja, ich weiß. Sperr dich nicht dagegen, es würde dir gefallen!“ Toto wollte protestieren, ich strich mit meinem Daumen über seine Lippen, und er ließ mich weiterreden. „Es muss nicht heute sein, auch nicht morgen oder übermorgen. Nur verweigere nicht den Gedanken. Ich weiß, dass ich dafür sorgen kann, dass du wohlig stöhnend unter mir liegst. Vertrau mir, wenn ich es versuche. Du weißt, es gibt nichts, was ich weniger vertrage, als dich leiden zu sehen.“
 

Toto lächelte wieder leicht. Zärtlich begann er mich zu küssen und zog mich in seine Arme. „Ich werd mir Mühe geben, versprochen!“, wisperte er gegen meine Lippen, küsste mich noch einmal kurz, ehe ich mich zufrieden an seine Brust schmiegte und er seinen Kopf in meine Haare bettete.
 

„Du bist das beste, was mir je passiert ist, mein Engelchen“, murmelte er.
 

„Du sollst mich nicht so nennen!“, murrte ich.
 

„Ich weiß!“, erklärte er, und ich brauchte ihn gar nicht anzusehen, um zu wissen, dass er grinste. „Und dir ist klar, dass ich meine Meinung trotzdem nicht ändern werde!“
 

Ich seufzte. Wenigstens ist er wieder ganz er selbst, dachte ich und antwortete mit einem knappen „Ja.“
 

Unsere letzte Diskussion hatte mir deutlich gezeigt, dass er auch weiterhin auf seinem Standpunkt beharren würde. Toto hatte gesagt, meine Einstellung zum Leben, meine Ideale wäre gerade wegen meiner missratenen Vergangenheit so bewundernswert. Ich wäre sehr gutmütig, würde helfen, wo ich konnte und wäre dabei manchmal regelrecht selbstlos. Gewalt vermiede ich, aber wenn es darauf ankam, kämpfte ich für das, was mir wichtig war.
 

Seine Meinung schmeichelte mir. Trotzdem stimmte ich nicht völlig mit ihm überein. Ja, teilweise war mein Charakter ein Wunder, wenn man bedachte, dass die ersten Jahre meines Lebens alles daran gesetzt worden war, mich zu einem Auftragskiller zu erziehen. Doch dieses Wunder hätte ich ohne Makato nie vollbracht.
 

Aber öfter als er dachte, handelte ich egoistisch. Auch in den Situationen, die er beschrieb. Ich würde es nicht ertragen, ihn zu verlieren. Wüsste ich mit Bestimmtheit, dass er tot wäre, würde mich nichts mehr auf dieser Welt halten.
 

Meine Freunde waren mir wichtig. Doch Toto war mein Leben. Ich brauchte ihn. Und ich hatte Angst ihn zu verlieren. Wenn es auch nicht für ewig war.
 

Bei dem Gedanken, dass schon eine gute Hälfte seines Aufenthalts hier bei mir um war, wurde mir etwas mulmig zu Mute. Auch wenn ich wusste, dass er sich etwas einfallen lassen würde. Er hatte es versprochen. Ich wusste sofort, dass es stimmte. So schnell wie möglich würden wir wieder vereint sein.
 

„Toto“, murmelte ich und schmiegte mich vertrauensvoll an seinen warmen Körper.
 

„Ja?“
 

„Ich liebe dich!“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (32)
[1] [2] [3] [4]
/ 4

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Inan
2009-10-11T15:51:06+00:00 11.10.2009 17:51
Tolles Ende <3
Was ist jetzt eig mit Makatos Vater?
Von:  Inan
2009-10-11T15:45:08+00:00 11.10.2009 17:45
Jaaaaaah! *Taro♥Toto-Fahne schwenk*
Das Beste Kapi überhaupt, wenn du mich fragst! <3
Von:  Inan
2009-10-11T15:16:57+00:00 11.10.2009 17:16
OMG Das ist sooo süß♥
Jetzt müssen die Beiden sich nur noch dazu aufraffen, sich ihre Liebe zu gestehen und Totos Vater erledigen,
dann ist ja alles gut! xD
Nur das mit dem Liebsegeständnis dürfte schwierig werden...
Hat Taro eig gecheckt, dass er verknallt ist?
Von:  Inan
2009-10-11T15:02:17+00:00 11.10.2009 17:02
Was ist der Gedanke(Die "Wahrheit" xD)???
Los sag!
*bettel und fleh XD*
Naja, dann les ich halt
Von:  Inan
2009-10-11T14:50:04+00:00 11.10.2009 16:50
Makato ist Martin? O___o
Und sein Vater will ihn von Taro trennen?
Jetzt bin ich überascht!
Klar, die Gewohnheiten waren die selben, aber...
Maaan, ich kann mir das garnicht richtig vorstellen!! >.<
Naja, eigentlich klingt ja logisch^^
Von:  Inan
2009-10-11T14:38:24+00:00 11.10.2009 16:38
Ich wette, Martin hat das mit dem Date ernst gemeint xD
Ma gucken, was dann pssiert :P
Was Makato wohl dazu sagen würde?
Von:  Inan
2009-10-11T14:30:26+00:00 11.10.2009 16:30
Hey Martin bringts!
Wenn Taro jemand aus seinem Tief holt, dann Martin!
Aber ob er nicht wieder irgendwie Rückfällig wird oder so ist ne andere Frage
Von:  Inan
2009-10-11T14:22:37+00:00 11.10.2009 16:22
Das ist süß!
Ich wette martin hilft ihm über Makatos "Tod" hinweg xD
Warum hat der denn jetzt seinen Tod inzseniert?
Von:  Inan
2009-10-11T14:11:57+00:00 11.10.2009 16:11
Martin hätte von mir echt was zu hören gekriegt, wenn er mir so auf die nerven gehen würde, kurz nach dem mein bester Freund gestorben ist xD
Naja, hat er wahrscheinlich auch, aber ihm macht sowas ja nix aus ne xD
Ne Taro tut mir echt leidt!
Von:  Inan
2009-10-11T14:03:33+00:00 11.10.2009 16:03
Warum hat er seinen Tod vorgetäuscht?
Interessanter Abfabg!


Zurück