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Auf den zweiten Blick

von

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Erschrocken *

Schon als Luca das Zimmer betreten hatte, war Nicholas aufgefallen, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Er hielt es jedoch besser, vorerst zu schweigen. Wenn er den Blondhaarigen zu sehr bedrängte, würde er nur gar nichts sagen.

René begrüßte Luca auch sogleich lautstart. „Morgen, Luca. Na, wie waren die Ferien?“

„Ganz okay“, antwortete der Blondhaarige, ehe er sich auf seinen Platz fallen ließ. Was verstand er unter ganz okay? War das gut oder schlecht?

„Hast du noch schön mit seinen Eltern gefeiert, als sie wieder zu Hause waren?“, wollte René als nächstes wissen.

Luca nickte, erzählte aber nichts, was Nicholas wunderte. Hatte es ihm nicht gefallen oder warum wollte er nicht darüber sprechen? Oder hatte es einen ganz anderen Grund.

„Morgen“, grüßte ihn jetzt auch Nicholas, als ihm auffiel, dass er noch gar nichts gesagt hatte.

„Morgen“, nuschelte der Blondhaarige und wandte schnell seinen Blick ab. Er begann, seine Schulsachen auszupacken. Dann nahm er einen Schluck aus seiner Flasche.

„Ist alles in Ordnung bei dir?“, fragte Nicholas besorgt. Mit dem Blondhaarigen schien wirklich etwas nicht zu stimmen.

„Alles in Ordnung“, erwiderte Luca mit einem Lächeln, „Ich war nur etwas in Gedanken.“ Das Lächeln war leer. Es erreichte seine Augen nicht.

„Na dann.“ Nicholas glaubte ihm nicht, wusste aber auch nicht, was er sonst sagen sollte.

„Und, was hast du so in den Ferien gemacht?“, versuchte René ein Gespräch aufzubauen, „Ich bin für ein Wochenende mit Becky und ihren Eltern nach Berlin gefahren. Schön dort.“

„Eigentlich nichts weiter“, antwortete Luca. Er begann, leicht zu schwanken. Mit einer Hand hielt er sich an der Tischkannte fest, doch das Schwanken wurde nicht weniger.

„Bist du sicher, dass es dir gut geht“, fragte jetzt auch René besorgt.

Das Schwanken wurde stärker, bis Luca schließlich zur Seite kippte. Hätte Nicholas nicht so schnell reagiert, wäre der Blondhaarige vom Stuhl gefallen, so landete er auf Nicholas‘ Oberkörper.

„Luca!“, rief der Schwarzhaarige erschrocken.

Der Angesprochene rührte sich nicht.

Vorsichtig hob Nicholas ihn auf seine Arme. Erschrocken stellte er fest, dass es fast nichts wog. Luca war schon immer recht dünn gewesen, aber noch nie so dünn. Der Schwarzhaarige konnte seine Rippen durch den Pullover hindurch deutlich spüren, zu deutlich.

Er legte den Bewusstlosen auf den Boden und kniete sich neben ihn. Als er seine Stirn fühlte, hätte er beinahe die Hand vor Schreck wieder zurückgezogen. Luca glühte.

„Hol einen Lehrer!“, wies Nicholas seinen besten Freund an, der sogleich aus dem Zimmer sprintete.

Nicholas begann in der Zwischenzeit, seinen Ranzen zu durchsuchen, bis er eine Packung Papiertaschentücher fand. Diese machte er unter dem Wasserhahn nass und legte sie Luca auf die Stirn, in der Hoffnung, seine Körpertemperatur so etwas zu senken.

Inzwischen war auch René wieder zurück, gemeinsam mit Neumann und dem Direktor.

„Was ist passiert?“, wollte der Direktor sogleich wissen.

„Er ist einfach zusammengebrochen“, antwortete Nicholas, „Und er hat Fieber.“

Jetzt kniete sich auch Neumann zu Luca. „Besser, wir rufen einen Krankenwagen“, meinte er, nachdem er den Blondhaarigen kurz untersucht.

Der Direktor holte sein Handy aus der Hosentasche und tippte darauf herum. Dann lief er an das andere Ende des Zimmers und hielt es sich ans Ohr.

Was genau der Direktor sagte, bekam Nicholas nicht mit, dazu war er zu sehr auf Luca fixiert. Langsam schob er den Pullover seines Klassenkameraden nach oben. Zum Vorschein kamen die üblichen blauen Flecken, nur dass diesmal keine neuen dabei waren, und ein eingefallener Bauch. Auch die Rippen stachen deutlicher hervor, als gesund war.

Neben ihm schnappte Neumann erschrocken nach Luft. Ernst sah er Nicholas an. „Was genau geht hier vor sich?“

Der Schwarzhaarige hob seine Schultern. „Luca weigert sich, darüber zu sprechen. Ich kann Ihnen nur sagen, was ich gesehen habe. Und das ist, dass er fast jeden Tag mit neuen blauen Flecken in die Schule kommt. Er ist extrem Schreckhaft, zuckt bei jeder unerwarteten Bewegung zusammen. Ein paar Mal sah es sogar so aus, als würde er gleich eine Panikattacke bekommen.“ Mehr konnte er nicht sagen, der Rest waren nur Vermutungen. Außerdem war er sich nicht mehr so sicher, ob er richtig lag.

Anfangs hatte er geglaubt, Jochen, Lucas Stiefvater, sei für die blauen Flecken verantwortlich. Aber Luca war jetzt zwei Wochen zu Hause gewesen und es schien nicht, als seien neue dazugekommen. Es musste also jemand anderes sein, der ihn verprügelte. Aber wer?

Und warum hatte Luca in den zwei Wochen Ferien nur so viel abgenommen. Es schien fast, als hätte er die ganze Zeit über nichts gegessen. Magersüchtig war er nicht, das wusste Nicholas. Dazu liebte Luca Süßes viel zu sehr. Trotzdem war dem Schwarzhaarigen aufgefallen, dass Luca nur sehr wenig aß. In der Schule hatte er immer ein Brötchen vom Bäcker, noch in der Bäckertüte verpackt und ohne Belag. Ganz selten hatte er ihn mal mit belegten Pausenbroten gesehen. Dazu kam, dass er immer Wasser trank, Leitungswasser. Noch nie hatte er gesehen, wie Luca etwas Süßes mit in die Schule gebracht hatte, obwohl er es doch so sehr zu lieben schien. Bekam er zu Hause nichts?

Nicholas versuchte, sich zu erinnern, was er für einen Eindruck von Lucas Mutter hatte. Sie hatte gewirkt wie jede andere Frau, deren Mann gerade erschöpft von der Arbeit gekommen und sich erst mal schlafen gelegt hatte. Aber er hatte sie auch nicht besonders lange gesehen.

Was ihn mehr wunderte, was, dass Luca seinen Stiefvater nicht „Vater“ nannte. Er war immerhin schon seit über zehn Jahren sein Vater. Hatte das etwas zu bedeuten oder nannte Luca ihn einfach nur nicht so, weil er wusste, dass ein anderer sein leiblicher Vater war und er keine anderen Männer so nennen wollte?

Irgendwie kam es ihm vor, als würde er im Kreis rennen und dabei etwas Wichtiges übersehen. Doch, was war das?

Der mit Blaulicht und Sirenen eintreffende Notarzt, in Begleitung eines Krankenwagens, riss ihn aus seinen Gedanken. Schnell ging er zur Seite, um den Mann an Luca heranzulassen. Der Notarzt untersuchte ihn kurz, ehe er den Blondhaarigen auf eine Trage lud und durch das Treppenhaus trug. Nicholas rannte ihm hinterher und informierte sich, in welches Krankenhaus er Luca brachte. Dann schaute er zu, wie der Krankenwagen vom Schulhof fuhr. Die neugierigen Blicke seiner Mitschüler ignorierte er. Momentan gab es wichtigeres.
 

Die ganze Zeit während es Unterrichtes starrte Nicholas auf den leeren Platz neben sich. Wie es Luca wohl ging? Er machte sich ziemliche Sorgen um ihn. Deshalb sagte er Neumann, ihm sei ebenfalls schlecht. Der Mann schien die Lüge zwar zu durchschauen, rief aber trotzdem bei ihm zu Hause an. Wenig später kam Sheila ihn abholen. Doch anstatt mit ihr nach Hause zu fahren, ließ er sich zu Luca ins Krankenhaus fahren. Seine Schulsachen nahm er mit. Wenn er ihn schon besuchte, konnte er sie ihm auch gleich geben.

Am Empfang bedurfte es einiges an Überredungskunst, aber als er erwähnte, wer sein Vater war, nannte ihm die junge Frau doch noch die Zimmernummer. Normalerweise tat Nicholas so etwas nicht, aber das hier war eine Ausnahme. Zügig ging er zu Lucas Zimmer, was er auch nach kurzem Suchen fast sofort fand. In der Tür stieß er beinahe mit einem Arzt zusammen, der gerade das Zimmer verließ. Der freundlich aussehende ältere Mann musterte ihn zuerst skeptisch, ließ ihn aber dann eintreten. Nicholas kannte den Mann, er hatte schon einmal die Dienste seines Vaters beansprucht.

„Dein Freund?“, fragte der Mann.

Nicholas nickte. „Wie geht es ihm?“

Der Mann seufzte. „Wir haben das Fieber wieder senken können. Mehr Sorgen macht mir seine Unterernährung. Weißt du, ob er irgendwelche Essstörungen hat?“

Der Siebzehnjährige schüttelte den Kopf. „Wenn Sie wissen wollen, ob er magersüchtig ist, die Frage kann ich mit „Nein“ beantworten. Luca liebt Süßes. Ich habe bis jetzt auch noch nicht gesehen, dass er etwas nicht gegessen hat. Er hat auch nie gesagt, dass er sich zu dick findet oder so. Vor den Ferien war er auch noch nicht so dünn.“

Der Arzt nickte. „Kannst du mir etwas zu den blauen Flecken sagen?“

Wieder schüttelte Nicholas den Kopf. „Luca will nicht darüber sprechen. Ich habe es schon mehrfach versucht, aber er blockt immer ab. Und wenn ich ihn zu sehr bedränge, sagt er gar nichts mehr…“

„Ich verstehe.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  mayu-saya
2014-02-27T19:07:21+00:00 27.02.2014 20:07
Oh weh.. Der arme luca.... Aber vllt bekommt er jetzt endlich Hilfe.. Das kann ja so nicht weiter gehen! Nikki du musst ihn da raus holen!
Antwort von:  Seira-sempai
27.02.2014 21:08
Nicholas tut schon sein bestes. außerdem hat er es schon fast raus.
Von:  chrono87
2014-02-26T17:53:58+00:00 26.02.2014 18:53
>>Ich verstehe.<< Mehr hat der Arzt nicht zu sagen? nun gut, er untersteht der Schweigepflicht. Trotzdem, er muss doch einen Verdacht haben! Und Nicholas... Der wirft seine ganze Annahme über den Haufen wegen keine neuen Pflecken! Unglaublich. Luca war zwei Wochen zu Hause, da muss man doch einsehen, dass es genug Zeit ist, um heilen zu könen. Zudem hat Luca nicht immer neue Flecken. Nur wenn Jochen der Sinn nach Prügel steht. Und der kann Luca nicht verprügeln, wenn er in seinem Zimmer eingeschlossen ist - was meist in den Ferien oder so vorkommt.
Bin ja mal gespannt was seine Elern sagen. Die müssen schließlich informiert werden. Sicher rastet Jochen wieder aus. Ich würde es ihm gönnen, dass er im Krankenhaus die Beherrschung verliert und ein Arzt oder Nicholas das miterlebt.
Antwort von:  Seira-sempai
26.02.2014 23:00
Auch dert Arzt hat seine Vermutungen. Aber er wird wie Nicholas nicht darüber sprechen, bevor er keine Beweise hat. Und solange Luca alles abstreitet, wird er keine Beweise bekommen.
Nicholas weiß noch nicht so richtig, ob er mit seiner Vermutung, dass es Jochen ist, richtig liegt. Er zweifelt noch daran, weil einige Dinge nicht zu stimmen scheinen oder er sie falsch deutet. Aber er kommt der Wahrheit langsam näher.


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