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Balance Defenders Kurzgeschichten

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Die Protastik-Aufgabe lautete: „Deine verzweifeltste Figur findet ein Behältnis mit einem Flaschengeist. Was passiert?“

Diese Protastik-Geschichte setzt an einem Punkt im dritten Band von BalanceDefenders an. Komplett anzeigen

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Eriks Wunsch

Seine Atmung war schwer, als drohe er zu ersticken, doch er nahm es längst nicht mehr wahr.

Gedankenfetzen jagten durch seinen Geist, immer wieder.

‚Du musst dich unbedingt besser um Erik kümmern! Er glaubt, du liebst ihn nicht.‘

Der Blick seines Vaters.

Er zitterte.

Dann entdeckte er auf dem Boden seines Zimmers ein kleines Fläschchen, das orientalisch anmutete. Etwas so Geschmackloses konnte nur ein Abschiedsgeschenk seiner Tante sein.

Grob packte er das Fläschchen und wollte es an die Wand schleudern, es zerschellen sehen, doch die Kraft verließ ihn.

Er sackte in sich zusammen und wollte sterben. Nein, er wollte nicht mehr existieren.

Er wünschte sich, nicht länger er zu sein!

Hilflose Schluchzer entrangen sich seiner Kehle. Wieso konnte er nicht einfach anders sein? Nicht wie er!

Die völlige Ohnmacht ließ seinen gesamten Körper erbeben. Dass er noch immer das kleine Glasfläschchen in Händen hielt, hatte keinerlei Bedeutung für ihn. Der Schleier der Verzweiflung vernebelte seine Sinne.

 

Als Erik die Augen wieder öffnete, fand er sich in der Schule wieder.

Verwirrt fasste er sich an den Kopf. Er konnte sich nicht an den Morgen erinnern oder wie er hier hergekommen war. Auch hatte er seine Kuriertasche nicht um und trug keine Jacke.

Ein jähes Schaudern erfasste ihn, automatisch drehte er sich um und erstarrte.

Ein junger Mann mit schwarzen Haaren und stechend blaugrünen Augen in einer Lederjacke, eine Kuriertasche um die rechte Schulter, kam auf ihn zu. Das war – er!

Sein Doppelgänger schien ihn gar nicht erst wahrzunehmen. Ungebremst lief er auf ihn zu. Vor Schock war Erik nicht fähig, sich zu bewegen. Das war auch gar nicht nötig.

Der Schwarzhaarige lief durch ihn hindurch, als bestünde er nur aus Luft.

Erik wurde panisch und starrte seine Hände an. Wieder zitterte er.

Das konnte nicht wahr sein, das durfte nicht wahr sein.

Für weitere Momente stand er so da, von der ganzen Situation überfordert. Dann blickte er wieder auf und erkannte Vitali. Sein lockerer Gang, die eher schlaksige Statur.

Ehe Erik sich versah, war er auf ihn zu gerannt. Doch Vitali nahm keine Notiz von ihm, er gähnte herzhaft, so wie er es häufig montagmorgens tat.

Erik wich aus. Auf eine Wiederholung der verstörenden Erfahrung, dass man durch ihn hindurchgehen konnte, wollte er verzichten.

Da er nicht wusste, was er anderes tun sollte, folgte er Vitali ins Klassenzimmer.

„Jo.“, gab Vitali von sich. Das war seine Art, ihn zu grüßen, wenn er eigentlich zu müde dazu war.

Sein Doppelgänger wandte sich halb zu Vitali und schaute, als wäre es unter seiner Würde, mit jemandem wie ihm auch nur ein Wort zu wechseln.

Vitali ließ sich davon nicht beirren. „Mi’m falschen Fuß aufgestanden?“

Der Doppelgänger drehte sich von ihm weg.

„Ey.“ Vitali boxte ihm freundschaftlich gegen den Oberarm.

Der falsche Erik warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

„Hast du deine Tage oder was?“, fragte Vitali verständnislos.

In diesem Moment hörte Erik hinter sich Arianes Stimme.

„Guten Morgen.“, sagte sie freundlich wie immer, während Serena schweigend mit ihr das Zimmer betrat.

„Erik hat seine Tage.“, antwortete Vitali leichthin.

Serena zischte. „Wahrscheinlich hält er bloß dein blödes Geschwätz nicht mehr aus.“

Vitali wandte sich zurück an den Doppelgänger und grinste. „Hey, euer Zyklus ist synchron!“

Serena kreischte: „Halt die Klappe!“

„Was kann ich dafür, dass ihr schlechte Laune habt?“, meinte Vitali.

„Sie wäre weniger schlecht, wenn du still wärst!“, gab Serena zurück.

„Ach Quatsch.“, dementierte Vitali. „Ich bin das einzige, das euch aufheitert.“ Er grinste breit.

Ariane konnte ihre Belustigung nicht verstecken.

Geräuschvoll schob der Doppelgänger seinen Stuhl zurück, packte seine Jacke und die Tasche und ging zu einem freien Platz in der letzten Reihe.

Vitalis Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er damit nun wirklich nicht gerechnet hatte, auch Ariane und Serena wirkten davon völlig aus dem Konzept gebracht.

Vitali versuchte mimisch von Ariane zu erfahren, was vor sich ging, doch sie war offensichtlich genauso überfragt, während sich Sorge auf Serenas Gesicht breit machte.

Vivien und Justin trafen im Klassenzimmer ein.

„Hi!“, rief Vivien, doch sobald sie die Gesichter der anderen sah und Eriks freien Platz neben Vitali bemerkte, änderte sich ihr Gesichtsausdruck.

Ariane deutete möglichst vorsichtig nach hinten, wo der Doppelgänger Platz genommen hatte.

„Was ist passiert?“, fragte Justin möglichst leise.

Ariane schüttelte den Kopf, um anzudeuten, dass sie das selbst nicht wusste.

Im gleichen Moment löste sich Vivien von ihnen und lief schnurstracks zu dem Doppelgänger. Erik folgte ihr.

„Hi.“, grüßte sie.

Der Doppelgänger ignorierte sie.

„Es ist okay, wenn du Abstand brauchst. Wir sind für dich da, sobald du es willst.“ Mit diesen Worten ging Vivien zurück zu den anderen. Erik tat es ihr gleich.

„Was hast du ihm gesagt?“, flüsterte Ariane.

Vivien lächelte. „Dass wir für ihn da sind, wenn er dafür bereit ist.“

An Arianes zweifelndem Gesichtsausdruck war abzulesen, dass sie sich davon keine großen Erfolgschancen versprach.

Herr Mayer, ihr Wirtschafts- und Klassenlehrer, betrat den Raum und wies sie dazu an, ihre Plätze einzunehmen. Auch ihm entging der leere Platz neben Vitali nicht.

„Ist Erik krank?“

Beleidigt verzog Vitali das Gesicht, er hatte offenbar keine Lust, den Lehrer darauf hinzuweisen, dass der vermeintliche Erik sich nach hinten verzogen hatte.

Erik konnte sehen, dass sein Doppelgänger die Hand hob und damit auf sich aufmerksam machte.

„Habt ihr euch gestritten?“, fragte Herr Mayer frei heraus und deutlich irritiert.

Vitalis Mund formte sich noch mehr zu einem Schmollmund.

Herr Mayer seufzte und ließ die Sache auf sich beruhen.

In Ermangelung einer besseren Alternative nahm Erik seinen üblichen Platz neben Vitali ein.

Die ganze Situation war noch immer zu viel für ihn. Und zum allerersten Mal sehnte er sich danach, dass andere ihn berühren konnten.

Die Wirtschafts-Doppelstunde nutzte er dazu, die anderen fünf zu beobachten. Zu gerne hätte er Vitali bei seinen Verständnisproblemen geholfen. Vitali war immer schnell im Begreifen, es brauchte nur einen kleinen Stupser in die richtige Richtung, doch unsichtbar und lautlos wie er war, konnte er ihm den nicht geben.

Dafür konnte er ohne Probleme aufstehen und sich zu den anderen stellen.

Ariane lugte immer wieder zu seinem Doppelgänger nach hinten. Es war offensichtlich, dass sie die ganze Sache sehr mitnahm.

Er hätte ihr gerne versichert, dass – Er wusste nicht was.

Ein stummer Seufzer entfuhr ihm.

Was sollte er nur tun?

Er ging zurück an seinen Platz und bettete den Kopf auf die Tischplatte, etwas, das er sich sonst nie erlaubt hätte. Die Hoffnung, dass er vielleicht einfach einschlafen und dann in seinem Bett erwachen würde, kam in ihm auf. Doch als die Schulglocke die erste fünfzehn Minuten Pause einläutete, war er noch immer da, unsichtbar.

Sobald Herr Mayer den Raum verlassen hatte, stand Ariane auf.

Erhobenen Hauptes lief sie nach hinten, wo sich der Doppelgänger hingesetzt hatte. Erik sah ihr an, wie viel Überwindung sie das kostete. Sie war eigentlich viel zu stolz, um ihm hinterherzulaufen. Dass sie sich dennoch dazu genötigt sah, schmerzte ihn irgendwie.

Seine Rechte ballte sich zur Faust. Am liebsten hätte er diesen Doppelgänger dafür bestraft. Stattdessen erhob er sich, um aus nächster Nähe zu erfahren, was Ariane vorhatte.

„Können wir … reden?“, fragte sie leise.

Dass die Blicke der ganzen Klasse auf sie gerichtet waren, machte es ihr noch schwerer, da war Erik sich sicher. Bestimmt würde sofort das Gerücht umgehen, dass sie ihm ein Liebesgeständnis machen wollte.

Schon allein weil sie sich dem aussetzte, hätte er ihr diesen Gefallen getan, egal wie wütend er gewesen wäre.

„Ich sehe keinen Grund dafür.“, sagte dagegen der Doppelgänger kalt.

Erik entging nicht, wie getroffen Ariane von den Worten war.

Kurz wurde ihr Atem schwer, dann wandte sie sich um und ging von ihm weg. Erik konnte an der Beherrschtheit ihrer Schritte erkennen, wie aufgewühlt sie war. Anstatt sich zurück an ihren Platz zu setzen, ging sie aus dem Klassenzimmer. Er blieb an ihrer Seite, beobachtete ihre Mimik.

Er glaubte, verstehen zu können, dass sie nicht wusste, wohin mit ihren Gefühlen, die sie nicht in der Öffentlichkeit zeigen konnte. Er kannte diesen Schmerz nur allzu gut.

Kurz verspürte er den Impuls, sie am Arm zu berühren, stoppte sich aber noch rechtzeitig. Er konnte sich das nicht länger ansehen.

Schnellen Schrittes ging er zurück ins Klassenzimmer.

Er sah, dass Serena besorgt war, nun auch um Ariane. Dagegen wirkte Vitali, als würde er gleich platzen.

Vitali sprang von seinem Sitzplatz auf, er machte sich nicht die Mühe, zu dem Doppelgänger nach hinten zu gehen.

„Was ist dein verdammtes Problem?!“, brüllte er.

Der Doppelgänger ignorierte ihn, als hätte er gar nicht mitbekommen, dass er gemeint war.

„Vitali.“, sagte Justin tadelnd, in einem Versuch, ihn zur Vernunft zu bringen.

„Ich will wissen, was das soll!“, schrie Vitali nun Justin an.

„Was is’n los?“, mischte sich Erkan, der Klassensprecher, ein. „Ehekrise?“

Vitali schnaubte und flüchtete aus dem Klassenzimmer.

Erik sah, dass Serenas Verzweiflung wuchs. Hilflos drehte sie sich zu Vivien. Dann stand sie auf und folgte Vitali nach.

Derweil ergriff Erkan nochmals das Wort. „Hey, was is’n mit dir und deiner Sippe?“

Die anderen Klassenkameraden warteten ebenso gespannt auf die Antwort des Doppelgängers.

Der Doppelgänger stand auf. Ohne zu antworten, verließ er ebenfalls das Klassenzimmer. Im gleichen Moment sprang Vivien auf und eilte ihm nach. Justin zögerte.

„Hey Justin, was geht bei euch?“, wurde nun er von Erkan gefragt.

Erik wartete Justins Antwort nicht ab, sondern rannte Vivien nach.

„Erik!“, schrie Vivien.

Der Doppelgänger blieb im Gang stehen.

Vivien hastete an seine Seite. „Ich will nur verstehen, warum du wütend bist.“

„Ich bin nicht wütend.“, sagte der Doppelgänger kalt. „Es ist unnötig, Zeit mit euch zu verbringen.“

„Unnötig?“

„Ich wechsle zurück aufs Internat.“

Erik glaubte, sich verhört zu haben.

„Wenn dich das glücklich macht.“, antwortete Vivien und Erik wusste, dass sie das sagte, um ihn wütend zu machen. Sie war gut genug darin, andere zu durchschauen, um zu wissen, dass eine Rückkehr aufs Internat einer Niederlage gleichkam.

Der Doppelgänger antwortete nicht.

„Dein Vater wird sich freuen!“, rief sie euphorisch aus. Erik hätte sie dafür angeschrien, doch seinen Doppelgänger ließen die Worte kalt.

Dann bemerkte Erik, dass Justin ebenfalls in den Gang getreten war.

„Was ist los?“, fragte er besorgt.

Vivien wandte sich strahlend zu ihm. „Erik geht zurück aufs Internat. Und weil er uns nicht das Herz brechen wollte, dachte er, es wäre besser, auf Abstand zu gehen.“

Der kalte Blick des Doppelgängers traf Vivien. „Ihr spielt nicht in meiner Liga.“

„Ach, ich kann überall spielen.“, entgegnete Vivien überzeugt.

Die Augen des Doppelgängers verengten sich. „Hör zu. Was auch immer du dir einredest, ihr werdet nie gut genug für mich sein.“

Justin trafen die Worte sichtlich. Vivien dagegen blieb gelassen.

„Ich hatte nicht den Anspruch, gut genug zu sein.“

Justin trat heran und griff nach ihrem Arm. „Vivien.“

„Gib dich mit deinesgleichen ab.“, sagte der Doppelgänger hart und warf Justin einen abschätzigen Blick zu.

Justins Gesichtsausdruck wurde hart. „Was auch immer mit dir los ist, so kannst du nicht mit ihr reden.“

Der Doppelgänger schnaubte verächtlich. „Glaubst du, wenn du sie verteidigst, entwickelt sie plötzlich Gefühle für dich?“

Schock und Schmerz traten in Justins Gesicht, hastig ließ er von Vivien ab. 

Erik spürte Wut, wusste er doch, dass Justin sich ständig ausredete, dass Vivien mehr als nur einen guten Freund in ihm sah. Dann fiel sein Blick auf Vivien.

So sehr sie eben noch gelächelt und wie wenig sie auf die Worte seines Doppelgängers gegeben hatte, der Angriff auf Justin hatte etwas in ihr ausgelöst.

„Es reicht.“, sagte sie ernst.

„Auf einmal?“, spottete Eriks Doppelgänger.

„Wenn du uns wehtun willst, um uns fernzuhalten, verletzt du damit am meisten dich selbst.“

Der Doppelgänger stieß ein belustigtes Geräusch aus und trat einen Schritt auf Vivien zu. Von oben herab sah er sie an. „Zu drollig, wie du dir einredest, dass die Leute dich nicht einfach nur nervig finden. Dabei kennst du doch die Wahrheit.“

„Hör auf!“ Erst als er seine eigene Stimme wahrnahm, bemerkte Erik, dass er schrie, auch wenn es niemand hören konnte.

Ein Blick auf Vivien bestätigte nur, was er bereits wusste. Die Worte des Doppelgängers hatten ihr Inneres in Stücke geschlagen.

Hass packte Erik.

Vivien und die anderen, jeder von ihnen, sie alle waren seine F-

Er konnte das Wort nicht einmal gedanklich aussprechen. Doch die Feuchtigkeit, die sich in seinen Augen sammelte, machte ihm klar, wie emotional er war.

Er wollte das nicht. Er wollte nicht, dass ihnen wehgetan wurde.

Wieso konnten sie ihn nicht einfach ignorieren? Wieso mussten sie sich von seinem Doppelgänger verletzen lassen? Wieso?!

Er ballte die Hände zu Fäusten und wurde von stummen Schluchzern geschüttelt.

Er wusste, wieso.

Tränen lösten sich aus seinen Augen.

Sie waren seine Familie.

Er wollte bei ihnen sein!

Das war doch alles, was er sich wünschte!

Eine seltsame Taubheit ermächtigte sich seiner, als würden Nebelschwaden sein Denken erschweren. Müdigkeit und Erschöpfung drückten auf seinen Kopf. Ihm war, als würde er hinfortgerissen werden.

 

Erik rang nach Atem, er spürte, dass er am Boden kauerte. Der Schwindel ließ nach.

Verwirrt schlug er die Augen auf und fand sich in seinem Zimmer wieder.

War das eine Wahnvorstellung gewesen?

In seiner Linken bemerkte er das fremdartige Fläschchen von zuvor. Überstürzt riss er sich davon los, als jage es ihm Angst ein.

Es war albern, aber was, wenn …

Der Wunsch, nicht er sein zu wollen, war dumm gewesen. In Wirklichkeit wollte er, dass ihm seine Identität nicht länger solche Schmerzen bereitete. Sein Blick fiel auf den großen Spiegel im hinteren Ende seines Zimmers. Er erhob sich.



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