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Das Blut der Mana-i

Der König von Kalaß
von

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Beugehaft

Viele Bedienstete am Schloss haben Ramons Flucht beobachtet. Zu ihrer aller Glück war keiner schnell genug sich dem rasch flüchtendem leuchtendem Wesen entgegen zu stellen.

Nico liegt bewusstlos im Regen auf dem aufgeweichten Übungsplatz. Er wird schnell von Aiven gefunden, der herbeieilt und umgehend Hilfe holt. Natürlich wird auch die Königin allarmiert. Sie gilt als die fähigste Ärztin am Hof. Bereits in ihrer Jugend hatte sie sich in dieser Sache gegen ihren Mann durchgesetzt und die von ihr begonnene medizinische Ausbildung abgeschlossen. Nach wie vor bildet sie sich, trotz ihres hohen Amtes, in dieser Sache weiter.

Bei ihm angekommen, beginnt sie sofort die Wunde an seiner Brust zu untersuchen. Gnadenlos strömt der Regen auf sie herab, weshalb der yokener Prinz eines der mitgebrachten Capes schützend über das Königspaar hält. Erwartungsvoll schaut er zu Königin Kara, die nach einer kurzen Untersuchung weinend über ihrem Mann zusammenbricht, was Aiven einen riesigen Schrecken versetzt.

„Was ist mit ihm?!“

brüllt er panisch geschockt.

Schluchzend richtet sie sich etwas auf und sieht den jungen Mann verweint, aber erleichtert an.

„Die Wunde ist nur oberflächlich, Aiven. Er ist nur deshalb bewusstlos, weil er so erschöpft ist. Ich bin so froh. Weißt du vielleicht genauer was passiert ist?“

Der junge Prinz atmet ebenfalls erleichtert durch. So leicht ist Nico offenbar nicht zu töten. Er kann sich die Geschehnisse nur zusammenreimen:

„Der untote König hat Nico und Siva mithilfe der vier Siegel auf dem Übungsplatz angegriffen. Er hat die Prinzessin entführt.“

Kara hebt den Oberkörper ihres geliebten Mannes auf ihre Beine. Langsam kommt er wieder zu sich, doch er ist so entkräftet, dass er sich kaum bewegen kann. Er nutzt seine wenige Kraft, um sich seine nasses Haar zu richten, dann fährt er mit seiner Hand über seinen blutverschmierten Oberkörper. Die Augen zusammen kneifend atmet er tief durch. Der Prinz beugt sich über ihn und fragt ihn verzweifelt fordernd:

„Wohin?“

Nico stöhnt kurz vor Schmerzen, bevor er seine Antwort formulieren kann:

„Richtung Kalaß...“

„Danke.“

entgegnet Aiven, der sofort nach der Antwort aufsteht, um sich auf den Weg dahin zu machen.

„Ich komme nach.“

versucht Nico ihm hinterher zurufen.
 

Ramon ist, mit Siva unterm Arm, unterdessen die ganze Nacht, unter schwerem Regen, schnellen Schrittes unterwegs nach Kalaß. Die Siegel verleihen ihm ungeheure Körperkräfte und Geschwindigkeit, doch auch er kommt langsam an seine Grenzen. Immer wieder versucht sie sich aus seinem Griff zu befreien, doch sie schafft es nicht.

In den frühen Morgenstunden erreicht er die Stadt und macht sich, hindurch der engen, noch unbelebten Gassen, auf den Weg zur Tarbasser Festung. Dass der Regen langsam nachlässt, nützt ihm nun herzlich wenig.

Endlich in den dunklen, schön renovierten Räumen der Burg angekommen, setzt er die äußerst verärgerte Prinzessin in einem seiner ehemaligen Arbeitszimmer auf einen Stuhl, wirft ihr eine Decke über den Kopf und während sie sich diese herunter zieht, was ihr tropfnasses Haar nun auch noch durcheinander bringt, bedient er in einer irren Geschwindigkeit irgendeinen Kombinationsmechanismus. Sie hat es nicht sehen können, deshalb vermutet sie zumindest, dass ist ein solcher war. Nun packt er die Prinzessin wieder und lehnt sich gegen einen Schrank, der vor ihm nachgibt und den beiden einen Weg offenbart.

Empört schimpft sie nun endlich:

„Ich kann auch selbst laufen!“,

was er geflissentlich ignoriert.

Von innen schiebt er den Schrank wieder zurück, um seine Spuren zu verwischen. In der absoluten Dunkelheit wartet er den Klang eines leisen Klickens ab, bevor er Siva ein paar Stufen hinab und dann durch ein paar Räume trägt, hinein in ein Zimmer, in dem er zunächst eine Fackel anzündet. Nun kann die Prinzessin auch wieder etwas sehen. Zu ihrem Entsetzen ist es ein Schlafzimmer. Ramon lässt sie los und fordert sie, schwer atmend und unvermittelt ungestüm auf:

„Zieht Euch bitte aus, Prinzessin“,

was sie mit einem empörten:

„Vergesst es, Ihr Lüstling!“ abweist.

Er hat jetzt nicht die Kraft sich mit dem starrköpfigen Mädchen zu streiten, deshalb geht er an sie heran und reißt ihr ihre, aus seiner Sicht für sie unschickliche, vollkommen durchnässte Trainingskleidung vom Körper. Das macht er so gezielt, dass sie dabei keine Schmerzen empfindet, aber auch so kraftvoll, dass sie sich nicht dagegen wehren kann. Er wirft ihre triefende Kleidung in eine Ecke des Raumes. Siva trägt nun nur noch ein kleines Höschen, das zwar auch nass ist, er ihr aus einem gewissen Rest an Anstand aber noch gelassen hat. Unbeugsam steht sie aufrecht vor ihm. Sie denkt gar nicht daran das eingeschüchterte Mädchen zu spielen, denn das ist sie nicht.

Er packt das weiße Laken, welches auf dem Bett liegt, um es vor Staub und Dreck zu schützen, reißt es herunter und wirft die Prinzessin im Anschluss unsanft auf das weiche Bett, welches beim Aufprall quietschende Geräusche von sich gibt.

Die nackte junge Frau landet viel sanfter als sie es erwartet hatte, doch das ändert nichts an ihrem empörten Schrei:

„Ich befehle Euch aufzuhören!“,

was er wieder einmal ignoriert.

Er beugt sich, immer noch schwer atmend, über sie. Von seinem klimpernden Geschmeide und seinen dunklen Haaren fallen große Tropfen auf sie herab.

Siva sieht in Ramons glühende Augen, die eigentlich entschlossen sein sollten, doch sie erkennt Zweifel darin.

Er hält inne. Offenbar hadert er mit sich, was sie versuchen muss für sich auszunutzen. Sich aggressiv gegen ihn zur Wehr zu setzen, hat sie schon versucht, deshalb probiert sie etwas anderes aus.

Sie berührt sanft sein Gesicht und streicht ihm das nasse Haar heraus. Ihre Angst und ihre Wut versucht sie nicht in ihre Stimme fließen zu lassen.

„Hört auf, Ramon. Ihr wollt das doch in Wahrheit gar nicht, das sehe ich Euch an. Lasst von mir ab!“

Der völlig geschwächte, gefallene König verliert den mentalen Kampf gegen sie und weicht nach hinten zurück. Dabei macht er Geräusche, als ob er Schmerzen hätte. Siva richtet sich, auf dem Bett sitzend, auf und zieht ihre Beine an sich heran. Leicht nach vorn gebeugt, mit einem düsteren Blick zu Boden, beginnt der uralte König sein Hemd, an dem die vier Siegel befestigt sind, aufzuknöpfen und es auszuziehen. Er wirft es achtlos beiseite, wobei die Siegel beim Aufprall schrill aufeinander klirren. In er Mitte zwischen seinem Bauch und seiner Brust bemerkt Siva eine handtellergroße, fast schwarze Stelle. Er taumelt nach hinten an eine, mit alter, vergilbter Ornamenttapete beklebte Wand heran, an die er sich mit dem Rücken anlehnt und dann daran herunterrutscht. Er sinkt völlig in sich zusammen. Den Blick weiterhin nach unten gerichtet röchelt er erschöpft:

„Ihr habt recht. Das hier habe ich nicht gewollt. So schwach wie jetzt, werde ich kein zweites Mal sein. Ihr solltet die Gelegenheit nutzen mich zu töten, Prinzessin.“

Er seine Hand über die schwarte Stelle vor Schmerzen und wird kurz darauf ohnmächtig. Siva nimmt erschrocken die Hand vor den Mund. Sie weiß nicht was sie tun soll. Diesen wehrlosen Mann zu ermorden, ist überhaupt nicht nach ihrem Geschmack. Sie schüttelt überfordert den Kopf.

Eine kurze Weile verharrt sie in dieser Position, dann steht sie auf, nimmt die Fackel von der Wand und läuft kopflos durch die dunklen Gänge, durch welche die beiden gekommen sind.

Es ist das reinste Labyrinth. Überall hängen Spinnweben, doch die Wände sind mit Banderolen verziert. Die junge Frau trifft auf ein paar andere, ebenfalls möblierte Räume, die aber auch nur Sackgassen zu sein scheinen. Den Rückweg zu ihrem Entführer hat sie sich zur Sicherheit eingeprägt und sie ist froh darüber, denn nach ein paar Stunden kehrt die Prinzessin völlig übermüdet und erschöpft dorthin zurück. Zu ihrem Erschrecken stellt sie fest, dass Ramon verschwunden ist und die Siegel hat er auch mitgenommen. Warum hat sie nicht daran gedacht sie mit sich zu führen? Erledigt kippt sie auf das Bett und schläft unvermittelt ein.
 

Ein paar Stunden später schreckt Siva aus einem Traum hoch, der davon handelte wie ihr Mentor Ramon sie entführt, um sich dann an ihr zu vergreifen. Zugegebenermaßen fand sie diese Vorstellung zunächst abstoßend, doch ihr Körper spricht eine ganz andere Sprache.

Sie sieht sich im Raum um und zuckt zusammen, als sie erkennt, dass das, zumindest teilweise, kein Traum war, denn der frühere König von Kalaß sitzt geduldig auf ihr Erwachen wartend, neben ihr auf dem Bett. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat er ihr diese Gedanken geschickt, als sie sich nicht wehren konnte. Normalerweise macht er das ja nicht mehr, aber das hat weniger damit zu tun, dass er es nicht möchte, als dass er es gar nicht mehr kann. Weder ist er noch in der Lage ihre Gedanken zu lesen, noch ihr welche zu senden. Sie scheint eine Art mentalen Schild gegen ihn errichtet zu haben, obwohl sie schwächer als er sein müsste.
 

Er hat sie zugedeckt und alle im Raum verteilten Lampen entzündet. Am Fußende des Bettes liegt ein altmodisches dunkelrotes Kleid, welches sie anscheinend anziehen soll.

Melancholisch schaut er auf die schöne Prinzessin herab, ohne etwas zu sagen. Das Siegelhemd hat er sich wieder angezogen, doch er hat sich nicht die Mühe gemacht es zuzuknöpfen. Auch heute erkennt Siva die große dunkle Stelle, die über Nacht ziemlich gewachsen zu sein scheint. Selbst wenn er sein Hemd zuknöpfen würde, so wäre sie in seinem Ausschnitt sichtbar. Die Decke an sich hochziehend, rutscht sie von ihm weg. Nun richtet er zärtlich das Wort an sie.

„Geliebte Prinzessin, ich danke Euch für Eure Gnade. Zutiefst möchte ich mich bei Euch für das entschuldigen, was ich getan habe und noch tun werde. Die Verzweiflung treibt mich zu solch harten Mitteln zu greifen. Ich wünsche mir inständig, dass Ihr mich dafür nicht zu sehr hassen wertet.“

Sein Blick wird scharf und entschlossen, was die junge Frau etwas beunruhigt. Unvermittelt packt er sich die Decke und reißt sie ihr aus den Händen. Wie letzte Nacht versucht sie auf ihn einzureden, doch es nützt nichts. Seine mentale Stärke ist zurückgekehrt.

Mit glühenden Augen fällt er über sie her. Er setzt sich auf die sich wehrende Prinzessin. Schützend hält sie eine Hand vor sich, die er fest ergreift. An seiner anderen Hand befindet sich ein eigens dafür vorgesehener Ring, der eine Kante hat, die so hart und scharf wie eine Klinge ist, mit welcher er ihr in den Innenarm ritzt. Überrascht hört sie auf zu zappeln. Dann beugt sich der schroffe, schöne Mann über die perplexe junge Frau und beginnt ihr Blut aus der frischen Wunde zu trinken, was ihre Gegenwehr vollständig zum Erliegen bringt. Sein kaltes klimperndes Geschmeide berührt dabei ihre nackte Brust, wodurch sie erschaudert zusammenzuckt.

Gierig und ohne Scham schlingt er ihr warmes Blut in sich hinein. Um diesen erschreckenden und zugleich erbärmlichen Anblick nicht ertragen zu müssen, legt sie sich ihren anderen Arm über die Augen.

„Warum habt Ihr mir das nicht gesagt? Warum habt Ihr mir nicht gesagt, dass ihr weiterhin Blut benötigt?“

haucht sie betroffen, aber auch ein wenig angeekelt. Die Gegenwehr der Prinzessin kommt vollständig zu Erliegen und sie lässt es geschehen.

Ramon trinkt sich satt, ohne sich von ihr Eilen zu lassen, lässt dann von ihrem Arm ab und wischt sich, schwer atmend, flüchtig und unvollständig das Blut vom Mund. Noch immer kniet er über der nackten jungen Frau.

Sie wagt jetzt einen Blick auf ihn zu werfen. Die dunkle, verkrustete Stelle unterhalb seiner Brust bildet sich vor ihren Augen vollständig zurück.

Ernst und anmutig, aber mit einem wilden leuchtendem Blick und nach wie vor außer Atem, antwortet er ihr schließlich:

„Was ich benötige, ist nicht Euer Blut, Prinzessin. Ich benötige Euch und zwar für den Rest meines unnatürlichen Daseins. Hätte ich Euch gefragt, wärt Ihr dann für immer bei mir geblieben? Zum Schluss wollte mich Euer verehrter Vater sogar verbannen, was einem Todesurteil gleichzusetzen ist. Und sagt nicht, er hätte Verständnis für mich aufgebracht. Ohne Gnade hätte mich dieser Mann elendig krepieren lassen…verzeiht den Ausdruck.“

Siva hat dem nichts entgegenzusetzen. Ramons Gier nach Blut mag für den Moment gestillt sein, aber ein anderes Begehren ist ihm anzusehen.

Erregt streicht er ihr zärtlich ein paar Haare, die ihm den Blick auf ihren schönen Körper verwehren, von ihren Schultern.

Enttäuscht wendet sie ihren Blick von ihm ab. Wenn er jetzt nicht aufhört, ist er nichts weiter als ein wildes Tier, das sich hinter dem Mantel der Höflichkeit versteckt. Das ist ihm jedoch genau so bewusst wie ihr. Zu gern würde er die nackte Schönheit zu der seinen machen, doch er widersteht und erhebt sich nun endlich vollständig von ihr.

Ramon nimmt das altmodische Kleid vom Bettende und wirft es ihr zu.

„Bekleidet Euch nun bitte, Prinzessin. Es gibt vieles, von dem ich Euch berichten möchte. Ich warte im Kaminzimmer auf Euch.“

Sie schaut an sich herab. Die Wunde an ihren Arm ist, von ihr unbemerkt, vom König bereits gesäubert worden. Erst jetzt wird ihr bewusst, dass ihre Nacktheit völlig unnötig war und nur seiner Befreiung diente. Das löst ihre Starre vollends und lässt sie empört schimpfen:

„Wieso habt Ihr mir die Decke weggezogen, wenn Ihr nur mein Blut braucht, Ihr Lüstling?“

Sie wirft ein Kissen nach ihm, das er mit seiner Hand in der Luft zerfetzt. Tausend kleine Daunenfedern schweben in der Luft herum. Siva fällt es schwer durch sie hindurch auf sein Gesicht zu schauen, doch sie glaubt ein freches Lächeln gesehen zu haben, kurz bevor er ihr den Rücken zuwendete. Das hätte sie von ihm nicht erwartet, aber vielleicht hat sie es sich auch nur eingebildet.
 

Sie zieht das etwas unbequeme, enge dunkelrote Kleid an, das der Mode vor etwa zweihundertfünfzig Jahren entspricht. Es ist übersät von Rüschen und Schleifchen, die überhaupt nicht ihrem Geschmack entsprechen, weshalb die eigenwillige junge Frau sie nun beginnt zum Großteil abzutrennen. Zudem reißt sie ein Stück vom langen Rock ab, der sie in ihrer Bewegungsfreiheit behindert. Wenn ihr dieser laszive König erneut zu nahe kommt, will sie sich besser wehren als dieses mal.
 

Was ihr überhaupt nicht zusagt, ist das weit ausgeschnittene Dekolleté, welches ihre üppigen Brüste sehr stark betont, die sie normalerweise lieber versteckt. Ob er ihr dieses Kleid mit Absicht ausgesucht hat? Ihre sonst immer nach hinten gebundenen Haare, lässt sie deshalb nun offen und legt sie nach vorn über ihre Schultern. Damit wird sie leben können. Die Hauptsache ist doch, dass sie überhaupt etwas trägt und nach ihrer Umgestaltung gefällt ihr das Kleid nun sogar recht gut.

Sie nimmt eine der alten entzündeten Lebertranlampen vom Schminktisch und erkundet die Räume in ihrer unmittelbaren Umgebung. Eine der Türen ist einen Spalt geöffnet, aus der ein schönes warmes Licht auf den Gang hinaus strahlt. Es ist das Kaminzimmer von dem Ramon gesprochen hat. Auch hier hat er sämtliche Kerzen und Lampen für sie entzündet. Der Raum strahlt eine angenehm wohnliche Atmosphäre aus. Das alte, aber sehr schicke kalaßer Mobiliar hat er von den weißen Laken befreit, von denen in diesem Raum aber keine Spur mehr zu sehen ist.

Entspannt, mit einem Buch in der Hand, sitzt der gefallene König zu ihr ins Profil gedreht, in einem bequem aussehenden grünen Sessel. Die Siegel trägt er nicht mehr am Körper. Er erhebt den Kopf und bietet ihr mit einer Armbewegung freundlich lächelnd den Sessel neben sich an. Wie hypnotisiert folgt ihr Blick dem Schimmern seiner edelsteinbesetzen Armreifen.

Anstatt sich zu setzen beschwert sie sich jedoch:

„Ich bekomme langsam Hunger. Wo gibt es hier etwas zu essen?“

„Setzt Euch doch bitte erst einmal, Prinzessin.“

antwortet er lächelnd.

Etwas widerwillig nimmt sie neben ihm Platz. Sie sinkt in den bequemen Sessel ein, in dem sie sich angestrengt versucht nicht zu wohl zu fühlen.

Er fährt fort:

„Wisst Ihr, Mana-i können monatelang ohne Nahrung auskommen, solange sie mindestens zu zweit sind.“

Empört stützt sie ihre Hände auf die Armlehnen des Sessels und brüllt den ihr gegenüber sitzenden ehemaligen König an:

„Ihr wollt mir damit doch hoffentlich nicht sagen, dass Ihr mich hungern lassen wollt? Als Eure Gefangene verlange ich wenigstens eine Mahlzeit am Tag!“

Erst jetzt klappt er sein Buch zu und schaut sich die vorlaute Prinzessin genauer an. Endlich sieht er die junge Frau in einer Robe, die ihrem Stand angemessen ist. Ihr offenes, langes und leicht gelocktes Haar liegt nach vorn gekämmt über ihre schmalen Schultern. Entgegen ihrer Intension schaffen sie es jedoch nicht ihren wohlgeformten Körper zu verbergen. Schon immer war Siva wundervoll anzuschauen, aber im Schein des Kerzenlichts, in diesem Kleid und mit offenem Haar, ist sie atemberaubend schön. Auch wenn Ramon ihr das nur zu gern sagen würde, so glaubt er es sei der falschen Zeitpunkt dafür. Auf ihre Forderung geht er trotzdem nicht ein und antwortet ihr, mit einem musternden Blick und einem selbstgefälligen Lächeln auf den Lippen, in einem freundlichen Ton:

„Wenn Ihr Hunger habt, geliebte Siva, dann stelle ich Euch, zu Eurer Stärkung, gern auch mein Blut zur Verfügung. Der Vollständigkeit halber möchte ich Euch jedoch nicht verschweigen, dass es noch einen einfacheren und auch erfreulicheren Weg gibt, Körperflüssigkeiten mit mir auszutauschen.“

„Da sterbe ich lieber!“

raunt sie unüberlegt aufgebracht.

„Das werde ich nicht zulassen. Wenn Ihr in einen Hungerstreik treten wollt, fühle ich mich gezwungen Euch zwangszuernähren, Prinzessin.“

schimpft er strenger als er es sein wollte.

„Behandelt mich nicht wie ein Kind, Ramon!“

reagiert sie aggressiv.

Wenn er ihr jetzt antwortet, dass er in manchen Belangen eines in ihr sieht, ja sogar sehen muss, wird sie ihm noch weniger gewogen sein, deshalb lenkt er ein.

„Also gut, Prinzessin. Wenn ich hinaus gehe, um ein paar Theorien zu überprüfen und Informationen zu beschaffen, werde ich Euch etwas essbares mitbringen.“

Sie lässt sich zufrieden zurück in den Sessel sinken.

„Gut. Wo sind wir hier überhaupt?“

„In den Katakomben unter Tarbas. Ich habe sie selbst errichten lassen. Es ist ein weitverzweigtes Netz aus Gängen und Schächten, in denen nur ich mich auskenne. Für jemanden anderen als mich sind die Zugänge unüberwindlich. Mehr möchte ich dazu nicht äußern.“

antwortet er knapp, womit sie sich zufrieden gibt und fragt weiter:

„Über welche Dinge wollt Ihr mich denn nun unterrichten?“

Die Sessel stehen seiner Ansicht nach zu weit auseinander, weshalb er aufsteht, seinen näher an den ihren heran schiebt und sich im Anschluss wieder hinsetzt. Sie sitzen nun eng nebeneinander, was ihm besser gefällt und er beginnt, zu ihr hinüber gebeugt, seine Ausführungen:

„Wisst Ihr eigentlich woher die Siegel stammen?“

Sie schüttelt den Kopf und antwortet:

„Sind die nicht uralt und keiner weiß wo sie herkommen?“

Etwas schämt sie sich für diese dumme Antwort. Aiven hätte sicherlich besser darüber Bescheid gewusst. Die junge Frau denkt sehnsüchtig an den frechen jungen Burschen. Bestimmt hat er sich schon auf den Weg zu ihrer Rettung gemacht und ihr Vater mit Sicherheit ebenso, von dem sie überzeugt ist, dass seine Wunde nicht lebensbedrohlich war. Gedankenversunken hört sie jetzt langsam wieder Ramons Stimme:

„--...ihr mir eigentlich zu, Prinzessin?“

„Noch mal, bitte.“

stammelt sie, was sich der eitle frühere König etwas zu Herzen nimmt. Sie ist so ein freches und respektloses Gör, aber er liebt sie trotzdem oder auch vielleicht genau deswegen. Ihre ungestüme Art ist es doch, die ihn, neben ihrer Reinheit und überwältigenden Schönheit, so fesselt. Zeit mit ihr muss er sich erkämpfen, sich ihr, als einst größter und mächtigster Herrscher der bekannten Welt, sogar unterordnen. Jede andere Frau würde sich ihm sofort fügen und damit schließt er auch das Volk der Mana-i mit ein, doch nicht diese hier. Wie hat der junge yokener Prinz Aiven es als einfacher Mensch nur geschafft, so nah an dieses ungezähmte Mädchen heran zu kommen?

Ramon beginnt geduldig von neuem:

„Ich selbst habe die Siegel vor ziemlich genau dreihundertdreißig Jahren erschaffen. Damals wollte ich den Glauben an die Götter neu entfachen, der in der Bevölkerung kaum noch vorhanden war. Ich war ein überzeugter Anhänger des Glaubens und ließ ihm zu Ehren vier Kathedralen erbauen, doch die Menschen interessierten sich trotz allem nicht dafür. Auch der mächtigste König des Kontinents kann den Menschen nicht befehlen an Götter zu glauben, von denen sie nur in Legenden und Märchen gehört haben. Ich brauchte einen Beweis für ihre Existenz und flehte die Götter an zu mir herab zu steigen. Ausgerechnet beim Windgott Fuathel, der den schlechtesten Ruf begleitete, hatte ich viele Jahre später Erfolg. Von ihm erfuhr ich, dass das königliche Blut, welches ich in mir trage, tatsächlich Reste göttlichen Blutes sind, die er einst in die Welt brachte. Gemeinsam kamen wir auf die Idee etwas göttliches in einen heiligen Gegenstand zu transferieren, um die Menschen von der Wahrheit ihrer Existenz zu überzeugen. Nach und nach stimmten auch die anderen Götter zu und ich ließ in Kalaß vier farbige Kristalljuwelen fertigen, welche alle vier Götter jeweils mit einem Zauber belegten. Mithilfe dieses göttlichen Beweises schaffte ich es, den Glauben der Menschen wieder zu entfachen und es entstanden die vier großen Glaubensrichtungen. Immer wieder stiegen die vier Götter darauf hin in ihren Kathedralen zu den Menschen herab.“

Siva hat ihm diesmal genau zugehört. Was er ihr da erzählt ist unglaublich, doch sie glaubt ihm trotzdem jedes Wort.

„Ihr wart mit den Göttern persönlich in Kontakt, Ramon? Wie sind sie so und was ist passiert? Warum haben Sie Euch wieder verlassen?“

Mit einer etwas belegten Stimme erzählt er weiter:

„Das ist ebenfalls meine Schuld, meine geliebte Siva. Ich beging den größten Verrat überhaupt. Überzeugt davon der größte Mann seit dem Ersten König Torani-Colian zu sein, begann ich zu forschen wie ich die Götterjuwelen zu meinem Vorteil einsetzen könnte. Ich ließ mir eine Rüstung schmieden, an der ich alle vier Siegel anbrachte. Mit ihrer überwältigenden Macht, zog ich gegen die Nachbarkönigreiche Yoken und Roshea in den Krieg. Ich wollte Kalaß zu seiner ursprünglichen Macht und Größe verhelfen. Doch die Götter wollten mein Vorhaben nicht gut heißen und verließen mich und die Welt erneut. Ich übernahm mich mit meinen überhöhten Zielen und verlor gegen die überwältigende Streitmacht König Niennas von Yoken, der damals nicht älter als zwanzig war. Von einem Jüngling geschlagen und gedemütigt, schwor ich mir Rache zu üben, aber nicht in diesem Leben, sondern in einem nächsten. Ich sorgte dafür, verborgen von Niennas Wissen, in einem späteren Zeitalter wieder erstehen zu können, um meinen ursprünglichen Plan doch noch durchzuführen. Nun sitze ich hier mit Euch und alles hat sich verändert. Das Volk der Mana-i wurde fast vollständig ausgelöscht, das Königreich Kalaß gibt es nicht mehr und ein neuer, ebenso mächtiger Mana-i König beherrscht den Kontinent. Ich hege keinerlei Wunsch mehr die Herrschaft an mich zu reißen oder Yoken zu stürzen. Ich war so ein Narr zu glauben die Welt hätte nur auf meine Rückkehr gewartet. Ich gehöre nicht in diese Zeit, doch ich bin nicht bereit aufzugeben. Ich bin bereits glücklich darüber, nach all meinen Sünden, hier lebendig mit Euch sitzen zu dürfen, liebste Siva. Ihr gebt mir Hoffnung auf ein neues Leben. Mit Euch an meiner Seite, glaube i---“

Sie unterbricht ihn forsch:

„Ramon, Eure Geschichte bewegt mich, doch lasst dieses ewige Liebesgesülze sein. Das bringt mich nur wieder zum Lachen und das würde die Stimmung zerstören.“

Er fühlt sich überfahren, aber nach all dem was er über sie gelernt hat, scheint das wohl zu stimmen. Anstatt wie sonst an so einer Stelle weiter zu argumentieren, lenkt er ein, legt seine Arme auf den Lehnen ab und beugt sich nach vorn. Vor sich ins Nichts starrend fragt er sanft:

„Prinzessin, glaubt Ihr die Götter können mir vergeben?“

Selbstsicher lächelnd lehnt sie sich nach hinten:

„Das kommt ganz darauf an.“

Die gebeugte Position haltend, wendet er ihr seinen Kopf zu.

„Worauf kommt es Eurer Meinung nach an?“

fragt er interessiert, auf was sie sehr hart reagiert.

„Darauf wie Ihr mit mir umgeht. Ich bin eine Prüfung der Götter, wenn Ihr gut zu mir seid und mich frei lasst, dann kehren sie zu Euch zurück. Wenn nicht, ist Eure Seele für immer verloren.“

Tatsächlich wittert Siva hier eine Möglichkeit ihn sich mental zu unterwerfen, um ihm Informationen zu entlocken, wie sie aus diesen Katakomben entkommen kann. Ein paar Bilder würden wohl schon reichen. Sie glaubt nämlich ihn in einem schwachen Moment vielleicht erneut besiegen zu können, doch sie hat die Lage hier völlig falsch eingeschätzt, denn er ist nicht schwach. Sie ist es. Der Austausch der großen Menge an Blut hat ihm große Macht hinzugefügt und sie geschwächt.

Der vorgeführte ehemalige König ist diesmal wahrhaftig verärgert. Unvermittelt steht er auf, um sich im Anschluss souverän vor sie zu stellen. Er presst seine golden geschmückten Hände auf ihre, auf den Armlehnen des Sessels liegenden, Handgelenke. Geschockt drückt sich die Prinzessin so weit sie nur kann nach hinten an die Sessellehne. Er ist sehr stark, obwohl er die Siegel nicht am Körper trägt. Sie kann gar nichts tun.

Ramon beugt sich über das taktlose Mädchen nah an ihr Gesicht heran. Sie spürt seinen Atem auf sich und hört das übliche Klingeln seines Schmuckes lauter als je zuvor, doch ihr Blick bleibt hart. Von roher Gewalt lässt sie sich nicht einschüchtern. Wütend, aber auch enttäuscht sieht er sie an, bis er schließlich sagt:

„Ich schütte Euch mein Herz aus und Ihr habt nichts als Spott für mich übrig, Prinzessin. Ich bin am Ende meiner Weisheit.“

Er lässt von ihr ab und geht ein Stück weg von ihr, was sie durchatmen lässt. Eigentlich wollte er ihr im Anschluss noch ihre Frage nach dem Wesen der Götter beantworten, doch die Lust dazu ist ihm vergangen.

Resigniert sagt er:

„Ich gehe eine Weile nach draußen, um über Euch nachzudenken. Am Morgen bin ich wieder zurück. Ich bringe Euch etwas essbares mit. Wenn Euch langweilig ist, so bedient Euch bitte in meiner Bibliothek. Ich werde Euch das Windsiegel hier lassen, das Ihr und Euer Vater spüren könnt. Auf Wiedersehen, Prinzessin.“

Als ob Siva wüsste wann in diesen dunklen Gefilden Morgen ist. Sie verabschiedet ihn nicht. Was denkt er sich denn nur? Dass sie sich ihm aus lauter Dankbarkeit für ihre Entführung an den Hals wirft? Was für ein selbstgerechter Esel. Herz ausschütten hin oder her, was er hier tut ist Unrecht und sie muss sich nicht schuldig dafür fühlen von hier fliehen zu wollen. Wieder schweifen ihre Gedanken zu ihrem Vater und zu Aiven. Weit können die beiden doch nicht mehr sein. Wo bleiben sie denn nur? Im Moment hat sie keine Idee wie sie aus eigener Kraft entkommen kann. Ihre größte Hoffnung ruht auf den beiden.
 

Tatsächlich hält der junge Prinz sich bereits in der Stadt Kalaß auf, doch ohne Nicos Spürnase tappt er, was ihren Aufenthaltsort in dieser riesigen Stadt angeht, völlig im Dunkeln. Ohne auch nur den geringsten Erfolg zu erreichen, fragt er sich durch und sucht die Gassen, die große Stadtmauer und auch die Tarbasser Festung ab. Erst drei Tage später reist auch der König an. Seine Verletzung hält sich in Grenzen und seine Wunden heilen schnell, doch er war nicht in der Lage auf einem Pferd zu reiten. Er musste auf eine langsame Kutsche zurückgreifen, um sicher zu gehen, dass sich die Wunde am Bauch nicht wieder öffnet.

Er macht das Windsiegel irgendwo in, oder vielleicht sogar unter der Festung aus. Es scheint sich nicht mehr als ein paar Meter hin und her zu bewegen. Er weiß wie viele Geheimgänge sich darin befinden und sucht die ab, die er kennt. Auch das Katakombensystem ist ihm bekannt, das er durchstreift. Was er nicht weiß, ist dass es mehrere Systeme gibt, die nicht miteinander verbunden sind. Ziemlich verzweifelt schlagen die beiden ihr Lager innerhalb der Tarbasser Festung auf, die sie für den Besucherverkehr schließen lassen. Bereits etwas mehr als eine Woche ist vergangen, ohne auch nur den Hauch einer Spur von Siva und ihrem Entführer. Nico meint sie müssten nur abwarten, bis sich etwas tut. Er glaubt nicht, dass sich Ramon ewig verstecken möchte. Eher ist er der Meinung, dass er nur auf ein bestimmtes Ereignis wartet. Für den aktionistischen Aiven stellt das eine schwere Geduldsprobe dar.
 

Der in die Enge getriebene gefallene König Ramon und die sture Prinzessin Siva haben sich inzwischen einigermaßen arrangiert. Sie weiß, dass sie etwas sensibler mit ihm umgehen muss, wenn sie ihn nicht erzürnen will. Meistens hält sie sich daran, aber auch nicht immer. Sie hat keine Lust sich für einen Mann zu verbiegen, der ihr die Freiheit raubt, nicht komplett jedenfalls.

Er beginnt im Gegenzug langsam zu verstehen, wie er mit der ungestümen Siva umgehen sollte. Er weiß ja, dass es sich bei ihr um kein normales Mädchen handelt und sie gern wie ein Bursche behandelt werden möchte, doch das fällt ihm ausgesprochen schwer. Ihr wunderschönes, entzückendes Äußeres befiehlt ihm einen Umgang mit ihr, wie mit einer zart besaiteten edlen Dame.

Siva hat den wilden Charakter eines Kriegers und das Gesicht eines Engels, was ihm in dieser Kombination noch niemals untergekommen ist und er hat in seinem langen Leben schon viele Menschen gesehen. Dieses Mädchen bringt sein Blut zum kochen. Er will sie unbedingt für sich gewinnen, bevor ihm die Situation entgleitet.

Täglich trinkt er vom reinen Blut der Prinzessin, was sie immer noch sehr befremdlich findet. Trotzdem freut sie sich mittlerweile sogar, wenn er von seinen Streifzügen zurückkehrt, denn er hat jedes Mal eine Leckerei dabei. Manchmal sind es Früchte, manchmal ein Stück Kuchen oder ein anderes Gebäck. Den Tag verbringt er mit ihr und nachts streift er draußen umher. Schlaf findet der wiedererweckte König so gut wie nie, denn sie schläft, wenn er unterwegs ist und er leistet ihr Gesellschaft, wenn sie wach ist. Ein latentes gegenseitiges Misstrauen spielt dabei eine ganz entscheidende Rolle. Für die Prinzessin ist es viel beruhigender allein zu sein, wenn sie im Bett ist, sonst sendet er ihr womöglich in ihrer Aufwachphase wieder unanständige Träume oder schlimmeres. Darauf kann sie auch gern verzichten. Auf diese Weise ist die Einsamkeit auch nicht so erdrückend für sie. Durch Beobachtung hat sie festgestellt, dass Ramons Körper durch die tägliche Blutversorgung nicht unter dem Schlafmangel zu leiden scheint. Da sie die kein vergleichbares Elixier zu sich nimmt, liegt die Sache bei ihr anders. Sie benötigt normale Nahrung und Schlaf für ihre Erholung, was ihr beides zur Zeit nicht in ausreichendem Maße zu Verfügung steht. Wenn er weg ist, schleicht sie nämlich jeden Tag noch zwei, drei Stunden durch die labyrinthartigen Gänge und fertigt sich eine Karte davon an. Alle Wege, die sie bisher erkundet hat, endeten in Sackgassen. Sie vermutet, dass er so locker mit ihrer Bewegungsfreiheit hier unten umgeht, weil er sicher ist, dass sie ohnehin nicht entkommen kann. Die junge Frau weiß zudem nicht genau was er draußen macht, da er sie nicht über seine Untersuchungsergebnisse unterrichtet.
 

Als er nach etwa zwei Wochen der Gefangenschaft in den frühen Morgenstunden zurückkehrt, will sie ihn noch einmal zur Rede stellen. Lautlos wie immer kommt er den stockdunklen Gang entlang, ohne eine Fackel oder eine Öllampe bei sich zu tragen. Die Siegel scheinen ihm dabei zu helfen im Dunkeln zu sehen oder sich auf andere Art zurecht zu finden. Die Prinzessin ist wie immer vorher aufgestanden und lauert nun schon im Kaminzimmer auf ihn. Der etwas erschöpft aussehende Mann stellt ein Körbchen, in dem sich seine tägliche Ausbeute für Siva befindet, auf einem kleinen dunklen Holztisch ab. Dann zieht er das Hemd aus, in das die drei Siegel eingearbeitet sind, die er täglich mitnimmt und legt es auf die blaue, hübsch verzierte Couch vor dem Tisch. Er scheint fähig zu sein das Ungleichgewicht des fehlenden Windjuwels ausgleichen zu können. Aber egal, ob er drei oder vier Götterjuwelen nutzt, zapfen sie entweder Energie von seinem Träger an, oder sie stellen sie ihm zur Verfügung. Welcher Fall von beiden eintritt, hängt allein von dessen mentaler Stärke ab. Selbst für den erfahrenen uralten König ist es anstrengend sie zu tragen oder sie über einen längeren Zeitraum zu kontrollieren, weil ihm das große Konzentration und damit eine schwere geistige Leistung abverlangt. Viele Jahrzehnte hat er benötigt, um ihren Umgang zu meistern. Deshalb hat er auch keine Angst davor, Siva könne sie an sich nehmen, denn sie wäre ohnehin nicht fähig sie zu beherrschen.
 

Er sitzt also nun geschafft mit nacktem Oberkörper vor ihr. Anstatt ihn wie geplant zu empfangen, bringt er sie völlig aus dem Takt mit seinem unmöglichen Verhalten. Siva läuft wütend aus dem Zimmer und kommt mit einen Kleidungsstück zurück, das sie ihm überwirft.

„Zieht Euch gefälligst etwas an, Ramon! Weder seid Ihr hier zu Hause, noch bin ich Eure Gattin.“

Tatsächlich hat beides sich für ihn schon so in etwa angefühlt, doch das sagt er ihr lieber nicht, denn dann würde sie wieder ausrasten. Ohne ein Wort, kommt er ihrer Bitte nach. Trotz, dass er ihren Anweisungen Folge leistet, scheint sie immer noch wütend zu sein. Es dauert nicht lang, bis ihr Anliegen aus ihr heraus platzt.

„Wie lange habt Ihr eigentlich noch vor mich hier unten einzusperren?“

Zunächst ausweichend, antwortet er:

„Setzt Euch doch bitte erst einmal zu mir, bevor Ihr so ein schweres Thema anschneidet.“

Er öffnet das Körbchen und nimmt einen, in ein Tuch eingeschlagen Teller, eine Weinflasche und zwei Gläser heraus.

„Wein?“

hört er Siva aus der Ferne fragen, die ganz plötzlich aufrecht neben ihm sitzt und ihm eines der Gläser näher heran schiebt. Während er die Flasche öffnet, sieht sie nach, was sich auf dem Teller befindet.

„Und Brombeerkuchen!“

jubelt sie erfreut.

Er lächelt entspannt und schenkt ihr ein Glas ein, welches sie sofort hinunter schüttelt und zur Neubefüllung demonstrativ vor ihn stellt. Dabei sagt sie hart:

„Glaubt nicht, dass Euch das eine Antwort erspart!“

Er schenkt ihr nach und sich auch etwas ein. Danach antwortet er mit ruhiger Stimme:

„Es gibt da eine bestimmte Sache, die ich noch herausfinden möchte, solange ich noch auf dieser Welt bin.“

Es befindet sich nur ein einziges Stück Kuchen auf dem Teller, was nur bedeuten kann, dass er selbst keines möchte. Deshalb zieht sie es an sich heran und beginnt es zu essen.

„Ich möchte langsam mal wieder die Sonne sehen. Nehmt mich doch mit auf Eure Suche!“

fordert sie schmatzend.

König Ramon nimmt sein Glas vom Tisch und trinkt einen Schluck. Er behält es in der Hand und fixiert den wunderbaren Glanz des Weines im Licht der vielen kleinen Feuer.

„Ihr würdet sofort fliehen, wenn ich Euch hier herausließe, Prinzessin.“

Sie stopft die letzten kleinen Häppchen des Kuchens in sich hinein und trinkt dann mit wenigen großen Schlucken ihr zweites Glas Wein aus. Wieder schiebt sie es fordernd zu Ramon.

„Das war viel zu wenig. Ich habe immer noch Hunger. Wollt Ihr, dass ich abmagere?“

„Das tut Ihr schon nicht, meine Liebe. Aber wenn Ihr Euch noch immer hungrig fühlt, dann kennt Ihr ja mein Angebot.“

sagt er freundlich, während er ihr ein drittes Mal nachschenkt. Damit ist die Flasche bereits leer.

„Und Ihr kennt meine Antwort darauf.“

entgegnet sie keck.

Ihr drittes Glas, trinkt sie nun genüsslich. Langsam scheint allerdings der Alkohol Wirkung zu zeigen. Selbst als Mana-i ist sie vor dessen Auswirkungen nicht gefeit, auch wenn sie etwas mehr verträgt als ein durchschnittlicher Mensch. Sie lehnt sich nach hinten und nimmt das ursprüngliche Gespräch wieder auf.

„Habt Ihr so große Angst vor dem Tod?“

Sein Glas mit beiden Händen fast schon zärtlich am Stiel vor sich haltend, beugt sich der gefallene König nach vorn.

„Warum hätte ich wohl sonst so große Mühen auf mich genommen wiederbelebt zu werden?“

Sie sieht abschätzig zu ihm und urteilt gnadenlos:

„Ihr seid so verlogen, Ramon. Ihr tötet ohne auch nur mit der Wimper zu zucken aber Euer eigenes Leben versucht Ihr mit allen Mitteln zu erhalten. Euren Angriff auf meinen Vater und auf Aiven habe ich gewiss nicht vergessen. Wie viele Menschen habt Ihr wohl im Krieg getötet? Ihr habt diese zweite Chance überhaupt nicht verdient.“

Er zerbricht den dünnen Stiel des Glases mit einem lauten Klirren. Dabei schneidet er sich an einer scharfen Bruchkante in den Finger. Der auf den Boden gefallene Kelch verteilt den Rest seines Weines auf dem Fußboden, in den nun auch ein paar seiner Bluttropfen fallen, die sich mit ihm vermischen.

Siva fixiert dieses Gemisch für einen Augenblick und stellt sich vor wie gut es wohl schmecken würde. Sofort schüttelt sie den grausigen Gedanken ab. Ihr Hunger, sein täglicher Durst nach ihrem Blut und der Alkohol scheinen sie zu verwirren. Wie festgefroren verharrt Ramon in dieser Position, bis er nach einigem Zögern auf ihr hartes Urteil eingeht:

„Wahrscheinlich bin ich dieses Leben nicht wert, deshalb lasst mich bitte noch diese eine Sache herausfinden, bevor ich Euch verlasse.“

„Die da wäre?“

reagiert sie wenig empathisch angespannt und mittlerweile seinen blutenden Finger beobachtend.

„Ich habe eine so gewagte These, dass ich sie nicht einmal aussprechen kann. Ich erzähle Euch davon, wenn ich ein Ergebnis vorzuweisen habe.“

Das klingt alles nicht sehr zufriedenstellend für Siva, doch sie muss es wohl akzeptieren.

„Geht Eure Wunde versorgen!“

weist sie ihn gereizt an und steht dabei auf, um zu gehen. Sie hat wohl doch zu schnell auf leeren Magen getrunken und taumelt etwas. Er reagiert sofort und steht ebenfalls auf, um sie zu stützen. Das angeschwipste Mädchen stößt den verletzen Mann brüllend von sich:

„Lasst mich! Ich kann alleine laufen.“

Dann geht sie ohne größere Schwankungen in ihr Zimmer. Sie musste sich extrem konzentrieren so ordentlich geradeaus zu laufen. Vor ihrem Entführer will sie sich nicht die Blöße geben.
 

Es vergeht ein wenig Zeit, bis es an ihrer Tür klopft. Ramon tritt erhobenen Hauptes ein und bringt ihr einen Krug mit Wasser und ein hübsches Kristallglas, was sie als eine Art Friedensangebot begreift. Wahrscheinlich stattet er ihr den Besuch aber nur ab, weil sie ihm nicht, wie sonst immer, direkt nach dem Essen von ihrem Blut gegeben hat. Er stellt das Tablett auf ihrem Nachtschränkchen ab, dann setzt er sich zu ihr auf das quietschende Bett. Sie hat keine Lust ihn anzusehen, als er das Wort sanft an sie richtet.

„Ihr durchschaut die Dunkelheit meiner Seele sofort. Das habt Ihr schon immer getan. Es stimmt, ich bin ein grausamer Mann, aber, glaubt es mir oder nicht, den jungen Aiven wollte ich nicht töten, Euch zuliebe.

Sagt mir, spürt Ihr diese dunklen Tendenzen nicht auch in Euch, Prinzessin? Ich habe Euch kämpfen sehen. Ihr seid so viel mächtiger und ungezähmter als ich es in Eurem Alter war. Ihr fasziniert mich.

Prinzessin Siva, es scheint wohl egal zu sein wie sehr ich Euch liebe, Ihr werdet wohl nie das Gleiche für mich empfinden.“

Die sanften ehrlichen Worte des Königs scheinen keinerlei Einfluss auf die verstimmte Prinzessin zu haben, denn sie hat nach wie vor nur Spott für ihn übrig.

„Wie könnt Ihr von Liebe sprechen, Ramon? Ihr kennt mich doch gar nicht. In Wahrheit seid nur auf mein Blut aus, um Euer jämmerliches Leben zu behalten, an welches Ihr Euch so verzweifelt klammert.“

Er streicht ihr sanft eine Haarsträhne hinters Ohr, die ihm den Anblick ihres schönen Gesichtes verwehrt hat. Ihre Worte sind unendlich verletzend für ihn, doch er ist froh, dass sie ihre wahren Gedanken ihm gegenüber geäußert hat.

„Ich bin immer aufrichtig zu Euch gewesen, was meine Gefühle betrifft. Ich glaube sogar mittlerweile, dass ich niemals einen so dummen Krieg begonnen hätte, wenn ich Euch damals schon begegnet wäre, Prinzessin. Ihr seid der erste Mensch, der mich dazu bewegt mich selbst zu überdenken, ja sogar an mir selbst zu zweifeln. Auch wenn Ihr immer so forsch zu mir seid, erlebe ich gerade die glücklichste Zeit meines Lebens. Verurteilt mich für meine Taten, das habe ich nicht anders verdient, doch meine Gefühle für Euch anzuzweifeln, ist sehr schmerzhaft für mich.“

Ramons Blick ist ihr aufrecht und ehrlich zugewandt. Langsam glaubt sie nicht mehr daran, dass er sie die ganze Zeit nur anlügt. Immerhin hat er eine Engelsgeduld mit ihr bewiesen. Außerdem hat er sie nicht ein einziges Mal angerührt, wenn man von seinen Blutdurst einmal absieht und das obwohl es ihm so stark nach ihr gelüstet.

„Wenn ich es also nun akzeptiere, dass Ihr mich liebt, hört Ihr dann auf es mir unablässig zu sagen?“

„Ja, dann gäbe es keinen Grund mehr dazu.“

Sie reicht ihm schroff ihren zarten Arm.

„In Ordnung. Bringen wir es also für heute hinter uns.“

Ihre leidenschaftslose Bereitschaft ihm ihr Blut zu geben, sagt dem gefallenen König nicht wirklich zu. Es wäre ihm lieber, wenn sie sich wieder wehren oder, noch besser, es ihr inzwischen sogar ein bisschen gefallen und sie sich erregt unter ihm winden würde. Hauptsache er erhält überhaupt eine klare Gefühlsregung von ihr. Die Prinzessin lässt sich den mächtigen König vorkommen wie einen Bittsteller und in dieser Rolle sieht er sich selbst überhaupt nicht.

Er würde nun gern den nächsten Schritt zu tun, über sie herfallen, um ihr Blut aus ihrer Halsschlagader zu trinken oder sie sich vielleicht sogar auf traditionelle Weise zu eigen zu machen.

Doch das wäre ihr gegenüber respektlos und er würde alles was er sich bisher mit ihr erarbeitet hat einfach wegwerfen. Das kann der gerissene König nicht riskieren, egal wie sehr ihn der Gedanke daran reizt.

Er kann einfach schlecht damit umgehen weder geliebt, noch gehasst zu werden. Normalerweise neigt seine Person dazu zu polarisieren. Meist wird er zwar geliebt, doch wenn er gehasst wird, dann mit Leidenschaft, so wie sein Erzfeind König Nienna seinerzeit.

Dieses Mal empfindet er, während des Trinkens, so etwas wie Scham, was in seinem langen Leben ein Novum darstellt. Er nimmt der Prinzessin weniger ab als sonst, was sie auch bemerkt.

„Wie demütig ihr heute seid...“

scherzt sie, als er sich verabschieden will und fügt fast fröhlich hinzu:

„So langsam habe ich das Gefühl mit einem richtigen Menschen zu sprechen und nicht mit einem kaltherzigen, berechnenden König. Ich bemerke auch wie verzweifelt Ihr sein müsst, Majestät. Vielleicht spricht da auch nur der Alkohol aus mir, aber dem Menschen Ramon wäre ich wahrscheinlich fähig seine Taten zu vergeben.“

Sie hat nicht die geringste Ahnung was diese Worte für ihn bedeuten. Sivas Vergebung ist für ihn wie eine Erlösung von einer alten Existenz. Vor seinem Tod hat er sich selbst als wahrhaftigen Gott angesehen, der die ganze Welt beherrschen sollte, doch das Wissen darüber was es bedeutet tatsächlich zu sterben und die Einmaligkeit dieser Frau, lassen ihn so langsam einsichtig werden. Er trägt im Moment mehr Gefühle in seiner Brust, als er sich je zu erinnern glaubte. Zwar ist ihm Empathie nach wie vor fremd, doch vieles andere fühlt und erlebt er viel intensiver als früher. Zudem ist er wieder stark harmoniebedürftig wie zuletzt in seiner Jugend, kurz bevor er verheiratet wurde. Die meisten Mana-i verspüren den Wunsch nach Ausgeglichenheit mit sich und der Welt. Deshalb gibt es auch so viel Großherzigkeit unter ihnen, auch wenn sie kein Mitgefühl empfinden können.
 

Sivas Satz an jenem Tag dient für ihn als eine Art Befreiungsschlag, der ihm die Freude des Lebens zurück gebracht hat. Er bringt nun nicht mehr nur ein Stück Kuchen für sie, sondern auch eines für sich selbst mit. Außerdem beginnt er sie im Umgang mit den Siegeln zu Schulen, was ihm bei ihr großen Respekt verschafft, denn sie zeigt großes Interesse daran. Stundenlang übt sie sich darin, die Siegel, eines nach dem anderen, zu kanalisieren. Dabei erweist sich die junge Frau als äußerst talentiert, was ihm jedoch nicht gefährlich werden kann. Der frühere Kalaßer König kramt amüsante Anekdoten aus seinem früheren Leben heraus, die er ihr nun allabendlich zu erzählen pflegt und er erklärt ihr näheres über den Umgang mit den Göttern.
 

Seine neue, fast schon fröhliche Offenheit bringt Siva eines Morgens auf ein Thema zu sprechen, welches sie schon seit dem Tag beschäftigt, als die den König wiedererweckt hat, nämlich seine Ehefrau. Er ist schon auf dem Sprung zu seinem täglichen Forschungsausflug und will sich gerade aus seinem Sessel erheben, als sie fragt:

„Wartet bitte. Erzählt mir von Eurer Frau, bevor Ihr geht.“

Er setzt sich wieder bequemer.

„Also gut. Was wollt Ihr denn wissen, Prinzessin Siva?“

Etwas verlegen lehnt sie sich nach hinten und schlägt die Beine übereinander, um es zu überspielen. Zielgerichtet fragt sie ihn aus, aber ins Gesicht sehen kann sie dem eleganten Mann dabei nicht.

„Was war sie für ein Mensch? War sie mir ähnlich? Habt Ihr sie geliebt?“

Zugegebenermaßen freut er sich über diese sehr persönlichen Fragen, woraus er keinen Hehl machen möchte.

„Eure Fragen möchte ich sehr gern beantworten, wenn es Euch hilft.

Madlene war eine sehr einflussreiche, aber auch humorlose und kontrollierte Frau, der Ansehen und Etikette sehr viel mehr bedeuteten, als ein angenehmes Leben zu führen. Sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit Euch, Prinzessin. Für sie kam nur ein Mann reinster Abstammung in Frage, weshalb sie darauf bestand mich zu ehelichen. Ich war ein spätes Einzelkind sehr alter und edler Adliger und deshalb bereits damals der mit Abstand reinste unter den Mana-i, weshalb ich als bester Anwärter für den Thron gehandelt wurde. Damals hat man die Regentschaft nach genau einhundert Jahren weitergereicht, ein Gesetz, welches ich selbst während meiner Herrschaft gekippt habe.

Wie auch immer. Schon im Kindesalter wurde ich Madlene versprochen. Als ich achtzehn wurde, hat man uns vermählt. Sie war fünfzehn Jahre älter als ich, was bei Unsterblichen wie uns keine Rolle spielen sollte.

Eure Frage nach Liebe sollte damit ebenfalls beantwortet sein. Als ich nach achtzig zehrenden Ehejahren zum König ernannt wurde, versuchte sie über mich Einfluss auf die Regierungsgeschäfte auszuüben. Ich schloss sie davon aus, weshalb sie sich, gemeinsam mit unseren drei Kindern, gegen mich verschwor. Da sich Mana-i für ein ganzes Leben binden und ich als König eine Vorbildfunktion hatte, musste ich sie ertragen. Vor Euch habe ich zweimal in meinem Leben wirklich geliebt. Das Eheversprechen löste mich von meiner ersten Liebe Quinya, einer yokener Prinzessin mit seidenem, weißen Haar. Im Andenken an mich verweigerte sie die Ehe fortan und wurde verstoßen, wofür ich die Schuld bekam. Madlene verbot mir sie in Kalaß aufzunehmen, mit gutem Grund möchte ich meinen. Leider sorgte sie auch für ein frühes Ableben meiner Liebsten, der weißen Mondlilie, wie ich sie nannte. Erst viele Jahrhunderte später verliebte ich mich erneut. Das schöne Menschenmädchen Lyrielle erinnerte mich so sehr an meine weiße Mondlilie, dass ich ihr verfiel. Doch sie war nur eine Illusion, eine Kunstfigur, eine List meiner Königin, um mir näher zu kommen, mich zu belauschen und bei meinen Entscheidungen zu lenken. Das mag für Euch vielleicht verrückt klingen, aber auch wenn ich den Schwindel früh bemerkte, so genoss ich die Reinkarnation meiner ersten Liebe.

Und nun sehe ich Euch vor mir, Prinzessin und ihr seid anders als jede Frau, die ich vor Euch kannte. Durch Euch wurde ich wiedergeboren und nun durchlebe ich ein zweites Mal meine Jugend.“

Ramons Redseligkeit hat Siva überrascht. Anscheinend hat der gefallene König viel mehr verletzliche Seiten an sich, als sie es für möglich gehalten hätte.

„Was ist aus dem zweiten Mädchen geworden?“

fragt sie verwundert darüber, dass er diesen Teil ausgespart hat.

Er lächelt sanft im Andenken an Lyrielle.

„Es nahm kein schönes Ende, Siva. Zu viel hatte ich ihr in jener schwülen Nacht erzählt, zu loyal war sie unserer Königin. Ich hatte keine andere Wahl als den Zauber zu brechen.“

„Die Zeiten waren früher anscheinend viel härter als die heutigen. Das wusste ich nicht.“

schließt die Prinzessin.

Ramon erhebt sich nun von seinem Platz und sagt gespielt lächelnd, um zu versichern, dass er das alles schon lange verwunden hätte:

„Es gibt vieles, dass Ihr nicht wisst. Ich bin zum Beispiel ein recht passabler Pianist und ein begnadeter Liebhaber.“

Als die junge Frau beginnt über seine freche Aussage zu wettern, („Ihr seid so ein Lüstling. Als ob mich das interessieren würde!“) verabschiedet er sich, sie übertönend:

„Ich mache mich nun auf den Weg. Schlaft gut, Prinzessin.“

und kehrt ihr den Rücken zu.

Sie schimpft ihm noch einige Zeit hinterher, was ihm auch noch Vergnügen zu bereiten scheint. Sie ist wirklich einfach zu ärgern.
 

Fragen beantwortet Ramon gern und ausführlich. Selbst dieses indiskrete Anliegen hat ihn nicht aus der Ruhe gebracht. Das gefällt Siva, denn endlich erfährt sie etwas mehr über ihren Ursprung. Das ist die Prinzessin von zu Hause nicht gewohnt, wo über vielen Themen der Mantel des Schweigens lag. Nico erzählte zwar immer gern Geschichten, doch diese bezogen sich stets nur auf seine Militärzeit und seinen Aufstieg zum König. Darüber hinaus herrschte ein striktes Redeverbot.

Alles in allem könnte man fast meinen die Prinzessin und der gefallene König würden sich anfreunden, wenn da nicht diese dumme Sache mit dem Freiheitsentzug wäre. Er ist nach wie vor der festen Überzeugung sie würde unmittelbar fliehen, wenn er ihr Freigang gewährt, deshalb kann er dieses Risiko nicht eingehen, so lange bis das Rätsel geklärt ist, dass ihn so beschäftigt.



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