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Die Kindheit eines Wolfs

Hogwarts 1971 - 1978
von

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1.III.Unerwartete Briefe

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1.Akt: Kapitel III: Unerwartete Briefe

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Das Schlosstor öffnete sich. Sirius, der ganz in Remus' Nähe stand, stieß einen leichten Pfiff aus, den allerdings nur Remus, James und der kleine Junge, der bei ihnen im Boot gesessen hatte, mitbekamen. Und das war auch gut so. Vor ihnen stand eine recht junge, dafür sehr große Hexe mit schwarzen Haaren. Sie trug einen langen smaragdgrünen Umhang. Ihr Gesicht wirkte recht streng. Remus schätzte sie auf zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre. Es war nicht zu leugnen, dass sie sehr gut aussah. Daher auch Sirius' Reaktion.

"Die Erstklässler, Professor McGonagall", sagte der Hüne.

"Danke, Hagrid. Ich nehme sie dir ab."

Sirius verzog das Gesicht, als er das Wort Professor gehört hatte. James grinst breit.

"Findest du sie immer noch so interessant?", fragte er und erntete lediglich den bösen Blick seines Freundes.

"Soviel ich weiß, ist sie mindestens vierzig Jahre alt", murmelte Remus.

Sirius sah ihn ungläubig an.

"Die ist doch nicht älter, als fünfundzwanzig."

James grinste noch immer.

"Wusste gar nicht, dass du auf ältere Frauen stehst, Siri."

Sirius unterdrückte den Drang seinem Freund den Hals umzudrehen und er widerte das Grinsen säuerlich.

Professor McGonagall bat die Schüler herein. Wieder gerieten sie ins Staunen. Remus sah sich mit weit aufgerissenen Augen um. Die Eingangshalle war riesig. Wahrscheinlich hätte ihr Haus hier drin Platz gefunden. Der Raum wurde von den Fackeln, die an den Steinwänden hingen, beleuchtet. Vor ihnen lag eine riesige Treppe. Wenn Remus richtig lag, dann war sie aus Marmor. Sie schien in die oberen Stockwerke zu führen. Er starrte nach oben und kniff die Augen zusammen, während er krampfhaft versuchte eine Decke zu erkennen. Doch das Treppenhaus war so hoch, das die sinnlos war und Remus es bald aufgab. Er sah sich weiter um. Der Boden der Halle war mit einfachen Steinen, die allerdings glattgeschliffen waren, sodass sie spiegelten, gefliest.

Von rechts tönten Stimmen an sein Ohr. Dort mussten wohl die anderen Schüler sein. Anscheinend waren sie schon geraume Zeit vor den Erstklässlern eingetroffen.

"Ich möchte um Ruhe und eure Aufmerksamkeit bitten", begann McGonagall und sofort wurde es still. Sie räusperte sich. "Die Einweihungszeremonie beginnt in wenigen Augenblicken. Wie ihr vielleicht wisst, ist Hogwarts in vier Häuser unterteilt. Sie heißen Slytherin, Ravenclaw, Hufflepuff und Gryffindor. Die Namen rühren von den Gründern Hogwarts und jedes Haus hat bedeutende Hexen und Zauberer hervorgebracht. Während ihr hier zur Schule geht, holt ihr für euer Haus Punkte bzw. werden euch für eure Dummheiten Punkte abgezogen. Am Ende des Jahres erhält das Haus mit den meisten Punkten den Hauspokal. Die Einweihungszeremonie dient dazu euch auf die verschiedenen Häuser aufzuteilen. Bis das Fest beginnt, wartet ihr am besten hier und macht euch fertig."

Damit verschwand die Professorin auch schon.

"Remus!"

Der Angesprochene wandte sich von James, Sirius und dem blonden Jungen ab. Als er Lily und Severus auf sich zukommen sah, musste er unweigerlich grinsen. Lily sah ziemlich besorgt aus.

"Alles in Ordnung mit dir?"

"Ja, alles bestens."

"Ist dir auch wirklich nichts passiert, als du ins Wasser gefallen bist?"

"Mir geht es gut, Lily! Glaub mir!"

Lily schien noch immer nicht überzeugt.

"Idiot!"

Remus sah Severus verwirrt an.

"Wie kann man nur so blöd sein und in den See fallen? Echt dämlich!"

Der Brünette lachte verlegen.

"Das war Pech."

"He, was fällt dir ein Remus einen Idioten zu schimpfen?", rief James aufgebracht.

Er funkelte Severus zornig an, welcher den Blick unbeeindruckt erwiderte.

"He, James! Schon okay. Es ist nicht so, wie du denkst", versuchte Remus ihn zu beruhigen, doch James hörte ihm nicht zu.

"Sag mal, wer bist du überhaupt?!"

"Severus Snape."

"Snape?" James lachte verächtlich. "War ja klar. Einer von der Sorte."

"He, wie redest du mit Severus?", rief Lily sauer.

James lächelte.

"Ich rede mit ihm, wie er es verdient. Deine Eltern sind Muggel, oder? Ich hab sie am Bahnhof gesehen. Da kannst du natürlich nichts über die Snapes wissen."

Lily schnaubte verärgert.

"Meinst du, ja?"

"Ich meine. Halt dich am besten da raus. Du verstehst das ja sowieso nicht."

"Wenn hier jemand etwas nicht versteht, dann ja wohl du! Wie heißt du überhaupt?!"

James verbeugte sich leicht, rein aus Höflichkeit.

"Mein Name ist James Potter."

Severus grinste kühl.

"Potter. Soso."

Er sah zu Sirius.

"Black, ich wusste ja, dass du einen schlechten Geschmack hast, aber das? Tse! Das übertrifft alles."

Sirius blieb ruhig.

"Es ist meine Sache, Severus, mit wem ich mich einlasse und mit wem nicht. Zumal ich dachte, dass du nicht ein so großer Sturkopf bist, wie deine Eltern. Und das bei dir Hopfen und Malz nicht verloren sind."

"Ansichtssache."

"Hört mal", mischte sich Remus ein. "Könnt ihr bitte aufhören euch zu streiten? Das ist doch total überflüssig."

"Sag das deinem Freund Potter und nicht mir", zischte Severus und verschwand zwischen den anderen Erstklässlern.

"So eine falsche Schlange!", knurrte James wütend.

Remus starrte Severus geschockt hinterher. Hatte er gerade richtig gesehen? - Sein Herz verkrampfte sich. - Hatte Severus ihn gerade wirklich mit vor Ekel und Abscheu überschäumenden Augen angesehen? War es wirklich unbändiger Hass gewesen? Dieser Blick hatte Remus das Blut in den Adern gefrieren lassen. So eiskalt, dass Remus das Gefühl hatte, tausend kleine Nadeln würden seinen Körper durchstechen.

"Severus...", murmelte Remus, unfähig einen klaren Kopf zu bekommen.

Hatte der junge Snape ihm gerade den Krieg erklärt? Wegen solch einer banalen Auseinandersetzung, an der er selbst gar nicht wirklich teilgenommen hatte? Eine Frage zwängte sich ihm auf. Ein einfaches Wort. Ein einziges Wort. Warum? Zwar hatte Severus im Zug verschlossen und nicht allzu begeistert, aber dennoch nicht abweisend gewirkt. Wieso dieser plötzliche Ansichtswandel? Bevor Remus weiter darüber nachdenken konnte, kehrte Professor McGonagall zu ihnen zurück.

"Stellt euch in einer Reihe auf", wies sie sie an. "Gut, folgt mir."

Im Gänsemarsch liefen sie einen Gang zu ihrer Rechten entlang. Remus hatte sich also nicht mit dem Verbleib der anderen Schüler geirrt. Die riesigen Flügeltüren der Großen Halle öffneten sich ganz von alleine. Ein helles, angenehmes Licht flutete ihnen entgegen. Als sie den Saal betraten und zwischen zwei der vier langen Haustische, die sich durch den gesamten Raum zogen, entlang liefen, zitterten Remus' Beine wie Espenlaub. Hunderte von Gesichtern musterten sie mehr oder weniger neugierig. Remus schluckte. Über den Köpfen der Schüler schwebten unzählige Kerzen, welche die Halle in eben das warme Licht tauchten, was Remus und die anderen Erstklässler doch etwas beruhigte.

Professor McGonagall führte sie in Richtung des Lehrertisches. Kurz bevor sie ihn erreicht hatte, ließ sie die Schüler sich in einer Reihe, mit dem Rücken zum Lehrerkollegium, vor den anderen Schülern aufstellen. Remus ließ seinen Blick von einem Tisch zum nächsten schweifen. Er wusste auf Anhieb, welcher der Tische Slytherin repräsentierte. Lucius' und Remus' Blicke trafen sich. Es knisterte regelrecht in der Luft. Der Ältere erzählte mit ein paar anderen Slytherin, doch seine Aufmerksamkeit ruhte weiter auf dem Jüngeren. Remus löste den Blickkontakt als Erster. Er konnte und wollte diese - ja, diese Fratze in diesem Moment nicht vor sich haben. Nicht in diesem Augenblick. Endlich hatte man ihm die Möglichkeit gegeben auf Hogwarts zu lernen. Endlich akzeptierte man ihn, auch wenn er anders war. Wie sehr hatte er sich gefreut, als er den Brief des neuen Schulleiters, Albus Dumbledore, erhalten hatte. Wie sehr hatte er sich darauf gefreut endlich in diesen - für ihn heiligen - vier Wänden zu stehen? - Nein. - Das wollte er sich durch nichts in der Welt verderben lassen. Nicht diesen Moment.

Ein Lächeln zierte seine Lippen, dass ihm noch nicht einmal dieser Lucius Malfoy nehmen konnte. Nicht jetzt, nicht hier.

"Wow! Die Decke ist ja wunderschön!", murmelte Andromeda, die nicht weit entfernt von Remus stand.

Nun ließ auch er seinen Blick nach oben driften und konnte ihr nur zustimmen. Remus' Vater hatte seinem Sohn erzählt, dass die Decke der Großen Halle so verzaubert war, das sie den derzeitigen Himmel mit der momentan vorherrschenden Wetterlage zeigte. So, als wäre gar keine Decke vorhanden.

Der schwarze Nachthimmel hatte sich geklärt. An der Decke funkelten Milliarden von Sternen. Lediglich eine schwarze Wolke trübte das Bild. Auch der Mond war zu sehen. Remus schluckte. Wie prall er doch schon war. Wenn er den Mondkalender recht in Erinnerung hatte, dann war Vollmond in zwei Tagen. Er seufzte innerlich. Wie verflucht schön der Erdtrabant auch war, so verflucht grausam sprang er auch mit Remus um. Remus zitterte unter dem dicken Maulwurfsmantel. Das würden ein paar unangenehme Tage werden. Je klarer die Nacht und je schöner der Mond, desto unerträglicher die Qual, die er mit sich brachte. Remus wusste nicht, wie es Dumbledore sich gedacht hatte, einen wild gewordenen Werwolf sieben Jahre in Schach zu halten, ohne dass dieser einen anderen Schüler anfiel. Remus schüttelte kaum merklich den Kopf. Das konnte doch auf kurz oder lang nicht gut gehen. Und wie wollte Dumbledore sowohl ihn, als auch die anderen Schüler eigentlich schützen? Bekam Remus vielleicht ein Einzelzimmer für sich allein, wo er während der Vollmondnächte eingeschlossen wurde und höchstens für sich selbst und das Mobiliar, jedoch nicht für andere eine Gefahr darstellte? Oder würde er Remus in einen Tranceähnlichen Zustand versetzen, sodass er, während er ein Werwolf war, schlief? Oder hatte der Schulleiter noch gar nicht darüber nachgedacht? Kalter Schweiß lief Remus den Rücken hinab. Was, wenn Dumbledore dieses Problem viel zu locker sah? Was, wenn er - da er ja der neue Schulleiter war - sich unbedingt beweisen wolle und zeigen wollte, dass er auch Schüler aufnahm, die sonst keine Chance auf eine richtige Ausbildung hatten? Was, wenn er sich wirklich noch keine richtigen Gedanken darüber gemacht hatte? Nicht auszudenken, wenn der Vollmond kam - und er kam - und Dumbledore keinen Rat wusste? Was dann? Welten zerbarsten vor Remus' innerem Auge. Was sollte er dann tun? Was? Was wenn er wirklich jemanden anfiel - oder sogar tötete? Würden sie ihn dann, obwohl er gerade einmal zehn Jahre alt war und sein elfter Geburtstag noch gut zwei Monate auf ihn wartete, nach Askaban stecken, wo er dahinvegetieren würde und seines Lebens nicht mehr froh werden konnte? Remus versuchte sich zur Ruhe zu rufen. Er war ja regelrecht panisch. Untypisch für ihn. Hatte er doch sogar schon mit dem Gedanken gespielt jetzt - vor versammelter Schüler- und Lehrerschaft - einfach die Beine in die Hand zu nehmen, aus der Großen Halle zu stürmen und Hogwarts fluchtartig zu verlassen. Er fühlte sich, als würde die Decke - oder besser gesagt der Himmel - jeden Augenblick auf ihn herabstürzen. Panik - ja, Panik stieg weiter unaufhaltsam in ihm auf. Er spielte unter dem dicken Mantel Hagrids nervös mit seinen Fingern, was jedoch niemand - dank besagtem Kleidungsstück - mitbekam.

"Beruhig dich, Remus. Beruhig dich", murmelte er immer und immer wieder vor sich hin, während er die Augen geschlossen hatte.

"Seht euch mal den an!", flüsterte Lucius und deutete auf Remus.

Er grinste süffisant.

"Fiffy kollabiert ja gleich. Ich glaube jemand sollte Madame Pomfrey holen."

Er unterdrückte ein lautes Auflachen, was auch seine Tischgenossen taten.

"Kippt ja gleich aus den Latschen", meinte eines der Slytherin-Mädchen gehässig.

Remus konnte sie nicht hören - zum Glück nicht hören. Er öffnete langsam wieder seine Augen.

,Schwachsinn!', dachte er sich. ,Spinn dir hier nicht irgendwelche Sachen zusammen. Das ist lächerlich. Dumbledore wird schon wissen, was er tut.'

Er ließ seinen Blick schweifen, um seine Gedanken zu streuen, als Lucius ihn wieder förmlich festnagelte. Der Platinblonde grinste hinterhältig und täuschte einen kleinen Ohnmachtsanfall vor. Nachdem er sich scheinbar wieder erholt hatte, sah er den Jüngeren weiter durchdringend und mit einem dreckigen Lächeln an. Remus Magen verkrampfte sich. Anscheinend hatte dieser unverfrorene Kerl doch mitbekommen, wie Remus einen leichten Panikanfall bekommen hatte. Dabei hatte er doch verhindern wollen, dass es jemand sah. Das hatte er wohl nicht geschafft. Und wie es aussah, hatte Malfoy nicht darauf verzichten können, die anderen Slytherins auf Remus hinzuweisen.

Remus' Zorn hielt sich in Grenzen. Noch immer lastete diese drückende Ungewissheit auf ihm. Er lächelte bitter. Was für starke Stimmungsschwankungen er doch hatte. Erst freudig und himmelhoch jauchzend, dann tiefe Depression und nun steigende Wut. Dabei hatte er von sich selbst gedacht - und andere taten es auch - dass er ein ruhiges und ausgeglichenes Temperament hatte. Dass nichts ihn so leicht aus der Bahn warf und dass er eigentlich immer recht ruhig war.

Aber dieser Malfoy. - ! - Er machte ihn rasend!

Während er mit sich selbst haderte, trug Professor McGonagall schweigend einen dreibeinigen Stuhl herein und stellte ihn vor den Erstklässlern ab. Auf diesen legte sie einen alten Spitzhut. Er schien schon recht gelitten zu haben. Er war recht abgenutzt, hier und da waren ein paar Flicken zu sehen und schmutzig war er obendrein.

Remus fragte sich, was diese Zeremonie genau beinhaltete. Seine Mutter hatte etwas von einem Test erzählt, doch wollte sie ihm nicht verraten, worin dieser bestand. Sollten sie diesen Hut vielleicht in etwas Ansehnlicheres verwandeln? Aber Remus selbst hatte doch noch gar nicht gezaubert. Seine Eltern hatten ihm verboten mit ihren Zauberstäben zu spielen oder irgendwelche Tränke zu brauen. Sie hatten immer gemeint, dass er dafür noch zu klein sei. Lediglich das Fliegen hatte er sich über kurz oder lang angeeignet. Hatte er doch immer heimlich geübt, wenn seine Eltern nicht da waren. Wahrscheinlich hätte er auch einige Zauber ausprobiert, aber da seine Eltern ihre Zauberstäbe immer bei sich trugen, war das unmöglich.

Er schluckte. Und was, wenn sie jetzt wirklich zaubern mussten? Er kannte keinen einzigen Spruch. Sicher wären einige vor ihm an der Reihe und er konnte sich etwas abgucken, aber ob es dann auch gelang, das war eine andere Frage.

Plötzlich bekam Remus einen Schreck. Seine Augen weiteten sich, als der Hut nahe der Krempe aufriss und sich dieser Riss zu einem Mund formte. Schweigen trat ein. Der Spitzhut begann zu singen:
 

Wie jedes Jahr verteil ich euch, wie ich es für richtig halt.

Doch leider säe ich damit einen Zwiespalt.

Zwar würd ich jeden Jahrgang hier, gern als ein Ganzes lassen.

Für eine Klasse sind das jedoch viel zu große Massen.

Hier und da - ich bin mir gewiss - reiß ich Freundschaft entzwei.

So hoff ich, dass sie weiterbesteht, die Häuser sind einerlei.

Die Schule selbst wurde gegründet von Freunden, alle vier ganz weise und schlau.

Nichts desto trotz gab es Streit, ich weiß es noch sehr genau.

Doch davon möcht ich nichts erzählen, jeder bekommt jetzt sein Haus.

Ich bin mir gewiss, jeder von euch, kommt dort ganz hoch hinaus.

In Slytherin zählt Tücke und List,

Mit Mut du in Gryffindor ganz richtig bist,

In Ravenclaw da musst du streben,

In Hufflepuff wird die Treue leben.

Nun los, nun los! Fangen wir an,

Da ich - der Sprechende Hut - es kaum noch erwarten kann!
 

Der Hut beendete sein Lied und sofort brach in der ganzen Halle ein Beifallssturm los.

Remus schien noch immer missgestimmt. Dieser Hut sollte bestimmen, in welches Haus die einzelnen Schüler kamen? Und wie genau? Aus dem Lied war es nicht ganz klar hervorgegangen, aber Remus dachte sich das schlüssigste. Wahrscheinlich mussten sie sich auf den Dreibeiner setzen und den Hut aufsetzen. Vielleicht stellte er ja irgendwelche Fragen, um den bisherigen Wissensstand zu testen.

Remus schluckte erneut. Und was, wenn er von ihm verlangte etwas zu zaubern? Das würde in einem Desaster enden.

Professor McGonagall, welche eine lange Pergamentrolle in Händen hielt, trat vor die Erstklässler - oder besser neben den Stuhl.

"Wenn ich euch aufrufe, dann setzt ihr den Hut auf und nehmt auf dem Stuhl Platz, damit euer Haus bestimmt werden kann."

Einige der Erstklässler nickten unsinniger Weise.

"Arwen, Rowena."

Ein Mädchen mit langen strohblonden Haaren trat hervor und lief zur Professorin. Sie wirkte ziemlich nervös, als sie den Hut aufsetzte - der viel zu groß war und ihr deshalb über die Augen rutschte - und sich auf den Dreibeiner setzte. Für einen kurzen Moment lang war es totenstill.

"HUFFLEPUFF!", rief der Hut plötzlich laut aus.

Der zweite Tisch von links - vom Lehrertisch aus gesehen - begann lauthals schreiend und johlend zu applaudieren. Sie lief fröhlich lächelnd zu ihnen und ließ sich auch schon nieder.

"Avery, Taylor."

"SLYTHERIN!"

Diesmal applaudierte der Tisch ganz rechts außen.

"Black, Andromeda."

Andromeda löste sich aus der Reihe und schwebte regelrecht an Remus vorbei. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, lächelte und ging weiter. Remus konnte sich einfach nicht an so ein herzliches Lächeln gewöhnen. Bei Lily war es genau das selbe warme Gefühl. Es war einfach unbeschreiblich.

Einige der Slytherins richteten ihr gesamtes Augenmerk auf die Schwarzhaarige und Remus hätte schwören können - obwohl das in dieser Entfernung gar nicht möglich war - dass er gehört hatte, wie die mittlere der drei Blackschwestern gesagt hätte, dass ihre Jüngste ebenfalls zu ihnen kommen würde.

Es dauerte einige Zeit, bis der Hut sich entschieden hatte.

"RAVENCLAW!"

Einige der Slytherins sahen sich ungläubig an. Andromeda, welche gerade den Hut auf den Stuhl zurücklegte, wirkte überglücklich und wurde von den anderen Ravenclaw-Schülern herzlichst willkommen geheißen.

"Black, Sirius."

Remus löste seine Aufmerksamkeit von Andromeda und schenkte sie ganz Sirius. James hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und Sirius grinste nur breit. Er wirkte recht ruhig und selbstbewusst, als er zum Stuhl ging.

"Viel Glück", murmelte Remus, als er an ihm vorbei kam.

"Wird schon", war die ruhige Antwort.

Mit einer leichten Handbewegung schnappte er sich den Hut und ließ sich auf den Dreibeiner nieder.

Wieder dauerte es etwas. Länger als bei Andromeda.

"GRYFFINDOR!", tat der Hut kund und ein aufgeregtes Tuscheln machte bei den Slytherins die Runde.

Sirius grinste über das ganze Gesicht, als er sich zu den jubelnden Gryffindors, ganz links außen, begab.

Nach und nach wurden die Schüler verteilt und Remus merkte, dass der Hut unterschiedlich lang brauchte, um jeden das richtige Haus zuzuweisen. Bei dem Einen verkündete er sein Urteil sofort, bei dem Anderen dauerte es ein paar Minuten.

"Evans, Lily."

Einige Schüler warfen ihr hoffnungsvolle Blicke zu. Bei ihr war das Urteil sonnenklar.

"GRYFFINDOR!"

Sie ließ sich mit etwas Abstand zu Sirius bei den Gryffindors auf die Bank fallen.

Remus wurde immer unruhiger je näher die Entscheidung rückte. Sein Zeitgefühl war verschwunden. Waren sie gerade eben noch bei Lily gewesen, waren sie jetzt schon bei "Lestrange, Rastaban" (Slytherin) angelangt.

"Lupin, Remus."

Remus' Magen verkrampfte sich. Mit langsamen Schritten ging er auf den Stuhl zu. Er nahm den Hut, setzte ihn auf, wobei ihm dieser, wie bei vielen zuvor, über die Augen rutschte und setzte sich.

Stille. - Remus fühlte sich unwohl und fehl am Platze. - Ruhe. - Noch immer nichts, doch dann-

"Interessant.", flüsterte eine leise Stimme.

"Ein Lupin. Interessant. Lange keinen mehr gehabt."

Remus schluckte.

"Bei deinen Verwandten war das ja sehr einfach. Ich habe sie alle samt sofort zuordnen können."

,Nach Gryffindor", dachte Remus nur.

"Ja, alle nach Gryffindor. Richtig. Aber du..."

Eine erneute Pause folgte. Der Brünette fühlte sich immer unwohler.

"Du bist eine harte Nuss. Du hast einen sehr vielfältigen Charakter, mein Junge. Das macht es mir nicht sehr einfach. Neugierig und wissbegierig bist du - ich könnte dich nach Ravenclaw stecken. Aber Mut hast du auch. Das spricht für Gryffindor. Ich streite aber auch nicht ab, dass du sehr zuverlässig bist. Hufflepuff wäre auch nicht schlecht. Und Slytherin wäre auch keine schlechte Wahl. Clever bist du immerhin. Und ich denke mal, dass du es dort weit bringen würdest."

"Alles, nur nicht Slytherin", murmelte Remus.

"Nicht dort hin? Du bist dir sicher?"

Remus nickte unmerklich. Der Hut erhob seine Stimme, sodass es auch die anderen Schüler hörten.

"Dann setze ich also die Familientradition fort und du kommst nach GRYFFINDOR!"

Ein wahrer Beifallssturm brach über Remus herein. Mit noch immer weichen Knien ging er zu seinem Haustisch und wurde herzlich in Empfang genommen.

"Remus! Das ist toll, dass du auch mit in Gryffindor bist!", rief Lily freudig und fiel ihm stürmisch um den Hals.

Ein leichter Rotschimmer breitete sich über seine Wangen aus. Zaghaft erwiderte er die Umarmung. Beide nahmen Platz, wobei sich Remus zwischen Sirius und Lily niederließ. Sirius grinste.

"Du scheinst sie ja sehr zu mögen."

"Wie?" Remus brauchte einige Zeit, um zu verstehen, worauf Sirius anspielte. Seine Wangen glühten förmlich auf. "Das ist nicht so wie du denkst!"

"Bist du dir da sicher?"

"Ja", grummelte Remus nur leise.

Sirius grinste breit.

"Wenn du meinst. - Aber weißt du eigentlich, wie lang du da oben warst? Wir haben schon gedacht, dass es gar nicht mehr weitergeht."

"Wieso? Wie lang saß ich denn da?"

"Gute fünf Minuten sicherlich. Hab schon gedacht, dass er dich vielleicht wieder nach hause schickt."

Sirius lachte.

"Wie bitte?! Worauf willst du damit hinaus?!"

"Auf gar nichts", erwiderte der Schwarzhaarige und schmunzelte.

Die Verteilung ging recht zügig voran. Es stellte sich heraus, dass der Junge, welcher bei Sirius und James im Boot gesessen hatte, Peter Pettigrew hieß. Er kam ebenfalls nach Gryffindor. Bei James hatte der Hut kaum den Kopf berührt, als er auch schon Gryffindor gerufen hatte. Breit grinsend gesellte er sich zu den anderen Erstklässlern und ließ sich gegenüber Sirius auf die Bank sinken.

"Siehst du, ich hab doch gesagt, dass wir beide nach Gryffindor kommen", meinte James und Sirius nickte.

"Der blöde Fetzen wollte mich zuerst nach Slytherin stecken, aber ich hab ihm die Meinung gegeigt."

Die zwei Schwarzschöpfe lachten. Lily verdrehte nur genervt die Augen.

,Wieso muss ausgerechnet dieser Idiot mit nach Gryffindor?', fragte sie sich und stöhnte.

Als sie merkte, dass Remus sie musterte und Anstalten machte, sie zu fragen, was mit ihr nicht stimmte, lächelte sie.

"Jetzt fehlt eigentlich nur noch Severus, oder Remus?"

Doch bevor der Angesprochene antworten konnte, hatte sich James auch schon eingemischt.

"Das kannst du getrost vergessen. Gryffindor ist das letzte Haus, wo Snape hinkommt."

"Ach, und wieso willst du das so genau wissen?!", fragte Lily sauer.

"Weil er ein typischer Slytherin ist. Er ist nicht besser als seine Eltern. Deshalb."

"Du kennst ihn doch überhaupt nicht!"

"Nein, DU kennst ihn nicht. Jemand wie du sollte sich nicht mit einem Slytherin einlassen. Am Anfang mag das noch gut gehen, aber auf Dauer nicht."

"Severus ist noch nicht einmal einem Haus zugeteilt worden und du nennst ihn schon einen Slytherin! Und selbst wenn er nach Slytherin kommt, dann entscheide noch immer ich, mit wem ich etwas zu tun haben will und mit wem nicht."

Die beiden warfen sich böse Blicke zu. James wandte sich Sirius zu. Für ihn war dieses Gespräch anscheinend beendet.

"Idiot", murmelte Lily so leise, dass nur Remus es verstand.

Dieser beugte sich zu ihr.

"He, nimm ihm das nicht so übel", flüsterte er. "Das vorhin hat er nur gut gemeint. Er wusste doch nicht, dass Severus das nicht ernst gemeint hat. Er wollte mich nur verteidigen."

"Aber deshalb brauch er ihn nicht gleich so runterzuputzen!", zischte Lily.

"James ist wirklich okay. Glaub mir. Außerdem ist er nur wegen Severus' Namen so ausfallend geworden."

"Aber wieso hat er denn gleich so eine schlechte Meinung von ihm, nur weil er ein Snape ist?"

Remus seufzte. Hatten er und Severus ihr das Ganze nicht bereits im Zug versucht zu erklären? Sie schien es immer noch nicht zu verstehen.

"Snape, Severus", verkündete Professor McGonagall.

Lily und Remus unterbrachen ihr Gespräch und sahen Richtung Lehrertisch. Severus löste sich aus dem mickrigen Rest der Schülerschar, welche noch nicht zugeteilt war. Sein Gang war kein Gang. Vielmehr schien er zu schweben, so leichtfüßig glitt er über den Boden. Er setzte den Hut auf und nahm Platz. Es dauerte nicht lange, bis der Sprechende Hut sein Urteil verkündete.

"SLYTHERIN!"

"Ich hab's euch doch gesagt", sagte James mit einem sarkastischen Unterton und so Lily gehässig an.

Diese jedoch klatschte nur für Severus, auch wenn es ihr leid tat, dass dieser nicht mit nach Gryffindor kam.

Severus nahm die alte Kopfbedeckung ab und ging hinüber zu den Slytherin, wo er recht stürmisch, aber dennoch distanziert - wie es in diesem Haus üblich war - aufgenommen wurde. Er lies sich neben Lucius fallen.

Nun war es also endgültig besiegelt. Es gab kein Zurück. Wie er es schon vorher gewusst hatte, war er nach Slytherin gekommen. Aber wie war es anders zu erwarten gewesen? Und Lily und Remus waren beide in Gryffindor. Das hieß, dass sie nun erbitterte Feinde waren. Dass Severus seine Maske, die er zu hause gelernt hatte aufzusetzen, nicht mehr ablegen dürfte. Solche Schwachheiten, wie bei der heutigen Zugfahrt - auch wenn sie unbemerkt blieben - durften ihm nicht noch einmal unterlaufen. Die beiden Gryffindor waren zwar nett gewesen, doch Severus wusste, dass das nicht gut gehen würde. Weder seine Eltern noch die anderen Slytherin würde es gut heißen, wenn er sich mit Gryffindor-Schülern einließe.

Mit gemischten Gefühlen sah er zum Gryffindor-Tisch. Ehe er sich's versah, trafen sich die Blicke Remus' und die seinen. Der Brünette lächelte, doch im nächsten Moment wirkte er erschrocken. Severus hatte den eisigsten Blick aufgesetzt, zu welchem er im Moment fähig war. Er wandte seine Aufmerksamkeit Lucius und den anderen zu, unfähig diesem Blick stand zu halten.

Remus war wie vom Donner gerührt - entsetzt, verwirrt. Er starrte ungläubig zu den Slytherins. Hatte er gerade richtig gesehen? Hatte Severus ihn gerade wirklich mit solchen Augen angesehen? Erst hatte es so gewirkt, als hätte der Schwarzhaarige über etwas nachgedacht. Und als er Remus gesehen hatte, da hatte sich sein Gesichtsausdruck schlagartig verändert. Sein gesamtes Gesicht hatte sich verfinstert. Seine Augen waren eiskalt gewesen und sprühten nur so vor Abscheu und Verachtung. Hatte Remus den Blick in der Eingangshalle schon für kaum steigerbar befunden, so musste er sich nun seinen Irrtum eingestehen.

"Wieso?", murmelte Remus leise, unfähig seinen Blick von Severus abzuwenden. "Weil du jetzt ein Slytherin bist?"

"Was hast du, Remus?", fragte Lily besorgt. "Geht es dir nicht gut?"

Remus schüttelte leicht den Kopf und lächelte Lily an.

"Schon gut. Hab nur nachgedacht. Nicht so wichtig."

Anscheinend wirkte das Lächeln nicht all zu aufgesetzt, da Lily es erwiderte.

Nachdem auch endlich der letzte Schüler seinem Haus zugeteilt wurde, rollte Professor McGonagall den langen Pergamentbogen zusammen und trug Stuhl und Hut nach draußen.

Die Stimmen hoben sich und man begann laut zu schwatzen.

Remus versuchte noch ein paar mal mit Severus Blickkontakt zu suchen, doch das misslang kläglich. Zwar spürte er manchmal ein Augenpaar auf sich ruhen, doch wenn er aufsah, dann unterhielt sich der junge Snape schon wieder mit den anderen Slytherin.

James und Sirius unterhielten sich mit einigen älteren Gryffindors über Quidditch. Der kleine Peter lauschte ihnen gespannt und brachte sich hier und da mit ein, doch so wirklich Ahnung von Quidditch schien er nicht zu haben. Lily sprach mit ein paar Gryffindor-Mädchen. Sie kicherten ab und zu, doch Remus hörte nicht wirklich zu, worüber sie sprachen. Er langweilte sich von Minute zu Minute mehr. Sein Magen knurrte und er fragte sich, ob sie jetzt einfach nur hier sitzen und reden oder ob sie auch noch etwas zu Essen bekommen würden. Langsam wurde ihm unter dem dicken Maulwurfsmantel ziemlich heiß. Er zog ihn aus und legte ihn neben sich auf die Bank. Seine eigene Kleidung war noch klatschnass. Zum Glück war es hier recht warm und so würde er wohl nicht in den Genuss einer Erkältung kommen. Die hätte ihm gerade noch gefällt.

Professor McGonagall kehrte zurück und nahm (aus Remus' Sicht) zur Linken eines alten Zauberers Platz. Remus hatte ihm zuvor keinerlei Beachtung geschenkt, doch nun schlug dieser hochgewachsene, dünne Mann, mit einem langen weißen Bart, ihn regelrecht in den Bann. Hinter einer halbmondförmigen Brille funkelten ihm zwei leuchtend blaue Augen entgegen. Der Zauberer trug eine lange dunkelblaue Robe und Schnallenstiefel mit hohen Haken. Seine Nase - so fand Remus - sah so aus, als wäre mindestens zweimal gebrochen wurden, so krumm war sie.

Der Zauberer erhob sich und lächelte in die Runde. Nach und nach verstummten die Gespräche. Die Schüler widmeten ihm all ihre Aufmerksamkeit. Er breitete seine Arme aus und Remus hätte schwören können, dass sein Lächeln noch breiter wurde.

"Willkommen meine Lieben. Willkommen in Hogwarts! Ich freue mich, dass ihr alle gesund und munter angekommen seid."

Remus sah ihn verwirrt an. Hatte der Zauberer ihm gerade zugezwinkert?

"Dies ist mein erstes Jahr als euer Schulleiter und ich hoffe, dass ihr nicht allzu enttäuscht seid, dass ihr kein frisches Blut bekommen habt."

Einige Schüler lachten.

Das war der Schulleiter von Hogwarts? Remus war erstaunt. Albus Dumbledore hatte er sich ganz anders vorgestellt. Etwas jünger, aber mit weit weniger Ausstrahlung. Doch dieser Dumbledore übertraf bei weitem seine Vorstellungen!

"Ich möchte euch nicht allzu lang in Anspruch nehmen. Ihr habt euch euer Essen redlich verdient. Also versuche ich es kurz zu machen.

Der Wald ist für alle Schüler Tabu. Es sei denn ihr wollt unliebsame Bekanntschaften machen.

Das Zaubern auf den Gängen ist verboten. Nach acht Uhr befinden sich die Erst-, Zweit- und Drittklässler in ihren Gemeinschaftsräumen. Die anderen Jahrgangsstufen kehren bis spätestens zehn Uhr zurück. Nach Einbruch der Dunkelheit sind die Ländereien ebenfalls Tabu.

Aber ich will euch ja nicht nur sagen, was alles verboten ist - sondern euch auch noch positivere Dinge mitteilen.

Die Quidditch-Auswahlen finden in der zweiten Schulwoche statt. Alle Interessenten melden sich bitte bei Madame Hooch. Außerdem haben wir dieses Jahr einen Höhepunkt geplant, der einigen von euch sicher zusagen wird. In diesem Jahr veranstalten wir einen Weihnachtsball."

Sofort brach Getuschel aus.

"Ein Ball?", sagte Lily aufgeregt. "Toll!"

Remus lächelte nur. Einige der anderen Jungen wirkten sehr geknickt. Dieses Event schien also nicht bei allen so besonders gut anzukommen.

"An der Gestaltung des Balls", fuhr Dumbledore fort und schlagartig wurde es wieder ruhig, "werden allerdings auch die Schüler mit beteiligt sein. In euren Gemeinschaftsräumen werden bald einige Zettel zu finden sein, auf denen Näheres zu erfahren ist.

Nun zu guter Letzt möchte ich euch eure neuen Lehrer für die Fächer Verteidigung gegen die Dunklen Künste und Zaubertränke vorstellen. Einen herzlichen Applaus für Professor Redwing."

Eine Frau erhob sich. Sie war schlank. Ihre Haut war sehr blass und ihr Gesicht wurde von langem schwarzen Haar eingerahmt. Sie trug ein schwarzes Kleid, welches an eine Lolita erinnern ließ. Ihre Lippen hatte sie mit einem dezenten Rot geschminkt, was jedoch in ihrem blassen Gesicht hervorstach. Um den Hals trug sie ein Kollier, welches aus mehreren Silberketten bestand. Remus schätzte sie auf maximal fünfundzwanzig Jahre. Hätte er nicht gewusst, dass sie eine Lehrerin ist, hätte er sie wahrscheinlich für noch jünger eingeschätzt, wirkte sie doch sehr jugendlich. Wäre er ihr in der Winkelgasse begegnet hätte er sie auf siebzehn geschätzt. Sie setzte sich.

"Und dann hätten wir noch Professor Novis."

Ein Mann stand auf. Auch er war sehr jung, auch nicht älter als Professor Redwing. Und wie sie hatte auch er rabenschwarzes Haar. Im Licht der Kerzen schimmerte dieses jedoch leicht bläulich. Er trug eine schwarze Hose und einen grünen Overall. Er erinnerte nur schwach an einen Zauberer, eher an einen Muggel. Auch er nahm wieder Platz.

"So, genug der langen Vorrede. Greift zu und füllt eure leeren Mägen!", rief Dumbledore aus.
 

Remus staunte nicht schlecht, als die leeren Platten, welche auf allen vier Haustischen gestanden hatten, plötzlich alle randvoll mit Essen waren. Die Tische waren so überladen, dass sie normalerweise unter dem Gewicht hätten zusammenbrechen müssen. So viele verschiedene Speisen auf einmal hatte er noch nie gesehen: Roastbeef, Brathähnchen, Schweine- und Lammkoteletts, Würstchen, Schinken, Steaks, Fisch, Pell- und Bratkartoffeln, Kartoffelbrei, Pommes, Yorkshire-Pudding, Erbsen, Karotten, Ketchup und noch vieles, vieles mehr.

Ihm lief das Wasser im Munde zusammen. Erst jetzt merkte er, wie groß doch eigentlich sein Hunger gewesen war. Er nahm sich von jeder Platte etwas und begann es gierig hinunter zu schlingen. Sein Magen fühlte sich mit jedem Bissen besser an.

"Dir nimmt keiner was weg", meinte James und grinste breit. "Man könnte meinen, dass du seit Wochen nichts gegessen hast."

"Dud mür leid, aba wänn ich Hunga hab, dann kann ich nichd andas", nuschelte Remus mit vollem Mund. (zu dt.: Tut mir leid, aber wenn ich Hunger hab, dann kann ich nicht anders.)

"Remus, du solltest nicht so schlingen. Das ist ungesund", gab Lily ihm zu denken.

Als er etwas erwidern wollte, verschluckte er sich und begann heftig zu husten. Sirius schenkte ihm etwas Kürbissaft ein und reichte ihm den vergoldeten Kelch. Hastig griff er danach und nahm einige große Schlücke, um den Husten wieder unter Kontrolle zu bringen.

"Ich hab's dir doch gesagt", zeterte Lily. "Aber du hörst ja nicht."

"Die junge Dame hat ganz Recht", sagte eine etwas belegte Stimme. "Zu viel essen ist nicht gut und zu wenig ebenso."

Remus schrak auf. Über Peters Kopf schwebte ein Geist. Er war fast durchsichtig - wie ein Nebelschleier - und trug eine Halskrause.

"Was hast du?", fragte Peter mit seiner piepsenden Stimme. Remus deutete über ihn und als er dem Fingerzeig folgte, wich augenblicklich die gesamte Farbe aus seinem Gesicht. Er schrie erschrocken auf. Auch an anderen Tischen hörte man einige Erstklässler aufschreien, als plötzlich weitere Geister durch die Wände hereinschwebten und über den Tischen kreisten. Die älteren Schüler schienen eher belustigt über die Reaktionen der Jüngeren.

"Wer sind Sie?", fragte James, welcher nicht gerade überrascht wirkte.

Der Geist über Peter - der wie Espenlaub zitterte und jeden Moment von der Bank zu fallen drohte - verneigte sich.

"Gestatten, Sir Nicholas de Mimsy-Porpington."

"Ach, Sie sind der Fast Kopflose Nick?", fragte Sirius, in dessen Augen Neugierde aufblitzte.

"Ich bevorzuge Sir Nicholas", erwiderte der Geist etwas beleidigt.

"Fast Kopflos?", fragte Lily. "Wie geht denn das?"

"Wenn jemand seine Arbeit nicht richtig erledigt. Allerdings werde ich dir den Anblick jetzt ersparen, sonst vergeht dir noch der Appetit."

Er lächelte.

"So wie es aussieht seit ihr recht vielversprechend. Ich hoffe, dass ihr Gryffindor alle Ehre macht und dafür sorgt, dass wir dieses Jahr den Hauspokal gewinnen."

Damit stieg er noch ein - zwei Meter in die Luft - Peter atmete erleichtert auf - und verschwand durch eine Wand.
 

Nach dem Essen lehnte sich Remus zurück. So voll wie er sich fühlte, dachte er, dass er jeden Moment platzen konnte. Sein Magen schmerzte leicht.

"Das war wirklich lecker."

"Lecker ist untertrieben", meinte Sirius, der wohl nicht weniger gegessen hatte.

Dumbledore erhob sich.

"Nun, da ihr alle gesättigt seid, bitte ich die Vertrauensschüler ihre Schüler in die Gemeinschaftsräume zu geleiten. Es ist schon recht spät, also macht keine Umwege und geht am besten gleich ins Bett. Morgen ist immerhin euer erster Schultag und da wollt ihr doch ausgeschlafen sein, oder etwa nicht? Also, ich wünsche euch eine angenehme Nachtruhe."

Die Schüler erhoben sich und verließen die Große Halle. Remus nahm den Mantel Hagrids mit und folgte den anderen Gryffindors. In der Eingangshalle sammelten sich die jeweiligen Häuser und machten sich dann auf den Weg zu ihren Unterkünften. Was Remus verwunderte: bis auf die Slytherins gingen alle in die oberen Etagen. Anscheinend hatten die Slytherin-Schüler ihren Gemeinschaftsraum irgendwo im unteren Teil des Schlosses. Dabei hatte er gedacht, dass jeder Gemeinschaftsraum sich in einem der vier Türme befände. Also einer im Nord-, einer im Süd-, einer im Ost- und einer im Westturm. Aber dem war demnach nicht so. Es war frisch und so zog er sich den dicken Maulwurfsmantel wieder über. Zwar war es nicht das allerschönste Kleidungsstück, aber immerhin hielt es warm.

Die Gryffindors gingen die große Marmortreppe hinauf, als Remus einfiel, dass er ja noch mit Professor Dumbledore in dessen Büro verabredet war. Er blieb auf der Treppe stehen und sich unentschlossen um. Er wusste doch gar nicht, wo sich das Büro des Direktors befand. Wie sollte er ihn dann dort aufsuchen? Und es schien nicht so, als würde ihm jemand den Weg zeigen.

"Remus, wo bleibst du?", fragte Lily, die schon ein ganzes Stück weiter oben war.

"Ich - Geh schon vor. Ich hab noch was zu erledigen", erwiderte er und ging wieder zurück in die Große Halle.

Lily runzelte die Stirn, zuckte jedoch nur mit den Schultern und folgte den anderen Schülern. Sollte Remus doch machen was er wollte. Aber es war sicher nicht klug sich gegen die Anweisungen des Schulleiters zu stellen und doch noch in der Schule herumzustromern.

Remus betrat die Halle. Bis auf Professor McGonagall waren schon alle Lehrer gegangen. Sie kam auf ihn zu und bedachte ihn mit einem abschätzenden Blick.

"Was tun Sie noch hier, Mr. Lupin?"

"Ich - äh - Professor Dumbledore wollte mich nach dem Essen in seinem Büro sprechen, allerdings weiß ich nicht, wo es sich befindet. Könnten Sie mich vielleicht zu ihm bringen?"

"Sie werden bereits erwartet? - Na schön. Folgen Sie mir."
 

Mit zügigen Schritten verließ sie die Halle. Auch die Treppenstufen ging sie in einem Tempo hinauf, als würde sie weiter geradeaus gehen. Remus hechtete die Treppe regelrecht hinauf.

"Seien Sie vorsichtig. Es gibt einige Trickstufen. Also passen Sie auf."

"Trickstufen?", fragte Remus und da war es auch schon passiert.

Er hatte nicht aufgepasst und war auf eine Stufe getreten, die eigentlich gar keine war. Er blieb mit seinem rechten Fuß stecken, verlor das Gleichgewicht und fiel regelrecht die Treppe hinauf. Mit einem dumpfen Geräusch blieb er auf der Steintreppe liegen.

"Ah", stöhnte er. "Verdammt."

"Mr. Lupin - ich dachte ich hätte Ihnen gesagt, dass Sie ihre Augen aufmachen sollen."

Professor McGonagall kam zu ihm zurück und half ihm wieder auf die Beine. Sie befreite seinen Fuß, welcher zwischen den Treppenstufen feststeckte.

"Jetzt folgen Sie mir", sagte sie noch einmal und ging voraus.

Remus seufzte resignierend und humpelte hinter ihr die Treppe hinauf. Anscheinend hatte er sich den Fuß verstaucht. Doch das war eigentlich nicht der eigentliche Grund für seine Deprimiertheit. Was musste Professor McGonagall denn jetzt von ihm denken? Erst sagt sie, er solle aufpassen und im nächsten Moment ist es auch schon passiert. Zugegeben, man konnte die Stufen nicht unterscheiden, aber er hätte ja auch auf die Schritte der Lehrerin achten können, dann wäre ihm dieses Malheur erspart geblieben. Sicher hielt sie ihn jetzt für einen Tollpatsch oder Tunichtgut. Tunichtgut? He, so schlecht klang das auch wieder nicht. Remus grinste. Ein Tunichtgut zu sein hatte doch etwas. Wieso nicht? Doch er verwarf den Gedanken wieder und seufzte erneut. Weil ein Tunichtgut eben nichts Gutes hervorbringt. Aber er wollte seine Eltern ja nicht enttäuschen und er glaubte kaum, dass ihn - den ordentlichen und hilfsbereiten Remus Lupin - irgendjemand als einen Unruhestifter ansehen würde. Das war eine dumme Idee.
 

Sie waren schon einige Zeit unterwegs und hatten unzählige Gänge und Treppen hinter sich gelassen. In den langen Korridoren war es noch kälter, als in der Eingangshalle. Remus schlang den Maulwurfsmantel fester um sich. Er fragte sich allmählich, wie er zu seinem Gemeinschaftsraum finden solle, vor allem, da er gar nicht wusste, wo sich dieser überhaupt befand.

"Da sind wir", sagte Professor McGonagall plötzlich.

Remus sah sehr überrascht aus. Hier gab es weder eine Tür noch einen Durchgang oder ähnliches, was zum Büro des Schulleiters hätte führen können. Wieso sagte sie dann, dass sie da seien? Und wo waren sie überhaupt? Die Gänge, die sich kreuzten, sahen nicht anders aus, als die Gänge, durch die sie während ihrer nächtlichen Wanderung gegangen waren. Das einzige, was den Korridor anders macht, war der riesige Wasserspeier an der Wand vor ihnen.

"Schokofrösche", sagte Professor McGonagall und Remus fragte sich schon, was das jetzt schon wieder sollte, als die Augen des Wasserspeiers zu glühen begannen.

Er trat zur Seite und legte eine steinerne Treppe frei. Professor McGonagall trat hinein und die Treppe begann sich spiralförmig nach oben zu bewegen. Remus betrat die Stufen ebenfalls und wurde nach oben getragen. Hinter ihm sprang der Wasserspeier wieder an seinen angestammten Platz zurück. Vor einer hochglanzpolierten Eichentür stoppte die Treppe. Die Professorin klopfe mit dem greifenförmigen Bronzeklopfer mehrfach an. Kurz darauf öffnete sich die Tür.

"Kommen Sie", sagte sie zu Remus und trat ein.

Dieser nahm die letzten Stufen und folgte er.

"Wow!", murmelte er, als er in das riesige Büro des Schulleiters eintrat. Auf den Tischen, die hier und da standen, befanden sich merkwürdige silberne Instrumente. Einige davon surrten und stießen Rauchwolken aus, während die anderen nur still dastanden. An den Wänden hingen dutzende von Gemälden. Diese Porträts schienen wohl ehemalige Schulleiter und Schulleiterinnen darzustellen. Die meisten schliefen jedoch und nur wenige bekamen die Neuankömmlinge mit.

"Jetzt stehen Sie hier nicht mit offenem Mund herum, Mr. Lupin", fuhr ihn die Professorin an. "Das ist äußerst unhöflich, finden Sie nicht?"

"Wie?"

Remus hatte gar nicht gemerkt, dass er so gestarrt hatte. Ebenso wenig hatte er den Schulleiter, welcher in einem hohen Ledersessel hinter seinem Schreibtisch saß, bemerkt. Dumbledore trug bereits ein blaues Nachtgewand mit gelben Sternen darauf, die abwechselnd blinkten. Auf dem Kopf trug er die passende Zipfelmütze, an deren Ende eine kleine Bommel hin- und herbaumelte.

"Oh, Verzeihung. Das tut mir leid", murmelte er etwas beschämt.

Der Direktor lachte.

"Das macht doch nichts. Jetzt setz dich doch bitte."

Er machte eine einladende Geste zu einem der Ledersessel vor seinem Schreibtisch. Zögerlich folgte Remus der Aufforderung und setzte sich. Der Sessel war sehr bequem und mit einem Mal fiel es dem Jungen recht schwer die Augen offen zu halten.

"Minerva, willst du dich nicht auch setzen?"

Professor McGonagall schüttelte leicht den Kopf.

"Nein Albus. Es wird ja nicht lang dauern, oder?"

"Sicherlich nicht."

Der alte Zauberer lächelte und wandte seine volle Aufmerksamkeit seinem zukünftigen Schüler zu.

"Also Remus. Schön, dass du unsere Verabredung nicht vergessen hast."

Remus nickte nur leicht.

"Sag, wie gefällt es dir bis jetzt hier in Hogwarts?"

"Recht gut, Herr Professor."

"Und wie war deine Anreise?"

"Auch gut, Herr Professor."

Was sollten diese banalen Fragen? Wieso kam der Direktor nicht auf den Punkt? Remus fiel es wirklich schwer wach zu bleiben - es war ja schon fast Mitternacht - und für solche Plaudereien hatte er nun wirklich nicht mehr den Nerv.

"Hast du schon ein paar Bekanntschaften gemacht?"

"Ja, Herr Professor. - Ähm - Ich möchte ja nicht unhöflich sein, aber könnten wir vielleicht auf den Punkt kommen, Herr Professor? Das eigentliche Gesprächsthema war doch ein ganz anderes."

"Schade, ich hätte mich gern etwas mit dir unterhalten. Aber du scheinst nicht sehr geduldig zu sein, wie?"

"Nein, nur müde."

Dumbledore lächelte mild.

"Verstehe. Na dann kommen wir auf den Punkt. Du bist ein Werwolf."

Es war wie ein Schlag in den Magen. Erst dieses Geplänkel und dann kam sofort der Knackpunkt. Remus konnte in diesem Moment nur nicken.

"Das ist ein Problem. Werwölfe können sehr gefährlich werden und das ist ein Grund, wieso der alte Direktor dich nicht aufnehmen wollte."

Wieder nickte der Brünette.

"Aber ich denke, dass es kein Problem gibt, was man nicht bewältigen kann, oder?"

Remus horchte auf. Also hatte der Schulleiter wirklich eine Idee, wie Remus keine Gefahr für andere werden konnte?

"Und wie gedenken Sie dieses Problem zu lösen?"

"Darüber wollte ich eben mit die sprechen. Eigentlich ist das eine ganz einfache Sache."

"Ich verstehe nicht ganz-"

"Wir haben zu Beginn der Sommerferien einen Baum - die sogenannte Peitschender Weide - gepflanzt. Unter ihr befindet sich ein Geheimgang, der zu einem Haus in Hogsmeade führt. Hogsmeade ist in der Nähe von Hogwarts. Auf dem Bahnhof ist der Zug angekommen. Jedenfalls habe ich das Gerücht verbreiten lassen, dass es in diesem Haus spukt. Madame Pomfrey, unsere Krankenschwester, wird dich zu Vollmond zur Peitschenden Weide geleiten und von dort aus wirst du allein weitergehen. In dem Haus kannst du dich dann verwandeln und bist so für niemanden eine Gefahr."

"Und was ist, wenn ich die Gang zurücklaufe? Dann bin ich im Freien. Das Risiko wäre somit sehr groß, dass ich jemanden anfalle."

Dumbledore schüttelte leicht den Kopf.

"Keine Angst mein Junge. Ich habe einen Bannkreis um die Hütte gelegt. Du kommst zwar als Mensch hinein und heraus, aber als Werwolf kannst du das Haus nicht mehr verlassen."

Remus erwiderte nichts. Der Plan schien recht einfach und relativ sicher zu sein. Viel konnte da seiner Meinung nach nicht falsch laufen. Vielleicht würden die sieben Schuljahre ja doch nicht ganz so schwer sein.

"Bist du damit einverstanden?", fragte der Direktor.

"Ja. - Ich denke, dass das klappen müsste. Sagen Sie: wer weiß eigentlich alles, dass ich ein Werwolf bin?"

Und wieder lächelte der alte Zauberer.

"Keine Sorge. Lediglich das Personal weiß davon. Deine Mitschüler wissen nichts. Ob du es ihnen sagst oder nicht, dass ist ganz allein deine Entscheidung. Vielleicht wäre es sogar besser, wenn du es ihnen nicht sagst."

Er sah den Jungen eindringlich an.

"Ich weiß nicht, ob es gut ginge, wenn die Eltern der Schüler davon erfahren, dass ein Werwolf Hogwarts besucht. Einige würden dies sicher nicht gut heißen und darauf bestehen, dass ich dich wieder von der Schule nehme. Daher würde ich dir raten, dass du es vorerst niemandem verrätst. Auch nicht deinen Freunden."

"Sie haben sicherlich recht, Professor. Wahrscheinlich wäre es wirklich das Beste für alle."

Der Schulleiter nickte zur Bestätigung.

"Remus, in zwei Tagen ist Vollmond. Ich möchte, dass du dich nach dem Abendessen sofort bei Madame Pomfrey einfindest, okay?"

Es war mehr ein Befehl, als eine Frage.

"Ja, das mache ich."

"Gut."

Das sanfte Lächeln kehre auf Dumbledores Gesicht zurück.

"Dann gehst du jetzt am besten schlafen. Schlaf schadet nie."

Remus war noch nicht einmal mehr zu einem Lächeln in der Lage, so müde war er. Die Zugreise hatte ihren Tribut gefordert. Remus fühlte sich ausgelaugt und leer. Am liebsten wäre er sofort in dem bequemen Ledersessel eingeschlafen, doch er quälte sich wieder auf seine Beine.

"Minerva, bringst du ihn noch zum Gemeinschaftsraum? Er schläft ja gleich im Stehen ein."

Professor McGonagall nickte stumm.

"Kommen Sie", sagte sie zu Remus und ging zur Tür.

Remus folgte ihr.

"Gute Nacht Professor Dumbledore", sagte er und ging nach draußen.

"Gute Nacht."

Auch Professor McGonagall verabschiedete sich und schloss die Tür hinter sich.
 

Dumbledore lehnte sich in seinem Sessel zurück und rieb sich die müden Augen. Es war wirklich spät und auch er konnte eine Mütze voll Schlaf gebrauchen.

Plötzlich flatterte eine Eule durch das geöffnete Fenster herein. Dumbledore runzelte die Stirn und nahm ihr den Brief ab. Sofort begann sie mit den Flügeln zu schlagen und flog in die schwarze Nacht hinaus. Der Schulleiter musterte den Brief und sein Gesicht legte sich noch mehr in Falten.
 

Empfänger:
 

Mr. Lupin

Büro des Schulleiters von Hogwarts

Hogwarts - Schule für Hexerei und Zauberei
 

Absender:
 

Mafalda Hopfkirch

Abteilung für unbefugte Zauberei

Zaubereiministerium
 

Was konnte das Ministerium nur von seinem Schützling wollen? Hatte es einen Zwischenfall während der Anreise gegeben?

"Abteilung für unbefugte Zauberei", las er laut.

Er legte den Brief beiseite und stand auf. Das hatte nun auch bis morgen Zeit. Der Junge hatte sich den Schlaf redlich verdient und Dumbledore war ebenfalls zu erschöpft, um sich nochmals auf den Weg zu machen. Der Brief würde schon nicht weglaufen.
 

Eine geraume Zeit lang waren Professor McGonagall und der junge Lupin nun schon unterwegs. Sie hatte, seit sie das Büro verlassen hatten, noch kein einziges Wort gewechselt. Remus sah sich die Gemälde an, an denen sie vorbeikamen. Die Leute in den Bildern schliefen entweder oder beschwerten sich, dass die beiden mitten in der Nacht noch in den Gängen herumschlichen anstatt zu schlafen.

"Professor?"

"Ja?"

"Ist es noch weit?"

"Nein. Wir sind gleich da. Noch den Gang entlang und dann rechts."
 

Nach ungefähr fünf Minuten standen sie vor dem Porträt einer dicken Frau, die ein rosa Kleid trug.

,Das passt überhaupt nicht zu ihr', dachte sich Remus.

Die Frau schlug die Augen auf und musterte die beiden eindringlich.

"Passwort?", fragte sie schließlich.

"Lunatic", antwortete Professor McGonagall und das Bild schwang zur Seite.

Die beiden betraten den Gemeinschaftsraum und wieder geriet Remus ins Schwärmen und Staunen, doch hielt es sich in Grenzen, da er die Müdigkeit nur zu deutlich in seinen Knochen spürte. Überall standen einladende Sessel herum und im Kamin brannte ein schwaches Feuer, das wohl bald erlöschen würde.

"Die Schlafssäle der Jungen befinden sich dort. Sie müssen nur an der Tür nachsehen, welcher Schlafsaal der Ihrige ist. Sie sind mit römischen Ziffern versehen. Suchen Sie nach der Eins. Wenn ich richtig liege, dann müsste er ganz oben sein."

Remus nickte, als Zeichen, dass er verstanden hatte.

"Und vergessen Sie das Passwort nicht, sonst können Sie den Gemeinschaftsraum nicht betreten."

"Ja, Professor. Lunatic, richtig?"

"Exakt."

Sie ging zum Porträtloch zurück - das Bild schwang zur Seite.

"Schlafen Sie gut", sagte sie und verschwand nach draußen.

Ohne etwas zu erwidern ging er zu der Tür, auf welche sie gedeutet hatte und öffnete sie. Dahinter befand sich eine Wendeltreppe, die er müde hinaufstieg. An jeder Tür hielt er inne und las die römische Ziffer - doch keine stand für den Schlafsaal der Erstklässler. Er stellte fest, dass Professor McGonagall recht behalten hatte und er ganz oben angekommen war, stand an der Tür eine große römische Eins. Leise öffnete er die Tür und schlüpfte hinein. Er schloss die Tür wieder und hatte sich gerade umgedreht, als direkt vor ihm jemand im Dunkeln stand. Erschrocken schrie er auf und wich einen Schritt zurück. Mehrere Leute begannen zu lachen.

"Lumos!", rief jemand und der Raum wurde erleuchtet.

Vor Remus stand Sirius, der der ihn gerade so erschreckt hatte. James hielt den leuchtenden Zauberstab. Peter und ein anderer Junge saßen auf ihren Betten. Die vier Jungen grinsten.

"Musst du mich so erschrecken?!", keifte Remus Sirius an.

"Wo warst du denn noch so lange?", fragte er mit einem süffisanten Grinsen.

"Das geht dich gar nichts an!"

Mit einer knappen Handbewegung hatte Sirius seinen Arm um Remus' Schulter gelegt und zog ihn zu sich.

"Versteh schon. Unser kleiner Remus hatte ein Date mit seiner süßen Lily."

"So ein Quatsch!"

Remus' Wangen glühten regelrecht.

"Ah, Volltreffer!"

"Von wegen Volltreffer!"

"Ach, und wo warst du dann?"

"Jedenfalls nicht bei Lily."

Er stieß sich von Sirius weg.

"Jetzt sag schon!", rief Peter und beäugte den Brünetten neugierig.

"Das geht euch alle überhaupt nichts an."

James warf ihm einen leicht angesäuerten und genervten Blick zu.

"He, wir haben uns nur Sorgen um dich gemacht. Mehr nicht. Immerhin hätte dich ein Lehrer erwischen können und dann wärst du noch vor deinem ersten Schultag geflogen."

"Danke für die Blumen", erwiderte Remus recht schroff. "Aber es ist trotzdem ganz allein meine Sache, was ich mache und wo ich mich herumtreibe."

Sirius ging an ihm vorbei und warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

"Deshalb brauchst du nicht gleich ausfallend zu werden."

Remus verdrehte genervt die Augen und verkniff sich seinen nächsten Kommentar.

Er knirschte mit den Zähnen: "Ich glaube, ich gehe jetzt lieber schlafen, sonst rutschen mir noch Dinge raus, die recht unangenehme Konsequenzen haben könnten."

Remus ging zu dem Bett, auf welchem seine Sachen lagen. Er öffnete seinen Koffer und holte seinen Pyjama heraus. Anschließend schloss er das Gepäckstück wieder, hievte es von seinem Bett und schob es darunter.

"Gute Nacht", knurrte er mehr, als dass es nett gemeint war und zog die Vorhänge um sein Himmelbett zu.

Dann schlüpfte er in seinen Pyjama und schlüpfte unter die Daunendecke. James löschte das Licht seines Zauberstabes und Remus konnte ihn und Sirius noch reden hören.

"Ganz schön eingebildet", murmelte Sirius. "Und ne ganz schön große Klappe hat er auch."

"Stimmt..."

James dämmte seine Stimme. Zu gern hätte er gewusst, was die beiden noch beredeten, doch er verstand leider kein klares Wort mehr. Etwas verstimmt drehte er sich auf die Seite und lag einige Zeit mit offenen Augen da.

,Na das hat ja alles toll angefangen', dachte er niedergeschlagen und seufzte leise. Nicht nur, dass Severus jetzt in Slytherin war, jetzt verachtete er ihn auch noch und das Einzige, was der Schwarzschopf ihm entgegenbracht, waren eiskalte, hasserfüllte Blicke. Lily hatte er einfach auf der Treppe stehen gelassen, ohne ihr einen gescheiten Grund zu geben. Zudem hatte er sich auch noch mit den anderen - und vor allen Dingen mit Sirius - zerstritten. Das war wirklich ein erfolgreicher erster Tag für ihn gewesen. So viel Mist hatte er innerhalb eines einzigen Tages noch nie verzapft. Das war ein neuer Rekord. Wenn die anderen Tage genau so werden würden, dann konnte seine Schulzeit ja heiter werden. Das Schlimmste hatte er ja noch gar nicht hinter sich. Die Vollmondnächte kamen ja erst noch. Waren sie zu hause schon schlimm gewesen, wie würden sie dann hier werden, wenn er es in einer Woche geschafft hatte, die ganze Schule gegen sich aufzuhetzen? Und gab es da nicht noch ein Übel? Ein Übel, das genau so schrecklich ist, wie die Verwandlungen zu Vollmond? Das Übel mit dem Namen Lucius Malfoy? Was würde sich dieser Slytherin noch alles einfallen lassen, um ihm das Leben schwer zu machen? Remus seufzte. Daran wollte er gar nicht erst denken.

Er schloss die Augen. Aber die nächste Hürde, die es zu nehmen galt, war wohl der erste Unterrichtstag. Noch immer grauste es ihn, wenn er nur daran dachte. Würde er sich sehr dumm anstellen? Wussten die anderen besser - viel besser als er bescheid? Aber es gab ja auch noch die Muggelstämmigen. Waren die in Sachen Magie nicht noch unerfahren? Aber was, wenn sie genau so dachten wie Remus selbst und deshalb schon einiges aus Büchern gelernt hatten? Und wieder musste sich der Brünette zur Ordnung rufen.

,Es bringt nichts dir jetzt einen Kopf darüber zu machen, Remus. Du musst schlafen. Wenn du nicht ausgeschlafen bist, dann läuft sicherlich wieder alles schief. Also schlaf jetzt!'

Er wälzte sich noch einige Zeit unruhig hin und her, doch irgendwann - zwischen zwei und drei Uhr morgens - hatte er es doch geschafft und war endlich eingeschlafen.
 

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1.Akt, Kap.III - Ende

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2004-08-16T16:27:42+00:00 16.08.2004 18:27
Wahnsinnig gut geschriebene, intersannte fic!!! Ich freu mich auf das nächste Kapitel!
Von:  Drachenherz
2004-08-16T09:03:46+00:00 16.08.2004 11:03
Es geht weiter *freu*
Aber was mich wundert. Ich hab irgendwo mal gelesen, dass Lily in Ravenclaw war und nicht in Gryffindor.
Und waren die Weasleys nicht auch mit James und Co. auf Hogwarts?
Aber es war schon wieder so ein schön langes Pitelchen ^^
Freue mich schon tierisch auf den Nächsten Teil (der erst nächsten Monat kommt *heul*). Mach weiter so

Grauwolf


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