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White Noise

von

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Der Janusberg

Auf die Technik mochte in dieser Gegend kein Verlass sein – auf ihr Terribark hingegen schon. Es konnte problemlos eine Spur von Bell aufnehmen und verfolgen. Der Weg zum Janusberg war kurz, aber beschwerlich. Sie musste sich durch Dornengestrüpp kämpfen und einen sehr steilen Anstieg überwinden, bis sie endlich den Eingang des Berges erreichte. Die Hitze wurde dabei von Minute zu Minute unerträglicher. Es war schon erstaunlich, wie viel eine Entfernung von wenigen Kilometern ausmachen konnte: In Ondula wehte zu dieser Zeit bereits ein kühler Wind, der nach Winter roch und schmeckte, aber hier am Janusberg herrschte eine trockene Hitze, die ihre Kehle ausdörrte. Innerhalb kürzester Zeit war sie schweißgebadet, obwohl sie bereits ihren Hut abgenommen und ihren Blazer ausgezogen hatte, sodass sie obenrum nur noch eine dünne weiße Bluse trug. Ihre Schuhe hätte sie liebend gern auch ausgezogen, aber der Boden war so heiß, dass sie unmöglich barfuß darauf laufen konnte. Am schlimmsten waren aber die Sandkörner. Sie schienen einfach überall zu sein: in ihren Haaren, Augen, Ohren, sogar in ihrer Unterwäsche.

Der Bergeingang gähnte ihr wie ein gieriger Schlund entgegen. Willkommen in der Hölle, dachte Rocky zynisch, bevor sie ein weiteres Pokémon – Sodachita – aus ihrem Pokéball rief.
 

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Im Inneren des Berges war es stockfinster und warm wie in einem Backofen. Rocky musste den Weg mit ihrer Stablampe beleuchten. Terribark drückte sich winselnd gegen ihr Bein; sie ging kurz in die Hocke, um es zu streicheln und ihm gut zuzureden. „Ruhig, mein Kleiner. Wir schaffen das schon.“ Sodachita schien keine Angst zu haben, das war immerhin etwas.

Rocky hob die Stablampe hoch über ihren Kopf und schwenkte sie langsam hin und her, um sich einen Überblick zu verschaffen. Erkaltetes Lavagestein. Verzerrte Schatten, die bei jeder Bewegung der Lampe wie ein eigenständiges Lebewesen durch die Ecken huschten. Rötlich flirrende Luft. Schwefelgestank.

„Bell?“ Ihr Ruf geisterte durch den Tunnel, brach sich an den Wänden, verformte sich zu einem „Ellellellell?“, das noch lange nachhallte, als würden die Wände verstohlen miteinander flüstern.

„Bell, bist du hier? Wenn du mich hören kannst, antworte! Wenn du nicht rufen kannst, versuche, dich durch Klopfen bemerkbar zu machen!“

Rocky lauschte angestrengt, hörte aber nichts anderes als das Echo ihrer Stimme und das Atmen ihrer Pokémon.
 

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Sie traf schon bald auf eine Abzweigung, und dann auf eine weitere. Das Berginnere entpuppte sich als verschlungenes Labyrinth. Rocky ging methodisch vor, nahm erst den äußeren Gang, markierte die Wände in regelmäßigen Abständen mit Kreidezeichen, und arbeitete sich allmählich zum Herz des Berges vor. Immer wieder geriet sie in Sackgassen, immer wieder rief sie nach Bell, ohne eine Antwort zu erhalten. Gelegentlich traf sie auf wilde Pokémon, hauptsächlich auf Flampions und Kieslinge, die sich offenbar in ihrer Ruhe gestört fühlten und sie deshalb angriffen. Sodachita wurde zum Glück spielend mit ihnen fertig.

Nachdem sie drei Stunden lang erfolglos herumgeirrt war, traf sie auf einen unterirdischen Lavasee. Die Hitze war an dieser Stelle so unerträglich, dass ihre Augen tränten und ihre Lippen aufplatzten. Rocky klammerte sich an der Bergwand fest und starrte auf die glühende Lava, die in drei Metern Entfernung träge hin und her schwappte. Da lag etwas auf dem Boden, auf der anderen Seite des Sees. Etwas Buntes.

Rocky rief ihre Pokémon in ihre Bälle zurück. Sie tränkte einen dünnen Seidenschal mit Wasser und wickelte ihn um ihr Gesicht, bis Mund und Nase bedeckt waren. Dann ging sie los. Langsam, sorgsam auf jeden Schritt achtend, umrundete sie den Lavasee, bis sie endlich, nach 10 quälenden Minuten, auf der anderen Seite angekommen war. Der Abstand zwischen Felskante und Lava war an einigen Stellen nicht einmal einen Meter breit, und sie sah sich schon mehrmals abstürzen und in die Lava fallen, doch nichts dergleichen geschah.

Das bunte Ding, das sie gesehen hatte, war ein grüner Stoffbeutel, der mit Lebensmitteln gefüllt war: eine Flasche Wasser, bereits angebrochen, eine Flasche Limonade, eine Packung Cracker und getrocknete Früchte. Von seinem Besitzer war weit und breit nichts zu sehen. Rocky drückte den Beutel an ihre Brust und starrte erneut in die Lava. Hatte dieser Beutel Bell gehört? War Bell hier gewesen? War sie vielleicht in die Lava gestürzt und gestorben? Ein eisiger Schauer lief über ihre Schultern, trotz der flirrenden Hitze.
 

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Als sie endlich wieder draußen ankam, war es schon später Nachmittag. Rocky begriff nicht, warum ihr die Luft außerhalb des Janusberges vor einigen Stunden noch so heiß und stickig vorgekommen war – es war paradiesisch. Sie ließ sich auf einen Stein sinken, atmete tief durch und leerte eine ganze Flasche Wasser auf einmal.

Anschließend versuchte sie, Jaden und Joel zu erreichen, kam aber weder per Funk noch per Viso Caster durch. Es war nicht wirklich überraschend, aber trotzdem irgendwie enttäuschend.

Als sie sich gerade dazu aufraffen wollte, wieder aufzustehen und zurück ins Dorf zu laufen, begann ihr Terribark wie verrückt zu bellen. Rocky blickte sich um, konnte aber keine potentielle Gefahrenquelle ausmachen – bis ihr ein Schatten auf dem Boden auffiel. Sie schaute nach oben und entdeckte ein Flugpokémon, das gerade zur Landung ansetzte und direkt auf sie zuhielt. Sie war schon kurz davor, ein weiteres Pokémon zu rufen und zum Angriff überzugehen, doch dann erkannte sie, wer auf dem Pokémon saß, und brach mitten in der Bewegung ab.

Arenaleiter Cheren war gekommen.



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