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Traum oder Wirklichkeit?

von

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Prolog

Dean lag auf weichem harten Polstern. Es war warm und zugleich doch kalt. Die Bequemlichkeit war falsch und die Wärme war trügerisch. Beim ersten Gefühl würde man sagen, dass es schön war, doch wenn man genauer hinschaute, konnte man das Gegenteil erkennen.
 

Die weißen Polster, die ihn umgaben, verspotteten ihn. Zeigten ihm, dass er nichts tun konnte. Nicht das, was er wollte. Und dann war da diese riesige Tür. Sie war aus massivem Stahl. Kein Fünkchen Licht drang hindurch, kein Zug Luft. Man fühlte sich, als ob man in diesem Raum erstickte. Doch so war es nicht, es war nur ein Gefühl.
 

Das Gefühl eines Gefangenen. Denn Dean Winchester war gefangen. Er konnte nicht hinaus, das hatte er schon versucht. Er wusste nicht, wie er hierher gekommen war oder was er hier überhaupt zu suchen hatte. Es war seltsam. Die letzten zehn Minuten hatte er sich die Seele aus dem Leib geschrieen, doch niemanden schien das nur im Geringsten zu interessieren. Es war keiner gekommen, keiner hatte nach ihm gesehen. Kurz hatte er vermutet, dass einfach niemand da war. Dass diese ganze Station verlassen war.
 

Nun aber lag er ruhig in der Ecke, lauschte den Geräuschen von draußen, denn er war definitiv nicht alleine. Zuerst war es still gewesen. Eine bedrückende Stille. Dann hörte er in der Ferne Schreie, angstvolle Schreie, wütende Schreie und verzweifelte Schreie. Dean schluckte. Wo war er hier nur gelandet?

Auch diesen armen Menschen schien keiner zu helfen. Sie ließen sie einfach ihren Frust von der Seele schreien. Das konnte man mal Therapie nennen. Denn Dean glaubte langsam zu wissen, wo er war. In einer psychiatrischen Anstalt. Solche Zellen hatte er bisher nur in Filmen gesehen. Selbst in einer zu sitzen, hätte er nie zu Träumen gewagt.
 

Aber er konnte nichts tun. Hier gab es keinen Ausweg. Er konnte nur still den Schreien zuhören. Was sie sagten, konnte er jedoch nicht verstehen. Doch dann hörte er noch ein anderes Geräusch. Es klang so, als ob jemand gegen die Türen hämmern würde. „Haltet endlich die Klappe“, schrie daraufhin jemand. Jemand, der wohl in keiner Zelle saß.
 

Blitzschnell stand Dean an seiner Tür, hämmerte von dieser Seite dagegen. „Hallo?“, rief er. „Bitte, sie müssen mir helfen. Ich gehöre nicht hierhin. Ich weiß nicht einmal, wie ich hierher gekommen bin. Ich bin nicht verrückt.“

Darauf folgte ein lautes Lachen, direkt vor seiner Tür. „Netter Versuch, Bursche“, drang seine Stimme durch die Tür. „Aber wenn ich jedes Mal einen Dollar für diesen Satz bekommen würde, wäre ich schon längst reich und müsste hier nicht mehr den Boden wischen.“
 

Wütend trat Dean gegen die Tür. „Hören sie zu. Mir ist ganz egal, wer sie sind und was sie hier verloren haben. Ich weiß nur, dass ich nicht hier sein sollte. Ich müsste jetzt eigentlich in irgendeinem Motel bei meinen Bruder sein, so wie jede Nacht. Also lassen sie mich gefälligst hier raus.“
 

Kurz war es still und Dean hatte die Hoffnung, dass der Kerl wirklich auf ihn hören würde. Er konnte wohl manchmal doch überzeugend sein. „Tut mir leid, aber ich darf nicht mit den Patienten reden. Steht so in meinen Vertrag. Ich will doch nicht gefeuert werden.“
 

„Ich gebe ihnen alles, was sie wollen. Ich kann ihnen alles besorgen“, versuchte Dean es ein letztes Mal. „Sie müssen es mir nur sagen. Ich muss hier unbedingt raus, hören sie?“ Doch darauf folgte keine Antwort mehr. Der Hausmeister war wohl weiter gegangen.
 

Sauer trat Dean noch ein paar weitere Male gegen die Tür, das ihm allerdings nur einen schmerzenden Fuß einbrachte. Hier kam er nicht raus, nicht ohne fremde Hilfe und wie es schien wollte ihm hier keiner helfen. Ein Patient. Wenn das wohl mal keiner schlechter Scherz war. Er war nicht verrückt, zumindest nicht so verrückt. Seinem Bruder hatte er zwar schon mehrmals gesagt, dass sie nicht mehr alle Tassen im Schrank hatten, aber sie waren noch lange kein Fall für die Klapsmühle. Und für eine Hochgesicherte erst recht nicht. Diese Zelle sah ja fast schon danach aus, als ob er sich sonst selbst verletzen würde.
 

„Lasst mich hier raus“, schrie er noch einmal und ließ sich dann resigniert auf den Boden nieder. Es würde ihn keiner befreien. Er konnte nur hoffen, dass Sam schon nach ihm suchte. Das war seine einzige Chance.
 

Er zog seine Beine an und stütze seinen Kopf darauf ab. Schlafen konnte er in dieser Situation unmöglich. Jetzt hieß es warten. Warten darauf, dass ihn jemand aus dieser Lage befreite.
 

Und er musste nicht lange warten. Er hörte Schritte, die näher kamen. Es hörte sich fast so an, als ob es mehrere Personen wären. Der Sehschlitz in der Tür wurde aufgeschoben. Langsam hob Dean den Kopf und schaute in zwei blaue Augen. Irgendwie kamen ihm diese Augen bekannt vor, doch er konnte nicht sagen, wo er sie schon mal gesehen hatte. Dann folgte ein anderes Augenpaar, das wiederum von einem anderen Augenpaar abgelöst wurde. Dean fühlte sich wie ein Tier im Zoo.

„Das ist Dean Winchester“, fing einer der Drei an zu erklären. Die Stimme kam Dean auch bekannt vor, doch er hatte diese Nacht schon genug erlebt, um jetzt intensiver darüber nachdenken zu können. „Er ist schon seit längerem unser Patient und sein Fall ist sehr kompliziert. Wirklich traurig, was ihm widerfahren ist.“

1

Dean stand im Badezimmer, vor dem Spiegel. Er hatte geglaubt, dass eine ordentliche Ladung kalten Wassers seine Stimmung bessern könnte. Das war jedoch ein Irrtum gewesen. Noch immer spukte ihm dieser merkwürdige Traum im Kopf herum. Er in einer Irrenanstalt. Was ihm sein Unterbewusstsein wohl damit sagen wollte? Aber der Traum an sich beschäftigte ihn nicht so sehr, sondern eher, dass er sich so verdammt real angefühlt hatte. Dean hatte wirklich das Gefühl gehabt, dort gewesen zu sein. So eine Erfahrung wünschte er sich dann doch eher bei seinen speziellen Träumen. Das wäre doch bestimmt nicht verkehrt.

Plötzlich hämmerte jemand gegen die Tür. Für eine Sekunde fühlte er sich in seinen Traum zurückversetzt. „Hey, Dean“, dröhnte dann jedoch die etwas genervte Stimme seines Bruders an sein Ohr. „Wie lange willst du da noch drin hocken? Ich muss mal dringend aufs Klo.“

Dean riss die Tür auf und grinste seinen Bruder entgegen. „Nicht so stürmisch, Prinzessin, du wirst noch genügend Zeit für deine Körperpflege haben.“

Sam ignorierte diese Sticheleien und schob sich an seinem älteren Bruder ins Badezimmer. Hinter sich trat er mit dem Fuß gegen die Tür, um diese zu verschließen.

„Ich hole uns kurz was zum Essen“, rief Dean, schnappte sich seine Jacke und trat nach draußen an die frische Luft. Er atmete einmal tief ein. Spürte, wie ihm die Luft gut tat und ihn ein wenig ablenkte. Immer noch musste er an diesen stickigen Raum denken, wie er gefangen gewesen war. Und das Gefühl, völlig hilflos zu sein.

Dean zog seine Jacke an und strich sich einmal mit der Hand quer über das Gesicht. Er musste aufhören, sich darüber Gedanken zu machen. Es war nur ein Traum gewesen. Ein verdammter Traum. Und da er nicht die Gabe von Sam besaß, würde es wohl auch immer ein Traum bleiben.

Mit schnellen Schritten machte er sich auf den Weg zur Tankstelle, die sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand. Es würde kein Festmahl werden, aber das waren die beiden Winchesters schon gewohnt.

Der Kassierer war viel zu fröhlich. „Guten Morgen“, strahlte er Dean entgegen und Dean hätte ihm am liebsten für so viel Heiterkeit eine aufs Maul gegeben. Er war einfach nicht in der Stimmung, das zu ertragen. Schnell suchte er sich die Dinge zusammen, die er brauchte. Zwei Sandwichs, zwei Kaffee. „Und, wie geht es Ihnen heute an so einem wundervollen Tag?“, wagte der kleine Kerl hinter der Kasse doch tatsächlich ein Gespräch.

Dean warf ihm nur einen bösen Blick zu und meinte: „Fragen sie nicht.“

Davon ließ sich der Kassierer jedoch noch lange nicht abwimmeln. „Warum denn so schlechte Laune?“, fragte er in einer Tonlage, mit der man sonst nur mit Kindern sprach.

Dean musste sich sehr zusammen reißen, um den Kerl nicht wirklich seine Faust ins Gesicht zu schlagen. Stattdessen klatschte er das Geld auf den Tresen, schnappte sich seine Sachen und sagte: „Behalten sie den Rest.“ Er wollte einfach nur weg von diesem Kerl.
 

„Und, wie sieht es mit den Nachforschungen aus?“, mampfte Dean vor sich hin. Auf den Fall konzentrieren. Das war wohl jetzt das Intelligenteste. Diesen verdammten Traum einfach vergessen.

Sam nahm noch einen Schluck Kaffee. „Da muss man nicht viel überprüfen. Eigentlich ziemlich deutlich. Drei Leichen, allen fehlte das Herz. Der Mondzyklus stimmt auch.“ Sam sah seinen Bruder an.

„Wir gehen dann also heute Nacht auf Werwolfjagd?“, fragte er freudig. Das Beste, was er seit gestern gehört hatte. Wie konnte man besser Dampf ablassen, als einem Werwolf eine Silberkugel ins Herz zu schießen.

Sam nickte. „Ja. Und wir sollten in dem Park anfangen. Die letzten zwei Leichen wurden dort gefunden. Hoffen wir, dass er heute Nacht auch dort auf Futtersuche gehen wird.“ Er warf noch einen raschen Blick zu seinem Bruder. Irgendwie wirkte er seltsam. „Hey, Dean, ist alles okay mit dir? Du siehst nicht sehr gut aus.“

Dean erschrak bei der Frage. Sah man es ihm so deutlich an? Aber er versuchte sich nichts anmerken zu lassen. „Ich habe nicht so gut geschlafen letzte Nacht“, log er.

Sam zog eine Augenbraue hoch. Sein Bruder sagte nicht die Wahrheit, denn Sam selber hatte letzte Nacht kaum geschlafen und Dean war auf jeden Fall sehr tief in seinen Träumen gewesen. Aber wenn Sam jetzt nachfragte, gab es nur wieder eine längere Diskussion, so entschied sich Sam dafür, es erst mal auf sich beruhen zu lassen und sollte er in den nächsten Tagen noch etwas bemerken, konnte er es immer noch ansprechen. Besonders heute hieß es konzentrieren, denn diese Nacht war die letzte Möglichkeit den Werwolf zu fangen, sonst müssten sie in einem Monat wiederkommen.

„Vielleicht solltest du dich dann noch etwas hinlegen, bevor wir heute Abend jagen gehen“, sagte er deshalb.

Dean zuckte mit den Schultern. „Ja, vielleicht.“ Eigentlich dachte er keine Sekunde daran, sich hinzulegen. Er war nicht wirklich müde und auf einem Traum der gleichen Art konnte er gerne verzichten. „Aber ich glaube, ich gehe lieber etwas spazieren.“ Somit stand Dean auf, schnappte sich erneut seine Jacke und verschwand durch die Türe.

Sam schaute ihn nur verwirrt nach. Seit wann ging Dean Winchester denn spazieren?
 

Dean schaute kurz zu seinem Wagen. Er könnte etwas durch die Gegend fahren, aber eigentlich hatte er darauf keine Lust. Ihm gefiel die frische Luft, die Möglichkeit zu haben, überall hinzugehen, wohin er wollte. So ging er einfach los, in keine bestimmte Richtung, nur dahin, wohin ihn seine Füße trugen.

Er konnte nicht sagen, wie lange er schon unterwegs war, bis er sich in irgendeinem Park auf eine Bank setzte. Vermutlich war es sogar der Park, in dem sie heute Nacht jagen wollten.

Dean beugte sich vor, vergrub sein Gesicht in seinen Händen. „Konzentrier dich, Mann“, sagte er in Gedanken zu sich selbst. „Du darfst dich von so einem Scheiß doch nicht ablenken lassen.“ Dean fragte sich, warum ihn das ganze so sehr beschäftigte. Immerhin war es nur ein Traum gewesen. Ein Traum, der keine Bedeutung hatte.

„Geht es ihnen nicht gut?“ Dean kannte die Stimme nicht, die eindeutig von einer Frau zu kommen schien. Er richtete sich auf und sah einer Frau im mittleren Alter in die Augen. Sie hatte sich neben ihm gesetzt. Viel zu alt für ihn, aber ihr Lächeln war offen und freundlich.

Dean schüttelte den Kopf. „Nein, mir geht’s bestens, nur spukt mir einiges im Kopf herum.“

„Ach, ihnen etwa auch?“ Ihre Stimmt klang so, als ob sie sich wohl eine Erwiderung wünschte. Dean hatte keine besonders große Lust, jetzt mit einer Fremden ein Gespräch anzufangen. Er hatte größere Sorgen, aber sie ließ sich wohl nicht davon abringen, denn sie redete einfach weiter: „Früher war das hier ein wirklich netter Ort gewesen. Schön friedlich und ruhig. Heutzutage hört man nur noch schlechtes über den Park. Überfälle und Verbrechen. Das scheint wohl heute Alltag geworden zu sein. Besonders in den letzten Tagen. Ich frage mich nur, wer zu so etwas überhaupt fähig ist?“

Ein Werwolf, dachte Dean, hütete sich aber, das vor der alten Frau zu erwähnen. Vermutlich hätte sie noch einen Herzinfarkt gekriegt. „Hören sie, ich möchte nicht unhöflich sein, aber-“

„Natürlich, sie haben ihre eigenen Sorgen. Es tut mir leid, wenn ich sie belästigt haben sollte. Das war bestimmt nicht meine Absicht.“ Sie stand auf und wandte sich zum Gehen. Ihre Handtasche hielt sie dabei fest umklammert, als ob sie Angst hätte, dass sie gestohlen würde. Ihre ganze Haltung war verkrampft, wie Dean jetzt bemerkte.

„Bleiben sie sitzen“, sagte er, bevor er richtig darüber nachgedacht hatte. Was tat er hier eigentlich? War das nicht sonst Sams Fachgebiet?

Sie lächelte leicht. „Vielen Dank, aber ich möchte ihnen nicht zur Last fallen.“

Nun lächelte auch Dean breit. „Das tun sie bestimmt nicht, Miss.“ Er wusste nicht wieso, aber die alte Frau war ihm irgendwie sympathisch. Ihre Stimme hatte einen angenehmen Klang und er konnte die Bilder in seinem Kopf für kurze Zeit vergessen.

„Wissen sie, mein Sohn wurde hier letztens überfallen, seitdem bin ich jeden Tag hier und versuche zu verstehen, wieso das passiert ist, warum das geschehen musste.“

Dean schluckte. Mitleid war noch nie eine seiner Stärken gewesen. „Tut mir leid“, versuchte er so ehrlich und mitfühlend wie möglich seine Anteilnahme auszudrücken.

„Die Polizei hat noch keine Hinweise. Es ist schrecklich, was meinem Peter angetan wurde, aber ich habe auch Angst, dass es so weitergehen wird. Wie viele Mütter müssen ihre Kinder wohl noch verlieren, bis es ein Ende hat?“

Diese Frau gefiel Dean immer mehr. Sie hatte zwar einen schweren Schicksalsschlag erlitten, dachte jedoch immer noch an andere Menschen. Wirklich bewundernswert.

Und er saß hier auf einer einsamen Bank und machte sich Gedanken über so einen bekloppten Traum. Er war ein Jäger, er hatte auf jeden Fall etwas Besseres zu tun. Somit stand er auf, wandte sich noch kurz an die nette Dame. „Hat mich gefreut, mich mit ihnen zu unterhalten, aber ich fürchte ich muss jetzt gehen.“ Fast schon war er gegangen, als er sich jedoch noch ein weiteres Mal zu ihre umdrehte. „Und ich bin mir sicher, dass die Überfälle bald aufhören werden. Das habe ich irgendwie im Gefühl.“ Er lächelte ihr zum Abschied noch einmal zu und machte sich dann zurück auf den Weg ins Hotel.
 

Einige Stunden später befand er sich wieder in dem Park. Dieses Mal aber mit Waffen und Munition bewaffnet. Sam hatte ihn bei seiner Rückkehr nur schief angeschaut, aber glücklicherweise nichts mehr gesagt, zumindest nicht, als sich Dean bereit erklären ließ, noch eine Runde zu schlafen. Natürlich hatte er nur so getan. Nicht im Traum dachte er daran, einzuschlafen. So hatte er die letzten drei Stunden mit „schlafen“ verbracht. Dean fühlte sich wirklich ein bisschen ausgeruhter, obwohl ihn das doch sehr wunderte. Zwanghaftes wach bleiben konnte man wirklich nicht als erholsam bezeichnen.

Nun jedoch musste er wach sein. Seine Sinne waren auf schärfste angespannt. Sein Blick wanderte in die Schatten der Bäume, bereit, bei der kleinsten Bewegung zu reagieren. Dean war ein Soldat, ein Soldat, der auf alle möglichen Situationen vorbereitet war.

Es war nun schon beinahe Mitternacht. Um diese Uhrzeit hatten bisher alle Überfälle stattgefunden. Dean hoffte nur, dass der Werwolf auch heute Nacht hier jagen würde. Sonst müssten sie noch einen Monat warten und dann könnte der Werwolf schon längst weiter gezogen sein. Heute Nacht war also ihre letzte Chance. Das wussten die Winchesterbrüder und so verhielten sie sich auch.

Der Weg war spärlich beschienen. Dean fragte sich, ob es früher wirklich so friedlich war, wie die alte Frau berichtet hatte. eigentlich war das hier ein perfekter Ort für Verbrecher. Um diese Uhrzeit kamen bestimmt nicht viele Leute vorbei und selbst wenn man um Hilfe schrie, würde es einige Zeit dauern, bis jemand kommen konnte, wenn man überhaupt gehört werden würde.

Also auch ein perfekter Ort für einen Werwolf, um seinen Hunger zu stillen. Und heute gab es direkt zwei Leckerbissen als Köder. Obwohl dem Werwolf diese Mahlzeit wohl nicht so gut bekommen würde. Dean grinste bei der Vorstellung, gleich ordentlich Dampf ablassen zu können. Eine ordentliche Prügelei, ein Höllenwesen dahin schicken, wo es hingehörte, das waren alles Dinge, die einem super entspannen konnten. Naja, zumindest, wenn man Dean Winchester hieß.

Eine Gabelung des Weges war die erste Hürde des Abends. Rechts oder links? Immer diese schweren Entscheidungen, dachte Dean.

„Ich gehe rechts und du links“, nahm Sam ihm die Sache ab.

„Was?“ Verdattert drehte sich Dean zu seinem jüngeren Bruder um. „Wir werden uns nicht trennen“, sprach er den Befehl aus.

Sam verdrehte nur die Augen. „Heute ist unsere letzte Chance, den Werwolf zu fangen und ich kann sehr gut auf mich alleine aufpassen.“

Dean ließ sich kein bisschen von Sams Hundeblick beeinflussen. „Kommt gar nicht in Frage. Wir bleiben zusammen“, war sein letztes Wort. Er zeigte nach links und ging los.

Sam hätte noch mehr Argumente vorbringen können, aber sie hatten nicht mehr viel Zeit und er wollte nicht noch mehr davon unnötig verschwenden. So folgte er seinem Bruder. Vermutlich war es sowieso egal, wo lang sie gingen, da sie im Moment weit und breit die einzige Beute waren, die der Werwolf bekommen konnte. Wahrscheinlich würde er eher ihnen auflauern, als anders herum. Sie mussten auf der Hut sein.

Ein Geräusch ließ Sam aufhorchen. Es war eindeutig keine Einbildung gewesen. Das verrieten ihm seine scharfen Jägerinstinkte und die Tatsache, dass auch Dean sich aufmerksam umschaute. Das Wesen konnte nicht mehr weit entfernt sein. Vermutlich war es sogar ganz in ihrer Nähe, irgendwo im Gebüsch zwischen den Bäumen.

Dean schaute sich hochkonzentriert um. Die Dunkelheit und die vielen Versteckmöglichkeiten machten ihnen die Jagd nicht gerade einfach. Er ließ seine Taschenlampe über die nahe gelegenen Sträucher wandern. Keine auffälligen Schatten oder Bewegungen, jedoch hieß es noch lange nicht, dass der Werwolf nicht hier irgendwo war.

Immer im Kreis drehend und die Pistole auf Anschlag. So konnte man nicht überrascht werden oder doch, wenn der Werwolf plötzlich direkt hinter einem stand oder hinter seinem Bruder, mit erhobener Klaue.

„Sam, pass auf!“, schrie Dean, wobei er wusste, dass es vermutlich schon zu spät war.

2

„Sam!“, schrie Dean und wollte zu seinem Bruder rennen, ihn vor dem Werwolf beschützen, der plötzlich hinter ihm aufgetaucht war. Doch Sam stand nicht mehr dort, der Werwolf war weg und Dean war nicht mehr im Park. Stattdessen schaute er auf eine triste graue Decke. „Sam“, rief er ein weiteres Mal, da er die momentane Situation noch nicht ganz erfasste, sie gar nicht wahrhaben wollte. Er wollte aufstehen, weg von diesem Ort, doch er stellte fest, dass er sich nicht bewegen konnte. Ein rascher Blick an seinem Körper hinunter, verriet ihm, dass er festgeschnallt war. An einem Bett. Er ruckelte noch ein paar Mal herum, aber die Riemen wollten sich nicht lösen, nicht mal ein wenig lockern.

Es war wieder die gleiche Situation. Er war gefangen, konnte nichts dagegen tun. Aber diesmal musste er zurück. Sammy war in Gefahr.

„Hilfe, Hilfe“, schrie er, in der leisen Hoffnung, dass ihn jemand hören würde. Jemand, der ihm auch wirklich helfen würde. Und tatsächlich, es kam jemand.

„Dean, beruhige dich“, sagte dieser mit einer tiefen Stimme. Und jetzt, wo Dean ihn vor sich sah, wusste er auch, dass es die gleiche Person war wie beim letzten Mal.

„Cas?“, fragte Dean irritiert. Es war eindeutig Castiel, doch er sah verändert aus. Statt dem Trenchcoat trug er einen weißen Kittel. Seine Haare waren gekämmt. Sein ganzes Erscheinungsbild wirkte viel gepflegter. Wenn das wirklich Castiel war, dann hatte ihm aber jemand Hygiene und Anstand beigebracht. „Was machst du – ach egal, bind mich los.“

Castiel legte behutsam seine Hand auf Deans Schulter und sah ihn dabei mitfühlend an. Alles sehr seltsam, wie Dean fand. Es wirkte fast schon so, als ob Castiel so etwas wie Gefühle zeigte. Aber das war Dean im Moment alles ziemlich egal. Sein einziger Gedanke galt Sam, der vermutlich schon längst vom Werwolf angefallen worden war. Aber vielleicht konnte Dean das Schlimmste noch verhindern. Es war alles möglich und deshalb musste Dean es immerhin versuchen.

„Was ist los, Cas?“ Seine Stimme war ruhig, obwohl ihn das höchste Konzentration abverlangte. Am Liebsten hätte er dem Engel direkt ins Gesicht gebrüllt. Aber Dean war sich nicht so sicher, ob das sehr produktiv wäre. Deshalb hielt er sich noch zurück. „Nun mach schon, bitte.“

„Es tut mir leid, Dean, aber das kann ich nicht“, sagte er sachlich.

„Was?“ Wütend wollte Dean sich aufrichten, wurde aber ein weiteres Mal von seinen Fesseln davon abgehalten. „Verdammt noch mal, Cas, was geht hier vor?“

„Ich bin nicht Castiel.“ Es klang ernst, ehrlich. Ein Fremder hätte keine Zweifel gehabt, dass er die Wahrheit sprach.

Dean wusste darauf nichts zu sagen. Was war das überhaupt für eine Aussage? Die Person vor ihm sah vielleicht ein wenig anders aus, aber wenn das nicht Castiel war, würde Dean Winchester nie wieder in seinem geliebten Impala fahren. „Was redest du denn da für einen Quatsch?“ Dean sah Castiel tief in die Augen. „Hör auf mit dem Scheiß und binde mich endlich los.“ Deans Stimme wurde mit jedem Wort ein bisschen lauter.

„Mein Name ist Doktor Castien“, fuhr der Mann unbeirrt fort, als ob er Dean überhaupt nicht gehört hätte. „Und ich bin ihr behandelnder Arzt, Dean Winchester.“

Doktor? Behandelnder Arzt? Das war es also. Dean war verrückt. Eine andere Erklärung gab es nicht. Er bildete sich dieses Irrenhaus nur ein.

„Ich weiß, das klingt alles ein wenig seltsam.“ Der Arzt zuckte mit den Schultern. „Vielleicht sogar etwas verrückt.“

„Etwas? Etwas?“ schrie Dean. „Hör mal zu. Du bist Castiel. Ein Engel und niemals im Leben ein Arzt. Du hast mich aus der Hölle geholt und, und-“ Dean wusste nicht mehr, was er noch sagen sollte. Er war so durcheinander. Das war doch alles total unglaublich.

Er schloss für einen kurzen Moment die Augen. Das war nur ein Traum. Zwar ein sehr abstruser und Der-Dingo-hat-mein-Baby-gefressen-verrückter Traum, aber immerhin nur ein Traum. Das hieß, dass es auch ein Erwachen gab. Dean musste sich nur solange gedulden, bis er wieder auf dem modrigen Bett in seinem Motelzimmer lag. Vermutlich war er mit Sam auch gar nicht auf der Jagd gewesen, sondern tatsächlich mittags noch mal eingeschlafen. Es war alles nur ein blöder Traum.

„Hören sie zu, Dean, ich kann verstehen, wenn sie etwas verwirrt sind, aber sie müssen mir zuhören.“ Doktor Castien sah seinem Patienten intensiv in die Augen. „Ich bin kein Engel und sie sind kein Jäger. Das bilden sie sich alles nur ein.“

Dean hörte nur mit halbem Ohr hin. Er überlegte, wie er beim letzten Mal aufgewacht war. Ob er irgendetwas Bestimmtes getan hatte. Aber er konnte sich nicht erinnern, dabei war der Traum so real gewesen. Genau wie dieser. Es war einfach vorbei gewesen, wie andere ganz normale Träume auch. Und man konnte sich meist nur verschwommen an das Geträumte erinnern. Dean konnte sich zwar auch nicht an jede Einzelheit erinnern, aber das Gefühl hatte er noch Stunden später spüren können.

„Dean, hast du mich gehört?“, wurde er aus seinen Gedanken gerissen.

Dean blickte herausfordern zu seinem Freund. „Oh, ja, Cas, ich habe dich gehört. Aber ich werde dich einfach ignorieren, weil das hier alles nur ein verdammter Traum ist. Und wer hat denn bitteschön gesagt, dass ich bei diesem Spiel mitspielen muss?“ Dean hatte sich entschlossen, einfach hier still zu liegen und darauf zu warten, dass er aufwachte. Irgendwann musste das ja passieren.

Der Doktor sah etwas traurig aus. „Das ist wirklich schade, Dean. Aber ich kann dir versichern, dass das hier kein Traum ist. Es ist die Wirklichkeit und du wirst nicht ewig vor ihr fliehen können.“ Er drehte sich um und verließ das Zimmer.
 

Dean sah zu, wie der Doktor ging. War es das jetzt gewesen? Einfach so abzuhauen? Naja, zumindest war Dean sich jetzt ziemlich sicher, dass es wirklich Castiel war. Einfach so zu verschwinden war doch immerhin eine seiner leichtesten Übungen.

Jetzt hieß es Warten. Eine Sache, die Dean schon immer schwer gefallen war. Gelangweilt schaute er zur Decke. Am Liebsten hätte er sich mit irgendetwas abgelenkt, aber die Decke bestand nur aus einer reinen Betonschicht, war nicht mit Holz oder sonst etwas verkleidet, wo man vielleicht hätte die Balken zählen können. Sonst konnte er sich aufgrund seiner mangelnden Bewegungsfreiheit kaum umschauen. Nach links auf den piependen Monitor, der ihm zwar sagte, dass er noch lebte, der ihm jedoch jetzt schon auf die Nerven ging. Nach rechts auf ein weiteres Bett, was jedoch zu seiner Enttäuschung leer war. So hätte er sich immerhin mit jemand unterhalten können.

„Mann, was tust du sonst, wenn du Langeweile hast?“, fragte er sich selbst. Die Gedanken, die daraufhin durch seinen Kopf schossen, brachten ihn zum Lächeln. Mit diesen Erinnerungen konnte man sich gut die Zeit vertreiben. Aber nur daran denken, brachte ihm nicht die Befriedigung, die er sich erhoffte. Gelangweilt fing er an, Metallica zu summen.

Doch schnell musste Dean feststellen, dass auch Metallica ihn nur kurz abzulenken vermochte. Langsam, aber sicher gefiel ihm das Warten nicht mehr. Der erste Traum war auf keinen Fall so lange gewesen. Außerdem war dieser Traum noch um einiges realer als der Erste. Zu Anfang war es ihm nicht aufgefallen, aber jetzt, wo er alleine war, gab es daran keinen Zweifel mehr. Er nahm Gerüche wahr, diesen sterilen Krankenhausgeruch, den jeder Mensch hasste. Außerdem schmerzten seine Handgelenke von den Fesseln. Im Traum hatte man normalerweise keine Schmerzen, zumindest nicht in gewöhnlichen Träumen.

Dean musste unbedingt rausfinden, wo er war und was hier vor sich ging. Und dazu musste er mit Castiel reden. Aber dieser war gegangen. Irgendwie musste er ihn dazu bringen, zurück zu kommen. Dean lächelte leicht, als er schließlich eine Idee hatte.
 

Mit schnellen bestimmten Schritten ging er den Flur entlang. Seine Gedanken ruhten immer noch bei Dean. Dean Winchester war ein Patient, der Doktor Castien sehr viel bedeutete. Es war sein erster Patient, den er hier in der Klinik übernommen hatte. Direkt hatte er einen großen Fehler begangen. Einen solchen Fehler, der ihm als Arzt bisher nicht unterlaufen war. Seine Kollegen und Freunde sagten ihm zwar oft, dass es nicht seine Schuld gewesen sei, doch Castien war da ganz anderer Meinung und seitdem versuchte er irgendwie seinen Fehler wieder gut zu machen. Doch das war nicht so einfach, wie er zu Anfang vermutet hatte. Dean Winchester war ein sehr komplizierter Patient, dessen Krankheitsgeschichte bis hin zu seiner Kindheit zurück verfolgt werden konnte. Es war schwer, an ihn heran zu kommen. Aber Doktor Castien hatte sich geschworen, nichts unversucht zu lassen. Und er hatte noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft.

„Doktor“, kam eine gehetzte Stimme von hinten. „Doktor Castien.“ Die Schwester eilte mit schnellen Schritten dem Arzt hinterher. Aber da sie ziemlich klein war, noch dazu kurze Beine hatte und die Schuhe, die sie trug, auch nicht gerade förderlich waren, um jemanden zu verfolgen, wollte ihr diese Absicht nicht so recht gelingen.

Glücklicherweise bemerkte der Doktor ihre Bemühungen, blieb stehen um zu warten, bis sie aufgeholt hatte.

Als sie aufgeschlossen hatte, holte sie erst einmal tief Luft, als ob sie gerade bei einem Marathonlauf mitgemacht hätte. „Es … geht … um … Mr. Winchester.“ Zwischen jedem Wort atmete sie tief ein. „Er spielt total verrückt. Noch schlimmer als sonst.“

Castien sah sie entsetzt an, doch nur für eine Sekunde, dann rannte er zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Schon wenige Augenblicke später hörte er die Schreie und er fragte sich, warum er sie davor nicht wahrgenommen hatte, da sie bestimmt durch das ganze Gebäude schallen mussten.

Im nächsten Moment lief er ins Zimmer rein, stolperte fast, konnte sich aber gerade noch fangen. Er sah wie Dean sich in seinem Bett aufbäumte, soweit es ihm möglich war. Jeder einzelne Muskel in seinem Körper war aufs Äußerste angespannt. „Was haben sie ihm verabreicht?“, wandte er sich nun an die Schwester, die neben den Patientenbett stand.

Diese schüttelte eingeschüchtert den Kopf. „Nichts, Doktor. Er fing einfach an zu schreien.“ Sie wirkte ein wenig verängstig und plötzlich fiel Castien ein, dass sie erst seit kurzem hier arbeitete. Sofort hatte er ein schlechtes Gewissen, da sein Ton doch ein wenig harsch gewesen war.

„Schon gut“, sagte er nun sanfter. „Das war nicht ihre Schuld, okay?“

Sie nickte stumm, wirkte aber in keinster Weise ermutigt.

Der Doktor wandte sich nun an seinem Patienten. Es war noch keine Veränderung aufgetreten. Immer noch starrten ihn zwei weit aufgerissenen Augen an, vor Schreck oder Furcht konnte er nicht sagen. Er starrte einfach ins Nichts. Castien untersuchte ihn. Obwohl der Monitor keine Sachen anzeigten, die einen beunruhigen würden, wollte der Doktor auf Nummer sicher gehen. Doch sein Blutdruck war relativ normal, auch sonst gab es keine Anzeichen eines Anfalls. Das Verhalten von Dean musste einen anderen Grund haben.

„Dean?“, fragte er vorsichtig. Seit Castien den Raum betreten hatte, war Dean ein bisschen ruhiger geworden. Seine lauten Schreie hatten sich in leises Wimmern verwandelt. Doch nun war er plötzlich ganz still. Er schaute den Doktor direkt an und dieser Blick bohrte sich bis in Castiens Seele. Es lag tiefste Verachtung in diesem Blick. Dean gab ihm die Schuld. Castien fühlte sich direkt schlecht, war er sich seiner Schuld doch mehr als bewusst. Dass Dean hier lag, gefesselt, hatte er alles nur Castien zu verdanken. Ohne ihn wäre Dean nicht hier. „Es tut mir leid“, flüsterte er so leise, dass nur er selbst es hören konnte.

„Was geht hier vor?“, brachte Dean plötzlich hervor, als er sicher sein konnte, dass nur Castiel ihn hören konnte. „Wo bin ich hier, Cas?“ Dean war es leid, dieses Scharade, die die Engel abzogen, nur um das zu bekommen, was sie wollten. Anstatt einfach zu fragen, machten sie es immer so kompliziert.

„Sie sind krank, Dean“, versuchte es Castien erneut.

„Hör auf mit den Spielchen, Cas“, schrie Dean ihn an. „Du holst mich jetzt hier raus und zwar sofort“, verlangte er.

Castien schüttelte traurig mit dem Kopf. „Das kann ich nicht, Dean. Das können nur sie ganz allein.“

3

Dean schrak hoch. Dieses Mal war es noch schlimmer als beim ersten Mal. Es fühlte sich nicht mehr wie ein Traum an. Es war viel mehr als das, da war sich Dean nun völlig sicher … oder doch nicht?

Dean konnte nicht sagen, worum es sich handelte. Er wusste nur, dass es ihm nicht gefiel und dass er dem schnellstmöglich ein Ende bereiten musste, als ihm plötzlich wieder Sam in den Sinn kam und der Werwolf, der direkt hinter ihm gestanden hatte.

„Sammy!“, rief er sofort. Schnell blickte er sich um, mit dem Ergebnis zu erfahren, dass er sich wieder im Motelzimmer befand. Auf seinem Bett, so als ob das alles doch nur ein böser Traum gewesen sei. Er setzte sich auf, fuhr sich müde mit der Hand über das Gesicht. Was zur Hölle ging hier nur vor? Dieser Traum, an diesem völlig bizarren Ort, mit Castiel, der so gar nicht wie der Engel war, den Dean kannte.

Cas!, schoss es Dean durch den Kopf, als plötzlich: „Dean!“. Sams Stimme klang erleichtert. Sofort nach seinem Ruf kam er aus dem Badezimmer geeilt. Deans Blick fiel direkt auf den Verband an Sams Arm, der wohl in aller Hast und unkonzentriert angelegt worden war, vermutlich von Sam selber.

„Geht es dir gut, Sam?“, fragte Dean sofort, die Sorge in den Augen seines Bruders total ignorierend.

„Was?“, stammelte Sam ungläubig. „Ich bin nicht derjenige, der mitten im Kampf einfach wie ein Toter umgekippt ist. Die Frage sollte ich wohl eher dir stellen.“ Sam setzte sich Dean gegenüber auf sein Bett und musterte seinen älteren Bruder. Er wirkte normal, aber irgendwie auch nicht. Mit seinem Bruder war irgendetwas geschehen, das konnte Dean gar nicht abstreiten.

Dean jedoch ignorierte Sam einfach. „Der Werwolf?“, wollte er stattdessen wissen.

Sam schüttelte den Kopf. „Nein, Dean. Erstmal will ich wissen, was mit dir los war? Was ist passiert?“ Sam wollte sich nicht abschütteln lassen, dafür hatte er sich in den letzten paar Stunden einfach zu viele Sorgen gemacht.

„Mir geht es gut“, sagte er beiläufig. „Was ist mit dem Werwolf?“ Der Verband an Sams Arm behagte Dean überhaupt nicht. Hatte dieser Werwolf Sam etwa? Und nur weil Dean – ja, was? – eingeschlafen war?

Sam seufzte laut. Sie könnten das Spiel wohl den ganzen Tag lang spielen. So wie er seinen Bruder kannte, würde dieser wohl auch nicht nachgeben. Deshalb kapitulierte er. Vielleicht würde Dean ihm dann alles erzählen. „Der Werwolf ist tot, okay? Ich habe ihm eine Silberkugel ins Herz gejagt“, erzählte er ruhig. Als er den Blick von Dean auf seinen Arm bemerkte, fuhr er fort: „Er hat mich nicht gebissen, falls du dir Sorgen machen solltest. Nur ein paar Kratzer.“

Dean nickte. „Gut“, sagte er knapp. Daraufhin erhob er sich von dem Bett, nahm seine Jacke und ging zur Tür.

„Warte“, rief ihm Sam hinterher. Auch er stand auf. „Wohin willst du denn?“

„Raus!“ Dean zeigte auf die Türe.

Sam schüttelte den Kopf. „Nein, das kannst du vergessen, Dean. Erst will ich reden.“ Bestimmend zeigte er aufs Bett. „Setz dich wieder.“

Dean musterte Sam kurz. Er schien entschlossen zu sein, aber Dean war der Ältere und somit hatte Sam nichts zu sagen. „Mir geht es gut, okay?“, sagte er noch und griff schon nach dem Türgriff. Er öffnete die Tür, aber Sam schlug sie direkt wieder zu.

„Nein, Dean, so kommst du mir nicht davon. Ich sehe doch, dass es dir nicht gut geht und du willst jetzt einfach nur abhauen, damit du nicht darüber reden musst. Aber so läuft das nicht. Nicht heute.“ Sam blieb an der Türe stehen, wollte Dean nicht vorbeilassen. Er würde sich erst von der Stelle bewegen, wenn Dean sich wieder gesetzt hätte.

Dean wurde wütend. „Hör mal zu. Das geht dich gar nichts an. Das ist meine Sache.“ Dean wusste selber nicht, warum er plötzlich schrie. Vielleicht wollte er einfach so sehr raus, dass es ihn schon fast wahnsinnig machte. Die Vorstellung wieder eingesperrt zu sein, gefiel ihm nicht besonders.

Sam schnaufte. „Wenn du mitten im Kampf umkippst und mich mit einem Werwolf alleine lässt, obwohl ich mit Rückendeckung gerechnet habe, dann geht es mich schon etwas an.“ Er bemerkte, wie Dean kurz zusammen zuckte. Anscheinend hatte er den richtigen Punkt getroffen. „Bitte, Dean“, sagte er nun etwas sanfter. „Nur kurz reden. Mehr nicht.“

Dean starrte weiterhin auf den Boden, schlurfte zurück zum Bett und ließ sich nieder. Er wollte nicht reden und Sam erklären, dass er genau so wenig Ahnung hatte, was hier vor sich ging. Was sollte er ihm schon erzählen? „Hey, ich hatte einen Traum, dass ich in einer Irrenanstalt zu Gast war. Verrückt, nicht?“ Dean musste bei seinem Gedanken kurz auflachen. Es klang zu lächerlich.

„Was ist so lustig?“, wollte Sam wissen, der sich nun ebenfalls wieder auf sein Bett setzte.

„Nichts“, raunte Dean. „Also, was willst du wissen?“ Obwohl ich dir nichts sagen kann, fügte Dean in Gedanken hinzu. Wenn er wüsste, was vor sich ging, hätte er ja wohl direkt etwas dagegen unternommen.

„Was passiert ist, was sonst?“ Sam klang müde. Ob er nicht viel geschlafen hatte? Dean schaute auf die Uhr. Es war schon kurz nach zwei. Er selber fühlte sich nicht wirklich besser. Wenn er wirklich geschlafen haben sollte, dann war es auf jeden Fall kein erholsamer Schlaf.

Dean grinste schief auf Sams Frage hin. „Ich war müde, ganz einfach.“

Sam verdrehte die Augen. Dean würde es wohl nie lernen. „Ich will eine ehrliche Antwort und selbst, wenn sie nur ‚ich weiß es nicht’ lautet.“

„Ich weiß es nicht“, kam es ganz leise von Dean. Er hätte noch kämpfen können, sich rausreden, aber eigentlich hatte er keine Lust darauf. Er war viel zu müde, um noch irgendetwas zu machen. Aber schlafen wollte er auch nicht, hatte er doch Angst, wieder an diesem merkwürdigen Ort zu landen.

Sam schaute seinen Bruder verblüfft an. So schnell hatte er nicht mit einer Antwort gerechnet. Sonst musste man Dean alles aus der Nase ziehen. „Okay.“ Sam zog das Wort sehr lang, war er doch immer noch erstaunt, von Deans Ehrlichkeit und wusste nicht so recht, was er jetzt sagen sollte. „Hast du dich vielleicht irgendwie merkwürdig gefühlt?“

Dean schüttelte den Kopf. Wollte ihn Sam jetzt so lange ausquetschen, bis ihm auch bewusst wurde, dass er nicht wusste, worum es sich handelte? Dean überlegte kurz, ob er von seinen Träumen erzählen sollte, aber er wollte Sam nicht beunruhigen. Das klang doch alles ein wenig seltsam, selbst für ihre Verhältnisse.

Sam schwieg, schien zu überlegen, wobei Dean sich fragte, was es da zu überlegen gab. „Ich glaube, wir sollten zu einem Arzt fahren“, kam er schließlich zu dem Schluss.

„Nein“, entrüstete sich Dean. „Mir geht’s gut, Sam. Ich brauche keinen Doktor.“ Er musste kurz an dieses Zimmer denken, an die Fesseln, die ihn an Ort und Stelle gebunden hatten. Auch wenn es nur ein Traum gewesen war, hatte Dean es noch zu gut vor Augen und auch wenn er wusste, dass Sam ihn sicherlich nicht zu einem solchen Arzt bringen wollte, hatte er kein Bedürfnis ein Krankenhaus aufzusuchen.

„Du bist einfach umgekippt, Dean. Das ist nicht normal“, versuchte Sam es noch einmal. Er wollte Dean doch einfach nur helfen und anders wusste er nicht, wie. „Bitte, Dean, lass dich einmal untersuchen.“

Dean schüttelte bestimmend den Kopf. „Das kannst du vergessen, Sammy. Ich gehe zu keinem Arzt.“ Kurz hatte er Castiel vor Augen, den Castiel aus seinem Traum und plötzlich fiel ihm wieder ein, woran er eben hatte denken müssen.

„Diese verfluchten Bastarde“, schimpfte er laut, stand auf und blickte zur Decke.

Sam beobachtete seinen Bruder besorgt. Er wusste, dass Dean nicht gerne zum Arzt ging, aber eine solche Reaktion hatte er von ihm auch noch nicht gesehen. „Dean, alles okay mit dir?“

Aber Dean gab keine Antwort, es schien beinahe so, als hätte er Sam nicht einmal gehört. Er schaute immer noch gebannt zur Decke. „Cas, du verfluchter Mistkerl, schieb deinen Arsch hierher, aber sofort“, schrie er.

„Cas?“, fragte Sam irritiert. Jetzt verstand er gar nichts mehr. Wozu brauchten sie den Engel denn jetzt bitteschön?

Dean wandte sich überraschenderweise kurz zu seinem Bruder. „Er wird uns alles erklären können, da bin ich mir sicher.“
 

„Dean!“, begrüßte Castiel ihn, als er sich plötzlich mitten im Zimmer materialisierte. „Du hast gerufen.“

Dean funkelte den Engel böse an. „Ja, ich habe dich gerufen, damit du mir erklären kannst, was hier, zur Hölle noch mal, vor sich geht.“

Castiel betrachtete Dean lange und intensiv. Seine Miene blieb ausdruckslos und ernst. „Ich verstehe nicht.“

Dean ging einen Schritt auf Castiel zu. „Tu nicht so, Cas. Du weißt es ganz genau. Du warst doch dort.“

Castiel blieb regungslos stehen, blickte Dean weiterhin an. Dann schaute er zu Sam. „Er scheint nicht zu wissen, von was er spricht.“

Nun stand Sam auf. Die Sorge in seinen Augen konnte man kaum übersehen. Er hatte seinen Bruder noch nie so erlebt. So außer Kontrolle, wirr, verrückt. „Dean“, sagte er ganz ruhig. „Wo soll Cas gewesen sein?“ Er legte seine Hand behutsam auf Deans Rücken.

„Er war dort“, zischte er.

Castiel blieb immer noch ruhig. „Das letzte Mal haben wir im Krankenhaus miteinander gesprochen, Dean. Danach haben wir uns nicht mehr gesehen.“

Dean schüttelte leicht den Kopf. Das konnte nicht sein. Castiel musste lügen. Es war die einzige logische Erklärung. Engel wären dazu in der Lage eine Welt zu erschaffen. Wie Zachariah vor kurzer Zeit sein Gedächtnis verändert hatte, so wäre es doch ein leichtes, ihm diesen Ort vorzuspielen. Dean hatte Recht, es musste so sein und es machte ihn unglaublich wütend, dass ihm Castiel, nach allem, was sie zusammen durchgemacht hatten, ihn einfach so ins Gesicht log.

Dean packte den Engel am Kragen und drückte ihn gegen die gegenüberliegende Wand. „Hör auf zu lügen und steh endlich mal zu dem, was du gemacht hast. Was soll das eigentlich? Ist es wieder irgendeine Lektion, die ich lernen soll? Und wenn ja, wie sieht diese denn bitte aus? Ihr solltet die Botschaft vielleicht ein wenig klarer rüber bringen, damit ich sie auch verstehen kann“, brüllte er Castiel ins Gesicht.

Sam sah seinem Bruder geschockt zu. Er hatte noch nie beobachtet, dass Dean derart reagiert hatte. Vielleicht war er mal wütend geworden, sauer, weil die Engel manchmal nur ein Spiel mit ihnen zu spielen schienen, aber Castiel angreifen, das war zu viel. Er wollte hingehen, ihn von Castiel wegzerren, aber der Engel kam ihm zuvor.

Castiel packte Deans Hände, drückte sie mit Leichtigkeit weg, als ob es ihn keinerlei Kraftanstrengung kosten würde und zwang ihn einige Schritte zurück, sodass Castiel sich von der Wand entfernte. „Ich habe nichts getan, was deine Wut rechtfertigen würde, Dean“, sagte er ruhig. Es schien ihn in keinster Weise zu stören, dass Dean ihn angegriffen hatte. Mit einem stechenden Blick schaute er Dean an. „Du führst dich seltsam auf“, stellt Castiel fest.

Sam musste ihm still zustimmen. Dean verhielt sich wirklich eigenartig, schon fast ein wenig verrückt. Nun zog er Dean aus Castiels Griff los, denn der Engel hatte noch nicht daran gedacht, seinen Schützling wieder frei zu lassen. Ob es nur aus Vorsicht war, weil er nicht sagen konnte, ob ihn Dean ein weiteres Mal angreifen würde, oder ob es aus reiner Absicht geschah, weil Castiel zeigen wollte, dass er sich so etwas nicht gefallen ließ, konnte Sam nicht mit Bestimmtheit sagen. Er hoffte einfach, dass Ersteres der Fall war, warf dem Engel jedoch einen skeptischen Blick zu, als er dessen Hände schon fast gewaltsam von Deans Armen lösen musste. Er bugsierte Dean wieder Richtung Bett und drückte ihn mit sanfter Gewalt auf die Matratze. Selbst nachdem sich Sam einmal durch die Haare gefahren war, kurz über die Situation nachgedacht hatte, wusste er immer noch nicht, was er davon halten sollte. Erst verhielt sich Dean den ganzen Tag über eigenartig, log, als Sam ihn gefragt hatte, wie es ihm ging – obwohl das keine Überraschung gewesen war. Dann fiel er einfach bei der Jagd um, ohne einen bestimmten Anhaltspunkt, warum. Und nun, wieder wach, griff er ohne jegliche Erklärung Castiel an, obwohl der Engel anscheinend unschuldig war. Eigentlich war sich Sam ziemlich sicher, dass es so war, da Castiel noch nie gelogen hatte und Sam bezweifelte stark, dass er unbedingt heute damit anfangen würde.

So schaute Sam seinen Bruder lange Zeit einfach nur an, blickte ihm tief in die Augen. „Was zur Hölle ist los mit dir?“ Nach jedem Wort machte er eine kurze Pause.

Dean versuchte Sams Blick auszuweichen. Was sollte er ihm sagen? Dass er anscheinend verrückt wurde und nicht mehr wusste, was real war und was nicht? Dean hätte schwören können, dass die Engel hinter der ganzen Sache steckten, aber Castiels Reaktion ließ ihn an seiner Theorie zweifeln. Castiel hätte es ihm bestimmt gesagt, wenn er mit der Sache irgendetwas zu tun hätte. Aber so wusste er nicht mehr, was er denken sollte. Normale Träume konnten es schlecht sein, sonst wäre er wohl nicht einfach so umgekippt, wie Sam es ihn vermutlich schon hundert Mal vorgehalten hatte. Vielleicht war es gar nichts Übernatürliches, sonders etwas ganz Banales. Vielleicht hatte Sam sogar Recht und er sollte einfach einen Arzt aufsuchen. Der mich dann vermutlich nur in so eine Klapsmühle wie aus meinen Traum stecken will, schoss es ihm durch den Kopf. Nein, darauf konnte er verzichten. Er musste selbst dahinter kommen, was vor sich ging. Zuerst musste er einen klaren Kopf bekommen, logisch an die Sache rangehen.

„Dean?“, versuchte Sam die Aufmerksamkeit seines Bruders auf sich zu lenken, als dieser nicht antwortete. Sollte er es Sam erzählen? Aber würde er es ihm glauben? Dean konnte mit Gewissheit sagen, dass er Sam nur schief ansehen würde, wenn er ihm eine solche Geschichte verkaufen wollte. Warum also sollte Sam anders reagieren?

„Er ist verwirrt“, durchbrach Castiels tiefe Stimme die bedrückende Stille.

Sam drehte sich zu dem Engel um, schnaufte einmal hörbar auf. „Da ist er hier aber nicht der Einzige im Raum“, bemerkte er trocken.

„Er weiß nicht, was richtig und was falsch ist, was Traum und was Wirklichkeit ist“, sprach Castiel einfach weiter.

Verständnislos runzelte Sam die Stirn. „Was meinst du denn jetzt damit? Traum? Wirklich-“ Er hielt inne, als er spürte, wie Dean sich wieder erhob, an ihm vorbei schritt, erneut auf Castiel zu. Dieses Mal fasste er ihn nicht an, blieb einen Zentimeter vor ihm stehen. „Hast du mich etwa angelogen, Castiel?“, fragte er so ruhig wie möglich, was ihn jedoch einiges an Überwindung kostete. „Oder woher weißt du soviel darüber?“

„Ich kann es fühlen, Dean. Du bist zerrissen und weißt nicht, wo du hingehörst. Man sieht es dir an.“

Dean sagte nichts mehr. Es wunderte ihn nicht, dass Castiel so viel wusste. Immerhin war er ein Engel, konnte Gedanken lesen, Stimmungen wahrnehmen. Vor ihm konnte man sich schwer verstellen.

Sam schaute zwischen Dean und Castiel hin und her. Dean schien ruhiger zu werden. Was Castiel gesagt hatte, überzeugte ihn anscheinend. Vielleicht würde er jetzt endlich ihnen reden. „Dean, willst du dich nicht setzten und uns alles erzählen?“, bat er.

Dean schaute kurz zu seinem Bruder, nickte schwach. Es hatte wohl keinen Sinn, es vor ihnen zu verheimlichen, besonders wenn Castiel hier war. Dean wollte sich gerade wieder setzen, als ein höllischer Schmerz durch seinen Kopf schoss. Instinktiv machte er die Augen zu, fasste sich mit den Händen an den Kopf. Doch der Schmerz ließ nicht nach. Es fühlte sich an, wie hundert kleine Messer, die sich in seinen Schädel bohrten. Qualvoll stöhnte Dean auf, sank in die Knie, da die Schmerzen so unerträglich waren.

„Dean?“ Die Stimme klang besorgt. Dean versuchte die Augen zu öffnen. Es gelang ihm, Millimeter für Millimeter. Seine Lider waren schwer wie Blei unter der höllischen Qual. Schließlich hatte er es geschafft, konnte jedoch alles nur verschwommen wahrnehmen. Es war alles unscharf und nur vage konnte er Umrisse erkennen.

„Cas?“ Seine Stimme war schwach, brüchig. Aber Dean erkannte seinen Fehler. Es war nicht Castiel, sondern Castien oder wie der Kerl sich nannte.

„Ich bin hier.“ Das aber war sein Cas. Dean konnte ihn noch neben sich spüren, ganz deutlich, auch wenn ihm seine Augen etwas Anderes vorspielten. Castiel war noch neben ihm, genau wie Sam. Krampfhaft suchten seine Hände etwas von den Beiden. Schnell hatte er Castiels Trenchcoat zwischen den Fingern. Mit aller Macht krallte er sich daran fest. Versuchte so, sich hier halten zu können. Seine rechte Hand tastete immer noch ziellos in der Luft herum, bis eine andere Hand diese ergriff.

„Lasst … mich … nicht … los …“, brachte er mühsam hervor. Auch wenn er die beiden noch deutlich spüren konnte, wollte ihm seine Augen etwas ganz Anderes sagen. Er schaute immer noch in Castiens Gesicht und sein Blick wurde immer schärfer. Noch fester krallte er sich an Castiel, drückte Sams Hand, doch es brachte nichts, spürte er doch schon, wie die beiden verschwanden. Bevor er noch irgendetwas tun konnte, lag er wieder in dem Krankenbett. Seine Sicht wieder völlig normal, die Schmerzen verschwunden.

„Willkommen zurück, Dean“, begrüßte ihn Doktor Castien.

4

Doktor Castien saß jetzt schon eine geraume Weile neben Deans Bett, anscheinend schien er darauf zu warten, dass Dean ihn beachtete. Darauf konnte er lange warten. Dean hatte keine Lust hier zu sein und das Spiel würde er nicht mitspielen. Bisher war er immer zurück gekommen, warum sollte es dieses Mal anders sein?

„Ich möchte sie ungern hier gefesselt liegen lassen“, sagte Castien irgendwann.

Dean verdrehte seine Augen. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er immer noch sagen, dass dies Castiel war. „Dann machen sie mich doch einfach los.“ Dean lächelte den Doktor breit an. „Was hindert sie daran?“

Castien seufzte laut. „Die Vorschriften, Dean, die Vorschriften. Es gibt für alles Regeln und die müssen eingehalten werden.“

„Scheiß auf die Vorschriften, Cas.“ Er sprach ihn extra mit Cas an, hatte er doch schon gemerkt, dass es den Doktor in irgendeiner Weise beeinflusste. „Mach mich los.“ Er beobachte Castien, der sich jedoch keinen Millimeter bewegte. Kurz schloss er seine Augen, seufzte laut. „Bitte“, fügte er noch leise hinzu. Er hatte keine Lust mehr, an diesem Bett gefesselt zu sein. Um diese Situation bekämpfen zu können, musste er erst herausfinden, womit er es eigentlich zu tun hatte. und das konnte er bestimmt nicht, wenn er wieder nur mehrere Stunden an diesem Bett gefesselt war. Was er zu tun hatte, war recherchieren, auch wenn Dean sonst diese Arbeit liebend gern Sam überließ. Aber das hier wäre kein langweiliges Recherchieren in irgendwelchen alten verstaubten Büchern. Er würde sich umsehen, sich ein Bild über seinen Standort machen, Informationen sammeln.

„Okay“, sagte Castien kleinlaut. Er beugte sich näher zu Dean. „Aber sie müssen mir versprechen, dass sie sich benehmen. Es wird immer jemand bei ihnen sein, also denken sie nicht einmal daran, weg zu laufen. Es würde ihnen sowieso nichts bringen. Vor der Realität kann man nicht davonlaufen.“

Dean war es gleich, dass Castien so einen Müll laberte. Er hatte nur gehört, dass er ihn losbinden wollte. Eine Chance, die er wohl so schnell nicht wieder bekommen würde. Er müsste ihn sofort überwältigen und sich auf seinen Weg nach draußen bloß nicht erwischen lassen, sonst würde er wohl wieder in so einer Zelle landen, wie bei seinem ersten Besuch. Aber wo wollte er eigentlich hin? Das hier war doch nur ein Traum, oder? Aus einem Traum konnte man doch schlecht fliehen.

Jedoch musste er es versuchen. Außerdem war sich Dean nicht mehr wirklich sicher, ob es nur ein Traum war. Er spürte Schmerzen, was man im Traum sonst nicht tat. Vielleicht war es ja so etwas Ähnliches wie damals bei Bobby und da waren sie auch entkommen, indem sie die Situation gelöst hatten. Dean musste es einfach probieren und ein Versuch hatte noch niemanden geschadet.

Bevor der Doktor jedoch die Fesseln löste, ging er noch einmal kurz raus und kam, zu Deans Leidwesen, mit Begleitung wieder zurück. So viel zu leichtem Überwältigen. Mit dem Arzt wäre er spielend fertig geworden, wenn er die Wahrheit gesagt hatte und nichts von den Fähigkeiten des Engels besaß. Mit zwei müsste er wohl auch noch fertig werden können, wenn er Glück hatte. Dean musste bedenken, dass er schon einige Zeit in diesem Bett lag und seine Arme und Beine fühlten sich leicht taub an. Leider schlechte Bedingungen für einen Kampf. Wenn er Pech hatte, konnte er nicht einmal aufrecht stehen und sobald sie sich bewegten, wäre das Risiko größer, dass sie noch mehr Menschen begegneten.

Erst jetzt bemerkte Dean, wer mit Castien den Raum betreten hatte. er blinzelte ein paar Mal, wollte doch nicht auf irgendeine Halluzination reinfallen. Aber der Mann blieb an Ort und Stelle, wo er war. Keine Einbildung: Dort stand wirklich Henricksen. Dean konnte seinen Augen immer noch nicht glauben. Henricksen, der damals von Lilith getötet worden war.

„Hallo, Dean“, begrüßte dieser ihn mürrisch. Anscheinend war Dean hier bestens bekannt, wenn sogar ein Sicherheitswärter, wie Henricksen einer zu sein schien, ihm beim Namen nennen konnte.

Dean konnte nur nicken, glaubte er seinen Augen doch immer noch nicht so ganz.

Henricksen hatte sich mittlerweile wieder an den Doktor gewandt. „Und was soll ich jetzt hier, Jim?“ Die vertraute Anrede verwunderte Dean doch etwas, da Henricksen bestimmt unter Castien gestellt war. Zumindest hatte Dean bisher gedacht, dass Castien hier der Boss war, bei seinem Auftreten.

„Ich möchte ihn losbinden. Er soll etwas rumlaufen“, erklärte Castien. Sein Ton war sachlich und Dean meinte, auch Unsicherheit herauszuhören. War er sich seinem Plan wohl doch nicht so sicher? Dean hoffte nur, dass er sich es nicht noch anders überlegte.

Besonders als Henricksen bemerkte: „Sind sie sich auch sicher, Doktor? Sie wissen doch bestimmt noch, wozu dieser Patient dort fähig ist.“ Henricksen schaute ihn nicht an und Dean musste zugeben, dass ihn die Anrede „dieser Patient“ doch ein wenig verärgerte. So, als wäre er gar nicht im Raum.

„Hey“, rief er deshalb laut auf. „Ich bin noch hier, Mann.“ Aber Henricksen schenkte ihm nur ein halbstarkes Lächeln. „Ist ja gut, Dean.“ Irgendetwas ließ Dean meinen, dass Henricksen nicht besonders gut auf ihn zu sprechen war.

Castien hingegen tat so, als ob die beiden überhaupt nichts gesagt hätten und fuhr einfach fort: „Daüber bin ich mir natürlich absolut im Klaren, aber ich denke, dass wir in den letzten Tagen enorme Fortschritte gemacht haben und damit es noch besser läuft, müssen wir den nächsten Schritt wagen.“ Er machte eine kurze Pause und sah Henricksen intensiv an. „Damit nichts passiert, habe ich sie geholt. Ich möchte, dass sie ein Auge auf ihn werfen.“

„Jimmy, ich bin kein Pfleger, sonders Sicherheitsmann“, versuchte er sich rauszureden.

Castien nickte. „Ich weiß, aber sie sind in der Lage, ihn zu überwältigen, wenn es sein muss. Er wird sich nur im Gemeinschaftsraum aufhalten. Dort werden auch Pfleger vor Ort sein, die – falls es irgendein medizinisches Problem geben sollte – einschreiten können. Aber mir würde es besser gefallen, wenn sie bei ihm wären.“

Henricksen schaute von Castien zu Dean und wieder zurück. „Ich mag den Kerl nicht“, sagte er noch, nickte aber bereits schon.

Castien lächelte leicht, was Dean kurz stutzen ließ, war es doch sehr ungewohnt, diese Gestalt überhaupt lächeln zu sehen. Selbst als Doktor hatte er bisher nicht eine solche Regung gezeigt. „Danke, Viktor, du hast was gut bei mir.“

Dean überlegte fieberhaft, wie er jetzt vorgehen sollte. Sollte er es riskieren und versuchen, die Beiden zu überwältigen? Bei Henricksen hatte er bestimmt schlechte Chancen, wenn er beim Sicherheitsdienst war. Er war ein ausgebildeter Wachmann. Vielleicht nicht so gut ausgebildet, wie er selbst als Jäger, aber im Moment war er ihm eindeutig überlegen. Aber vielleicht würde er auch hier einiges herausfinden können. Was hatte Castien noch gleich gesagt? Es ging in den Gemeinschaftsraum. Hoffentlich könnte er dort jemanden finden, der halbwegs normal im Kopf war, um sich mit ihm zu unterhalten. Also würde er zuerst schön brav bleiben, wie er es seinem Doktor versprochen hatte.

Schon spürte er, wie sich die Fesseln um seine Fußknöchel lösten. Es war ein angenehmes Gefühl, seine Beine wieder bewegen zu können. Kurz darauf folgten seine Arme. Dean war wieder ein freier Mann, zumindest so frei wie man in einer Anstalt für psychisch Kranke nur sein konnte.
 

Der Flur war verlassen, bis auf Henricksen und Dean. Castien hatte sich zurückgezogen mit der Ausrede, er hätte noch einen wichtigen Termin, den er einhalten musste. Dean war es gleich gewesen, konnte er auf diesen Möchtegern-Castiel gerne verzichten. Und nun war er alleine mit Henricksen, der ihn wohl nicht ausstehen konnte. Dies zeigte er nur zu deutlich, indem er kein Wort mit ihm sprach und er schaute ihn die ganze Zeit finster an. Dean fragte sich, was er wohl getan hatte. Der richtige, tote, Henricksen hätte allen Grund dazu, denn Dean war nicht in der Lage gewesen, diesen zu retten. Er hätte damals dort bleiben sollen, bis er sicher war, dass alle Dämonen erledigt waren. Er hatte es nicht getan und das war definitiv ein Fehler gewesen. Nicht nur Henricksen war an diesem Tag gestorben.

Dass er jetzt, hier neben ihm ging war eigenartig. Dean wusste, dass es nicht der Echte war, genauso wenig wie Castien der echte Castiel war, aber trotzdem war es seltsam. Allein schon jemanden zu sehen, der genau so aussah. Es brachte all diese Gefühle wieder hoch, die er versucht hatte zu verdrängen: Die Tatsache, dass jeder, der nur mit ihnen zu tun hatte, früher oder später dafür bezahlen musste.

„Und hat es Spaß gemacht mich zu töten?“, fragte Henricksen plötzlich. Er musterte Dean, sah ihn dabei an, als ob er nicht mehr wert wäre als ein Stück Dreck.

Dean blieb stehen und schaute Henricksen verwirrt an. „Was?“, brachte er nur hervor.

„Ich habe gefragt, ob es Spaß gemacht hat, mich zu töten“, wiederholte er seine Worte. Dabei blieb er ebenfalls stehen und ging einen Schritt näher auf den Patienten zu.

Dean grinste schief, wusste er doch nicht, was er anderes tun sollte. „Aber sie stehen doch sehr lebendig vor mir“, warf er ein.

Ein kurzes Auflachen, ein bohrender Blick. „Nein, nicht so. Du weißt schon, wie ich das meine.“ Er kam noch einen Schritt näher. Tippte ihn dann mit dem Zeigefinger auf die Stirn. „In deiner kleinen Fantasiewelt natürlich, du Irrer.“

Dean schluckte. Er war kein Feigling, das bestimmt nicht, aber er war sich auch nicht sicher, was er darauf tun oder sagen sollte. Es war alles schon so verwirrend genug, ohne dass ihn ein plötzlich wieder lebendiger alter Freund vorwarf, ihn umgebracht zu haben.

„Dieses ganze Gerede über Dämonen und Geister zeigt doch eindeutig, dass du irre bist, Junge.“

„Ich bin nicht irre, okay?“, schrie Dean ihn an. Er konnte dieses Wort einfach nicht mehr ertragen. Vielleicht gerade deswegen, weil er wirklich Angst hatte, verrückt zu werden. „Dämonen und Geister existieren wirklich und einer davon ist bestimmt daran schuld, dass ich hier bin.“ Seine Stimme wurde leiser, ruhiger.

Henricksen lachte nur breit, schüttelte bedächtig den Kopf. „Nein, Dean.“ Er sprach den Namen langsam und betonend aus. „Die Wahrheit ist, dass dich dein Vater mit seinem Teufelsgequatsche und seiner Gehirnwäsche zu dem gemacht hat, was du bist. Das ist alles. Das ist die Realität.“

Dean weitete geschockt die Augen. Diese Worte kannte er. Er hatte sie schon einmal gehört. Von derselben Person oder zumindest ansatzweise. Das hatte nämlich damals der richtige Henricksen zu ihm gesagt, als dieser auch noch davon überzeugt gewesen war, es mit einem gestörten Mörder zu tun zu haben.

„Vielleicht siehst du es ja langsam ein“, sagte Henricksen und musterte dabei Dean ziemlich eingehend. „Du siehst zumindest nicht so verrückt aus, wie sonst. Immerhin kann man mit dir reden.“

„Was meinst du damit?“, wollte Dean wissen. Auch wenn ihm dieses Gespräch nicht besonders behagte, erkannte Dean ziemlich genau, wann er eine Chance hatte, an Informationen zu kommen. Vielleicht würde er durch Henricksen zumindest etwas erfahren können. „Wieso bin ich hier?“, hakte er nach. Dabei sah er Henricksen flehend an, denn er war kein schlechter Mensch und würde ihn vielleicht mit ein bisschen Demut wirklich etwas erzählen.

„Du bist verrückt“, meinte er keck.

„Ein bisschen genauer“, verlangte Dean.

Henricksen kam noch ein Schritt näher. „Du bist Dreck“, zischte er ihm ins Ohr. „Du glaubst an Dämonen und Geister und verletzt unschuldige Menschen. Du bist völlig außer Kontrolle geraten. Seit du hier drin bist, ist es besser geworden, aber nur, weil du dir deine eigene kleine Fantasiewelt zu Recht gelegt hast, wo du deine Monster jagen kannst. Tag für Tag für Tag.“ Er machte eine kurze Pause und funkelte ihn böse an. „Von mir aus, hättest du ruhig in deiner Fantasiewelt bleiben können. Hier bist du nur ein zu großes Risiko.“

Damit wandte er sich ab und ging weiter. „Komm endlich, Dean.“

Dean blieb noch einige Sekunden an der Wand stehen, lehnte sich kurz dagegen. Diese Worte hatten ihm ganz und gar nicht gefallen. Dämonen, Geister, Dean wusste, dass so etwas existierte, aber anscheinend war er genau deswegen hier gelandet – wo auch immer er war. Das sollte der Grund sein, weshalb er all das erlebte? Naja, zumindest gab es eine Erklärung, warum er sich in einem Irrenhaus befand, aber immer noch nicht, warum er so plötzlich hin und her switchte. Geschweige denn eine Erklärung, warum er plötzlich diese gewaltigen Kopfschmerzen gehabt hatte. Dieser Ort war nicht real, also durfte es ihn nicht interessieren, was er hier für eine Geschichte haben könnte. Er musste herausfinden, warum er in dieser Welt gefangen war. Vielleicht hatten doch Engel damit zu tun und Castiel war einfach nicht darüber informiert worden. Hieß es nicht letztens noch, dass sie ihm nicht mehr so vertrauen würden, weil er zu Dean eine zu starke Bindung aufgebaut hatte? Vielleicht hatten sie es ihm einfach nicht erzählt, damit er nicht dazwischenfunkte.

Dean löste sich von der Wand und folgte Henricksen. Dieser war nun wieder so still wie zu Beginn. Von ihm würde Dean sicherlich nichts Brauchbares mehr erfahren.
 

Castien saß an seinem Schreibtisch und ging die Patientenakten durch, die vor ihm auf den Tisch lagen. Er hatte viele Patienten, aber Dean war ihm doch der Wichtigste. Deshalb hatte er extra dieses Treffen organisiert. Castien war davon überzeugt, dass sie bei Dean kurz vor einem Durchbruch standen. In letzter Zeit war er immer öfters wach gewesen und er schien auch klarer bei Verstand zu sein, als sonst. Jedoch befürchtete Castien, dass wenn sie jetzt nicht am Ball blieben, Dean ihnen für immer entgleiten könnte. Er hatte es zumindest irgendwie im Gefühl.

Immer wieder schaute er auf die Uhr, denn ihm war dieses Treffen besonders wichtig und er konnte es kaum erwarten, dass der Gast eintraf. Vielleicht könnte er mit seiner Hilfe die entscheidende Hürde schaffen.

Es klopfte kurz. Castien schaute auf, stapelte noch schnell die Krankenakten aufeinander und legte sie in eine Ecke, wo sie nicht störten, setzte sich gerade hin und sagte dann: „Herein.“

Er hatte nie gut mit normalen Leuten umgehen können, vielleicht hatte er deshalb diesen Beruf gewählt. Die Menschen dort hatten alle Probleme, lebten in ihrer eigenen kleinen Welt. Normale Bürger lebten in dieser Welt, zu dem Castien nie den richtigen Draht gehabt hatte. Er konnte seine Patienten meist besser verstehen, als so mancher Person, der er begegnete.

Aber dieses Treffen hatte er selber organisiert und er tat das alles auch nur für Dean. Auf seine Bitte kamen zwei Leute herein. Ein großgewachsener Mann mit etwas längeren braunen Haaren und neben sich eine schwarzhaarige Frau. Sie lächelte freundlich, genau wie der Mann. Castien versuchte das Lächeln zu erwidern, war sich jedoch nicht ganz sicher, ob es ihm wirklich gelang.

Er stand auf, reichte seine Hand über den Tisch hinweg. „Freut mich, dass sie Zeit hatten, Mr. Winchester.“

Sam ergriff die Hand des Arztes. „Wenn es um meinen Bruder geht, nehme ich mir alle Zeit, die ich kriegen kann.“

Das war eine Aussage, die Castien doch sehr beruhigte. Vielleicht war er mit dieser Person doch auf einer Wellenlänge. Zumindest schienen sie das gleiche Ziel zu verfolgen. Natürlich begrüßte er auch die Frau, die nach Sam den Raum betreten hatte.

„Willkommen, Mrs. Winchester“, begrüßte er sie.

Aber diese schüttelte sachte den Kopf. „Noch nicht ganz“, sagte sie, während sie ihm ihre linke Hand entgegen streckte, um ihren Verlobungsring zu präsentieren. „Noch bin ich Ruby Forester.“

Castien lächelte verlegen. „Dann gratuliere ich schonmal. Aber setzen sie sich doch.“ Er zeigte auf die beiden Stühle, die ihm gegenüber auf der anderen Seite seines Schreibtisches standen. Gleichzeitig mit seinen Gästen nahm er ebenfalls wieder Platz.

Er holte einmal tief Luft, ging in Gedanken nochmals durch, was er sich vorgenommen hatte zu sagen. „Wie ich schon am Telefon erwähnt habe, geht es um Dean. Ich habe das Gefühl, dass wir bei ihm vor einer entscheidenden Wende stehen könnten.“

Sam richtete sich in seinem Stuhl auf. „Wie meinen sie das, Doktor?“ Er hatte schon viel mit Dean durchgemacht und es war schon häufiger der Fall gewesen, dass man ihm gesagt hatte, dass er vermutlich wieder gesund werden könnte. Daher ging er jetzt bei solchen Meldungen immer behutsam vor und wartete mit dem Hoffen ab, bis es wirklich Sinn ergab.

Castien hatte mit einer solchen Frage gerechnet. Er kannte Sam zwar noch nicht, da er Deans Fall erst seit kurzem betreute und immer wenn dieser seinen Bruder besucht hatte, anderweitig beschäftigt gewesen war, sodass er keine Zeit gehabt hatte, mit ihm zu reden, aber er ging davon aus, dass Sam ein sehr rationaler Mensch war, der eine Situation erst analysierte, bevor er handelte oder gar reagierte. „Es liegt der Fall vor, dass er seit kurzem immer häufiger bei Bewusstsein ist“, erklärte Castien sachlich. „Und zwar ist er voll und ganz ansprechbar, auch wenn er noch etwas verwirrt scheint. Er ist sich wohl nicht sicher, was er glauben soll und was er für real halten soll. Er hat schon so lange in seiner Realität gelebt, dass es ihm schwer fällt, das Hier zu akzeptieren.“

Sam wartete mit seiner Antwort, ließ sich das Gehörte einen Moment durch den Kopf gehen. Tief in seinem Innern begann er zu hoffen, wusste jedoch, dass es falsch war. Er durfte sich nicht dieser Schwäche hingeben, sondern musste alles ganz sachlich behandeln. „Verstehen sie mich nicht falsch, Doktor, aber diese ganzen Versprechungen habe ich schon so oft gehört. Manchmal sah es richtig gut aus, zuletzt vor ein paar Monaten, wo ich wirklich geglaubt hatte, dass es jetzt vorbei wäre. Aber genau das ist auch der Grund, weshalb ich ihnen nicht ganz vertraue. Es mag zwar sein, dass er sich anders verhält, aber diese Phasen hatte er immer mal wieder. Das hat nichts zu bedeuten.“ Sam machte eine kurze Pause. „Es tut mir leid, falls das hart klingen sollte, aber so ist es nun mal.“ Sam fiel es sichtlich schwer, diese Worte auszusprechen, wollte er doch genau so gerne hoffen wie der Arzt. Aber er wusste, dass es nur mehr Schmerzen bringen würde. Er spürte, wie Ruby nach seiner Hand griff und sie feste drückte. Es tat gut, sie bei sich zu haben.

„Ich kann sie gut verstehen“, sagte Castien, darauf hoffend, dass Sam nicht die Heuchelei in seiner Stimme bemerken würde. „Aber ich denke, dass es dieses Mal anders ist.“ Castien hob seine Hand, um Sam zu stoppen, der gerade etwas einwenden wollte. „Ich bin mir im Klaren darüber, dass ich erst seit kurzem hier bin, aber sie können mir glauben, dass ich jedes einzelne Blatt in seiner Akte eingehend studiert habe. Ich kenne die Geschichte ihres Bruders bis ins kleinste Detail und-“ Er hielt kurz inne, sich nicht ganz sicher, ob er es preisgeben sollte, ob es wirklich klug war. Es würde ihn gegenüber Sam angreifbar machen, aber er hatte keine andere Wahl. Castien schätzte Sam so ein, dass man ihn nur überzeugen konnte, wenn man offen und ehrlich mit ihm umging. „Und mir liegt sehr viel an Dean“, gab er schließlich zu.

Sam nickte verstehend. „Das glaube ich ihnen sogar, Doktor, aber das ändert meine Meinung nicht. Sie können mir erzählen, was sie wollen. Ich werde erst davon überzeugt sein, wenn er nicht mehr über Geister und Dämonen redet und das für eine lange Zeit.“

Sams Misstrauen überraschte Castien in keinster Weise. Sie war wohl begründet und wie er selber, gab vermutlich auch Sam ihm die Schuld für seinen letzten Rückfall. Vier Monate war Dean klar gewesen, auf den besten Weg zu einer vollständigen Genesung und Castien hatte einen schwerwiegenden Fehler gemacht. Nur weil er den Patienten noch nicht gut genug gekannt hatte. „Ich verlange auch gar nicht, dass sie mir glauben oder vertrauen. Ich möchte eigentlich nur ihre Hilfe.“

Sam schaute überrascht auf. „Wie bitte?“

Castien ordnete seine Gedanken. „Es war meine Schuld, dass Dean diesen Rückfall gehabt hatte. Seitdem versuche ich an ihn heranzukommen. Aber es ist schwierig. Er lässt nur wenige Leute an sich heran und dass er mich für einen Engel hält, macht es nicht gerade leichter.“ Er lachte leise auf, um seine Unsicherheit zu überspielen.

„Das will ich gar nicht hören, Doktor. Es ist ihre Aufgabe und die haben sie bisher nicht sehr gut erledigt“, regte sich Sam auf. Sofort spürte er den leichten Druck von Rubys Hand. Er bemühte sich, wieder etwas ruhiger zu werden, aber es gelang ihn nicht recht. Viele hatten ihm schon Versprechungen gemacht, ihm das Blaue vom Himmel gelogen und der erste Arzt, der wirklich ehrlich zu ihm war, schrie er an. Sam konnte es sich nicht wirklich erklären. Es war einfach über ihn gekommen. „Es tut mir leid.“

Castien schüttelte sachte seinen Kopf. „Das muss es nicht. Es ist die Wahrheit und sie haben das beste Recht mir Vorwürfe zu machen.“ Er schaute an seinen beiden Gästen vorbei zur gegenüberliegenden Wand. „Ich möchte ihrem Bruder helfen und meine Fehler wieder gut machen. Auch wenn ich weiß, dass ich meine Schuld wohl nie ganz begleichen kann, möchte ich sie doch wieder mit Dean zusammen führen.“

„Sie müssen Sam verstehen“, mischte sich jetzt zum ersten Mal Ruby ein. „Vor ein paar Monaten hat er geglaubt, seinen Bruder wieder zu haben und dann wurde er ihm einfach wieder genommen.“

Castiens Blick wurde traurig.

„Aber sicherlich gibt er nicht ihnen die Schuld dafür. Vielmehr quält es ihn selbst, dass er nichts dagegen tun konnte. Dean hat immer auf ihn aufgepasst, schon als sie noch Kinder waren und Sam zerfrisst es förmlich, dass er ihm nicht einmal helfen konnte. Zumindest sieht er das so.“

Castien und Sam blickten beide gleichzeitig zu Ruby, überrascht über ihre Einsicht der Dinge. Besonders Sam war verblüfft, hatte er dies doch nie laut ausgesprochen und trotzdem passten diese Worte exakt zu seiner Gefühlslage.

„Ich habe ihn schon häufig davon überzeugen wollen, dass er alles tut, was er kann, aber er glaubt mir nicht. Er ist in dieser Hinsicht ziemlich stur, müssen sie wissen.“ Ihre Gedanken entlockten ihr ein leichtes Lächeln. „Aber wenn er ihm irgendwie helfen kann, wird er es sicherlich tun. Er würde alles für seinen Bruder tun.“ Ruby schaute zu ihrem Verlobten und nickte ihm verstehend zu.

Sam blickte ihre einige Zeit in die Augen, sah darin dieses grenzenlose Verständnis. Ruby hatte sich nie beschwert, wenn Dean Sam mal wieder wichtiger gewesen war. Sie hatte es immer verstanden und akzeptiert. Sie hatte ihn dabei sogar noch unterstützt.

Schließlich atmete Sam einmal hörbar auf und wandte sich an Castien. „Wie kann ich helfen?“

Intermezzo

Sam spürte, wie sein Bruder krampfhaft seine Hand drückte. Fast schon fühlte es sich so an, als ob er gleich seine Finger gebrochen hätte. Sein Blick schien in weiter Ferne.

„Dean!“, sagte Sam nur, wusste er doch nicht wirklich, was er tun sollte, um seinen Bruder zu helfen. Dean krümmte sich vor Schmerzen und Sam konnte nur daneben sitzen und zuschauen. Es war zum Verzweifeln. Ein kurzer Blick zu Castiel, verriet Sam, dass der Engel wohl auch nicht wusste, was man tun konnte. Er schaute Dean nur anscheinend hochkonzentriert an.

Und dann, plötzlich, erschlaffte Deans Körper, der Druck seiner Hand verschwand und er wäre wohl zu Boden gefallen, hätte ihn Castiel nicht festgehalten. Sam beugte sich über Dean, packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn einmal kräftig durch. „Dean!“, rief er dabei besorgt. „Bitte, Dean.“

„Es geht ihm gut“, sagte Castiel sachlich, erhob sich zugleich und zog Dean dabei mit sich. Mit einer einzigen ruckartigen Bewegung warf er Dean unsanft auf sein Bett.

Schnell untersuchte Sam seinen Bruder und kam zu dem gleichen Schluss wie einige Stunden zuvor auch schon. Er wusste zwar nicht, was es verursacht hatte, aber Atmung und Puls waren völlig normal. Castiel hatte wohl Recht, Dean schien es gut zu gehen, wenn man die Tatsache außen vor ließ, dass er nicht bei Bewusstsein war. Und die Schmerzen, die Dean kurz vor seinem Zusammenbrechen gehabt hatte, beruhigten Sam auch nicht wirklich. Eigentlich warfen sie nur noch mehr Fragen auf.

Sein Blick fiel auf den Engel. Vielleicht wusste er doch mehr als er zugeben wollte. Zumindest schien Dean davon überzeugt gewesen zu sein, dass die Engel in dieser Sache involviert waren – was auch immer hier überhaupt vor sich ging. Sam wusste rein gar nichts, was ihn zutiefst störte. Selbst mit einem noch so kleinen Anhaltspunkt hätte er irgendetwas unternehmen können. So konnte er nur warten, darauf, dass Dean seine Augen wieder öffnete und ihnen endlich erzählte, was hier vor sich ging.

Aber Sam war noch nie sonderlich gut im Warten gewesen, zwar um einiges besser als Dean, aber noch nicht annähernd so gut, dass er sich jetzt in stiller Ruhe erst einmal einen Kaffee zubereiten würde.

Stattdessen wandte er sich an Castiel. „Was weißt du über die ganze Sache?“, stellte er die Frage in die Stille hinein.

Castiel eiste sich von Dean los, den er bisher intensiv gemustert hatte und starrte Sam nun durchdringend an. „Nichts“, sagte Castiel nur. Ein Wort, dann sah er wieder Dean an. Keine weiteren Erklärungen.

„Nichts? Das war alles?“, wurde Sam sichtlich wütend. Dass dieser Engel nur immer solch knappe Bemerkungen machen musste, die keinen wirklich befriedigte. „Du bist ein Engel und weißt nichts?“

„Ich weiß Vieles, aber nicht alles“, gab Castiel zur Erklärung. „Insbesondere weiß ich jedoch nichts über die derzeitige Situation hier, da ich keine einzige Information habe.“

Sam schloss kurz die Augen. Es war nicht fair von ihm gewesen, Castiel so anzufahren nur weil er besorgt war. Der Engel hatte zwar schon einiges getan, was man ihm vorwerfen konnte, zuletzt die Sache mit Alistair, aber es gab auch Zeiten, wo sich Castiel als nützlich erwiesen hatte. zumindest meinte Dean, dass man ihm trauen konnte. Wenn Dean ihm traute, sollte Sam es wohl auch tun. „Es tut mir leid, Cas“, entschuldigte sich Sam. „Es war nicht fair meine Wut über meine Hilflosigkeit an dir auszulassen.“

Castiel nickte. „Was ist passiert?“, wollte er wissen.

Sam sah den Engel an, ließ sich dann müde auf einen Stuhl sinken. Mit der rechten Hand fuhr er sich durchs Haar. Wenn er die Antwort auf diese Frage wüsste, würde er wohl nicht mehr tatenlos hier herumsitzen. Er seufzte. „Vermutlich weiß ich nicht viel mehr als du“, gab Sam zu, auch wenn es ihn einige Überwindung kostete, das überhaupt auszusprechen.

„Erzähl mir alles, was du weißt“, verlangte Castiel. Es lag ein leichter Nachdruck in seiner Stimme.

Sam nickte abwesend. Vielleicht fiel dem Engel etwas auf, was er bisher übersehen hatte. „Heute Morgen fing alles an. Naja, zumindest verhielt sich Dean sehr merkwürdig. Er ging sogar eine Runde spazieren.“

„Gehen Menschen nicht häufiger spazieren?“, fragte Castiel dazwischen.

Sam konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. „Ja, vielleicht, aber Dean bestimmt nicht.“

Castiel quittierte diese Aussage mit einem stummen Blick. „Auf jeden Fall“, fuhr Sam fort und erzählte Castiel so detailliert wie möglich Deans sonderbares Verhalten, bishin zu dem Zeitpunkt, wo Castiel aufgetaucht war.

Für einige Zeit starrte Castiel nur die Wand an und Sam wäre ihm am Liebsten an den Hals gesprungen, hatte er sich noch nicht an Castiels langes Schweigen gewöhnt. so lange konnte doch niemand überlegen. „Es ist nichts wirklich Brauchbares bei deiner Erzählung dabei“, sagte er schließlich.

Sam seufzte. Das hatte er befürchtet. Es lag auch einfach an der Tatsache, dass Sam keinerlei Informationen hatte. Sie mussten wohl oder übel darauf warten, dass Dean wieder aufwachte und ihn dann zur Rede stellen. Aber Sam glaubte, dass er ihnen nun alles erzählen würde. Immerhin hatten sie ihn eben schon fast soweit gebracht.

Sam schaute kurz zu seinem Bruder. Es sah wirklich nur so aus, als ob er schlafen würde, aber die Tatsache, dass er sich fast schon verrückt aufgeführt hatte und die Umstände, wie er zu diesem Zustand gekommen war, ließen ihn stark daran zweifeln. Schon öfter hatte er kurz daran denken müssen, ihn nicht vielleicht doch zu einem Arzt zu bringen. Die Symptome, die er zeigte – einfach so das Bewusstsein zu verlieren – klangen eigentlich sehr menschlich. Da Dean jedoch davon ausgegangen war, dass die Engel ihre Finger im Spiel hatten, hatte Sam diesen Gedanken immer wieder verworfen. Selbst Dean würde sich nicht eine solche Geschichte ausdenken, nur um eine Krankheit zu überspielen. Es musste etwas Übernatürliches sein. Nur was?

Sam hasste es, untätig herumzusitzen, nahm deshalb seinen Laptop und setzte sich an den Tisch. Er hatte zwar wenig – fast gar keine – brauchbaren Hinweise, aber dann würde er immerhin irgendetwas tun. Länger warten konnte er einfach nicht mehr.

Castiel dagegen hatte sich wieder neben Deans Bett gestellt und beobachtete den schlafenden Körper. Sam ignorierte ihn. Eigentlich war es ihm ziemlich gleichgültig, ob der Engel hier noch länger verweilte. Da er zu dieser Sache nichts wusste, benötigte er Castiel nicht weiter. „Was tust du da?“, stellte dieser die Frage an Sam gerichtet, behielt jedoch weiterhin Dean im Auge.

„Recherchieren“, sagte Sam beiläufig, während er die ersten Suchbegriffe bei Google eingab.

„Soll ich auch … recherchieren?“, fragte Castiel, den Blick immer noch stur auf Dean gerichtet.

„Tu dir keinen Zwang an“, murmelte Sam vor sich her. Dabei konzentrierte er sich vielmehr auf die ersten Ergebnisse, die auf den Bildschirm vor ihm auftauchen, als auf das, was Castiel da gerade von sich gab. Eigentlich hatte er kaum hingehört.

„Okay“, kam es von Castiel.

Bei diesen Worten drehte sich Sam abrupt zu dem Engel um, da das ganze Gespräch zwischen ihnen beide gerade erst bei ihm im Kopf angekommen war. „Warte!“, rief er, bevor Castiel irgendetwas Dummes tun würde, wie einfach zu verschwinden oder etwas Ähnliches. Bei dem Engel konnte man nie wissen. „Was hast du denn vor?“, erkundigte sich Sam bei Castiel, da er sich nur schwer vorstellen konnte, dass Castiel sich in die nächste Bibliothek zappen würde, um sich dort einen dicken Wälzer nach dem Anderen vorzunehmen.

Castiel schaute auf diese Frage hin Sam nur verwirrt an. „Recherchieren“, wiederholte er, als ob er damit alles gesagt hätte.

Sam schüttelte den Kopf und seufzte laut auf. Dass man diesem Engel auch alles einzeln aus der Nase ziehen musste. „Nein, ich meinte eigentlich, in welcher Weise du recherchieren willst. Ich würde nur gerne wissen, wo du dich herumtreibst.“ Sam fragte sich selber, warum ihm das plötzlich so interessierte, hatte er eben doch noch darüber nachgedacht, dass er Castiel nicht mehr brauchen würde. Aber irgendetwas sagte ihm, dass Dean vielleicht noch ein paar Fragen an den Engel haben könnte.

„Ich bleibe hier.“ Castiel hatte sich mittlerweile wieder Dean zugewandt.

„Oh!“, kam es überrascht von Sam, der mit einer solchen Antwort nicht gerechnet hatte. „Und wie willst du dann-“

„Ich werde in Deans Kopf schauen“, präzisierte der Engel, während er Sam einfach ignorierte.

Daraufhin war Sam kurz sprachlos. Er hatte zwar schon öfters vermutet, dass Engel einige Fähigkeiten besaßen, die sie bisher nur erahnen konnten, aber jetzt in diesem Moment beschäftigte Sam eine ganz andere Tatsache. „Und du kommst erst jetzt darauf?“, fragte Sam gereizt.

„Ich habe schon eine Weile darüber nachgedacht“, gestand Castiel. „Ich war mir nicht sicher, ob es das Richtige wäre.“

Sam schnaubte laut. „Du denkst doch sonst nicht so viel, Cas.“

Der Engel schwieg lange, so lange, dass Sam schon fast glaubte, dass Castiel seine kleine Reise angetreten hätte. „Cas?“, fragte er deshalb vorsichtig nach.

„Ich würde alles sehen, was er fühlt und denkt. Ist das richtig, Sam?“ Castiel sah den Angesprochenen hilflos an.

Sam konnte in Castiels Augen sehen, dass er wirklich überfragt war. Er zeigte Gefühle, womit Sam nie ihm leben gerechnet hätte. „Ja!“, sagte er schließlich überzeugt. Eigentlich hätte er mit ‚nein’ antworten müssen, denn es war definitiv nicht richtig so weit in die Privatsphäre eines Menschen vorzudringen, aber hier ging es immerhin um Dean, um seinen Bruder.

Castiel blickte noch immer skeptisch drein, nickte dann jedoch. Vielleicht interpretierte er Sams besorgten Blick genau richtig. Dann schaute er abermals zu Dean. Aber dieses Mal war er so konzentriert, dass sich Sam ziemlich sicher war, dass Castiel Dean nicht nur still beobachtete. Dieses Mal ging er tiefer. Sam behielt Castiel die ganze Zeit im Auge, vielleicht in der Hoffnung, ein Ergebnis aus seinem Gesichtsausdruck lesen zu können. Aber dort war nichts, nur der gleiche starre Blick wie immer. Bis plötzlich Castiel ein paar Schritte nach hinten taumelte, als ob er von einem kräftigen Schlag getroffen worden wäre. Sofort eilte Sam zu ihm, um ihn zu stützen, aber Castiel blieb stehen, konnte sich auf seinen Beinen halten.

„Eigenartig“, war alles, was er sagte.

„Was hast du gesehen?“, wollte Sam sofort wissen.

„Nichts“, antwortete Castiel nüchtern.

„Nichts?“, fragte Sam geschockt. „Heißt das etwa, dass-“ Sam konnte den Satz nicht laut aussprechen, befürchtete er, dass es irgendetwas Schlimmes heraufbeschwören könnte. Keine Sekunde später ließ er Castiel los, um Dean ein weiteres Mal zu untersuchen, aber sein Bruder atmete noch, was Sam erleichtert aufseufzen ließ.

„Ich konnte nicht hinein gelangen“, erklärte Castiel sachlich. „Es war wie eine Barriere, die ich nicht überwinden konnte. Etwas wollte mich nicht hinein lassen.“

Sam schüttelte fassungslos den Kopf. „Aber vielleicht war es bei Dean schon immer so. vielleicht besitzt er eine natürlich Immunität“, schlug er vor, wobei er schon beim Aussprechen seiner Worte, sie selber anzweifelte. Er wollte wohl einfach die Fakten nicht wahrhaben.

„Früher hatte ich keine Probleme Deans Gedanken zu lesen“, sagte der Engel wie erwartet.

Sam schaute zu seinem Bruder, der immer noch seelenruhig zu schlafen schien. „Du willst mir also sagen, dass sich irgendetwas in Deans Kopf befindet?“ Sams Stimme klang ungläubig, aber die Frage klang trotzdem so, als ob er keine Antwort darauf erwartete.

„Vermutlich“, bejahte Castiel die rein rhetorische Frage.

Sam sah den Engel durchdringend an. Die Tatsachen behagten ihm ganz und gar nicht. Etwas – in Deans Kopf ? – dass stark genug war, um einen Engel abzuwehren. Was konnte das für ein Wesen sein? Sam hatte noch nie etwas in der Art gehört oder gelesen, aber das würde er ändern. Jetzt sofort! Denn mit diesem Hinweis ließ sich vielleicht sogar etwas herausfinden. Ohne noch länger zu zögern setzte er sich wieder an den Tisch.

Castiel trat hinter Sam und schaute ihm über die Schulter. Sam versuchte erst ihn zu ignorieren und sich nur auf den Bildschirm zu konzentrieren, aber er hatte das Gefühl, dass Castiel immer näher kam. Irgendwann bildete er sich sogar ein, dessen Atem in seinen Nacken zu spüren.

„Cas!“, platzte es dann aus ihm heraus, da er es einfach nicht mehr ertrug. Der Engel zuckte nicht einmal zusammen, geschweige denn, dass er den Sinn von Sams Ausraster verstanden hätte. Er sagte nämlich nur: „Sam!“

„Könntest du vielleicht ein bisschen Abstand wahren“, versuchte Sam seine Stimme ruhig und höflich zu halten. Es gelang ihm jedoch nicht ganz, aber er bezweifelte, dass Castiel es merken würde. Dieser ging auf Sams Bitte hin einen Schritt zurück, schaute ihm jedoch immer noch über die Schulter. Sam seufzte leise, zwang sich aber den Engel einfach aus seinen Gedanken zu streichen. Würde er jetzt anfangen mit Castiel zu diskutieren, würde das nur kostbare Zeit in Anspruch nehmen. Zeit, die sie vielleicht nicht hatten. So konzentrierte er sich auf den Bildschirm und fing an zu lesen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (9)

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Von:  kawaii_kamy
2011-08-01T18:06:01+00:00 01.08.2011 20:06
Hey ^^/
Ich mag Geschichten wie diese, mit einer Irrenanstalt.
Hab echt spekuliert wie du das ganze aufziehst, ob er wirklich verrückt ist oder nur Träumt, aber es scheinen ja tatsächlich 2 Welten zu geben. Es ist super spannend und ich hoff das es bald weiter geht *.*
Ich mag den Doktor übrigens und ich will wissen was er für nen Fehler gemacht hat und warum ihm sein Patient so wichtig ist. ♥
Bin ganz hibbelig~
Die Charaktere wind ich gut getroffen und mir gefällt wie du alles in Szene setzt. ^-^b
Hat es einen bestimmten Grund das die Kapitel davor keinen Namen hatten? o.o'
lg kamy
Von:  Luthien-Tasartir
2011-02-24T19:30:01+00:00 24.02.2011 20:30
So, jetzt kommt dein lang ersehnter Rekommentar. Tut mir übrigens nochmal Leid, dass ich dich vergessen habe. Ich war wirklich der Meinung, dass ich alle Zirkelkommentare beantwortet hätte D:
Aber zurück zum Thema:
Da du etwas Aktuelleres kommentiert bekommen wolltest, habe ich jetzt einfach mal das Aktuellste genommen. Ich hoffe, das ist in Ordnung :D

Ich finde deinen Prolog wirklich sehr gut gelungen. Dein Schreibstil ist auch fließend unf flüssig lesbar. An einigen Stellen sind mir umgangssprachliche Begriffe, die ich eher nur im mündlichen Sprachgebrauch genutzt hätte, ins Auge gefallen, aber das heißt nicht, dass du sie jetzt wegmachen musst. Sie passen gut in deinen Stil hinein und geben ihm einen besonderen Flair.
Zum Inhalt kann ich sagen, dass Deans Situation dem Leser die Frage aufdrängt, wie er in die Geschlossene gekommen ist und fesselt ihn dadurch bereits zu Anfang an die Geschichte. Besonders der Schluss war gut, da die Aussage des "Führers" oder wer das war, sofort die Frage aufwirft, WARUM Dean dort ist, WAS passiert ist, etc.
Kurz: Man möchte wissen, wie es weiter geht. -> Der Cliffhanger ist gut gelungen ;)

"Diese Zelle sah ja fast schon danach aus, als ob er sich sonst selbst verletzen würde."

Diese Stelle ließ mich doch etwas stutzen.
1. Dieses "sonst": Du hast davor nichts aufgeführt, auf das sich das Wort beziehen könnte. Natürlich weiß ich, was du meinst, aber es sieht vom Stilistischen her schon etwas seltsam aus.
2. Das verstehe ich aber auch bei Filmen nicht... Da ist doch eine Stahltür... Wenn man will, dass man sich nicht verletzt... dann würde man doch keine Stahltür, wo man sich den Kopf einrennen kann, anbringen. Oder? o.ô

"Dean fühlte sich wie ein Tier im Zoo."

Diese Stelle wiederum mochte ich wirklich total! Deine Wahl des Bildes, um Deans Situation zu verdeutlichen, war wirklich exzellent ;)

Alles in allem fand ich deinen Prolog - wie bereits erwähnt - gut. Ein letzter Kritikpunkt wäre vielleicht noch, dass mir die Absätze stellenweise als zu viele vorkamen. Aber das ist wieder nur eine Kleinigkeit.
Wenn ich Zeit haben sollte, werde ich mal weiterlesen :)
Entschuldige den kurzen, schlecht formulierten Kommentar, aber ich bin müde, erschöpft, angeschlagen UND ich hab meine Kontaktlinsen nicht an, was das Schreiben ungemein erschwert :(
Ich hoffe du nimmst es mir nicht übel.
LG
Luthien-Tasartir
✖✐✖
Von: abgemeldet
2010-10-06T17:14:48+00:00 06.10.2010 19:14
hihihihi hihihihi das Kapitel war toll...ich musste oft so lachen ^^

Hier die Lachszenen:

"Für einige Zeit starrte Castiel nur die Wand an und Sam wäre ihm am Liebsten an den Hals gesprungen, hatte er sich noch nicht an Castiels langes Schweigen gewöhnt. so lange konnte doch niemand überlegen." - also echt....Cas mach mal hinne!!!! :P

"Castiel dagegen hatte sich wieder neben Deans Bett gestellt und beobachtete den schlafenden Körper. Sam ignorierte ihn." - *lol* Sam...tzz...wie unhöflich von dir ^o^

"„Soll ich auch … recherchieren?“, fragte Castiel, den Blick immer noch stur auf Dean gerichtet." - och nein....wie SÜß!!!!!! Zu putzig!!!!! xD

"Sam schüttelte den Kopf und seufzte laut auf. Dass man diesem Engel auch alles einzeln aus der Nase ziehen musste." - ach ja...ich seh Sam und Cas gerade vor mir....Cas cool wie immer und Sam genervt.... ^^

"„Ich würde alles sehen, was er fühlt und denkt. Ist das richtig, Sam?“ Castiel sah den Angesprochenen hilflos an." - nein....schon wieder so was niedliches....das Cas erst um Erlaubnis bittet....drollig!

"„Cas!“, platzte es dann aus ihm heraus, da er es einfach nicht mehr ertrug. Der Engel zuckte nicht einmal zusammen, geschweige denn, dass er den Sinn von Sams Ausraster verstanden hätte. Er sagte nämlich nur: „Sam!“
„Könntest du vielleicht ein bisschen Abstand wahren“, versuchte Sam seine Stimme ruhig und höflich zu halten." - DAS ist einfach die beste Stelle in diesem Kapitel!!!! Zu geil!!! "Sam!"....ich seh es vor mir...



War klasse, bis hoffentlich bald, deine Janine :D

Von: abgemeldet
2010-09-18T13:05:05+00:00 18.09.2010 15:05
aha aha...intersessant... ^^

"Castien lächelte leicht, was Dean kurz stutzen ließ, war es doch sehr ungewohnt, diese Gestalt überhaupt lächeln zu sehen." - das fand ich voll süß xD

"....Verlobungsring zu präsentieren. „Noch bin ich Ruby Forester.“" - und DAS fand ich voll ätzend....nichts gegen dich....aber ich HASSE Ruby! So....das wollte ich nur noch mal gesagt haben ;P

HDL Janine :D
Von: abgemeldet
2010-09-09T19:07:01+00:00 09.09.2010 21:07
hey ^^

also erstmal....muss ich es nochmal loswerden....ich liebe Dean gerade TOTAL!!!! Aber ich freue mich auch schon darauf dieses Gefühl wieder für Sam zu empfinden!!! :D Hoffe das passiert noch....

*quietsch* hihihihihi AHHHHH ich freu mich!!! Jensen! Jensen! Jensen!


So...jetzt hab ich mich wieder unter Kontrolle....

"Sam schüttelte den Kopf. „Nein, das kannst du vergessen, Dean. Erst will ich reden.“ Bestimmend zeigte er aufs Bett. „Setz dich wieder.“" - ach Sam....kann so schön herrisch sein ^^

"Dean musterte Sam kurz. Er schien entschlossen zu sein, aber Dean war der Ältere und somit hatte Sam nichts zu sagen." - hehehe *lol* Genau!!! so viel Respekt muss sein....das sag ich meinem Bruder auch immer wieder ;P

"Castiel betrachtete Dean lange und intensiv. Seine Miene blieb ausdruckslos und ernst. „Ich verstehe nicht.“" - ach ja...Castiel lässt sich nicht so leicht aus der Fassung bringen...ich find es immer wieder toll, wie er "über" den Dingen steht......wortwörtlich ^^

"„Hast du mich etwa angelogen, Castiel?“" - och wie süß!!!!! xDDD Armer Dean ist ganz verwirrt und lieb!!!! :D

"Mit aller Macht krallte er sich daran fest. Versuchte so, sich hier halten zu können. Seine rechte Hand tastete immer noch ziellos in der Luft herum, bis eine andere Hand diese ergriff.
„Lasst … mich … nicht … los …“, brachte er mühsam hervor." - Das finde ich so toll beschrieben!!!! Wie Dean sich an Sam und Cas klammert!!!!


So, das wars! HDL Janine =)



Von: abgemeldet
2010-09-07T16:53:15+00:00 07.09.2010 18:53
uhi uhi uhi....jetzt bin ich verwirrt.....absolut, total und komplett verwirrt o.O ....cooool xD

Ich frage mich was das alles zu bedeuten hat...was jetzt genau Traum und was Wirklichkeit ist....

Armer Dean....ich mag den gerade sooo dolle und bin froh Jensen auf der Con zu sehen....Sam mag ich natürlich auch....aber er macht es mir nicht gerade leicht ihn weiterhin zu mögen.....du weißt was ich meine....ach ja....schlimm.... -.-
Ich hab die nächste Folge auch schon gesehen und dir bei studi geschrieben....da musst du mir jetzt aber auch mal antworten, du mops! ^^

Ok, hier meine Lieblingsstelle:
"Er schloss für einen kurzen Moment die Augen. Das war nur ein Traum. Zwar ein sehr abstruser und Der-Dingo-hat-mein-Baby-gefressen-verrückter Traum, aber immerhin nur ein Traum." - *lol*


Das wars! HDL Janine =)
Von: abgemeldet
2010-08-25T17:09:28+00:00 25.08.2010 19:09
Uh ich mag deine FF x3
Echt gut geschrieben und sowas von spannend *.*
Freue mich schon auf das nächste Kapitel =)

LG Noah~
Von: abgemeldet
2010-08-25T17:08:25+00:00 25.08.2010 19:08
aha....das war also doch ein Traum....mhm...aber WAS für einer....das werden wir bestimmt noch erfahren! ;)

Hier meine Liblingsstellen:

"Der Kassierer war viel zu fröhlich. „Guten Morgen“, strahlte er Dean entgegen und Dean hätte ihm am liebsten für so viel Heiterkeit eine aufs Maul gegeben." - oh jaaaa....ich kann Dean total verstehen!!!

"Sam schaute ihn nur verwirrt nach. Seit wann ging Dean Winchester denn spazieren?" - *lol*

"Eine Gabelung des Weges war die erste Hürde des Abends. Rechts oder links? Immer diese schweren Entscheidungen, dachte Dean." - hehehe das Leben kann so schwer sein :p

"Dean ließ sich kein bisschen von Sams Hundeblick beeinflussen." - Gut so Junge!!! :D


Das wars schon....klein aber fein....HDL Janine xD

Von: abgemeldet
2010-08-19T17:40:07+00:00 19.08.2010 19:40
AHHHH was geht denn da ab? I-wie total beänstigend!!! Aber auch sehr spannend :D Bin gespannt was es mit dem 4-Sterne-Aufenthalt auf sich hat *lach* xD


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