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Das Blut der Mana-i

Der König von Kalaß
von

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Mana-i, die Ewigen

Mit einem bepackten Esel im Schlepptau, machen sich Siva, Aiven, Zarihm und die etwa dreißigjährige Fremdenführerin Elise auf den Weg zur Quelle des Lanim. Ihre vier Pferde lassen sie in Brag Bugat zurück, um sie auf der Rückreise wieder mitzunehmen. Einmal werden sie auf dem Weg nach oben übernachten müssen, worüber keiner von ihnen besonders glücklich ist. Trotzdem sind sie schon dankbar wenigstens nicht bis zum Gipfel aufsteigen zu müssen und die erfahrene, wenn auch etwas derbe Bergsteigerin Elise dabei zu haben. Sie zeigt ihnen die sicheren Passagen, auf denen sie sogar zeitweise den Flusslauf aus den Augen verlieren. Der Strom macht viele unnötige Wendungen über unpassierbares Gebiet, erklärt die erfahrene Frau. Schwierige Aufstiege versucht sie mit kleineren Umwegen zu vermeiden, die auch für das Lastentier benutzbar sind. Es soll den Weg bis zur Lagerstätte mitkommen und dann dort zurück bleiben, um auf sie zu warten. Elise kennt sich gut in den Bergen aus und erklärt, dass es leider unbedingt notwendig sei eine Nachtwache zu bestimmen, denn in diesem Gebirge gäbe es eine Menge großer, gefährlicher Raubkatzen. Zarihm bereut schon jetzt, mitgekommen zu sein. Er hätte den Kindern sein schwarzes Siegel auch einfach geben und unten in der gemütlichen Herberge auf die beiden warten können. Doch nun ist es zu spät. Zu seiner großen Erleichterung verläuft die erste Nacht ereignislos.
 

Am zweiten Tag brechen die vier kurz nach Sonnenaufgang auf. Elise muss die müden jungen Leute antreiben, die bereits nach dem ersten Tag völlig erschöpft sind. Siva, die von allen noch am vitalsten ist, hat beschlossen ihrer Bergführerin von den gezeichneten Karten ihres Vaters zu erzählen und sie ihr vorzulegen.

Elise erkennt ein paar markante Felsformationen, die Nico als Wegmarkierung eingezeichnet hat. Es fällt ihr leicht die Karte zu deuten und sie führt ihre Schützlinge geradewegs zu der Klippe, unter der sich in der Steilwand die Höhle mit den von Nico entdeckten Inschriften befindet. Ein wunderschöner Ausblick weit über das Gebirge tut sich vor ihnen auf. Sie können bis zur Salaij Wüste im Südwesten und zur Nosrama Ebene im Nordwesten sehen.

Es ist noch früher Nachmittag, als sie ankommen, weshalb ihnen noch jede Menge Zeit bleibt die Höhle noch am selben Tag zu erkunden.

Klar und bestimmt verbietet Siva der überraschten Elise den Zutritt zu dieser Höhle. In Absprache mit den anderen beiden, bittet die Prinzessin sie sogar den Abstieg bereits ohne sie vorzunehmen. Elises Warnungen vor den Gefahren, diese Berge ohne Fremdenführer zu durchqueren, zeigen keine Wirkung, weshalb sie der Bitte des unbelehrbaren Mädchens schließlich nachgibt. Sie erhält ihre Bezahlung und reist verständnislos aber unvermittelt ab.
 

Nun ist es soweit. Siva, Aiven und Zarihm lassen sich an einem Seil zum Vorsprung vor der, auf den ersten Blick, sehr verwitterten Höhle hinab. Ein starker Wind bläst stetig hier hinein, der anscheinend nur die jungen Männer zu quälen scheint. Siva erkennt sofort die vier Vertiefungen in der Felswand, die eben genau das Relief zeigen, welches ihr Vater vor fast dreißig Jahren in das kleine Notizbuch gezeichnet hat, das sie gerade in den Händen hält. Eilig sucht sie den Fußboden nach der Bodenplatte mit dem Abbild König Ramons in seiner Siegelrüstung ab. Auch diese findet sie wie erwartet vor. Aufgeregt ruft sie den Prinzen zu sich.

„Aiven, hol die vier Siegel und lass sie da in die Wand ein!“

Er folgt ihrem Befehl, nimmt ihre drei Siegel und erbittet das vierte von Zarihm, der ihm seines ebenfalls bereitwillig aushändigt.

Doch bereits beim Versuch das erste Juwel in die Wand einzulassen, stößt er auf ein unerwartetes Problem. Er hält das Erdsiegel vor die sonnenförmige Kerbe. Verwirrt schüttelt er den Kopf.

„Siva, es... Es passt nicht.“

Erschrocken schaut sie zu ihm und faucht verständnislos:

„Dann probier ein anderes!“

Aiven nimmt das Mondsiegel und hält es an eine viel zu krumme Öffnung in der Felswand.

„Auch das passt nicht.“

Siva kann es nicht glauben und probiert es selbst. Unsanft und ungeduldig reißt sie ihm das das schwarze Juwel aus der Hand und drückt es gegen die falsch geformte Kerbe.

„Das kann doch nicht sein.“

ruft sie empört und

„Lass uns alle ausprobieren!“

Auch bei den anderen zwei Siegeln haben sie keinen Erfolg. Die Prinzessin will das nicht wahrhaben und sinkt, mit vor ihr hübsches Gesicht geschlagenen Händen, in sich zusammen.

„War es etwa alles umsonst?“

haucht sie mit zittriger Stimme. Sie war so euphorisch, hat diesem Moment ihr ganzes Leben lang entgegen gefiebert und dann das?

Zarihm steht noch immer wie angewurzelt am Eingang der Höhle. Ihm ist es ehrlich gesagt egal, ob die beiden Aristokratenkinder hier etwas herausfinden oder nicht. Er macht sich in diesem Moment viel mehr Gedanken um das, was sie bei ihrer Rückkehr erwartet. Der kalte Wind hier unten in der Höhle macht ihm so stark zu schaffen, dass er kurz darauf wieder nach oben klettert, wo er es sich an einem Baum gelehnt, gemütlich macht.

Aiven hockt sich neben die sichtlich am Boden zerstörte, in sich zusammengesunkene Prinzessin und streichelt ihr zärtlich über ihren Kopf . Aus seiner Sicht zeigt sie zwar eine übertriebene und verfrühte Reaktion, doch trotzdem versucht er Verständnis aufzubringen und sie zu trösten.

„Es ist noch zu früh um aufzugeben. Vielleicht zeigen die Symbole an der Wand nur eine Reihenfolge an, oder sie dienen sogar nur der Information, dass man die Siegel bei sich tragen soll. Lass uns doch gemeinsam als nächstes die Bodenplatte untersuchen.“

Siva nimmt die Hände von ihrem Gesicht und nickt zart. Anscheinend hat sie sogar geweint. Das Mädchen bekommt keinen Ton heraus, so fassungslos ist sie.

Die beiden vergleichen Sivas Zeichnung mit der Bodenplatte, die hier aus Messing, anstatt aus Granit gefertigt ist. Sie scheint jedoch keine neuen Hinweise zu enthalten und die kleinen Unterschiede sind wohl eher zufälliger Natur und könnten sich auch damit begründen lassen, dass sie aus einem anderen Material oder von einem anderen Künstler gefertigt wurden. Die Messingplatte hier in der Höhle wurde allerding geschändet und sämtliche klaren Hinweise auf den Ewigen König Ramon wurden entfernt. Nur noch allgemeine Schriften sind auf ihr erhalten geblieben. Diese Texte können sie auf Sivas Zeichnung nachlesen, doch sie nützen nichts. Sie weisen nur auf den Bestatteten hin und scheinen nichts tieferes, wie ein Belebungsritual zu verbergen. Wahrscheinlich haben sie ihren Zwischenstopp in Kalaß dann doch völlig umsonst gemacht, denn ihre Erkenntnisse bringen sie überhaupt nicht weiter. Stundenlang suchen sie den weiter Raum ab, ohne auch nur einen Schritt voran zu kommen. Alles Mögliche haben sie nun schon in die Öffnungen gelegt. Zum Beispiel Erde in die Öffnung des Erdsiegels, sie haben einen lodernden Ast in die des Feuersiegels hinein gehalten und Wasser in das halbkreisförmige gegossen, sogar in die Tropfenform des Windsiegels hinein gepustet. Nichts davon hat etwas ausgelöst. Es scheint keinen versteckten Mechanismus zu geben, der ihnen einen weiteren Raum aufzeigen wird. Wenn es eine Lösung gibt, dann muss sie sich hier in der Höhle befinden.

Aber selbst wenn König Ramon hier bestattet wurde, wie sind sie nur auf die Idee gekommen, sie könnten ihn ins Leben zurück holen? Nico hatte das Wort „Wiederbelebung“ mit einem Fragezeichen dahinter versehen, doch Siva war stets der festen Überzeugung es wäre mit Hilfe der Siegel möglich.

Sie beschließt die vier Siegel nach einer Antwort zu befragen. Noch niemals hat sie alle gleichzeitig berührt und sie verspricht sich viel davon.

Sie legt je zwei links und zwei rechts vor sich ab und berührt diese mit ihren bloßen Händen. Üblicherweise fasst die die Juwele nicht direkt an, da sie von ihnen Mental fortgerissen wird. Die Macht aller vier Siegel durch sich hindurch fließen zu lassen, fühlt sich für die junge Mana-i besser und ausgewogener an, als eine unvollständige Anzahl. Gigantische Energieströme durchfließen sie, die ihren Geist und ihren Körper zunächst vollständig wiederherstellen, diese Kraft aber bereits nach kurzer Zeit wieder aus ihr herauszuschöpfen scheinen. Siva scheint nicht stark genug zu sein, um die Energien halten zu können, die ihr immer wieder entschwinden und einen Teil von ihrer Kraft für sich beanspruchen. Die junge Frau probiert es immer und immer wieder und wird zunehmend erschöpfter. Nicht einmal den Ansatz einer Antwort oder von verborgenem Wissen kann sie darin ausmachen. Trotzdem will sie nicht nachgeben. Als sie nach unzähligen Versuchen kurz Ohnmächtig wird, verbietet es ihr Aiven weiter zu machen. Er überredet sein Mädchen sich erst einmal auszuruhen.

„Sei nicht so selbstzerstörerisch, Siva. Gib die Hoffnung noch nicht auf! Vielleicht ist es zeitpunktabhängig und es hat etwas mit dem Licht zu tun. Vielleicht muss Mondlicht in die Höhle hineinfallen, oder das morgendliche Sonnenlicht.“

sind ein paar seiner letzten Ideen.

Sie stimmt zu. Was bleibt ihr im Moment auch anderes übrig?

Zarihm hat sich oben bereits ein spärliches Nachtlager errichtet, mit dem Wenigen, das sie hier hoch mitgebracht haben. Er hat zwar Angst vor einem Leopardenangriff, aber in die zugige Höhle will er nicht zurück. Er hofft, dass die zwei Königskinder jeden Moment zu ihm hinauf steigen, was sie allerdings gar nicht vor haben. Sie bleiben, in Decken gehüllt, unten in der Höhle zurück. Siva will nichts verpassen und ist nicht willig hinauf zu klettern.
 

Trotz ihrer Erschöpfung macht die Prinzessin kein Auge zu und beobachtet die Wand und das Bodenrelief unablässig im Schein einer Fackel, die sie aufgestellt haben, während Aiven schon fast eingeschlafen ist. Mitten in der Nacht ruft sie plötzlich:

„Randa Mana-i!“

was einige Male in der Höhle widerhallt. Sie hat einen Geistesblitz.

Der müde Prinz schreckt hoch. Sie stößt ihn an.

„Randa bedeutet ‚erneuern‘, Aiven! Das haben wir ganz aus den Augen verloren. Ich soll das göttliche Blut erneuern.“

Euphorisch schneidet sie sich mit einem Messer in die Hand.

„Spinnst du?“

brüllt Aiven sie von der Seite an.

„Was, wenn du Wundbrand bekommst?“

Ihn ignorierend erklärt sie:

„Der leicht geöffnete Mund ist kein Zufall. Er braucht das Blut der Mana-i, Aiven. Verstehst du?“

Siva hockt sich vor die schwarze Bodenplatte. Sie lässt zunächst nur etwas Blut auf die leicht geöffneten Lippen des Messingreliefs von König Ramon tropfen.

Als sie bemerkt, dass es versickert, lässt sie so viel hinein laufen, bis es ihr langsam schwindelig wird. Dann verbindet sie sich selbst die Hand. Aiven muss sie stützen, denn sie ist kaum noch in der Lage aus eigener Kraft zu sitzen. Mindestens eine halbe Stunde schaut sie, an ihn gelehnt, gebannt auf die Bodenplatte, ohne dass auch nur das Geringste passiert. Das im Schein der lodernden Fackel schwarz glänzende Blut, ist auf dem schwarzen Messingrelief kaum zu sehen. Das ist auch besser so, denkt Aiven, denn ein blutverschmierter Sarkophag ist eine abscheuliche letzte Ruhestätte. Er fragt sich, ob die beiden das Grab nun nicht noch mehr geschändet haben, als es ohnehin schon war und ist erleichtert, dass nichts passiert, denn alles andere wäre wider der Natur. Seine liebste Siva wird schon eines Tages darüber hinweg kommen. Er wird sie jedenfalls gern trösten. Im Moment möchte er einfach nur noch mit ihr nach Hause zurück kehren.
 

Die beiden wickeln sich wieder in die Decke und setzen sich zurück an die Wand, an die sie zuvor schon angelehnt waren. Immer noch hat sich in der Höhle nichts getan. Siva grübelt weiter darüber nach was sie nur falsch macht. Vielleicht braucht sie auch nur etwas Schlaf um wieder klar denken zu können. Völlig erschöpft von den großen Anstrengungen und dem Blutverlust schläft sie in Aivens Armen ein.
 

Ziemlich früh am Morgen erwacht die Prinzessin erschöpft aufgrund eines dumpfen undefinierbaren Geräusches. Je klarer sie im Kopf wird, desto eher glaubt sie daran eine Art Hämmern zu hören. Eilig weckt sie den Prinzen, der sie die ganze Nacht im Arm gehalten hat.

„Wach auf! Ich höre etwas.“ flüstert sie ihm ins Ohr.

Er findet langsam zu sich und entlässt sie aus seinem Griff. Der Ursprung des Geräusches ist schnell unter der Bodenplatte ausgemacht. Vom Blut, das sie in der Nacht hier hinein gelassen hat, ist kaum noch etwas zu erahnen.

„Aiven!“ ruft sie aufgeregt, „Wir müssen sie aufstemmen!“

Das gestaltet sich gar nicht so einfach, denn die Platte ist vollständig im Boden eingelassen. Aiven holt Zarihm herunter in die Höhle und bittet ihn, eine Art Hebel mitzubringen. Dieser ist ein wenig verstimmt, weil ihn die beiden Aristokraten oben allein gelassen haben. Allerding kennt er auch seine Stellung in der Rangordnung und weiß, dass es ihm nicht zusteht sich zu beschweren. Das Stabilste was er finden kann, sind die beiden Schwerter der Königskinder. Die teuren Stücke werden diese unsachgemäßeVerwendung nicht unbeschadet überstehen. Aus Mangel an Alternativen, sind sie mit dieser jedoch Notlösung einverstanden. Das schwache Hämmern ist währenddessen beständig weiter zu hören, was Siva in erwartungsvollen Glücksgefühlen baden lässt.

Zarihm klettert zu ihnen hinunter und bekommt es langsam mit der Angst zu tun. Was um alles in der Welt passiert hier?

Siva und Aiven nehmen ihm ihre Schwerter ab und ziehen sie aus der Schwertscheide, um mit der Klinge in den schmalen Spalt zwischen steinernem Boden und Messingplatte eindringen zu können. Die hochwertigen Schneiden nehmen dabei beträchtlichen Schaden, doch es funktioniert. Zu ihrem Glück erstreckt sich die Platte gar nicht über die ganze Fläche. Sie ist in mehrere Abschnitte unterteilt. Die obere, die sie versuchen aufzustemmen, reicht nur bis zur Brust der mannesgroßen Figur.

Als sie die erste, trotzdem sehr schwere Platte, gemeinsam ein kleines Stück angehoben haben, schiebt Siva eine der Schwertscheiden unter eine der Ecken. Nun lässt diese sich relativ leicht zur Seite weghebeln.
 

Die Prinzessin sieht zuerst hinein und wagt ihren Augen kaum zu trauen. Keine halbverrottete Mumie, sondern ein ihn ihren Augen außerordetlich schöner Mann sieht sie aus seinen satten blauen Augen an, die den ihren sehr ähnlich sind. Sein volles, glänzendes, halblanges violettes Haar, das dunkler als ihres ist, liegt ihm unordentlich im hübschen Gesicht. Seine Kleidung ist, wenn auch etwas staubig, in einem unerwartet guten Zustand. Am Hals und an den Ohren, sowie an den Armen und Fingern trägt er reich verzierten Goldschmuck, der von der Form her an Pfauenfedern denken lässt. Die junge Frau ist wie gebannt von seinem schönen, aber auch ebenso ehrwürdigen Anblick.

Der Mann im Sarkophag hatte schon einige Stunden Zeit, um seine Gedanken zu ordnen. Ihm ist jedoch noch völlig unklar wie lange er in seinem kaltem Grab gelegen haben könnte. Er hat jedes Zeitgefühl verloren. Weder wie viele Jahre vergangen sind, noch wie lange der Prozess des Aufwachens gedauert hat, kann er beurteilen. Ihm kam es ewig vor. Er dachte schon er wurde wiedererweckt, nur um ihn dann hier zurückgelassen, damit er erneut jämmerlich verrecken kann. Diese makabere Tat hätte er seinem Erzfeind König Nienna zugetraut, falls dieser vom Ritual erfahren hätte. Oder es ist jemand anderes gewesen, vielleicht sogar in einem anderen Zeitalter, der absolut keine Ahnung hat was er hier eigentlich tut? Er versteifte sich auf die zweite Antwort und hämmerte hoffnungsvoll gegen den Sargdeckel. Diese Strategie war zu seinem Glück von Erfolg gekrönt.

Im gleißenden Licht der Morgensonne, an das er sich erst einmal wieder gewöhnen muss, erkennt er nach einiger Zeit das Gesicht einer außerordentlich schönen Frau seines Volkes. Selbst für dieses erhabene Geschlecht ist sie von besonderer Schönheit gekrönt. Für ihn ist vom ersten Moment an völlig klar, dass es sich bei ihr nur um seine neue Braut handeln kann. Zur Sicherheit sieht er in ihren Gedanken nach, denn seine Fähigkeiten sind schon teilweise zurück gekehrt und ein Gedanke ist viel ehrlicher als ein Wort. Ganz zu seiner Erleichterung widersprechen ihre positiven Gefühle seiner Auffassung nicht.

Nach einer Weile erkennt er auch zwei männliche Gesichter über sich. Beides sind normale Menschen. Auch nach den zwei Männern erkundigt er sich bei ihr. Den hellhaarigen hübschen jungen Mann identifiziert er als Vasall und Gespielen der schönen Mana-i. Der andere scheint nur ein niederer Diener zu sein. Nun muss sich die schöne Frau nicht mehr mit Liebhabern vertun, denkt er. Denn nun ist er ja da.

Er erhebt sich ein Stück. Dabei ist ein hohes Klimpern seines Geschmeides zu hören. Er ist noch nicht vollständig wiederhergestellt und es fällt ihm schwer zu sprechen. Mit aller Kraft fragt er mit seiner dunklen, warmen Stimme:

„Welches Jahr?“

„Zwei-fünfundzwanzig tara Seris“

antwortet Siva prompt, diese Frage erwartend

„also genau zweihundertfünfundzwanzig Jahre nach dem Sieg über das Königreich Kalaß.“

Der Mann in dem Sarg schließt die Augen. Hat Nienna nach ihm etwa ein neues Zeitalter ausgerufen? Abscheulich. Vor ihm dreht sich alles. Er streckt seinen schmuckbehangenen Arm nach oben aus und die junge Prinzessin ergreift ihn. Auch Aiven hilft, wenn auch mit gemischten Gefühlen, dabei den schönen Wiedererweckten aus seinem Grab zu holen. Er hat bemerkt, dass seine Freundin ihn sehr interessiert musterte, was dem Prinzen gar nicht gefiel.

Zarihm weicht, das Gesicht verziehend, zurück.

„Bin ich der einzige, der das hier total abstoßend findet?“

Er macht einen Schritt nach hinten, doch die anderen ignorieren ihn.

Der frühere König, der gerade noch ein Toter war, sitzt nun auf dem Boden neben den beiden Königskindern. Erneut mit aller Kraft drückt er ein Wort aus seinen Lungen:

„Siegel!“

Umgehend sammelt Siva die vier Siegel zusammen und reiht sie sorgfältig neben ihm auf. Als er die Steine berührt, erfüllt ein gleißendes, türkisfarbenes Licht die Höhle, das nicht von den Steinen, sondern von ihrem Meister ausgestrahlt wird.

Endlich ist Ramon in der Lage sich etwas zu regenerieren. Bis er sich vollständig wiederhergestellt haben wird, ist wahrscheinlich noch einige Zeit nötig. Er sieht sich kurz im Raum um und erkennt, dass viele der Inschriften unkenntlich gemacht wurden und auch sein Name kaum noch lesbar ist. Das war garantiert ein später Racheakt Niennas. Auch wenn er ihm übel mitgespielt hat, so ist es doch unverschämt die letzte Ruhestätte eines Mannes zu schänden, urteilt Ramon.

Er bezieht viel Kraft aus den Siegeln und ist bereits nach kurzer Zeit wieder fähig normal zu sprechen und wahrscheinlich auch aufzustehen. Erhaben und laut richtet er nun das Wort an die schöne Mana-i. Seine warme dunkle Stimme erfüllt die Höhle.

„Ihr wisst sicherlich wer ich bin, Hoheit.“

Furchtlos aber voller Respekt und überglücklich über ihren Erfolg antwortet sie:

„Wir glauben Ihr seid der legendäre ‚Ewige König‘ Ramon.“

Der „legendäre Ewige König“. Endlich ist mal etwas nach seinem Geschmack. Er fürchtete andere Namen zu tragen, nach all dem was er getan hat, deshalb stimmt er erfreut zu:

„Das ist richtig. Bitte unterrichtet mich zum Zustand der Welt in diesen Tagen.“

Siva will zu sprechen beginnen, als er mit seinem Zeigefinger ihren Mund berührt.

„Nicht so, meine Schöne. Zeigt es mir!“

Sie zuckt ganz leicht überrascht zusammen, aber nicht von ihm weg.

„Euch zeigen?“ antwortet sie verwundert.

„Was meint Ihr, Majestät?

Erst jetzt wird ihm klar wie jung das Mädchen vor ihm eigentlich ist und wie verkümmert ihre Fähigkeiten, deshalb antwortet er sanft lächelnd:

„Ist nicht so wichtig. Nun helft mir heraus aus dieser Gruft. Beim Abstieg des Berges werden wir noch ausreichend Zeit haben miteinander zu plaudern.“

Ihr Herz klopft wie verrückt im Angesicht dieses imposanten Mannes. Obwohl er gerade aus dem Land der Toten zurückgekehrt ist, findet sie ihn kein bisschen abstoßend.

Aiven hält sich zurück. Er ist sich nicht sicher, ob er sich über den Erfolg der Mission freuen, oder sich fürchten soll. Vielleicht sollte er zudem ein Auge auf diesen König haben, da er sich verdächtig zärtlich gegenüber seiner Nachfahrin verhalten hat. Wer weiß was nach diesem langen Schlaf alles in ihm vorgeht?
 

Alle vier steigen nun am abgebrachten Seil an der Klippe aus der Höhle hinauf und Aiven fällt auf, dass der eisige starke Wind, der die ganze Zeit durch die Höhle fegte, verschwunden ist. Zarihm kann es noch immer nicht fassen, dass alle, außer ihm, anscheinend damit klar kommen, gerade einen Toten wiedererweckt zu haben. Er hätte sich fast übergeben, als die „Leiche“ Siva im Gesicht berührt hat. Was sind das nur für Leute? Sein Siegel hat er bereits in der Höhle wieder an sich genommen. Am Fuß des Berges will er die Gruppe so schnell wie möglich hinter sich lassen. Mit so etwas will er nichts zu tun haben. Die Rebellen, die unten auf ihn warten, hat der in diesem Moment schon wieder völlig vergessen.
 

Ramon ist bereits in der Lage mit den anderen Schritt zu halten. Drei der vier Siegel trägt er noch bei sich und solange ihn keiner auffordert sie auszuhändigen, wird er sie auch behalten.

Siva will sie ihm noch nicht nehmen, denn sie weiß, dass er sich aus ihrer Kraft regeneriert. Auf dem Weg zum Zwischenlager möchte sie gern ein paar Zusammenhänge erklären:

„Mein Name ist Siva Dugar. Ich bin die Tochter des Königs von Roshea Nico Dugar. Er ist auch ein Mana-i, wie Ihr, Majestät. Wahrscheinlich ist er sogar Euer Nachfahre.“

Bereits das ist dem wiedererweckt König zu viel. „Dugar“- den Namen hat ihr Vater sich wahrscheinlich selbst gegeben, denn er bedeutet „Sturm“, das wundert ihn noch nicht. Dass ein Mana-i König von Roshea ist, bedeutet dann wohl, dass der Rosheanische Adel und damit auch Hernans Herrscherfamilie, gestürzt wurden. Das freut ihn insgeheim. Nun kann er sich denken was mit seinem Königreich passiert ist. Mit einer schlechten Vorahnung fragt er:

„Was ist mit Kalaß?“

„Oh“ erwidert Siva betroffen,

„Das Königreich Kalaß wurde aufgelöst und die Länderein unter den Königreichen Yoken und Roshea aufgeteilt. Heute heißt nur noch die Festungsstadt so, die früher den Namen Tarbas trug.“

Der frühere König weiß, dass er selbst daran Schuld ist, doch es ärgert ihn trotzdem. Sein wundervolles Königreich Kalaß, das er so sehr geliebt hat, mehr als seine Frau, ja mehr sogar als seine Kinder..., gibt es nicht mehr. Er verschließt seine Trauer in seinem kalten Herzen und fragt weiter:

„Was passierte mit diesem hinterhältigen Jungspund Nienna?“

Siva kichert:

„Das kann wohl eher Aiven beantworten.“

Ramon schaut den jungen Aristokraten scharf an, der sich nun ebenfalls vorstellt.

„Ich bin Aiven Lethorius. Meine Eltern sind die Herrscher des Königreichs Yoken. Meine Mutter stammt aus der Blutlinie König Niennas.“

Ramon macht einen Satz nach vorn und landet direkt vor Aivens Füßen. Er schaut ihm mit einem finsteren Blick tief in die Augen und stellt fest:

„Dann bist du der Nachfahre meines Erzfeindes. Der, dem ich das hier alles zu verdanken habe.“

Er fasst sich an seine Gürtelschnalle, an der er sein Schwert vermisst. Die Prinzessin geht geschockt dazwischen.

„Beruhigt Euch bitte, Majestät. Ihr wollt doch keine Blutfehde auslösen, oder? Ohne Aiven würdet Ihr nämlich noch immer dort oben im kalten Gestein liegen, denn ohne ihn hätte ich das alles hier nicht geschafft.“

Der wiedererweckte König sieht in die schönen Augen seiner Nachfahrin. Sie sagt die Wahrheit, deshalb lässt er von dem Kind vor sich ab und läuft weiter als sei nichts gewesen.

„Wenn Ihr das sagt, Prinzessin.“

Aiven hat den Impuls Ramon etwas an den Kopf zu werfen, sich gegen sein unverschämtes Verhalten aufzulehnen, doch er traut es sich nicht. Anscheinend hat er Angst vor ihm, diesem unnatürlichem Wesen, was ihn sehr ärgert. Siva hingegen scheint Ramon eher anzuhimmeln. Der Prinz kann es nicht fassen und seine Stimmung wird zunehmend schlechter. Er hätte ihr niemals helfen dürfen diesen Mann von den Toten zu erwecken. Kein Wunder, dass König Nico dagegen war. Er wusste wohl, dass Ramon gefährlich ist. Aber wie konnte er auch davon ausgehen, dass es wirklich funktionieren könnte?

Eine Weile kehrt Ruhe ein.
 

Sie laufen alle drei nebeneinander. Siva geht in der Mitte zwischen den beiden adeligen Männern. Ein ganzes Stück weiter vor ihnen läuft Zarihm, der mit gutem Grund Abstand hält.

Die Prinzessin ist überglücklich. Sie weiß nicht wie lange es her ist, dass sie so ein wunderbares Gefühl in ihrer Brust spürte? Oder hatte sie es sogar noch niemals? Endlich treten ihre unablässigen Sorgen über ihr Wesen in den Hintergrund. Wie lange hat sie darauf gewartet diese endlich zu Schweigen bringen zu können? Irgendwie hat sie das Gefühl endlich gefunden zu haben, was ihr immer fehlte. Bereits jetzt glaubt sie mehr über sich und ihr Volk gelernt zu haben, als Nico ihr je erzählt hat und nun ist sie endlich am Zug, Fragen an ihren Vorfahren zu stellen. Sie hofft vorfreudig, dass Ramon mitteilungsfreudiger ist, als ihr Vater, aber selbst wenn nicht, wird das ihre Hochstimmung nicht trüben.

„Ramon, würdet Ihr mir bitte ein paar Fragen zum Geschlecht der Mana-i beantworten?“

Er legt seinen Arm sanft an ihren Rücken, was Aiven etwas beunruhigt und antwortet:

„Aber natürlich, meine Liebe. Am besten Ihr sagt mir was Ihr schon wisst und ich ergänze es dann.“

„Wirklich? Oh, vielen Herzlichen Dank, Majestät!“

So kriecherisch hat Aiven die Prinzessin in seinem ganzen Leben noch nicht erlebt. Er schüttelt entsetzt den Kopf, während sie fröhlich beginnt zu erläutern, was sie weiß.

„Mein Vater Nico hat mir sogut wie nichts darüber verraten wer wir tatsächlich sind und von wo oder wem wir abstammen. Ich habe hier und da Dinge aufgeschnappt, die nach Legenden und Märchen klingen. Die Kalaßer Herrscher wurden vor Jahrhunderten als Gottkönige verehrt, von den Göttern selbst sollen sie abstammen. Ihr, Ramon, seid der ‚Ewige König‘, der laut den Geschichtsbüchern Vierhundert Jahre lang regiert haben soll. Mein Vater beteuert diese Welt sei frei von Magie oder anderen übernatürlichen Dingen, besitzt aber gleichzeitig ein Siegel des Windgottes, dass ich ohne weiteres erspüren kann. Nun, im Kern war es das schon.“

„Wenn das alles ist, dann ist es nicht sehr viel was Ihr wisst, Prinzessin.“

entgegnet Ramon entsetzt und führt aus:

„In den Geschichtsbüchern steht nur das, was ich die Welt über unser Volk wissen lassen wollte. Es mag sein, dass ich sehr viel mehr weiß, als es für eine Person gut ist, aber jeder andere Mana-i weiß doch schon mehr als das, was Ihr mir da erzählt und Ihr seid die nächste Thronanwärterin. Habt Ihr Euch nie mit den anderen ausgetauscht?“

Siva macht große Augen und bleibt stehen.

„Ihr...Ihr wisst es nicht?“

Die beiden Männer bleiben stehen und drehen sich verwundert nach ihr um. Sie spricht bedrückt weiter:

„Ich verstehe. Dann muss ich Euch etwas sehr trauriges mitteilen, Ramon. Mein Vater und ich...wir sind die letzten, die vom Geschlecht der Mana-i übrig geblieben sind. Außer uns gibt es keine weiteren.“

Starren Blickes entgegnet er:

„Das ist nicht möglich. Etwa Hundert Mana-i lebten in Kalaß, als ich mich für sie opferte.“

Sie geht auf ihn zu, bleibt aber mit einem gebührlichen Abstand vor ihm stehen.

„Als emeritierter König muss es schwer sein das zu hören, denke ich.“

Das muss Ramon erst einmal verkraften. Aufgrund ihres letzten Satzes streift ein Lächeln über sein hübsches Gesicht.

„Es ist schmeichelhaft von Euch das zu sagen, Prinzessin, aber ich bin nicht emeritiert. Ich wurde entthront. Zumindest das sollte Euch doch hinreichend bekannt sein. Nienna wird die Gelegenheit nicht verfehlt haben, mich ad mortem zu diskreditieren.“

Betroffen senkt Siva ihren Blick, die nichts dazu äußern möchte. Ramon richtet sich an Aiven und befiehlt schroff:

„Prinz von Yoken, sagt mir was über mich und Nienna in den Geschichtsbüchern steht!“

Dieser ist überrascht, dass er plötzlich in das Gespräch einbezogen wird. Ramon behandelt ihn wie einen Handlanger, was ihm sehr aufstößt, deshalb nimmt er nun allen Mut zusammen, um sich gegen diesen beängstigenden Mann aufzulehnen.

„Bin ich Euer Vasall? Lest es doch selber nach, König der Toten!“

Dieser hebt die Schultern und ignoriert diplomatisch den persönlichen Angriff. Hat er die Stellung des Jungen falsch interpretiert? Ist Yoken gar kein Vasallenstaat Rosheas?

„Seid Ihr es nicht? Was seid Ihr denn dann?“

Aiven geht entschlossen zu Siva, nimmt ihre Hand und antwortet selbstbewusst:

„Ich bin Sivas fester Freund.“

Sie schämt sich ein bisschen für diese peinliche Situation, nicht aber für Aiven, zu dem sie steht. Die Bezeichnung „fester Freund“ erschließt sich Ramon nur aus dem Kontext. Anscheinend sind die beiden einander versprochen. Ein solches Bündnis zwischen den großen verbliebenen Königreichen Roshea und Yoken macht für ihn durchaus Sinn, doch die Verbindung zwischen den Thronerben stellt für ihn ein ernstes Problem dar, gerade auch, da er nun erfahren hat, dass es keine einzige andere weibliche Mana-i mehr geben soll. Nicht ohne Grund ist er davon ausgegangen, dass die Prinzessin seine Braut sei. Natürlich wird er den beiden nicht erzählen was in ihm vorgeht. Seine Strategie muss er nun allerdings anpassen. Gut, dass er es noch rechtzeitig erfahren hat. Er lenkt ein:

„Entschuldigt bitte, Prinz Aiven von Yoken und Prinzessin Siva von Roshea, dass ich die Situation missverstanden habe. Selbstverständlich begrüße ich die Verbindung beider Königreiche auf Augenhöhe.“

Aiven runzelt die Stirn, wohingegen seine Freundin verständnisvoll reagiert.

„Es ist schön, dass Ihr das so seht.“

Sie schließt wieder zu ihm auf.

„Wir sind vom Thema abgekommen. Ihr wolltet mich über die Mana-i aufklären.“

Der gefallene König lächelt als Antwort.

„Ihr habt Recht. Eigentlich ist dieses Wissen nur für unsere Ohren bestimmt, doch in diesem speziellen Fall, will ich eine Ausnahme machen.“

Er winkt den Prinzen zu sich.

„Kommt, Prinz Aiven, wir gehen weiter. Ich möchte Euch beiden von den Mana-i erzählen.“

Das ungute Gefühl in Aivens Bauch hat sich nicht gelegt. Sein Aufbegehren hat jedoch anscheinend die Fronten geklärt, was ihn wenigstens etwas erleichtert. Er kommt der Bitte nach und schließt auf. Der Versuch, sich zwischen die beiden miteinander entfernt Verwandten zu drängen, scheitert. Dann beginnt Ramon mit seinen Ausführungen.
 

„Ich beginne mal ganz am Anfang.

Ich bin sicher die vier Elementargötter sind Euch Siva und Euch Aiven ein Begriff. Vor mehr als zehntausend Jahren waren sie noch nicht so entrückt, wie sie es heute sind. Besonders Ahanani und Phantakare leibten die Menschen und halfen ihnen beim Aufbau immer größerer Stämme bis hin zu ganzen Zivilisationen. Kawanata und Fuathel fanden es jedoch schon immer anmaßend in die Belange der Menschen einzugreifen und stritten sich sehr oft mit den anderen beiden Göttern darüber. Vor allem Fuathel fühlte sich in seinem Tun von den Menschen belästigt, die ihm nichts bedeuteten. Über die Jahrtausende verloren immer wieder Menschen aufgrund seines unüberlegten Handelns ihr Leben, was auch Kawanata eines Tages nicht mehr dulden wollte, also schlossen sich die Götter der Erde, des Feuers und nun auch des Wassers gegen den Gott des Windes zusammen. Sie zwangen seinen Geist in einen fleischlichen Körper, den sie auf die Erde entsandten und sie versiegelten seine Macht bis zu dem Tage, an dem auch er die Menschen liebte. Viele Jahrhunderte vergingen, in denen er ziellos und verzweifelt über sein Schicksal durch die Lande streifte, bis er eines Tages einen Menschen kennen lernte, der alles veränderte. Er begegnete einer menschlichen Frau die anders war als alle anderen. Er blieb bei ihr und fand einen Weg Nachwuchs mit ihr zu zeugen, was ihm eigentlich unmöglich sein sollte. Das erzürnte die anderen drei Götter, die es danach verlangte diese Anomalie zu zerstören. Fuathel, den bis zu diesem Zeitpunkt nur seine eigene Existenz am Herzen lag, bot sich selbst, sein göttliches Leben an im Austausch gegen das des Kindes. Die anderen Götter sahen ein, dass sie in Wahrheit Erfolg hatten, denn der wahrhaftige Windgott liebte etwas auf der irdischen Welt mehr als sich selbst. Gütig ließen sie es am Leben und gaben Fuathel seine Macht zurück. Torani-Colian, der unsterbliche Sohn des Fuathel, wuchs zu einem außergewöhnlichen Mann auf. Er begann die über ganz Altera verstreuten Stämme zusammenzuschließen und gründete als Erster König das Weltreich Kalaß. Er, ein Halbgott, war der erste Mana-i der Geschichte und, Prinzessin Siva, er ist unser gemeinsamer Urahn.“
 

Das alles klingt viel zu unglaublich, als dass es wahr sein könnte, doch er erzählt es wie eine Tatsache. Siva weiß nicht wie sie darauf reagieren soll. Sie hatte so viele Fragen und nun fällt ihr keine mehr ein, Aiven allerdings schon. Er vertritt den Glauben, die Götter hätten Altera inzwischen verlassen und interessiert sich deshalb sehr dafür.

„Ramon, genau dies habe ich so und so ähnlich schon einmal gelesen, denn das ist es, was im Kern in der ‚Antatia Mande‘ geschrieben steht. Nehmt Ihr diese Mythologie etwa für bare Münze?“

„Ja und nein, lieber Prinz. Es gab zu meinen Zeiten schon viele Versionen der ‚Antatia Mande‘. Einige trafen die Wahrheit recht genau, andere wichen stark davon ab. Ich beziehe meine Informationen von der Quelle.“

In Aivens Ohren klingen Ramons Ausführungen immer abenteuerlicher. Wieder runzelt er die Stirn.

„Von der Quelle? Was soll das bedeuten? Wovon sprecht Ihr?“

Der wiedererweckte der König lächelt verständnisvoll.

„Von den Göttern selbst natürlich. Nachdem was ich alles getan habe, wollen sie sich mir allerdings nicht mehr offenbaren. Ein leidiges Thema, das ich gern hinter mir lassen möchte.“

Siva glaubt den Erklärungen aufs Wort, denn sie will gern daran glauben etwas göttliches sei in ihr. Im Moment ist sie zufrieden damit und hat keine weiteren Fragen.
 

Ramon gefällt ihr. Er weiß so unglaublich viel und macht den Eindruck sein Wissen gern mit ihr zu teilen. Sie sieht zu ihm auf, wie zu einem Mentor.

Der junge Prinz, der eigentlich nicht das Gefühl hat, bisher überhaupt irgendetwas Neues erfahren zu haben, bleibt skeptisch. Die Frage aller Fragen, wieso Ramon sein unnatürlich beendetes Leben ebenso unnatürlich Jahrhunderte später weiterführen möchte, ist er im Moment einfach nicht fähig aussprechen. Wenn sie ihm auch noch so sehr auf der Zunge brennt. Vielleicht kann er sie auch deshalb nicht aussprechen, weil er Angst vor der Antwort hat. Wirklich besorgniserregend findet er Sivas unreflektiertes Verhalten.
 

Der Abstieg geht schneller vonstatten, als der Aufstieg des Berges. Bereits zu einer frühen Nachmittagsstunde erreichen sie das Zwischenlager, in dem sie bis zum Morgen des nächsten Tages rasten werden. Nach wie vor stehen hier drei Zelte, die sie auf dem Hinweg hier aufgebaut haben und ihre Fremdenführerin Elise hat den Esel für sie da gelassen.

Zarihm hat bereits begonnen Holz für das abendliche Lagerfeuer zu holen, als die anderen drei eintreffen. Wie von ihrer Fremdenführerin angeraten, teilen sie Nachtwachen ein. Die Erste wird Aiven übernehmen, die Zweite Siva und die Dritte Zarihm, der deshalb auch schon eher schlafen geht, als die anderen.

Die Adeligen sitzen zusammen auf einem vor dem vorbereiteten Lagerfeuer liegenden Baumstamm. Die drei sprechen noch etwas über die aktuelle Situation in den Königreichen, bevor später nur noch Aiven allein am Feuer sitzt. Seine kompletten drei Stunden Schicht grübelt er über die jetzige Situation nach, die ihm so gar nicht gefällt, dann weckt er seine Prinzessin. In der mondlosen Nacht strahlen die Sterne hell am Firmament. Ohne zu Murren steht sie auf und tritt ihre Schicht an. Er ist der Meinung, dass sie viel unbeschwerter wirkt als sonst und setzt sich noch etwas zu ihr ans Feuer.

Besorgt sagt er:

„Du hattest bedenken bei dem Dieb, aber ich glaube er ist nichts im Vergleich zum gefallenen König. Was glaubst du will er? Ich mache mir Gedanken, dass er seinen Thron zurück fordern könnte.“

Siva kann dem verunsicherten jungen Mann überhaupt nicht folgen.

„Was denn für einen Thron, Aiven? Den Thron, den der innehatte, gibt es doch gar nicht mehr und daran ist er selbst schuld. Das weiß er genau. Es gibt nichts, das er fordern könnte.“

Sie legt ihren Kopf an seine Schulter.

„Es macht mich so glücklich endlich etwas über mich erfahren zu können. Das habe ich alles nur dir zu verdanken, Aiven. Ich bin so froh, dass du bei mir bist. Aber geh jetzt schlafen. Du musst doch müde sein und mach dir nicht zu viele Sorgen. Das passt gar nicht zu dir.“

Aiven ist etwas beruhigt. So sanft und ausgeglichen hat er sie selten erlebt.

Sie gibt ihm einen Gutenachtkuss auf den Mund, bei dem sie für einen Sekundenbruchteil nicht ihren Prinzen, sondern Ramon vor sich sieht und zuckt zurück. Aiven hält es für einen Scherz.

„Was ist los, Herzchen? Bist du geschockt, weil du so lieb zu mir warst?“

Sie hält inne.

War das ihr eigener Gedanke? Dabei ist sie sich bei Aiven doch eigentlich recht sicher gewesen. Es ist ihr zu unangenehm, um es auszusprechen. Verwirrt antwortet sie:

„Nein, ich...ich weiß es nicht so genau.“

Er grinst selbstsicher:

„Ah, jetzt verstehe ich. Du bist ganz rot geworden. Das sehe ich trotz des schwachen Lichts. Du brauchst dich nicht dagegen zu wehren, du kleines Teufelchen.“

Er legt seine Arme um ihre Hüfte, was ihr tatsächlich zusagt. Er beugt sich zu ihr, um sie erneut zu küssen. Aus Angst es könnte noch einmal passieren, weicht sie zart zurück, doch als sich diesmal ihre Lippen sanft berühren, ist alles so wunderbar wie es sein sollte, was in Sivas Herz für Erleichterung und erneut für Klarheit sorgt. Lächelnd sinkt sie an seine Brust gelehnt zusammen, so wohl fühlt sie sich.

So aneinander gelehnt sitzen sie noch etwas da, doch es ist tiefste Nacht und Aiven benötigt dringend etwas Schlaf, weshalb er sich dann doch gähnend verabschiedet.
 

Kaum ist er eingeschlafen, gesellt sich Ramon zur müden Prinzessin, die Mühe hat aufrecht zu sitzen. Die mittlere Schicht ist mit Abstand die schlechteste, denkst sie. Wieso hat sie sich nur dafür gemeldet? Der gefallene König setzt sich nah neben sie. Dabei vernimmt sie ein leises klimpern seines Geschmeides. Mit seiner tiefen, ruhigen, vertrauenerweckenden Stimme fragt er die junge Frau:

„Möchtet Ihr Euch an mich lehnen, Prinzessin?“

Wirklich müde, aber auch entspannt antwortet sie:

„So erschöpft bin ich dann doch nicht, Ramon.“

Sie schaut unsicher zu ihm, als sie bemerkt wie spitz ihre Antwort gerade eigentlich gewesen ist. Kaum ist sie müde kommt ihr wahrer Charakter zum Vorschein. Das Gespräch eben mit Aiven hat sie auch wieder etwas auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und ihr gezeigt was wirklich wichtig im Leben ist. Sie verehrt Ramon, aber das geht nicht so weit, sich ihm unterzuordnen. Damit muss er lernen klarzukommen. Sie ist schließlich immer noch die Anführerin dieser Mission. Entschlossen sieht ihn nun an. Ramon lächelt, als habe er es nicht gehört. Er richtet eine ihrer Haarsträhnen, was ihr merkwürdig vertraut vorkommt, dabei fragt er sanft:

„Habt Ihr keine Angst vor mir?“

Sie kichert fröhlich:

„Warum sollte ich? Ihr gehört doch schließlich zur Familie.“

Er sieht hinauf in den Nachthimmel.

„Ich verstehe. Das ist sehr schön, denn der Prinz hat Vorbehalte gegen mich und Euer Diener meidet mich gänzlich. Für sie bin ich vermutlich eine Abscheulichkeit. Es ehrt mich sehr zu hören, dass Ihr mich als Euriger in der Familie akzeptiert.“

Er sieht sie wieder an. Sein Blick ist weich, fast zerbrechlich.

„Ihr liebt diesen jungen Prinzen, nicht wahr?“

Siva bekommt keinen Ton heraus. Liebe ist so ein großes Wort, mit dem sie eigentlich nicht jonglieren will. Es wird still und nur der milde Wind ist noch zu hören, wenn er Ramons goldenes Geschmeide zum erklingen bringt. Sie schluckt, denn sie ist ihm eine Antwort schuldig und ringt sich durch es in abgemilderter Form zu bestätigen:

„Wir sind noch nicht lange zusammen, aber ich mag Aiven wirklich sehr.“

Wieder lächelt er, doch dieses Mal wirkt es etwas gezwungen, fast etwas traurig. Zwar klingt es nicht final, doch trotzdem überzeugt.

„Dann bin ich wohl etwas zu spät erweckt worden, Prinzessin, denn Euer wertes Herz ist schon vergeben. Diese neue Welt begrüßt mich mit bittersüßem Schmerz.“

Siva fällt es schwer ihn ernst zu nehmen. Sie nimmt ihre Hand vor den Mund, um zu verbergen, dass seine Worte sie zum Schmunzeln bringen.

„Verzeiht, ich habe mir Euch etwas anders vorgestellt. Ihr hört Euch an wie eine antike Liebesballade.“

nuschelt sie, was der schöne Mann ganz gefasst aufnimmt.

„Prinzessin, es ist mir ernst. Vom ersten Moment an sah ich in Euch meine Braut. Selbst unter den Mana-i seid ihr eine wahre Schönheit. Der Sternenhimmel verblasst hinter Euch.“

Das war‘s. Die junge Frau kann nicht mehr an sich halten. Sie muss lachen und kann es nicht verbergen. Da sie schlaftrunken ist, hat sie ihr ungestümes Wesen nicht unter Kontrolle. Sie gibt sich alle Mühe, dabei leise zu sein, denn sie möchte die beiden Jungs nicht wecken. Es dauert ein bisschen, bis sie sprechen kann. Der gefallene König lässt sich nicht vorführen. Er wartet aufrecht sitzend geduldig ab, bis sich die junge Frau wieder beruhigt hat.

„Was soll das, Ramon? Solche Reden zu schwingen ist antiquiert. Heutzutage steht kein Mädchen mehr auf sowas.“

Er nimmt ihre Kritik an, als sei sie konstruktiv und objektiv gewesen.

„Es tut mir leid, dass mir die heutigen Gepflogenheiten nicht bekannt sind. Auf welche Art soll ich der Frau meines Herzens in diesen Zeiten mitteilen, dass ich ihr verfallen bin?“

Sie rückt ein Stück von ihm weg.

„Das reicht mir jetzt. Ihr werdet langsam etwas zudringlich, Majestät.“

Er rückt ihr dieses Stück hinterher.

„Möchtet Ihr nicht viel lieber meine reinblütigen Kinder gebären, als die seinen?“

Das ging ihr nun deutlich zu weit. Sie wird unsicher worauf dieses Gespräch hinaus laufen soll. Sich gegen Avancen zu wehren, ist sie gewohnt, aber so offensiv war selbst Aiven nicht, von dem sie immer dachte, dass er überhaupt kein Schamgefühl zu haben scheint.

Ramon legt seine Hand auf ihr Knie. Aus irgend einem Grund ist sie nicht fähig sich zu bewegen. Er kommt ein weiteres Stück näher, um sie zu küssen. Ihr gehen plötzlich erotische Bilder durch den Kopf. Dinge, die zwischen ihr und ihm geschehen könnten. Angewidert löst sie sich aus seinem Bann und stößt ihn kraftvoll weg, was ihn sehr überrascht. Er entschuldigt sich.

„Verzeiht, Prinzessin. Ich habe mich zu etwas hinreißen lassen. Ich bitte Euch, nicht über mich zu urteilen, denn ich bin auch nur ein Mann und Ihr seid ungelogen die schönste Frau, die ich in meinem langen Leben jemals zu Gesicht bekommen habe. Ich habe es jetzt verstanden und werde mich fürs Erste zurück ziehen. Ich wünsche Euch eine angenehme Nacht.“

Endlich geht er wieder zurück in sein Zelt. Siva atmet erleichtert tief durch. Ob dieser Casanova mit allen Frauen so umgeht? Es ist schon dreist so etwas zu versuchen, kurz nachdem sie ihm gestanden hat, dass sie einen anderen Mann mag. Sie rechnet die Anzahl der Nächte durch, die sie noch gemeinsam mit ihm verbringen muss. Auf einmal kommt ihr der Rückweg unglaublich lang vor. Sie hofft inständig, dass so etwas nicht gleich wieder passiert.
 

Der gefallene König Ramon hat hier eine derbe Niederlage einstecken müssen, die er erst einmal verkraften muss. An seinem Ego ändert das nichts, denn das schwebt in unerreichbaren Höhen. Er zweifelt eher daran, dass deine Fähigkeiten bereits vollständig wiederhergestellt worden sind. Anscheinend braucht er wirklich noch eine Weile, denn eine Mana-i ihrer geringen Reinheit zu verführen, sollte ein Leichtes für ihn sein, egal wie verfallen sie auch einem anderen sein mag. Es fällt ihm unerwartet schwer den wahren Reinheitsgrad ihres Blutes zu bestimmen, denn dies funktioniert üblicherweise über den Vergleich der mentalen Fähigkeiten. Da sie ihre niemals eingesetzt zu haben scheint, hat er keine Möglichkeit sich mit ihr zu messen. Natürlich wird er nicht aufgeben, denn nur sie kann ihm in seiner Lage noch helfen. Dem wiedererweckten König bleibt keine Wahl. Er wird die letze der Mana-i für sich gewinnen oder untergehen.



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