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Geister

Wenn Wege sich kreuzen
von

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Verloren

Als die rothaarige Frau erwachte, hatte sie Schwierigkeiten, sich an irgendetwas zu erinnern.

Sie merkte, dass sie in einem weichen Bett lag, doch sie konnte nicht sagen, wie sie dorthin gekommen war.

Helles Licht fiel auf ihr Gesicht und blendete sie selbst durch ihre geschlossenen Lider hindurch, was mit der Zeit einen stechenden Schmerz in ihrem Hinterkopf hervorrief. Allerdings schmerzten auch ihre sämtlichen Glieder, so dass der Kopfschmerz nur eine eher geringe Addition war.

Sie hörte ein Maunzen von ihrer Seite. Konnte es Bunyatto sein? Wieso war es nicht in seinem Pokéball?

Die Frau sammelte sich und wandte den Kopf zur Seite, ehe sie vorsichtig die Augen öffnete, was anstrengender erschien, als gedacht. Sie blinzelte erst und das Bild vor ihren Augen schien verschwommen, ehe es langsam klarer wurde.

Das Sonnenlicht schien durch ein großes Fenster in den relativ kleinen Raum, der unter einem Dach zu liegen schien, da die Wand am Kopfende des Bettes schräg verlief und das Fenster nach außen vorstehend in diese eingelassen war.

Das Zimmer war relativ leer. Außer dem Bett, in dem die Frau sich wiederfand, gab es nur zwei weitere Möbelstücke: Ein Bücherregal und eine hölzerne Wäschetruhe, die den Raum, zusammen mit der grün gestreiften Tapete, altmodisch wirken ließ.

Doch noch immer wusste die Frau nicht, wo sie war.

Erneutes Maunzen und Bunyatto sprang auf ihr Bett, um sie an der Hand zu lecken.

„Wo sind wir hier?“, fragte die Frau das Pokémon mit schwacher Stimme, wusste aber, dass das Wesen nicht antworten konnte.

Angestrengt versuchte sie sich zu erinnern.

Sie war soweit gereist, in den letzten Jahren, nur um ihn zu finden, war nicht nur durch Sinnoh, sondern auch durch Hoenn. Kanto und Johto, ja sogar bis nach Isshu gereist, doch sie hatte nicht einmal einen Hinweis darauf gefunden, was aus ihm geworden war.

Sie war nach Sinnoh zurückgekehrt, dorthin, wo alles angefangen hatte. Sie hatte sich geweigert die Hoffnung aufzugeben. Sie hatte geschworen ihn zu finden. Doch es fehlte jede Spur und langsam wurde dieser eine erschreckende Gedanke immer wirklicher: Vielleicht war er wirklich tot. Vielleicht war er nach jenem Vorfall wirklich gestorben.

Oder – damit versuchte sie ihre Gedanken zu beruhigen – vielleicht war sein Plan tatsächlich gelungen und er lebte nun in einer anderen Welt. Einer Welt, die besser war als diese.

Aber mit jedem Tag war dieser Gedanke unwirklicher geworden. Es gab einfach keinen Hinweis, dass ihr damaliger Plan geglückt war, dass sie eine neue Welt erschaffen hätten.

Auf einmal war ihr ihre gesamte Hoffnung so lächerlich vorgekommen. Auf einmal war sie sich dessen Bewusst geworden, dass ihre Reise kein Ziel hatte.

Und dann?

Was war dann geschehen?

Sie wusste es nicht mehr.

Sie erinnerte sich an Schatten, an einen Wald, an Hitze und – so wenig Sinn es auch machte – an Kälte. Doch was genau geschehen war, konnte sie nicht sagen.

So lag sie nun da, in dem weichen Bett und sah auf die schräge Decke über sich. Dank der Schmerzen konnte sie sich kaum bewegen und egal wo sie war, sie kam von hier so schnell nicht wieder fort.

Und während sich Bunyatto an ihrer Seite zusammenrollte, fiel die Frau in einen leichten Halbschlaf, aus dem sie erst wieder gerissen wurde, als die hölzerne Tür des Raumes ohne vorheriges Klopfen aufgerissen wurde.

Bunyatto maunzte beleidigt und hob den Kopf, um dem Eindringling einen strafenden Blick zuzuwerfen.

Die rothaarige Frau öffnete erneut ihre Augen und sah ebenfalls zu dem Neuankömmling, der noch immer in der Tür stand.

Es war eine andere Frau, die etwa so alt zu sein schien, wie sie selbst und sich ihre braunen Haare mit einem schwarzen Stirnband aus dem Gesicht hielt. Sie kam ihr irgendwie bekannt vor, doch beim besten Willen wusste sie nicht woher.

„Du bist wach!“, rief die Frau, die in der Tür stand, überrascht aus und ließ beinahe die Wasserschale, die sie in den Händen hielt fallen. Wasser über den Holzboden verschüttend schaffte sie es gerade noch so die Schale aufzufangen und wurde rot. „Ich meine... Äh... Sie sind wach?“

So gut es ging nickte die rothaarige Frau und betrachtete die andere misstrauisch. „Wo bin ich?“, brachte sie schließlich heiser hervor.

„Ah“, meinte die andere und machte ein Gesicht, als wäre ihr erst gerade etwas klar geworden. „Du bist in Hakutai City. Um genau zu sein im Haus der Arenaleiterin von Hakutai City. Das bin übrigens ich, also die Arenaleiterin. Natane.“ Dabei sprach sie erstaunlich schnell, ehe sie auf einmal stoppte. „Ach ja, und ich habe dich in der alten Villa im Wald gefunden. Du hattest Fieber. Deswegen habe ich dich hierher gebracht. Die Joy vom Pokémoncenter hat dich versorgt. Sie meinte, du hättest Stachelspore abbekommen. Was hast du überhaupt im Wald gemacht?“

Es brauchte einige Momente, ehe der Geist der Frau all diese Informationen verarbeitet hatte und sie auf die Frage antworten konnte. „Ich weiß es nicht mehr... Ich... Ich weiß es nicht.“

„Hmm...“ Damit rieb sich die Arenaleiterin – Natane – am Kinn und zog die Augenbrauen zusammen, als würde sie angestrengt nachdenken. „Dann hast du so etwas wie eine Amnesie?“

„Ich weiß es nicht“, erhielt sie nur dieselbe Antwort.

„Hmm...“ Noch immer runzelte Natane die Stirn. „Weißt du noch wie du heißt? Ich meine... Äh...“ Sie schien unsicher zu sein, wie sie die fremde Frau behandeln sollte. „Ich meine, wissen Sie noch wie Sie heißen? Ich habe keinen Ausweis oder so etwas bei Ihnen gefunden.“

Daraufhin schwieg die Frau für eine Weile. Ihr Name... Sie konnte sich an ihren Namen erinnern, an zwei Namen, um genau zu sein, wobei sie einen jedoch seit langer Zeit schon nicht mehr benutzt hatte. Doch der andere Name... Wie konnte sie ihn hier benutzen? Zumal er, nach den vergangenen Jahren falsch klang, wie etwas, das nicht einmal mehr existieren sollte.

„Ran“, erwiderte sie schließlich leise.

Fragend sah Natane sie an.

„Mein Name ist Ran“, antwortete die Frau daraufhin lauter.

„Ah!“ Natanes Gesicht hellte sich auf. „Gut. Freut mich dich... Äh... Sie kennen zu lernen.“ Sie verbeugte sich leicht.

Daraufhin nickte Ran nur. „Danke“, flüsterte sie dann.

Die Arenaleiterin legte den Kopf schief. „Wieso?“

„Du hast mich hierher gebracht“, erwiderte Ran. „Wie ich auch immer in diese... Alte Villa gekommen bin... Du hast mich hierher gebracht. Danke dafür.“

„Oh.“ Bei den Worten wurde die junge Frau etwas rot. „Kein Ding, kein Ding“, meinte sie dann schnell. „Äh...“ Unsicher sah sie zu Ran hinüber. „Äh... Ich gehe zum Pokémon Center, die Joy sagte, sie wollte nach dir sehen, wenn du wach bist... Äh...“ Sie überlegte. „Wir haben auch richtige Ärzte hier“, plapperte sie dann. „Aber... Nun... Du hast nichts bei dir gehabt und die Joy ist mit mir befreundet und...“

„Es ist schon gut“, meinte Ran schwach. Der scheinbar endlose Redeschwall der Arenaleiterin bereitete ihr langsam Kopfschmerzen. „Mach dir darum keine Sorgen.“

„Okay!“ Damit nickte Natane rasch und wollte sich umdrehen, um zu gehen, als ihr einfiel, dass sie noch immer die Wasserschale in der Hand hielt. „Ah, ich bringe dir noch frisches Wasser, ehe ich gehe“, meinte sie, lief ins Zimmer um die Wasserschale auf der Wäschetruhe abzustellen, ehe sie wieder verschwand, nur um kurze Zeit später mit einer gläsernen Karaffe wieder zu kommen. „Ich werde mich beeilen“, versprach sie, stellte die Schale ebenfalls auf die Truhe und damit aus Rans direkter Reichweite, ehe sie verschwand, ohne dieses Mal die Tür hinter sich zu schließen.

Nachdem ihre Schritte verklungen waren, schloss Ran die Augen.

Es war ironisch, dass es ausgerechnet eine Arenaleiterin war, die sie gefunden hatte.

Zumindest wusste sie nun, woher ihr das Gesicht der anderen so bekannt vorgekommen war. Zwar hatte sie niemals direkt gegen Natane gekämpft, da sie nicht selbst für den Stützpunkt in Hakutai verantwortlich gewesen war und dieser lange Zeit nicht beachtet wurde, ehe dieser verfluchte Handsome und die Trainer sich eingemischt hatten, doch sie hatte von der Arenaleiterin gehört. Immerhin waren es nicht selten Arenaleiter, die sich ihnen entgegengestellt hatten – ob direkt oder indirekt.

Und nun...

Nun war von all dem, wofür sie einst gekämpft hatte, nichts mehr übrig und es gab keine Möglichkeit es zurück zu bekommen. Selbst wenn sie es versuchte... Vielleicht was es eigentlich von Anfang an nur eine Illusion gewesen. Ein Traum...

Sie spürte, wie eine Träne über ihre Wange rann.

Es war nur ein Traum gewesen. Selbst wenn sie erreicht hätten, wofür sie gekämpft hätten, selbst wenn sie eine neue Welt erschaffen hätten, so hätte er sie doch nie mehr beachtet, als zuvor. Er hatte sie alle als Untertanen gesehen, als Werkzeuge, um seine neue Welt zu erschaffen.

Auch wenn sie ihr Leben gegeben hätte, um sein Leben zu retten, so hätte er sie danach nur vergessen und ausgetauscht.

Dies war ihr schon immer bewusst gewesen.

Und dennoch...

Sein Traum, war alles gewesen wofür sie gekämpft hatte, seit sie ihn vor vier Jahren getroffen hatte. Und alles, was sie getan hatte, seit ihr Plan gestoppt worden und er verschwunden war, war, überall auf der Welt nach ihm zu suchen, weil sie seinen Tod nicht einfach akzeptieren konnte.

Was war sie schon ohne ihn? Was war sie ohne diesen Traum?

Nur dasselbe verlorene Mädchen, das ohne Plan vor mehr als sechs Jahren von zuhause fortgelaufen war, um etwas zu suchen, dass es doch nie gefunden hatte.



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