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Blutschuld

Seine Bestimmung war es Vampire zu jagen, nicht sie zu lieben
von

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Jahreswende

27. Jahreswende
 


 

Andächtig setzte sich der Dunkelblonde auf einen der Felsen nieder.

Er wagte es nicht näher zu treten.

Die Sehnsucht sich reglos in den eisigen Schnee neben sie zu legen war zu groß.

So sehr er sich bemühte, so konnten seine Augen doch nicht lange auf dem Anblick verharren.
 

Er hasste diesen Tag. Jedes Jahr aufs Neue. Immer ein Stückchen mehr.

Die Einsamkeit war stets unerträglich, die Zukunft trüb.
 

Abermals wandte er seinen Blick ab. So sehr er sich auch bemühte, der Anblick der Gräber blieb unerträglich. Hilfe suchend versuchte er das beruhigende Bild des umliegenden Waldes in sich aufzunehmen. Fahles Licht brach sich zwischen knochigen Ästen und schimmerte golden zu Boden. Die Weite der unten liegenden Landschaft verschmolz mit dem weißen Schein des Schnees und dem sanften Sonnenlicht.
 

Der Schnee knirschte. Schritt für Schritt näherte sich ein Schatten, vertrieb das glitzernde Weiß um ihn herum und tauchte es in Grau.
 

„Ich wusste, dass ich dich hier treffe.“
 

Sehnsüchtig verweilte der Blick des Dunkelblonden in der Ferne. Der Sonne entgegen gerichtet, die sich ungestüm durch die dicke Wolkendecke brach.
 

„Wo sollte ich an meinem Geburtstag auch sonst sein, wenn nicht bei meiner Familie.“

„Es tut mir so leid, dass du auch Sarah verloren hast. Ich wünschte ich hätte für dich da sein können.“

„Gräme dich nicht, Phil. Der lähmende Schmerz ist vorbei und ich trage sie immer in meinem Herzen.“

„Sie war zu jung.“

„Ja.“

Der Grauhaarige kannte seinen einstigen Schüler gut genug, um nicht weitere Wunden zu schlagen. Gleich wie stark sich Luc gab, ihren Verlust vollkommen anzuerkennen, viel diesem genauso schwer, wie darüber zu sprechen. Bedachtsam behielt Phil weitere Fragen für sich.
 

„Darf ich mich zu dir setzen?“, fragte Phil höflich.

„Gerne“, erwiderte Luc mit einem Lächeln.

„Ich bin froh, dass du wohl auf bist. Vernon hat mir von eurer Begegnung berichtet.

Ist es wahr? Du hast den Mörder deiner Familie gefunden?“

„Interessiert dich das wirklich? Oder willst du nicht lieber wissen, ob es Iven ist, nach dessen Leben ich nun trachte?“

Die Stimme des Grauhaarigen wurde sanfter. „Ich wollte es nicht direkt ansprechen. Dein Leid über diese Erkenntnis, muss unvorstellbar sein.“

Traurig sah Luc in das mitfühlende Gesicht seines Mentors.

„Glaubst du es ist Schicksal, dass ich in der Nacht zur Jahreswende geboren bin?

Als Zeichen, dass ich mich immer wieder von Altem abwenden und dem Neuen zuwenden muss, um weiter zu leben?

Immer wenn ich denke, die Verzweiflung und der Schmerz in mir, kann nicht mehr größer werden, dann greift die bittere Wahrheit nach mir und belehrt mich eines besseren.“

Tröstend legte sich die Hand des Älteren ruhig auf die verkrampfte des Jägers.

„Es tut mir so unendlich leid. Ich wünschte, ich könnte dir die Last nehmen.“
 

Die Anteilnahme war wie ein Ventil. Er konnte den reißenden Strom der Gefühle nicht länger zurück halten. Salz legte sich in seine Augen.

„Ich möchte sterben, Phil. Dieses Leben nicht länger ertragen.

Meine Seele ist entzwei gerissen. Von Gefühlen die so stark sind, dass ich daran täglich zerberste. Von Leere, die mich ausgelaugt und hoffnungslos im Schatten zurück lässt.

Wenn ich mich entschließe zu kämpfen, gehe ich nicht dem Leben entgegen, sondern scheitere am Scheideweg von Liebe und Hass.

Wenn ich aufgebe meinen Emotionen zu folgen, dann Falle ich endlos ins Nichts und dieses Gefühl erscheint mir dann noch unerträglicher.“

„Wenn es so ist, dann bejahe ich deine Frage. Sieh es als Bote des Schicksals an.

Löse dich von Vergangenem und wende dich dem Kommenden zu.“

„Aber mit welchem Ziel?! Ich darf nicht lieben und meine Sehnsucht nach Rache, scheint mich aufzufressen, bevor ich auch nur einen Schritt gehen kann. Jeder verschlingende Biss davon gräbt sich tief in mein Herz, welches sich einfach nur nach Wärme sehnt.

Ich bin gefangen von Wunsch und Schwur, von Schuld und Sühne.“
 

Er fühlte sich befreit. Empfindungen auszusprechen machte sie greifbarer, einfacher zu verstehen.
 

„Es sind Ketten, die du dir selbst angelegt hast. Den Schlüssel sie zu lösen, hast nur du allein. Treibt dich Vergeltung, dann übe sie. Lindere dein Gewissen. Aber zahle nicht mit ewiger Selbstgeißelung dafür.“ Die Worte seines Lehrmeisters waren so wahr und unerreichbar zugleich.

Luc erhob sich, der wachsenden Kraft bewusst.

„Ich könnte bis ans Ende der Welt reisen. Das Blut meiner Familie würde doch in meinen Adern fließen. All die Jahre als Jäger habe ich letztendlich gekämpft, um Rache zu nehmen. Nun stehe ich vor meinem Ziel und habe Angst den Eid zu erfüllen.“

Nachdenklich musterte der Lehrmeister seinen Schüler.

„Du hast nicht vor, Iven einfach zu töten.“

„Nein. Ich will auch sein verdammtes Herz mit Leid erfüllt wissen, bevor ich es durchstoße.“

„Genug, Luc. Du sprichst von dem was du willst, nicht davon was du solltest oder möchtest. Dein Geist weiß längst wohin er dich trägt. Folge deiner Stimme und versuche nicht weiter dein Seelenleben zu erkunden. Nimm es so an, wie es ist. Ohne Fragen.

Handle nach deiner inneren Führung.“
 

Energisch vertrieb die Stärke die Schwäche. Mut gesellte sich dazu.

„Phil, versprich mir, dass du meine Seele erretten wirst, wenn sie in der Verdammnis schmort.“

Scharf zog der Grauhaarige die kühle Luft ein.

„Du willst wirklich die letzte Grenze überschreiten?“

„Nun befragst du ja doch meinen Verstand und erwartest Erklärungen.

Ich werde sein Licht einfangen. Es zu meinem machen.

Als Opfer dafür, wird meine Selbstaufgabe nötig sein.“

Warmherzig wurde Luc von der Umarmung seines Ziehvaters umfangen.

„Auch wenn mich mein Kummer verschlingen wird, so genügt ein Wort nach Erlösung von dir. In Liebe verspreche ich es dir.“

Gewissheit die er brauchte, der letzte Halt den er suchte.

„Danke.“
 

Die Vertrautheit des Vaters wich und machte dem Bund der Freundschaft platz.

Kameradschaftlich klopfte Phil auf seine Schulter. „Lass uns gehen. Dieser Ort liegt zu schwer auf deiner Seele.“

„Nein, ich möchte noch nicht zurück und mich dem Unausweichlichem stellen.

Und ziellos durch schlafende Landschaft zu wandern, bekommt meinem Gemüt nicht.“

„Ich dachte da mehr an eine Taverne?“ Zwinkert forderten blaugraue Augen zu gehen auf.

Luc war leicht von der Einladung überrumpelt.

„Du willst mit mir einen Trinken gehen?“

„Wieso nicht. Ich kann mich an keinen Morgen nach der Jahreswende erinnern, an dem du je nüchtern warst.“ Herzhaftes Lachen erwärmte den Jäger.

„Hältst du das für eine gute Idee? Wenn dich ein Mitglied er Gilde mit mir sieht, wirst selbst du ernsthafte Schwierigkeiten bekommen.“

Ernst schlich sich unter die Unbefangenheit. „Ich werde dich heute nicht alleine lassen. Die Sorge um unser Sehen überlasse mir.“

„Ich weiß nicht was ich sagen soll. Gerade heute bedeutet mir deine Gesellschaft ungemein viel.“

„Nun, dann lass uns schon gehen. Zeige deinem alten Meister, wie trinkfest die Jugend ist.“
 


 

Die Stunden vergingen wie im Flug. Die Gespräche waren erheiternd, auch wenn es Phil nicht lassen konnte, dann und wann Weisheit von sich zu geben, die Luc sehr an seine Lehrzeit erinnerte.

Nach einem deftigen Mahl reichte Phil ihm ein in Leinen gewickeltes Geschenk.

„Das soll ich dir von Vernon und Babette geben. Er sagte mit dem Stoff würdest du einen Teil von ihm bei dir tragen und mit der Stickerei, die diesem Leben einhaucht, einen Teil von ihr.“
 

Luc öffnete das Leinen. Ein weißes Halstuch aus feiner Seide schimmerte ihm zart entgegen, verziert mit filigranem Dekor aus kräftigem Rot.

Luc war gerührt. Babette musste sicher Stunden damit verbracht haben, es zu fertigen. Andächtig legte er das Tuch um seinen Hals. Wie eine Liebkosung wandte sich der kühle Stoff geschmeidig um seine Haut.

„Ich werde es ihn ehren halten.“

Phil nickte. „Mein Geschenk lässt sich nicht verpacken. Es ist alt und neu. Bekannt und vielleicht auch schon offenkundig. Nicht fassbar und doch etwas was dich stützen wird.“

„Seit wann so poetisch?“, witzelte Luc.

Verlegen griff sich sein Mentor in das graue Haar.

„Schön, lassen wir das. Selbst mit gelöster Zunge, bin ich nicht gut darin.“

Neugierig musterte Luc das in Falten gelegte Gesicht des Älteren.

„Luc, ich liebe dich wie einen Sohn. Gleich was du tun wirst, ich werde immer für dich da sein und dich niemals von mir stoßen. Ich nehme dich bedingungslos, mit allem was zu dir gehört, an.“
 

Phils Worte brannten auf seiner Seele und trieben Röte auf seine Wangen.

„Das ist das Kostbarste überhaupt, was mir je geschenkt wurde. Deine Worte sind wie Heilung für mein krankes Selbst.

Als ich durch Zufall erfahren habe, dass ich es einst war, der Ivens Schwester und damit deine Liebste Cecilia getötet hatte, zweifelte ich an deiner Treue zu mir. Die Zweifel gingen so weit, dass ich mich fragte, ob du nicht eigenen Intentionen hattest, mir das zu verschweigen.“

„Im Prinzip ja. Ich hielt dich einfach für zu perfekt, als dass ich sehen wollte, dass auch du scheitern könntest. Ich sah in dir meine zweite Chance. So wie es Eltern nur zu gerne tun. Dein Geständnis, über deine Gefühle dem Prinzen gegenüber, haben mich erschüttert, aber nicht meinen Glauben an dich zum Wanken gebracht. Ich war mir sicher, dass du dich ihm erwehren könntest. Es war mein Hochmut, der dir zu wenig Wahrheit zukommen ließ.

Vergib mir mein Unvermögen.“

„Nein, es gibt nichts zu vergeben. Ich danke dir für deine Liebe.“
 

Becher für Becher schwand ein Teil seiner klaren Sinne und machte den temperamentvollen platz. Die Stimmung wurde ausgelassener und Luc genoss die unbeschwerte Zeit.

Es war bereits später Abend, als sich sein Mentor geschlagen gab.

„Ich werde eben doch nicht jünger“, lachte Phil schallend.

Luc hielt das offene Lachen in seiner Erinnerung fest. Ein Stückchen Glück, das seinem Kummer Trost spendete.
 

Der Abschied war sowohl fröhlich als auch traurig. Dankbar, ohne große Worte gehen zu können, ritt der Jäger beschwingt in die Schwärze der Nacht.

Dem Licht entgegen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Toastviech
2012-06-23T23:44:02+00:00 24.06.2012 01:44
Hey,

irgendwie habe ich nach diesem Kapitel etwas Angst, aber auch Hoffnung.
Das ist komisch.
Ich freue mich auf der einen Seite, dass Luc einen schönen Geburtstag hatte und endlich wieder richtig lachen konnte, aber ich habe Angst vor seinem zukünftigen Handeln.

lg Toastviech

PS: Viele der Sätze in diesem Kapitel waren sehr schön. Es war oft sehr poetisch! Ich liebe sowas!


Von:  whitePhobia
2012-06-23T11:22:31+00:00 23.06.2012 13:22
Es ist schön zu sehen, dass Luc auch noch Freunde unter den Lebenden hat. Wieder einmal ein sehr gutes Kapitel, in denen die Glück und Melancholie sehr gut im Glöeichgewicht hälst.
Irgendwie hab ich das Gefühl, dass es so langsam auf den großen Showdown zu geht. Ich hoffe der lässt noch eine Weile auf sich warten.


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