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Das Blut der Mana-i

Der König von Kalaß
von

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Kräftemessen

König Nico führt den gefallenen König Ramon über den Nalitischen Hof. Obwohl die beiden Monarchen hoch angespannt sind, erscheint der Rundgang für Außenstehende wie der nette Empfang eines Familienmitgliedes. Nico zeigt ihm den Garten und den Übungsplatz, die beide keinerlei Bedeutung zu haben scheinen. Für den lebenserfahrenen Gefallenen liegt es auf der Hand, dass es sich dabei um eine Farce handelt, weshalb er nach einiger Zeit einschreitet:

„König Nico, ich möchte dir für deine Führung danken, doch ich möchte auf die fehlende Notwendigkeit hinweisen. Ich selbst ließ dieses Schloss erbauen und lebte viele Jahrhunderte darin.“

Als ob es dem amtierenden König darum gegangen wäre, seinem Herausforderer den Hof zu zeigen. Er suchte nur nach einem möglichst menschenleeren Ort. Er weiß, dass das Kräftemessen noch nicht beendet ist und jetzt, wo die Frauen außer Hör- und Sichtweite sind, kann er frei sprechen. Geschützt vor aller Blicke, neben dem Übungsplatz, direkt zwischen einem kleinen Grashügel und der Außenmauer des Schlossgeländes, bleibt Nico stehen und beginnt ein forderndes Gespräch:

„Es gibt da noch einiges, das ich mit dir besprechen muss, bevor ich dich tatsächlich an meinem königlichen Hof und in meiner Familie willkommen heißen kann.“

Mit einer unheilvollen Aura zwingt der König seinen Gast ein wenig zurückzuweichen.

„Du hast meine Tochter verführt dich wieder zu erwecken. Dafür übernehme ich die Verantwortung. Du hast keinerlei Anspruch auf sie. Alle Forderungen, die du an deine Wiedererweckerin stellen magst, übernehme ich.“

Er geht noch weiter auf ihn zu, bis dieser langsam an die Außenmauer gedrängt wird.

„Und auch meine Frau Kara steht dir nicht zur Verfügung. Wenn du aus deiner Initiative heraus auch nur ein Wort an sie richtest, werfe ich dich aus dem Schloss. Zudem verbiete ich es dir dein Wissen mit den beiden zu teilen.“

Ramon gibt sich alle Mühe aufrecht stehen zu bleiben, um seine Würde zu bewahren, auch wenn das vor der schieren Macht des Königs ein sinnloses Unterfangen darzustellen scheint. Aber sich zu unterwerfen kommt für ihn nicht in Frage. Statt seinen Kopf zu senken, hebt er ihn lächelnd.

„Wie gierig von dir beide Frauen für dich zu beanspruchen.--“

Eigentlich wollte Ramon noch etwas ausführen und einlenken, doch sein Gegenspieler drückt ihn bereits, mit dessen Unterarm an seiner Brust, an die Mauer hinter ihm. Humorlos richtet Nico das Wort an den untoten früheren König:

„ICH bin der König von Roshea und ich mache mit meinen Frauen was ich für richtig halte. Ich verwarne dich jetzt noch ein letztes Mal. Wenn du es auf meine Krone abgesehen hast oder du einem Mitglied meiner Familie auch nur ein Haar krümmst, dann mache ich meine anfängliche Drohung war und schicke dich eigenhändig wieder unter die Erde zurück.“

Er denkt gar nicht daran den Griff zu lockern und presst seinen aufmüpfigen Gast weiterhin so sehr an die Steinmauer, dass sie sich ein wenig nach außen verformt. Ramon hat Mühe zu sprechen, doch seine Stimme klingt hart und selbstbewusst.

„Du bist ein selbstgerechter Tyrann, der seiner Tochter das Leben verkürzt, nur damit ich sie nicht haben kann.“

Nico lockert den Druck auf seinen Arm unwillkürlich. Diesmal hat Ramon anscheinend eine wunden Punkt getroffen, was ihm süffisant lächeln lässt. Nico ist tatsächlich angeschlagen. Er fragt sich schon lange, ob es richtig ist ihr Leben zu lenken? Macht ihn das zum Tyrann? Ramon ist der erste, der es bemerkt, denn es stimmt, die Prinzessin ist nur deshalb mit dem Prinzen von Yoken zusammen, weil er als König es so wollte. Eine politische Hochzeit zwischen den benachbarten Königshäusern, wäre brillanter Schachzug, aber ohne Liebe will er keine Ehe zwischen den beiden erzwingen. Seit ihrer Geburt zieht er die Fäden in Sivas Leben und macht sie somit zu seiner Marionette. Hat er, als ihr Vater, überhaupt das Recht dazu und was will Ramon mit “verkürztem Leben“ andeuten? Weiß er etwas, das Nico bisher entgangen ist? Sein Geist strauchelt und schließlich lässt er von seinem Gegner ab.

Das nutzt der erfahrene, frühere König aus. Er redet überheblich weiter auf seinen Nachfahren ein:

„Weißt du denn nicht, dass ein Mana-i immer einen Partner aus seinem eigenen Volk benötigt, um seine Kräfte zu entfalten, die ihm auch dieses lange Leben ermöglichen? Du hast es dir leicht gemacht und dir Kara, die letzte weibliche Mana-i, zur Frau genommen, doch was ist mit Siva? Welchen Partner soll sie wählen, wenn du sie nicht wie eine normale Frau sterben sehen willst? Dich vielleicht? Der Prinz wird ihr jedenfalls nichts nützen.“

So langsam findet König Nico wieder zu sich zurück. Kara soll eine Mana-i sein? Sein Blick festigt sich wieder und er antwortet:

„Du irrst dich, gestürzter König von Kalaß. Kara war keine Mana-i, als ich sie kennen lernte. Ich selbst habe sie aus purem Egoismus zu einer gemacht, weil es mich nach jemandem verlangte, der mich ohne Worte verstand. Sollte Siva nicht fähig sein Aiven zu einem Mana-i zu machen, dann werde ich das höchstpersönlich übernehmen.“

Das bringt Ramon dazu abschätzig aufzulachen. Im Moment ist König Nico so unsicher, dass sich sein Vorfahr fast bis zu ihm aufschwingen kann. Er wartet nur auf einen schwachen Moment, um diesen Unmenschen in Gestalt eines Heilsbringers ein für alle Mal zu beseitigen.

„Es ist gar nicht möglich, jemanden ohne latent vorhandenem Mana-i Blut zu einem solchen zu machen. Du überschätzt deine Macht, junger König. Wieso wäre es zu meinen Zeiten sonst üblich gewesen innerhalb der Familie zu heiraten? Bei uns Mana-i gibt es nur ein Gesetz: Je dünner das Blut, desto weniger Fähigkeiten hat er und desto kürzer ist sein Leben. Wenn du mir deine Tochter nicht geben möchtest, dann wirst du sie selbst zur Frau nehmen müssen oder du verdammst sie zur Sterblichkeit. Tu nicht so, als ob es dir noch nie nach ihr gelüstet hätte. Sie ist viel reiner als deine eigene Gattin und einem gierigen und selbstgerechten Mann wie dir, verlangt es immer nach noch mehr Macht.“

Anstatt noch weiter zu straucheln, erfüllt Nico diese Ansprache mit Wut, was seine mentale Stärke wieder ansteigen lässt. Er packt den nun völlig überraschten Ramon am Kragen, hebt ihn ohne Mühe an und wirft ihn hart auf den Schotterweg, der dabei eine Menge Sand aufgewirbelt, der ihm die Sicht auf seinen Gegner nimmt. Er brüllt im Anschluss:

„Was fällt dir ein so mit deinem König zu sprechen? Hör auf von dir auf andere zu schließen und verschone mich mit deinen Mana-i Gesetzmäßigkeiten!“

Ramon ist hart, aber auf seinen Füßen gelandet und klopft sich den Sand aus seiner Kleidung. In seinem Zustand hat er nicht die geringste Chance gegen Nico, aber er hat herausgefunden auf welche Weise er sich schwächen lässt. Er muss Dinge in Erfahrung bringen, die zum Selbstverständnis des Königs gehören, sich aber gegen ihn verwenden lassen. Besonders alles, wovon er nicht viel weiß, scheint ihn ins Straucheln zu bringen. Ramon hätte zu gern Zugang zu den vier Siegeln. Diese haben zwar nur einen kleinen Einfluss auf die mentalen Kontrollfähigkeiten eines Mana-i, aber das macht nichts, denn er liegt nur ein kleines Stück hinter ihm zurück. Vor allem seine schlechte körperliche Verfassung setzt ihm zu und diesen Makel gleichen die Steine aus. Sie erhöhen die physischen Kräfte, die Wahrnehmung, das Urteilsvermögen, und die Geschwindigkeit des Trägers ganz enorm. Wenn er es geschafft hat Nicos Geist zu schwächen, wird es ihm möglich sein, ihn mit Hilfe der Götterjuwelen zu besiegen. Der frühere König versteht jedoch immer noch nicht woher sein Nachfahre diese ungeheure Macht bezieht. Er hält es für möglich, dass sich Nico, wie er selbst einst, mit den Göttern verbündet hat. Auf den Boden hockend senkt Ramon demütig seinen Kopf.

„Das war unangebracht von mir. Entschuldige bitte, Majestät, ich wollte nicht aufdringlich sein und dir meine Weisheiten aufzwingen. Ich mache mir einfach nur Sorgen um die herzensgute Prinzessin, der ich mein Leben verdanke.“

Nico streckt, nun wieder freundlich lächelnd, seinem einsichtigen Verwandten seine Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen.

„Herzensgut? Bist du sicher, dass wir von derselben Person sprechen?“

Ramon lässt sich hoch helfen und antwortet ebenfalls lächelnd:

„Sie kann ein wenig ungestüm wirken, doch am Ende bleibt sie immer eine Frau.“

„Wenn du dich da mal nicht irrst.“

entgegnet Nico weich und fügt hinzu:

„Ich hoffe wir haben die anfänglichen Differenzen zwischen uns jetzt aus der Welt geschafft. Ich möchte Siva ungern wehtun, weshalb ich mir wirklich Mühe mit dir gebe.“

Die zwei setzen ihren Rundgang weiter fort als sei nichts gewesen und die Mittagssonne drückt immer erbarmungsloser, was die beiden Männer gar nicht zu interessieren scheint. Sie schweigen zunächst für eine Weile bis Nico erneut das Wort erhebt:

„Gibt es noch etwas, das dir auf der Seele brennt?“

„Nun, durchaus, das gibt es, mein König. Gestatte mir bitte zunächst die Frage mit wem ich denn nun mein fundamentales Wissen teilen darf, wenn deine beiden Frauen für mich tabu sind und du es auch nicht hören willst? Da ist so vieles, von dem ihr alle nichts wisst.“

fragt Ramon berechnend, was Nico zu entkräften glaubt.

„Mit gutem Grund, denn mein Wunsch ist es nicht die Unterschiede zwischen normalen Menschen und dem Geschlecht der Mana-i herauszustellen, sondern unsere Gemeinsamkeiten zu betonen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass Siva einen normalen Mann zu ihrem Gatten erwählt. Wir sollten uns nicht über unser Volk erheben.“

Der ehemalige König von Kalaß achtet genau auf jedes Wort seines Nachfahren, denn er versucht seinen mysteriösen Charakter zu erkunden. Er erkennt so vieles in ihm, was nicht zueinander zu passen scheint.

„Einen normalen Mann, sagst du? Er ist der Kronprinz des Königreichs Yoken. Verfolgst du damit nicht in Wahrheit die Strategie einer friedlichen Expansionspolitik? Je mehr du von dir erzählst, desto widersprüchlicher werden deine Aussagen, König von Roshea. In aller Demut, lass dir von einem alten und weisen Mann etwas sagen: finde dich erst einmal selbst, bevor du ein Land regierst. Ich selbst habe den Thron erst mit achtundneunzig Jahren bestiegen und ich verfolgte seinerzeit ebenfalls eine Expansionstaktik, doch nie habe sie hinter dem Schleier guter Absichten versteckt. Ich wollte Kalaß zu seiner einstigen Größe zurück verhelfen. Ich wollte Kalaß zu dem Weltreich machen, als das es vom ersten König vor fünftausend Jahren gegründet wurde und ich glaube, genau das willst du auch, nur eben mit anderen Mitteln. Ich verstehe warum du versuchst es vor deiner Frau und deiner Tochter zu verbergen, doch vor mir brauchst du dich nicht zu verstellen. In mir findest du einen Verbündeten. Du bist von meinem Schlag, das merke ich dir an. Wir verfolgen dasselbe Ziel, nur mit verschiedenen Strategien.“

Schon wieder wird Nico etwas unterstellt, das einfach nicht wahr ist... oder doch? Auf gewisse Weise stimmt es, denn er hatte tatsächlich daran gedacht Yoken irgendwann einmal zu Assimilieren. Kara und er wären das unsterbliche Königspaar von Roshea, Siva und Aiven das von Yoken und irgendwann fast völlig unmerklich, vielleicht in zwei-, dreihundert Jahren, wäre alles eins. Das war seine Langzeitvision für die er jetzt schon alle Fäden gezogen hat. Er streicht sich nervös durchs Haar, denn er hasst es, solche Dinge vor Augen geführt zu bekommen und schüttelt es ab, um seinen Geist nicht noch weiter zu schwächen.

„Was ist überhaupt mit den anderen Mana-i passiert?“

fragt er ausweichend.

Ramon sind Nicos Zweifel nicht entgangen. An dieser Stelle kann er ansetzen, wenn es soweit ist. Diese Frage verwundert ihn im Moment allerdings etwas.

„Sag du es mir! Es gab etwa Einhundert von ihnen, als ich starb. Bist du dir absolut sicher, dass es in Tarbas, heute heißt es wohl Kalaß, keine weiteren von ihnen gibt? Sie alle sind damals in die Festungsstadt geflohen.“

„Daran gibt es keinen Zweifel.“

erläutert der König und führt weiter aus:

„Ich erzähle dir was ich weiß. Ich habe eine sehr bewegte Geschichte. Ich war einmal ein einfacher Offizier beim Rosheanischen Militär, welches damals die Stadt Kalaß besetzte. Als Kommandeur und Verantwortlicher für die Kontrolle der Bürger, sah ich mir jeden einzelnen von ihnen an. Ich überprüfte, ob es wirklich keinen anderen wie mich gab und blieb erfolglos. Ich weiß nicht, ob sie die Stadt verlassen haben, sie sich entschlossen, sich nicht weiter zu vermehren oder ob sie vielleicht sogar gezielt ausgerottet wurden. Ich kann nur sagen, dass es keine mehr gibt. Wie vielen Menschen bin ich in meinem Leben schon begegnet? Glaubst du nicht, einer meines Geschlechts würde sich vor seinem Mana-i König zu erkennen geben?“

„Dann bleibt es wohl ein Mysterium.“

schließt Ramon, den Kopf dabei bedrückt senkend. Sein ganzes Gefolge soll fort sein und es soll keine Aufzeichnungen darüber geben? Das glaubt er nicht. Er fasst den Entschluss zu überprüfen wohin seine Leute verschwunden sind. Noch ist er zuversichtlich. Wieder lächelnd spricht weiter:

„Dein Aufstieg vom Nalitischen Militär zum Monarchen klingt hochinteressant, doch auch höchst unplausibel. Für jeden anderen wäre das wohl unmöglich gewesen, aber nicht für einen so außergewöhnlichen Mana-i wie dich, oder nicht? Siva hat versucht es mir in knappen Sätzen zu erklären. Ich hörte du wärst Stadthalter von Kalaß geworden, hättest die damalige Königin von Roshea verführt und manipuliert ihren eigenen Gatten ermorden zu lassen. Dann nahmst du seinen Platz ein und tötetest auch sie, bevor du die letzte deines Geschlechts zu deiner Frau nahmst. Doch nicht nur das. Das annektierte Kalaß schloss sich daraufhin freiwillig kampflos dem Königreich Roshea an. Diese Geschichte hat mich tief bewegt. Du bist wahrlich ein großer König und das Land Roshea gehört zweifellos dir. Selbstverständlich werde ich es dir nicht streitig machen. Diese Anerkennung wollte ich dir gern persönlich übermitteln.“

Nico hat während der Erzählung nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Kaum etwas davon entsprach noch der Wahrheit, aber das kümmert ihn nicht. Fehlerhafte Geschichten sind unzählige über ihn im Umlauf. Er ist bereits jetzt eine lebende Legende. Ramon wird es ohnehin als weiteren Beweis dafür ansehen, dass Nico diese ganzen Geschehen gesteuert hat, deshalb macht er sich nicht die Mühe es aufzuklären. Er weiß ganz genau, dass sich der frühere König dieses Königreich unter den Nagel reißen würde, wenn er könnte und damit hat er natürlich recht.
 

Nach Ramons Nacherzählung folgt eine kurze, aber endlos erscheinende Zeit des Schweigens. Normalerweise hätte jetzt eine Rückfrage des neuen Königs über das Leben des Alten erfolgen müssen, so wie es der Anstand gebietet. Es nicht zu tun, beweist wie sehr sich Nico über seinen Gast erhebt. Seine Geschichte interessiert ihn kein bisschen, so sehr sie noch mit seiner verwoben zu sein scheint. Das ist nur eine weitere Demütigung, die Ramon auf seinem Weg zurück ins Leben, hinnehmen muss. Dem Diplomaten Nico ist dieser Zusammenhang vollkommen bewusst. Auf diese Weise versucht er dem gefallenen König noch einmal mitzuteilen, wie wenig seine Anwesenheit erwünscht ist. Ramon hat keine Probleme mit derlei Sticheleien umzugehen. Seiner Meinung nach wird der junge König noch früh genug merken was es bedeutet sich ihn zum Feind zu machen.
 

Die beiden trennen sich und Ramon erhält ein Zimmer, welches möglichst weit weg von den Privatgemächern der Königsfamilie liegt, was er erneut beleidigend findet. Allerdings hatte er nach dem Gespräch vorhin auch nichts anderes erwartet und er kann rein gar nichts dagegen tun.
 

Da Aiven nun auch in Sivas Zimmer schlafen darf, erhält er offiziell Zugang zum Westflügel. Das macht ihn formlos bereits zu einem akzeptieren Mitglied der Familie.

Es ist nicht notwendig ein größeres Bett für die beiden zu besorgen, denn das der Prinzessin ist ohnehin riesig und die beiden benötigen gar nicht viel Platz, so eng liegen sie meist beieinander. Sie toben gerade im Zimmer herum, in dem Aiven, schon aus Prinzip, alles Mögliche umräumen möchte. Es ist ja nun schließlich auch sein Zimmer. Immer wenn er etwas verschiebt, macht Siva es wieder rückgängig. Ein lautes Gekicher und Geschepper ist aus ihrem Zimmer zu hören. Nico, der inzwischen von seinem Spaziergang mit Ramon wiedergekehrt ist, ärgert es ein wenig die beiden bei ihrem Liebesspiel unterbrechen zu müssen, aber es ist nun mal notwendig, dass er sich mit seiner Tochter so schnell wie möglich ausspricht. Besonders nach dem nicht allzu gut verlaufenem Gespräch mit Ramon, muss er seine Tochter auf seiner Seite wissen.

Er klopft an der Tür, was bei dem Lärm wohl anscheinend nicht bemerkt worden ist, deshalb öffnet er sie einen Spalt und schmult hinein. Das hätte er wohl nicht tun sollen, denn sofort kommt auf ihn ein Kissen zugeflogen, geworfen von seiner halbnackten Tochter. Aiven scheint auch nur noch mit einer Hose bekleidet zu sein. Der wenig überraschte Vater schließt die Tür sofort wieder. Von drinnen hört er einen wütenden Ruf seiner Tochter:

„Nicooo! Kannst du nicht anklopfen?“

Lachend beantwortet er es ebenfalls rufend:

„Das hab ich, ihr habt es nur nicht gehört.“

Erneut ist ein lautes Poltern zu hören. Nico muss lächeln. Die zwei Kinder erinnern ihn an sich und Kara. Nach wie vor neckt er seine Frau gerne noch auf ähnliche Weise.

Es dauert einen Moment, bis sie ihm die Tür öffnen. Im Zimmer sieht es chaotisch aus. Einige Sachen sind auf dem Boden verstreut und manche Schränke stehen nicht mehr richtig an der Wand.

Wieder ordentlich bekleidet, stehen die beiden Königskinder vor dem König, der sich das Gesicht seiner Tochter ganz genau anschaut. Keine Spur von Röte ist darauf zu sehen. Was sich hier auch immer genau abgespielt haben mag, Kara wäre dabei rot geworden. Siva ist wohl wirklich aus einem andern Holz geschnitzt als ihre Mutter. Sie scheint eher nach ihm zu kommen, was ihn Stolz macht.

Das Mädchen reagiert auf seine fixierenden Blicke:

„Starr mich bitte nicht so an, Nico und hör auf dabei auch noch so merkwürdig zu grinsen!“

Dieser antwortet nicht darauf, sondern wirft Aiven ein anerkennendes Lächeln zu. Er kommt ein Stück zur Tür hinein und bittet seine Tochter mit ihm auf den Übungsplatz zu gehen. Als Reaktion zuckt sie mit den Schultern.

„Ja, warum nicht?“

Aiven hat verstanden, dass es sich dabei um eine Vater-Tochter Sache handelt und hält sich zurück. Ein weiteres Mal zieht sich die junge Frau um. Nach der langen Reise, auf der sie Hosen trug, hatte sie sich eben endlich einmal wieder ein Kleid angezogen, doch der Übungsplatz verlangt erneut nach funktioneller Kleidung. Da sie beides gern mag, findet sie es fast ein wenig schade das hübsche Kleid wieder abzulegen.

Die beiden treffen sich eine halbe Stunde später wie abgemacht draußen auf dem Innenhof.
 

Der Himmel hat sich inzwischen zugezogen. Es herrscht eine drückend schwüle Hitze, aber das behindert sie nicht weiter.

„Wollen wir zu Beginn ein paar Techniken durchgehen, die du zuletzt gelernt hast?“

fragt Nico, während er zwei stumpfe Übungsschwerter aus dem Waffenständer holt. „Nein,“

ruft sie entschlossen,

„ich will gegen dich antreten.“

Er wirft ihr eines der Schwerter zu, welches sie sicher am Schaft auffängt. Siegessicher lacht er: „Wie du meinst, Süße.“
 

Die junge Frau ist angespannt. Sie hat keine Idee wie sehr sie sich verbessert haben könnte. Gleich am Anfang des Duells wird ihr jedoch klar, dass sie nicht den Hauch einer Chance gegen ihren Vater hat. Sie versucht seinen Schwerthieben auszuweichen, ihn aus der Balance zu bringen, so wie Aiven es bei ihr getan hat, doch nichts zeigt eine Wirkung auf ihn. Er steht fest wie ein Fels, bewegt sich aber dennoch so schnell wie der Wind. Sie ist ihm nicht mal ansatzweise gefährlich geworden. Die Prinzessin dachte sie hätte viel dazugelernt und könnte ihm nun ihre Stärke beweisen, doch sie wird auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Er ist ein wahrer Schwertmeister, was sie erneut tief beeindruckt. Das entmutigt sie nicht, weiter an sich zu arbeiten, doch sie ist ein wenig enttäuscht von ihrer Leistung. Ihr Vater geht nach drei eindeutig überlegen gewonnenen Runden zur bedrückt wirkenden Siva und klopft ihr anerkennend auf den Rücken. Er lässt seine Hand darauf liegen und beginnt ihr sanft über den Zopf ihrer langen, glänzenden Haare zu streicheln.

„Das war super. Du warst unglaublich gut. Auf deiner Reise hast du viel dazugelernt. Der harte Tritt auf mein Bein hat mich total überrascht. Ich musste höllisch aufpassen nicht zu stürzen. Außerdem tut es immer noch weh. “

Dieses überschwängliche Lob lässt ihre Augen funkeln.

„Wirklich?“

„Du bist eine richtige Kriegerin geworden. In deinem Alter wusste ich kaum wie man ein Schwert richtig hält. Wenn du so weiter machst, wirst du vielleicht einmal zum stärksten Krieger auf ganz Altera. Die stärkste Kriegerin bist du vermutlich schon.“

antwortet er überschwänglich. Nico ist so stolz auf sein perfekt geratenes Kind. In ihr hat er Tochter und Sohn zugleich, was ihn darüber hinweg tröstet, keinen männlichen Erben zu haben. Er würde allerdings wohl auch keinen benötigen, denn er hat vor das Reich bis ans Ende aller Tage selbst zu regieren.

„Übst du jetzt ein paar Techniken mit mir?“

fügt er hinzu.

Sie nickt motiviert. Beide stellen sich nebeneinander auf und spielen einige Bewegungsabläufe immer wieder von vorn bis hinten durch. Nico muss seine Tochter nicht mehr dabei korrigieren. Ihre Bewegungen fließen, wie ein Tanz, in eleganter Perfektion ineinander über.

Während des Trainings befragt er sie nach der Reise. Das meiste erzählt sie ihm wahrheitsgetreu, sogar vieles über sie und Aiven, doch zwei Dinge lässt sie vollständig aus. Das sind Ramons Annäherungsversuche und Zarihms Verrat. Als sie erklärt wie Ramon die beiden aus der feindlichen Siedlung gerettet hat, wird es besonders interessant für den König. Siva beschäftigt die Rebellenbande nach wie vor. Wieso sollte man den besten König, den es geben kann, ablehnen und sogar bekämpfen? Sie möchte zudem gern wissen wer der ominöse Anführer der königsfeindlichen Rebellensiedlung war, der angeblich an Nicos Stelle fast den Thron bestiegen haben soll.

„Der Mann, der uns verschleppt hatte, stellte sich vor als Marco...Loran vor.“

Der König unterbricht die Übung. Nervös fährt er sich durchs Haar.

„Warte. Marco Loran, sagst du? Er lebt unerkannt in meinem Land, direkt vor meiner Nase?“

Auch Siva stoppt ihre Bewegungen.

„Naja, zumindest hat er das. Es war nicht mehr viel übrig von ihm, nachdem Ramon mit ihm fertig war.“

Den größten Teil der Geschichte hindurch war Nico ziemlich gefasst. Sogar die Wiederbelebung des gefallenen Königs hat kaum eine Regung in ihm hervorgerufen, aber die Neuigkeiten über diesen Anführer scheinen ihn etwas aus der Fassung zu bringen.

„Wer war er?“

fragt sie seine Unsicherheit bemerkend, was ihr Vater nur knapp beantwortet.

„Ein Geist aus meiner Vergangenheit.“

„Ein bisschen genauer bitte.“

reagiert sie leicht genervt.

„Immer mit der Ruhe. Ich erzähle es schon noch...

Er war mein taktischer Offizier bei der Besetzung von Kalaß und auch derjenige, der deiner Mutter nachgestiegen ist, Siva. Erinnerst du dich? Später war er wichtigster Handlanger der Königin.“

Sie reißt die Augen auf, als ihr alles klar wird.

„Natürlich erinnere ich mich an ihn. Na, das erklärt so einiges. Haha, jetzt verstehe ich was er für ein Problem mit mir hatte. Aber nanntest du ihn nicht anders? ‚Offizier Drosselbart‘!“

Es sollte zwar eine traurige Sache sein, über die sie da sprechen, aber das ist sie nicht. Siva erhebt sich noch immer über Marco Loran, denn sie ist der Überzeugung dieser schlechte Mensch hat auch nach seinem Tod nichts anderes verdient. Der König muss lachen, als Siva den Spitznamen aus ihrem Gedächtnis kramt, den er ihm abschätzig gegeben hat. Die ganzen Jahre wusste er nicht was mit seinem einstigen Feind, nach seiner Flucht aus dem Kalaßer Gefängnis, passiert ist. Endlich kann er dieses Kapitel für sich abschließen. Besonders Kara wird sich darüber freuen.

Nico wird gerade klar, dass Ramon damit etwas vollbracht hat, das er selbst niemals konnte: den verschlagenen Loran endlich seiner gerechten Strafe zuzuführen.

„Lorans Tochter hat Ramon an diesem Tag auch getötet,“

wirft die Prinzessin ein,

„und mindestens dreißig weitere Menschen im Dorf. Wie ein rächender Todesgott muss er sich durch sie hindurch gewütet haben, nur um mich zu retten. Mit Hilfe der vier Siegel setzt er ungeheure Kräfte frei...“

Es beginnt vom Himmel zu tröpfeln. Die Königstochter stellt ihres und ihres Vaters Übungsschwert in den Waffenständer zurück. Nico gibt ihre Ausführung zu denken. Sie erzählt vom Tod anderer Menschen, als sei es ihr gleichgültig. Bei dem Wort „Kriegsgott“ glaubte er sogar ein funkeln in ihren Augen gesehen zu haben, was ihn sehr besorgt.

Als sie die Waffen wegstellt, umarmt er sie von hinten.

„Mach dir keine Sorgen, Süße. Ramon kann uns nicht gefährlich werden. Auch mit den Siegeln nicht und er wird auch keine weiteren Menschen mehr töten.“

Siva dreht sich im lockeren Griff ihres Vaters zu ihm um. Er spürt wie sie sich in seine Arme sinken lässt.

„Ich weiß. Du wirst uns alle beschützen, deshalb habe ich auch keine Angst vor ihm. Niemand ist so stark wie du.“

Tröstend streichelt er ihr durchs Haar und spielt mit einer ihrer Haarsträhnen. Zum Glück stehen sie unter dem schützenden Dach des Waffenständers, als es richtig anfängt zu regnen.

„Das mag sein, Siva, aber genau deshalb möchte ich auch, dass du dich ab sofort von ihm fern hältst. Ich werde nicht immer da sein können. “

Die Prinzessin drückt sich von ihrem Vater weg, weshalb sie nun im Regen steht, was sie nicht zu stören scheint. Zu groß war der Schock dieser nebensächlich erscheinenden Äußerung für sie.

„Was? Du willst mir verbieten mich mit ihm zu unterhalten? Nur dafür habe ich ihn doch wiedererweckt. Er soll verlorenes Wissen über unser Adelsgeschlecht zurückbringen.“

Ihre Stimme wird immer lauter und verstimmter.

„Warum willst du verhindern, dass ich etwas über uns erfahre? Du kannst dich nicht ewig ausschweigen. Nein! Es reicht mir langsam, Nico. Ich will es endlich wissen, verstehst du das denn nicht?“

Siva macht wieder einen Schritt auf ihn zu, unter das kleine Dach. Sie packt ihn kraftlos an seinen Ärmeln und ihre Stimme wird wieder schwächer, als sie in verzweifelten Tränen ausbricht, die kaum von den Regentropfen zu unterscheiden sind.

„Was macht mich aus? Nico, wer bin ich? WAS bin ich?“

Als er sie erneut Schweigen straft, rutscht die junge Prinzessin in sich zusammen und an ihm herab. Sie ist erschöpft, immer und immer wieder an derselben Sache zu scheitern. Es ist ja nicht so, als ob er sie nicht versteht, deshalb drückt der jung gebliebene König das Mädchen fest an seine Brust. Sie benötigt dringend ein paar Antworten, schon deshalb, weil ihre Gefühle in diesem Moment nicht normal sein können. Es fällt ihr schwer das folgende auszusprechen:

„Warum bekomme ich Herzklopfen, wenn du mich so umarmst? Was läuft nur verkehrt mit mir? Ich bin verabscheuungswürdig.

... Ich bin doch jetzt mit Aiven zusammen. Warum verschwindet es nicht?“

Nico schaut in Richtung der Regenwolken, die unablässig ihre Tropfen in Richtung Erde schicken und resigniert. Sanft aber auch traurig antwortet er ihr schließlich:

„Weil die Mana-i ein abstoßendes Volk sind, Siva. Ich wollte dich vor der Wahrheit beschützen, aber du kennst sie bereits. Deine Mutter ist nicht so stark davon betroffen, weil sie als normale Frau aufgewachsen ist, aber wir beide sind anders als normale Menschen. Wir sind berechnend, konfrontationsfreudig und wie es aussieht auch vom Selbsterhalt getrieben, was ich auch erst durch dich weiß.“

Während der Regen immer schlimmer zu werden scheint, drückt sie sich fest an ihn.

„Aber bist du nicht schon längst über diese Dinge erhaben? Wenn du es kannst, dann kann ich sie auch überwinden.“

„Nein, das bin ich nicht. Ich versuche sie schon mein Leben lang zu unterdrücken. In mir herrscht ein ewiger Kampf, den ich immer wieder fast drohe zu verlieren. Glaub mir, deine Nähe ist auch für mich nicht leicht, Siva. Versteh mich jetzt bitte nicht falsch, aber es wäre besser gewesen, ich hätte keine Kinder, denn dann hätte ich unserem unnatürlichen Volk endlich ein Ende bereitet. Vielleicht sind die Mana-i ja auch deshalb aus dieser Welt verschwunden, wer weiß.

Aber Siva, meine geliebte Tochter, ich schaffe es einfach nicht, dich als Fehler zu betrachten und mich in dir wiederzuerkennen, macht mich merkwürdigerweise so unglaublich stolz.“

Er legt seinen Kopf auf den ihren.

„Wir dürfen nicht unseren Instinkt darüber entscheiden lassen wen wir lieben, unser Herz sollte das tun. Glaub mir, es wird besser, sobald du mit Aiven nach Deskend gehst.“

Natürlich meint er dies nicht als Vorschlag. Wie immer erteilt er, im freundlichen Gewand eines Vorschlags, einen Befehl. Viele Dinge gehen ihm in diesem Moment durch den Kopf, die er nicht äußert. Er musste genau abwägen welche Worte er wählt. Sein Wesen vollends zu offenbaren ist undenkbar für den eitlen Mann. Auch Kara hat keine Ahnung was alles in ihm vorgeht. Ramon hatte es im vorherigen Gespräch schon richtig erkannt, Nicos Inneres ist in Aufruhr und es ist zutiefst widersprüchlich.

Die beiden lösen sich ein klein wenig voneinander und schauen sich in die Augen. Unfreiwillig liest er für einen kurzen Augenblick Sivas Gedanken, dabei hatte er sich geschworen das nie wieder zu tun. Die junge Frau ist nicht nur tief verunsichert, sondern auch sehr erregt. So stark in die Privatsphäre seiner Tochter eingedrungen zu sein, macht ihn augenblicklich reumütig. Allerdings merkt er dadurch auch, dass er hier einen Fehler begangen und eine untragbare Situation geschaffen hat, die er schnellstmöglich auflösen muss. Er hätte besser weiterhin schweigen und den Unmut seiner Tochter auf sich nehmen sollen, denn einmal ausgesprochenes kann er nie wieder zurück holen und es gefällt ihm nicht seine wahren Schwächen offen zu legen, so wie er es eben getan hat.
 

Düster und ernst fragt er sie schließlich:

„Noch etwas, Siva und es ist jetzt sehr wichtig, dass du mir ehrlich antwortest. Ich muss es unbedingt wissen, um darauf reagieren zu können. Wie stehst du zu Ramon?“

Verschämt schaut sie zur Seite weg und schweigt. Nico benötigt diese Information jedoch unbedingt, um sein weiteres Vorgehen zu planen. Er dreht ihr Gesicht mit seiner Hand sanft zu sich.

„Bitte, sag es mir, egal wie deine Antwort auch aussehen mag.“

Ihre Stimme ist mit Trauer und Scham erfüllt, als sie widerwillig entgegnet:

„So wie zu dir, fürchte ich. Nur ohne das große Grundvertrauen. Er kann sich aufführen wie er will, es ändert sich einfach nichts daran. Bitte verurteile mich nicht dafür, Vater.“

Er schließt die Augen. Endlich hat sie ihn wieder „Vater“ genannt. Damit hat er in diesem Gespräch erreicht was er wollte. Erleichtert, aber auch beunruhigt zugleich, entgegnet er:

„Ich danke dir für dein Vertrauen, Siva. Ich werde ihn gleich morgen vom Königshof verbannen. Möglicherweise hat er auch denselben Einfluss auf Kara und ihre mentale Kraft ist nicht so groß wie deine. Sie wird sich nicht so gut wie du gegen ihn zur Wehr setzen können.“
 

Die beiden schrecken hoch, als hinter ihnen, völlig unbemerkt, eine Gestalt im Regen auftaucht, die sie vorher weder gehört noch gesehen haben. Der inzwischen aufgeweichte Boden des Übungsplatzes hätte sie durch das Geräusch der Schritte eigentlich schon viel früher auffliegen lassen müssen.

Nur eine Person ist im Stande dies zu vollbringen, nämlich Ramon, der in den Besitz der vier Siegel gelangt ist.

In schnellem Schritt kommt er fast lautlos näher, wobei seine Füße kaum den Boden zu berühren scheinen. Er hat ein Schwert aufgetrieben, mit welchem er in Angriffsposition auf und Nico zusteuert, der schnell noch ein Übungsschwert aus dem Waffenständer ziehen kann, um den Aggressor abzuwehren. Das einfache Schwert zerbirst unter der Wucht von Ramons Schlag. Sofort ein Neues ziehend, stellt sich der amtierende König schützend vor seine Tochter. Der gefallene König positioniert sich direkt vor den beiden ohne ein weiteres Mal anzugreifen. Statt dessen richtet er ein fast schon friedvolles Wort an seinen Gastgeber:

„Verzeiht mein Stören und meine förmliche Ansprache. Ich kann mich einfach nicht an die respektlosen, heutigen Gepflogenheiten gewöhnen. Ich werde mich Euch von nun an nicht mehr unterordnen, König von Roshea, denn ich weiß nun, dass Ihr mich verbannen wollt. Wie unhöflich von Euch. Aber habt keine Angst um Eure Gattin. Die möchte ich Euch nicht abspenstig machen, denn ich habe doch schon eine wundervolle Frau, die mir bereits durch ihr Blut und nun auch ihr Wort bewiesen hat, dass sie mein ist, nicht wahr Prinzessin Siva?“

Seine Augen glühen in einem satten Türkis, was bestätigt, dass er die vier Siegel unter seinem grünen Mantel tragen muss. Sein harter Blick ändert sich in einen zärtlichen.

„Wie viel habt Ihr gehört?“

ruft sie erschrocken durch den Regen.

„Genug...Ich habe genug gehört, meine Liebste. Ich werde Euch schon noch beweisen, dass ich Euer Vertrauen wert bin.“

antwortet er sanft lächelnd. Selbst in dieser Situation ist er immer noch ein Gentleman, der nun höflich bittet:

„Würdet Ihr uns beiden bitte den folgenden, kräftezehrenden Kampf ersparen und einfach mit mir kommen, Prinzessin?“

Sie zieht nun ebenfalls ein Schwert aus dem Waffenständer und brüllt:

„Niemals werde ich aus freien Stücken mit Euch kommen, Ramon! Dazu müsst Ihr schon uns beide besiegen.“

Er senkt seinen Kopf.

„So sei es.“

antwortet der gefallene König gefährlich, kurz bevor er hell erleuchtet erneut blitzschnell ausholt. Seine Augen glimmen noch stärker auf, was ebenso wunderschön wie furchterregend ist. Dieses Mal treffen Nicos und sein Schwert aufeinander, ohne dass das ungeschliffene Übungsschwert zerschellt. Ab jetzt geht es nicht mehr nur um die körperliche Kraft. Einer von beiden muss den anderen mental überwältigen, um seinen Willen zu brechen. Mit großer Kraft pressen sie die beiden Klingen aufeinander. Diese Position haltend, beginnt Ramon zu sprechen:

„Wart Ihr gerade drauf und dran Eure eigene Tochter zu verführen, König?“

Nico weicht ein kleines Stück zurück. Er muss alle Kraft aufbringen, um den physischen und den mentalen Angriff gleichzeitig abzuwehren, was es ihm verbietet zu sprechen. Stellvertretend brüllt Siva als Antwort:

„Wenn Ihr das Gespräch wirklich mitgehört habt, dann wisst Ihr, dass es nicht so war.“

Ramon lächelt gespielt mitleidig:

„Aber gebt es doch zu. Sie ist eine wunderbare Frau. Schön und stark zugleich und so rein im Blute. Da kann ich schon verstehen, wenn Ihr schwach werdet, Majestät. Was gibt es bei einem Mann Eures Ranges schon gegen zwei Frauen einzuwenden?“

Siva schreitet erneut ein:

„Jetzt reicht es! Was Ihr da beschreibt ist widerlich.“

„Es tut mir leid, dass Ihr Euch das mit anhören müsst, liebste Siva. Aber dieser spezielle Fall verlangt es von mir die Gepflogenheiten zu übergehen. Gerne werde ich Euch später tröstend zur Verfügung stehen und sagt nicht, dass Euch dieser Gedanke nicht gefällt, denn ich werde nicht gern belogen.“

Dem weiß Siva nichts entgegenzusetzen, was den sowieso schon völlig verwirrten Nico erneut straucheln lässt. Ramon hat ihn hier in einer besonders schwachen Situation erwischt, von denen es nicht viele gibt. Der junge König hat große Mühe gegen seinen mächtigen Widersacher anzukommen, der nun erneut das Wort an ihn richtet:

„Habt Ihr Siva eigentlich je davon erzählt, dass Ihr sie nur mit dem Prinzen von Yoken verheiraten wollt, um sein Königreich klammheimlich zu assimilieren?“

Nico kann keinen Muskel bewegen, denn er droht den Kampf zu verlieren. In seinem Inneren fleht er seine Tochter an, nicht darauf anzuspringen, doch genau das trifft einen sensiblen Nerv bei ihr, denn vor diesem Szenario hatte sie immer schon Angst. Die Idee, es könne ihrem Vater in Wahrheit gar nicht und sie gehen, sondern nur um die Expansion seines Reiches, ist ihr schon schmerzlich gekommen und sie traut es ihm durchaus zu. Immerhin hat sie darüber auch schon mit Königin Yasane gesprochen. Zu Nicos Enttäuschung zweifelt sie trotzdem an ihm. Sie ist erschüttert darüber, dass Ramon ausgerechnet ihre schlimmsten Befürchtungen anspricht und fragt fordernd:

„Stimmt es was er sagt, Vater?“

Verzweifelnd sich die Wahrheit eingestehend knickt Nicos Geist ein und versetzt Ramon damit in die Lage seinen Schwerthieb zu Ende zu führen. Die Wucht des Schlages wirft den amtierenden König ein paar Meter weit über den aufgeweichten Boden des Übungsplatzes, auf dem er unsanft landet. Geschockt dreht sich die Prinzessin nach ihm um, als sie von hinten von Ramon gepackt und mitgerissen wird.

Mit seinem schwebenden Schritt macht er sich, mit ihr unterm Arm, auf den Weg hinaus aus dem Schlossgelände. Sie zerrt an dem unglaublich starken Mann herum, der seine übermenschliche Kraft aus der Macht der vier göttlichen Siegel bezieht. Sie ist nicht fähig etwas gegen ihn auszurichten.

Aiven, der Nico und Siva inzwischen ebenfalls auf dem Übungsplatz besuchen wollte, um sie mit wachsbeschichteten wasserdichten Capes aus dem Regen abzuholen, erkennt in der Ferne den gefallenen König Ramon, der im Besitz der Siegel die Prinzessin verschleppt. Entschlossen stellt er sich ihm entgegen, weshalb ihn Siva panisch durch den Regen anbrüllt:

„Aus dem Weg, Aiven!“

Ramon holt zum Hieb aus. Wenn sie nichts tut, wird der in Rage geratene Todesgott ihren Geliebten umbringen. Mit beiden Händen greift sie nach seinem Schwungarm und reißt ihn mit aller Kraft zur Seite. Der Schwertstreich geht daneben und Ramon will sich zum Glück nicht die Mühe machen umzukehren, um es zu Ende zu führen. Viel lieber will er möglichst schnell von hier verschwinden. Die Prinzessin ist erleichtert, denn sie hat ihrem Prinzen aller Wahrscheinlichkeit nach das Leben gerettet und sie spürt auch, dass ihr Vater lebt.

Völlig machtlos lässt Aiven die Capes auf den Boden fallen. Er ist gezwungen den beiden zuzusehen, wie sie im Regen verschwinden.



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