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Balance Defenders Kurzgeschichten

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Zum heutigen #Protastiktag lautet die Aufgabe:
„In einer Bar trifft deine Lieblingsfigur in Abenteuerlaune auf Lilith. Was passiert?“

Da ich bei dem Thema Lilith direkt an die traditionelle Dichotomie Heilige vs. Hure denken musste, schicke ich meine kleine Ewigkeit ins Rennen – zumal sie sich am meisten darüber freut. 😄

Die #Protastik #Schreibchallenge von @ankebecker_a , @lucas_snowhite und @christinamariehuhn – alias #ProtasaufAbwegen – steht heute im Zeichen der neu erschienenen Kurzgeschichtensammlung „Scherben einer Göttin“ , in der sich 18 Autor*innen der sagenumwobene Frauengestalt #Lilith jeweils literarisch gewidmet haben.
Im Rahmen dessen gab es vom 18.-24.07.2023 auch eine #Kreativchallenge bzw. ein #Gewinnspiel , für das man ein literarisches oder sonstwie künstlerisches Werk zu Lilith veröffentlichen sollte. Komplett anzeigen

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Treffen mit Lilith (Ewigkeit)

Ewigkeit war aufgeregt! Eine neue Protastikaufgabe und sie durfte sie erfüllen!

‚Lilith‘ – das klang schön, wie eine Blume oder ein Mineral. Ihre durchscheinenden Schmetterlingsflügel bewegten sich vorfreudig.

Bisher war sie noch nie in einer Bar gewesen! Zu dieser späten Stunde durften die Beschützer sie auch nicht dorthin begleiten. Doch Ewigkeit war guter Dinge. Es gab ja ohnehin kaum Menschen, die sie sehen konnten, notfalls würde sie sich einfach direkt wieder zu den Beschützern teleportieren. Sie strich ihr perlmuttartig glänzendes Kleid zurecht, ein Gedanke genügte und sie fand sich im Inneren ihres Zielortes wieder.

Es war laut und stickig, Zigarettenrauch stieg ihr in Augen und Nase und ließ sie schnauben. Hastig schwebte sie weiter in das Innere, vorbei an einem Bartresen, an dem auf Hockern Menschen saßen, die Ewigkeit riesig vorkamen. Aber sie selbst war ja auch kaum so groß wie eine Hand. Der Barkeeper schüttelte ein metallisch glänzendes Behältnis, als würde er ein Musikinstrument zum Klingen bringen wollen, doch Ewigkeit konnte keine melodischen Töne wahrnehmen, zumal laute Musik in tiefem Bass den Raum erfüllte. Sie verfolgte interessiert das Schauspiel des Barkeepers, bis dieser den metallenen Gegenstand in zwei brach und dessen Inneres entleerte. Ewigkeit war davon beeindruckt und wurde zum Nachdenken gebracht.

Ob Lilith ein Mensch war? Keiner hatte ihr das so genau mitgeteilt. Vielleicht handelte es sich ja auch um eine Sache oder um ein Prinzip!

Es zog sie weiter nach hinten, wo ein ungewöhnlicher Tisch beleuchtet wurde, auf dem bunte Kugeln lagen. Ob des Anblicks von etwas Farbigem in der düsteren Umgebung ein fröhliches Glöckchenläuten ausstoßend, flog sie näher heran. Eine Frau mit langen schwarzen Haaren und dunklem Teint stand an dem Tisch. Sie hielt etwas langes Hölzernes in der Hand, mit dem sie eine weiße Kugel anstieß. Die weiße prallte gegen die bunten Kugeln. Davon in Aufruhr versetzt, flohen diese den Stoß und stürzten in eine unbekannte Tiefe. Das Schauspiel faszinierte Ewigkeit. Ihr Glöckchenlaut erklang.

Jäh richteten sich die Augen der Frau auf sie.

Ewigkeit erschrak und machte einen reflexartigen Satz nach hinten. Die Regenbogenhaut der Unbekannten war im Kontrast zu ihren Haaren und der gebräunten Haut unglaublich hell und erinnerte an Quecksilber. Entgegen Ewigkeits Annahme wandte die Frau ihren Blick nicht direkt wieder ab. Stattdessen richtete sie sich zu voller Größe auf, ihre Lippen formten ein verschwörerisches Lächeln, als würde sie sie begrüßen. Ewigkeit war zu perplex, um darauf direkt zu reagieren. Die Fremde machte eine auffordernde Bewegung mit ihrem Kopf und wandte sich um. Ewigkeit war verwirrt, aber folgte der Unbekannten durch eine Tür.

Hier war es noch dunkler, der Lärm der Musik blieb zurück und war nur noch als tiefes Wummern zu hören. Die Schwarzhaarige öffnete eine weitere Tür und bedeutete ihr mit einer Armbewegung einzutreten. Ewigkeit kam der Aufforderung nach.

Es handelte sich um einen kleinen Raum mit einem schwarzen Ledersofa und einem niedrigen, dunklen Tisch davor. In der Ecke stand ein beleuchtetes Aquarium, doch keine Fische bevölkerten sein Inneres, vielmehr schien es die Ruinen einer vergessenen Welt zu beherbergen.

Die geheimnisvolle Frau nahm auf dem Sofa Platz, lehnte sich geradezu gebieterisch zurück und stützte ihre Arme auf das Polster hinter sich. „Wie ist dein Name?“

Der Klang ihrer Stimme ließ Ewigkeit stocken. Eine unermessliche Tiefe schwang darin, die weniger in der Tonhöhe als vielmehr zwischen den Tönen schwang. Mit glockenheller Stimme antwortete sie ihr. „Ewigkeit.“

Wieder lächelte die Frau auf undurchsichtige Weise. „Ich bin die, die du gesucht hast.“

Vor fröhlicher Erregung bewegten sich Ewigkeits Flügel und sandten dabei sternenstaubartigen Glanz aus. Lilith beobachtete sie eingängig. „Weißt du, wer ich bin?“

„Du bist Lilith!“, rief Ewigkeit begeistert.

„So werde ich genannt.“, bestätigte die Frau. „Aber weißt du, was das bedeutet?“

Ewigkeit schüttelte ihren weißblonden Lockenkopf und strahlte.

Lilith nahm die Arme von der Rückenlehne, ihr Gesichtsausdruck wirkte nun ernster. Mit gesetzter Stimme sprach sie:

„Eine Hälfte der ersten beiden Menschen. Sie wollte die gleichen Rechte haben wie ihr Gegenstück. Doch nachdem sie ihr verwehrt wurden, floh sie aus dem vermeintlichen Paradies und ihre Kinder“, sie hielt kurz inne, ihre Augen wanderten zu Boden, „… wurden Dämonen.“

Ewigkeit zuckte zusammen.

„Fürchtest du dich?“ Ihr Ton klang so nüchtern, als stünde die Antwort längst fest, von Anbeginn der Zeit.

Ewigkeit dachte über die Frage nach. Dämon war ein anderes Wort für Lichtlose, Kreaturen wie die Schatthen und die Allpträume. War Lilith also eine Schatthenmeisterin? Aber sie hatte von ihren Kindern gesprochen… Die unliebsame Erinnerung daran, wie die Allpträume sie umkreist und als Dämon bezeichnet hatten, kam zurück. Ewigkeit zog die Schultern an und umklammerte ihr goldenes Medaillon.

„Sind … alle Dämonen deine Kinder?“, fragte sie zögerlich.

Ein gütiges Lächeln breitete sich auf Liliths feingeschwungenen Lippen aus, doch ihr Blick drückte Autorität aus. Sie schwieg.

„Wieso wurden deine Kinder Dämonen?“, wollte Ewigkeit stattdessen wissen.

Lilith beugte sich vor, ihre quecksilberfarbenen Augen glühten regelrecht. „Als Strafe.“

Sie lehnte sich wieder zurück. „Was weißt du über Dämonen?“

„Sie werden von Schatthenmeistern aus Emotionen geschaffen.“

Lilith wischte mit der Rechten durch die Luft. „Das sind keine vollständigen Dämonen. Wahre Dämonen sind keine bloßen Gefühlsauswüchse. Aber mit einem hast du Recht.“ Wieder wirkte ihr Blick lauernd. „Was sind Schatthenmeister?“

Ewigkeit blinzelte. „Menschen.“

Ein Grinsen Liliths machte deutlich, dass sie die richtige Antwort gegeben hatte. „Menschen können auch andere Menschen zu Dämonen machen.“

Ewigkeit riss die Augen auf.

Lilith hob ihre Hände. Etwas wurde daran sichtbar, ein unsichtbarer Verwesungsprozess, ein grauer Schleier, ein Dampf, der von ihren Händen ihre Unterarme hinabtropfte. Auch ohne Worte verstand Ewigkeit. Das, was sie da sah, war etwas, das Menschen Lilith angetan hatten.

„Jeder hat eine Wahl. Andere tragen nicht die Schuld an der unseren. Aber manchmal reicht der Glaube anderer, um uns zu dem zu machen, was sie in uns sehen. Egal, was sie in uns sehen.“

Ewigkeit glaubte, kurze Anspannung in Liliths Gesicht zu sehen, die sofort wieder verschwand. „Du hast Glück. Es gibt Menschen, die dich SO sehen.“ Sie verwies auf Ewigkeits lichtdurchflutete Gestalt.

Ewigkeit spürte die Tränen und konnte nicht anders als zu weinen. Die heftigen Emotionen, die Liliths Worte in ihr auslösten, waren so schmerzhaft, das sie es kaum ertragen konnte.

„Schh.. Schh…“, machte Lilith. „Das ist nichts, wofür du dich schämen müsstest. Es ist tröstlich, eine Schwester zu treffen, die von dem Fluch verschont blieb.“

Wimmernd bemühte sich Ewigkeit, sich zu beruhigen, aber sie konnte nicht. Sie hörte, wie Lilith sich erhob. Im nächsten Moment war sie direkt vor sie getreten.

„Menschen sind Monster.“, sagte sie bitter. „Aber…“ Ihre verseuchte Hand hob sich. Nahe Ewigkeit verharrte sie in der Luft, sodass Ewigkeits Leuchten auf sie fiel. Lilith schloss die Augen, schien den Moment in sich aufzunehmen. Ihre Augen öffneten sich wieder, etwas Verletzliches lag jenseits der Finsternis ihrer Pupillen. „… manche bringen auch Licht in den Schmerz.“ Ihre Lippen pressten sich kurz aufeinander. „Das macht es nur noch qualvoller.“ Etwas wie Hass blitzte in ihren Augen auf und Ewigkeit teleportierte sich gerade noch rechtzeitig in weitere Entfernung.

„Verschwinde!“, brüllte Lilith mit gebrochener Stimme.

Ewigkeit verharrte an ihrem Platz.

Lilith gewann ihre Fassung wieder und wandte sich um. „Verschwinde, bevor ich dich töte.“

Ein zarter tröstlicher Klang, wie ein Windspiel so sacht, umschwebte Ewigkeits Wesen.

Lilith spießte sie mit Blicken auf. „Du verstehst nichts von der Dunkelheit.“

Ewigkeits Ausstrahlung änderte sich, etwas so zeitlos Weises trat hinzu, dass Lilith kurz wie gelähmt davon war. Widerwillig schüttelte sie den Kopf. „Ich habe es damals schon gesagt und ich werde es wieder sagen: Kein Paradies für mich. Ich kann nicht verzeihen, nicht ihm und erst recht nicht –“ Sie unterbrach sich und starrte vor sich hin.

Ewigkeit begriff, wem sie nicht verzeihen und wessen Fluch sie nicht abstreifen konnte. Tiefe Traurigkeit erfasste sie.

„Geh jetzt.“, flüsterte Lilith, ohne sie anzusehen.

Kurz überlegte Ewigkeit, ihr zu sagen, dass sie keinen Grund hatte, sich selbst so zu zerstören, aber … Resigniert senkte sie den Blick. Sie wusste, dass es nichts bringen würde. Ihr blieb nur zu vertrauen, darauf, dass Liliths Weg sie eines Tages dazu führen würde, das gleiche zu sehen wie sie: Einen Engel, der hingefallen war und sich bisher nur noch nicht getraut hatte, wieder aufzustehen. Sanft lächelte sie.

Eines Tages würde sich Lilith über die Vergangenheit erheben und frei fliegen können. Frei wie der Wind.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Weil ich selbst es liebe, wenn Autoren mich einweihen, welche Gedanken sie sich beim Schreiben gemacht haben, wollte ich das diesmal mit euch teilen.


Hinter den Kulissen –Gedanken zur Geschichte und den Symbolen

Liliths Ausspruch „Ich habe es damals schon gesagt und ich werde es wieder sagen: Kein Paradies für mich.“, bezieht sich auf die Legende, dass drei Engel Lilith nach ihrer Flucht zurück zu Adam holen sollten, sie dies jedoch ablehnte. (Riesen gelten übrigens als Nachkommen von Engeln und Menschenfrauen.) Die Themen Flucht, Fall und Ruinen sind mehrfach angedeutet. Warum aber quecksilberfarbene Augen?
Quecksilber ist das einzige Metall, das bei Raumtemperatur flüssig ist, sein Name bedeutet so viel wie quicklebendiges Silber. Ich wollte damit die nicht greifbare Natur Liliths unterstreichen, die sich nicht in starren Strukturen halten lässt. Das alchemistische Symbol des Quecksilbers ist dasselbe wie für den Merkur, also eine Kreis, der auf einem Kreuz thront und oben etwas hat, das fast wie zwei Hörner aussieht. Man könnte es auch als Weiblichkeitssymbol mit Hörnern umdeuten.
Quecksilber wurde früher sehr häufig als Arzneimittel eingesetzt, z.B. gegen die Lustseuche Syphilis. Allerdings war das nicht sonderlich gesund. In der Homöopathie wird es in potenzierter Form als Mercurius verwendet. Insbesondere einige Gemütssymptome fand ich dabei passend für Lilith: „Heftige, schreckliche Impulse: zu morden; sich umzubringen. Angst, die ihn weit jagen könnte, als wenn er etwas verbrochen hätte oder ihm ein Unglück bevorstünde. Fast unwiderstehlicher Trieb in die Entfernung zu reisen. (Man denke an Liliths Flucht aus dem Paradies). Schmutzig an Geist und Körper. Lebensüberdruss.“ G.H.G. Jahr nennt außerdem: „Unaussprechliches Gefühl innern, unerträglichen Übels, als stehe er Höllenmarter aus“. Außerdem ist die typische Verschlechterungszeit von Mercurius nachts.
Übrigens wurde und wird teilweise noch heute Quecksilber für die Goldgewinnung verwendet. Und die Farbe Silber wird typischerweise mit dem Mond assoziiert, während Gold für die Sonne steht. Beides wird wiederum mit Weiblichkeit und Männlichkeit in Verbindung gebracht.
Das Zerbrechen eines Ganzen, bzw. die Spaltung in Zwei wollte ich mit dem Cocktail Shaker anklingen lassen.
Dass das Innere ausgeleert wird, nachdem die Hälften getrennt sind, sollte andeuten, dass dadurch etwas verloren geht. Ist damit die Spaltung in Männlich und Weiblich gemeint oder vielmehr in Gut und Böse? Man bedenke: Lilith aß nicht vom Baum der Erkenntnis, die Unterscheidung von Gut und Böse wurde dem Mensch erst danach möglich. In manchen Interpretationen ist die Schlange, die Eva rät, von der Frucht zu essen, in Wirklichkeit Lilith. Lilith jedoch hat Spaltung bereits durch ihre Ungleichbehandlung erfahren. Will sie Eva vielleicht nur auf etwas aufmerksam machen, das für sie bereits Realität ist?
Außerdem wollte ich auch die Frage reflektieren, ob es wirklich reicht, dass alle anderen einen für ein Monster halten, oder ist es nicht vielmehr die internalisierte Meinung der anderen? Kann ein anderer unseren Wert soweit in Abrede stellen, dass wir ihn verlieren, oder ist die Würde des Menschen tatsächlich unantastbar?
Allgemein neigen Menschen dazu, anderen die Menschlichkeit abzusprechen. So wurden Schwarze als Untermenschen kategorisiert. Und Frauen galten in der christlichen Religion lange als missratene Männer, ihnen wurde häufig sogar der Besitz einer Seele abgesprochen, da sie ja nicht nach dem Ebenbild Gottes geschaffen worden seien und daher nur als Werkzeug zur Fortpflanzung dienen sollten. Die Meinung anderer führt zu Handlungen, diese formen unsere Realität, sperren uns ein, verteufeln, versklaven uns. Schnell glaubt man, dann nur noch zwischen Opfer und Täter wählen zu können. Aber manchmal gilt es, sich davon frei zu machen. Der letzte Gedanke Ewigkeits verweist dabei auf Liliths Namen, denn die Silbe Lil kommt – laut Wikipedia – von der Bedeutung Wind. Insofern kann die Freiheit und das Erheben über die Verurteilung als ihr innewohnende Kraft verstanden werden. Die Nachsilbe –lith von griechisch lithos = Stein, deren Bedeutung in Ewigkeits Überlegungen am Anfang der Geschichte anklingt, steht dagegen für die Versteinerung, die Lilith noch gefangen hält.
Die Realität ist voller Ambiguitäten und jedes Zerreißen in Gut oder Böse wird ihr nicht gerecht. Lilith wirft Ewigkeit vor, die Dunkelheit nicht zu kennen und sie daher nicht verstehen zu können. Damit beweist sie ihr eigenes zerrissenes Denken, in dem es kein Zurück mehr gibt und kein Vorwärts. Ewigkeit dagegen widerspricht dem Gegensatz von Unschuld und Erfahrung. Es liegt nicht an fehlendem Wissen oder Naivität, dass sie Lilith nicht verurteilt. Sie behandelt sie einfach nur ebenbürtig.

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