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Die, die aus dem Himmel kamen

Teil II: Wo das Grauen seine Wurzeln hat
von

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(I) - You just burn

- nach Luzifers Fall, weit vor dem zweiten großen Krieg -
 

Feurig hell brannten die goldenen Augen und Michaels Blick verfolgte ihn bei jeder Bewegung. Unter den roten Haarsträhnen blickte diese alte Seele hervor und wartete. Keiner immer angespannten Muskeln rührte sich, nur wenn Michael den Kopf wendete, um seine Schritte zu verfolgen, bewegte er sich, ansonsten blinzelte er nicht einmal.
 

Es war ein intensives Starren, wo nur der Blick fester und die Augen heller wurden.
 

Es hätte ihn beruhigt, hätte es ein Anzeichen dafür gegeben, dass der Atem schneller ging oder hin und wieder die Hand zuckte, doch Michael war ein Abbild absoluter Kontrolle. Nervös ruckte er mit dem Kopf, als seine Finger durch seine Haare fuhren. Weiter konnte er das Unausweichliche nicht mehr hinaus zögern. So nahm er einen tiefen Atemzug und trat einen Schritt in Richtung des Bettes auf dem Michael saß.
 

Die hereinfallende Abendsonne färbte die weißen, leichten Laken rot und es erschien ihm der Atmosphäre passend. Aus dem Winkel heraus erhaschten seine Augen den offenen weiten Himmel, den er durch die großen Fenster erblicken konnte. Bald würde zahllose leuchtende Sterne das Firmament bedecken, so wie in jeder wolkenlosen Nacht, die sich im Himmelreich ereignete, würde er heute jedoch nicht an diesem Schauspiel teilnehmen, das so viele andere Engel als besonderes Ereignis in Ehren hielten.
 

Er jedoch nicht. Er war dazu auserkoren an einem ganz anderen Ereignis teilhaben zu dürfen.
 

Näher wagte er sich jetzt an das Bett heran, dennoch klopfte sein Herz mit jedem Schritt härter und das Blut rauschte in seinen Ohren. Seine Finger zitterten leicht und nervös fuhr er sich mit seiner Zunge über seine trocknen, spröden Lippen. Als seine Zehen an die Bettkante stießen und das seidige Lacken sich an seine Waden schmiegte, blieb er stehen und zögerte. Der Weg bis hierher war schwer gewesen, doch das war die letzte Hürde, die er noch zu nehmen hatte und zugleich die letzte Chance noch umzukehren.
 

Für einen Moment, der genauso gut ein ganzes Menschenleben hätte umfassen können, zog er es in Erwägung, gleichwohl richtete sich seine komplette Aufmerksamkeit wieder auf das Bett, als Michael eines seiner Beine ausstreckte, die bis eben noch angezogen hatte. Das Lacken raschelte, als Gewicht verlagert und für ihn einladend Platz gemacht wurde. Ruhig bewegte sich Michael, als er sich aufrichtete und seine Hand ausstreckte.
 

Den Blick konnte er nicht lesen, aber das ausbleibende Gefühl von entsetzlicher Bedrohung ließ ihn zugreifen. Als er seine Knie auf das Bett senkte und von der starken, kräftigen Hand weiter darauf gezogen wurde, wurde er sich der Hitze gewahr, die sich in seinem Körper ausbreitete. Mit einem Schlucken wandte er sich an Michael, dem Einzigen, den er hier Vertrauen schenken wollte und erbat still um Direktion, was er als nächstes tun sollte.
 

Mit etwas, das er als Lächeln deutete, streifte Michael das Hemd von seinen Schultern und ließ es neben das Bett fallen.
 

Sofort und mit neuem Unwohlsein glitt nun sein unwissender, allerdings auch neugieriger Verstand zu Michaels eignen nackten Oberkörper. Der Drache zog sich groß und majestätisch über Wange, Hals bis hin zur Brust und wirkte viel mehr als ein grobes Bild, das man unter die Haut gebrannt hatte. Er versuchte seinen Blick darauf ruhen zu lassen, weil er nicht wusste, wo er sonst hinsehen sollte. Das änderte sich, als Michael hinter ihn glitt und ihn bestimmt nach vorne drückte bis er mehr vor ihm kniete und sein Gesicht auf dem breiten Kissen lag.
 

Mit einem nervösen Flattern reagierte sein Herz, als er sich der schutzlosen Situation bewusst wurde. Mehr noch, weil Michael ihn jetzt berührte, indem er seine warme Hand auf seinen Kreuz legte und erkundend mit seinen Fingern das Rückgrat hinauffuhr. Ihn durchschoss eine Welle aus Angst und natürlicher Panik, weil seine Schultern instinktiv zuckten, damit er seine Flügel öffnen konnte.
 

Aber Michael drückte mit seinem Daumen auf den zuckenden Muskel und machte ein verneinendes Geräusch. Trotz dessen, das es sich dabei um die Stelle des Körpers handelt, bei der kein Engel stillhalten würde, zwang er sich dazu. Michael war nicht irgendein Hoher Engel oder ein Befehlshaber. Er war der Kommandant der Himmlischen Armee. Er hatte ihn im Krieg kämpfen sehen, hatte Narben davon getragen, als er zu nah an das Feuer geraten war.
 

Dasselbe Feuer, das er jetzt fühlen konnte, wenn er die Augen schloss. Am liebsten wollte er sie zusammen kneifen, sich der Dunkelheit übergeben, damit er den Hitze entgegen konnte, die sich hinter ihm befand und auf seinen Körper überzugreifen drohte. Aber so sah er das Feuer vor seinem inneren Auge nur noch deutlicher. Die Dunkelheit, die nun auch den Raum ergriff, weil die Sonne komplett untergegangen war, trug nur dazu bei, dass Michaels Gegenwart nur noch auffallender wurde.
 

Selbst jetzt in dieser Situation, selbst hier in diesem Raum, wo sie alleine waren, riss Michael noch Lücken in die Atmosphäre und die Luft um sie herum schimmerte genauso wie in den Momenten, wo Flammen über das Schlachtfeld rasten, alles verschlangen, was ihnen in den Weg kam und beißender Rauch jedermans Lungen schwarz färbte.
 

Er keuchte, als sich die Hand hoch zu seinem Nacken bewegte.
 

Es gab kein Entkommen. Zitternd krallte er seine Hand in das Laken unter ihm und bereitete sich auf den Schmerz vor, der gleich folgen würde. Fingernägel kratzten über die empfindliche Haut im Nacken, sodass sich an seinem ganzen Körper die Haare aufstellen und er nicht mitbekam, dass ein Knie sich in seinen Rücken drückte, um ihn unten zu halten. Die Finger, die sich jetzt um seinen Nacken legten waren genug, um ihn in Panik geraten zu lassen, aber es war bereits zu spät, um jetzt einen Rückzieher zu machen.
 

„Michael ... – sama...“, japste Kamael.
 

Es war eine Bitte, ein Flehen, ein Gebet.
 

Aber es gab kein zurück. Fingernägel bohrten sich in seine Haut bis Blut hervor sprudelte und das weiße Laken und seinen Körper damit besudelte. Michael – sein Herr, sein Kommandant, sein Fürst – schmierte mit seinen roten Fingern, die er in Kamaels Blut getaucht hatte Zeichen auf seinen Rücken, genau dort wo sonst die Flügel aus dem Rücken hervorbrachen.
 

„Du hast mir ewige Treue geschworen“, sprach nun Michael zum ersten Mal und seine Stimme enthielt Macht.
 

Macht zu versprechen, zu nehmen und zu geben.
 

„Jetzt werde ich dafür sorgen, dass du diesen Schwur auch halten wirst.“
 

Danach brannte sich rotes, heißes Feuer in Kamaels Haut bis er schrie und schrie, weil er Schmerz und Erregung in seiner Ekstase nicht mehr unterscheiden konnte. Erst als am nächsten Morgen sich die Sonne wieder über den Horizont schob, kam er wieder zu Sinnen. Noch immer fühlte er die Glut, welche das Feuer der vergangenen Nacht hinterlassen hatte. Sein Körper schmerzte, sein Rücken brannte und er war allein, aber Kamael wusste, wie er das zu deuten hatte.
 

Man hatte ihm ein Geschenk gemacht, Michaels Zeichen hatten sich in seine Rippen gekerbt, die sein Herz umschlossen und dazu gedacht waren jeden Atemzug zu beschützen, den er tat. Und jeder dieser Atemzüge war nun Michael gewidmet. Er hatte es vor Zeugen geschworen und letzte Nacht in die Dunkelheit geschrien.
 

Sein Blut und seine Samen auf dem ruinierten Laken waren der Beweis.

(II) - What a mess you made

- vor Luzifers Fall, aber nach seiner Ernennung zum Heerführer -
 

Aufruhr erschütterte den Himmel. Zuerst waren es nur kleine Wellen gewesen, die unaufhörlich gegen das Fundament des Himmels schlugen. Zuerst war es nicht mehr als ein Hintergrundgeräusch gewesen, etwas das man in der Lage war auszublenden, doch die Wellen wurden größter und klatschten immer aufgebrachter an Barrieren, die zu wanken begannen und bald zu brechen drohten, wie ein Damm unter dem Druck von gigantischen Wassermassen. Sie würden kommen, als mitreißen was nicht fest im Boden verankert war oder sich rechtzeitig retten. Sie würden alles berühren, unrettbar verändern und nichts als Schmutz und Zerstörung hinterlassen, wenn sich die herannahende Dunkelheit wieder zurückziehen würde.
 

Aber ganz verschwinden würde sie nie, dachte Gabriel und zog seinen Ärmel weit über seine Hand, damit niemand das Zittern sah. Die Spuren werden sich niemals ganz ausradieren lassen, selbst wenn die Flut sich zurück zieht.
 

Eine Flut, die erst am Heranrollen war.
 

„Gabriel“, wurde er von einer Stimme gerufen, die trotz ihres ruhigen Klangs dem Jagdschrei eines Seemonsters glich, dass in der Tiefe lauerte und auf den richtigen Moment wartete, um noch oben zu schwimmen, durch die Oberfläche zu stoßen und alles mit nach unten zu reißen, was es ergreifen konnte.
 

„Gabriel“, wurde er erneut angesprochen, doch als Antwort presste er seine Hand nur flach auf das Holz seines Schreibtisches. Für ihn glich es einem Treibgut im Wasser, an das man sich klammern konnte, wenn die Kraft nicht mehr zum schwimmen reichte, aber man sich oben halten musste, wenn man nicht wollte, dass man von Fangarmen in die Tiefe gerissen wurde, die zu dem Monster gehörten, dass in seinen See lebte.
 

Trügerisch warme Finger schlossen sich um sein Handgelenk und Gabriel schreckte hoch. Mit einer fließenden Bewegung wand er sich heraus und packte seinerseits den, dessen Einfluss er nicht mehr aus seinen Gedanken bekam. Dunkel und kalt wurden sie, gruben sich tiefer und tiefer bis kein Lebewesen noch die Untiefen erreichen konnte, in die sie vordrangen.
 

„Luzifiel“, antwortete Gabriel nun mit Erkennen in der Stimme, als er zu sich fand.
 

So fest griffen seine Finger Luzifiels Arm, sodass es gleichen musste, als ob ein Eisberg sich auf seinen ganzen Arm gelegt hatte und abwesend sah Gabriel die Muskeln sich abzukühlen und steif zu werden begannen, aber Luzifiel rührte sich nicht. Er war sicher dazu in der Lage sich aus Gabriels Griff zu winden, der nun ungleich fester wurde, geboren aus dem Wunsch das Seemonster hier und jetzt aus seiner Höhle zu zerren, um zu verhindern, dass es sich tiefer in die Felsen grub und den Damm zerstörte, der die Bewohner vor einer Katastrophe schützte.
 

„Tu es“, sprach Luzifiel, als die Zeit sich streckte und sein Arm blass und seiner Fingernägel blau wurden. „Tu es Gabriel und befreie den Himmel von der Kreatur, die es sich heranzüchtete und droht das ganze Reich zu vergiften.“
 

Flach ging sein Atem und bildete Wolken vor seinem Mund, als Gabriel nach Luft rang. Es wäre so einfach Flüssigkeit aus der Luft zu ziehen, sie über seine Fingernägel zu legen, um schließlich mit deren neuer Schärfe die Pulsadern des Morgensterns aufzuschlitzen. Oder ihn nicht mehr loslassen bis er ausgetrocknet war und nichts mehr übrig blieb als spröde Federn auf dem Fußboden.
 

Spröde weiße Federn.
 

Niemand würde je die schwarzen Flügel des Morgensterns zu Gesicht bekommen, sie würden weiß, hell und rein bleiben, keiner würde je erfahren das Luzifiel der verfluchte Sohn ihres Schöpfers war.
 

Nicht Michael, sondern Luzifiel.
 

Michael...
 

Der Name zerriss seine Gedanken wie Lichtstrahl die Gewitterwolken und Gabriels Griff lockerte sich bis er schließlich Luzifiels Arm freigab. Durcheinander blickte er Luzifiel an.
 

„Ich...“, begann Gabriel.
 

... sollte solche Gedanken nicht haben, dachte er und vollendete in Gedanken den Satz, den er nicht aussprechen konnte. Weil er nicht wusste, ob es eine Lüge oder die Wahrheit war. Weil er so keine Entscheidung treffen musste, was das Beste wäre.
 

Für den Himmel.

Für ihn.

Für Michael.

Für Luzifiel.
 

„...denke nicht, dass ich dich töten kann“, sprach Gabriel nun und sank in seinem Sessel zurück.
 

Er strich sich sein Haar zurück, dessen dunkelblaue Farbe ihn an die metaphorischen Gewässer erinnerte, in die er sich beinahe wieder besseren Wissens gewagt hatte. Offen sah er Luzifiel an, der seine Hand zur Faust ballte und wieder öffnete, um wieder etwas Gefühl in den Arm zu bekommen.
 

„Ich sollte es wollen und vielleicht werde ich das auch noch“, sagte Gabriel unnatürlich sanft, „Vielleicht werde ich eines Tages bereuen, dass ich nicht es nicht getan habe, als ich die Gelegenheit dazu hatte, aber...“
 

Der Engel des Wassers hielt sich damit zurück Tränen für Luzifiel zu vergießen, weil es keinem von ihnen helfen würde. Aber innerlich beweinte er das Schicksal des Morgensterns dennoch.
 

„...aber ich werde dich nicht töten können.“
 

Luzifiel sah ihn mitleidig an.
 

„Du bist der Einzige, der mein Schicksal voraus gesehen hat und dennoch tust du nichts dagegen. Auch werde ich dich niemals dazu bewegen können, dich mir anzuschließen. Was bleibt dir also noch, wenn du mich nicht hassen willst?“
 

Der Morgenstern drehte sich weg, um den Raum zu verlassen. Bevor er durch die Tür trat, drehte er sich noch einmal um und sagte mit einem traurigen Tonfall: „Oder hasst dich selbst für deine Machtlosigkeit bereits so sehr, dass du uns beide damit bestrafst morgen zu verkünden, dass ich mich nicht länger Engel nennen darf?“
 

Damit trat Luzifiel hinaus und ließ die Tür ins Schloss fallen.
 

Gabriel schlug die Augen nieder.
 

Er hatte vor einer Wahl gestanden und hatte keine Entscheidung treffen wollen. Er wollte Luzifiel nicht töten, aber sterben würde der Morgenstern so oder so, wenn er morgen als Bote des Herrn die Geburt des Teufels verkünden musste?
 

Auf alle Ewigkeit wird er über die Dunkelheit gebieten, dachte Gabriel. Und ich konnte ihn nicht davon erlösen.
 

Stattdessen verdammte er sich selbst, Luzifiel und Michael gleich noch mit dazu, weil er nicht stark genug gewesen war, sich gegen die Dunkelheit aufzulehnen.
 

Zur Strafe würde sie ihn in die Tiefe reißen und nie wieder an die Oberfläche lassen.

(III) - Sick of you

- während der Rebellion -
 

Es sind die weiten wallenden Gewänder, die hohen Decken und der Schritt, der mehr einem Tanz gleicht. Es sieht alles natürlich aus, ist natürlich, doch es macht mich wütend. Irritation stieg schon immer in mir hoch, wenn ich es sah und ich wandte mich ab, um es nicht mit ansehen zu müssen, grundsätzlich jedoch wollte ich dir diese Art schon immer austreiben. Unsere viel zu häufigen Begegnungen trieben mich nur weiter zu der Überzeugung, dass dir nur noch mit Gewalt beizukommen war.
 

Der Drang begann mit dem jeglichen Wunsch, dir etwas heftig die Hand wegzuschlagen anstatt dich höflich zu bitten. Doch es ging weiter und irgendwann wollte ich dich einfach nur noch gewaltsam fortreißen. Es trieb mich zu einem unaufhörlichen Zittern das ich stets verbergen musste, wann immer ich dich sah. Doch so wuchs stille Frustration zu offenem Ärger, der an meiner Selbstbeherrschung zu nagen begann.
 

Solange bis daraus gewalttätiger Hunger wurde dich zu verletzten.
 

Schwer. Immer und immer wieder.
 

Weil du Hand an etwas legtest, dass nicht dir gehörte.

Weil du die Aufmerksamkeit von etwas einforderst, von dem ich nicht wollte, dass es dich ansah.
 

Oder dir zu nahe kam.
 

Denn du bist gefährlich. Auch oder gerade in deiner Ahnungslosigkeit. Du hast keine Ahnung, wozu in der Lage bist oder was du anrichten könntest.
 

Mit einer einzigen Handbewegung, einem einzigen Gedankengang.
 

Ich habe nichts gegen dich, aber deine Existenz bedroht das, was mir am Wichtigsten ist und ich kann nicht zulassen, du ihm wehtust. Niemals.
 

Denn du würdest, egal was passiert.
 

Geht er, würdest du es als Bedrohung ansehen und alles daran setzten ihn wieder unter Kontrolle zu bringen.
 

Gehe ich, ist niemand da eure Nähe zueinander zu überwachen.
 

Also bleibt mir nur eine Wahl und ich umarme sie mit Freunden. Es heißt, dass du gehen musst und das bietet mir die Ausrede nach der ich schon solange gesucht habe, um dir wehzutun. Es treibt mich in Ekstase, denn das mir auferlegte Schicksal das ich so sehr verfluchte, bietet mir nun die beste Gelegenheit dafür.
 

Ich kann dich töten und niemanden wird es wundern.

Ich kann mein Schwert in deinen Magen rammen, dich ausbluten lassen und muss mir keine Gedanken machen, dass ich dafür in Schwierigkeiten geraten kann.

Ich kann deine letzten rasselnden Atemzüge beobachten, warten bis sich deine Lungen komplett mit Blut füllen und muss nicht dem Befehl des Vaters nachkommen dein Leben zu retten.
 

Ich muss keine Hilfe holen.

Ich muss dich nicht retten.
 

Ich muss mich nicht schlecht fühlen, dass es mir Freude bereitet, dich am Boden winden zu sehen, in dem Versuch mir zu entkommen.
 

Eis breitet sich über der Wunde aus, dich dir zugefügt habe. Es stoppt den Blutfluss, aber das wird dir auch nicht helfen. Du hast mich als das Gift des Himmels, als die Dunkelheit des Lichts bezeichnet und genau dies wird verhindern, dass Raphael dich retten kann.
 

Die Verletzung ist unheilbar, Gabriel.
 

Ich habe meine Klingen mit der dunklen Kraft getränkt, die ich in der Hölle fand, als ich fiel. Ich habe sie in deinen Körper gerammt und dich vergiftet. Dir steht ein grauenhaftes Ende bevor, es wird vielleicht noch Tage oder Wochen dauern bis dich dir Tod erlöst. Das Gift wird sich wie Säure durch deine Adern fressen bis nichts mehr von der übrig ist.
 

Gar nichts.
 

Es ist dieser Fakt, der mich beruhigt und mir erlaubt in die Hölle zurück zu gehen und sie zu meinem Reich zu machen. Ich muss den Himmel nicht mehr angreifen, denn es ist nichts mehr da, was es zu zerstören gibt, nun wo dein Leben sich dem Ende nähert.
 

Ich kann jetzt Herrscher der Hölle und der Gebieter über die Finsternis werden, genauso wie du es voraus gesagt hast. Mich wird Kälte und Dunkelheit erwarten. Schwärze, in die kein Strahl der Sonne eindringen kann, aber ich kann und werde es ertragen.
 

Schließlich wirst du niemals wieder Michael zu nahe kommen.
 

Niemals wieder wird dein Wasser seinen Körper bedecken und seine Flammen löschen. Er wird auf ewig wie die Sonne im und am Himmel brennen.
 

Jetzt gehört das Himmelreich ihm, nun wo du fort bist. Das Wasser zieht sich zurück unter die Erde, wo es hingehört und das Holz wird wieder trocken werden, damit Michael es verbrennen kann. Damit er ungehindert brennen und leuchten kann, ohne dass du mit einem scharfen Blick daneben stehst, bereit einzugreifen, wenn da Feuer aus Kontrolle gerät.
 

Jetzt haben deine aus Wahrheit gebauten Lügen und Ausreden ein Ende, Gabriel.
 

Es besteht keine Hoffnung, dass du dich davon erholst und selten hat mich etwas mehr befriedigt. Ich habe eine der Ketten gesprengt, die mich an den Schöpfer binden, denn er hatte dich erschaffen, um Michael in Schach zu halten.
 

Freilich ist dies nun vorbei.
 

Nie wieder muss ich jetzt Angst haben, dass Michael getränkt in den Wassern der Verzweiflung wieder bekomme oder eisige Zeiten die Momente zwischen uns bestimmen.
 

Es ist dein Einfluss, der schlecht auf ihn ist, Gabriel.
 

Nicht meiner.
 

Michael ist mein Spiegelbild, fürchte ihn und du fürchtest mich.

Bedrohe ihn und du wirst von mir getötet.
 

Und deine Existenz war eine Bedrohung für ihn.
 

Ruhe in Frieden, Gabriel.

(IV) - Too much/too rough

- während des ersten großen Krieges -
 

Dunkle Wolken türmten sich über dem Palast des Himmels. Heftiger Wind peitschte um die Häuserecken und erschwerte allen Engeln das Vorankommen. Sie waren derartige Wetterbedingungen nicht gewöhnt und daher hatte der Hohe Rat der Engel angeordnet, dass sämtliche Strecken in der nächste Zeit zu Fuß oder mit einem Luftschiff zurück gelegt werden musste, bis sich die Lage wieder beruhigt hatte. Es gab jedoch Engel, die das kein Stück interessierte.
 

Einen ganz besonders.
 

Raphael warf den umstehenden Wachen einen scharfen Blick zu, als er auf dem Dach des Himmelspalastes landete und sie ihn verachtend ansahen. Jeder von ihnen hatte wohl gehört, worin der Heiler verwickelt gewesen war. Sie wisperten Belials Namen und malten sich dann all die obszönen Bilder in ihren Gedanken aus. Kaum einer von ihnen wusste, was geschehen war und noch weniger hatte eine genaue Vorstellung von fleischlicher Lust.
 

Demonstrativ breitete Raphael noch einem seine Schwingen aus, um den beschränkten Soldaten zu zeigen, dass seine Flügel noch weiß waren. Strahlend weiß, unbefleckt von der Dunkelheit, die Luzifiel ergriffen und verschlungen hatte, sodass er sich einen neuen Namen hatte geben müssen. Seine Flügel strahlten noch hell in dem Glanz des Himmels und wenn er jetzt seine Astralkraft benutzte, damit sich das Licht an seinen Federn brach und es zurückwarf, damit die Umstehenden den Anblick nicht vergessen und seinen Status nie wieder anzweifeln würden, so war dies seine Sache.
 

Er faltete seine Flügel zusammen und ging festen Schrittes an den Wachen mit den Lanzen vorbei, deren Dasein mehr symbolisch war, als wirklich nützlich. Sie waren nur eine Grenze, welche die Großen Sieben von den aufstrebenden Speichelleckern trennte. Die Hand der Wache links neben der Tür zuckte leicht, als wollte er die Lanze benutzten, um ihm den Eintritt zu verweigern, doch als Raphaels Blick eine Spur kälter und arroganter wurde, ließ er es.
 

Denn es gab keinen Befehl, der es ihnen erlaubte, den Himmlischen Heiler, den Engel des Windes und Gebieter über die Tugenden aufzuhalten. Luzifiel war Verstand der Großen Sieben gewesen und mit seiner Rebellion gab es niemanden, der die Macht dazu hatte, ihn offiziell aus seinem Amt zu entlassen. Niemanden, denn Luzifiel war gegangen und nicht verbannt worden. Das hatte der Hohe Rat der Engel erst nachgeholt, als sie die Schandtaten des Morgensterns nicht länger verbergen, unterstützen oder erklären konnten und jede Hoffnung verloren war Luzifiel wieder an den Himmel zu binden.
 

Schön klangen seine Reden und logisch mochten sie erscheinen, wenn man ihm zuhörte. Seine Blasphemie bemerkte man gar nicht, so gefangen war man von Luzifiels Schönheit und der Macht, die er versprach.
 

Geschwind ließ Raphael seine Hände in den Taschen seines Mantels verschwinden und beobachtete aus den Augenwinkeln wie die zunehmenden Windböen es den Wachen auf dem Dach hinter ihm zunehmend schwerer machten, gerade und unberührt dazustehen. Sie würden ja doch bald ihren Posten verlassen und in Deckung gehen müssen.
 

Dafür würde er sorgen und sich nicht schuldig fühlen, wenn sie von ihrem Vorgesetzten zur Rede gestellt wurden.
 

Sie sollten lernen, dass eine andere Partei genauso gut Recht haben konnte, obwohl man wusste, dass man selbst nicht falsch lag. Belial hatte ihm das auf schmerzhafte Art und Weise deutlich gemacht. Er wusste nicht, wo oder wann sie auf den Gedanken gekommen war, wie ein Schmetterling ihre Flügel zu öffnen, doch im Gegensatz zu ihr kannte er den Unterschied zwischen ihren sexuellen Ausschweifungen und seinen eigenen.
 

Er konnte behaupten, dass er sich an das Keuschheitsgebot gehalten hätte, wie es die sieben Tugenden eigentlich von einem Engel verlangten, so rau es auch hin und wieder gewesen war, was er getan hatte, so kam dies nicht mit der Perversion gleich, was Belial aus der Vereinigung gemacht hatte.
 

Diese zweigeschlechtliche Abnormität würde für ein Tier die Beine breit machen, würde vor nichts zurück schrecken auch anderen anzutun, was sie selbst bereit war sich zuzufügen. Er hatte den Wahnsinn in ihren Augen gesehen, als sie verlangt hatte, dass er sie zu Boden drücken, ihren Hals umfassen und zudrücken sollte. Ihr rotes Haar hatte schweißnass an ihrem Kopf geklebt, als sie sich selbst in Ekstase ritt und sich daran ergötzte, wenn man ihr wehtat.
 

Es hatte nicht geholfen, dass er zurück gefahren war, um Abstand zwischen sie zu bringen, sie hatte sein Entsetzen nur noch anregender gefunden. Sie hatte sich bloß auf seinem Schreibtisch platziert, ihre weißen Schenkel geöffnet und sich selbst befriedigt. Mit allem, was sie gerade greifbar hatte und er verfluchte seine eigene Schwäche, dass er selbst lange gebraucht hatte, um einen klaren Gedanken zu fassen.
 

Er war geflohen, doch zu dem Zeitpunkt, wo er die nächste Wache verständigt hatte, um bekannt zu geben, dass auch sie als Rebellin gekennzeichnet werden musste, war Belial bereits verschwunden gewesen. Im Himmel bleiben konnte sie nicht, aber Raphael wusste, dass Belial ihren Weg an Luzifers Seite würde finden. Nur glaubte er nicht, dass sie wusste, was sie in der Hölle erwartete. Belial war Ärztin gewesen, bevor sie fiel und aus Erfahrung konnte er sagen, dass die Hölle kein angenehmer Ort für einen Heiler war.
 

Schon gar nicht für jemanden, der trotz allem noch wusste, was er tat.
 

Raphael betrat den Versammlungsraum und bereitete sich darauf vor dem Hohen Rat Rede und Antwort zu stehen, doch gleich ob sie versuchen würden, ihn zu verurteilen, alles was sie erreichen konnten, war seinen Namen durch den Dreck zu ziehen. Das allein konnte ihm nichts anhaben, schließlich hatte er in Belials Augen gesehen, was wahre Maßlosigkeit war, doch er konnte sie nicht einmal dafür hassen.
 

Die Hölle würde Belial schon genug bestrafen und niemals würde sie bekommen wofür sie gefallen war, denn weder der Teufel noch der Morgenstern würde sich mit einer Hure je einlassen.
 

Mit einer ausdruckslosen Maske auf dem Gesicht trat Raphael in den Kreis der Versammlung, fühlte aber dennoch Erleichterung als Michael neben ihm trat, um ihn zu unterstützen.

(V) - You're bleeding

- gegen Ende des ersten großen Krieges -
 

Schmerzend kalt brannte die Wunde, wo Luzifiel seiner Klingen in seinen Magen rammt hatte und Gabriel würgte, als er versuchte an etwas anderes zu denken, als an die lockende Dunkelheit, die sich vor seinen Augen ausbreitete. Als hätte jemand einen Schleier über ihn gelegt, den er nicht beiseite schieben oder sich daraus entwirren konnte. Mit seidenen, unzertrennlichen Spinnenfäden hielt man ihn gefangen und umarmte ihn nur noch fester, wenn er sich wehren wollte. Schattenhafte Geister tauchten in seinem Blickfeld auf, verzerrt wie Wolkenformationen, die alles wahr erscheinen ließen, was die eigene Fantasie je produziert hatte. Und sie alle starrten ihn und leckten sich ihre trockenen, ausgehungerten Münder.
 

Heiße Flüssigkeit rann über seine Finger und seine Handflächen, mit denen er vergebens versuchte sein Blut in seinem Körper zu behalten, weil es Gabriel Unbehagen bereite, wie die Geister ihn ansahen. Ihn und sein Blut, das nicht aufhören wollte zu kochen und sich zu bewegen, getrieben von etwas, der er noch nie verstanden hatte. Alles in ihm schien zu brennen, Luzifiel war zu einer Gewalt aufgeschwungen, die er nicht begriff und wieder einmal unterschätzt hatte. Dabei hätte er es besser wissen müssen, Luzifiel selbst hatte ihn gewarnt, dass er nicht auf alte Gefühle Rücksicht nehmen sollte, sähen sie sich je auf dem Schlachtfeld.
 

Jetzt sah er nur noch Geister und Figuren, die ihn zu sich winkten.
 

Gabriel hustete und verfluchte sich selbst. Es waren nur Halluzinationen, aber dies war der Himmel und er ein Engel. So gab so wenig, was man als unmöglich ausschließen konnte.
 

Wohin kamen Engel, wenn sie starben?
 

Das Blut schien gar nicht mehr damit aufzuhören aus seinem Körper zu fließen und es half auch nicht, dass er versuchte sie mit Eis zu bedecken. Stattdessen verschwanden nur die Schmerzen. Die Schatten kamen näher und nahmen ihm Stück für Stück die Qualen, die die Hitze in seinem Körper verursachte, wie Tierherden, die stets immer an dieselbe Quelle zurückkehren, um daraus zu trinken.
 

Doch mit dem schwindenden Schmerz, kam der Schwindel und ließ die Welt um ihn herum drehen und sein Herz schlug panisch, um ihn am Leben zu erhalten, doch es pumpte das Blut nur noch schneller aus der klaffenden Wunde heraus, sodass er nicht mehr die Kraft hatte, noch mit seinen Flügeln zu schlagen und sich vom Schlachtfeld zu bringen. Weg von den Schatten, die sich an ihm klammerten und zu Boden zerrten, weil er ihr Gewicht nicht tragen konnte.
 

Sehen konnte er die Welt nicht mehr, die er seit Anbeginn als real bezeichnet hatte, nur noch Stimmen drangen zu ihm vor.
 

Entfernt hörte er die Rufe seines Namens, wie die Soldaten um ihn herum aufmerksam wurden, dass Lord Gabriel zu Boden gegangen war. Irgendwo schrie eine Stimme mit dem Klang einer gestörten Seemöwe, dass man Raphael holen sollte, eine Andere versuchte ihn wach zu halten und rüttelte an seiner Schulter.
 

„Gabriel“, drang eine tiefe Stimme zu ihm durch und der Nebel um seinen Verstand lichtete sich ein wenig. Sie klang wie eine dumpfe Trommel im Hintergrund, die unablässig den Takt angab und alle dazu zwang die Ruder gerade zu richten, damit sie gleichzeitig eintauchten und das Schiff voranbrachten.
 

„Uriel“, murmelte Gabriel mit einer Mischung von Erleichterung und Vorahnung in seiner Stimme, die er selbst allerdings kaum wieder erkannte.
 

Man hatte ihm immer gesagt, dass er eine Stimme besaß, die klarer kaum sein konnte, würdig genug um vor dem Herrn seine Schöpfung zu preisen. Jetzt klang sie rau und heiser, als würde er ersticken. Ob es an dem Blut in seiner Lunge lag oder an der trockenen Luft, Fakt war, dass er sich hilflos fühlte und der Gewissheit nicht entkamen, dass er hier sterben würde.
 

Angst und Panik pumpte durch seine Adern, wie ein Wal im Eismeer, der einen Weg suchte, um an die Oberfläche zu kommen, damit er nach Luft schnappen konnte, aber keine Lücke in der Trennwand fand, die sich ihm und der Erlösung stand.
 

„...“, hörte er Uriel sagen, doch Gabriel verstand die Worte nicht.
 

Nur vage die Bedeutung konnte er erahnen, denn die Dunkelheit vor seinen Augen verschwand zwar nicht, aber er erkannte das vertraute Rascheln von Uriels Flügeln, die sich sanft auf seine eigenen legten, um ihn zu zeigen, dass er nicht alleine war.
 

Langsam beruhigte sich sein Herz. Es war ein wohltuender Gedanke, dass er jetzt nicht alleine war.
 

Wären die Schreie um sie herum nicht, wäre es fast wie einer jener Momente, die sie zusammen in den Gärten oder auf der neu geborenen Erde verbracht hatten. Doch dazu fehlte auch der leichte Regen auf ihrer Haut oder das Wasser, das sich an ihren Leibern teilte, wenn sie in klaren Seen schwammen und Michael ärgerten, indem sie ihn nass spritzten bis der Feuerengel wahrlich rauchend am Ufer stand, weil die Feuchtigkeit auf seinem Körper verdampfte.
 

Doch gleichzeitig waren die Erinnerungen an diese Zeit auch der Grund, warum seine Augen tränen wollten, aber es wegen der Hitze und seinem Zustand nicht konnten. Er roch Rauch um ihn herum, offenbar brannte es, und er hatte nicht genügend Flüssigkeit im Körper übrig um noch Tränen für irgendetwas zu vergießen. Da war nur Trockenheit und Kälte, trotz dessen dass er hinter Uriel rote Flammen sehen konnte.
 

Sie gefielen ihm nicht, denn sie erinnerten ihn an das, was aus Luzifiel geworden war und was vielleicht noch aus Michael werden würde, aber sie vertrieben die Geister und die Schatten. Jene schrien auf, wenn sie in das Feuer gezogen und Gabriel wunderte sich, ob er auch so enden würde.
 

Da fühlte er wie Uriel seine braune Hand ausstreckte, seine Kleidung aufschnitt und mit Blut etwas auf seine Brust schrieb. Es fühlte sich schwer an. Als hätte jemand Steine auf ihm abgeladen.
 

Langes schwarzes Haar schob sich in sein Gesichtsfeld, doch es war nicht Uriel den Gabriel sah.
 

„Schlaf Gabriel“, sprach der Engel des Todes. „Schlaf.“
 

Zurück blieb nur das Knistern des Feuers, dass sich ausbreitete.

(VI) - Tie me up, take me down

- vor der letzten Schlacht -
 

Es stimmte, er hatte seinem Bruder immer hinterher gesehen.
 

Ammen und Schwestern hatten seinen Bruder bewundert, ihn öfter hochgehoben und gelobt. Er hatte sie immer nur misstrauisch angesehen. Er war nie ein sehr engelhaftes Kind gewesen und die Prophezeiung, die man bei ihrer Geburt gemacht hatte, half dabei nicht.
 

Seine Feuerkräfte und die schlechte Kontrolle über sie auch nicht, zumal sich deren Stärke bei Wutausbrüchen stets nach seiner jeweiligen Laune richtete. Seinen Bruder hatte man dies nicht sehen lassen und davon fern halten wollen. Gewusst, hatte es Luzifiel wahrscheinlich trotzdem, aber er war nie dabei gewesen, daher hatte er ihm nachgesehen, wenn Luzifiel zu seinen Lernstunden verschwand.
 

Aber er dennoch nicht alleine gewesen.
 

Niemals.
 

-
 

„Michael“, rief Gabriel und schnippte mit seinen Fingern. „Nicht hier drin, verdammt!“
 

„Wieso denn nicht, du wolltest doch Licht...“, erwiderte Michael grinsend, verkleinerte aber seinen Feuerball, der unter der Decke schwebte, „...sag mal, hast du da gerade geflucht?“
 

„Nein!“, antwortete Gabriel sofort und bestimmt. „Ich? Niemals! Auf dein Niveau lasse ich mich doch nicht herunter. Unter anderem sollte ich wohl anmerken, dass du lediglich die Kerzen anzünden solltest und keine zweite Sonne erschaffen.“
 

Michael zog die Augenbrauen hoch.
 

„Das sagt mir derjenige, der den Raum unter Wasser gesetzt hat, weil er zu bequem war, um die Pflanzen mit der Kanne zu gießen.“
 

Gabriel hustete empört, konnte aber den Wahrheitsgehalt dieser Aussage nicht abstreiten.
 

„Das Buch war halt interessant.“
 

„Es hat im ganzen Gebäude geregnet!“, gab Michael zurück. „Wir mussten sogar umziehen, weil die Nässe in die Wände eingedrungen ist und zu faulen angefangen hat. Ganz zu schweigen von Uriels Möbeln, die alle zu sprießen begonnen haben.“
 

„Was kann ich denn dafür, dass Holz Wasser absorbiert?“, meinte Gabriel mit leichter Panik in der Stimme, als er an Uriels Gesicht zurück dachte. „Außerdem war das nur ein bisschen Wasser.“
 

„Nur ein bisschen Wasser?“, erkundigte sich Michael. „Für Raphael sah das nicht nach nur ein bisschen Wasser aus.“
 

Gabriel hickste und es klang als wäre eine Seifenblase geplatzt. Vor Raphael versteckte er sich schließlich immer noch. Der Heiler hatte ihm alle möglichen Dinge angedroht, die er mit ihm anstellen würde, als er ihn durch die überfluteten Gänge gejagt hatte. Entkommen war er dem sonst schnelleren Raphael nur, weil dessen Flügel so nass waren, dass er sie unmöglich anheben konnte und stattdessen hinter sich herschleifen musste. Es hatte ewig gebraucht bis die Federn alle wieder trocken gewesen waren, da Raphael nicht einfach den Wasserstoff herausziehen konnte, ohne zu riskieren das sie durch einen einzigen Funken aus Versehen in Brand gerieten.
 

So wie beim letzten Mal, als Raphael vergessen hatte, wie leicht entzündbar Sauerstoff sein konnte.
 

„Es war wirklich nur ein bisschen Wasser“, grummelte Gabriel und ignorierte Michael, der wie eine lebende Flamme im Raum stand, weil er sich geweigert hatte, nass zu werden, und suchte sich trockene Kleidung.
 

Blind, da durch das um Michael herum verdampfende Wasser, jegliche Sicht unmöglich machte.
 

-
 

„Gabriel“, flüsterte Michael erstickt, als er seinen besten Freund sterben fühlte.
 

Es zerriss ihn innerlich. Sein Blut kochte, wie Wasser in einem Topf, und zum ersten Mal in seinem Leben geschah dies nicht auf sein Zutun. Das war nicht kontrolliert, das eine reine panische Reaktion, weil jemand einen Regler entfernt hatte. Jemand hatte die Temperatur hochgetrieben und nun erreichte sie den Siedepunkt.
 

Michael versuchte sich mit Flammen zu umgeben, weil sie ihm vertraut waren und ihn so nichts erreichen sollte. Er wollte nichts von dem Schmerz in seiner Brust wissen, aber auch das brachte ihn keine Linderung.
 

Er brannte und er konnte nichts dagegen tun.
 

Gabriels Lebenslicht erlosch und versank in der Dunkelheit wie Wasser, das in der Erde versickerte.
 

„Ich werde Gabriel nie wieder sehen...“, sprach Michael zu sich selbst.
 

Die steigende Wärme um ihn herum war in dieser Intensität ungewohnt und neu, aber sie verletzte ihn nicht. Sie konnte ihn nicht verletzten.
 

Gabriel war fort und somit gab es niemanden mehr, der ihn verletzten konnte.
 

Niemanden ...
 

-
 

„Sie sagen, wir verhalten uns nicht so, wie wir uns verhalten sollen“, dachte Gabriel laut vor sich hin und schnippte einen weiteren Stein ins Wasser.
 

„Wie sollten wir uns denn verhalten?“, fragte Michael, der neben ihm hockte.
 

„Keine Ahnung“, sagte Gabriel und zuckte mit den Schultern. „Das ist es ja gerade. Die Frau, die man mir zur Seite gestellt hat, meinte, dass wir beide uns eben nicht wie Feuer und Wasser verhalten.“
 

„Sie wundert sich darüber, dass wir uns nicht hassen, obwohl es weit aus besser ist, dass wir es nicht tun?“, antwortete Michael und schüttelte verwirrt den Kopf.
 

„Öh ... so ungefähr?“, sagte Gabriel. „Ist mir nur durch den Kopf gegangen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dich zu hassen. Das passt nicht.“
 

„Heißt das, du könntest mich nicht hassen, ganz gleich was ich je tun würde?“, fragte Michael mit einer seltsamen Stimme.
 

Gabriel drehte den Kopf und sah Michael lange an, der ruhig und ohne auch nur einmal zu blinzeln, den Blick erwiderte.
 

„Ja“, meinte Gabriel nach einer Weile. „Ich denke nicht, dass ich dich hassen könnte.“
 

Sie wussten beide, dass er von der Prophezeiung sprach, deren Wortlaut sie beide kannten. Während Michael durch die Zustimmung seines Freundes sich ein sanftes Lächeln erlaubte und darüber nachdachte, dass er zum Dank ab sofort weniger Vulkane ausbrechen lassen würde, damit Gabriels seltsame Fischzucht im Wasser größere Überlebenschancen hatte, schwor sich Gabriel störrisch, dass er Michael schon zur Ordnung rufen würde, sollte der je wirklich rebellieren.
 

Wobei er sich fragte, wie er eine ernsthafte Rebellion Michaels von seinem alltäglichen Verhalten unterscheiden sollte.
 

-
 

Schwarze Schwingen schienen den ganzen Himmel einzunehmen, als Michael wie in Trance zu der Person herauf starrte, die gerade in sein Sichtfeld geflogen war.
 

„Luzifiel?“, meinte Michael fragend, denn die schwarzen Schwingen erschreckten ihn.
 

Alle vier breiteten sich hinter den Rücken seines Bruders aus und eine Stimme flüsterte Michael zu, dass er sich an diesen grauenhaften Anblick besser gewöhnen sollte. Sein Bruder würde nicht zurückkehren.
 

Ein Monster hatte an seine Stelle getreten und es hatte Gabriels Blut an den Händen.
 

Michael konnte es sehen, riechen und sogar fühlen.
 

Die Flügel Luzifiels waren nun schwarz, finster wie die Nacht, denn er hatte Gabriel umgebracht! Es war Gabriels Blut, dass den Fürsten der Dunkelheit geboren hatten, denn das helle Licht des Morgensterns war erloschen und an seine Stelle ein schwarzer Abgrund getreten.
 

Starr vor Schock und mit aufgerissenem Mund sah Michael zu, wie die vier schwarzen Schwingen den Teufel davontrugen, der ihm seinen Bruder und seinen besten Freund genommen hatte.
 

-
 

„Luzifer!“, schrie Michael und beschwor seine Flammen und sein Schwert für die Schlacht, die das Ende des ersten großen Krieges markieren würde.
 

„Wieso hast du uns verraten?“

(VII) - We're in this together

- nach Gabriels Tod, vor Jibrils Erwachen -

[folgt direkt auf "Bad Moon Rising"]
 

Raphael krallte seine Finger in das Metall des Bettgestells und starrte zuerst auf den Wasserdampf, der langsam an ihm vorzog und zum Fenster hinaus geweht wurde, dann auf die Tür, durch die Michael gerade verschwunden war. Ratlos presste er sich die Hände vor das Gesicht, um nicht sehen zu müssen, was passiert war. Vielleicht würde die Welt wieder in Ordnung werden, wenn er sich nur lange genug einredete, es wäre alles nur ein Traum. Nur ein schlimmer Alptraum, aus dem er wieder erwachen würde. Aber Belial hatte ihm gezeigt, wie die Welt wirklich aussah, wenn man nicht nur über sie hinweg flog, sondern nahe genug heran ging bis man deren kalte Grausamkeit nicht mehr leugnen konnte.
 

Ich wollte nie wissen, wie die Welt von innen aussieht, dachte Raphael.
 

Dasselbe hatte er auch gedacht, als er zum ersten Mal die offenen Organe eines anderen Engels erblickt hatte. Er hatte nicht glauben wollen, dass Engel sich das gegenseitig antun konnten. Beinahe hätte der die Berührung und das viele Blut auf seinen Händen nicht ertragen, aber er als Heiler wusste, dass gewisse Dinge eben gemacht werden mussten. Besonders wenn es darum ging Leben zu retten.
 

Leben wie das von Gabriel.
 

Gabriel.
 

Der Name hing in der Luft und Raphael brachte es nicht fertig, ihn auszusprechen. Er wusste, dass etwas in ihm sterben würde, wenn er es nicht tat, aber er konnte sich der Aussicht nicht stellen, dass er tot war. Nicht solange er sich noch an die Illusion klammeren konnte, die atmend und lebendig hinter ihm lag. Es war nicht viel, aber es war genug, um sich seine Fassung zu bewahren, ansonsten hätte er sehr wahrscheinlich dem Drang nachgegeben einfach die Flügel zu spreizen und davonzufliegen.
 

Um nie wieder zurück zu kehren.
 

„Raphael“, rief ihn Uriel jetzt und wieder einmal fragte sich der Heiler, wie er es schaffte ihn ständig zu übersehen.
 

Uriel war weder klein noch unauffällig, aber man konnte leicht an ihm vorbei laufen, ohne ihn zu bemerken. So wie eben schien es ihm auf, dass Uriel sich häufig ganz einfach nicht bemerkbar machte, selbst wenn es vielleicht höflicher gewesen wäre, es zu tun. Doch da Uriel meist taktvoll genug war, um von beobachteten Geschehnissen keinen Vorteil zu ziehen, klagte ihn deswegen auch niemand an.
 

Raphael sah zu dem Riesen auf, der neben ihm stand, aber respektvoll Abstand hielt. Nähe hätte er jetzt wirklich nicht ertragen, nicht von Uriel. Nicht wenn er sich so mächtig fühlte, wie ein kleiner Vogel der drohte vom Wind gegen die Wand eines Berges geworfen zu werden. Er wollte jetzt nicht mehr mit der Realität konfrontiert werden, als es unbedingt nötig war und den harten Aufprall würde er vielleicht so nicht überstehen, wenn klar wurde, dass die Person auf den Bett nicht Gabriel war.
 

Und auch niemals Gabriel sein würde.
 

Schwindel erfasste ihn und die Welt drehte sich, ob wegen der Erkenntnis, die er sofort wieder verdrängte oder weil Uriel ihn in die Senkrechte zog, wollte Raphael nicht wissen. Aber immerhin blieb sie halbwegs in ihren Fugen, weil Uriel sich trotz seiner instinktiven Reaktion sich weigerte ihn loszulassen, sondern lediglich einen Arm um seine Hüfte legte und ihn zur Tür schleifte.
 

„Du musst hier raus Raphael“, hörte er Uriel sagen. „Wir müssen hier raus.“
 

Ja, wollte Raphael schreien, aber er brachte bloß ein schwaches Nicken zustande. Er musste hier raus, weil er sonst nicht wusste, was er würde tun, wenn sie aufwachte. Es würde bald soweit sein und er konnte nicht dabei sein. Er konnte nicht dieser Frau, diesem Wesen ins Gesicht blicken und sie als Gabriel akzeptieren.
 

Michael hatte Recht, dachte Raphael abwesend, als Uriel ihn durch die Gänge schleifte, die Wachen anwies niemand zu dem Wasserengel vorzulassen und sich an ihm klammerte, als wenn er das Einzige wäre, was ihn noch auf dem Boden der Tatsachen hielten. Wir können Gabriel nicht ersetzten, aber ich ...
 

Atemzüge beschleunigten sich und ein substanzloses Wanken glitt in seinen Gang.
 

... ich habe es trotzdem getan!
 

Der Rat hatte es ihm befohlen und er hatte sich dem nicht widersetzten können. Einige dieser Engel gehörten zu den ersten die der Schöpfer erschaffen hatte und seine Stellung war durch die Affäre mit Belial schon gefährdet genug. Sie hatten ihm gesagt, was er tun sollte und hatten ihm die Mittel zur Verfügung gestellt, die nötig gewesen waren, um Gabriels Inkarnation zu einer jungen Frau zu altern zu lassen.
 

Ein Teil von ihm warnte ihn, dass dies nur der Anfang einer Katastrophe war. Man konnte den Ratsmitgliedern nicht trauen und als Arzt wusste er am besten, dass derartige Prozesse langsam von Statten gehen mussten. Aber es war auch dieselbe Stimme ihm sagte, dass sich jetzt alles ändern würde und hören wollte er das nicht, als ignorierte er seine Umwelt so gut er konnte. Selbst Uriel, der ihn jetzt mehr trug als stützte.
 

„Komm schon Raphael“, sagte Uriel zu ihm und schob in einen dunklen Raum.
 

Es dauerte eine Weile bis Raphael ihn als seine eigene Behausung erkannte. Durch die lange Zeit an der Front des Krieges hatte er praktisch vergessen, dass er noch einen anderen Schlafplatz als das Feldbett hatte.
 

Jemand zog an seiner Kleidung, doch Raphael reagierte gar nicht.
 

Er konnte seine Gedanken nicht von dem Engel lösen, der Gabriels Platz eingenommen hatte. Wenn sie Glück hatten, war sie wahnsinnig. Wenn sie Pech hatten, war sie inkompetent und ihrer Aufgabe als Hüterin des Wassers nicht gewachsen.
 

Dann würden sie es erneut probieren müssen, allerdings würde bei jedem Versuch immer mehr von Gabriel verloren gehen. Außerdem waren die Naturkatastrophen unabsehbar, jetzt war es bereits der Fall das alles Leben auf Assiah bedroht wurde, weil das geschwächte Gleichgewicht Luzifers Fall nicht ertragen und eine Kettenreaktion ausgelöst hatte, an dessen Ende die Urzeitmonster standen. Michael wurde den Tod riesigen Echsen und Drachen betrauern, wenn er denn zwischen Gabriel und Luzifer Zeit dafür fand.
 

Sie würden alle irgendwann über ihren eignen Schmerz hinweg sehen müssen, doch Raphael würde gewiss nicht damit angefangen. Heute außerdem erst recht nicht.
 

Er fühlte wie er von Uriel auf sein Bett gesetzt wurde. Ein kalter Luftzug blies über seinen nackten Oberkörper und Raphael fragte sich, wann Uriel ihn auszogen hatte. Gerade als der Erdengel zurücktreten und sich zurück ziehen wollte, klärte sich Raphaels Verstand soweit, dass er rechtzeitig nach Uriels Hand greifen und sie festhalten konnte.
 

Fragend sah er Uriel an.
 

„Bleibst du hier?“, wollte er wissen.
 

Zwar wusste er nicht, ob er Uriels Nähe die ganze Nacht würde ertragen können, ohne komplett auseinander zu brechen, aber alleine in der Dunkelheit zu liegen, würde ihm den verlorenen Frieden auch nicht wiedergeben.
 

Uriel schien zu zögern und Raphael bemerkte da etwas Hartes in seinem Blick, etwas das vor Gabriels Tod noch nicht da gewesen war, aber er nickte.

Daher beschloss Raphael alles weitere zunächst zu vergessen, als sich Uriel zu ihm legte.
 

Alles.
 

Dass Uriels Haut sich rauer und trockener anfühlte, als er es gewohnt war, dass er nicht wusste, was Michael trieb, dass Jibril gerade unbeaufsichtigt war ...
 

Und ganz besonders, dass der Rat vehement darauf bestanden hatte, dass Gabriels Nachfolger ein junger kräftiger, aber vor allem weiblicher Engel sein musste.

(VIII) - Second Choice

- irgendwann vor dem zweiten großen Krieg, Rosiel herrscht über Atziluth -
 

„Ist das ätzend“, murmelte Michael, als er auf den Ärmel seines Mantels blickte, der sich immer mehr mit Blut tränkte, weil seine Nase nicht aufhören wollte zu bluten. Es mochte an der schlechten Luft liegen, aber auf jeden Fall strömte immer wieder Blut heraus, wenn er zu tief einatmete. Wieder presste Michael den Stoff vor seine Nasenhöhlen und legte den Kopf in den Nacken. Es würde schon bald wieder verheilen, aber mehr störte ihn das Kitzeln, welches das Blut beim Herausfließen verursachte.
 

Vorsichtig leckte den Tropfen weg, der sich seinen Weg über seine Lippen bahnte und schluckte ihn herunter. Er fand nicht, dass es anders schmeckte, als das Blut, das er bisher probiert hatte. Weder war es süß noch giftig, doch möglich das er es nicht bemerkte, weil es sein eigenes wahr. Vielleicht sollte er mal austesten, ob es wirklich dieselbe Wirkung hatte wie das des Teufels über dessen Taten in der Hölle man sich so einiges berichtete.
 

Genauso wie über die Hölle selbst. Engel in seinem Kommando erzählten sich, dass die Feuer der Hölle so heiß waren, dass sie Gestein schmelzen konnten.
 

Es ist nur ein weiterer Beweis wie ähnlich wir uns sind, dachte Michael und nahm die Hand vor seiner Nase weg, um den dunklen Fleck zu betrachten, der sich auf dem Stoff gebildet hatte. Entweder er hat sie selbst gezündet oder seine Natur ist der meinen so ähnlich, dass sie ihm nichts ausmachen.
 

Da musste man sich fragen, ob sie wirklich so verschieden waren, wie der Himmel es predigte. Ein Blick auf die Kreaturen, die Luzifer angeblich erschaffen und erzeugt hatte, ließ jeden Engel Teufel oder Dämon schreien. Doch wenn man sich umdrehte, konnte man deutlich sehen, dass sie bloß hinter einer weißen Wand aus Scheinheilig das verstecken zu versuchten, was die Rebellen nach ihrem Fall offen zeigten.
 

Die verdrehte und kranke Natur ihrer Existenz.
 

„Soll das geheilt werden, Michael-sama“, fragte ein Engel, der nun nehmen ihn trat und deutete auf die von Blut überströmte Hand und untere Gesichtshälfte, die langsam zu kleben begann.
 

„Nein“, antwortete Michael, „Da ist nichts zu heilen. Es wird schon irgendwann aufhören.“
 

„Gut“, antwortete der Engel und blinzelte nicht einmal, als Michael seine Finger zu säubern begann, indem er sie ableckte.
 

„Stört dich das?“, fragte Michael in aller Seelenruhe, als der andere Engel den Kopf nicht abwandte.
 

„Nein“, kam die knappe Antwort. „Ich habe mich durch das Kämpfen daran gewöhnt. Außerdem ist das die einzige Art und Weise, die keine Spuren hinterlässt.“
 

Michael zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen. Der Engel war keiner von seinen Leuten, seine Uniform wies ihn als Cherub ersten Ranges aus, der dem Rat des Himmels unterstellt war. Erstaunlich, da der Rat nur wenige Kämpfer beschäftigte, die hier im Grenzland lange überleben würden. Aber es erklärte auch, warum der dunkelhaarige Engel neben ihm dem Blut so fasziniert gegenüber stand und seine Finger nicht aus den Augen lassen konnte.
 

Der Rat züchtete sich seine treuen Untergebenen gerne selbst, wer in der Brutstation nichts zu taugen werden versprachen, endete im schlimmsten Fall als Forschungsobjekt. Die Meisten wurden bloß einfache Arbeiter mit geminderter Intelligenz, aber jene wenigen, die sich zu behaupten vermochten, waren keinesfalls geistig gesund. Und er wollte eigentlich gar nicht einmal wissen, warum.
 

„Wenn du so weiter machst, wird es dir einmal Spaß machen“, sagte Michael und hob seine teils noch Blut verschmierte Hand hoch, um den jüngeren Engel zu sich zu winken.
 

Der ließ sich neben ihm auf die Knie sinken und ergriff Michaels ausgestreckte Hand am Gelenk, um die ihm dargebotenen Fingern an seinen eigenen Mund zu führen. Nahezu hingebungsvoll leckt er das restliche Blut ab, bis nichts mehr davon auf Michaels Haut zu sehen war.
 

Dann sah er auf und sagte: „Ich weiß. Aber lieber ende ich als blutrünstiges Monster, dem das Töten Spaß macht, als gar nichts zu fühlen.“
 

Es lag ein Funken Rebellion in dem Blick des eigenartigen Engels und Michael fragte sich, ob sein Blut das war, das diese fast unscheinbare Gefühlsregung der Auflehnung verstärkte. Vielleicht stimmten die Gerüchte über die Hölle ja und man konnte durch Blut und andere Körperflüssigkeiten wirklich die Natur eines Lebewesens der eigenen ähnlicher machen. Es wäre zumindest mal wieder ein brillantes Beispiel für den scharfsinnigen Verstand seines Bruders.
 

Auch wenn ich gerne wüsste, wie er das herausgefunden hat, dachte Michael dunkel und wandte sich wieder dem Engel zu, der immer noch vor ihm hockte.
 

Es wirkte befremdlich, da Michael breitbeinig sich gegen einen Felsen gelehnt hatte, seinen Mantel lässig über sein linkes Knie geworfen hatte und der andere Engel - ein ganzes Stück größer – in Uniform fast formal neben ihm kniete. Es fehlte bei der Haltung lediglich, dass er seine rechte Hand zur Faust geballt zum Gruß an die Brust legte.
 

Lange wird er das aber sowieso nicht mehr tun müssen, erkannte Michael, als den Engel studierte, der ihn furchtlos ansah und noch darauf wartete, dass er sich zu seiner Stellungnahme äußerte. Selbst ohne den möglichen Einfluss meines Blutes, dürfte er bald befördert werden. Zumindest wenn er überlebt, weswegen man ihn hergeschickt hat.
 

Michael grinste schließlich und fragte: „Wie heißt du? Vielleicht lohnt es sich ja, wenn ich mir deinen Namen merke!“
 

Allein, um heraus zu finden, ob dieser Engel sich so sehr von den Anderen unterschied, dass sich sein Blut bemerkbar machte. Glücklich würde es ihn vermutlich nicht machen, aber der Engel würde selbst entscheiden müssen, ob sein künftiges Schicksal es wert gewesen war das Blut Michaels – und damit auch das von Luzifer – in sich zu tragen.
 

„Zaphikel!“
 

In den Augen des Dunkelhaarigen blitzte kurz ein Ausdruck auf, den Michael schon sehr häufig im Spiegel gesehen hatte, besonders in der letzten Zeit, und entschied sich, dass Dünger wohl auf nahrhaften Boden treffen musste, um wirklich Ertrag zu bringen.
 

„Mein Name ist Zaphikel.“

(IX) - Wait your turn

- Vor Alexiels Verhandlung –
 

Mit eiligen Schritten durchquerte Jibril die überfüllten Gänge des Gebäudes. Überall standen Wachen, deren Waffen nicht nur zur Abschreckung dienten. Man hatte die in Rüstung gekleideten Spione, die an jeder wichtigen Tür standen, gegen Männer des Militärs getauscht. Sie trugen schwarze, schusssichere Westen, Gewehre, die beständig am Anschlag waren, und hatten einen harten Blick im Gesicht, der jedem sagte, das sie keine Hemmungen hatten ihre Waffen und ihre Ausbildung dazu zu benutzen jede Unruhe und jeden Aufstand im Keim zu ersticken.
 

Jibril erschauderte, als sie an zwei dieser Wachmänner vorbei lief, um in das Gerichtsgebäude zu gelangen, in dessen tiefen Kellern man Alexiel eingesperrt hatte. Sie wusste nicht wessen Befehl sie unterstanden, doch offenbar kannte dieser jemand ihr Gesicht gut genug, sodass sie passieren konnte ohne die eigentlich für jeden verpflichtende Kontrolle über sich ergehen lassen zu müssen.
 

Es gab nicht viele, die ihr diese Erniedrigung ersparen würden, denn Jibril hatte gelernt, dass Soldaten alle gleich waren. Selten traf sie jemanden an, der nicht seine Hände zu lange auf ihrem Körper ruhen ließ, weil gerade kein weiblicher Soldat in der Nähe war, der diese Aufgabe übernehmen konnte. Inzwischen hatte sie es aufgegeben, sich darüber zu beschweren, denn in der Regel stand ihr Wort gegen das der Männer, die selbstverständlich alles leugneten, nichts gesehen hatten oder gleich dreist alle zusammenhielten. Häufig reichte es nicht einmal für eine Beschwerde oder einen Eintrag in ihrer Akte.
 

Jibril hatte gelernt in dieser Sache den Mund zu halten und stattdessen sich zu rächen, in dem sie die Blutzirkulation so manipulierte, dass der Grabscher für den Rest seines Lebens impotent war.
 

Es war ihr egal, ob dieses Gerücht inzwischen die Runde gemacht hatte. Oder ob der Verantwortliche hinter den versteckten Überwachungskameras sich an einem Tag wie diesen einfach an die Vorschriften halten wollte, damit nichts schief ging, was auf ihn zurück fallen konnte, aber sie sandte den Soldaten dennoch einen eisigen Blick zu. Sie war unter jenen sowieso nicht beliebt, ganz gleich welchem Kommando sie angehörten, also würde sie weiterhin alles tun, um sich vor Übergriffen zu schützen.
 

Vor der großen schweren Holztür, die zu Uriels Amtszimmer führte, blieb sie stehen und wartete darauf, dass die Wache davor, sich bemühte sie für sie aufzumachen. Es war keine Sache der Kraft, sondern ein Teil ihres täglichen Kampfes sich unter den Herrschaften und zumeist männlichen Hohen Engel zu behaupten. Sie konnte es sich nicht leisten, den Respekt nicht einzufordern, den man ihr schuldete. Es gab zu viele, die sich den leisesten Hauch von Schwäche sofort zu Nutze machen würden.
 

„Uriel-sama, es ist Jibril-sama, höchster Engel der Herrschaften und Hüter des Wasser“, kündigte ein Engel an, der gleich rechts neben der Tür platziert war.
 

Vermutlich war ein hoher Justiziar und rundherum im Kampf ausgebildet seinen Herrn gegen jede Gefahr zu beschützen, doch in Uriels Gegenwart wirkte er nicht mehr als ein einfacher Schreiber. Mehr würde er in ihren Augen auch nie sein, wenn er es nicht fertig brachte, ihre Titel auf ihr Geschlecht hin angepasst zu verkündigen, doch auch dies schien nie jemanden zu kümmern.
 

Es war und blieb bei der männlichen Anrede.
 

„Ich weiß“, antwortete Uriel mit tiefer Stimme und blickte von seinem Schreibtisch auf.
 

Seine dunklen Augen trafen ihre und wie immer musste Jibril einen Fluchtreflex unterdrücken. Seit jeher wirkte er auf sie wie eine kalte dunkle Felswand, deren scharfe Kanten nur durch ständige Bearbeitung und mit viel Geduld beizukommen waren. In ihrer Erinnerung kam es keinen Moment wo dem Uriel auf sie je weich oder freundlich gewirkt hatte.
 

An Uriel gab es nichts freundliches, selbst sein Gesicht wirkte wie eine Maske.

Starr und unnachgiebig.
 

„Womit kann ich dir behilflich sein Jibril?“, fragte Uriel und schob die Papiere zusammen, die er gerade bearbeitet hatte.
 

Mit einer Handbewegung schickte er seine Helfer und Berater hinaus, damit sie ungestört reden konnten, aber sie bekam den Eindruck, dass dies mehr als für eine Chance auf Ruhe und nicht wegen ihr beider Privatsphäre tat.
 

„Ich wollte mich wegen Alexiels Schicksal erkundigen“, sagte Jibril fest und schob die Gedanken beiseite, das vielleicht auch hier Mithörer in der Wand waren, die sie aushorchten und beobachteten.
 

„Das wird bei ihrer Verhandlung bekannt gegeben“, brummte Uriel dunkel und einsilbig.
 

Jibril allerdings konnte die Botschaft ‚das geht dich nichts an’ dennoch sehr gut heraus hören. Aber mehr als die unhöfliche Abfuhr ließ sie die Wortwahl aufhorchen.
 

„Steht das Urteil denn bereits fest?“, fragte sie entsetzt. „Selbst die öffentliche Anhörung hat noch nicht einmal begonnen.“
 

Uriel sah sie ungewohnt mit offener Feindseligkeit an.
 

Wieder einmal fragte Jibril sich, was der Grund für Uriels kalte und forsche Art. Mit jedem Jahrzehnt das verging, wurden seine Wutausbrüche offener, gewalttätiger und häufiger. Selbst Raphael redete nicht mehr mit ihm und dabei waren der Erd- und der Windengel wohl einmal sehr enge Freunde gewesen. Nur noch Michael konnte man regelmäßig in Uriels Gegenwart antreffen, ganz gleich welcher Stimmung beide waren. Doch da Michael ein Sonderfall war, den sie schon aus Prinzip nicht verstand und er sie mied seitdem sie sich erinnern konnte, half ihr das auch nicht weiter, um den Rätsel für Uriels grobes Verhalten auf den Grund zu kommen.
 

„Alexiel wird sterben“, antwortete Uriel nun auf ihre Frage und riss sie aus ihrer Überlegung, warum sie sich mit den anderen Elementaren nicht verstand.
 

„Ihre Anklagepunkte sind schwerwiegend. Als Organischer Engel hätte sie Aufgaben wahrzunehmen gehabt, die für den fortbestehende Existenz Assiahs essentiell sind. Doch anstatt sie wenigstens fernab des Himmels auszuüben, nachdem sie geflohen war, verband sie sich mit Dämonen, stachelte sie zum Krieg an, ebnete ihnen den Weg vorbei an unseren Verteidigungen vorbei und brachte damit tausenden Engeln den Tod.“
 

„Aber...“, wollte Jibril einwenden. „Kann sie denn als Organischer Engel überhaupt getötet werden?“
 

Sie wollte nicht, dass Alexiel starb. Denn sie war neben ihr der einzig weibliche Hohe Engel, der mit ihr auf einer Rangstufe stand. Außerdem hatte sie den kalten Tod nicht verdient, dafür dass sie den Großteil ihres Lebens eingesperrt gewesen war. Vielleicht konnte sie Alexiels Schicksal abwenden, in dem sie Uriel an ihre Nützlichkeit erinnerte.
 

Doch dessen grimmiger Gesichtsausdruck machte ihre Hoffnungen zunichte.
 

„Jedes Lebewesen kann getötet werden“, sprach er verheißungsvoll und starrte Jibril unverhohlen an. „Selbst Hohe Engel und ihr Status schützt sie nicht vor den Konsequenzen ihrer Taten. Ich werde ihre Seele notfalls selbst in den Hades überführen, wenn es nötig ist, aber sie wird ihre Strafe erhalten.“
 

Jibril erzitterte wegen der Macht hinter dieser grausamen Stimme des Mannes, der Alexiel sterben und leiden sehen lassen wollte. Es war nicht das erste Mal, dass sie befürchtete, dass sie mit den anderen Elementaren nicht ebenbürtig war, aber nie zuvor hatte sie auch nur einen von ihnen gefürchtet.
 

Bis heute.
 

Bis sie in Uriels Gesicht gesehen hatte und erkennen musste, dass er nicht nur Alexiel aus irgendeinem Grund hasste, sondern sie ebenfalls. Es lag in seinen Augen, dass er sie am liebsten verfluchen wollte, genauso wie er es bei Alexiel tun würde.
 

Jibril wich nun zurück und ließ Uriel nicht aus den Augen bis sie die Tür an ihrem Rücken fühlte. Uriel hatte sich seit seinem letzten Satz nicht bewegt, aber er erinnerte sie ein Raubtier auf der Lauer, bereit sie zu töten, wenn sie eine falsche Bewegung machte. So schnell wie möglich sie konnte, schob sie sich durch die Tür und war froh, als sie endlich das Gebäude verlassen hatte. Eigentlich hatte sie Uriel bitten wollen, dass er weibliche Soldaten zur Aufsicht neben Alexiels Zelle postierte, damit sich niemand deren Status aus Kriegsgefangene zu Nutze machte, aber sie würde es nicht wagen jetzt oder gar jemals wieder zurück zu gehen. So weit weg sie von Uriel war, desto gesünder war es vermutlich für sie.
 

Auch wenn sie gerne gewusst hätte, warum er sie so hasste, Michael ihre Existenz komplett ignorierte und Raphael sie hin und wieder so ansah, als sie der größte Fehler seines Lebens.

(X) - Drink up, baby

- nach dem zweiten großen Krieg –
 

Eine kalte Brise fegte über die vierte Schale des Himmels, doch im Vergleich zur der politischen Stimmung mochte man den Wind als brodelnd bezeichnen. Denn es trafen zwei Ströme zusammen, deren so unterschiedliche Temperaturen, verhinderten, dass der von vielen ersehnte Frieden im Frieden endlich einkehren würde. Inzwischen waren die gröbsten Spuren der Zweiten Großen Krieges beseitigt, aber die politische Lage hatte sich nach wie vor noch nicht entspannt. Rosiels Verschwinden nach dem Kampf mit seiner Schwester hatte sich ein politisches Machtvakuum aufgetan, das bisher niemand hatte zu schließen vermocht hatte.
 

Aufstrebende Engel kamen und fielen so schnell, das die Bevölkerung sich nicht einmal mehr die Mühe machte, groß auf die sterbenden Sterne zu achten, die unter dem Druck und der Spannung verglühten, die von den beiden größten Parteien ausging. Denn niemand konnte es mit dem dynamischen Engel aufnehmen, der effektiv an Macht gewonnen hatte und nun den Himmel regierte. Sevothtarte war deutlich jünger als die meisten Hohen Engel, doch keiner hatte protestiert, als er die Vormundschaft für Metatron übernommen hatte.
 

Niemand außer mir, dachte Jibril bitter und blickte auf die Seerosen in ihrem Wassergarten. Und genützt hat es gar nichts.
 

Sie hatte sich zurückgezogen, um einen Moment Ruhe zu haben und ihre Gedanken zu ordnen, doch ihre Sorgen konnte sie auch an diesem Ort nicht verdrängen. Vielleicht weil er ein Inbegriff der Schönheit und Vollkommenheit war und so viele andere Engel das weder kannten noch hatten. Die unteren Schichten versanken in Elend, während sich die Hohen Engel, die den Himmel regierten, einen Dreck darum scherten. Doch egal, was sie tat, um darauf hinzuweisen, dass sie eine Verantwortung zu tragen hatten, niemand hörte ihr zu.
 

Inzwischen hatte sie das Gefühl, man ignorierte sie absichtlich.
 

Das tat schon weh genug, aber wenn daraus resultierte, dass ein Mann wie Sevothtarte über das Leben von Metatron bestimmte, schmeckte sie Galle in ihrem Mund. Schließlich sah sie, was für ein kranker Geist sich hinter der sprichwörtlichen Maske verbarg. Manisch und besessen von Reinheit und Ordnung im Himmel hatte dieser Mann bereits begonnen jene auszusortieren, die seiner Meinung nach eine Gefahr waren. Sei es für ihn selbst, den Himmel oder für seine Politik.
 

Jibril schnaubte, sie wollte eigentlich gar nicht wissen, was hinter den geschlossenen Türen abging, die hinter den Einrichtungen der Geburtstationen lagen. Forschung hieß es stets, wenn man fragte. Gerne hätte sie mehr gewusst, aber für einen wirklich Erfolg hätte sie selbst die Spionagearbeit erledigen müssen und um keinen Preis der Welt würde sie erneut schwanger werden, so wie so wie es für jeden weiblichen Engel mindestens drei mal die Pflicht war, damit der Erhalt der Population gewährleistet war.
 

Geburtsmaschinen, mehr sind wir in den ersten Jahren unseres Lebens nicht, dachte Jibril und faltete die Hände in dem Schoß zusammen. Da Liebe und Vereinigung zwischen Mann und Frau verboten war, wurden junge Engelsfrauen künstlichen befruchtet und trugen Kinder aus, die sie nach der Geburt weder sehen, halten oder aufziehen durften. Gleiches Recht für alle, hieß es stets.
 

Manchmal fragte sie sich, was aus ihren Kindern geworden war, die sie geboren hatte, aber sie wieder zu finden war unmöglich. Die Namen der leiblichen Mutter und des Erzeugers waren vermutlich das Einzige, das der Himmel nicht dokumentierte und irgendwo festhielt. Es war vielleicht auch besser so, denn sie wusste, es würde unangenehme Verwandtschaften zutage fördern. Die einzigen bekannten und offiziell akzeptierten Fälle waren Zwillingsgeburten und von denen hatte es nicht sehr viele gegeben und es lebten nur noch zwei von den insgesamt sechs Exemplaren im Himmel.
 

Einen hatte sie gerade an Sevothtarte verloren.
 

Dem Anderen war sie in ihrem ganzen Leben nur eine handvoll Male begegnet.
 

Wahrscheinlich würde Michael sie nicht einmal erkennen, wenn sie vor ihm stünde. Genauso wie Luzifer ihr eine Tasse Tee reichen könnte und sie würde es nicht bemerken, denn sie war de Teufel nie begegnet. Vielleicht würde sie das auch nie, schließlich war er im letzten Krieg niemals aufgetaucht, aber was brauchte sie Luzifer wenn sie Sevothtarte hier in ihrem zuhause hatte? Der war ihr schon Teufel genug und noch schlimmer als dessen Existenz war nur, dass niemand außer ihr etwas dagegen unternehmen wollte.
 

Früher oder später konnte es bedrohlich für sie werden, denn ohne Verbündete stand sie gegen den Minister alleine da. Wortwörtlich, denn Raphael und Michael ließen sich auf den Versammlungen nur selten blickten, Zaphikel traute sie nicht, Uriel war unauffindbar und der Rest hatte keinen politischen Einfluss, zumindest nicht auf Sevothtarte. Der weiße Engel konnte nahezu tun und lassen, was er wollte ohne dass sich jemand darum scherte.
 

„In was für einer Welt leben wir nur?“, seufzte Jibril und schreckte auf, als ihr tatsächlich jemand antwortete.
 

„In einer, die so kalt und korrupt ist, dass man sich nicht einmal mehr auf seine Verbündeten verlassen kann“, sprach jemand hinter ihr und Jibril fuhr auf.
 

Das Wasser auf dem Teich kräuselte sich bedrohlich, als sie von ihren Steinthron auffuhr, doch stoppte sie als den Besucher erkannte.
 

„Was wollen sie hier?“, spie sie, als Jibril Sevothtarte erkannte. „Reicht es nicht, dass sie mir in der Öffentlichkeit ihren Sieg über die Vormundschaft unter die Nase reiben oder müssen sie mich jetzt auch noch privat belästigen?“
 

Der weiße Minister ragte über ihr und sah sie mit seinen kalten Augen abschätzend an. Unter der Maske zeichnete sich die Andeutung eines Lächelns ab. Das beunruhigte Jibril soweit, dass sie ihren Griff über die Mächte des Wasser wieder lockerer ließ, denn mit Gewalt würde sie ihm sowieso nicht beikommen.
 

„Ich habe etwas für sie, Jibril-sama“, meinte Sevothtarte spottend, als er die ehrvolle Anrede verwendete und hielt eine Akte hoch.
 

Sie war alt, modrig und bloß aus Papier bestehend. Keine digitale Anhäufung von Daten und sie fragte sich, was es wohl sein mochte, dass ihr Widersacher da angeschleppt hatte. Sie wusste um keine Skandale, die er gegen sie verwenden konnte und eher wäre er damit an die Öffentlichkeit gegangen, um sie zu demütigen, als das er persönlich kam. Außer es handelte sich um Erpressung und Genugtuung.
 

Er hielt ihr die Akte und wedelte kurz damit. Jibril ergriff sie, da sie wusste, dass sie ihn nicht eher wieder loswerden würde, bevor er nicht bekommen hatte was er wollte. Außerdem waren erstaunlich wenige Dienerinnen um sie herum, sodass sie nicht einmal Zeugen hätte, ganz gleich für was.
 

„Ich wusste nicht, dass ich auf der Suche nach etwas war“, sagte sie, als sie das Leder unter ihren Fingern fühlte.
 

„Vielleicht waren sie sich nie bewusst, dass Antworten gab, nach denen sie hätten suchen können“, sagte Sevothtarte und er sah aus, als er hätte er einen persönlichen Sieg davon gerungen. „Ich fand diese Akte per Zufall, als ich Uriel-samas Büro durchging, um einen Ersatz für ihn zu finden, nachdem seine Rückkehr unwahrscheinlich geworden ist. Meiner Meinung nach sollten sie wissen, was man vor ihnen verborgen hat.“
 

Jibril musterte Sevothtarte kurz, dann setzte sie sich wieder auf ihren Steinsitz. Der Minister hielt höflich Abstand, offenbar hatte er nicht vor sie körperlich zu bedrängen. Es reichte ihm wohl genaustens ihre Reaktionen zu beobachten. Eigentlich wollte sie nicht wissen, was in dieser Akte stand, aber Sevothtarte gab ihr keine andere Wahl. Dies war wieder eines seiner Spiele, die sie mitmachen und meistern musste, wenn sie weiterhin gegen ihn bestehen wollte. Und ihm das Feld zu überlassen konnte sie nicht, ganz gleich ob jeder versuchte sie davon herunter zu drängen.
 

So schlug sie den Umschlag beiseite und sah auf das Papier in ihrem Schoß.
 

Zurück blickten ihre eigenen blauen Augen, die sie aus einem fremden Gesicht anstarrten. Es war männlich, ein Mann, ein Stück älter als sie mit blau dunklem Haar und einem scharfen Gesichtsausdruck. Es war nur ein Bild, eine Vergrößerung einer Aufnahme, die sich gleich hinter dem Porträt befand, das sie anstarrte, doch Jibril entglitt jeglicher Gedanke, als sie in ihren eigenen Spiegel blickte.
 

„Was...?“, brachte sie schwach hervor. „Was ist das?“
 

Sevothtarte trat heran und beugte sich von hinten über die Lehne.
 

„Traurig, nicht wahr?“, sagte er. „Da leben sie all der Zeit in dem Glauben, dass sie der Engel des Wassers wären und dabei war es bloß eine Lüge. Eine einzige Lüge, weil ihnen niemand sagen wollte, dass sie bloß ein Ersatz für den großen Engel Gabriel waren.“
 

Gabriel ...
 

Der Name hallte in ihrem Kopf wieder und wie von selbst fielen die Puzzlestücke an ihren Platz. Das Heilige Buch selbst verwendete diesen Namen und sie hatte sich nie gefragt warum. Es war ganz einfach nur eine falsche Übersetzung gewesen und die frauenfeindliche Einstellung des Himmelreichs.
 

Doch es war mehr als das. Als sie weiter durch die alte Akte blätterte, tat sich auf, dass ihr Leben eine Lüge war.
 

Sie war nicht der Engel des Wassers.

Sie war nicht das Element, das der Erde Leben gespendet hatte.

Sie war nicht diejenige mit dem Anspruch auf die Herrschaft über den Himmel.
 

Das war Gabriel.
 

Jibril erstarrte bei der Erkenntnis, dass ihr wahrscheinlich deswegen nie jemand geholfen hatte und sie deswegen immer gehasst worden war, aber es hätte auch die Nadel sein können, die Sevothtarte gerade in ihren Nacken gleiten ließ.
 

xxx
 

Eine kurze Anmerkung zu dem Brutsystem von Engeln: es ist eine Mischung aus dem, was für über Raziel wissen und was Kurai gesagt hat. Die meinte nämlich „unser Geschlecht entscheidet sich spät“ und bei Engeln wird das nicht anders sein. Da das Bild dabei dies eines „schlüpfenden“ Dämons ist, gehe ich davon aus, dass Engel zwar auch aus der Verbindung 'Eizelle und Samen' entstehen, aber nicht im Leib der Mutter heranwachsen. Nur bei Hohen Engeln ist das so, zumindest hier. Genau deswegen werden junge Engelsfrauen benutzt und ihnen später die befruchteten Einzellen wieder entnommen, eine Geburt in dem Sinne, gibt es jedoch nicht oder nur selten.
 

Nur soviel dazu.
 

mangacrack

(XI) - It's just skin

- nach Sandalphons Angriff auf Sarah – 
 

Raphael sah auf den Messias hinunter, als jener den Raum betrat, wo sie das Mädchen Sarah untergebracht hatten. Sandalphon war noch immer in ihren Gedanken und fest glaubte sie, dass sie schwanger wäre. Ständig sprach Sarah von dem kleinen Baby mit den vielen roten Augen und lächelte, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt.
 

„Sie zeigt die gleichen Symptome wie Sevothtarte?“, fragte Uriel, als er neben ihn trat.
 

Raphael nickte und registrierte mit leichten Unbehagen, dass Michael sich ebenfalls zu ihm und Uriel gesellte. Der Feuerengel verschränkte locker die Arme vor der Brust und sah ausdruckslos auf Sarah herunter. Sie beide hatten mehr Zeit als Uriel mit Sarah verbracht und hatten an ihrer Seite gestanden, als sie Jibrils Körper wieder zum Leben erweckt hatte. Allerdings ohne ihr Bewusstsein hervor zu holen, wofür Raphael aber keine Erklärung fand. Doch wenn er Michaels Blick richtig deutete, dann war er genauso froh wie er, dass es zu einem weiteren Treffen mit Jibril nicht gekommen war.
 

„Es war nicht deine Schuld“, brach Michael das Schweigen und sah Raphael an. „Du kannst zwar ein Arschloch sein, aber für Sandalphon kannst du dir nicht die Schuld geben. Außerdem ist Schutzlosigkeit die Konsequenz, wenn man lieber ein Mensch als ein Engel sein will.“
 

Michael sprach mit gereizter Stimme, als wäre es unter seiner Würde sich mit Jibrils Reinkarnation zu beschäftigen. Der unterschwellige Ärger mit dem Michael derzeit kämpfte, schien ihn sogar die vorangegangene Begegnung mit seinem Bruder zu vergessen zu lassen. Zwar Luzifer der einzige Grund, warum Michael nicht die Armee unterstützte, um gegen die weiter einfallenden Dämonen zu kämpfen, aber Jibril rieb an ihr aller Nerven und der Grund, warum sie derzeit hier waren.
 

Bisher hatte Uriel geschwiegen, vielleicht weil Sarah als die Schwester des Messias eine gewisse Zurückhaltung von Uriel gegenüber gewonnen hatte, aber offenbar plagten ihn eigene Erinnerungen und Gefühle.
 

Er richtete seine Worte an Michael: „Du glaubst, Jibril vergräbt sich weiterhin in Sarahs Bewusstsein, weil sie dem Himmel entfliehen will?“
 

Die Frage dahinter konnte Raphael deutlich heraus hören, obwohl Uriel sich bemühte vorsichtig in seiner Wortwahl zu sein. Schließlich hatten sie das Thema nie offen angesprochen und alle Streitigkeiten, die sie dies betreffend gehabt hatten, existierten offiziell nicht. Auch würde keiner je einen der Anderen auf vergangene Ausfälligkeiten ansprechen, denn die verletzenden Worte waren alle aus ein und demselben Schmerz geboren worden. Außerdem musste sie es nicht hören, um zu wissen, dass sie alle drei gleichermaßen an Gabriels Tod gelitten hatten.
 

Und es immer noch taten.
 

Raphael wusste, dass Michael und Uriel genauso sehr mit dem schwarzen Abgrund in ihrer Seele kämpften, wie er selbst.
 

„Ganz gleich, ob sie als Mensch wieder geboren wurde oder nicht“, meinte Michael nun dunkel, „Jemanden wie Sandalphon hätte Jibril abschütteln sollen, wie einen Käfer, um ihn unter ihrer Fußsohle zu zerquetschen. Dass sie es nicht getan hat...“
 

„...heißt, dass sie vielleicht lieber ein Monster zur Welt bringt, als sich der Wahrheit zu stellen“, vollendete Uriel den Satz.
 

Einen Moment dachte Raphael darüber nach, bis er den Grund erkannte, warum Jibril nicht erwacht war. Warum sie vielleicht nie erwachen würde.
 

„Hat sie es gewusst?“, flüsterte er zu sich selbst. „Hat sie etwa erfahren, dass sie bloß ein Ersatz für Gabriel war?“
 

Michael und Uriel blickte ihn scharf und Raphael dämmerte, dass er es laut gesprochen anstatt bloß gedachte hatte. Doch sie beide verneinten seine Frage nicht.
 

Seine Schultern sackten nach unten und still beobachtete Raphael wie der Messias die Hände seiner Schwester ergriff. Vielleicht es Setsuna nicht bewusst, doch seine Liebe zu Sarah war alles andere als zufällig. Selbst für ihn machte es erst jetzt einen Sinn, wo er wusste, dass Jibril wahrscheinlich über Gabriel kannte, aber dadurch war ihre größte Gemeinsamkeit mit Alexiel, dass sie beide dem Himmel entkommen wollten. Sie waren beides Engel, die lieber ein Mensch sein wollten, weil sie das Antlitz des Himmels nicht ertrugen.
 

Nur war Alexiel weise genug, um zu wissen, dass sie vorher die größte Bedrohung eliminieren mussten, wenn sie in Frieden leben wollte. Ob das für sie nun Rosiel, Gott oder Luzifer war, machte im Grunde keinen Unterschied, aber sofern Setsuna und seine Schwester die folgenden Kämpfe überleben würden, bestand die Chance, dass sie danach auf die Erde gehen und de Himmel nie wieder betreten würden.
 

Es mochte falsch sein, aber Raphael fühlte Erleichterung.
 

Er hatte Sarah nichts Böses gewollt, doch solange sie in Jibrils Körper herumgelaufen war, war er stets versucht gewesen, seinen alten Fehler – die Erschaffung ihrer Existenz – zu korrigieren. Das Opfer einer unschuldigen Menschenseele wäre er bereit gewesen einzugehen.
 

„Ganz gleich, ob Jibril es wusste oder nicht“, sprach nun Uriel nach einer Weile und antwortete damit auf Raphaels Frage. „Ich bezweifle, dass sie je den Mut aufbringen wird, uns darauf anzusprechen. In all ihrer Zeit als Schutzengel für Alexiel hat es nie auch nur ein Anzeichen dafür gegeben, dass es sie mehr war als nur ein einfacher Mensch. Sie zieht die Unwissenheit wohl vor, ganz gleich was es für ihren Geist oder ihre Seele bedeutet.“
 

Es ist schön zu wissen, dass ich nicht der einzige bin, der froh über die Aussicht ist, Jibril nie wieder sehen zu müssen, dachte Raphael.
 

Denn Menschen konnten den Himmel nicht betreten.
 

„Mich wundert lediglich, warum Sandalphon ausgerechnet sie als Wirt für seine Wiedergeburt aussuchen wollte“, vollendete Uriel seine Überlegungen.
 

„Sandalphon war wahnsinnig“, meinte Michael jetzt mit einem Schulterzucken. „Er und sein Bruder wurden schließlich von Sevothtarte geschaffen, bevor er sich veränderte und zum Diktator wurde.“
 

„Dennoch hat Uriel Recht“, überlegte Raphael und war froh, dass sie sich von dem Thema Gabriel wegbewegten. „Layla als erneuten Wirtskörper zu benutzten macht Sinn, den Körper eines Menschmädchens jedoch nicht. Jede noch so gewöhnliche Engelsfrau wäre geeigneter gewesen. Es hätte ihm nichts gebracht, wenn Sarah die Schwangerschaft nicht lange genug durchgestanden hätte, um ihn wiederzugebären.“
 

Michael zuckte mit den Schultern.
 

„Was kümmert mich das? Sandalphon ist tot und das Mädchen da unten“, Michael nickte mit dem Kopf in Richtung Sarah, „ist auf dem besten Weg ein unangenehmes Ende zu finden und die Gedanken eines Monsters verstehen zu wollen, bringt auch nichts.“
 

Damit wandte sich Michael ab und stapfte davon. Offenbar war seine Ungeduld zurückgekehrt und Luzifer hatte seine Gedanken wieder in Besitz genommen, denn anders hätte Raphael den letzten Teil des Satzes nicht zu deuten gewusst. Dennoch ließ Raphael Sandalphons fragwürdige Wahl nicht los.
 

„Vielleicht findest du ja in Laylas Leichnam ein paar Antworten“, meinte Uriel.
 

Raphael zog kurz misstrauisch die Augenbrauen zusammen, doch dann nickte er. Er kannte den Blick Uriels, wenn es um die Angelegenheiten von Toten ging und die Geheimnisse, die sie mit in ihr Grab genommen hatten. Vermutlich wusste Uriel mehr, als er sagte und wies ihm die Richtung an, da er Raphael gut genug kannte, um zu wissen, dass es ihn nicht loslassen würde. Nicht, bis er nicht die Wahrheit kannte. Anders hatte er von Luzifer und Nanatsusaya auch nicht erfahren.
 

„Gut“, sagte und folgte Uriel zurück in die Zentrale des Kommandoraums, wo sie sich schon zuvor versammelt hatten
 

Es galt die letzten Pläne zu besprechen und Ziele aufeinander abzustimmen. Er selbst würde hier bleiben, er hatte kein Interesse an Gott und genug zu tun, würde er auch so haben.
 

Doch sobald er die Zeit dafür fand, würde er Sevothtarte obduzieren.

(XII) - Take everything you've got

- nachdem Ende der Kämpfe -
 

Er hätte es besser wissen sollen, als zum Krankenhaus zu kommen. Der Himmel war schon in einem schrecklichen Zustand, aber hier gastierte wirklich das Elend. Unzählige Engel wurden hier behandelt und keinen schien man wirklich retten zu können. Es waren halbtote Soldaten dabei, die man nicht würde retten können, verwundete Zivilisten, die zwischen die Fronten geraten waren und die übliche Anzahl an Verwirrten, die nicht wussten, ob sie Engel oder Teufel waren.
 

Im Grunde konnte er nicht viel tun, aber Michael musste wissen wo Raphael war.
 

Seit Sandalphons geistige Überreste im Turm Gottes aufgetaucht waren, wurde er den Verdacht nicht los, dass hier etwas schief gegangen war. Und nicht nur auf der Kommandoebene der Armee, wo einige Generäle zu lange gebraucht hatten, um sich über die Befehle des Doppelgängers von Rosiel hinwegzusetzen. Doch da sowieso schon ein guter Teil der Bevölkerung ihr Ende gefunden hatte, als die Schalen zusammen gekracht waren, kam es auf ein paar mehr nun auch nicht mehr an. Denn Engel oder nicht, sobald sich die Lage ein bisschen beruhigt hatte, würde es nicht lange dauern, bis nicht wieder jemand schreien würde, es wäre Zeit für die Wiederbevölkerung des Himmels.
 

Dann werden sie wieder Jagd auf meine Samen und meine DNA machen , dachte Michael angewidert und schüttelte sich.
 

Schlimm genug, dass es eine Einrichtung des Hohen Rates gab, deren alleinige Aufgabe es war, von bedeutsamen Personen heimlich Haut und Blut zu sammeln, damit im Falle des Falles kein wichtiges Erbgut verloren ging. Bei ihm war es zum Glück noch nie soweit gekommen, dass er irgendwann einem Klon von sich gegenüber stand.
 

Wird es auch nie , dachte Michael finster. Sie haben Raphael einmal gezwungen das zu tun und Jibril war das Ergebnis. Man sieht ja, wo es uns hin gebracht hat.
 

„Wo ist Raphael, dieser Spinner?“, fluchte Michael und versuchte jetzt energischer sich einen Weg durch das Chaos zu bahnen.
 

Immer noch vermisste er die kommandierende Stimme, die Raphael stets benutzte, wenn es darum ging in seinem Heiligtum Ordnung zu halten.
 

„Michael-sama, wenn ihr Raphael-sama sucht“, sprach ihn jetzt jemand an. „Er ist...“
 

-
 

„Was hat das zu bedeuten?“, flüsterte Michael gepresst, als er die riesige Maschine sah, in dessen Zentrum man gerade mal Raphael Oberkörper und einer Haube erkennen konnte.
 

Barbiel lehnte an dem Türrahmen und stützte sich mühevoll ab, da ihr rechter Arm in einer Schlinge lag und um ihre Brust ein dicker Stützverband. Sie sah ihn entschuldigend an.
 

„Er überanstrengte seine Kräfte als er mich wiederbelebte. Seine Wunden waren so schwer, dass uns nichts anderes übrig blieb, als ihn in den Kälteschlaf zu versetzten, bis sich seine Kräfte regenerieren.“
 

Michael hörte Barbiels Worte, aber es gelang ihm nicht sie wirklich zu realisieren. Zu ähnlich war das Bild hier mit dem jenen von damals, als sie um Gabriels Leben gekämpft hatten. Vergeblich. Mit beschleunigtem Atem musste sich Michael anhalten jetzt nicht den Kopf zu verlieren und in Panik zu geraten.
 

Er konnte Raphael nicht verlieren.

Er würde Raphael nicht verlieren.
 

Ganz gleich, was er dafür tun musste!
 

„Wer...?“, presste Michael heraus, um nicht das Gerät zu zerschlagen und selbst nach zu sehen, dass Raphael noch lebte.
 

Barbiel sah ihn merkwürdig an und sobald er wieder geistig genug beieinander war, würde er ihr sagen, dass es nicht ihre Schuld war, dass Raphael in diesem Zustand war. Nicht einmal wenn Raphael tatsächlich sterben würde, könnte er das, denn Barbiel war die einzige Frau, die er je genug respektiert hatte, um ihr die Aufgabe als Raphaels Bodyguard anzuvertrauen und es war offensichtlich, dass sie sich zwischen ihn und einen tödlichen Angriff geworfen hatte.
 

Jetzt musste er nur noch herausfinden, wer es gewesen war.

Und ihn töten.
 

Ganz langsam. Mit seinem Messer.
 

Nur er, ein ruhiger Ort und der Kerl, der hier für verantwortlich war.
 

„Es war Sarah, als wir entdeckten, dass sie von Sandalphon besetzt war“, antwortete Barbiel.
 

Michael erstarrte kurz und nickte dann, ehe er auf dem Absatz kehrt machte.
 

„Sorgen sie dafür, dass Raphael von niemandem außer mir oder ihnen angerührt wird“, befahl er harsch, als er zur Tür heraus marschierte.
 

Barbiel salutierte mit ihrem gesunden Arm und postierte sich neben dem Tank. Michael-sama würde zurückkehren und sie wusste um die Auszeichnung, dass er ihr die Bewachung ohne weiteres anvertraute. Was er in der Zwischenzeit tat ging sie nichts an und wenn er jemanden fand, den er wegen Raphael-samas Zustand verantwortlich machen konnte und deswegen ein paar Federn gerupft wurden, so würde sie so tun, als ob sie die tiefe und unprofessionelle Befriedigung nie empfunden hätte.
 

-
 

Michael Weg führte an hektisch umher laufenden Soldaten vorbei, in den verlassenen Teil des Himmels. Hier kam nie jemandem her und er war auch für die Dämonen nicht interessant genug gewesen. Hin und wieder konnte man Gebäudeschäden erkennen, aber an sich war der Wassergarten, der zwischen den Regierungsgebäuden stand, verwaist.
 

Tief bohrten sich seine Stiefel in die aufgewühlte Erde und schwer rauschte der Wind in den Bäumen, welche die Teiche und Wasserläufe umgaben. Das matte dunkle Grün bildete einen großen Kontrast zu den hell strahlenden Gebäuden am Horizont und das Braun der Ufererde vermischte sich mit dem nahezu schwarzen Wasser, dass ihn rechts und links umgab.
 

Bald hatte Michael gefunden, was er gesucht hatte, obgleich er noch nie hier gewesen war. Er hatte es nie als nötig empfunden Jibril in ihrem Wassergarten aufzusuchen, doch nun war sie zu weit gegangen. Sich von Sevothtarte überlisten zu lassen, war ein Fehler gewesen, jedoch ihre eigene Schuld. Ein Leben als Mensch vorziehen und sich damit der segensreichen Ignoranz zu übergeben, verstand er nicht, doch auch das war Jibrils eigene Entscheidung gewesen.
 

Jedoch zuzulassen, dass ein drittklassiges Monster ihren Körper besetzte und ihren Verstand übernahm, um denjenigen zuzulassen, den sie allem Recht nach Vater, Schöpfer oder zumindest großen Bruder nennen sollte, war unentschuldbar.
 

Er hielt keine zwei Schritte weit vor dem Steinsitz an und starrte auf Jibrils blasses, puppenartiges Gesicht herunter. Ihre Züge waren so verzweifelt schlecht denen Gabriels nachempfunden worden, dass Jibril sich selbst hätte entstellen sollen, hätte sie Gabriels Antlitz je gesehen. Genauso wie in dem ersten Moment, als er sie zum ersten Mal erblickt hatte, konnte er nicht anders als ihre Existenz als ein Verbrechen empfinden. Eine Schandtat, die er schon lange hätte begradigen sollen.
 

„Jibril“, donnerte Michael in einer Stimme, die er nur selten benutzte. Sie war nicht einmal besonders laut, bloß so durchdringend, dass derjenige, für den die Nachricht bestimmt war, sie auch hören würde. Ganz gleich, wo sich die Seele befand.
 

„Höchster Engel der Herrschaften und Hüter des Wassers. Ich, Michael, höchster Engel der Mächte, Anführer der Himmlischen Armee und Hüter des Feuers, enthebe dich hier und mit sofortiger Wirkung deines Amtes!“
 

Damit packte Michael sein Schwert, dass er die längste Zeit auf seinem Rücken getragen hatte und ließ es auf Jibrils leblosen Körper hinab sausen.
 

Ein Kopf rollte zwei Sekunden später über den Erdboden.
 


 

xxx
 

*hust*
 

Ende der Fanfiction. Mehr folgt in der Fortsetzung „In my Time of Dying“. Jedem, der die Geschichte kommentiert und/oder auf seine Favoritenliste gesetzt hat, werde ich Bescheid geben, wenn dem so weit ist. Vielen Dank für eure Unterstützung.
 

mangacrack



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Kommentare zu dieser Fanfic (15)
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Von:  plesant
2011-06-03T23:53:03+00:00 04.06.2011 01:53
...Wus Ö_ö
ich habe bis jetzt zwar noch kein Kommentar geschrieben,hierzu...aber trotzdem
Ich dachte mir so..huui, neues Kap, das les ich mir jetzt noch durch..
Und dann sowas. Das Kap war wirklich..krass. Aber cool.
Allerdings frage ich mich, was sie jetzt ohne den Wasserengel anstellen...und mir tut Jibril leid. Ich mag sie...aber ich verstehe auch Michael.
Hach je, ich denke mehr sinnvolles kommt nicht mehr, bin ein wenig müde.
War auf jeden Fall eine tolle FF, freue mich auf die Fortsetzung
plesant
Von:  VonArrcross
2011-06-03T19:40:00+00:00 03.06.2011 21:40
Ende? *auf Fanfic-Staus schau* Aha...

Öhm, also erstmal habe ich mich gerade ziemlich gefreut zu sehen, dass das neue Kapi da war und habe bereits nach wenigen Zeilen nicht schlecht geschaut:
>Dann werden sie wieder Jagd auf meine Samen und meine DNA machen...<
Man hätte meinen Gesichtsausdruck in dem Moment filmen sollen, so unerwartet kam das. XD

Aber ebenso als ich hierüber gestolpert bin:
>...damit im Falle des Falles wichtiges Erbgut verloren ging...<

Das Kapitel hast du in der Wohnung geschrieben, sonst wären weniger Fehler vorhanden (der Stolperersatz war der einzig richtig böse).

Aber das Kapitel ist trotz Fehler gut geworden (ich setz mich gleich an die Überarbeitung), aber das Highlight war das Ende! Da erkennt man mal wieder richtig Michaels eigentlichen Status als Führer und zu welchen Mittel er ebenfalls fähig ist (Amtsenthebung). Allerdings frage ich mich, was jetzt ohne einen Hüter des Wassers machen (und ich nicht weiß, wer, wann und warum Jibrils Körper wieder in den Garten zurück gebracht wurde)?
Von:  VonArrcross
2011-05-31T13:33:29+00:00 31.05.2011 15:33
Nun hast du ein Kapit mitten ins Geschehen hinein gebracht und es kommt wie immer gut platziert daher. Auch greifst du ein paar Dinge auf, die im Band selbst eine nebensächliche oder gar keine Bedeutung haben. Aber wie immer sind ein paar Wörter hie und da zu viel oder fehlend, aber den Lesefluss stört das nicht.
Von:  VonArrcross
2011-05-29T15:37:34+00:00 29.05.2011 17:37
Kein Wunder, dass Jibril so apathisch wirkt in ihrem Gefängnis. Bei der Erkenntnis. Oh, wie ich den weißen Engel hasse... Sry, sein Name ist mir zu schwer.
Das mit den Geburten ist jedoch höchst interessant, ich kann mich schwach an Kunais Erklärung erinnern, doch dies auch auf Engel zu beziehen ist nicht dumm. Vor allem nicht, wenn ich an die "Kinderstube" denke. *schauder*
Von:  VonArrcross
2011-05-25T14:35:15+00:00 25.05.2011 16:35
Jibril kann einem richtig Leid tun. Das arme Mädchen kann an sich nichts dafür, dass sie die Nachfolge Gabriels angenommen hat. Noch dazu völlig unwissentlich.
Aber man kann die anderen ebenso verstehen. Ich könnte auch nur schwer damit umgehen, einen geliebten Freund von einer völlig fremden Person ersetzt zu bekommen. Evtl. würde ich noch versuchen Jibril zu verstehen, auch wenn es mit viel Abstand von statten gehen würde.
Von:  VonArrcross
2011-05-23T07:33:32+00:00 23.05.2011 09:33
So weit ich gehört habe ist bei Nasenblut das verkehrteste was man machen kann, den Kopf in den Nacken zu legen. Irgendwie soll das zu Verstopfungen im Hals sorgen, sollte das Blut unterwegs trocknen.

Zaphikel... neben Michael einer meiner Lieblinge! Ich war ganz baff als ich seinen Namen lass (zumal ich ne feine Vorahnung hatte). Aber dann die Bestätigung... Njam, njam!!!!

PS: Ich sitze gerade auf Arbeit und mache alles außer arbeiten (wie man liest XD). Aber wieder toll geschrieben, alledings habe ich das Gefühl, dass du ganz schön am springen bist zwischen den Kapiteln. Waren wir im letzten nicht noch in einem Gebäude? Und nun wieder in einem (leckeren) Gemetzel? ^^"
Von:  VonArrcross
2011-05-21T15:41:10+00:00 21.05.2011 17:41
Der Rat ist Pervers!
(mein Gedanke als ich den letzten Satz lass...)

Ähm... gut das es unbedingt ein weiblicher Engel sein muss versteh ich noch nicht ganz (außer das ein ziemlicher Zwiespalt zwischen Körper und Seele entstehen könnte), aber es kann sein, dass damit das Band zwischen anderen männlcihen Engel gestört werden soll. Was ja auch gut funktioniert.

Ist übrigens wieder gut geschrieben und verdammt noch mal deine Vergleiche die du bei Emotionen und Zuständen bringst, sind immer wieder toll. Fehler habe ich übrigens nur wenige bemerkt, aber bei der neuen FF dagegen so einige. Und ich werde jetzt mal langsam 'n Kommi hinterlassen, wa?
Von:  VonArrcross
2011-05-19T01:29:37+00:00 19.05.2011 03:29
Schön, wenn man mal nicht schlafen kann, zumindest ein Kapi zum lesen da.

Das Lesen hat unheimlich Spass gemacht und ich habe nur einen kleinen Ruckler in Form eines fehlendes Wortes bemerkt. Die Beziehung zwischen den beiden jungen Engeln ist wirklich köstlich und wie Bal meint "nicht wie Feuer und Wasser" (was es aber später wird).
Weniger spassig war naürlich das Wissen das es sich um Gabriels Erinnerungen kurz vor seinem Ableben handelt und somit etwas tief trauriges hat. T.T
Ebenfalls hart ist es für Michael, der gleich zwei geliebte Wesen in einem Atemzug verliert. Seinen besten Freund und seinen einzigen Bruder. Das ist echt brutal.
Mir ist zudem aufgefallen, dass die letzten beiden Kapitel jeweils die 1000-Wörter-Grenze überschritten haben.
Von:  VonArrcross
2011-05-15T18:56:14+00:00 15.05.2011 20:56
Okay jetzt bin ich ein bissle verwirrt was das zeitliche angeht, aber was soll's. Kommen wir zum Kapitel:

Es ist immer eine sehr schwere Angelegenheit und eine große Herausforderung zu schreiben wie jemand sich fühlt, wenn er im sterben liegt. Dann noch aus der Sicht eines hochrangigen Elementaren inmitten eines Kampfplatzes. Ich fand es gut wie er instinktiv auf seine Fähigkeiten zugreift um seiner Verletzung her zu werden und erkennt, dass all dies sinnlos ist.
Uriels Auftitt ist gut platziert und sorgt für die entsprechende Athmosphäre, wenn man bedenkt, dass er für die sterbenden und toten Seelen verantwortlich sit. Er beruhigt das eigene Gemüt, welches vom Treiben der anderen Engel beeinflusst ist und gibt auch sofort zu verstehen, dass Rettung zwecklos ist. Ich finde es eigentlich schade, dass Gabriel stirbt, da ich ihn irgendwie gern gewonnen habe, trotz dessen das er bislang selten aufgetreten ist. Er ist nicht der Wasserengel aus dem Manga. Sein Charakter ist viel fester und prägender, nicht einfach ein abwesender Engel der da ist weil er ein Element ist. Er hat wirklich nen völlig eigenen und vor allem anderen, aber zu den anderen passenden Charakter.
Huch, jetzt beginne ich schon von ihm zu schwärmen! *sich hau und vor Michael in Deckung geh* Ich werde untreu! ^^"

Öhm... achja, sehr schönes Kapitel. Im letzten Kommentar schrieb ich ja, dass sie etwas kurz sind, aber es ist auch besser so. So ganz erklären kann ich es nicht, aber es passt einfach besser zur Geschichte.
Von:  VonArrcross
2011-05-15T18:27:45+00:00 15.05.2011 20:27
Hast du geschrieben, dass etwas Zeit vergangen war zwischen diesem und dem Kapitel davor? So zumindest habe ich das in Erinnerung bezüglich des Mangas, dass etwas Zeit zwischen Luzifels Verrat und Raphaels "Sünde" lag. *grübbel*
Ich kann mir den Sturm im Himmel richtig gut vorstellen und auch die Arroganz derer die eigentlich keine Ahnung haben, was Raphael durchlebt hat. Ich bin sehr gespannt auf das nächste Kapitel (und ein kleines bisschen dankbar über die Kürze dieser Kapis, aber auch etwas traurig) und wie die Vesammlung ablaufen wird bei dir. Im übrigen habe ich die ganze Zeit überlegt wo Michael sein könnte, da er seinen Freund dem doch nicht alleine gegenübertreten lässt und dann tritt er am Ende neben ihn. Ich habe mich richtig gefreut.
Nicht nur weil es Michael ist, sondern weil er zu Raphael hält obwohl sie sich da noch nicht sehr lange kennen, aber das Band da ja bereits sehr tief sein muss. ^^


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