Zum Inhalt der Seite

Das Blut der Mana-i

Der König von Kalaß
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die Schlinge zieht sich zu

Am Vormittag, bevor es losgehen soll, macht Zarihm noch ein paar letzte Besorgungen und übergibt seinen Laden an einen befreundeten Händler. Er verabschiedet sich freundlich, aber nicht herzlich von ein paar Leuten. Engere Freunde scheint er hier keine zu haben, obwohl er schon sein ganzes Leben hier verbracht haben soll. Das findet vor allem der junge Prinz merkwürdig. Der Prinzessin ist es zugegebenermaßen egal. Sie benötigt den Mann aus Aranor auch nicht, sondern nur sein Siegel. Ob er mitkommt oder nicht, ist ihr gleich.

Zur Erleichterung der Königskinder, reisen sie bereits zur Mittagszeit aus der Stadt aus, ohne erneut von einem der Bettler behelligt worden zu sein. Jeder hat ein eigenes Pferd, auf dem er reitet. Auf Zarihms Vorschlag hin haben sie noch ein viertes Tier geliehen, welches die Vorräte, Zelte und Decken transportiert. Siva hält es für eine sehr gute Idee ein weiteres Pferd mitzuführen. Immerhin haben sie das Ziel einen Toten wieder zu erwecken und dieser muss dann ja schließlich auch auf irgendetwas reiten. Wasservorräte müssen sie nicht mit sich zu führen, denn sie reisen die ganze Zeit flussaufwärts entlang des Lanim bis zu seiner Quelle. Der erste Tag führt sie nur bis an die Westseite des großen Trinkwassersees Lanima, wo es eine letzte Herberge gibt, bevor sie viele Tage lang im Freien übernachten müssen. Selbstverständlich werden die Kosten der Reise von den Kindern übernommen.
 

Sie alle drei befinden sich im größeren Zweibettzimmer der kleinen, etwas schäbigen Herberge. Aiven zählt wie viel Geld Siva an die staatsfeindlichen Bettler verschwendet hat. Er hat dem Dieb den Rücken zugekehrt, um dessen Blick auf die Münzen zu versprerren. Zarihm zeigt jedoch keinerlei Anzeichen für Interesse daran und hat statt dessen auf dem Bett eine große Landkarte ausgebreitet. Er rechnet aus wie viele Tage sie wahrscheinlich bis zum Fuße des Berges Bugat benötigen werden. Siva schaut interessiert mit ihm auf die Karte. Wegstrecken zu planen gehört nicht zu ihrer Stärke und sie hofft sich etwas von dem sieben Jahre älteren Mann abschauen zu können. Als das Klimpern des Geldes aufhört, das die ganze Zeit schon von Aiven ausgegangen ist, wird sie von ihm erheitert angesprochen. Noch immer hat er ihr den Rücken zugewandt.

„Ich bin erleichtert. Siva, du hast etwa nur sechs Silber- und zehn Kupferstücke verschenkt. Das ist verkraftbar. Ich hätte gedacht, dass es viel mehr war, so wie du mit dem Geld um dich geschmissen hast.“

Verärgert dreht sie sich zu ihm und faucht:

„Ja, ich habe einen Fehler gemacht. Danke, dass du mich daran erinnerst.“

Nun dreht er sich ebenfalls zu ihr um. Er will sich nicht schon wieder mit ihr streiten und versucht ein beschwichtigendes Lächeln aufzusetzen.

„Ich wollte dich doch nur loben, dass du anscheinend doch besser gewirtschaftet hast, als ich dachte.“

„Lob klingt für mich aber anders. Was du tust, ist mich versteckt zu kritisieren.“

schimpft sie, was er als Unrecht empfindet.

„Ja, soll ich mich etwa freuen, wenn du Staatsfeinde finanziell unterstützt?“

Hat sie sich vorher nur über seine Äußerung geärgert, so ist sie nun wütend. Sie stampft auf den Boden auf.

„Das wusste ich doch nicht. Zarihm, sag du doch auch mal was!“

Dieser wendet sich desinteressiert von der Karte ab und richtet sich auf. Der jungen Prinzessin wirft er einen strengen Blick zu, bevor er den Prinzen fixiert.

„Ist noch genug Geld für den Rest der Reise übrig? Die Herberge in Brag Bugat, einen Fremdenführer und im Anschluss die Reise nach Nalita?“

Aiven nickt ausdruckslos, wonach der junge Händler lächelnd hinzufügt:

„Dann verstehe ich den Streit nicht. Schaut lieber mal mit mir zusammen auf die Karte, ihr zwei verzogenen Blagen.“ ,was Siva stöhnen lässt:

„Na das kann ja heiter werden...“
 

Volle sechs Tage werden sie unterwegs sein, bevor sie die kleine Stadt Brag Bugat am Fuße des Berges erreichen. Damit die Pferde durchhalten, werden sie täglich nur sechs Stunden reisen und dann ihr Lager errichten müssen.

Auf der Nosrama Ebene, nördlich des Lanim, leben ein paar vereinzelte Leoparden, angeblich auch ein kleines Rudel von Löwen. In den Ausläufern der Salaij Wüste gibt es südlich des Flusses jedoch nur für Menschen ungefährliche Erdwölfe. Die Tiere sind jeweils nicht in der Lage den Fluss zu überqueren, deshalb entscheidet sich die Gruppe selbstverständlich für das ungefährlichere südliche Ufer. Sie halten es nicht für notwendig extra eine Nachtwache einzuteilen, da sie sich von nichts bedroht fühlen.

Es fällt ihnen gar nicht so leicht mit diesen bescheidenen Umständen umzugehen. Beide Königskinder haben noch nie in einem Zelt schlafen müssen. Auch der Stadtjunge Zarihm hat damit keine Erfahrung und das Aufbauen des Lagers gestaltet sich als entsprechend schwierig. Siva glaubt oft alles besser zu können, bringt damit aber meist nur noch mehr Verwirrung und Unordnung in die ganze Sache. Beherzt, um keinen erneuten Streit vom Zaun zu brechen, macht Aiven ihr den Vorschlag Holz für ein Lagerfeuer zu sammeln, was sie überraschenderweise ohne Widerworte ausführt.

Oft wünschen sich die drei auf die andere Seite des Flusses, die auf sie sehr viel freundlicher und grüner wirkt. Sie glauben, dass selbst die Pferde sehnsüchtig auf das andere Ufer schauen. Das Risiko von Leoparden angefallen zu werden, nur um auf der hübscheren Seite des Gewässers zu reisen, sind sie aber natürlich nicht bereit einzugehen.
 

Am Abend des dritten Tages, baut Siva sich eine Angel, die sie direkt ausprobieren möchte. Sie lässt die beiden jungen Männer, wie die zwei Tage davor, das Nachtlager errichten. Außer Hörreichweite, sitzt sie gelangweilt auf einem Stein, während sie die Rute der Angel festhält.

„Für ein Silberstück schupse ich den Drachen ins Wasser.“

scherzt Zarihm.

„Du weißt was für ein Unwetter dann über dich hereinbricht“

kichert Aiven vergnügt, ohne seinen Begleiter für den frechen Kommentar über seine Freundin zu rügen.

„Ja, deshalb würde ich es mir ja auch gut bezahlen lassen.“

Der junge Händler lacht auf und fügt hinzu:

„Sie ist wirklich ein schwieriges Mädchen. So schön wie sie ist, so anstrengend ist sie auch. Was willst du nur von ihr?“

Der Prinz hat sich gerade etwas im Zeltstoff verheddert. Frustriert wirft er ihn zu Boden, sieht jedoch mit dem schönsten Lächeln zu seinem Reisebegleiter hinüber und antwortet sanft:

„Ich liebe sie eben so wie sie ist. Ist dir das noch nie passiert, Zarihm?“

Anscheinend von einem aufkommenden Gedanken erfasst, errötet der vierundzwanzigjährige, was Aiven zu seinem Glück nicht bemerkt, weil dieser viel zu verzweifelt damit beschäftigt ist, die Ecke des riesigen Stoffstückes ausfindig zu machen. Etwas abgelenkt fragt der junge Adlige schließlich:

„So wie ich es mitbekommen habe, kannst du doch Menschen lesen, oder? Ich kann das auch ein bisschen. Das habe ich von meiner Mutter gelernt, aber ich bin längst nicht so gut wie sie. Darf ich es bei dir mal versuchen?“

Zarihm versucht seine Unsicherheit zu verbergen, denn es gibt da so einiges, das Aiven nicht unbedingt wissen sollte. Seinen eigenen schauspielerischen Fähigkeiten vertrauend, antwortet er schließlich belustigt:

„Klar, wenn du willst, gerne.“

Aiven lässt das große Stoffstück fallen und reibt sich die Hände.

„Na, dann wollen wir mal.“

Er stellt sich aufrecht in den Himmel schauend hin um sich zu sammeln, dann fixiert er den schlitzohrigen Pfandhausbesitzer und beginnt mit seiner Analyse.

„Deine Eltern sind gestorben als du noch klein warst, deshalb hat dich dein Großvater aufgezogen. Ihr hattet nur wenig Geld, weshalb du schon als Kind mit ihm im Pfandladen gearbeitet hast. Dort hast du vor allem die negativen Seiten des Lebens kennengelernt, denn die Leute haben bei euch ihr Leid geklagt. Deshalb denkst du auch, dass die meisten Menschen schwach und bemitleidenswert sind, weshalb du dich selbst über sie erhebst und sie verurteilst. Aus diesem Grund hast du auch keine Freunde und weiß nicht was wahre Liebe ist. Niemand kommt über längere Zeit mit deiner arroganten Art zurecht. Du bist ein Einzelgänger und dein größter Wunsch besteht darin allein zu sein und nichts mehr mit den Menschen zu tun haben zu müssen. Der einzige, der in deinem Leben wirklich zählt, bist du selbst.“

Zarihm sieht finster zu Boden. Er hat ebenfalls seine Tätigkeit eingestellt und seine Knie haben begonnen zu zittern. Der Prinz ist gut, aber zum Glück nicht gut genug, um alle Zusammenhänge zu erkennen. Zarihm atmet tief ein. Anerkennend lächelnd antwortet er:

„Bis auf ein paar Dinge, die du nicht wissen kannst, war das gar nicht mal so schlecht.“

Sein Blick verfinstert sich erneut:

„Meine Eltern sind nicht gestorben, als ich klein war. Sie haben mich ausgesetzt und keiner, bis auf diesen einen alten Mann, war bereit mich, ein unschuldiges Leben, bei sich aufzunehmen. Er bildete mich zum Dieb aus. Ich bestahl reiche Schnösel wie euch in den anderen Vierteln. Nur so konnten wir Abschaum überleben. Als die Zeiten besser wurden, gründeten wir das Pfandhaus und hörten auf zu stehlen, aber mittlerweile läuft auch das nicht mehr so gut. Wie auch immer... Mit einer Sache hast du vollkommen recht, ich habe es gelernt die Menschen zu verachten, aber das ist kein erworbenes Wissen. Es wurde mir bereits in die Wiege gelegt, verstehst du? Ihr beide wurdet mit einem goldenen Löffel im Mund geboren. Ihr könnt das nicht verstehen, das ist mir klar und das erwarte ich auch gar nicht.“

Aiven hat ihm gebannt zugehört. So weit hatte er nicht gedacht, das muss er zugeben.

„Es tut mir leid, Zarihm. Ich-“

Bereits schon wieder lächelnd unterbricht dieser den jungen Aristokraten:

„Ich brauche dein Mitleid nicht, Prinz von Yoken. Wir haben einen Vertrag und den werde ich erfüllen.“

Aiven schluckt. Dass zwischen den beiden eine so große Distanz herrscht, ist ihm bisher noch gar nicht aufgefallen. Es wird ihm klar wie gefährlich es ist einen unbekannten Mitreisenden zu haben. Im Gegensatz zu Siva, die sich die ganze Zeit schon sehr vorsichtig gegenüber dem Fremden verhält, hatte er schon Vertrauen zu ihm aufgebaut. Positiv wie er ist, bleibt er der Überzeugung den Händler aus Aranor bis zum Ende der Reise schon noch zu seinem Freund zu machen. Fröhlich sagt er zu ihm:

„Da ich glaube, dass du viel besser darin bist Menschen zu lesen als ich, bitte ich dich, mir zu sagen was Siva von mir hält. Wie verliebt ist sie in mich?“

Fast ein bisschen abschätzig sieht Zarihm zu ihr hinüber. Die junge Frau sitzt am Ufer, hält mit ihrer rechten Hand die Angel fest und mit ihrer linken stützt sie ihren Kopf ab, als sei er ihr zu schwer. Er spottet abschätzig:

„Willst du das wirklich wissen?“

Aiven legt die Stirn in Falten. Das klingt nicht gut. Zögerlich antwortet er:

„Ja, eigentlich schon. Also, was denkst du?“

„Wie du meinst.

Sie sieht dich als ihren Handlanger, ihren Diener, den sie nur duldet, weil gerade kein anderer zur Stelle ist. Du kommst ihr gerade gelegen und du bist nur eine Station für sie. Das ist es, was ich denke. Wenn du mich fragst, dann hast du etwas besseres verdient, mein Freund.“

antwortet der pessimistische Händler schließlich.

Wieder muss Aiven schlucken. Die Worte waren wie ein Stich ins Herz, doch er will ihm keinen Glauben schenken. Zu süß kuschelt sie sich mittlerweile jede Nacht an ihn heran, zu liebevoll sind die Blicke, die sie ihm zuwirft. In Gedanken starrt er seine geliebte Siva an, die es mitbekommt, sich etwas zu ihm dreht und ihm über die Distanz fröhlich zuwinkt. Ihr Lächeln bringt sein Herz wieder zum Erblühen. Er richtet das Wort an seinen Begleiter:

„Nein Zarihm, du kennst sie nur nicht richtig. Nach außen mag sie hart erscheinen, aber in ihrem Innern trägt sie das zerbrechliche Herz einer zarten Prinzessin. Dein Hass auf die Menschen verwehrt dir diesen Blick auf ihr wahres Wesen.“

Darauf hat der junge Mann aus Aranor nichts mehr zu sagen. Ihr wahres Wesen, so denkt er, ist kein bisschen zart. Es ist ungestüm, berechnend undurchschaubar und stolz. Aber das ist nicht seine Sorge. Er konzentriert sich lieber darauf sein eigenes Leben in den Griff zu bekommen.
 

Als sie am selben Abend gemeinsam am Lagerfeuer sitzen, lachen sie ausgelassen über Sivas ersten kläglichen Versuch Fische zu angeln. Stundenlang hat die am Ufer gesessen, aber nur so kleine Fische herausgezogen, die es nicht lohnt zuzubereiten. Aiven lacht seine Freundin aus, was sie sich kein bisschen annimmt. Morgen wird sie mehr Erfolg haben, davon ist sie überzeugt.

Als sie mitten im Gespräch hinter sich in den Büschen etwas knacken hört, schreckt sie hoch.

„Zarihm, bist du dir sicher, dass es hier keine gefährlichen Tiere gibt?“

Etwas beunruhigt schaut er sich um.

„Laut Aussage der Leute in der Herberge am Lanima, sollte es auf dieser Seite keine geben. Sicher bin ich mir nicht.“

Aiven hat nichts gehört, vertraut aber auf die Worte seiner Liebsten. Sie steht auf, um langsam und behutsam ihre Waffe zu holen. Ihr Instinkt

sagt ihr, dass in dem hohen Gras etwa zehn Meter hinter ihnen, etwas herumschleicht. Für alle Fälle legt sie sich ihren Waffengurt mit einem kunstvoll gearbeitetem Schwert aus Nalita, in einer wundervollen Schwertscheide aus Kalaß um. Dieses trägt sie auf der Reise nicht am Körper, aber sie hat es die ganze Zeit in ihrem Gepäck dabei.

Gerade will sich die Prinzessin wieder zu den beiden Männern setzen, da springt hinter Zarihms Rücken plötzlich eine dunkle Gestalt aus dem Gras und läuft in einer unglaublichen Geschwindigkeit auf ihn zu. Siva kann gerade noch das Schwert ziehen, zu ihm hinlaufen und ausholen, als ihr etwas unvorstellbar schweres in die scharfe Klinge springt. Durch die zusätzliche Sekunde, die Siva dem jungen Händler verschaffen konnte, war es ihm möglich, sich zur Seite weg zu rollen.

Genau da wo er gerade noch saß, liegt jetzt ein blutender, schwer verwundeter winselnder Leopard. Mitleidslos holt Siva aus und gibt dem Tier den Gnadenstoß, was es unmittelbar verstummen lässt.

Es ist ein Jungtier. Ein voll ausgewachsener Leopard, hätte Siva wahrscheinlich einfach mitgerissen. Gefasst aufgerichtet steht sie neben ihm und betrachtet es. Ihre Augen leuchten erregt im Schein des Feuers.

Aiven läuft zum zitternd auf dem Boden liegenden Zarihm, der gerade kein Wort mehr heraus bekommt. Er hilft ihm hoch und setzt ihn an die gegenüberliegende Seite des Lagerfeuers. Die junge Frau ist inzwischen mit dem Schwert zum Fluss gegangen, um das frische Blut des Leoparden abzuweichen, als sie bemerkt, dass nicht nur ihr Schwert voller Blut ist. Auch ihre Bluse und ihre Hose sind vollkommen besudelt. Sie zieht ihre Kleidung aus und wirft sie bei Seite. Ihr Höschen und das kurzes Shirt, das sie darunter trägt, sind nicht betroffen, deshalb sie legt beides sorgfältig am Ufer ab, bevor sie nackt ins seichte Gewässer des Flusses steigt. Sivas in Wallung geratenes Blut beruhigt sich im kühlen Wasser wieder und sie beginnt durchzuatmen. Sie war nicht fähig sich um den jungen Mann zu kümmern, der Opfer des Angriffs wurde, weshalb sie das Weite suchen musste.

Aiven beobachtete wie sie zum Fluss ging und macht sich Sorgen. Er würde gern nach ihr sehen, doch Zarihm bittet ihn eindringlich ihn nicht allein zu lassen.

Dank des Wassers erholt sich die junge Frau schnell und es dauert nicht lang, bis die nun nur noch sehr leicht bekleidete Prinzessin vom Fluss zurückkehrt. Ohne sich daran zu stören, setzt sie sich neben das Ziel des Angriffs, den verstörten Zarihm. Mit ruhiger vertrauensvoller Stimme erkundigt sie sich bei ihm, ob alles in Ordnung sei. Er bedankt sich bei seiner Lebensretterin ehrfürchtig. Er kennt keinen anderen Menschen, der auch nur im Ansatz zu dem fähig gewesen wäre, was diese junge Frau da vollbracht hat. Das ändert seine Meinung über sie, denn seiner ursprünglichen Einschätzung nach, hätte sie ihn ohne mit der Wimper zu zucken sterben lassen, um ihm das Juwel abzunehmen.
 

Der Prinz weiß wie geradlinig Siva sein kann, doch er hat sie noch nie in einer Extremsituation erlebt. Er ist verblüfft wie kontrolliert sie ihre Beherrschung behalten hat, aber er macht sich auch ein wenig Sorgen um sie.

„Alles in Ordnung mit dir, Siva?“

Sie sieht ihn an, lächelt, schaut dann zum Feuer und antwortet:

„Ja, ich fühle mich sehr gut. Mach dir keine Sorgen. Da draußen ist nichts mehr, das uns gefährlich werden könnte. Vertrau mir. Lass uns ins Bett gehen.“

Das erleichtert Aiven ein wenig und er bringt Zarihm behutsam in dessen Zelt.

In dieser Nacht denkt Siva gar nicht ans Schlafen. Noch immer brodelt ihr Blut und das lässt sie Aiven mehr als überdeutlich spüren. Diese Nacht wird zu einer, an die sich die beiden ihr Leben lang erinnern werden.
 

Am nächsten Tag geht es Siva wieder gut und sie verhält sich normal. Ihre überschüssig freigewordene Energie ist sie schließlich los geworden. Dass sie den jungen Prinzen nicht schlafen ließ, kann man heute an seinen Augenringen erahnen. Müdigkeit verspürt er trotzdem nicht. Er ist in einer Hochstimmung, die auf die beiden anderen abfärbt. Zarihm hat aus anderen Gründen nicht viel geschlafen. Er ist immer wieder schweißgebadet aufgeschreckt und hat das Feuer neu entfacht. Zudem ist es ihm nicht entgangen, was die beiden Kinder in ihrem Zelt getrieben haben. Ihm ist das allerding herzlich egal. Ihn nervt es nur, wenn sie sich streiten, nicht wenn sie sich vertragen.

Die drei bauen ihr Zeltlager ab und reisen weiter. Den toten Leoparden lassen sie liegen.
 

Von Tag zu Tag verstehen sich die jungen Leute besser und werden zu einem immer effektiveren Team. Nach einigen Probeläufen hat es Siva tatsächlich geschafft ein paar Fische zu angeln, die sie am Abend am Feuer rösten können. Zarihm hat begonnen nicht nur Aiven, sondern auch ihr zu vertrauen, auch wenn er anfangs Bedenken bei ihr hatte. Ihre Entscheidungen sind wohl überlegt, sie trägt die Verantwortung für die Reise, was ihr trotz ihrer jungen Jahre nichts auszumachen scheint und sie achtet auf ihr Gefolge, was Aiven und er für sie wahrscheinlich darstellen. Auf jeden Fall ist sie viel reifer als er in ihrem Alter und das obwohl er eine so schwere Kindheit hatte. Er fügt sich ihren Anweisungen gern und erkennt sie als Anführerin an. Was Zarihm noch niemandem erzählt hat ist, dass er den amtierenden König von Roshea eigentlich ablehnt und mit den Rebellen sympathisiert, welche gegen den Thron arbeiten. Er war anfangs hin und her gerissen, ob er die beiden Königskinder trotz seines verlockenden Angebotes, das er in Form des Vertrages festgehalten hat, an die Rebellen ausliefern soll. Nun hat ihm ausgerechnet die Prinzessin das Leben gerettet. Er hatte sich eher an den jungen, stark aussehenden Prinzen gehalten, den er auch nach wie vor lieber mag als sie. Wenn er jedoch einen von beiden zum Anführer wählen müsste, so würde er Aiven enttäuschen müssen. Wenn der König nur halb so stark und souverän ist wie sie, dann hat er dem Königshaus Unrecht getan. Dummerweise hat er den königsfeindlichen Rebellen bereits mitgeteilt, dass sich die Rosheanische Prinzessin auf den Weg in das Gebirge des Bugats machen wird. Aiven hat er nicht an sie verraten, weil er einen von beiden benötigt, um ihm seine Prämie für den erfüllten Vertrag auszuhändigen. Nach der Besteigung des Berges hätte er seine Pflicht schließlich erfüllt und der Prinz wäre gezwungen ihn auszuzahlen. Danach würde er zusätzlich noch die Belohnung und das Ansehen der Rebellenbande erhalten, doppelter Gewinn quasi. So war sein Plan, doch nun bereut er diese gierige Idee jedoch. Sie birgt von vorn herein ein viel zu großes Risiko und der Verrat liegt ihm schwer im Magen.
 

In der geplanten Zeit erreichen die drei die kleine idyllische Gebirgsstadt Brag Bugat, in der sie ihre letzte Rast einlegen, bevor sie den imposant vor ihnen aufragenden Berg erklimmen. Sie sehen den Lanim aus dem riesigen, weitläufigen Gebirge heraus strömen. Die Quelle kann nicht weit entfernt sein. Heute fällt zum ersten Mal seit langem ein wenig Regen. Die Reisenden sind unglaublich froh trockenen Fußes bis hier her gekommen zu sein.

Im Gasthaus werden sie mit großen Augen angeschaut, als sie erklären sie hätten den direkten Weg von Aranor bis hierher gewählt. Das macht normalerweise niemand. Sämtliche offizielle Routen verlaufen von Aranor über die Straßen nach Norden bin hin zu Kalaß, dann nach Westen hinüber nach Nalita, um dann wieder nach Süden hierher zu gelangen. Das mag vielleicht weiter sein, aber es ist auch sicherer. Um den Fluss mit Schiffen befahren zu können, ist er jedenfalls nicht tief genug. Zudem fürchtet die Stadt Aranor um die Wasserqualität ihres einzigen Trinkwasserreserviors. Sie glauben eine Handelsroute könnte sich negativ darauf auswirken und haben dessen Ausbau immer wieder verhindert.

Siva fragt sich ein wenig durch und organisiert eine Fremdenführerin, die bereit ist die drei zur ihr bekannten Quelle des Lanim zu führen.

Sie sitzen am Abend vor dem Aufbruch zusammen im Gasthaus, um endlich einmal wieder ordentlich zu essen. Schon diese paar Tage von Vorräten zu leben, war eine ungewöhnliche Herausforderung für die verwöhnten Königskinder. Zarihm ist nervös, was er gut vor den beiden verbergen kann. Er befürchtet, dass jemand von den Rebellen mit ihm Kontakt aufnehmen wird und damit behält er auch recht.

So, dass die anderen es nicht sehen können, wird er von einem Mann mittleren Alters nach draußen gewunken. Unter einem Vorwand geht er hinaus ins Dunkel. Dort begegnet er einem Mann Anfang fünfzig, der sich als Anführer der Gegenbewegung vorstellt, seinen Namen jedoch nicht nennt. Er ist nicht allein und wird von zwei muskulösen Männern begleitet. In der Dunkelheit kann Zarihm den Anführer nicht richtig erkennen, aber er trägt einen Bart und hat langes, blondes nach hinten gebundenes Haar.

„Du sagst du begleitest die Königstochter auf den Berg Bugat?“

fragt er süffisant.

Zarihm versucht sie zu schützen und aus der Sache irgendwie wieder herauszukommen.

„Ich bin mir nicht mehr sicher, ob sie es wirklich ist, mein Herr. Sie scheint eher eine Kriegerin zu sein, denn sie ist viel zu gut im Umgang mit dem Schwert, um eine Prinzessin zu sein. Anscheinend habe ich mich wohl geirrt.“

Der Mann tritt näher an das Fenster heran in das heraus scheinende Licht, um sie zu sehen. Der eingeschüchterte Zarihm kann den Anführer nun besser erkennen. Er ist ihm in seiner Kindheit schon einmal begegnet. Früher soll er einmal eine gute Position beim Rosheanischen Militär inne gehabt haben. Seine hellbraunen Augen funkeln, als er die Prinzessin erblickt.

„Oh, sie ist es. Da besteht kein Zweifel. Hat Dugar ihr auch noch den Schwertkampf beigebracht? Einer Prinzessin? Das passt zu ihm. Wenn sie nur ansatzweise so gut ist wie er, dann wird es gefährlich für uns. Was ist mit dem anderen Typen neben ihr? Wer ist das?“

Zarihms erste Lüge hat nicht gefruchtet, aber vielleicht kann er Aivens Identität schützen.

„Das ist niemand, nur ihr Begleiter.“

„Hmm“

entgegnet der ehemalige Offizier,

„was haben die beiden denn auf dem Berg vor?“

Wahrheitsgemäß antwortet der junge Mann ängstlich:

„Sie wollen einer Legende auf den Grund gehen.“

Der Fremde lacht amüsiert spitz auf.

„Ganz die Mutter, hat den Kopf in den Wolken, die Kleine. Das gefällt mir. Geh mit ihr auf den Berg und berichte was du siehst. Ich und meine Männer werden euch hier unten erwarten. Was deine Belohnung betrifft. Was begehrst du?“

Beschämt antwortet Zarihm:

„Wenn alles so läuft wie ich es geplant habe, dann brauche ich kein Geld. Ich werde statt dessen Schutz benötigen. Leih mir drei deiner Leute für eine Weile, sagen wir ein halbes Jahr.“

Die Arme verschränkend antwortet der Anführer der Rebellenbande:

„Es ist schwieriger gute Männer zu finden, als Geld zu erbeuten, aber sei es drum. Das klingt als hättest du noch einen anderen Deal laufen? Du bist ein richtiger Halunke, Kleiner. Du gefällst mir. Du kannst dich uns anschließen, wenn diese Sache gelaufen ist.“

Zarihm führt weiter aus:

„Ich habe andere Pläne. Das war auch noch nicht alles, denn ich erhebe

Anspruch auf alles was sie bei sich tragen und ich brauche den Begleiter lebend.“

Der Anführer sieht nochmal zum Fenster hinein und erklärt erregt lächelnd:

„Wir sind im Geschäft, Junge. Drei Männer meiner Clypeus Garde für ein halbes Jahr, gegen die wunderhübsche Prinzessin von Roshea. Den Begleiter und den Kram, den sie mit sich herumtragen, kannst du behalten. Nun geh wieder hinein! Lass das süße Prinzesschen nicht zu lange warten!“

Er leckt sich die Lippen und schuppst den verängstigten Verräter in Richtung Tür. Dieser hat aber noch ein Anliegen und stottert:

„Ich-ich hätte gern einen...Ver- einen Vertrag, mein Herr.“

Für diese Bitte wird er nur ausgelacht. Der Fremde wiederholt belustigt:

„Einen Vertrag? Komiker bist du also auch noch.“
 

Der eingeschüchterte junge Mann geht wieder in das Gasthaus. Sein Gewissen droht ihn zu verschlingen, so schuldig fühlt er sich. Er entschuldigt sich bei seinen beiden Begleitern, dass es ihm heute nicht so gut ginge und dass er nun hinauf aufs Zimmer gehen möchte, um zu schlafen. Das klingt plausibel und die beiden machen sich keine weiteren Gedanken um ihn.
 

Mit großer Besorgnis beobachtet König Nico die Reise seiner Tochter. Dass sie von Deskend nach Kalaß, dann nach Aranor und nun auch noch zum Berg Bugat reiste, ist ihm keinesfalls entgangen. Er ist sich sicher, dass sie vor hat etwas sehr Dummes zu tun und er befürchtet, dass sie es auch noch schaffen könnte. Alles deutet darauf hin, dass sie auch das vierte Siegel in ihren Besitz gebracht haben könnte. Er glaubt das kopflose Mädchen noch aufhalten zu können und macht sich aufbruchbereit. Seiner Frau Kara sagt er nichts davon.

Als er mit hurtig gepackten Sachen den Westflügel verlassen will, stellt sich ihm seine Gattin entgegen. Sie hat sich vor dem Ausgang postiert und befielt ihm:

„Du wirst sie NICHT aufhalten, Nico!“

„Doch, das werde ich. Dieses Kind begeht einen großen Fehler. Ich muss sie davon abhalten.“

antwortet er hart, fast aggressiv und streckt seine Hand nach vorn aus, um sie bei Seite zu schieben. Er fasst auf ihre Schulter, und gibt ein wenig Druck auf seine Hand.

Wie in Stein gemeißelt bleibt Kara stehen.

„NEIN! Du wirst sie einmal was alleine machen lassen!“

Der König ist geschockt. Hat sie ihn gerade angeschrienen? Wie lang ist es her, dass sie das zum letzen Mal getan hat? Fünfzehn Jahre vielleicht? Er lässt von ihr ab und hält inne. Überrascht entgegnet er:

„Kara, du- du willst, dass sie Erfolg hat?“

„Ja, das will ich.“

schreit sie verzweifelt.

„Nico, sie weiß nicht wer sie ist. So viele Jahre schweigst du dich nun schon über deine Herkunft aus und verbietest ihr Nachforschungen in Kalaß zu unternehmen. Sie merkt doch, dass wir keine normale Familie sind. Selbst mir erzählst du nichts darüber.“

Nico steht wie angewurzelt da, denn die Worte seiner Frau verletzten ihn, doch sie hört nicht auf ihn verbal anzugreifen.

„Ja, ich will, dass sie Ramon wiedererweckt. Er ist bestimmt nicht so ein Starrkopf wie du und klärt uns darüber auf was wir sind, warum wir nicht krank oder alt werden, wieso unsere Worte so viel Gewicht bei anderen Menschen haben und wieso uns alle blind vertrauen. Seit wir ein Paar sind, Nico, habe ich mich immer mehr verändert. Mein Körper, wie ich andere Menschen wahrnehme und wie mich andere wahrnehmen. Kein einziges Mal hatte ich eine Erkältung oder irgendwelche Schmerzen. Das ist doch alles nicht normal.“

Sie beruhigt sich etwas und sagt in ruhigerem Ton:

„Aber es geht hier auch gar nicht um mich. Ich habe schon vor langer Zeit akzeptiert, dass du dich darüber ausschweigen willst, aber unsere Tochter...Siva kann das nicht und sie soll es auch nicht. Sie hat ein Recht zu erfahren was genau sie ist und was das für sie und die Welt um sie herum bedeutet.“

Nico hat die Hände zu Fäusten geballt und schlägt damit so hart gegen den Türrahmen neben Kara, dass Putz von der Decke rieselt. Sie weicht keinen Zentimeter zurück. Vor ihm hat sie keine Angst, denn sie weiß, dass er sie niemals verletzen würde.

Mit nach unten gerichtetem Blick antwortet er schließlich:

„So denkst du also über mich...und nun soll ich dabei zusehen, wie meine Tochter den gefährlichsten Mann der Welt wieder zum Leben erweckt.“

Sie sieht ihn nur mit erhobenem Blick an, weshalb er resigniert hinzu fügt:

„Gut Kara, ich werde sie gewähren lassen. Es ist meine eigene Schuld. Ich habe sie zu dieser Verzweiflungstat getrieben und nun muss ich mit den Konsequenzen leben. Ich übernehme die Verantwortung für diesen Vorfall.“

Der König dreht sich um und geht schnellen Schrittes wütend zurück in seine Gemächer.

Seine Frau ruft ihm nach:

„Warte kurz. Bitte sag mir etwas. Sag mir warum wir so sind, wie wir sind!“

Er bleibt stehen, dreht sich zu Kara ins Profil und antwortet völlig ausdrucks- und emotionslos:

„Weil das Blut Fuathels in mir fließt.“

Ärgerlich darüber es ausgesprochen haben zu müssen, fährt er sich durchs Haar.

Kara ist geschockt, was ihre Knie weich werden lässt. Sie bricht in sich zusammen, worauf ihr Mann gar nicht reagiert. Er lässt sie verärgert über ihr verantwortungsloses Verhalten hinter sich zurück. Er hat keine Ahnung, ob er sich mit dem mächtigen Ewigen König Ramon messen kann, aber er wird es nun wohl herausfinden müssen. Das zuversichtliche Lächeln, das ihn sonst unablässig kleidet, ist aus seinem Gesicht gewichen und wird auch so schnell nicht wieder zu ihm zurück kehren.
 

Das Blut eines Gottes fließt in seinen Adern? Kara hatte sich in ihrer Jugend schon solche Geschichten zusammen gesponnen, als sie vor fast zwanzig Jahren mit ihm gemeinsam in den geheimen Archiven des Kalaßer Rathauses war, doch wirklich daran geglaubt hatte sie nie. Sie glaubt ja nicht einmal an die Existenz der Götter, die für Nico eine Gewissheit zu sein scheint. Über die Jahre ist sie zu der Überzeugung gelangt es handle sich bei dem sogenannten Blut der Mana-i um einen Adelsstamm, der aus ideellen Gründen rein gehalten werden sollte. Von den Veränderungen ihres Körpers hatte sie Nico schon vor Jahren erzählt, doch er hatte sie nie ernst genommen, weshalb sie sich einredete es sei alles nur Einbildung.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück