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Jumays Kinder

Part 5: Kinder des Wassers - Verloren im Sand
von

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Prolog

Mängel beseitigt ;-)
 

Geschichten, Legenden, Sagen... war es ernsthaft das, was von der Reise der 14 Weisen übrig geblieben war? Oder der Heldentat des Prinzen Umuri von Noboka? Traurig einerseits, aber bemerkenswert, dass die Erinnerung in der modernen Welt daran noch so fest verankert war. Da gab es schon Wichtigeres, was vergessen wurde. Wirklich wichtiger? Nein... aber wer kannte schon noch die wirkliche Bedeutung der so oft ausgesprochenen Worte? Es kam also auf das Selbe hinaus...

Genau so wie der Gedanke „Uns passiert das nicht!“. Egal wie viel Zeit vergangen war, der Kreisel drehte sich und der dunkle Fleck kehrte immer wieder. Ob es das Schicksal dieser Welt war?
 

- - -
 

„Ich irre mich selten, also wage ich zu fragen, was das soll!“

Stirnrunzeld deutete ein Mann mittleren Alters auf seinen Wochenplan. Uda Magafi war in Phatati-shû, seinem Heimatland auf dem Kontinent Noboka, ein Politiker allergrößten Ranges und so war es schon vor langer Zeit gekommen, dass er All-Aprî (die Hauptstadt von Phatati-shû) verlassen und in die Kontinentalhauptstadt Wakawariwa ziehen musste. Und in den letzten Jahren, sein Rang hatte sich nahezu regelmäßig gesteigert, war er auch des Öfteren im Außendienst tätig, wie er es ausdrückte.

So hatte seine Reise ihn diesmal nach Palbuflor, der Kontinentalhauptstadt Kamakes und der zweitgrößten Stadt der Welt geführt. Sehr zu seinem Leidwesen, wie er im Nachhinein bemerkte, denn seine Zeit dort schien ziemlich verplant zu sein...

„Es tut uns sehr Leid, aber der Minister hat gemeint, damit könnten wir Sie durchaus betrauen!“

Der kleine Angestellte kratzte sich verlegen lächelnd hinter dem Kopf. Immer wurden die Laufburschen angeschnauzt, war doch echt schlimm...

„Und was ist mit meiner Tochter?!“

Ein überaus empörter Unterton schwang in der Stimme des kräftigen Mannes mit und der unterbezahlte Kamaker zuckte mit den Schultern.

„Weiß nicht. Was ist denn mit ihr?“

„Das frag ich dich, du Idiot!“

Der Mann war für seine überaus ungestüme Wortwahl bekannt, so störte sich auch niemand in dem Ratsgebäude an seinem Ausruf.

„Aber ich weiß es doch nicht, bin doch bloß ein Praktikant...“
 

„Wenn ich mich einmischen dürfte...“

Aber gerne doch, gut aussehende Damen durften sich überall einmischen! Himmel sei Dank waren die beiden Männer so diszipliniert, das nicht laut auszusprechen, als die schick angezogene Frau neben ihnen auftauchte. Sie arbeitete für einen Kamaker Außenminister, Uda Magafi kannte sie.

„Ich könnte veranlassen, dass man das Mädchen hier her bringt. Mitsamt ihrer Gattin und dem nötigen Personal, versteht sich. Was eignet sich schon besser als Geburtstagsgeschenk als eine Rundreise auf einem fremden Erdteil...?“

Die knallrot gefärbten Lippen der jungen Frau verzogen sich zu einem wissenden Grinsen, das von einem leicht irritierten Lächeln des Nobokaers erwidert wurde.

„Warum Geburtstagsgeschenk?“

Der Praktikant war noch sehr neu, so wusste er nicht, wann es galt, seine Klappe zu halten. Die Ranghöheren rechneten es ihm auch nicht an, er wurde einfach mit knallharter Ignoranz gestraft.

„Wenn Ihnen das nicht zu viele Umstände bereitet, würde ich doch sehr darum bitten. Aber sagen Sie, meine Dame, woher wissen sie um den Geburtstag meiner Tochter?“

Ihr Grinsen blieb beständig, als sie antwortete.

„Man hat mich mit der Aufgabe betraut, mich immer um das Wohl unserer Gäste zu kümmern. Und bei so hochrangigen Persönlichkeiten wie Ihnen, Herr Magafi, sind wir natürlich auch nicht davon abgeneigt, ein gewisses Maß an Kosten auf uns zu nehmen. Ich werde unverzüglich eine Flugmaschine bestellen lassen.“, aus dem Grinsen wurde ein Lächeln, „Morgen Abend werden Sie ihre Liebsten in die Arme schließen können.“
 

„Nach Kamake?! Zu Papa?!“

Die Dame aus Palbuflor hatte allem Anschein nach Recht behalten, als Choraly Magafi, Uda Magafis Tochter, von ihrem besonderen „Geburtstagsgeschenk“ erfuhr.

„Atti, ist das nicht wunderbar? Nach Kamake, oh wie schön...“

Atti war seit deren Geburt das Kindermädchen der kleinen Prinzessin gewesen, auch wenn man sie nun wohl eher als eine Art bezahlte Freundin für die nun mehr 15-jährige junge Frau bezeichnen konnte.

„Werde ich denn mitkommen?“, fragte diese amüsiert kichernd, während Choraly durch ihr Zimmer

tanzte und irgendein Kinderlied summte. Sie kam nicht oft aus der großen Stadt heraus...

„Ja wirst du. Sehe es als eine Ehre, denn du bist die einzige Bedienstete, die wir mitnehmen werden. Prinzessin, sind deine Sachen gepackt?“

Naputi Magafi, die gerade den Raum betreten hatte, wirkte auf Anhieb eingebildet und hochnäsig, hatte aber einen guten Kern, was sowohl Atti, wie auch ihre Tochter sehr zu schätzen wussten. Dennoch war auch sie eine viel beschäftigte Frau, kümmerte sich um Bürgerinitiativen und verbesserte die Welt und so hatte sie in deren Kindheit nicht besonders viel Zeit für ihre Kinder aufbringen können, was Atti seit jeher umso gefragter machte. Sie wurde unter den Bediensteten der Familie sowieso immer bevorzugt.

„Ich sehe es als eine Ehre, meine Dame, Choralys Sachen habe ich gepackt. Sie hat mir geholfen.“, verkündete sie so auch recht vergnügt und Naputi Magafi hob skeptisch eine Braue.

„Schau nicht so, Mama, ich hab ihr wirklich geholfen!“

Aus ihrem Freudentanz gerissen, verschränkte die 15-jährige nun beleidigt die Arme vor der Brust. Immer unterschätzte sie jeder. Konnten die nicht endlich aufhören, sie wie eine Porzellanpuppe zu behandeln?
 


 

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So, hab ichso doch hochgeladen uû Mir war langweilig "XD

Ankunft

„Ich liebe Flugmaschinen!“, verkündete Choraly Magafi vergnügt, während sie aus dem kleinen Kabinenfenster auf die karge Landschaft unter ihr sah, „Da sieht man doch mal, wie groß die Welt eigentlich ist!“

„Ob die anderen Welten größer sind als unsere?“, fragte sich Atti unterdessen laut, während sie ein wenig Handgepäck verstaute.

Naputi Magafi blätterte derweil unbeeindruckt in ihrem Terminkalender. Viel zu oft war sie schon in diesen seltsamen Geräten geflogen, als dass sie ein Blick aus der Höhe noch reizen würde. Vor allen Dingen, weil seit einigen Minuten sowieso nur noch Wüste unter ihnen war.

Die Wüste Nanmo war die größte ihrer Welt. Sie nahm fast ein Drittel des Kontinents Kamake ein und ging in Mon'dany sogar noch weiter. Und genau dort mussten sie sich jetzt auch befinden.

Die Dame seufzte. In Fides konnte man viel besser einkaufen als in Palbuflor...

„Warum fliegen wir eigentlich einen Umweg?“

Choralys nachdenkliche Stimme riss sie aus ihren Gedanken und zunächst verstand sie gar nicht, was ihre Tochter meinte; so enthielt sie sich einfach einer Antwort und überließ die Arbeit Atti. Dafür hatte sie sie schließlich...

„Was genau meinst du mit Umweg?“, fragte diese allerdings genau so verwirrt wie ihre Arbeitgeberin und blinzelte.

„Na, überlege doch mal.“, machte das brünette Mädchen weiterhin aus dem Fenster starrend, „Wir könnten doch von Wakawariwa einfach gerade aus in den Süden fliegen und würden sofort in Palbuflor ankommen. Stattdessen meiden wir aber das Meer und fliegen in einem Halbkreis um es herum, das ist doch Irrsinn.“

„Ah!“, staunte das Kindermädchen und auch die Mutter verstand nun, ließ sich aber nichts anmerken, „Du machst dir aber Gedanken. Aber ich kann dir sagen, warum das so ist.“

Ihr Blick wanderte ebenfalls zu einem Fenster, ehe sie weiter sprach.

„Der gesamte Äquator ist von einem starken Magnetfeld umgeben. Man vermutet sogar, dass das Meer und die Landfläche deshalb so verlaufen, wie es jetzt ist. Über Land ist das Magnetfeld schwächer als über dem Meer, man meidet es, weil es zu ernsthaften Turbolenzen führen kann.“

Sie lächelte und nun war es Choraly, die staunte.

„Was du nicht alles weißt...“, machte Naputi Magafi nur, weiterhin in ihren Terminkalender vertieft.

„Und warum können die Schiffe dann über das Meer fahren?“

Atti lachte.

„Flugmaschinen gibt es vielleicht seit 50 Jahren, Schiffe gab es aber schon vor 1000! Da ist die Technik schon etwas weiter...“

„Aha.“

Das Mädchen hob skeptisch eine Braue. Befanden sie sich nicht gerade über dem Äquator? Ihr Blick klebte an der eintönigen Wüstenlandschaft unter ihr. Sie hatte Kopfschmerzen, aber sie war sich nicht so ganz sicher, ob sie die Schuld dem ewig gleichen vorbeiziehendem Bild, das sie dort in der Tiefe sah, oder etwas anderem geben sollte.

„Kann man Magnetfelder spüren?“

Atti seufzte.

„Jetzt überfragst du mich. Feinfühlige Menschen vielleicht.“

„Mein Kopf schmerzt ein wenig.“

Choraly schaute zu ihrer Mutter, die sich stöhnend die Schläfen rieb.

„Meiner auch.“

Das Kindermädchen rümpfte die Nase.

„Meiner nicht. Vielleicht liegt es ja an...“

Sie verstummte und die drei Frauen starrten sich zeitgleich an, als sich das Summen der Flugmaschine veränderte und ein seltsames metallisches Klirren ihnen die Nackenhaare zu Berge stehen lies.

„Was war das?“, fragte Naputi Magafi als Erste skeptisch in die Runde und bekam zur Antwort ratlose Gesichter.

Das Klirren wiederholte sich ein weiteres Mal, bloß, dass es nun wesentlich länger anhielt und die Flugmaschine langsam aber sicher in eine extrem Schräglage, nach links geneigt, abrutschte.

„Wir stürzen doch nicht etwa ab...?“, wagte nun Atti stimmlos zu fragen und ihre Arbeitgeberin fauchte.

„Rede nicht vom Unheil!“

„Vielleicht waren es die Himmelsblüter?“, machte Choraly nur.

„Hör auf mit deinen Horrorgeschichten! Ich werde jetzt mal den Piloten fragen, was das soll!“

Entnervt warf die Frau ihrem Terminkalender bei Seite und stand auf, Richtung Cockpit trampelnd.

Doch noch ehe sie es erreichen konnte, wurden all ihre Fragen beantwortet.
 

Ein schrilles Quietschen erfüllte den Raum, gefolgt von einer dumpfen Explosion und der plötzlichen Druckveränderung in dem Maschine, ehe sie völlig den Halt verlor und ungehindert den Sturzflug begann. Das alles geschah so schnell, dass niemand es wirklich erfassen konnte.

Choraly schrie einfach nur. Sie schrie und schrie und konnte gar nicht mehr aufhören zu schreien. Ihr Magen fühlte sich so an, als sei er irgendwo weiter oben hängen geblieben und gar nicht mehr da und sie fragte sich einen Moment, wie ihre Mutter es schaffte, sich unangeschnallt richtig festzuhalten. Sie sah es nicht, denn sie presste panisch die Augen zu. Im Nachhinein hätte sie ihre Mutter gerne noch einmal angesehen. Sie hörte sie bloß in weiter Ferne, so kam es ihr durch die seltsamen surrenden und klirrenden Geräusche des Absturzes zumindest vor, mit Atti schimpfen. Sie schrie aus Leibeskräften, das alles sei nur ihre Schuld, weil sie vom Unheil gesprochen habe und Atti weinte. Sie weinte so bitterlich und hysterisch, dass auch dieses Geräusch den Todesklang übertönen konnte und mit einem Mal verstand Choraly, warum, und verstummte selbst.
 

Sie würden sterben.
 

Atti weinte, weil sie nie wieder ihren Mann und ihren kleinen Sohn sehen würde. Ihre Mutter schimpfte nicht, weil sie böse war, sondern weil es ihre Art war, ihre Todesangst auszudrücken. Und Choraly war still. Sie war ganz still. Am liebsten wollte sie, dass alle still waren, dass man nur noch die schrecklichen Geräusche der Flugmaschine hören konnte.

Sie wollte nicht, dass Atti weinte. Atti, die sie immer getröstet hatte, wenn sie traurig gewesen war, die immer ein Lächeln auf den Lippen getragen hatte. Sie wollte sie nicht weinen hören.

Genau so wenig wollte sie ihre Mutter mittlerweile unverständliche Dinge kreischen hören. Ihre Mutter, eine so starke Frau, die sie immer so bewundert hatte. Das alles wollte sie nicht.
 

Es sollte doch bitte einfach vorbei sein.
 

Das war das Letzte, woran sie sich erinnerte, ehe sie ihr Bewusstsein verlor.
 

--
 

Husten. Jemand hustete. Ihr Brustkorb schmerzte und das Atmen tat weh. Hustete sie selbst? Sie blinzelte. Die Sicht war verschwommen, doch nach einiger Zeit hatten sich ihre Augen an das Halbdunkel des Ortes, an dem sie sich befand, gewohnt. Wo war sie hier? Etwas lag auf ihr, doch sie wusste nicht was, denn sie lag auf dem Bauch und konnte sich nicht umdrehen. Sie selbst lag auch auf etwas. Es war weich und samtig... sie lag auf einer Sitzbank!

Ihre Glieder schmerzten, aber anscheinend war sie nicht ernsthaft verletzte. Sie lebte... sie lebte!

Mit aller Kraft versuchte Choraly sich aufzurichten, die Trümmer von sich zu werfen und nach dem dritten Versuch gelang es ihr endlich. Was sie zunächst in der Freiheit spürte, war wie ein Schlag auf den Kopf. Die Außentemperatur entsprach in etwa der Hitze, bei der Mann ein Stück Fleisch bratete, so kam es ihr zumindest vor und abermals musste sie erst einmal eine Weile blinzeln, ehe sie etwas erkennen konnte.

Wüste... und überall Trümmer, die meisten brannten. Wo waren die anderen?

Das Mädchen erschauderte, obwohl es so heiß war. Hoffentlich waren sie noch am Leben...

Vorsichtig tappste sie durch die Reste der Flugmaschine, verängstigt wie ein Beutetier, und sah sich um.

Nichts... nichts... ein verkohltes Bein! Verkohlt war nicht gut...

Fast schon erfreut war die junge Frau darüber, dass der dazugehörige Körper der eines Mannes war, des Piloten. Skeptisch tippte sie ihn ein paar Mal an.

„Hallo... Herr Pilot? Ihr Bein ist abgebrannt... „

Der Mann rührte sich nicht. Choraly beugte sich über ihn und betrachtete ihn genauer. Er hatte eine Platzwunde am Kopf. Seine geschlossenen Augen waren dunkelblau, fast schwarz unterlaufen, das restliche Gesicht war unnormal fahl.

„Sie sind tot, nicht wahr, Herr Pilot?“

Herr Pilot antwortete nicht und die ersten Tränen bahnten sich den Weg über die Wangen der jungen Frau. Sie weinte nicht wirklich um den Piloten, sie hatte ihn schließlich kaum gekannt; es machte ihr viel mehr klar, wie wenig Hoffnung sie haben durfte...

Und das war alles ihre Schuld, weil sie bald Geburtstag hatte...

Schluchzend wandte sie sich ab und ging weiter.

„Auf dass sie einen schönen Platz im Himmelreich bekommen, Herr Pilot...“

Während sie so vor sich hin murmelte, entdeckte sie einen Arm aus den Trümmern ragend, und er war nicht verkohlt.

„Mama? Atti?“

Sie griff nach der Hand und war überrascht, wie leicht sich die Verschüttete aus den Trümmern ziehen ließ. Doch als sie den Arm komplett hervor gezogen hatte, entrann ihrer Kehle ein langer, schriller Schrei.

Am anderen Ende des Armes war nicht Naputi Magafi. Da war auch keine Atti. Da war niemand, nur ein zerfetztes Schultergelenk.

Panisch warf die 15-jährige das blutige Körperteil von sich, weiter vor sich hin kreischend und auf das Stück Fleisch, das nun ein paar Meter von ihr entfernt am Boden lag, starrend.

„Mamiiiiii!!! Attiiiii!“

Sie wandte sich ab und rannte in die entgegengesetzte Richtung, weiter schreiend.

„Wo seid ihr??!! Wo... Atti!“

Sie erkannte ihr Kindermädchen in einem weiteren Haufen von Trümmern. Ihr Körper ragte von der Hüfte aufwärts aus dem brennend Schutt, war allerdings bis unter die Brust verbrannt und blutig. Choraly wusste, als sie sich ihr bis auf ein paar Meter genähert hatte, dass sie sie nicht mehr heraus ziehen musste, denn auch sie war bereits tot; diesmal jedoch schrie sie nicht. Sie weinte bloß stumm und wandte sich benommen ab, wieder in die Richtung gehend, in der sie den Arm gefunden hatte. Dort in der Nähe musste schließlich auch der Rest des Körpers ihrer Mutter befinden.

Vielleicht sollte sie nicht mehr nachsehen? Es war doch eh sinnlos... aber mit einem Arm konnte man doch auch ein schönes Leben führen... oder nicht?

Im Nachhinein war es eh egal, denn sie musste nicht lange suchen, da fand sie auch schon den Rest von Naputi Magafis Körper, blutig und bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.

Den Arm musste sie wohl bei dem Versuch sich irgendwie festzuklammern verloren haben, kam Choraly der ernüchternde Gedanke und sie wandte sich ab.
 

Das alles kam ihr wie ein furchtbarer Alptraum vor. Sie, ganz allein in der Wüste, alle anderen tot... ihr Vater! Ihr Vater lebte doch noch!

„Papi...“

Müde tat sie einen Schritt vor den anderen. Ihr Papi war noch da, er würde auf sie warten. Sie müsste ihn bloß benachrichtigen... irgendwie. Hier musste es doch irgendwo Menschen geben...?
 

Irgendwo sicherlich. Schon bald war das Flugmaschinenwrack aus ihrer Sichtweite verschwunden und vor und hinter ihr war nur noch Sand, über ihr der unendlich blaue, wolkenlose Himmel und die erbärmlich heiß scheinende Sonne.

Hier gab es keinen Wind und kein Wasser, keine Tiere und kein Leben und auch nichts, dass ihr im entferntesten die Uhrzeit zeigen konnte, mit Ausnahme der Sonne selbst.

Und so ging sie einfach, völlig orientierungslos durch die immer gleich bleibende Landschaft, die erst mit dem Horizont zu enden schien, aber in Wirklichkeit noch viel viel weiter reichen musste.

Wie es nicht anders sein konnte, war sie schon sehr bald sehr durstig und als die Nacht kam, fühlte sie sich durch den plötzlichen Temperaturunterschied ganz fiebrig.

Von den schrecklichen Bildern ihrer Erinnerung gepeinigt und durch das immer gleiche Ödland um sie herum verwirrt, stieß sie schließlich einen markerschütternden Schrei aus.

„Das hier ist ein Land des Todes!“, machte sie dann, „Ich hätte genau so gut bei dem Absturz sterben können, aber nein, ich muss zuerst in der Hitze verbrennen, in der Kälte erfrieren und vor Durst zusammenbrechen, bis man mich erlöst! Ich wette, die Himmelsblüter waren es! Mit Sicherheit! Zeigt euch, ihr Missgeburten!“
 

Wie fast jedem Kind hatte man auch Chorlay, als sie klein war, die Geschichte der Kalenao, der Himmelsblüter erzählt. Der Menschen, mit den besonderen Fähigkeiten, die die Sprache der Götter sprechen und verstehen konnten und die Macht über andere Menschen hatten.

Man hatte diese Wesen (denn die 15-jährige war noch nie dazu bereit gewesen, sie als Menschen anzuerkennen) nie besonders gut behandelt, war ihnen gegenüber seit jeher sehr skeptisch gewesen und vor etwa 400 Jahren, zur Zeit des neuen Jahrtausends, wollten diese Dinger die Welt tatsächlich unter ihre Kontrolle bringen, mit hinterlistigen Machenschaften und Intrigen, ebenso mit ihren furchteinflößenden Waffen und ihren seltsamen Zaubern. Doch durch die vierzehn Weisen, in diesem Falle Choralys Helden, wurden sie aufgehalten und beinahe ausgerottet, so dass sie inzwischen eine absolute Minderheit in der Weltbevölkerung bildeten.
 

Persönlich kannte Choraly eigentlich keinen Himmelsblüter, aber durch ihre extrem schlechte Meinung von ihnen war sie dieser Tatsache auch sehr dankbar, denn so konnte sie getrost diese Wesen für alles Unheil auf der Welt verantwortlich machen, ohne jemandem auf den Schlips zu treten.
 

Aber was scherten sie jetzt diese Dinger?
 

Die Sonne stand inzwischen wieder hoch am Himmel und die junge Frau war sich mittlerweile nicht mehr sicher, ob sie seit einem oder schon seit zwei Tagen durch die Wüste rannte. Fest stand nur, dass sie es nicht mehr all zu lange tun würde.

Ihre Fußsohlen waren weich gekocht und der Rest ihrer Haut fühlte sich so an, als wäre sie frisch aus dem Backofen gekrochen. Beim Atmen kam es ihr so vor, als sei ihre gesamte Lunge mit Sand betoniert, doch all das war nicht so schlimm wie der Durst, der sie immer wieder schwindeln lies.
 

Was brachte es noch, weiter zu rennen? Ob sie nun hier starb oder 500 Meter weiter, machte doch eh keinen Unterschied. Es war doch ganz egal, sie würde eh nicht mehr nach Hause kommen. Und dabei hatte sie bloß ihren Geburtstag mit ihrem Vater zusammen feiern wollen. Es war so ungerecht...

So sank sie auf die Knie und legte sich wenige Minuten später einfach hin, mitten in den Sand.
 

„Tod, ich warte auf dich.“
 

--
 

„Muss ich mir Gedanken machen, wenn im Bett meines Verlobten ein fremdes Mädchen liegt?“

„Nein, Bruder hat sie in der Wüste gefunden. Sie wäre fast gestorben da draußen. Ich habe keine Ahnung, von wo sie kommen könnte...“
 

Choraly blinzelte. Es war... düster, aber nicht so dunkel, dass man nichts mehr erkennen konnte. Und angenehm kühl!

Vorsichtig drehte sie den Kopf. Der Raum, in dem sie sich befand, sah ziemlich schäbig aus, schien aber sauber und auch bewohnt zu sein.
 

Sie lebte noch immer...
 

„Ist sie wach?“

„Warte, ich schaue nach.“
 

Ihre Augen weiteten sich, als in ihrem Sichtfeld plötzlich eine junge Frau, sie musste in ihrem Alter sein, auftauchte und sie lächelnd musterte.
 

„Ja. Sie ist wach.“
 

Erst jetzt bemerkte die 15-jährige, dass sie in einer Art Bett lag und außer ihr und dem anderen Mädchen noch ein weiteres im Raum war, allerdings auf der Seite, der sie mittlerweile den Rücken zukehrte.
 

„Wer seid ihr?“
 

Choraly erschrak über ihre brüchigen Worte, denn es klang so, als, als hätte sie den Inhalt eines Sandkastens verschluckt. Vermutlich hatte sie das auch...
 

„Und sprechen tut sie auch noch.“

Das andere Mädchen grinste und strich sich eine Strähne ihres schulterlangen Haares hinter ihr rechtes Ohr, ehe auch die zweite Fremde sich zeigte. Sie war kleiner und Choraly fiel auf, dass ihr Blick immer wieder seltsam ziellos durch den Raum huschte, als würde sie etwas suchen.
 

„Wie sieht sie aus?“, fragte nun die Kleine und die, mit den schulterlangen Haaren setzte sich ans Bett, die Brünette musternd.

„Blass.“, machte sie so, als könnte Choraly sie nicht hören und schmunzelte vor sich hin, „Lange braune Haare und auch braune Augen. Ganz hübsch.“

„Hallo?“, fragte diese nun etwas perplex, „Ich kann verstehen, wenn du über mich redest! Wer seid ihr?“

„Ist mir schon klar.“, antwortete die Fremde ihr und erhob sich, „Mich kannst du Lilli nennen, den kleinen Maulwurf hier Tai. Und du bist?“

„Hey!“, mischte sich die, die mit Tai vorgestellt worden war, ein und verschränkte die Arme vor der Brust, „Mein Name ist Tainini und mich Maulwurf zu nennen ist gar nicht nett!“

„Und?“, ignorierte Lilli die Kleine gekonnt.

„Choraly Magafi.“

Angesprochene setzte sich auf und fasste nach ihrem schmerzenden Kopf. Das kam ihr immer noch vor wie ein Traum...

„Und wie bist du mitten in die Wüste gekommen?“, fragte die Fremde weiter.

„Die bessere Frage wäre doch, wie komme ich hier her?“, antwortete die 15-jährige etwas schnippischer als gewollt, „Ich für meinen Teil bin mit einer Flugmaschine abgestürzt und jetzt muss ich unbedingt meinen Vater erreichen, der dürfte in Palbuflor sein. Gibt es hier ein Funkgerät...?“

Schweigen.

Choraly blinzelte.

„Was schaut ihr so?“

„Ich schaue nicht, ich bin blind.“

Die Kleine kratzte sich perplex hinter ihrem Kopf. Deshalb ihr seltsames Benehmen...

„Was ist ein Palbuflor?“, fragte nun Lilli langsam und die Braunhaarige fiel vor lauter Schreck aus dem Bett.

„Du musst doch wissen, was Palbuflor ist!“

Mit zittrigen Beinen rappelte sie sich wieder auf und starrte ihr Gegenüber nun entsetzt an. Sie vergaß sogar zu schreien, weil sie sich weh getan hatte...

„Ne...?“

Die junge Frau fasste sich an den Kopf. Himmel, wo war sie denn hier gelandet...?

„Das ist die Kontinentalhauptstadt von Kamake!“

„Wie bitte?“, machte nun die Kleine und ehe Choraly entsetzt hätte sein können, riss jemand die provisorische Tür des Raumes auf, stolperte und fiel ihr vor die Füße.

„Jiro, du bist ein Idiot.“, machte Lilli und schaute auf die Person, die sich als Junge namens Jiro herausstellte, hinab.

Ihr Gast hob bloß eine Braue. War das hier normal, dass sich die Männer fremden Frauen zu Füßen warfen, wenn sie ihnen begegneten...?

„Danke für die Blumen.“, antwortete er keinesfalls erbost und rappelte sich wieder auf, Choraly angrinsend, „Du bist ja wieder wach!“

„Ähm, ja, ich denke schon...“, machte diese bloß.

„Also...“, er wandte sich an Lilli, „Ich war vorhin bei Chatgaia, beziehungsweise bei Mayora, denn Chatgaia war nicht da. Mayora hat gemeint, ich solle sie, wenn sie wieder wach ist, zu ihm bringen.“

„Hätte ich dir auch vorher sagen können.“, kam es aus irgendeiner Ecke des Raumes, doch abermals ignorierte man die Kleine.

„Gut.“, antwortete stattdessen Lilli und schaute nun wieder zu Choraly, „Tai wird dir was zum anziehen geben, du bist ja fast genau so klein wie sie und dann kann Jiro dich zu Mayora bringen.“

Sie lächelte und die kleine Blinde tat es ihr gleich. Noch ehe die Brünette fragen konnte, warum diese Tai ihr etwas zum Anziehen leihen wollte, merkte sie, wie zerfetzt ihr schönes Kleid war und starrte entsetzt an sich herab.

„Oh nein... das Ding war so teuer!“, kam es von ihr, während Lilli schon dabei war, sie in das Zimmer der Kleinen zu lotsen, aber niemand beachtete es, eben besonders, weil Jiro ja draußen bleiben musste.
 

„Ich denke, das passt dir ganz gut.“

Lilli hatte ein dunkelrotes Kleid aus einer Klamottenkiste gezogen und hielt es Choraly hin, die es zögernd annahm.

„Was ist das für ein Stoff?“, fragte sie, während sie sich aus ihrem alten Kleid schälte.

„Wir gewinnen ihn aus der Frucht des Kaliri-Baumes.“, antwortete Tai ihr, noch immer lächelnd.

Von einem Kaliri-Baum hatte das Stadtmädchen noch nie etwas gehört, aber sie fragte auch nicht weiter nach. Wichtig war jetzt bloß, dass sie es schaffte, irgendwie Kontakt mit ihrem Vater aufzunehmen. Sie würde diesen Mayora einfach einmal danach fragen, der schien laut Jiro ja Ahnung zu haben...
 

„Und dann geh ich so da und plötzlich stolpere ich und falle hin! Und dann steh ich auf und dann liegst du da und ich hab zuerst gedacht, du wärst tot und... boah, war das schrecklich!“

Thilia, so hieß das Dorf, in dem sie sich nun befand, war weder besonders hübsch, noch besonders interessant, wenn man davon absah, dass es in einer Oase mitten in der Wüste erbaut worden war und sich komplett selbst versorgte. So schenkte Choraly dem Ort kaum Beachtung und lauschte eher Jiros absolut spannender Erzählung, in der es im großen und ganzen nur darum ging, dass er es gewesen war, der sie gefunden und eingesammelt hatte.

„Du findest es schrecklich, eine ohnmächtige junge Frau zu finden? Na hör mal...“

Jiro blinzelte.

„Ich hab doch schon gesagt, dass ich gedacht habe, du wärst tot. Und glaub mir, Leichen zu finden macht keinen Spaß...“

Erst einmal inne haltend überkamen die 15-jährige nach dem Satz ihres Retters wieder die Erinnerungen an den Absturz, ihre Mutter und Atti und den Herrn Piloten, nicht zu vergessen. Dann grinste sie bitter.

„Hast du schon einmal den Arm deiner Mami in der Hand gehalten, ohne dass sie noch dran hing?“

Der Junge blinzelte.

„Du etwa...?“

Sie enthielt sich einer Antwort und ging einfach weiter, obwohl sie gar nicht wusste, wo sie hin musste. Jiro starrte ihr unterdessen erst einmal perplex hinterher.

„Was hat die denn mit ihrer Mutter angestellt...?“
 

„Und hier wohnt dieser Mayora?“

Mit hochgezogenen Brauen betrachtete sich das Stadtmädchen das Gebäude, das zwar im selben Stil wie alle anderen Bauten in Thilia erbaut worden war, aber dennoch viel schöner, größer und luxuriöser wirkte als der Rest des Dorfes.

„Der muss ja ein ganz schön toller Hecht sein...“

„Na ja“, machte Jiro, ihrem Blick folgend, „Er wohnt hier zusammen mit seiner Tante, Chatgaia, ihre Familie hat irgendwann vor vielen Jahren das Dorf gegründet und deshalb ist sie hier so was wie... wie würde das Stadtmädchen es bezeichnen? Bürgermeisterin?“

Choraly nickte.

„Ja, das ist sie. Und wenn sie mal nicht da ist, überlässt sie das Dorf Mayora. Ansonsten kommt er mir eher so vor wie... ihr Handlanger oder so... hm... gehen wir rein?“

Er grinste sie etwas dümmlich an und erst jetzt bemerkte das Mädchen, wie schäbig er eigentlich aussah. Seine Kleidung... seine Haare... er musste sicherlich hart arbeiten. Körperlich arbeiten. Wenn sie es sich recht überlegte, war er der erste Mensch dieses Niveaus, den sie kennen gelernt hatte...

„Ja, gehen wir...“
 

So etwas wie Schlösser zum Absperren der Türen gab es in Thilia scheinbar nicht, dachte sich Choraly, als Jiro einfach erhobenen Hauptes in das fremde Haus spazierte.

Innen war es zwar ebenfalls angenehm kühl, aber nicht so düster und schäbig wie bei ihrem Retter, viel mehr wirkte es wohnlich und auf seine eigene Art und Weise hübsch.

Vermutlich sehr viel hübscher als es in allen anderen Gebäuden dieses Dorfes aussah, ging es der 15-jährigen nun durch den Kopf, diese Chatgaia war sicher eine Tyrannin...
 

„Mayora? Huhu! Hier bin ich wieder! Ich hab was schönes mitgebracht! Mayora?“

Verdutzt schaute sich der Junge um.

„Eben war er doch noch hier... ah, da ist er ja.“

Er deutete grinsend auf den Treppenaufgang, der einzige düstere Bereich des unteren Teils des Hauses, wo nun eine Gestalt stand.

Die Braunhaarige rümpfte die Nase. Wieso zeigte der Kerl sich nicht und begrüßte sie anständig? Oder war der Obermacker des Dorfes etwa schüchtern? Oder so hässlich, dass er sich nicht traute, aus dem Schatten zu treten? Bei dem Gedanken musste die 15-jährige unweigerlich grinsen. Zumindest war er nicht fett, das konnte sie schon einmal an seiner Silhouette erkennen.

„Wie lautet dein Name?“

Die Stimme des komischen Typen riss sie aus ihren spöttischen Gedanken.

„Choraly Magafi.“, antwortete sie artig, obwohl sie es nicht gerade sehr höflich fand, dass er sie nicht begrüßt hatte und noch nicht einmal schlau genug war, sich selbst vorzustellen. Schließlich musste sie ihn noch um ein Funkgerät bitten...

„Dein Alter?“

„15. Aber in ein paar Tagen, glaube ich, werde ich 16.“

Er wandte den Kopf in Jiros Richtung.

„Ein Stadtmädchen?“

Jiro nickte.

„Sie wirft ständig mit seltsamen Worten um sich, also denke schon.“

Sehr zur Überraschung der jungen Frau entrann Mayoras Kehle ein Seufzen und er fasste sich, ein wenig ratlos wirkend, hinter der Kopf.

„Ist sie ängstlich?“

„Sie hat ihrer Mutter den Arm ausgerissen!“, antwortete Jiro mit großen Augen.

„Hab ich gar nicht!“, empörte sich Choraly erschrocken und stemmte die Arme in die Hüften.

Warum interessierte es den Kerl eigentlich, ob sie ängstlich war? War er etwa so dermaßen entstellt, dass er befürchtete, sie würde Albträume davon bekommen? Hätte Jiro, der Dummkopf, das dann nicht bereits erwähnt?

Sich mit solchen Gedanken befassend und von Jiro verwirrt angestarrt werdend, bemerkte sie Mayora selbst erst, als er wie aus dem nichts erschienen plötzlich vor ihr stand und ihre Hand schüttelte.

„Mein Name ist Mayora Timaro, ich bin 17 Jahre alt. Willkommen in Thilia.“
 

Eine Weile starrte sie ihr Gegenüber sprachlos aus riesigen Augen an, ehe ihre Kehle ein schriller Schrei verließ. Sich panisch von seiner Hand losreißend stolperte sie rückwärts und viel hin, den Schmerz abermals nicht beachtend und ihn einfach weiterhin angaffend.

„Du bist ein Monster, bleib bloß weg von mir!“, quiekte sie panisch, als Mayora einen Schritt auf sie zu ging.

Sie hatte Angst...

Völlig apathisch kroch sie weiter rückwärts und je länger sie ihrem Gegenüber in die Augen blickte, desto öfter erschienen in ihrem Kopf die Bilder des Erwachens nach dem Absturz. Ihre verbrannte Mutter... die halb verbrannte Atti... das verbrannte Bein des Herrn Piloten...

Feuer.

Tod.
 

„Du hast gesagt, sie wäre nicht ängstlich.“, hörte sie in weiter Ferne Mayora zu Jiro sagen, der etwas wie „Ich hätte nicht gedacht, dass man solche Angst vor dir haben kann.“ antwortete.
 

„Nein...“, machte Choraly schließlich schwer atmend und sich zittrig wieder aufrappelnd.

„Nein, wie könnte ich mich vor jemandem fürchten, den eine... Aura umgibt, bei dem sich einem der Magen umdreht? Wie könnte ich mich vor jemandem fürchten, dessen Haare die Farbe von Gift hat und dessen Augen so rot wie das Blut am Arm meiner Mutter sind?“

Sie wandte sich zitternd an Jiro.

„Sag mir, wo bin ich gelandet, dass dieser Ort von einer solch verabscheuungswürdigen Kreatur wie einem Himmelsblüter regiert werden kann...?“

Himmelsblut

Eine Weile herrschte Schweigen in Chatgaias Haus, einzig Choralys schwerer Atem war zu vernehmen, während sie Jiro aus weit aufgerissenen Augen anstarrte; dieser räusperte sich nach einer Weile jedoch nur hilflos.

„Ist schon gut.“, schaltete sich Mayora wieder ein und war so rücksichtsvoll, dem verängstigten Mädchen keinen Zentimeter mehr näher zu kommen.

„Es ist nicht gut, du Scheusal!“, quiekte dieses daraufhin bloß hysterisch und er seufzte, beschwichtigend die Hände hebend.

„Ich tue dir nichts. Wirklich nicht. Ich...“

„Halt den Mund, du Bastard!“

Ihren letzten Mut mobilisierend, hechtete die 15-jährige an den beiden Jungen vorbei und raus aus dem Haus, einfach der ihr unbekannten Sandstraße folgend.
 

Es war doch zum Verzweifeln! Immer wenn sie dachte, es ginge wieder bergauf, kam der nächste Schock. Ein echter Himmelsblüter! Wie abartig! Matsch-grüne Haare hatte er gehabt... und blutrote Augen... genau so, wie Atti ihr diese Dinger beschrieben hatte. Diese Viecher konnten theoretisch alle Haar- und Augenfarben der Welt haben, von völlig normalen bis hin zu total abgedrehten Kombinationen, wie bei diesem Mayora. Und feinfühlige Menschen wie Choraly nahmen ihre Auren wahr. Atti hatte erzählt, die Aura könnte einem etwas über die jeweilige Person sagen, aber das Mädchen konnte dieses widerliche Gefühl, das sie bei diesem Kerl gehabt hatte, nicht deuten.

Vermutlich war es aber simpel und sagte bloß aus, dass der Typ ein absoluter Mistkerl war...
 

Die junge Frau hielt inne, als sie die letzten Häuser des Dorfes erreicht hatte und sich vor ihr eine weite Grünfläche erstreckte. Die Wüste lies sich nur durch die berghohen Dünen, die man am Horizont erkennen konnte, erahnen. Es war hübsch hier... vor den Toren von Wakawariwa sah es ähnlich aus...

Ein wenig aus ihrem Trauma gerissen, spazierte Choraly kurzer Hand in die schöne Landschaft, sich bezaubert umsehend. Hier standen ein paar Bäume mit pelzigen weiß-grauen Früchten, die sie nicht kannte.

„Kaliri-Bäume...?“, fragte sie sich leise selbst und war daraufhin um so geschockter, als man ihr antwortete.

„Ja, daraus stellen wir Stoff für Kleidung her.“

Sie drehte sich um und zu ihrem Entsetzen stand sie Mayora nun abermals gegenüber.

Er ist ein Monster, dachte sie sich, wie kommt er hier her?

„Hör mal, Choraly, ich weiß ja nicht, was man dir in der großen Stadt erzählt hat, aber ich fresse sicher keine kleinen Mädchen mit braunen Haaren und einer Vorliebe für wüste Beschimpfungen.“

„Verspotte mich nicht, ich bin nicht dumm!“, unterbrach sie ihn empört und er seufzte leise.

„Sicher nicht. Also glaub mir. Wenn du mir nicht traust, dann kannst du niemandem in diesem Dorf trauen, denn über die Hälfte der Bürger von Thilia sind so wie ich. Jeder, den du triffst, ist entweder selbst so oder ist mit jemandem befreundet oder verwandt, der so ist. Gewöhne dich einfach an den Gedanken, dass die Gestalten, aus den Horror-Geschichten, die man dir als Kind erzählt hat, gar nicht so furchtbar sind, wie du vielleicht gedacht hast...“

„Rede dir von mir aus den Mund fusselig, ich vertraue dir nicht!“, antwortete sie bloß abermals barsch auf seine Predigt und drehte sich gewollt schnippisch weg. Sollte er doch erzählen was er wollte, er sah in ihr sicherlich nicht das, was er vorgab. Ihren Vermutungen nach war sie wohl eher so was wie ein Festmahl, oder eine Sklavin. Vielleicht auch ein „Prügelknabe“, wenn er sich abreagieren musste oder gar eine Gebermaschine für seine Monster-Kinder.

Entsetzt schlug sie sich die Hände vor den Mund. Er hob bloß nichts ahnend eine Braue.

„Du sollst mir ja auch nicht vertrauen, sondern bloß trauen. Das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe“, machte er bloß und sie schüttelte sich vor Gram, ihn schließlich ernst ansehend.

„Sag mal, Mayora...“, begann sie überraschend ruhig und vorsichtig und ihr Gegenüber hatte schon Hoffnung darauf, sie gezähmt zu haben, „Bist du eigentlich vergeben?“

„Vergeben?“, fragte er ein wenig überfordert, worauf in Choraly wieder die Frage aufkam, ob sie denn hier bei absoluten Hinterwäldlern gelandet war.

„Ob du eine Freundin hast!“

Den schnippischen Unterton hatte sie sich einmal mehr nicht verkneifen können. Ihr Gegenüber hatte sie unterdessen verstanden und sein Gesichtsausdruck schien nun beängstigend gleichgültig.

„Interessierst du dich etwa für mich?“, machte er bloß und die Braunhaarige erstarrte für einen Moment. Was bildete der sich denn ein!?

„Ernsthaft, sehe ich so aus, als könnte ich mich auf dieser Ebene für ein so abartiges Ding wie dich interessieren?! Also echt, davon abgesehen habe ich zuhause in Wakawariwa einen wunderschönen Verlobten mit sehr viel Geld und sehr gebildet, Vati hat ihn mir ausgesucht, und da brauche ich doch keine von der Natur hintergangenen Primitivlinge anmachen! Und selbst wenn ich das tun würde, dann würde ich mir schon etwas besseres einfallen lassen als „Bist du vergeben?“, ich bin nämlich kreativ, weil Menschen eben kreativ sind und da wäre ich schon niveauvoller. Bloß, dass es im Zusammenhang mit dir niemals dazu kommen wird, ich habe aus reinem Interesse gefragt, weil ich befürchtet habe, du hättest unsittliche Dinge mit mir vor, weil du ohne Freundin, und davon gehe ich aus, keine Möglichkeit hast, deine männlichen Triebe anständig zu befriedigen. Oder unterscheidet man bei euch Dingern gar nicht zwischen Männlein und Weiblein und ihr pflanzt euch wie ein Virus fort? Dann sollte man dagegen auf jeden Fall einen Impfstoff entwickeln, denn dein erbärmliches Aussehen ist eine Beleidigung für jedes Sehorgan, ich beneide Tai im Moment wirklich um ihre Blindheit! Jetzt bin ich abgeschweift, aber klipp und klar, ich bin nicht pervers oder geistig gestört, dass mich etwas wie dich auch nur auf irgendeine Art und Weise im geringsten positiv reizen könnte und ganz ehrlich, wenn man mich vor die Wahl stellen würde, zwischen dir und einem giftigen fleischfressenden Kaktus, dann würde ich die Pflanze nehmen!“
 

Sie beende ihren Redeschwall völlig außer Atem aber seltsam erleichtert. Mayora seinerseits hatte während ihres Vortrags kein einziges Mal auch nur mit der Wimper gezuckt, was Choraly doch ziemlich irritierte. Musste das nicht weh getan haben? Oder kannte er gar keine Gefühle? Na auch egal...

„Jetzt hab ich mich abreagiert.“, machte sie bloß, die Arme vor der Brust verschränkend und ihn nun ruhig ansehend.

„Danke.“, sagte er schließlich, „Keine Sorge, ich habe nichts Unsittliches mit dir vor. Komm, gehen wir zurück nach Hause. Wir haben noch einiges zu klären und dazu ist es mir hier draußen zu heiß.“

Ohne Protest abzuwarten kehrte er ihr den Rücken und ging vor.

Choraly hielt inne. Die ganze Zeit zu meckern war anstrengend und da sie sich so wie so gerade ordentlich ausgelassen hatte, konnte sie auch ausnahmsweise einmal auf ihn hören. Davon abgesehen war es auch wirklich erbärmlich heiß draußen...
 

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„Wie? Kein Funkgerät?“

„Nein, so etwas benötigen wir hier nicht.“

Mayora schaute die entsetzte Choraly gleichgültig an, ihr ein Glas mit undefinierbarem orange-braunen Saft hinhaltend.

„Natürlich braucht ihr eins! Gerade in solchen Fällen wie jetzt! Und was ist das für ein Schmodder?“

Angewidert starrte die junge Frau auf das Getränk.

War das denn überhaupt möglich? Ein Ort, der sich zu diesen Zeiten noch komplett selbst versorgte? Und dabei war der Lebensstandard in Thilia noch nicht einmal besonders niedrig. Ob das wohl Zauberei war...? Musste wohl, wenn es in diesem verfluchten Kaff noch mehr von Mayoras Sorte gab...

„Das ist ein Fruchtsaft. Zugegebener Maßen sind wir nicht darauf vorbereitet, irgendwelche fremden Mädchen, die vom Himmel fallen, artgerecht zu umsorgen, aber da wir wie gesagt kein Funkgerät besitzen, darfst du dich von nun an als vollwertiges Mitglied unserer Gemeinschaft bezeichnen. Trink schon!“

Er hielt ihr das Glas auffordernd vor die Nase und sie nahm es widerwillig an.

„Wenn ich sterbe, verhau ich dich.“, sie nippte vorsichtig, „Und was ist, wenn ich gar nicht zu eurer bescheuerten Gemeinschaft gehören will? Davon abgesehen bin ich eine 15-jährige Adlige, erwartest du etwa von mir, dass ich mir selbst irgendwo hier in der Nähe ein richtiges Haus baue? Und dann auch noch alleine darin lebe?! Ich bitte dich...“

„Natürlich nicht...“

Er wandte sich ab und ging zu einem Fenster, in den mittlerweile abendlichen Himmel starrend.

„Hier ist noch ein Zimmer frei, du bleibst bei uns. Tante Chatgaia wird dir Arbeiten auftragen, die dir nicht schwer fallen werden. Und morgen bringe ich dich zu unserem Schneider, der kann dir Kleidung machen...“

„Ich will aber nicht bei dir und deiner bescheuerten Tante wohnen!“, protestierte das Mädchen, mit einem nun leeren Glas in der Hand, voller Elan. Der Grünhaarige drehte sich wieder zu ihr.

„Sei dankbar, denn sie wird gut zu dir sein. Und...“

Kurz erfüllte Schweigen den Raum und Choraly hob eine Braue.

„Und was?“, machte sie, als sie ungeduldig wurde und ihr Gegenüber bedachte sie mit einem seltsamen Blick.

„Du kannst mit ihr nicht so sprechen wie mit mir. Du wirst dich manchmal sicher ungerecht behandelt fühlen, aber beschwere dich nicht! Wenn du Frust abbauen musst, hast du mich dafür. Komm einfach, schreie mich an, beleidige mich und verprügele mich, wenn es dich glücklich macht, aber widerspreche ihr niemals.“

Das Mädchen blinzelte. Während sie seiner kühlen Stimme gelauscht hatte, hatte sie eine Gänsehaut überkommen. Das hörte sich doch schon mehr nach so einer Horrorgeschichten-Himmelsblüterin an...

„Jetzt fürchte ich mich.“, gab sie beklommen zu und er schüttelte bloß leicht den Kopf.

„Nein, musst du nicht. Wenn du auf mich hörst, wird alles gut. Du wirst sie gleich kennen lernen.“
 

Er grinste plötzlich seltsam und Choraly legte den Kopf leicht schief.

„Was guckst du jetzt so blöd?“, fragte sie ihn unverblümt, als er sich leicht verneigte.

„Guten Abend.“

Noch ehe sie hätte fragen können, erklärte sich sein Verhalten von selbst.

„Guten Abend, Mayora. Guten Abend, Choraly“
 

Beklommen blinzelt drehte sich das Mädchen um. Am besten, sie lies es gleich bleiben, sich die Fragen zu stellen, wie die Frau nun plötzlich hier rein kam oder woher sie wusste, wie sie hieß.

„Guten Abend.“, machte sie nur, ihrem Gegenüber vorsichtig in die orangen Augen schauend. Die Farbe hatte Ähnlichkeit mit dem seltsamen Fruchtsaft, den sie da eben getrunken hatte, fiel ihr auf. Ihr Haar, das sie in einem strengen Zopf zusammengebunden trug, war zwar auch grün, allerdings wesentlich heller als das von Mayora, dem sie alles in allem kaum ähnelte.
 

Mit einem undefinierbarem Lächeln auf den Lippen nickte sie ihrem Neffen zu.

„Du hast dich gut um sie gekümmert und dabei war sie gar nicht nett zu dir. Geh und ruh dich aus, du hast deine Arbeit für heute gut gemacht.“

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren verschwand der junge Mann die Treppe hinauf und Choraly erschauderte abermals unschön. Würde sie ihr jetzt etwas antun, weil sie wusste, dass sie nicht nett zu Mayora gewesen war? Aber sie war den Umgang mit solch seltsamen Wesen doch gar nicht gewohnt...
 

„Willkommen in Thilia, Choraly!“

Chatgaia kam grinsend auf sie zu und je näher sie kam, desto schwindeliger wurde der jungen Frau. Ihre Aura war so widerlich...

„Ich weiß, dass es dir nicht gefällt, aber vorerst wirst du wohl hier bleiben müssen. Nachdem Mayora dich morgen zu unserem lieben Schneider gebracht hat, kann Jiro dich ein wenig im Dorf herumführen. Ich bin sicher, du wirst dich hier schnell zurecht finden...“

„Warum Jiro und nicht Mayora?“, wagte sie kleinlaut zu fragen. Und wo sie gerade dabei war fiel ihr noch etwas ein. Wo war Jiro eigentlich geblieben, als sie von den Kaliri-Bäumen zurückgekommen war? Hatte der Giftzwerg ihn etwa wieder zurück nach Hause geschickt? Dabei hatte sie sich doch noch für ihre Rettung bedanken wollen...

„Mayora hat viel zu tun, du wirst es im Laufe der Zeit merken. Er muss mir helfen, diesen Haufen von Verrückten da draußen unter Kontrolle zu halten.“, sie setzte sich, noch immer seltsam grinsend, an den Esstisch und schien ihr zitterndes Gegenüber auf eine seltsame Art und Weise fasziniert anzusehen, „Wo wir gerade dabei sind, werde ich dir noch etwas erklären. In der großen Stadt, dort wo du gelebt hast, gab es Geld. Wenn du etwas von jemandem wolltest, hast du ihm Geld bezahlt. Das ist hier anders, wir haben kein Geld.“

Die Frau wandte den Blick von dem Mädchen ab und goss sich aus einer Kanne, die auf dem Tisch stand, ein wenig von dem seltsamen Fruchtsaft in ein Glas, das vorhin definitiv noch nicht auf dem Tisch gestanden hatte und trank es in einem Schluck aus.

„Wenn der Gemüsebauer Kleidung braucht, geht er zum Schneider, der macht ihm welche. Wenn der Schneider Geschirr braucht, geht er zum Töpfer, der macht ihm welches. Wenn der Töpfer Möbel möchte, geht er zum Schreiner, der macht ihm welche. Wenn der Schreiner krank wird und Medizin braucht, dann kommt er zu mir, ich gebe ihm welche. Und wenn ich Hunger auf Gemüse habe, dann...“

Sie grinste Choraly wieder an.

„... dann gehen Sie zum Gemüsebauern, der gibt ihnen welches, richtig?“

Ein vorsichtiges Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Hier lief es ja ab, wie in der Steinzeit, so kompliziert... sie unterbrach ihre Gedanken, als ihr plötzlich einfiel, dass diese Frau womöglich auch diese lesen konnte. Wie furchtbar...

„Falsch. Wenn ich Gemüse will, sage ich zu Mayora, er soll welches anpflanzen, ernten und zubereiten, der arme Gemüsebauer hat schon genügend andere Probleme.“

Der Blick der Älteren verdunkelte sich dramatisch, die Brünette wurde dafür umso weißer. Bestrafte sie sie jetzt? Zu dumm, das hätte sie doch wissen müssen! ... hätte sie?

„Du bist zu lustig, machst dir sofort in den Rock, wenn ich böse schaue.“, in Chatgaias Gesicht schlich sich wieder dieses seltsame Lächeln, „Du hast das Prinzip verstanden.“
 

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Chatgaia war eine seltsame Frau, oder eher Kreatur. Immerzu lächelte sie seltsam, ihre Gedanken schienen noch unergründlicher als die Mayoras, und der war schon komisch genug.

Fast hätte Choraly gegrinst, während sie in ihrem kleinen Zimmer im Bett lag und in die Dunkelheit starrte. Mayora war ihr persönlicher Prügelknabe... nicht schlecht. Und er hatte sich dieses Amt auch noch selbst ausgesucht... was für ein Idiot.

Das war wohl das letzte, das das Mädchen dachte, ehe es einschlief.
 

Wüste. Choraly blinzelte. Wie zum Teufel kam sie jetzt wieder in diese Wüste?! Hatte Mayora sie etwa ausgesetzt?! Sie ging ein paar orientierungslose Schritte, als sich plötzlich ihre Flugmaschine in ihrem Sichtfeld befand. Die Flugmaschine...?

„Ich dachte, wir wären abgestürzt...“, murmelte sie fassungslos, während sie sich dem Gerät näherte. Es war völlig unversehrt, kein einziger Kratzer war daran zu sehen, als wären sie einfach ganz normal in der Wüste gelandet... falls das überhaupt möglich war...

Der Eingang zur Flugmaschine stand offen, die junge Frau konnte einfach so hinein klettern und auch Innen sah es noch genau so aus wie bei ihrem Start, allerdings war sie komplett leer.

„Mami? Atti? Herr Pilot?“

Sie seufzte.

„Wäre auch zu schön gewesen...“

„Was denn, junge Dame?“
 

Choraly erstarrte. Atti. Das hatte Atti gesagt! Atti war hier, Atti lebte!

„Atti, wo bist du?“, fragte das Mädchen mit Tränen in den Augen in den scheinbar leeren Raum.

„Hinter dir, junge Dame!“
 

Ein kalter Windhauch streifte ihr Ohr, obwohl sie sich in einer geschlossenen Kabine befand. Es wurde seltsam düster, und wenn man aus den Fenstern schaute, sah man nichts. Die Wüste war verschwunden, genau so wie alles andere.

Das Mädchen erschauderte, wohl wegen der plötzlichen Kälte.

„Atti, was geschieht...“
 

Sie unterbrach sich selbst, als sie sich umgedreht hatte und nun in die blutigen toten Augen ihres einstiges Kindermädchens blickte, das sie mit Chatgaias seltsamen Lächeln auf den weiß-blauen Lippen ansah.

„Aber nicht doch, alles ist in Ordnung.“, sagte die tote Frau unwirklich und schritt mit ihren bis zur Unkenntlichkeit verbrannten und zerfetzten Beinen, die genauso gut die Reste zweier kleinen Bäume, die Opfer eines Waldbrandes geworden waren, hätten sein können, einen Schritt auf das braunhaarige Mädchen zu.
 

„Bleib weg von mir, du bist nicht Atti!“, schrie dieses und stolperte hysterisch ein paar Schritte rückwärts, ehe es an etwas stieß.

„Nicht so hastig, Choraly.“, hörte sie eine weitere vertraute Stimme und sie wollte sich eigentlich gar nicht umdrehen, gegen ihren eigenen Willen tat sie es jedoch doch und stand nun vor ihrer Mutter. Oder das, was von ihr übrig war.
 

Die junge Frau ging apathisch schreiend vor dem blutigen, verkohlten und einarmigen Wesen zu Boden.

„Was hat die junge Dame denn nur?“, hörte sie die tote Atti noch immer seltsam lächelnd fragen. Sie wusste, dass sie lächelte, auch ohne hinzusehen. Aber das war falsch! Die Tote lächelte Chatgaias zwielichtiges Grinsen, Atti hatte immer liebevoll gestrahlt! Es war ein Fehler!
 

Abermals sah sie gegen ihren Willen zu ihrer toten Mutter, die sie aus den Resten ihres einst so hübschen Gesichtes monoton anschaute. So monoton wie Mayora.
 

Sie wollte weg, weg von diesen Monstern, weg von den Himmelsblütern, einfach zurück in ihr altes Leben in Wakawariwa!

„Lasst mich in Ruhe!“, heulte sie, versuchend ihr Gesicht in ihren Händen zu begraben.

Herr Pilot, der gerade die Kabine betrat, riss aber ohne dass das Mädchen es wollte seine Aufmerksamkeit auf sich, als er auf eine eigene Art komisch lächelnd den Raum betrat, sein verkohltes Bein hinter sich her schleifend.

„Meine Dame,“, machte der tote Mann mit der aschfahlen Haut und schritt so weit es ihm möglich war auf Naputi Magafi zu. „Sie haben etwas vergessen.“

Er hielt ihr ihren Arm hin und das Mädchen schrie weiter.

„Aber warum schreist du denn? Wir wollen doch nur deinen Geburtstag feiern...“, sagte ihre tote Mutter monoton, wie Mayora.

„Ja, nur wegen deinem Geburtstag sind wir nun hier!“, machte auch Atti ruhig, „Nur wegen dem Geburtstag der selbstsüchtigen Prinzessin sind wir tot!“

„Das wollte ich doch nicht!“, schluchzte das Mädchen, ihre Mutter voller Reue ansehend, die sie mit ihrem verbliebenen Arm an der Schulter packte.

„Du warst es!“, zischte sie böse und ihre Tochter weinte bitterlich weiter.

„Nein! Nein, nein, nein!“

„Choraly!“

Sie wurde geschüttelt und ihre Tränen ließen ihre Sicht völlig verschwimmen, bis sie nur noch eine schemenhafte Gestalt vor sich erkannte, die immer und immer wieder ihren Namen rief und sie weiter schüttelte.

„Nein, ich war es nicht!“, kreischte sie immer weiter, „Ich war es nicht, nein! Nein!“

„Choraly!“
 

„Choraly!“

„Du kannst mir keine Vorwürfe machen, du Monster bist nicht meine Mutter!“

Das Mädchen schlug mit letzter Kraft um sich und verpasste ihrem verschwommenen Gegenüber eine saftige Ohrfeige, ehe es sich endlich die Tränen aus den Augen blinzelte und verstummte.

Wie kam es, dass sie in ihrem Bett in Chatgaias Haus saß? Oh...
 

Vorsichtig lies sie ihren Blick zu der Person neben ihrem Bett schweifen.

„Du bist nicht meine Mutter...“, wiederholte sie, doch nun eher verzweifelt als hysterisch.

„Nein.“, antwortete Mayora, sich über seine gerötete Wange streichend, „Nein, das wüsste ich doch.“

„Was machst du dann hier...?“, fragte das verschlafene Mädchen verwirrt, worauf sich der Junge seufzend zu ihr an das Bett setzte und sie seltsam anschaute. Vielleicht versuchte er, lieb zu schauen? Trotz ihres Halbschlafes fiel der Braunhaarigen plötzlich auf, dass Mayora wohl bloß zwei

Gesichtsausdrücke besaß; einen monotonen und einen verwirrten. Aber was scherte sie die Missgeburt...?

„Du bist in Thilia.“, sagte eben diese da, „Du hast nur schlecht geträumt.“
 

Ja, das war ihr inzwischen auch klar. Aber es war so echt gewesen; es kam ihr so vor, als würde sich jeden Moment die Tür öffnen und die sterblichen Überreste von Atti, ihrer Mutter und dem Herrn Piloten würden tatsächlich vor ihr stehen und sie für ihre Tat verantwortlich machen. Ihre Tat...?

„Nein.“, brummte sie leise, ihre Decke anstarrend.

„Hm?“

Mayoras rote Augen fixierten das Mädchen weiterhin. Sie hatte geschrien wie am Spieß, Chatgaia war auch wach...
 

„Warum sind alle außer mir tot?“, fragte sich das Mädchen dann leise selbst, den jungen Mann neben ihr völlig ignorierend.

„Das wissen wohl nur die Götter.“, antwortete dieser dennoch.
 

Die Götter... dass sie nicht lachte. Das wissen wohl nur die Götter! Atti hatte gesagt, Himmelsblüter könnten mit den Göttern sprechen und was Atti gesagt hatte, war immer wahr gewesen! Zumindest was die Echte betraf, dieses Alptraum-Monster galt nicht...

Sollte der Freak doch die Götter fragen... aber wahrscheinlich war er es ja gewesen, der sie darum gebeten hatte, das Flugzeug abstürzen und Choraly als Einzige am leben zu lassen. Am Ende hatte er doch etwas gruseliges mit ihr vor... der Gedanke machte sie wütend. Und er tat so scheinheilig!
 

„Hör auf, Reden zu schwingen! Das magst du als Oberposer in diesem Sandburg-Kaff ja gut drauf haben, aber was verstehst du schon von den menschlichen Gefühlen?! Du hast doch noch nicht einmal im Ansatz eine Ahnung, wie es sich anfühlt, als einzige noch am leben zu sein, ohne dafür den Grund zu kennen! Ohne den Sinn davon zu kennen, ganz allein, ohne die Menschen, die man liebt!“

Sie schluchzte und konnte die Tränen bloß mit Mühe unterdrücken. Was tat dieser Bastard überhaupt in ihrem Zimmer?!
 

„Hör zu, Mädchen aus der großen Stadt,“, er erhob sich und kehrte ihr den Rücken, „Dieser Schmerz und diese Hilflosigkeit nehmen erst im Ansatz ein Ende, wenn du den Sinn deines verschonten Lebens erkannt hast und das ist verdammt schwierig. Aber ich wünsche dir, dass du es so bald wie möglich schaffst. Ich...“
 

„Du sollst keine Reden schwingen, hab ich gesagt!“

Choraly fauchte ungehalten. Sie wollte nichts mehr von diesem Giftzwerg hören! Er verstand sie eh nicht! Niemand verstand sie! Niemand war so allein wie sie!

„Na gut.“

Er ging zur Tür, ohne sich ihr noch einmal zuzuwenden.

„Ich möchte deine Nachtruhe nicht noch mehr mit meiner minderwertigen Existens stören. Du weißt ja gar nicht...“

Er verstummte.

„Gute Nacht.“

Und weg war er und die 15-jährige wieder allein.
 

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„Da werden Erinnerungen wach, was?“

Mayora schaute seine Tante nicht an, während er sich in dem dunklen Kochraum orange-braunen Schmodder-Fruchtsaft in einen Becher goss und austrank. Er musste sie nicht sehen, er kannte ihr Grinsen ja...

„Ich weiß nicht, was du meinst, Tante.“, machte er dann, dem Treppenabsatz, an dem sie stand, weiter den Rücken kehrend.

„Schon gut.“

Sie kam auf ihn zu und zerwuschelte von hinten sein grünes Haar.

„Wir wissen beide, dass sie nicht weiß, was sie sagt. Sie wird es lernen und ich will sie mir auf jeden Fall erhalten.“

Trotz seiner in der Finsternis blinden Augen spürte ihr Neffe das gewohnte Grinsen verschwinden und ein leises Seufzen erfüllte schließlich den Raum.

„Orte wie diese erhalten unsere Rasse und das ist wichtig für das Gleichgewicht unserer Welt. Die naiven Menschen sind gegen uns und wir sind an unsere kleinen Verstecke gebunden, deshalb dürfen sie nicht kaputt gehen!“

Mit ungeahnter Kraft drehte die Magierin den Jungen zu sich herum, ihm dorthin starrend, wo sie seine roten Augen vermutete.

„Aber seit es Morika nicht mehr gibt, sind wir auf jede fremde Seele angewiesen, es gibt zu wenig Menschen und das weißt du. Mein Mann hatte damals einen Fehler gemacht...“

Mayora zischte.

„Onkel hat lediglich einen Schandfleck von der Landkarte verschwinden lassen, es war Recht so.“

Eigenheit

Choraly fragte sich, ob sie sich je an das Leben in diesem Kaff gewöhnen konnte. Hier war alles so anders und sie sollte auch noch für diese Hexe arbeiten! Was auch immer, sie mochte das Wort so oder so nicht. Sie wollte einfach nach Hause.

Sie wollte zu ihrem Vater. Sie wollte ihn umarmen und mit ihm zusammen weinen.
 

Das Mädchen hielt im Haare kämmen inne. Was wäre, wenn ihr Vater böse auf sie war? Weil ihre Mutter und Atti und Herr Pilot durch ihre Schuld gestorben waren. Ein kalter Schauer durch fuhr sie und ihr wurde mulmig. Oh Himmel, wie furchtbar. Hatten die Götter denn kein Erbarmen mit ihr? Hatte sie sie irgendwie erbost?

Vielleicht, weil sie die Himmelsblüter hasste...?
 

Fast alle hassten diese Rasse, die sich eigentlich in ihrer eigenen seltsamen Sprache „Kalenao“ nannte, und danach richtete sich auch die Literatur. Bücher waren etwas schönes, Choraly mochte lustige Geschichten und spannende Sagen und hatte in Wakawariwa sehr viele gelesen. Doch ein einziges Mal hatte sie in der großen Bücherei ein sehr altes und sehr seltsames Buch entdeckt, das bloß Mythen über Himmelsblüter enthielt. Darin hatte gestanden, die Himmelsblüter seien die Kinder der Götter...
 

So genau konnte sich das Mädchen nicht mehr erinnern, aber vielleicht hatte es ja etwas damit zu tun? Der Gedanke wurde schnell wieder verworfen, es ergab beim genaueren Betrachten der Sachlage im Nachhinein doch ziemlich wenig Sinn. Schließlich war Choraly nicht gerade der einzige Mensch auf der Welt, der diese angeblichen Kinder der Götter verabscheute...

So wie so, wer verstand schon die Götter? Ein so hohes Denken besaß die 15-jährige nicht. Und Mayora traute sie es eben so wenig zu, wenn sie ehrlich war...
 

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„Und wir gehen einfach dort hin und sagen, er soll mir Kleidung machen, ja?“

„So ist es.“

Während sie die Dorfmitte durchquerten, fielen Choraly mehr und mehr Männer, Frauen und Kinder mit seltsamen Haar- und Augenfarben, so wie seltsamen Auren auf, die sie teilweise sogar ein wenig schwindeln ließen. Mayora hingegen nahm sie sehr zu ihrer Überraschung nicht mehr wahr, sie hatte sich wohl an ihn gewohnt.

Ihr fiel die vergangene Nacht ein, wie er versucht hatte, nett zu ihr zu sein und sie wieder so abscheulich zu ihm gewesen war. Sie traute ihm nicht, aber konnte ein sich Mensch denn tatsächlich so verstellen...?

Sie hielt im Denken inne. Jetzt hätte sie ihn fast schon als ihresgleichen akzeptiert, unfassbar. Sie kam nun einmal noch nicht damit klar, ständig umdenken zu müssen...
 

„Wir sind da.“

Ohne sie eines Blickes zu würdigen betrat der Grünhaarige ein kleines Gebäude, an dessen hölzerner Tür ein Schild angebracht war, auf dem in unbekannten Schriftzeichen irgendetwas geschrieben stand. Na toll. Lesen konnte sie auch nicht mehr. Noch ein Grund mehr, sich in das Thema „Flucht“ reinzuhängen...

Ob einer dieser Verrückten sich auch nur annähernd in ihre Lage versetzen konnte? Die kamen schließlich alle von hier...!
 

Abermals in Gedanken betrat sie das überraschend helle Gebäude, in dem sie zwei überraschte junge Männer empfingen. Beide schienen etwas älter als Mayora zu sein, einer mit braunem Haar und einer mit Hellblondem. Sie waren sehr zu ihrer Freude beide normale Menschen.
 

„Guten Morgen!“, machte der Blonde an Mayora und sie gewandt, allerdings das Mädchen allein mit einem begierigen Blick bedenkend. Der Brünette begann zu grinsen, sagte aber nichts. Sein Blick galt dem Himmelsblüter, der ihn allerdings nicht erwiderte.

„Bedien deinen Kunden fertig, Tafaye, ich habe nicht ewig Zeit.“, machte er nur, den Blonden monoton ansehend, der darauf nickte und sich wieder dem Grinsenden zuwandte.

„Du kannst die Hose morgen abholen, bis dahin müsste ich fertig damit sein.“, er hielt kurz inne, „Und jetzt mach Platz für die liebreizende junge Dame!“

„Gerne.“

Der Braunhaarige nickte noch immer grinsend und verließ den Laden ohne weiteres, einen letzten Blick auf Mayora werfend.

Choraly starrte den Blonden entrüstet an. Was erlaubte der sich, sie „liebreizende junge Dame“ zu nennen?! Unerhört! Hatte er gar keine Erziehung genossen? Er musste sich doch zunächst einmal nach ihrem Familienstand erkundigen! Wie konnte er nur?!

„Mayora, euer Schneider ist ein unverschämter junger Kerl!“, platze es aus ihr heraus, ohne dass sie es hätte zurück halten können.

Atti hatte gesagt, es gäbe Situationen, in denen es besser sei, nicht vorlaut zu sein, aber so etwas unverschämtes was ja wohl wirklich nur unerhört! Er hatte Glück gehabt, dass ihr Vater jetzt nicht hier gewesen war! Falls sie ihm denn noch etwas bedeutete, nach dem, was sie getan hatte...

„Tafaye ist nur der Sohn des Schneiders, mach dir keinen Kopf darum...“, tat der Grünhaarige das bloß unbeeindruckt ab, sie weiterhin keines Blickes würdigend, „Das ist Choraly Magafi. Sie braucht Kleidung.“
 

--
 

„Iihh! Er betatscht mich! Mayora, mach doch was!“

„Ich nehme doch nur Maß!“

Der Himmelsblüter verdrehte die roten Augen. Choraly schien aus einer fremden Welt zu stammen, so wie sie sich aufführte. Und sie schien Gespenster zu sehen.

Sicherlich war Tafaye ihr nicht abgeneigt, aber er war ein anständiger Kerl. Wenn die Dame doch so sensibel war, dann hätte sie das doch auch bemerken müssen... oder?

Mayora verstand die Menschen nicht, er hatte es noch nie getan. Ob der Unsinn, den ihm die Götter des Wassers in der Nacht zugeflüstert hatten, wirklich wahr war...? Langsam schien es Sinn zu machen...

„Und ich sage, du fummelst!“

„Das würde ich nie tun, Schönheit!“

So leicht, wie Chatgaia sich das vorgestellt hatte, würde es sicher nicht werden...

„Du hast kein Recht, mich Schönheit zu nennen!“

„Soll ich sagen, dass ihr hässlich seid? Himmel hilf... Mayora!“

Nein, sicherlich nicht. Allerdings hatte auch der Pflichtbereich des Grünhaarigen seine Grenzen...

„Ich warte draußen.“
 

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Bastarde! Choraly ärgerte sich. Über diesen unverschämten Tafaye und den feigen Mayora. Die ganze Zeit hatte sie sich von dieser Arschgeige anfassen lassen müssen, unerhört! Wenn doch bloß ihr Vater hier wäre...

„Und für den Rock werde ich diesen Stoff nehmen, für das Oberteil diesen...“

Und in die Farbwahl bezog man sie auch nicht ein. Diese Missgeburt schien ja ganz kreativ zu sein. Wie sie Wakawariwa doch vermisste... sie fragte sich, wofür die Götter sie bestraften; egal was es war, es tat ihr Leid! Dieses Leben verdiente sie nicht... wäre sie doch bloß bei dem Flugmaschinenabsturz gestorben...
 

Richtig, der Absturz. Es kam ihr so vor, als sei es Ewigkeiten her, dass sie ihre Mutter und Atti zum letzten Mal gesehen hatte. Worüber hatten sie eigentlich als letztes geredet?

Ihr wurde mulmig bei dem Gedanken daran und sie zwang sich, zur Ablenkung wieder Tafayes langweiligen Geschwätz zu lauschen.

„Die ersten Sachen dürften Übermorgen fertig sein. Dann gehen wir zur Bar etwas trinken und die hübsche Dame erzählt mir von sich, wenn es ihr nichts ausmacht. Ich nehme an, die holde Chatgaia oder ihr Neffe haben Sie schon über das nicht vorhandene Geldwesen in Thilia informiert?“

Bitte? Jetzt ging er zu weit!

„Lüstling!“, quiekte das Mädchen und verpasste dem nichts ahnenden jungen Mann eine schallende Ohrfeige.

„Au!“, machte der nur, schien sehr zu Choralys Leidwesen aber keine besonders großen Schmerzen zu erleiden. Dieser Mistkerl!

Sie wollte ihn in Grund und Boden schreien, als er ihr mit dem Satz „Die hab ich mir wohl verdient.“ das Wort abschnitt und grinste.

„Fertig?“, hörte man Mayora von vor der Tür unbeeindruckt fragen und für diese Gleichgültigkeit hätte das Mädchen ihn gleich mit verprügeln können. Doch sie riss sich zusammen, ausnahmsweise.

Für Atti!,dachte sie sich, Ich werde sie stolz machen und auf das hören, was sie mir vor langer Zeit einmal geraten hat!

„Ja, wir sind fertig!“, antwortete sie gefasst und ging zur Tür, Tafaye keines Blickes mehr würdigend.
 

Mayora brachte sie zu Jiros Haus. Auf dem Weg dorthin war es unangenehm still und die Braunhaarige fragte sich, ob er wohl beleidigt war.

Recht dazu hätte er... wenn er denn ein Mensch wäre.

So sehr sie sich auch zusammenreißen zu versuchte, sie konnte dem Kerl nicht trauen. Aber egal, gleich würde sie Jiro wieder treffen, einen normalen Jungen, bei dem sie sich endlich bedanken konnte. Auch wenn sie sich den Tod fast gewünscht hätte...

„Mayora!“

Von einer fremden Stimme aus den Gedanken gerissen, drehte sie sich, ebenso wie ihr Begleiter, um und stand dem braunhaarigen Kerl von vorhin gegenüber, dessen seltsames Grinsen sich kein bisschen verändert hatte.

„Hat Chatgaias kleiner Schoßhund eine Freundin?“

Schoßhund? Wagte er es, sich über den „tollsten Hecht des Dorfes“ lustig zu machen? Das war ja etwas ganz neues... er war Choraly sympathisch.

„Liliann hat doch im ganzen Dorf herum erzählt, wer sie ist und woher sie kommt, also tu nicht so, als wüsstest du nichts, Imera.“

Die Stimme des Grünhaarigen klang nicht monoton, sondern überraschend kalt, wie das Mädchen fand. Dem anderen Kerl diente es wohl nur als Belustigung.

„So garstig, kleiner Mann? Ich wollte mich doch bloß selbst überzeugen...“

Mit seltsamen Blick näherte er sich der 15-jährigen ein wenig, ehe er sich in respektvollem Abstand zu ihr verneigte.

„Ich heiße Imera und bin 17 Jahre alt. Und du?“

Er sprach zwar nicht so höflich wie Tafaye, doch Choraly hatte ihn auf Anhieb gern. Und er sah hübsch aus... aber älter als 17, oder?

Sie ließ ihren Blick kurz zu Mayora huschen, der genau so alt war. Es lag an ihm, nicht an diesem Imera. Der Himmelsblüter sah eigentlich viel jünger aus, wenn sie es sich recht überlegte höchstens wie 14. Das machte er wohl bloß durch seinen monotonen Blick wett. Aber was scherte sie jetzt diese Missgeburt?

„Ich heiße Choraly und bin 15.“, antwortete sie einfach lächelnd und verneigte sich ebenfalls leicht, „Aber bald werde ich 16.“

Er nickte.

„Wir sollten uns jetzt verabschieden, der Salatkopf wird sonst ungeduldig, nicht Grünzeug?“

Er grinste den Jungen seltsam an, der daraufhin einfach weg sah.

„Wir sehen uns bald wieder, dafür sorge ich.“

Mit seinem hübschen Lächeln wandte er sich ab und ging einfach.
 

„Wer ist der Kerl?“, fragte sich Choraly völlig bezaubert laut, dem jungen Mann nachsehend.

„Ihr würdet gut zusammen passen.“, antwortete Mayora bloß mit giftigem Unterton und wandte sich ab, „Komm!“
 

--
 

„Na, erste Nacht gut überstanden?“

Erst jetzt, wo ihr Kopf wieder etwas klarer war, fiel der Braunhaarigen auf, was für hübsche Mädchen Lilli und Tai doch waren, die sie, als sie sich Jiros Haus auf 20 Meter genähert hatte, stürmisch begrüßt hatten.

„Mehr oder weniger.“, antwortete sie ehrlich und lächelte. Jiros Haus war eigentlich mehr eine Hütte. Es gehörte zu den erbärmlichsten Absteigen des Ortes und die junge Frau fragte sich, wie es bei so viel Gütigkeit, was die nicht vorhandenen Finanzen betraf, überhaupt soweit hatte kommen können. Aber auch egal, Hauptsache, sie musste nicht hier leben... schon bald war sie sicherlich wieder in Wakawariwa. Hoffte sie. Wo sie schon hier war, wo war eigentlich Jiro?

„Wo ist er denn?“

Mayora kam ihr im Fragen zuvor.

„Hinter euch! Ich war außerhalb unterwegs!“

Mit fröhlichem Grinsen und staubiger Kleidung stand er nun da und schien auszusehen wie am Vortag. Es wirkte, als habe er sich weder gewaschen, noch gekämmt, noch umgezogen... Ferkel.

Benebelt von dessen Erscheinungsbild registrierte Choraly die Worte des Jungen bloß am Rande.

Ich war außerhalb unterwegs...

„Du weißt, was du zu tun hast. Ich überlasse sie dir. Und dass du sie mir ja wieder heil heim bringst.“

Der Grünhaarige wandte sich ab, wollte schon gehen, da hielt das schallende Lachen des Jüngeren ihn noch einmal auf.

„Bist du verliiiebt?!“, quiekte er mädchenhaft und noch ehe die Braunhaarige ihm eine hätte verpassen können, hielt der nun ebenfalls schallend lachende Mayora sie davon ab. Mayora lachte? Das passte nicht zu ihm! Das war falsch! Es fühlte sich fast schon so an, als habe man sie ihn den Alptraum von vergangener Nacht zurückversetzt... Sie wurde aus ihren überraschten Gedanken gerissen, als sie die Aura, oder sie sie es nennen sollte, des Grünhaarigen plötzlich wieder spüren konnte und mit einem Mal wurde ihr davon so schlecht, dass sie das Gefühl bekam, sich an Ort und Stelle übergeben zu müssen und schlug sich geschockt beide Hände vor den Mund. Auch die anderen drei, sprich Jiro, Lilli und Tai, die nicht so sensibel waren wie sie, wirkten einen Moment lang wie versteinert und waren erbleicht.

„Natürlich!“, machte Mayora da mit einer Stimme, die so kalt war, dass das Mädchen befürchtete, die Wüste würde gefrieren, „Wer würde ihrem liebreizenden Charakter nicht erliegen?“

Dann ging er.
 

Eine Weile standen die Vier da wie bestellt und nicht abgeholt, bis sich Choralys Übelkeit ein wenig gelegt hatte und sie es wieder wagte zu sprechen.

„Was in Himmelsnamen war denn das?“, machte sie unterkühlt, als habe der Himmelsblüter sie schockgefrostet.

„Seine Götter waren bei ihm!“, antwortete Tai ehrfürchtig und so leise, als spreche sie ein gehütetes Geheimnis aus und befürchtete, jemand fremdes würde es hören.

„Er muss ziemlich schlechte Laune haben.“, mischte sich da auch Lilli ein, wandte sich dann aber ab.

„Komm Tai, mir ist zu heiß, gehen wir wieder rein.“

Sie nahm das blonde Mädchen an der Hand und führte es ohne weitere Worte in die Hütte zurück.

„Oh je, das ist alles meine Schuld.“

Jiro schaute die übrig gebliebene entschuldigend an.

„Mayora ist gefährlicher, als man denkt. Ich sollte vorsichtiger sein... egal, gehen wir.“
 

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Choraly interessierte sich abermals recht wenig für das langweilige Dorf. Wenn sie den Friseur suchte, würde sie sich schon durchfragen können..

Viel mehr war es ein Moment, in dem sie sich schon wieder in ihr altes Leben zurück wünschte. Sie wollte dieses widerliche „Abenteuer“ hinter sich lassen und glücklich bis ans Ende ihrer Tage mit ihrer Familie in der großen Stadt leben. Ihr grauste es jetzt schon davor, wenn sie daran dachte, dass sie wieder in dieses Himmelsblüter verseuchte Gebäude zurück musste...

„... und hier ist unser Glaser.“, Jiro deutete auf eins von tausend gleich aussehenden Häusern und blinzelte dann, „Das interessiert dich nicht, oder?“

Er kratzte sich ein wenig verlegen am Kopf.

„Ich kann mir vorstellen, woran du denkst. Du fürchtest dich jetzt vor Mayora, oder?“

Ja, fast. War der kleine Bastard etwa doch schlauer, als er zugab? Bemerkenswert...

„Ist irgendetwas passiert, was ihn gereizt haben könnte? Es hat mich nämlich auch überrascht, normalerweise braucht es nämlich sehr viel, um ihn überhaupt irgendwie aus der Reserve zu locken...“

Choraly senkte schuldbewusst den Blick.

„Nun ja, ich war nicht gerade sehr nett zu ihm.“, gab sie zu, „Aber er ist schließlich nur ein Himmelsblüter!“

Trotzig die Arme vor der Brust verschränkend starrte sie zu Boden. Ihr Gegenüber hob eine Braue.

„Was genau hast du zu ihm gesagt?“

„Das ich lieber einen giftigen fleischfressenden Kaktus zum Freund hätte als ihn und...“

„Mach dir nichts daraus, es hat an mir gelegen.“
 

Beide sahen auf und schauten in Imeras grinsendes Gesicht; nahezu zeitgleich verdunkelte sich das von Jiro bedrohlich. Ein böse schauender Jiro war fast genau so gruselig wie ein lachender Mayora; das Mädchen erschauderte.

„Imera.“, machte der jüngere der beiden Jungen da auch schon, „Na dann ist ja alles klar. Kannst du dich nicht einfach von ihm fern halten, zum Wohle der Allgemeinheit?“

Der Ältere lachte.

„Was schert mich die Allgemeinheit? Außerdem wollte ich nicht ihn, sondern Choraly treffen, aber Chatgaias Schoßhund wurde anscheinend zu Choralys Wachhund degradiert.“

Er schaute zu dem Mädchen und lächelte lieb.

„Mach dir keine Sorgen, er wird dir nichts tun, schon allein weil ich dich mag. Glaub es oder nicht, aber die kleine Missgeburt hat Angst vor mir.“

Sie hob tatsächlich ziemlich ungläubig beide Brauen. Angst?

„Aber du bist doch bloß ein normaler Mensch, Mayora könnte grausige Dinge mit dir anstellen, wenn er wollte.“

Jiro zischte, schwieg aber und Imera verdrehte die Augen, lächelte dabei aber noch immer nett.

„Eben, das ist sein Problem, der Typ wurde ohne eigenen Willen geboren. Seit ich denken kann, hat er immer nur das getan, was andere von ihm verlangt haben. Und wenn Chatgaia nicht will, das mir etwas geschieht, und das will sie sicherlich nicht, dann tut er mir auch nichts. Und so lange du in Gunsten der alten Schachtel stehst, wird er dir auch nichts tun, verlass dich drauf. Nicht, Bastard?“

Ein provozierendes Grinsen hatte sich in sein hübsches Gesicht geschlichen, das Choraly, je länger sie es betrachtete, an irgendwen erinnerte. Jiro hingegen fauchte.

„Aber ich habe einen Willen, du Hirni, also halt deine Zunge fest, sonst hast du gleich keine mehr!“

Bei dem Gedanken an einen Jiro, der einem Imera die Zunge heraus riss, wurde der 15-jährigen beinahe schon wieder schlecht, der Angesprochene hingegen belächelte die Drohung des Jüngeren allerdings bloß milde.

„Soll ich mich jetzt fürchten?“, er musterte sein vom Wüstensand völlig eingestaubtes Gegenüber kurz, „Du bist größer und körperlich vermutlich stärker als ich, das gebe ich zu. Aber erstens kannst

du mir nicht nachsagen, ich würde lügen und zweitens ist doch scheiß-egal, wer in diesem Kaff welchen Willen hat, solange Mayora ein einsamer Krieger in Lady Chatgaias Armee ist, sorgt er, beziehungsweise sein Frauchen schon dafür, das alles so ist, wie sie es sich wünscht. Und du weißt, wie es um Thilia steht und von dem Versprechen, dass sie meiner Mutter gegeben hat. Ich wäre der Letzte, bei dem die Trulla zulassen würde, dass ihm etwas passiert. Das weißt du.“

Er wandte sich ab und ging.
 

Jiro seufzte. Der musste etwas sagen, er war doch noch tausend Mal nutzloser als er selbst!

„Noch mehr Fragen, oder?“

Er wandte sich verlegen lächelnd an Choraly, die dem jungen Mann nach starrte.

„Nur eine.“, antwortete sie, „Hat er eine Freundin?“
 

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„Mayora!“

Chatgaia fauchte und der Junge sah monoton, aber doch schuldbewusst zu Boden.

„Du wirst dich entschuldigen, besonders bei der armen Choraly, sie gehört doch zu den Sensiblen! Hoffentlich wird sie jetzt nicht krank... oh nein... nichts als Ärger mit der Jugend...“

Sie fuhr sich durch ihr abermals streng zusammen gebundenes Haar und seufzte. So konnte es nicht weitergehen, vor allem nicht, wenn die Götter ihr schon eine neue Seele geschenkt hatten...

„Ich weiß auch nicht, was mit mir los war. Ich bin in letzter Zeit sehr ungehalten...“

Ich hätte mich so wie so bei ihr entschuldigt, soweit denken kann ich noch!

Er sprach seine Gedanken nicht aus, vor allem, weil er eigentlich bloß zornig auf sich selbst war und seinen Ärger nicht auch noch an seiner Tante auslassen musste. Er musste doch wieder zur Vernunft kommen!

„Dann zügle dich!“, fuhr sie ihn barsch an, ehe auch sie versuchte, wieder vernünftig zu werden und zur Beruhigung tief ausatmete, „Jiro wird sie jeden Moment zurückbringen. Dann zeigst du ihr, wie sie den Kräutergarten zu pflegen hat, das wird ihre einzige Aufgabe sein, also mach es ordentlich. Zu mehr ist sie nämlich nicht zu gebrauchen.“

Er nickte und wie auf das Stichwort öffnete sich die Tür und die beiden Menschen betraten das Haus, der Junge wenn auch nur kurz.

„Hier ist sie wieder und noch alle Körperteile sind dran. Ich gehe jetzt.“

Er nickte Chatgaia knapp zu und verschwand so schnell es ihm möglich war.
 

Choraly für ihren Teil fühlte sich allein gelassen. Erst war er so übertrieben angewidert gewesen, als sie nach Imeras, Himmel sei Dank nicht vorhandener, Freundin gefragt hatte und dann ließ er sie auch noch bei diesen Wahnsinnigen allein. Sie konnte nur hoffen, dass ihr hübscher Schwarm Recht hatte...

Apropos Recht, war es denn recht, sich zu verlieben, auch wenn der Vater schon vor vielen Jahren einen passenden Mann für einen ausgesucht hatte? Sie war sich nicht ganz sicher, aber was ihr Vater nicht wusste, konnte ihn auch nicht ärgern... hoffte sie zumindest. Außerdem war er ihr, falls sie ihn denn irgendwann wieder sehen würde, so wie so so böse, dass das nicht mehr ins Gewicht fallen würde...
 

„Denkst du, du findest dich halbwegs zurecht?“

Chatgaias seltsame Stimme riss sie aus den Gedanken und sie nickte.

„Ich glaube schon, ja.“

„Gut. Mayora wird dich jetzt mit meinem Kräutergarten vertraut machen, sein Wohlergehen wird in Zukunft deine Aufgabe sein.“

Sie lächelte wieder seltsam und dem Mädchen wurde bei dem Gedanken, wieder allein mit diesem Giftzwerg zu sein, ganz mulmig, egal, was auch immer Imera ihr versprochen hatte.

„Eine Frage habe ich allerdings noch.“, wagte das Mädchen sich schließlich einzuwenden, „Ihre Gastfreundschaft in allen Ehren, aber was ist, wenn ich gar nicht hier bleiben möchte, sondern zu meinem Vater zurück nach Wakawariwa?“

Chatgaia wandte sich ab.

„Das habe ich nicht gehört.“
 

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Eigentlich war das doch strafbar. Es war nicht erlaubt, Menschen gegen ihren Willen irgendwo festzuhalten und Fluchtmöglichkeiten gab es auch kaum, oder? Hier war nur die Wüste und der Himmel, Choraly fragte sich, wie die Leute überhaupt hier hin gekommen waren, Mayoras monotone Anweisungen zur Pflege des Kräutergartens völlig ignorieren. Gießen hier, Unkraut jäten da; sie wusste schon wie das ging. Theoretisch. Konnte doch nicht so schwer sein.

Und überhaupt, was brauchte die Frau einen Kräutergarten, um den sie sich nebenbei bemerkt genauso gut hätte selbst kümmern können? Also echt, ihr Vater würde die Hexe zermalmen wenn er erfuhr, was für eine erbärmliche Arbeit seine Tochter verrichten hatte müssen, selbst wenn er wütend auf sie war. So etwas entehrte nämlich die Familie.

„Alles verstanden?“

Die monotone Stimme des Himmelsblüters riss sie aus ihren Gedanken. Besser so, sonst hätte sie sich schon wieder in etwas hinein gesteigert...

„Ja, denke schon. Werde ich schon schaffen.“

Sie lächelte ihn falsch an. Sie erinnerte sich dunkel daran, dass Atti ihren Vater vor langer langer Zeit auch falsch angelächelt hatte, aber sie wusste nicht mehr, weshalb. Auch egal.

Mayoras Brauen zuckten kurz. Konnten diese Viecher etwa auch sehen, wenn man sie anlog? Das wäre ja der Horror gewesen, dann würde sie ja gar nicht von hier weg kommen...!

„Hör mal, Mädchen aus der großen Stadt...“, sie erschauderte, „Tut mir Leid, wenn ich dich heute morgen erschreckt habe, das war sicher nicht meine Absicht. Ich war bloß gereizt... Verzeihung bitte.“

Er senkte entschuldigend den Blick.

Ja richtig, sein Aussetzer bei Jiro und den beiden anderen. Die Brünette verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen und funkelte ihr Gegenüber bedrohlich an.

„Das hättest du wohl gern.“, machte sie und er hob den Kopf wieder und erwiderte ihren Blick, „Wegen dir hätte ich mich beinahe auf offener Straße übergeben, mir wird ja schon schlecht, wenn ich nur an das Gefühl denke, das ich heute morgen hatte! Mach das gefälligst nie wieder!

Der Junge hielt kurz inne, dann nickte er.

„Ich verspreche es dir.“
 

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In der Nacht hatte Choraly schon wieder einen Alptraum, aber er war völlig anders als der Vorherige. Alles was sie sah, war schwarz-weiß oder auch sepia, sie konnte keinerlei wirkliche Farben erkennen.

Befinden tat sie sich in einem Dorf, keinesfalls zu Hause aber auch nicht in Thilia, denn die Straßen waren sehr ordentlich gepflastert und die Gebäude in einem gänzlich anderen Stil erbaut als die des Wüstendorfes. Am Ende des Weges, an dem sie sich befand, sah sie Kinder, Jungen, wenn sie nicht alles täuschte. Sie waren doch recht weit weg, aber vom Körperbau schätzte sie sie auf zwischen sieben und neun Jahre. Sie wirkten alle recht verschwommen, es waren keine Gesichter zu erkennen und irgendwie schienen sie alle gleich zu sein. Und trotzdem verschieden. Seltsam.

Zwei Jungen stachen allerdings besonders aus der Menge heraus. Man konnte von ihnen nicht mehr erkennen als von den anderen, doch irgendetwas sagte dem Mädchen, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf die Beiden legen sollte. Einer von ihnen war viel kleiner als der Rest der Gruppe, von der Größe her etwa vier bis fünf Jahre alt und hielt sich ein wenig abseits.

Irritiert von dem was sie sah, verfolgte die Braunhaarige die Szenerie mit schief gelegtem Kopf und musste schon sehr bald feststellen, dass ihr Traum nicht nur farb- sondern auch tonlos war, denn die Kinder sprachen, ohne dass man etwas hören konnte, auch wenn sie sich gegenseitig wohl verstanden. Sie redeten mit dem Größeren der beiden besonderen Jungen, und eine Weile geschah nichts besonderes. Dann wandte er sich ab und ging zu dem Kleinen, dem er etwas zu zuflüstern schien und dann herzhaft zu lachen begann. Auch die anderen lachten, bloß der Jüngste blieb stumm und lies den Kopf hängen. Hatte er sich über ihn lustig gemacht?

Noch immer lachend stieß er sein Gegenüber schließlich unsanft zu Boden und die junge Frau verspürte urplötzlich das große Verlangen, dem Kind zu helfen. Er war doch viel kleiner als die Anderen und ganz allein!

Doch noch ehe sie etwas hätte tun können, wechselte die Szene.

Sie fand sich in einer Art Tempelanlage wieder, einer solchen, wie sie manchmal in Abenteuerbüchern beschrieben wurden. Alles wirkte recht modrig und sehr sehr alt. Erhellt wurde der große, scheinbar steinerne Raum bloß von zwei Fackeln, die weiter vorn in der Nähe einer Art Altar befestigt waren. Eben dort knieten zwei Frauen, die sie nur schemenhaft erkennen konnte und schienen zu beten. Oder so ähnlich. Sie konnte zwar hören, was sie sagten, doch waren die Worte in einer dem Mädchen völlig unbekannten Sprache gesprochen. Und das wollte etwas heißen, auf ihrer Welt gab es schließlich nur sehr wenige Sprachen und die Meisten kannte die junge Frau zumindest vom Hören...

Eine Weile geschah auch hier nichts, bis plötzlich die Fackeln erloschen und sich nach einem Moment der absoluten Finsternis wieder von selbst entzündeten. Zunächst verstand Choraly den Sinn der Aktion nicht, doch dann erkannte sie den entscheidenden Unterschied zu eben; an Stelle der beiden fremden Frauen knieten nun die sterblichen Überreste ihrer Mutter und von Atti vor dem Altar und beteten weiter, bis sich urplötzlich hinter ihnen und auch hinter ihrer Zuschauerin eine große Tür öffnete und eine Horde gesichtsloser Männer und Frauen den großen Raum betraten und die beiden toten Frauen zu umzingeln schienen. Sie hielten Fackeln, die statt heller dunkler machten und einfache Gebrauchsgegenstände, die in ihren blassblau schimmernden Händen wie die furchtbarsten Waffen aussahen.

Naputi Magafi, oder eher ihr verkohlter, einarmiger Körper, der in krassem Gegensatz zu ihrem erschreckenden Aussehen in ein hübsches Gewand gehüllt war, erhob sich und wandte sich den Gesichtslosen zu, ihre Tochter ignorierend. Oder sah sie sie nicht?

„Es ist soweit.“, sagte ein Mann gefühllos und die tote Frau nickte.

Einige Sekunden vergingen, bis sich alle Menschen zeitgleich, als ob es ein unsichtbares Zeichen gegeben hätte auf sie stürzten, zuschlugen und stachen mit allem was sie hatten.

„Mama!“, kreischte das Mädchen nun panisch. Sie wollte ihr helfen, aber ihre Beine bewegten sich nicht; so sah sie zu Atti, die die ganze Szene ignorierend noch immer vor dem Altar kniete und betete.

„Atti! Atti, du musst Mama helfen! Bitte, Atti! Atti!“

Ihr kamen die Tränen, als sich ihr ehemaliges Kindermädchen auch nach mehreren Aufforderungen um keinen Zoll bewegt hatte. Sie wollte ein letztes Mal schreien, da waren mit einem Schlag alle Leute weg.

Erschrocken starrte sie auf die Stelle, an der sie ihre Mutter zuletzt gesehen hatte und erstarrte.

Da lag sie am Boden; tot, aber so schön wie zu Beginn ihrer Reise und mit beiden Armen, noch immer in diesen fremden, aber sehr hübschen Stoff gehüllt. Das Mädchen wusste nicht, ob es lachen oder weinen sollte und wie von selbst wanderte ihr Blick wieder zu Atti, die noch immer betete.

Sie trug ein ähnliches Kleid wie ihre Mutter und ihre Beine waren nicht mehr verkohlt, sie lebte!

„Atti...“, flüsterte das Mädchen mit bebenden Lippen erfreut und sie hätte vor Verzweiflung schreien können, als sich die Türe hinter ihr ein weiteres Mal öffnete und nun eine Person, zwar allein, aber gruseliger als alle Gesichtslosen zusammen, den Raum betrat und es nun ihr Kindermädchen war, das sich erhob und dem jungen Mann ohne eine Miene zu verziehen entgegen stellte.

Choraly fror in der Bewegung ein, als sie ihm in sein Gesicht blicken wollte. Das war nicht möglich. Das konnte nicht sein.

Nie zuvor hatte sie ein so abgrundtief böses, berechnendes und eiskaltes Grinsen gesehen als bei ihm, noch nie so seltsame Kleidung und Schmuck und noch nie hatte sie erlebt, dass man die Bosheit nicht nur an einer himmlischen Aura fühlen konnte, was ja schon besonders genug war, sondern sogar sah, wie sie ihren Inhaber wie eine Art Flamme umgab.

Der Mann zog eine sehr seltsame Art scharfen Dolch aus seinem Gürtel und in diesem Moment wusste sie, was Atti nun blühen würde.

„Nein...“, heulte sie, „Nein...!“, und nutzte die plötzliche Möglichkeit auf die Knie zu fallen.

Das Schauspiel des erneuten Todes ihres Kindermädchens blieb ihr allerdings nicht erspart. Sie sah durch ihre krampfhaft geschlossenen Lider, wie man ihr die Kehle durchschnitt und das Blut nur so spritzte. Während der ganzen Prozedur weinte sie still vor sich hin und erwachte erst aus ihrem leisen Heulkrampf, als der Mörder seine Tat vollendet hatte und sich nun ihr zuwandte, sie mit seinem irren Blick musternd. Dann tat er den Mund auf und sagte etwas mit völlig verdrehter Stimme, das sie nicht verstand, weil es auf dieser abartigen fremden Sprache gesprochen war.

Einen Moment später schlug sie die Augen auf.
 

In ihrem Zimmer war es nicht dunkel, der Vollmond erhellte es. Langsam und unfähig irgendetwas, was sie tat oder sah wirklich zu realisieren, setzte sie sich auf und schaute instinktiv zu ihrer Tür, in deren Rahmen Mayora stand. Er sah nicht monoton aus, eher sah das Mädchen in Ungedanken in seinem Gesichtsausdruck ein Spiegelbild ihrer selbst. Durch die seltsamen Klamotten, die er wohl zum schlafen trug und sein zerzaustes Haar kaufte man ihm seine 17 Jahre nun endgültig nicht mehr ab, aber das war Choraly momentan ziemlich egal, besonders weil sie es eh nur am Rande registrierte. Ihr Blick galt allein seinem leichenblassen, völlig verwirrten und noch halb abwesenden Gesicht, das genauso auch zurückschaute.

Dann stellte der Junge eine wahrhaft seltsame Frage.

„... warum habe ich dein Kindermädchen getötet?“
 

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Tada. *drop* Ich bin gerade so entmutigt uû"

Wille der Götter

Eine Weile starrten sich die Beiden stumm an, ehe es Mayora war, der den Blick scheu wie ein Beutetier abwandte, verwirrt und irgendwie verzweifelt auf den Boden sehend.

„Ich bin nichts besonderes in meinem Volk.“, begann er dann zögernd, „Ich habe keine Fähigkeiten, die mich von meinen Brüdern und Schwestern unterscheiden. Ich gehöre nicht zu den wenigen, die Zeichen außerhalb des angeborenen Elementes deuten und die nicht nur mit ihren eigenen Göttern, sondern auch mit den Göttern des Himmels kommunizieren können. Träume bedeuten in diesem Falle sicher nichts Gutes...“

Er lies sich an dem Türrahmen hinab gleiten, bis er auf dem hölzernen Boden aufkam, schließlich seine Beine anzog und seine Arme schützend darum schloss. Dann schwieg er.

Choralys erste Frage in ihren sich nun langsam aber sicher aufklarenden Gedanken war dann doch, ob der Junge nun wohl gedachte, die ganze restliche Nacht dort sitzen zu bleiben, aber bei seinem Gesicht schien die Lage wohl doch ernster zu sein, als geahnt und sie verwarf sie wieder.

„Und was geschieht jetzt?“, fragte sie dann doch nach einer gewissen Zeit der Stille ernüchtert und der Grünhaarige zuckte mit den Schultern und erhob sich wieder, ihren Blick meidend.

Er antwortete ihr nicht direkt, stellte stattdessen zunächst eine Gegenfrage.

„Wie weit hast du diesen Traum verstanden? Hast du etwas mit den Kindern aus dem ersten Teil anzufangen gewusst? Oder weißt du, wer die ersten beiden Frauen in dem Tempel waren?“

Seine Monotonie war zurückgekehrt und nun wagte er es wieder, sie von der Seite anzuschielen.

Sie hob bloß beide Brauen.

„Ähm, nein. Im ersten Teil war ich bloß Zuschauer; glaub mir, wäre ich es nicht gewesen, hätte ich dem armen Zwerg sicher geholfen. Und im zweiten Teil...“ , sie überlegte kurz, „Zu Beginn war ich auch bloß unbemerkter Zuschauer, mehr oder weniger frei bewegen konnte ich mich erst mit deinem Auftauchen. Und gekannt habe ich außer dir, Atti und Mama niemanden, nein. Und du?“

Es war zwar seltsam, mit Mayora zu reden, ohne ihn dabei zu beleidigen, aber hier konnte das Mädchen wohl eine Ausnahme machen. Wenn der Giftzwerg Recht hatte, und irgendwie zweifelte sie nicht daran, hatten irgendwelche Götter ihnen diesen Traum geschickt, die ihnen damit etwas mitteilen wollten. Ob ihr Überleben am Ende doch kein Zufall gewesen war...?

„Ich habe ausnahmslos alle gekannt.“, riss sie der angeblich 17-jährige aus ihren Gedanken, „Auch Naputi Magafi und dein Kindermädchen Atti. Im ersten Teil des Traumes habe ich dich allerdings genau so wenig bemerkt wie du mich... und frag am Besten gar nicht erst, ich habe keine Ahnung, weshalb ich die arme Atti getötet und weshalb ich in alter Sprache mit dir gesprochen habe...“

Sie schrak auf.

„Du kannst diese Sprache?“

Mit einem Nicken beantwortete er ihre Frage und wandte den Blick wieder ab.

„Sie wurde mir angeboren, ich konnte sie automatisch.“

Himmelsblüter wurden immer gruseliger, je länger man sich mit ihnen befasste, fand die junge Frau, während sie bei seinen Worten erschauert war. Aber wenn er diese Sprache konnte, hieß das doch...

„Was haben Mutter und Atti da gebetet? Und was hast du zu mir gesagt?!“

Er seufzte.

„Es war kein Gebet, eher eine Art Formel, die die Kalenao vor langer Zeit gesprochen hatten, wenn sich irgendein Unheil angekündigt hatte. Beispielsweise eine schlechte Ernte, ein Unwetter oder eine Seuche. Und was ich da zu dir gesagt habe... darüber bin ich mir selbst noch nicht so ganz klar, tut mir Leid. Sobald ich weiß, was ich gemeint habe, sage ich es dir, versprochen.“

Sein Ton duldete keinerlei Widerworte und zwangen die Brünette, sich damit zufrieden zu geben.

„Aber vergiss es nicht!“, zischte sie und abermals nickte er.

„Sicher nicht. Ich... gehe lieber wieder ins Bett.“

„Mayora?“

Er hatte ihr schon den Rücken zugekehrt, hielt aber noch einmal in der Bewegung inne.

„Du bist gar keine 17 Jahre alt, oder? Das sagst du nur, damit man dich ernster nimmt, aber ehrlich gesagt nimmt man dir dein gespieltes Alter nicht ab. Wenn du dich 15 Jahre alt gemacht hättest, hätte es auch gereicht, finde ich.“

Sie sprach nicht spöttisch oder angewidert, sondern völlig ernst und in gutem Willen, das merkte der Himmelsblüter sofort und musste lächeln.

„Choraly...“, sagte er dann, ohne sich umzudrehen und sie anzusehen, „Jemand, der so ist wie ich, reift anders heran als jemand der so ist wie du. Ob du es glaubst oder nicht, ich bin tatsächlich schon 17 Jahre alt. Aber gut, dass du mich einfach darauf angesprochen hast, statt dich darüber lustig zu machen.“

Er verschwand in seinem Zimmer, ohne eine Antwort abzuwarten und die junge Frau war verwirrter denn je.
 

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Chatgaia verließ das Haus immer mit dem Morgengrauen und kehrte zu frühen Abendstunden wieder zurück, Ausnahmen gab es nur selten.

Sie war eine der ältesten Himmelsblüter in Thilia und eine Großmagierin, was nichts anderes hieß,

als dass sie ihr Fachgebiet nahezu tadellos beherrschte. Aus diesem Grunde wusste sie natürlich auch sehr viel.
 

Während Choraly ihren seltsamen Traum, den sie sich mit Mayora geteilt hatte, als unverständliche Laune der Götter abtat, machte sich der junge Mann allerlei Gedanken darum.

Er verstand nicht, was genau ein solchen Ereignis bedeutete, bloß soviel, dass es nicht gut war und äußerst selten vorkam. Seine eigenen Schutzgötter, die immer bei ihm waren und mit ihm sprachen, ließen ihn die gesamte Nacht allein, was ebenfalls nicht gerade dazu beitrug, dass er sich wieder beruhigte und so lief es darauf hinaus, dass er kein Auge mehr zu bekam und seine Tante schon vor Sonnenaufgang in der Küche abfing.

„Oh.“, machte diese, als sie ihn an ihrem hölzernen Tisch sitzen sah, „So früh auf den Beinen?“

„Nicht direkt freiwillig...“, antwortete der ziemlich zerzauste Junge etwas zerknirscht und erzählte ihr von der vergangenen Nacht.
 

„Das ist nicht nur nicht gut, das ist furchtbar!“

Chatgaia rannte entsetzt durch das Erdgeschoss ihres Hauses, völlig nervös aber zumindest darauf bedacht, die arme Choraly nicht zu wecken und in angemessener Lautstärke zu sprechen. Ihr Neffe war noch immer zerzaust und todmüde; statt die Ältere zu verfolgen blieb er lieber am Tisch hängen und kämpfte gegen seine Augenlider, die sich mehr und mehr der Anziehungskraft des Planeten unterwerfen wollten und gähnte zwischendurch. Es war nicht so, dass es ihn inzwischen nicht mehr interessierte, viel mehr war er einfach gerädert; dabei wusste er noch nicht einmal genau, wovon.

„Und was heißt das jetzt genau...?“, presste er mit letzter Kraft leise hervor, als die Magierin gerade zufällig an ihm vorbei rannte und sie hielt inne.

„Mayora, ich weiß es nicht genau. Mir war von Anfang an klar, dass Choralys Überleben einen bestimmten Grund hatte, aber doch nicht, dass es etwas mit dir zu tun hat. Oder eher umgekehrt?“

Sie senkte ihre Brauen.

„Hast du überhaupt eine Ahnung, was es bedeutet, jemanden, der bereits tot ist, abermals zu töten?“

Zumindest versuchte er, interessiert aufzusehen, aber seine Tante wusste auch so, dass es ihm wichtig war, so fuhr sie bedrohlich leise fort.

„Du hast Attis Seele getötet. Sie wird jetzt weder das Himmelreich erreichen können, noch hat sie die Chance, wieder geboren zu werden, sie ist einfach weg, ohne Wiederkehr! Das ist das Schlimmste, was jemandem überhaupt geschehen kann und daran bist du Schuld!“
 

Wie konnte er daran Schuld sein, wenn er die Dame bis zum Zeitpunkt seines Traumes noch nicht einmal gekannt hatte, fragte sich Mayora weiterhin zerknirscht, deutete seine Gedanken aber bloß mit einem entsprechenden Blick an. In dem Moment, in dem er die Tür geöffnet hatte, hatte er das Gefühl gehabt, im Sinne seiner Götter zu handeln. Aber die Götter des Wassers waren friedlich, im Nachhinein ergab das überhaupt keinen Sinn mehr! Und jetzt meldeten sie sich überhaupt nicht mehr bei ihm, konnte es etwa sein...?

Er schrak mit einem plötzlichen Schwall an Reserve-Energie auf.

„Denkst du, ich bin besessen?!“, fragte er entsetzt und mit weit aufgerissenen Augen.

„Hast du etwas getan, was du nicht hättest tun sollen?“, stellte seine Tante ihm bloß monoton eine Gegenfrage und ließ ihren Blick aus dem Fenster schweifen.

Am Horizont konnte man den Sonnenaufgang erahnen...

„Böse Windgeister!“, keuchte er und fasste sich an sein Haupt und die Ältere schüttelte bloß den Kopf, ihn weiterhin keines weiteren Blickes würdigend. Angsthase...

„Kein Windgeist könnte dich so sehr hassen, dass er deine Götter vertreiben und über deine Seele Besitz ergreifen könnte, das weißt du auch, ohne dass ich es dir erkläre. Sieh es ein, du hast diese grausame Tat aus freiem Willen begangen, es kann nicht anders sein.“

Er sprang auf und schlug mit der Hand ungewollt fest auf den Tisch, brachte sein Gegenüber sogar dazu, leicht zusammen zu zucken.

„Das würde ich niemals tun!“, fuhr er sie an, „Warum sollte ich so etwas gemeines machen? Das ergibt doch keinen Sinn...!“

Seine Energie-Reserve war verbraucht und er ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken, verzweifelt das Holz vor sich anstarrend. Chatgaia wandte sich nun endgültig ab und schritt zur Tür, neben der ein Haken angebracht war, von dem sie ihren Mantel nahm und umlegte, den Jungen ein letztes Mal ansehend.

„Weil du gemein bist, Neffe. Ich bete für deine böse Seele und dafür, dass du die Kontrolle nicht noch mehr verlierst und schlimmere Dinge tust. Das sind sehr schlechte Zeichen.“

Dann ging sie.

„Böse Seele...?“
 

--
 

Choralys weitere Nacht war seltsam gewesen. Sie hatte immer wieder den selben Traum gehabt, dessen einziger Inhalt ihre Mutter war, die in einem schneeweißen Kleid wie bekloppt und total panisch vor sich hin rannte. Ansonsten war ihr Schlaf aber ziemlich erholsam gewesen; als sie erwachte, war sie bloß niedergeschlagen, weil sie Naputi Magafi die ganze Zeit vor sich gesehen hatte, ohne wirklich bei ihr zu sein und sie sie deshalb jetzt noch mehr vermisste.

Die Sonne war gerade erst aufgegangen, wie ihr ein Blick aus dem Fenster verriet und alles war ruhig. Ob Mayora noch schlief...?

Vorsichtig stand sie auf und lugte aus ihrem Zimmer.

Als hätte sie es beeinflusst kam der junge Mann gerade in diesem Moment die Treppe hinauf und schlurfte in Richtung seines Zimmers; als das Mädchen ihn genauer ansah, erschrak es.

„Himmel!“, machte sie und schlug sich entsetzt die Hände vor den Mund, worauf sie die Aufmerksamkeit des Grünhaarigen bekam, „Bist du tot? Herr Pilot hat ähnlich ausgesehen, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe...!“

Er schüttelte leicht den Kopf und ging weiter, hielt vor seiner Tür aber noch einmal inne.

„Ich weiß, dass du mich nicht leiden kannst...“, begann er dann leise, sie nicht ansehend, „Aber könntest du mir einen Gefallen tun...? Auf dem Tisch, unten, da steht ein Korb, darin befindet sich Tee und eine Heilsalbe. Bring ihn bitte zur Familie des Glasers, es ist sehr wichtig... ihre Tochter bekommt sonst wieder schrecklichen Ausschlag...!“

Er verstummt kurz und schloss seine etwas trübe wirkenden roten Augen für einen Moment, dann fuhr er fort.

„Ich... ich bin so müde, ich schaffe es einfach nicht, tut mir sehr Leid. Mach es bitte, nicht für mich, sondern für das kleine Mädchen...! Den Rest des Tages kannst du verbringen wie du willst... du hast auch etwas gut bei mir... Bitte!“

Die Braunhaarige blinzelte verwundert.

„Du bist nicht müde, du bist krank.“, stellte sie dann ernüchtert fest, „Ich tu es, aber wirklich nur für das Mädchen. Und wehe dir, sie ist nicht süß!“

„Sie ist Zucker.“, machte er müde lächelnd und betrat nun endgültig sein Zimmer, „Vielen Dank, Mädchen aus der großen Stadt...!“
 

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„Ich bin echt zu nett für diese Welt!“

Grummelnd tat die junge Frau einen Schritt vor den anderen, die wenigen Leute, die sich zu dieser Uhrzeit auf der Straße befanden, weitgehend ignorierend. Wenn sie die Falschen zu lange ansah, wurde das elende Schwindelgefühl nur noch schlimmer und darauf konnte sie gewiss verzichten. Es reichte schon, wenn Mayora krank war, der Depp...

Was der sich auch erlaubte! Gerade erst angekommen und schon schuften müssen... ob das kleine Mädchen wohl auch ein Himmelsblüter war? Ziemlich wahrscheinlich...

Da trage ich auch noch zum Wohlergehen dieser Dinger bei...!

„Choraly!“

Eine nun wohl bekannte Stimme riss die Brünette aus ihren Gedanken und brachte sie erfreut zum Lächeln.

„Imera, guten Morgen!“

Er verneigte sich leicht vor ihr, sie aus seinen blauen Augen seltsam musternd und dann beide Brauen hochziehend.

„Was ist in dem Korb?“

„Tee und Salbe.“, machte sie missmutig auf den Inhalt sehend, „Ich soll das Zeug zu der Tochter des Glasers bringen, damit sie keinen Ausschlag bekommt... oder so. Mayora hat mich darum gebeten, er ist krank.“

Ihr Gegenüber lachte. Imera konnte wunderschön lachen, es war fast schon ansteckend, fand Choraly, die sich ein Glucksen nicht unterdrücken konnte, obwohl sie noch nicht einmal verstand, was denn so lustig war.

„Fieber, nehme ich an?“, fragte er dann, breit grinsend und sie nickte.

„Sah sehr danach aus.“

Kurz inne haltend verzog sie das Gesicht.

„Aber ich bin mir nicht sicher, ich hab nicht seine Stirn gefühlt. Ich fasse das Ding doch nicht an!“

Wäre ja noch schöner. Bei dem Gedanken daran, wie sie die Missgeburt gesund pflegte, bekam sie eine Gänsehaut.

Theoretisch wusste sie sogar, wie das ging, fiel ihr auf. Atti hatte es oft genug bei ihr getan und wenn sie Zeit gehabt hatte, auch manchmal ihre Mutter. Aber es gab ja noch Chatgaia, die konnte ja sogar Medizin herstellen. Ganz davon abgesehen war an einem bisschen Fieber sicher noch keiner gestorben und der Kerl war schließlich kein Kind mehr, auch wenn er ein bisschen so aussah.

„Das kann ich verstehen, Choraly.“

Abermals riss die Stimme ihres Gegenübers sie aus ihren Gedanken und brachte sie wieder zum Lächeln. Imera verstand sie, er war anders als die anderen Freaks in diesem elenden Kaff. Ob er vielleicht auch gegen seinen Willen hier festgehalten wurde?

Sie entschloss sich, ihn einfach danach zu fragen, er war schließlich lieb.

„Lebst du eigentlich freiwillig hier?“
 

Sein Blick veränderte sich, wurde einen Moment lang undeutbar. Dann seufzte er, sie ernst ansehend.

„Nein, tue ich nicht. Ich stamme aus einem Dorf namens Morika.“
 

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Während Choraly sich mit Imera unterhielt, lag Mayora zu Hause im Bett und machte sich noch immer Gedanken.

Er verstand das Schicksal nicht, was bedeutete das alles? Wieso war das Mädchen aus der großen Stadt hier aufgetaucht und warum hatte er Attis Geist getötet?

Er erinnerte sich an die Worte seiner Tante vom Morgen; Weil du gemein bist, Neffe. Ich bete für deine böse Seele und dafür, dass du die Kontrolle nicht noch mehr verlierst und schlimmere Dinge tust. Das sind sehr schlechte Zeichen.

Wusste sie etwas? Warum denn gemein? Oder böse Seele? Hatte sie sich betrunken?!

Er verehrte Chatgaia, sah zu ihr auf (obwohl sie ein paar Zentimeter kleiner war als er), aber sie kannte ihn doch! Wie konnte er eine böse Seele haben, wenn er doch nur in ihrem Willen handelte...?

„Sehr schlechte Zeichen...“, murmelte er gedämpft in sein Kissen, „Immer ist alles schlecht.“

Es liegt nicht an dir!, hörte er eine liebe Stimme in seinem Kopf flüstern. Zumindest seine Götter waren wieder zu ihm zurückgekehrt. Es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass es immer jemanden gab, der zu einem hielt und verhinderte, dass man einsam war. In diesem Aspekt war er ganz froh, kein Mensch zu sein. Fühlten sich Menschen denn nicht verlassen...?
 

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„Frag nicht weiter nach.“

Imera starrte verbittert den Boden an.

„Dort wird dir auch keiner helfen, hier wegzukommen. Wir sitzen im Hexenkessel.“

Er sah traurig aus, wie er dort stand und nicht aufsah. Schon wieder erinnerte er sie an jemanden, den sie kannte, aber sie kam auch jetzt nicht auf die Person. Seltsam... vielleicht Verwandtschaft oder so?

Sie wollte ihn nicht noch weiter löchern, wo er so deprimiert wirkte und so senkte auch sie den Kopf.

„Glaub mir, ich weiß genau, wie du dich fühlst. Aber...“, sie sah wieder auf, „Ich sollte jetzt vielleicht gehen, bevor das arme Kind tatsächlich Ausschlag bekommt.“

Auch er hob den Kopf wieder und lächelte leicht.

„Ja, mach das. Wirst du in nächster Zeit wohl noch öfter tun müssen, denn wenn der Salatkopf nicht gerade Obermacker spielt, liegt er mit Fieber im Bett. Das ist nichts neues.“

Sie blinzelte.

„Ist das nicht ungesund? Ich meine, ich weiß zwar nicht, wie so ein Himmelsblüter funktioniert, aber zu oft Fieber zu haben bekommt auf Dauer keinem.“

Sie hörte sich ja fast schon besorgt an, fiel der jungen Frau auf und innerlich schüttelte sie sich vor Gram. Aber so weit konnte Imera wohl noch denken...

„Klar ist das ungesund, aber die alte Schachtel kann nichts daran machen.“, antwortete er dann schulterzuckend, „Himmelsblüter sterben von Natur aus früher und das dann an irgendwelchen Lapalien, Chatgaia hat vor vielen Jahren mal zu seiner Mutter gesagt, dass er eh nicht alt wird. Ist mir persönlich aber gerade Recht, um ehrlich zu sein. Wie alt ist eigentlich nicht alt...?“

Er wirkte unbeeindruckt, seine Worte schienen ihn nicht im Geringsten zu berühren. Choraly hingegen jagten sie gegen ihren Willen eine Schauer über den Rücken. Sie schämte sich dafür, aber irgendwie fand sie das... schlimm.

„Oh.“, machte sie nur und starrte errötend in ihren Korb, ihr Gegenüber grinste.

„Das nimmt dich wohlbehütetes Mädchen wohl mit, nicht? Aber das ist die Welt, das ist der Lauf der Dinge und der Wille der Natur. Außerdem sind es doch nur Himmelsblüter, die braucht eh niemand.“, er kratzte sich am Kopf, „Auch wenn Chatgaia der Meinung ist, die Welt würde ohne sie untergehen, aber das ist wohl nur ihr ausgeprägter Selbsterhaltungstrieb.“

Das Mädchen nickte.

„Aber jetzt muss ich wirklich gehen!“
 

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Imera war in manchen Bereichen wirklich kaltherzig, stellte Choraly traurig fest. Natürlich konnte sie seine Abneigung den Himmelsblütern gegenüber verstehen, aber dass er deren Aussterben so positiv sah, erschreckte sie schon. Auf das Thema Tod war sie momentan so wie so nicht gut zu sprechen... eigentlich ja nie, wer war sie denn?

So klopfte sie ein wenig deprimiert an die Holztür der Familie mit dem Ausschlag-Mädchen und erschreckte sich dennoch, als eine junge Frau ihr die Tür öffnete und sie überrascht ansah.

„Hallo!“, machte sie perplex, „Ein neues Gesicht! Also stimmen die Gerüchte wirklich!“

Sie hielt ihr die Hand hin, die die Jüngere bloß etwas abgeneigt ergriff und ihr höflich zunickte, von ihrer Aura ein wenig mitgenommen.

„Mein Name ist Choraly Magafi.“, stellte sie sich tapfer vor und deutete dann auf den Korb, „Ich bringe Medizin!“

Die Frau lächelte leicht und fuhr sich mit der nun wieder freien Hand durch ihr zart-violettes Haar.

„Ich heiße Hawi Beviri und ich glaube, meine Tochter wird gleich sehr enttäuscht sein...“

Wie auf ein Stichwort erschien neben der Frau ein kleines Mädchen, dass Choraly entsetzt musterte.

„Das ist nicht Mayorachen!“, machte es böse.

Sein schulterlanges geflochtenes Haar war ebenfalls violett, allerdings dunkler als das der Mutter und ihre Augen waren himmelblau. Auch wenn sie kein Mensch war, Mayorachen hatte Recht gehabt, sie war wirklich süß. Moment, Mayorachen?

„Das ist Choraly!“, stellte die Frau unterdessen das perplexe Mädchen vor, „Choraly, das ist meine Tochter Maragi!“

„Freut mich...“, machte sie, auf die Kleine herabsehend, die sie vernichtend ansah.

„Wo ist mein Mayorachen?!“

„Er ist krank...“, antwortete die Ältere überrumpelt und bemühte sich um ein Lächeln. Himmel, was ging denn in der vor?!

Als hätte die Mutter ihre Gedanken erraten, antwortete sie belustigt lächelnd.

„Sie ist ein bisschen sehr verliebt in ihn, weißt du?“

Choraly lachte und Maragi wurde rot bis hinter die Ohren.

„Mama!“, fauchte sie, „Das darfst du doch nicht sagen, das ist doch nicht wahr!“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

„Am Ende erzählt sie es noch weiter und dann hätte sie gelogen!“

Nun lachte sehr zum Leidwesen der Kleinen auch die Mutter. Wie ungerecht!

„Keine Sorge!“, machte die Braunhaarige nach kurzer Zeit nach Luft schnappend, „Ich verrate nichts. Aber ist er nicht ein bisschen alt für dich?“

Sie grinste weiterhin.

Eigentlich war an der Tatsache, unglücklich verliebt zu sein, nichts zu lachen, aber sie fand den Gedanken so unglaublich lustig, dass diese Liebe ausgerechnet Mayora galt, diesem absoluten Ober-Freak! Ein bisschen Geschmacksverirrung musste da schon dahinter stecken, aber das sprach sie natürlich nicht aus...

„Bloß sieben Jahre, das macht gar nichts!“, fauchte Maragi sie an, sie wie so oft auch andere aus ihren Träumereien reißend.

Moment, sieben Jahre?

„Dann bist du schon zehn?!“

Auch wenn so etwas vermutlich außerordentlich unhöflich war, ihren entsetzten Gesichtsausdruck konnte sie nicht unterdrücken. Die Kleine sah aus wie höchstens sechs! Was waren diese Himmelsblüter bloß für komische Dinger?!

Die Mutter kicherte bloß.

„Du wirst dich an uns gewöhnen, keine Sorge.“

Da war sich das Mädchen nicht so sicher, aber ihr gutes Elternhaus brachte sie tapfer zum Nicken. Sie musste hier weg, ganz schnell, sonst verlor sie jeglichen Durchblick in der Welt...

„Ich möchte Mayorachen besuchen!“, bestimmte Maragi unterdessen an ihre Mutter gewandt, die daraufhin seufzte.

„Du weißt doch, dass kranke Leute viel Ruhe brauchen, du solltest ihn nicht stören.“

„Aber Choraly darf ihn stören!?“

Sie streckte der Älteren die Zunge heraus. Oh ja, und wie die 15-jährige ihn stören würde, er hatte ihr schließlich ein zuckersüßes Mädchen versprochen! Außerdem hatte sie ja die offizielle Erlaubnis, ihn zu verhauen, wenn sie Dampf ablassen musste... irgendwie gefiel ihr der Gedanke.

„Hat er schon wieder Fieber?“, fragte Hawi Beviri da und sie nickte. Anscheinend war es Dorfgespräch, dass der Depp andauernd wie eine Leiche im Bett herum hing und vor sich hin kochte... er verdiente es nicht anders. Immerhin hatte sie von Anfang an das Gefühl gehabt, es mit einem Arsch zu tun zu haben... das würde sich sicher bald bewahrheiten, sie bereitete sich innerlich schon einmal sicherheitshalber darauf vor...

Während sich die Brünette um die Zukunft mit diesem Freak unter einem Dach sorgte, bestimmte Maragi energisch, mal gaaa~nz kurz bei ihrem Süßen vorbei schauen zu dürfen und die Mutter gab sich schwacher Weise schließlich geschlagen.

„Aber nur ganz kurz!“, ermahnte sie sie und die äußerlich erfreut lächelnde Choraly würgte innerlich, bei dem Gedanken, das kleine Miststück den ganzen Weg nach Hause an der Backe zu haben. Hatte sie da etwa gerade „zuhause“ gedacht...? Diese abartige Hütte würde niemals ihr zuhause werden! Dafür würde sie den Salatkopf gleich noch viel mehr verprügeln!
 

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„Mal unter uns, Choraly.“, flötete das violetthaarige Mädchen nun bester Laune auf dem Weg zu Chatgaias Haus und die Ältere verdrehte entnervt die Augen. Allein die Stimme war eine Beleidigung für jedes Ohr!

„Mayorachen ist ja eigentlich total hübsch und so, aber er guckt immer so böse, deshalb merkt das niemand. Aber er ist der liebste Junge auf der Welt! Und er ist hübsch, hab ich das schon einmal gesagt?“

Nein, nur hunderttausend Mal. Die Braunhaarige antwortete schon gar nicht mehr; sie hatte gerade einen gewaltigen Würgereitz, aber das lag sicher nicht an der nicht vorhandenen Aura der kleinen Göre... sie schreckte auf.

„Du bist gar kein Himmelsblüter!“, stellte sie nahezu geschockt fest und starrte die Kleinere an, die daraufhin blinzelte.

„Ich dachte, wie sprechen von Mayora.“, machte sie bloß, „Warum soll ich denn keiner sein? Man sieht es mir doch an, oder nicht?“

Ein etwas gemeines Grinsen schlich sich auf ihre Lippen und Choraly legte perplex den Kopf schief.

„Oder warst du mit zehn so klein wie ich? Dann hättest du aber mein vollstes Mitleid, Menschen die in meinem Alter so Aussehen wie ich leiden entweder an einer Krankheit oder sind einfach total gestört und zurückgeblieben!“

Wollte sie sie beleidigen? Bei ihren letzten Worten war sie etwas lauter geworden und ihre Augen funkelten seltsam... wütend? Warum war sie wütend auf sie?

„Warum bist du sauer auf mich?“, fragte sie einfach, ihrer Abneigung in ihrem Tonfall nun ein bisschen freien Lauf lassend und Maragi schnaubte.

„Und das wagst du noch zu fragen?!“, machte sie außer sich, „Du kommst einfach hier her, kein Mensch kennt dich, du bist unhöflich, doof und hässlich und trotzdem darfst du bei dem süßesten und hübschesten Jungen der Welt leben! Wo bleibt da die Gerechtigkeit?!“

Die Ältere grinste. Sie hätte sich rechtfertigen können. Sie hätte sagen können, dass sie gewiss nicht freiwillig hier war, dass sie, wenn man es genau nahm, wie Mayora bei Chatgaia lebte, der das Haus gehörte und dass sie den Grünhaarigen obendrein total abartig fand, aber nun hatte das kleine schwer verliebte Mädchen ihre sadistische Ader geweckt.

„Ach daher weht der Wind.“, gackerte sie stattdessen, „Ja, das Glück ist nun mal mit mir. Wobei ich Mayora ein wenig aufdringlich finde, ich bin schließlich erst ein paar Tage hier und er war schon zwei Nächte lang bei mir... ich kann dir nur sagen, dass...“

Sie brach ab, als sie sah, wie die himmelblauen Augen ihres Gegenübers zunächst tellergroß wurden , dann bedrohlich glänzten und es schwer zu atmen begann. Oh weh, sie glaubte das...?

„Das ist nicht wahr!“, sie wandte sich ab und rannte weg, wieder in Richtung ihres Hauses und die Brünette blinzelte. „Du lügst!“

„... ich kann dir nur sagen, dass das wirklich nicht wahr ist.“, beendete die junge Frau ihren Satz dann perplex.

Na wenigstens war sie die kleine Ober-Missgeburt jetzt los. Wenn schon ein verdammter Himmelsblüter, dann richtig! Keine Aura, tse...
 

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„Nicht, dass ich etwas gegen Kunden hätte, aber schon wieder ihr beiden? Ihr habt echt zu viel Freizeit....!“

Tafaye lehnte sich entnervt über den Tresen der kleinen Schneiderei seines Vaters. Zu dieser Zeit kümmerte eben dieser sich meistens um die Garnherstellung, da die ersten Kaliris nun reif waren und so musste sein Sohn, mit 20 Jahren gewiss erwachsen, sich um den Laden und die Kundschaft kümmern. So war das nun mal, aber die beiden Damen nervten wirklich...

„Sei gefälligst dankbar, du Arsch!“

Ein groß gewachsenes Mädchen mit kurzem blondem Haar beugte sich von der entgegengesetzten Seite über den hölzernen Verkaufstisch, genau vor den jungen Mann, der durch den weiten Ausschnitt ihres ansonsten wenig aufreizenden T-Shirts einen grandiosen Ausblick auf ihre Oberweite hatte.

„Nicht schlecht...“, machte er, interessiert schauend, ihre Beleidigung gekonnt ignorierend. Sie war eben ein Schandmaul, er kannte sie ja.

Und sie kannte ihn und rollte auf seine Bemerkung hin bloß entnervt mit den Augen.

„Als ob du die nicht kennen würdest... außerdem kann ICH nichts dafür, wenn mein Cousinchen andauernd alles kaputt macht!“

„Hey!“, machte ein weiteres Mädchen, wesentlich kleiner und spindeldürr empört, „Die Hose ist doch gerissen, als du sie anziehen wolltest!“

„Bla bla, egal, mach das Ding wieder heile, du Pseudo-Schneider!“

Sie knallte ihm eine schwarze Hose auf den Tisch, so klein, als gehöre sie einer Anziehpuppe, am Hintern unschön eingerissen und der „Pseudo-Schneider“ konnte sich ein Glucksen nicht unterdrücken.

„Was bist du auch so klapprig?!“, fuhr die Blonde unterdessen ihre jüngere Cousine an, die darauf bloß frech grinste.

Eigentlich war die Frage ja berechtigt, dachte sich Tafaye ernüchtert, das Mädchen mit dem hellbraunen Zopf musternd. An ihrem Körper war kaum etwas weibliches, mit viel Fantasie hatte sie vielleicht eine Taille, aber das war es auch schon. Und SO viel Fantasie hatte nicht jeder, in seinen Augen sah sie eher aus wie ein kleiner Junge. Nicht wie ein kleines Mädchen, dafür grinste sie viel zu frech.

„Das mach ich nicht mit Absicht...“, rechtfertigte sie sich unterdessen für ihre Figur weiter grinsend und während er sich an die Puppen-Hose machte, fiel ihm etwas auf.

„Sag mal...“, er wandte sich an die Kleinere, „Hat jemand deine Stimmbänder geschmirgelt oder so? Du hörst dich ja grausam an...“

Tatsächlich war ihre Stimme rau und krächzend und sie errötete beschämt zu Boden sehend.

„Sie hat eine Stimmbandentzündung, du Dampfnudel, du weißt doch wie anfällig sie auf Krankheiten ist!“, rechtfertigte ihre größere Cousine sie freundlicher Weise.

„Himmelsblüter haben es nicht leicht...“, antwortete der Blonde bloß kopfschüttelnd, weiter an dem hosenähnlichen Teil flickend, „Mann, solche fremdartigen Stoffe mit Kaliri-Garn zu reparieren ist nahezu unmöglich!“

„Stell dich nicht so an, du Null...“

Beide Brauen hebend, schwang sich die Große auf den Tresen und schaute ihm bei seiner Arbeit zu; die Kleine blieb stehen und starrte weiterhin eingeschüchtert zu Boden.

„Wenn du jetzt brav bist, erzähl ich euch was schönes...“, murmelte der Schneider darauf leicht angesäuert und die Mädchen warfen sich einen raschen Blick zu.

„Klatsch und Tratsch aus dem Dorf? Immer raus damit!“

Er sah auf und grinste, seine Arbeit unterbrechend.

„Wir haben ein neues Gesicht in Thilia. Choraly Magafi aus einer großen Stadt namens Waka-Irgendwie. Oder so...“

„Wakawariwa!“, brach das Mädchen mit den Zopf trotz der seltsam klingenden Stimme, „Das ist die größte Stadt auf der ganzen Welt!“

„Rede keinen Scheiß!“, machte die Ältere an Tafaye gewandt, nicht weniger verblüfft wie ihre Vorrednerin, die gerade dabei war, aus allen Wolken zu fallen und dieser setzte seine Arbeit fort.

„Sie sieht ziemlich hübsch aus und hat ganz angenehme Maße, muss ich sagen. Aber du hast die schönere Oberweite...“

Er unterbrach sich selbst, als er bemerkte, dass die Mädchen, untereinander redend , ihn völlig ignorierten und seufzte kaum hörbar.

„Wie cool, jemand richtig zivilisiertes!“

„Magafi? Hieß so nicht irgendein Politiker?“

„Seit wann kennst du dich denn mit Politik aus?!“
 

„Wollt ihr wissen, wo ihr sie findet?“, mischte sich Tafaye irgendwann wieder ein, von der Hose aufsehend und die jungen Frauen nickten heftig.

„Auf jeden Fall!“

„Bei Chatgaia und Mayora!“, grinste er.

Gesicht verziehend fuhr sich die Blonde durchs Haar.

„War ja klar. Aber ich hab schon lange niemanden aus „der anderen Welt“ mehr getroffen. Außer den Leuten in der Station, aber die Spastis gelten nicht...“

„Ja, ich will sie unbedingt kennen lernen!“, krächzte die Kleinere voller Elan, „Am besten jetzt gleich, wo wir doch schon einmal im Dorf sind!“

Ihr Gegenüber nickte.

„Mach mal hinne, du Sack, du hörst doch, dass wir noch etwas vorhaben!“

Der „Sack“ rollte ein weiteres Mal die Augen.

„Ich bin schon seit Ewigkeiten fertig, meine Damen. Wenn man euch denn so bezeichnen kann...“

Die Blonde nahm die Hose unsanft entgegen.

„Ach halts Maul, sonst sagen wir deinem Papi, dass du dich nicht schickst und dann gibt’s Dresche!“

„Der soll es wagen...!“, zischte der Ältere bloß, die Arme vor der Brust verschränkend, „Na los, haut schon ab!“

Noch bevor er den Satz zu Ende gesprochen hatte, war das blonde Mädchen schon aus der Tür verschwunden, die Kleinere hielt davor noch einmal inne und verneigte sich höflich vor dem Schneider.

„Danke, dass du das so schnell reparieren konntest!“

Dann verschwand auch sie.
 

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Kappi 6 hat eigentlich einen anderen Namen "XD

Wüstenbewohner

„Pinita, du machst die Tür kaputt!“

Das zierliche Mädchen mit dem Zopf starrte ihre Cousine mit großen Augen an, während diese den Eingang zu Chatgaias Haus demolierte, oder wie sie es bezeichnete, „anklopfte“.

„Ich weiß doch genau, dass mindestens einer dieser Freaks zu Hause ist!“, schnaubte diese darauf, von dem Holz ablassend und nun hoch sehend, zu den Fenstern der oberen Etage.

„DÜRFEN WIR MAL REINKOMMEN?!“

Sie schrie so laut, dass alle Menschen, Himmelsblüter, Tiere, Pflanzen, Elemente, Götter, Geister, Monster in einer Entfernung von etwas 20 Kilometern, jeder Stein und jedes einzelne Sandkorn der Wüste davon einen Tinitus bekommen hätten, wären sie das Verhalten des Mädchens nicht gewohnt gewesen und ihre jüngere Begleiterin schüttelte den Kopf.

„Du weckst noch die Toten!“, kommentierte sie das bloß, ihre Arme vor ihrer ziemlich flachen Brust verschränkend und die Blonde grinste.

„Warum kommt ihr beiden eigentlich immer, wenn euch keiner gebrauchen kann?“

Auf die bekannte Stimme reagierend, folgte nun auch die Kleinere dem Blick zum oberen Stockwerk, wo Mayora aus einem der Fenster seinen Kopf streckte und überraschend genervt nach unten schaute. Er hatte geschlafen, verdammt...

„Wo ist Choraly?“, fragte Pinita ohne Rücksicht auf Verluste einfach grinsend an den Jungen gewandt und ihre Cousine erschreckte sich zunächst über sein furchtbares Aussehen. Schon wieder Fieber?

„Weg... was weiß ich... irgendwo ist sie schon...“

Er lehnte sich schlaff über das Fensterbrett und fuhr sich durch das strubbelige grüne Haar. Ob die Medizin wohl bei Maragi angekommen war? Sie war sicher enttäuscht gewesen, dass er das Zeug nicht persönlich gebracht hatte...

„Du musst doch wissen, wo sie ist!“, fuhr die Ältere ihn weiterhin seinen Zustand ignorierend an und ihre Cousine legte ihr beschwichtigend eine Hand auf die Schulter.

„Lass gut sein, wir suchen sie einfach.“

„Er verheimlicht uns sicher nur, wo sie ist, damit wir durch dieses schreckliche Kaff rennen, bis unsere Füße qualmen!“

Pinita verteidigte ihren Standpunkt voller Elan. Das war einer der Gründe, weshalb sie niemals einfach so an Mayora vorbei kam, ohne mindestens eine Bemerkung zu machen oder ihm sonst irgendwie eins reinzuwürgen, denn im Gegensatz zu ihr hatte der junge Mann scheinbar keinerlei Meinung. Dadurch, dass er Chatgaias Neffe war, hatten alle Respekt vor ihm, aber hinter seinem Rücken schüttelte man bloß die Köpfe. Vermutlich wusste er das sogar, aber das war ihm egal, genau so wie alles andere, was seine Tante nicht für wichtig befand. Die 16-jährige fand das traurig, aber so war es ja schon immer gewesen. Sie kannte ihn, seit er fünf Jahre alt gewesen war und schon damals hatte er immer jemanden gehabt, dem er wie ein Hündchen nachgerannt war, um die Drecksarbeit zu erledigen. Scheinbar brauchte er das einfach...
 

„Sucht ihr mich?“

Die beiden Mädchen drehten sich erschreckt um, standen so der Fremden gegenüber, die sie perplex musterte.

„Choraly Magafi?“, quiekte Pinita voller Freude und die Angesprochene nickte.

„Hat Maragi ihre Medizin bekommen?“

Mayora wollte eine schnelle Antwort, denn lange würde er sich nicht mehr auf den Beinen halten können. Wie er dieses verfluchte Fieber hasste! Zu wenig Schlaf, ein paar Minuten zu lange in der Sonne, den Teller nicht ganz leer gemacht... einmal der Norm abweichen und direkt war er todkrank. Oder fühlte sich zumindest so... es war furchtbar, so nutzlos zu sein!

„Ja, aber ich glaube, sie ist jetzt suizidgefährdet.“, machte die junge Frau dann unbekümmert und widmete sich wieder den anderen Beiden, „Und wer seid ihr?“
 

„Pinita Ferras und Dafi Tebettra!“, stellte die Blonde sich und ihre Cousine voller Elan vor und grinste, „Und wir freuen uns, dich kennen zu lernen!“

Die Brünette lächelte überrascht, als auch die Kleinere sich fröhlich vor ihr verneigte. Sie war ein Himmelsblüter, eindeutig, doch war ihre Aura ganz anders als die von Chatgaia oder Mayora; sie war zwar da, aber sie störte nicht.

Zuletztgenannter hatte sich mit der ernüchternden Antwort seiner Mitbewohnerin übrigens zufrieden gegeben und sich wieder in sein Bett geschleppt, wo er mies gelaunt liegen blieb und den Willen der Himmelsgötter, als er geboren wurde, verfluchte. Warum nur er? ...
 

„Und ihr wohnt auch in Thilia?“, fragte Choraly unterdessen neugierig. Dieses Mal musste sie niemanden abspeisen, weil sie zu Tun hatte; der Chef hatte ihr schließlich den Rest des Tages frei gegeben und das war auch besser so für ihn. Wo sie gerade dabei war, sie wollte ihn eh noch verhauen und in Grund und Boden stampfen... was für angenehme Tagesaussichten! Nach den Ereignissen der letzten Tage konnte sie das auch einmal gebrauchen... hatte sie nicht demnächst auch noch Geburtstag?

„Nein, in so einem miesen kleinen Assi-Kaff würde ich echt zu Grunde gehen!“, antwortete Pinita währenddessen lachend und noch ehe sie den Satz ganz verarbeiten konnte, wurden die Augen des Stadtmädchens auch schon tellergroß. Nicht in Thilia...? Imera hatte doch noch etwas erwähnt...

„Dann wohnt ihr in Morika?“

Aus der Bahn gerissen sah sie mit an, wie sich nun auch Dafi ein Kichern mit ihrer komischen Stimme nicht verkneifen konnte und deren höchst amüsierte Cousine schüttelte den Kopf.

„Nein, wir leben und arbeiten in einer Forschungsstation von Mon'dany, etwas außerhalb der Oase. Als wir noch ganz klein waren, haben unsere Eltern uns hier her geschleppt, weil zuerst sie ihren Job hier hatten, aber vor vier Jahren sind sie ums Leben gekommen und da Dafichen und ich mit einem anschaulichen Intellekt gesegnet sind, vertreten wir sie nun!“

Sie erzählte völlig unbekümmert und die momentan ohnehin ziemlich instabile Choraly erbleichte.

„Eure Eltern sind gestorben? Das... das tut mir so Leid...!“, machte sie mit brüchiger Stimme und das Mädchen mit dem Zopf winkte nur ab. Pinita grinste.

„Dafis Bruder ist auch gestorben damals! Es war ein furchtbarer Brand...“
 

Die Braunhaarige wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Der Größeren schien das, was sie sagte, völlig egal zu sein, dabei hatte sie alle näher stehenden Verwandten verloren! Oder war sie so locker, weil sie ja noch Dafi hatte? Die wirkte nicht ganz so unbekümmert, jedoch gefasst. Dann fiel ihr etwas ein.

„Ihr wohnt in einer Forschungsstation?! Dann habt ihr doch sicher Funkgeräte!“

Sie strahlte. Die beiden Mädchen schickte der Himmel, doch zu ihrer (negativen) Überraschung verdunkelte sich das Gesicht der Blonden.

„Vergiss es! Wir funken nur an die militärische Zentrale in Fides! Und auch nur, wenn es sehr wichtig ist oder unsere Futterlieferungen nicht eintrödeln! In einen fremden Kontinent zu funken ist streng verboten!“

Pinita schnaubte und ihre Cousine lächelte entschuldigend. Die verstanden wohl nicht...

„Hallo?!“, fauchte die Jüngste, „Ich werde von lauter Bekloppten hier gegen meinen Willen festgehalten! Mein Vater denkt, ich sei tot! Ich bin ganz alleine hier, ich habe niemanden, keine Mutter, keine Atti...!“

Sie unterdrückte ein Schluchzen, vor diesen Weibern wollte sie sich keine Blöße geben! Aber es war so schwer... es tat doch alles so weh... sie wollte doch nur heim, so schwer konnte das doch nicht sein!

Sie schreckte auf, als jemand sie sanft von hinten umarmte und auch die beiden anderen schauten überrascht, jedoch, das galt besonders für Pinita, ziemlich abgeneigt.

„Du bist doch nicht allein, Choraly, du hast doch mich! Und verzeih mir bitte, dass ich dich einfach so berührt habe, aber ich konnte nicht anders...“

Sie kannte die Stimme und mit einem Mal stieg ihr die Röte ins Gesicht und ein angenehmer Schauer überkam sie.

„Imera...“, flüsterte sie andächtig und spürte seinen warmen Atem in ihrem Nacken.

„Imera.“, machte auch Pinita stirnrunzelnd, „In der Liste meiner meist geliebten Personen teilst du dir mit Mayora Platz 1.“

„Ehrlich?!“, krächzte Dafi, doch niemand beachtete sie. (Dafi: Wie gemein, ich will einen Keks!)

„Wir müssen uns einen Platz teilen... wie gemein.“, antwortete der Junge bloß unbekümmert und schmiegte sich fester an das hübsche Mädchen vor ihm, das zwar zur Salzsäule erstarrt, aber sicherlich nicht abgeneigt war.
 

„... als ob du es dir leisten könntest, dich zu den Meinungen anderer Leute über dich zu äußern!“

Der Blick der Gruppe schweifte zum Hauseingang, an dem sich nun Mayora mit Müh und Not lehnte und schwer atmete.

„Himmel...“, machte Dafi wiederum leise, doch auch jetzt schenkte ihr niemand Beachtung.

„Und als ob du es dir leisten könntest, dein Bett zu verlassen!“, schnatterte Pinita darauf verächtlich und verschränkte die Arme vor der Brust, Imera grinste altbekannt.

„Dein cooler Auftritt ist voll daneben gegangen, du Flamme auf zwei Beinen. Würde man von einem Wassermagier nicht erwarten...“

Die Blonde gluckste und Choraly wusste noch immer nicht so recht, wo sie dran war, als der braunhaarige Junge begann, über ihren Bauch zu streicheln.

„Was ihr von mir haltet ist mir vollkommen gleich.“, machte der Grünhaarige unterdessen bloß mit zittriger Stimme und noch zittrigeren Knien, „Lass Choraly sofort los, oder dir passiert etwas!“

Während die Älteste unter ihnen an einem Lachanfall zu ersticken drohte und Dafi beleidigt war, weil sie vermutlich noch zwanzig Mal irgendetwas unnötiges gesagt und niemand ihr zugehört hatte, hob Imera bloß verwirrt glucksend eine Braue.

„Du willst mir etwas antun, und das, ohne dass Frauchen dir den Befehl dazu gegeben hat? DAS würde ich wirklich gerne sehen...!“

Er setzte dem brünetten Mädchen vor sich einen leichten Kuss in den Nacken und sie quiekte, die Brauen des Himmelsblüters zuckten daraufhin einmal bedrohlich.

„Meine Tante hat von mir verlangt, immer gut auf das Mädchen aus der großen Stadt aufzupassen, egal was passiert und mit welchen Mitteln. Wenn ich dich als Gefahr für sie wahrnehme, und das tue ich, kann ich also mit dir machen, was ich will...“

Der andere Junge grinste ein paar Sekunden frech, dann lies er die völlig perplexe Choraly los und trat einen Schritt zurück.

„Du bist echt die allerletzte Missgeburt...“, machte er dann, noch immer grinsend, aber sich seine „Niederlage“ wohl eingestehend, „Man hätte dich gleich töten sollen, als man erkannte, was du bist,

du widerlicher Hurensohn!“

Die roten Augen des Angesprochenen weiteten sich minimal und der andere lachte kalt.

„Du kannst mir nichts tun, ich bin keine Gefahr mehr!“

„Wie kannst du es wagen, zu sagen, sie sei eine Hure...?!“, stammelte der „Gewinner“ bloß fassungslos, „Wie kannst du nur??!“

„Ach heul nicht, Muttersöhnchen!“, mischte sich Pinita wieder ein, die sich inzwischen wieder gefangen hatte und ihre Cousine räusperte sich, wurde aber ignoriert.
 

Mayora spürte seine Schüttelfrost zurück kehren und noch ehe er sich weitere Gedanken hätte machen können, war er schon auf die Straße gestolpert, hatte Choraly an der Hand gepackt und ins Haus gezerrt, die Tür zuknallend. Das Mädchen quiekte abermals geschockt.

„Du hast meine Hand berührt, wie konntest du nur?!“

Der Ältere keuchte und ihm schwindelte es, so antwortete er erst, als sein Gegenüber sich mit den Worten „Ich gehe wieder zu den Anderen, du Idiot!“ von ihm abwenden wollte.

„Du musst dich unbedingt von Imera fern halten! Er ist kein guter Umgang für dich!“

Er lies sich kraftlos auf den Boden sinken, noch immer schwer atmend und sah zu ihr auf. Es wirkte so schwach...

„Den Umgang mit jemandem lasse ich mir, wenn überhaupt, nur von meinem Vater verbieten und der bist du ganz sicher nicht! Wenn du dich so sehr um mein Wohl sorgst, dann mach, dass ich hier weg komme!“

Sie musste sich beherrschen, um nicht in der plötzlich aufkommenden Wut nach ihm zu treten; das wäre dann aber doch so erniedrigend gewesen, dass sie sich vor seiner Reaktion gefürchtet hätte. Der Grünhaarige erkannte ihr Vorhaben jedoch und seufzte.

„Mach doch, ich bin es gewohnt. Außerdem hast du doch eh die offizielle Erlaubnis dazu!“

„Nein, an dir mache ich mir meine Schuhe nicht dreckig!“

Sie fauchte und wandte sich endgültig ab; doch verließ sie nicht das Haus, sondern rannte die Treppe hinauf. Sie hatte auf ihn gehört.
 

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„Aber zu mir muss er was sagen!“

Imera verschränkte die Arme vor der Brust und starrte die verschlossene Tür an. Dieses miese Arschloch musste ihm auch immer alles versauen.

Aber irgendwann würde der Tag seiner Vergeltung kommen, seiner Rache an Mayora Timaro und sie würde grausam sein. Beginnen würde sie mit dem Tag, an dem die Rache des Himmelsblüters an ihm selbst enden würde und wenn er seiner Intuition vertraute, würde der mit Chatgaias Tod kommen.

Nach ihrem Ableben würde die Sorge um das Dorf schließlich ihrem allerliebsten Neffen obliegen, aber wenn dieser der oberste Chef wurde, würde er zerbrechen. Dann hatte er schließlich niemandem mehr, der ihn herumkommandierte und er würde eine eigene Meinung brauchen. Da er die aber nicht hatte, musste er sich wohl wieder jemanden zum Nachrennen suchen... und wer würde dann lachen? Er gluckste jetzt schon verstohlen vor sich hin und Dafi bemerkte es.

„An seiner Stelle würde ich sie auch nicht zu dir lassen.“, bemerkte sie, ihn musternd und er grinste fies.

„Was hast du denn verschluckt?“

„Sie hat eine Stimmbandentzündung, du Volltrottel!“, mischte sich auch Pinita wieder ein und ballte bedrohlich die Fäuste, „Pass bloß auf, was du sagst, ICH habe nämlich eine Meinung und Thilias Regeln scheren mich einen Dreck!“

Er seufzte. Der Eine hatte zu wenig Meinung, die Andere zu viel. So ein Mist aber auch...

„Ist ja gut, meine Liebe. Gute Besserung, Dafi... ich werde Choraly trotzdem bekommen.“

Er drehte sich grinsend um und verschwand in die Richtung, aus der er gekommen war.
 

„Jetzt konnten wir Choraly gar nicht richtig kennen lernen.“, bemerkte das zierliche Mädchen deprimiert an ihre Cousine gewandt, deren Kehle darauf ein Seufzen entfloh.

„Wir werden sie sicher wieder sehen, dann haben wir noch genügend Gelegenheit dazu.“
 

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Choraly selbst rannte zeitgleich in dem kleinen Zimmer, das sie von Chtgaia freundlicherweise zur Verfügung gestellt bekommen hatte, auf und ab, um sich wieder zu beruhigen.

Wie hatte diese Missgeburt es wagen können, sie einfach von den Anderen wegzuzerren? Und wie konnte er nur dem lieben Imera drohen?! Oder diese dumme Pinita... sie und ihre verhungerte Cousine waren allem Anschein nach die Einzigen, die ihr helfen konnten, aber anstatt erst einmal nachzufragen, ob man bei der Tochter eines der wichtigsten Politiker Nobokas einmal eine Ausnahme machen könnte, fauchten sie sie sofort an, als hätte sie etwas unmögliches verlangt! Sie wollte doch nur nach Hause...

Wie konnten diese ganzen Schwachmaten ihr nach allem, was sie hatte erleben müssen, so etwas antun?!

Sie fühlte sich plötzlich schwach und lies sich auf ihr Bett sinken, als sich ihre Augen mit Tränen zu füllen begannen. Warum hatten ihre Mutter und Atti sie bloß allein gelassen? Was hatte sie denn verbrochen, dass man ihr so etwas antat? Sie vermisste die Beiden doch so...

Bei den Gedanken an den Absturz wurde dem Mädchen schlecht und es musste sich kurzzeitig eine Hand vor den Mund halten. Noch nicht einmal würdevoll bestatten hatte man die Toten können... sie würden sicher wütende Windgeister werden! Ob es vielleicht sogar sie selbst gewesen waren, die ihr und Mayora diesen Traum geschickt hatten?

Egal, sie verstand ihn trotzdem nicht. Vor Allem der erste Teil mit den kleinen Jungen verwirrte sie, diese Szene war doch für alles weitere völlig sinnlos gewesen, oder? Dem Salatkopf schien allem Anschein nach auch noch nichts Gescheites dazu eingefallen zu sein...

Salatkopf... sie gluckste leise.

Imera nannte ihn immer so. Was hatten die Beiden eigentlich für ein Problem miteinander? Schon, Choraly verstand alle Menschen, denen Himmelsblüter nicht geheuer waren, aber bei dem Braunhaarigen war das schon ziemlich extrem, fand sie. Ihn lies ja sogar Mayoras Tod kalt, so wie es aussah und er legte es außerdem immer darauf an, dem Grünhaarigen irgendwie eins reinzuwürgen, so oft sie sich auch trafen. Anders als bei ihr selbst war Chatgaias Neffe bei Imera auch nicht sonderlich tolerant, wie es aussah. Besonders liebevoll sprach er schließlich nicht mit ihm. Und diese Pinita mochte keinen von beiden.... schon ein seltsamer Haufen.

Hätte sie gewusst, dass ihr Vater sie nach einer gewissen Zeit findet, dann hätte sie sich vermutlich daran gemacht, die Geschichten dieser seltsamen Persönlichkeiten, die sie hier Tag für Tag so traf, zu erkunden. Aber wie sollte sie hier irgendein zivilisierter Mensch finden?! Ob Thilia überhaupt auf irgendeiner Landkarte verzeichnet war...?
 

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„Du bist sehr früh zurück.“

Mayora blinzelte seine Tante überrascht an, die gerade dabei war, irgendeine Medizin zusammen zu mischen. Mittlerweile fühlte er sich auch wieder ein klein bisschen besser und so saß er in der Küche und trank Schmodder-Saft.

„Ich habe geahnt, dass du wieder Fieber bekommst.“, antwortete sie gelassen ohne aufzusehen, während sie irgendwelche Kräuter aus einem Glas in den Medizin-Behälter gab, „Und in letzter Zeit weiß man ja nie, wie schlimm es wird, da bin ich lieber auf Nummer sicher gegangen.“

Er nickte und starrte in seinen Becher, unterdessen suchte sie aus einem großen Regal ein weiteres Glas mit getrockneten Beeren, deren Inhalt sie ebenfalls in das Gebräu schüttete und umrührte.

„Tut mir sehr Leid für die Umstände und dass ich schon wieder einen Tag lang ausfalle.“, machte er bloß resigniert und die Ältere drehte sich zu ihm um und seufzte.

„Macht nichts, ich hatte eh noch hier zu tun. Aber wenn ich mir dich so ansehe, geht es mir gleich mit schlecht.“

Er sah auf.

„Weshalb das?“

„Ich bin weder eine besonders gute Medizinerin noch Ärztin. Lapalien kann ich heilen und ich kann Frauen helfen, wenn sie Kinder bekommen, aber...“, sie wandte sich wieder ab und starrte monoton in ihr Gemisch, „... du bist krank und ich muss zusehen. Das tut mir sehr Leid und zeigt mir immer öfter, wie unfähig ich bin.“

Der Grünhaarige blinzelte überrascht. Selbstkritik bekam man von Chatgaia nicht besonders oft zu hören; niemand wagte es auch, die Autorität der obersten Chefin des Dorfes in Frage zu stellen. Warum auch, sie tat ihre Sache sehr gut!

„Du bist nicht unfähig, liebe Tante, das hast du schon oft genug bewiesen. Du hast schon so vielen Leuten geholfen, ohne dich wäre dieses Dorf nichts!“

Er war aufgestanden und hatte sie kurz von hinten umarmt; ähnlich wie Imera bei Choraly, nur nicht so anzüglich. Sie lächelte nur.

„Du bist noch immer das Kind, das einen Helden braucht, um zu überleben, nicht wahr?“

Er zuckte bloß mit den Schultern und sie sah ihn nun an.

„Denk doch einmal an die Familie Raatati. Tado Raatati war ein junger Mann, als er plötzlich krank wurde und ich ihm nicht helfen konnte. Ich musste einfach zusehen, wie er gestorben ist und ehrlich gesagt habe ich selbst heute noch nicht den Hauch einer Ahnung, was das für eine Krankheit war. Oder seine Frau, Nemati, das selbe Spiel. Ich vermute, innerhalb der nächsten Wochen ist es auch für sie soweit. Oder Tainini! Mit vier wurden ihre Augen immer schlechter und jetzt ist sie blind, ich konnte nichts tun! Fehlt nur noch, dass mit Jiro etwas passiert...“

Sie fuhr sich deprimiert durchs Haar und zum ersten Mal bemerkte ihr Neffe, wie nah ihr so etwas wirklich ging. Sie war so seriös, da ging das Emotionale schon einmal verloren...

„Aber da konntest du doch nichts dafür...“, flüsterte er bloß, sie ebenfalls deprimiert ansehend.

„Vielleicht schon...“, sie verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen und starrte ins Leere, „Und deshalb will ich so etwas auf keinen Fall noch einmal erleben müssen! Und dabei hat es schon wieder begonnen... du merkst ja selbst, dass es schlimmer und schlimmer wird... und wieder muss ich zuschauen.“

Sie schwiegen. Mayora wusste nicht, was er darauf sagen sollte, sie hatte schließlich Recht. Aber das änderte doch nichts daran, dass sie eine gute Medizinerin war! Wenn die Windgeister Seelen zu sich nehmen wollten, dann taten sie das, egal, was Chatgaia oder sonst jemand dagegen tuhen wollte. So war es nun einmal und so würde es auch immer bleiben, egal, was die Zukunft brachte.

„Vielleicht sollte ich dich in eine große Stadt schicken, nach Palbuflor vielleicht...“

Ihre Worte rissen ihn aus seinen Gedanken und er starrte die Frau entsetzt an. Das konnte nicht ihr ernst sein!

„Du weißt, dass dann alles verloren wäre! Unsere Heimat wäre dem Untergang geweiht und in einer so großen Stadt würde ich schon allein wegen der völlig anderen Umstände sterben, das weißt du doch!“

Sie schaute ihm seltsam in die Augen.

„Früher oder später ist es so wie so vorbei mit Thilia. Und in großen Städten gibt es gute Ärzte...“

„Dann sterbe ich lieber!“
 

Wegen ihm würde das Dorf Thilia nicht kaputt gehen, es hatte ihm schließlich selbst einmal das Leben gerettet und das Schicksal konnte man eh nicht ändern.

Was den jungen Mann allerdings überraschte, war, dass seine Tante tatsächlich dazu bereit gewesen wäre, jemanden ausreisen zu lassen; das grenzte schließlich an Wahnsinn.

Nicht nur, dass ihr sicherer kleiner Zufluchtsort für ihre Rasse zerstört worden wäre; sich als Himmelsblüter in eine so große Menschenmetropole zu begeben, grenzte an Selbstmord. Natürlich, Menschen, die von Himmelsblütern abstammten, hatten gelegentlich auch seltsame Haar- und Augenfarben, aber Choraly war ja nicht der einzige sensible Mensch auf der Welt. Egal, was geschah, er würde auffallen und er war sich sicher, dass die Bewohner von Palbuflor nicht gerade besonders nett zu ihm sein würden, davon abgesehen galt das Gleiche natürlich auch für Ärzte dort.

Es war also ein sinnloses Unterfangen.

Entweder würde er bald sterben oder eben einfach gesund werden, aber beides würde in Thilia geschehen, dem Dorf, das er seit nun mehr neun Jahren seine Heimat nannte!
 

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„Mayora!“

Ohne Rücksicht auf Verluste brüllte Choraly irgendwann nach dem Jungen, der auch unverzüglich zu ihr eilte. Beziehungsweise, er kam zur Badezimmertüre und hielt dann inne. Man wusste ja nie, was man zu sehen bekommen würde, wenn man es zu eilig hatte...

„Was denn, junge Dame?“, fragte er höflich und hörte sie schnauben.

„Ich hasse eure Dusche!“

Und euer Haus, euer Dorf, eure Wüste... man hätte die Liste beliebig fortsetzen können, aber im Moment war das größte Problem der jungen Frau, dass man dieses duschenähnliche Teil nicht richtig regulieren konnte. Es bestand übrigens bloß aus einem Abfluss am Boden, einer Art Duschkopf an der Decke und zwei Seilen, die ebenfalls von der Decke ausgingen. Bei beiden war am Ende ein Holzknauf angebracht, bei dem Einen war ein roter Punkt aufgemalt, bei dem anderen ein blauer. Jeder Volldepp hätte wohl verstanden, dass rot für „heiß“ und blau für „kalt“ stand, bloß hatte man hier anscheinend nur die Wahl zwischen kochend-heiß oder eiskalt, etwas dazwischen war nicht vorhanden.

„Was hast du denn für ein Problem mit der Dusche? Die ist ja wohl toll, ich hab sie ganz allein gebaut!“

Der Grünhaarige verschränkte beide Arme vor der Brust. Die Dusche war ein Meisterwerk!

„Ja, so sieht sie auch aus! Du hättest lieber ein Küchengerät daraus machen sollen, kochen und tief kühlen, 2 in 1!“

Das Mädchen erschauderte und schlang schützend beide Arme um seinen nackten Oberkörper. Wie konnte man in der Wüste frieren?

„Zieh mal an beiden Seilen gleichzeitig!“, er verzog beleidigt das Gesicht, bevor er leise für sich weiter sprach, „Hohle Strunzkuh...“

„Oh!“, hörte er es da aus dem Badezimmer, während wieder Wasser rauschte, „Geht ja doch!“

Er verdrehte die Augen. Klar ging das, er hatte das Ding schließlich gebaut.

„Wo du schon mal hier bist...“

Choraly seifte sich wohlig seufzend ein. So schnell kam er noch nicht davon.

„Ich besitze immer noch bloß dieses eine Kleid von Tainini, ich bräuchte bis morgen noch etwas anderes. Unterwäsche wäre auch ganz fein.“

„Schön.“, antwortete er, „Und was kann ich da machen?“

Sie verdrehte die Augen.

„Na, mir was zum Anziehen besorgen, du hohler Köter!“

Die Vorstellung von Mayora, der von seiner Tante an einer Leine spazieren geführt wurde, hatte sie einfach nicht mehr los gelassen und so hatte sie sich diesen Kommentar auch nicht verkneifen können. Was hatte Imera bloß mit ihr angestellt?

„Was du nicht sagst.“, machte er da, „Aber wehe, du beschwerst dich, weil es dir nicht gefällt...“

„Jaja...“
 

Fertig geduscht, Haare gekämmt und abgetrocknet, streckte sie wie abgemacht ihre Hände aus der Tür und der Ältere gab ihr seufzend Kleidung. Und sie sollte sich ja nicht beschweren!

„Das ist Kleidung von dir.“, hörte er es überraschend monoton von hinter der Tür und er kratzte sich am Kopf.

„Tut mir Leid, aber an Tante Chatgaias Kleiderschrank darf ich nicht.“

„Jaja, schon gut.“, brummte sie nur, „Ich verlasse das Haus eh nicht mehr so schnell.“

Mayora wollte sich abwenden, als sie abermals die Stimme erhob.

„Es geht mich zwar nichts an, aber was machst du mit einem pinken BH?“

„Das... geht dich wirklich nichts an.“
 

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„Hab ich Chancen bei ihr?“

Der schwarzhaarige Junge strahlte sein Gegenüber an.

„Eher nicht, sie ist ziemlich... speziell.“, Jiro grinste, „Außerdem bist du doch eh heiß auf Dafi, denke ich?!“

Der Kleinere seufzte und lies sich rückwärts ins Gras fallen.

„Vergebliche Liebesmühe. Irgendwie findet sie mich nicht attraktiv. Und dabei würde ich ihr die Sterne vom Himmel holen...“

Er seufzte und der Jüngere setzte sich neben seinen besten Freund, glucksend auf ihn herab sehend.

„Mal umgekehrt, Naga, was findest du an ihr attraktiv? Die vielen heraussteheden Knochen?!“

„Rede nicht so verächtlich über mein Engelchen!“, flötete er, mit großen blauen Augen nach oben sehend, „Sie ist halt einfach süß. Ich weiß ja auch nicht!“

„Ich aber...“

Auch Jiro legte sich nun auf den Boden und schaute in den blauen Himmel. Neben der Sonne sah man den blass-grünen Schein des Windmondes, der zu dieser Zeit besonders nahe am Planeten war...

„Jedenfalls ist Choraly Magafi nicht besonders süß, die passt gar nicht zu dir, Naga. Viel zu verwöhnt und wenn du nicht machst, was sie will, reißt sie dir einen Arm aus!“

„Himmel!“, machte der Angesprochene entsetzt und setzte sich auf, „So stark ist sie?!“

„So aussehen tut sie nicht, aber sie hat es bei ihrer eigenen Mutter getan...“, berichtete der Brünette unterdessen bitter und der andere seufzte.

„Wo wir gerade von Müttern reden, wie geht es eigentlich deiner?“

„Ganz schlecht.“

Er drehte dem Schwarzhaarigen den Rücken zu und seufzte verbittert.

„Bald ist sie auch nicht mehr da. Ich hab keine Ahnung, wie es weiter gehen soll... ich musste immer von Laden zu Laden springen und überall aushelfen, damit man meiner Familie auch gab, was sie brauchte, ohne dass wir betteln mussten, ich habe keinen Beruf erlernt. Tainini wird nie arbeiten und sich selbst versorgen können und dann gibt es ja auch noch Lilli. Ihre Eltern drängen uns zum heiraten, weil wir wahrscheinlich bald ein Baby bekommen werden... aber ich kann doch nicht für alle sorgen!“

Naga hob beide Brauen und starrte den Boden vor sich an.

„Ich... werde Tai zu mir nehmen, ja?“
 

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„Hatschi!“

„Gesundheit!“, Lilli schaute belustigt zu der kleinen Tai, die sich die Nase kratzte, „Da denkt wohl jemand an dich.“

„Oder ich werde krank...“, machte die Blonde bloß schulterzuckend und die Ältere kicherte.

„Ich fände es aber romantischer, wenn irgendein gewisser Herr an dich denken würde...“

Lilliann wohnte schon eine Weile im Haus der Raatatis, da Jiro arbeiten musste und seine Mutter inzwischen viel zu schwach war, um aufzustehen und sich um ihre blinde Tochter zu kümmern, die im Übrigen aber auch überraschend gut allein zurecht kam.

So stand die junge Frau jeden Tag in der Küche und kochte, Tai half ihr dabei, soweit sie konnte. Heute saß sie am Tisch und schnitt Gemüse für eine Suppe klein; sie hatte ihrer Fast-Schwägerin erfolgreich klar machen können, dass sie sehr wohl auf ihre kleinen Finger acht geben konnte und diese freute sich umso mehr über die Hilfe des süßen Mädchens.

Tainini war sehr hübsch, fand sie. Sie war klein und zierlich und wirkte zerbrechlich wie Porzellan, war dabei aber nicht so unappetitlich dünn wie Dafi und besaß durchaus Rundungen, die zuletzt genannte sicherlich nicht hatte. Die arme Dafi aß und aß und nahm nicht zu und wenn man sie sah, hatte man das Bedürfnis, sie zu füttern. Aber ob es wirklich keine Absicht war, dass sie so dürr war, bezweifelte die junge Frau im Stillen; vielleicht litt sie ja an irgendeiner psychischen Krankheit oder so. Grund genug hätte sie schließlich, bei den Verlusten, die das arme Mädchen hatte erleiden müssen; nicht jeder steckte so etwas so einfach weg wie Pinita. Vielleicht wusste die sogar um ihre Cousine Bescheid, war aber zu stolz, um irgendjemanden um Hilfe zu bitten?

Lilli seufzte. Oder es war ganz einfach so, wie Dafi sagte, und es lag in ihrer Natur. Möglicherweise hatte sie aber auch ein körperliches Leiden...?

„... sie sollte zu einem Arzt.“

„Wer? Ich?“

Tais trübe blaue Augen fixierten die Richtung, in der die Ältere stand und vor sich hin kochte.

„Was? Nein, ich war in Gedanken...“

„Das bist du in letzter Zeit so oft...“, stellte die Kleine mit seltsamem Unterton fest, „Denkst du an dein Baby...?“

Die Andere errötete.

„Woher weißt du davon...?“

Tainini lächelte.

„Meine Ohren hören alles.“
 

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„Dafi, zum letzten Mal, nein!“

Ohne Rücksicht auf Verluste fuhr Pinita ihre Cousine auf dem Hauptflur der Forschungsstation, auf dem reger Menschenverkehr herrschte, an. Die Anderen warfen den beiden jungen Frauen bloß einen kurzen Blick zu, waren die Beiden schließlich hier aufgewachsen und so kannte man sie gut genug, um sich über so etwas nicht mehr zu wundern. Die Kleinere schnaubte nur.

„Aber sie ist doch ganz allein hier! Sie hat ihre Mutter verloren, sicherlich hat sie furchtbare Schmerzen!“

Die Blonde verdrehte die Augen, die Arme in ihre Seiten stemmend.

„Sie kam aber recht locker herüber, oder?“

„Natürlich kam sie das!“, fauchte die Jüngere nun auch ungehalten mit ihrer noch immer seltsam klingenden Stimme, „Sie kennt hier niemanden! Es ist ein ganz normaler Prozess, in einer solchen Situation stark zu sein, aber glaub mir, wenn sie abends im Bett allein ist, weint sie bittere Tränen!“

„Bittere Tränen, bla bla...!“

Ihre Cousine spöttisch nachäffend wandte sich Pinita ab und ging erhobenen Hauptes weiter.

„Dass du auch jedem Penner helfen musst, echt erbärmlich...“

Dafi wollte noch etwas sagen, irgendetwas, aber vor Wut zitternd brachte sie schließlich überhaupt nichts mehr heraus, musste der Älteren einfach nachsehen, wie sie durch eine Tür verschwand. Nie konnte sie sich wehren, immer wurde gemacht, was die tolle Königin wollte! Sie hatte ihr Leben für die Blonde aufgegeben, hatte alles, was ihr nach dem Brand geblieben war einzig für das Lächeln ihrer letzten lebenden Verwandten aufgegeben, aber nie bekam sie etwas zurück, noch nicht einmal ein Danke.

Natürlich war ihr klar, dass es aus logischen Gründen streng verboten war, einfach in einen fremden Kontinent zu funken, aber man hätte doch fragen können! Nur fragen, dass hätte das Gewissen der 16-jährigen schon ein klein wenig beruhigt, auch wenn es vermutlich eh nichts gebracht und der armen Choraly sicher nicht weiter geholfen hätte... aber in letzter Zeit ging es so wie so oft um das Prinzip. Sie wurde erwachsen und kam sich von ihrer Cousine, die sie doch so lieb hatte, mehr und mehr veräppelt vor. Und das tat nun einmal weh.
 

Ente geklaut, scheiß Dieb
 

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Jaja, heul doch, Dafi XD

Wege des Schicksals

„Hör mir zu, mein Sohn, ich möchte dir etwas erklären.“

„Was erklärst du mir, Vater?“

„Ich erkläre dir, dass es die Menschen gibt und die so genannten Kinder des Himmelsblutes. Und es gibt dich. Fällt dir etwas auf?“

„Du hast mich einzeln genannt, Vater.“

„Richtig. Und weißt du, warum?“

„Nein, Vater. Das weiß ich nicht.“

„Damit du dich aus den Angelegenheiten der Menschen und denen der Himmelsblüter heraus hältst. Tu das, was dein Bruder oder ich dir sagen, auf deine Mutter und deine Schwester musst du auch hören. Du kannst alleine sowieso nichts, nehme ich an, so nutzlos, wie du bist. Also arbeite lieber, damit deine Familie wenigstens das von dir hat.“

„Werde ich, Vater.“
 

Choraly blinzelte in die Dunkelheit. Seit sie hier war, träumte sie andauernd Mist, fiel ihr auf. Aber immerhin gab es heute Nacht keine abgetrennten Körperteile, dafür bloß einen Vater, der seinen kleinen Sohn anscheinend nicht besonders lieb hatte.

Vater...

Sie hatte ihn besuchen wollen, damit sie ihren 16. Geburtstag zusammen hätten feiern können. Sie, ihr Vater, ihre Mutter und die liebe Atti. Aber daraus wurde jetzt wohl nichts mehr. Naputi Magafi und ihr geliebtes Kindermädchen waren tot und sie bezweifelte auch stark, dass sie es in den nächsten zwei Tagen schaffte, zu ihrem Papa zu kommen.
 

Verletzt kuschelte sich das brünette Mädchen in die helle Decke und ließ ihren Blick aus dem Fenster schweifen. Der zart-grüne Windmond tauchte die Landschaft in ein sanftes Licht und so sahen noch nicht einmal die hohen Sanddünen, die sie in der Ferne erahnen konnte, gefährlich aus. Viel mehr wirkte die Welt... resigniert. Als ob sie genau so wie Choraly gegen ihren Willen festgehalten wurde und alles, was ihr lieb und wichtig war, verloren hatte. Es war nicht gerecht, warum ließen die Götter sie bloß so leiden?
 

Nach der Mythologie besaßen alle vier Monde verschiedene Eigenschaften. Die des Windmondes waren die der wachen Lebens- und Windgeister. Er gab allen Lebewesen der Welt Energie und war dann zu sehen, wenn die Sonne am wärmsten war (man könnte auch im Sommer sagen...). Besonders sensible Menschen wie Choraly reagierten auf den Windmond mit unruhigem Schlaf und seltsamen Träumen, doch das war dieser nicht bewusst. So etwas lernte man in Wakawariwa nicht.
 

Allein war sie damit dennoch nicht, denn auch Menschen mit Sorgen hielt er wach, wie zum Beispiel Jiro.

Seine hübsche Verlobte Lilli lag mit einem dünnen Nachthemd bekleidet eng an ihn gekuschelt in ihrem kleinen Bett und schlummerte friedlich vor sich hin, während der junge Mann, ebenso wie das Mädchen aus der großen Stadt, den Mond durch sein Fenster betrachtete.

Die Götter meinten es einfach nicht gut mit seiner Familie.

Erst nehmt ihr mir den Vater, dann das Augenlicht meiner Schwester und nun bald auch noch meine Mutter, was haben wir euch getan?, dachte er ärgerlich, „Und warum muss Lilli ausgerechnet jetzt ein Baby bekommen? Ach, was mache ich mir Gedanken, die Windgeister nehmen es uns wahrscheinlich wohl gerade dann, wenn wir es richtig lieb gewonnen haben...!

Er schüttelte sich kurz. Nein, an so etwas durfte er nicht denken. Er würde sich irgendetwas nützliches beibringen und ein guter Vater werden, seine Frau und sein Kind würden gesund und glücklich bei ihm leben. Naga würde endlich Dafi abbekommen und auch seiner armen kleinen Schwester Tainini würde sich ein lieber Kerl erbarmen.

Der Brünette wusste, dass das alles bloß Wunschdenken war, aber die Vorstellung war wesentlich angenehmer, als das, was ihm realistisch erschien...
 

Aber nicht nur Choraly und Jiro hatten so ihre Probleme, auch Mayora lag, immerhin mit normaler Körpertemperatur, wach und sorgte sich.

Er träumte seltsame Dinge und tötete Seelen, das war nicht gut. Aber das war nicht das Einzige schlechte Zeichen...

Er vergrub sein Gesicht im Kissen und seufzte gedämpft, sich durch sein zerzaustes grünes Haar streichend.

Er murmelte oft in alter Sprache. Seltsam, hatte er sich gedacht, als er es zum ersten Mal bemerkt hatte, ohne größer darauf einzugehen. Aber mittlerweile erwischte er sich immer öfter dabei, in alter Sprache zu denken und das war nicht seltsam, sondern schlicht und ergreifend völlig krank und abnormal. Noch nicht einmal Chatgaia hatte er davon erzählt, so ungewöhnlich war es. Und seine Götter gaben ihm keine Antworten, stellten sich stumm oder ratlos.

Er fürchtete sich inzwischen sogar schon vor sich selbst. Am Ende hatte Choraly Recht mit ihrer Meinung über Himmelsblüter. Was konnte er nur tun?

Verzweifelt schweifte sein Blick zu seinem Fenster, durch das der Windmond sein zart-grünes Licht schickte...
 

Dafis Zimmerfenster war leider in die falsche Himmelsrichtung ausgerichtet, so konnte sie dieses Schauspiel nicht verfolgen. Dennoch war sie genau wie viele andere wach.

Choraly hatte ihre Mutter verloren und ihr allem Anschein nach einzig lebender Verwandter (Dafi konnte von ihrem alten Großvater ja nichts ahnen) war ihr Vater, der nun weit weg von ihr war, unerreichbar für seine Tochter. Sie fragte sich, was sie wohl getan hätte, wenn jemand sie von Pinita hätte ferngehalten. Vermutlich wäre sie durchgedreht.

Pinita war ihr Licht im Dunkeln gewesen, dabei hatte ihre Cousine sie damals noch nicht einmal leiden können. Damals, bevor ihre Welt untergegangen war.

Ja, als kleine Kinder war Dafi ihr regelrechter Sklave gewesen, der alles hatte machen müssen, was sie wollte. ...und wenn nicht, gibt’s Dresche!

Sie grinste bitter in die Finsternis. Prügeln hatte sie schon immer gut drauf gehabt. Besonders gut bei ihrer kleinen zierlichen Cousine, die nicht nur durch ihr Himmelsblut wesentlich zerbrechlicher, sondern auch noch zwei Jahre jünger war als sie und sich eh nie wehrte.

Und dann waren sie plötzlich allein gewesen. Und Pinita traurig, genau so wie sie selbst. Für das Lächeln der Älteren hatte sie quasi ihr Leben, ihre Existens aufgegeben und litt nun jeden Tag darunter. Und ihre Cousine? Die scherte es einen Dreck. ...du hast mir das Angebot doch damals selbst gemacht! Wenn du nicht weit genug hast denken können, Pech gehabt!

Es war furchtbar, sich wie eine Gefangene zu fühlen...
 

Aber auch eine schlaflose Nacht hatte einmal ein Ende und so graute schon bald der Morgen. Chatgaia verließ das Haus und mit dem Sonnenaufgang begann das geschäftige Treiben im Dorf.
 

„Frühstücken!“

Keine Antwort.

„Es gibt Frühstück!“

Noch immer nichts. Mayora trottete die Treppe hinauf. Sonst war die Göre doch immer so früh auf gewesen, was war denn los? Nicht gut geschlafen?

Oder einfach zu wenig, dachte er sich, als er ihre Zimmertür öffnete und sie im Tiefschlaf vorfand, alle Viere von sich gestreckt. Er schmunzelte.

„Choraly, es gibt Essen.“, sagte er dann in normaler Zimmerlautstärke, aber ihre einzige erkennbare Reaktion war eine kurze Zuckung im rechten Bein, ehe sie seelenruhig weiter schlief.

„Na gut.“

Er zog beide Brauen hoch, als er zum Kopfende schritt und sich über sie beugte. Er war Wassermagier...

Eine Handbewegung und ein schriller Schrei, Problem gelöst.
 

„Ich bin ganz nass!“, quiekte das tatsächlich pitschnasse Mädchen, auf seinem ebenso nassen Bett kniend, „Was hast du Spasti mit mir gemacht?“

Der Angesprochene grinste bloß.

„Es gibt lecker Frühstück!“

Für „lecker Frühstück!“ durchnässte der Idiot sie und ihr Bett? Hatte der noch alle Tassen im Schrank?!

Sie schnaubte und sprang auf.

„Ich geb dir gleich lecker Frühstück, du Missgeburt, ich hab so schön geschlafen!“

Schreiend und fluchend machte sie von ihrem Recht Gebrauch und verhaute ihn so gut es ihr möglich war, auch wenn seine einzigen Reaktionen darauf demotivierender Weise zwischendurch ein gelangweiltes „Au...“ oder „Wie schmerzhaft.“ war.

„Gleich trete ich dir dahin, wo es wirklich weh tut, du Arsch!“, fauchte sie dann irgendwann, noch immer triefnass und am frühen Morgen schon völlig außer Puste, zu ihm nach oben sehend. Hochsehen musste sie nicht, weil er so groß war, denn das war er als Himmelsblüter sicherlich nicht, sondern eher, weil sie etwas kurz geraten war. Aber größer als Tainini, immerhin.

„Das wäre aber echt gemein.“, machte er blinzelnd, sich über eine besonders liebevoll behandelte Stelle am Oberarm reibend. Mit ihrer Kraft und ihrem Charakter konnte er sich wirklich vorstellen, dass sie ihrer armen Mutter den Arm ausgerissen hatte, aber das sagte er ihr sicherlich nicht. Schön blöd...

„Aber verdienen würdest du es, du 5-Sinnesbeleidigung!“, schnaubte sie unterdessen erbost. Ziemlich nachtragend war sie wohl und Mayora schluckte. 5-Sinnesbeleidigung?

„Zusammenfassung.“, machte er etwas irritiert, „Ich sehe scheußlich aus, ich stinke, ich habe eine hässliche Stimme, fühle mich widerlich an und... schmecke nicht gut?“

„Erfasst!“

Das Mädchen verschränkte beide Arme vor der Brust und sah ihn hochnäsig an. Zumindest verbal war sie unschlagbar! Auch wenn sie den Kerl bisher noch nicht gebissen hatte...

„Du bist echt völlig nutzlos!“

Sie kam sich kurz so vor wie der Vater aus ihrem Traum, aber es war Mayora, den sie da fertig machte und keinen süßen kleinen Jungen.

Aber er schien es ebenso gefasst aufzunehmen wie der, Bub, inzwischen musste er das ja auch gewohnt sein...

Kurz herrschte Schweigen, dann verließ er ihr Zimmer.

„Frühstück ist unten.“, wiederholte er abermals, ehe er verschwand.
 

--
 

Ganz so nutzlos war er doch wieder nicht, dachte sich Choraly beim Essen dann. Er konnte allem Anschein nach kochen und so wie es aussah kam er auch mit dem Haushalt ziemlich gut zurecht, schließlich war alles ordentlich und sauber, obwohl Chatgaia den ganzen Tag außer Haus war. Schon ein seltsamer Kerl.

Während sie so sein liebevoll zubereitetes Frühstück verzehrte, stand Mayora am Küchenfenster und starrte hinaus. Auch tagsüber war der Mond zu erkennen, doch sein sanftes Licht ging in den grellen Sonnenstrahlen komplett unter. Deshalb mochte er auch die Nacht lieber... wenn alles leise war und die Stimmen seiner Götter verständlicher wurden... und es niemanden gab, der es schlecht mit ihm meinte...

„Wenn man gerade erst wieder gesund ist, sollte man auch ordentlich speisen.“, hörte er seine Mitbewohnerin irgendwann altklug sprechen, bevor sie einen großen Schluck Schmodder-Saft ansetzte. Wie nett, aber das war er auch.

„Ich warte lieber, bis du fertig bist; nicht dass mein erbärmliches Aussehen und mein widerlicher Gestank dich am Essen hindern.“

Er meinte das, was er sagte, nicht böse. Vielleicht war es sogar ein bisschen ernst gemeint...

„Und nachtragend ist er auch noch...“, grummelte Choraly unterdessen blödsinniger Weise vor sich hin. So furchtbar schlimm war er nun auch wieder nicht und das wusste er doch auch. Sie mochte ihn halt einfach nicht und Ende. So war sie und das würde sich auch ganz bestimmt nicht ändern.

„Ich habe es eigentlich wirklich so gemeint, wie ich es gesagt habe.“, machte der Grünhaarige unterdessen, ihr weiterhin den Rücken kehrend.

Sie verdrehte die Augen. Erwartete er jetzt, dass sie vor ihm auf die Knie ging und sich entschuldigte? Dass sie ihm sagte, wie schön und attraktiv er war und wie betörend er duftete? Da konnte er aber lange warten. Er war vielleicht nicht abartig hässlich, aber auffallend hübsch sicher auch nicht, das Selbe galt auch für seinen Geruch. Er roch irgendwie nach Kräutern oder so... passend zu den Haaren, dachte sich das Mädchen und gluckste einen Moment unbemerkt leise.

„Setzte dich hin, ich werde es schon überstehen!“

Sie klang von ihren Gedanken ein wenig belustigt und grinste zunächst seinen Rücken an, ehe er sich zu ihr umdrehte und ihren Blick monoton erwiderte.

„Man sollte bloß Dinge sagen, die man auch wirklich so meint, Mädchen aus der großen Stadt.“, belehrte er sie dann leise und sie blinzelte.

„Ich drücke mich vielleicht anders aus als du, aber im Großen und Ganzen habe ich kein einziges Wort gesprochen, das nicht wahr wäre.“, machte sie dann und er senkte den Blick.

„Dann findest du giftige, Fleisch-fressende Kakteen also wirklich attraktiver als mich?“

Im ersten Moment musste sie lachen, dann errötete sie leicht. Das hatte sich ihm also so eingeprägt? Seltsam, dabei hatte es eher so gewirkt, als hätte er ihrem Redeschwall kein bisschen gelauscht... doch aufmerksam, was?

„Na ja, attraktiver vielleicht nicht direkt...“, antwortete sie dann etwas peinlich berührt, „Aber sympathischer. Offen gesagt kann ich deine Art nicht leiden. Du bist mir viel zu... keine Ahnung, du bist abnormal!“

Er sah nicht auf und sie schnaubte, eher wütend über sich selbst als über ihn. Giftiger, Fleisch-fressender Kaktus, was hatte sie sich denn dabei gedacht...?

„Komisch.“, machte er dann, „Das hat mein großer Bruder früher auch immer zu mir gesagt, bevor er mir kräftig die Fresse poliert hat.“

Er kam auf den Tisch zu, griff sich aus einem kleinen Körbchen ein Brötchen-ähnliches Gebäck und ging zur Tür.

„Ich hab noch zu tun und komme erst heute Mittag wieder. Denk bitte an den Garten und deine Kleidung.“

Dann war er weg und Choraly gaffte ihm perplex nach. Er hatte mal einen großen Bruder gehabt, der ihm die Fresse poliert hatte...?
 

Chatgaia hatte ihr Kleidung von sich ins Badezimmer gelegt, wie die Brünette feststellte, als sie es betrat. Einen schwarzen Rock und eine dunkelgrüne Bluse, mitsamt frischer Unterwäsche, die ihr, wie sich recht schnell zeigte, ziemlich gut passten. Aber das hatte sie bereits geahnt, sie und die Magierin waren in etwa gleich groß und beide ziemlich schmal, obwohl zuletzt Genannte viel älter war als sie. Jedenfalls kam sich die 15-jährige reichlich seltsam vor in den düster wirkenden Klamotten. Normalerweise trug sie bloß rosa, rot oder hellblau, machte doch gleich viel freundlicher.
 

Aber zumindest besser als Mayoras Klamotten ist es!, dachte sie sich dann dennoch, während sie im Garten stand und die Kräuter ihrer Gastgeberin etwas lieblos goss. Irgendwie begann sie sich schon fast an diesen furchtbaren Ort zu gewöhnen, merkte sie geschockt. Dabei wollte sie doch nichts lieber als nach Hause. Sie wollte keine neue Kleidung und auch nicht zu diesem fummelnden Schneider-Freak. Den Einzigen, den sie überhaupt irgendwie mochte und wollte war Imera, weil der sie verstand. Vielleicht begegneten sie sich ja wieder zufällig...?

Sie seufzte. Ein bisschen krank, sich unmittelbar nach dem Tod von geliebten Menschen zu verlieben war es ja schon... obwohl. Warum eigentlich? Sie fühlte sich so allein und machtlos, jemand an ihrer Seite würde ihr sicher helfen. Also wollte sie Imera unterbewusst bloß ausnutzen...?
 

Verwirrt von ihren eigenen Gedanken und nicht gewillt sich weiter um dieses dumme Grünzeug zu kümmern, warf sie die Gießkanne einfach weg und machte kehrt, Richtung Dorf. Wohl oder Übel, sie brauchte Klamotten...
 

--
 

Imera war ihr auf dem Weg zu Tafaye nicht begegnet, dafür war sie über die Schneiderkunst des zuletzt Genannten sehr positiv überrascht.

„Wow...“, machte sie, über den Haufen von Kleidern, Blusen und Röcken sehend, „Die sind echt schön geworden. Und meine Farben haben sie auch...“

Sie strahlte. Egal, was geschah, mit neuer Kleidung hatte man sie noch immer aufheitern können. Wie hatte sie bloß denken können, dass sie keine wollte...?

„Probiert sie doch einmal an, meine Dame.“, machte Tafaye grinsend ihrem Blick folgend. Er war schon ziemlich stolz auf sich, auch wenn sein Vater am vergangenen Abend wieder tausend Kleinigkeiten zum Nörgeln gefunden hatte. Egal, Hauptsache, sie gefielen Choraly.

„Es war ganz schön schwer, so viel Kleidung in so kurzer Zeit herzustellen und reichen tut es noch immer nicht. Kommt am besten zwischendurch immer einmal wieder vorbei, dann gebe ich euch etwas. Ach ja, frische Unterwäsche liegt auch bei.“

Das Mädchen nickte fröhlich, sich ein dunkel-rosanes Kleid schnappend und in einer Umkleidekabine, oder zumindest etwas ähnlichem, verschwindend, um eine Minute später fröhlich heraus gehüpft zu kommen und sich zu zeigen.

„Ich werde dich mit nach Wakawariwa nehmen und dann wirst du mein privater Schneider und mein Vater gibt dir sehr viel Geld!“, versprach sie aufgeregt und er hob eine Braue.

„Was will ich denn mit Geld? Geld macht aus guten Menschen schlechte Menschen, das muss nicht sein...“

Die junge Frau ging nicht weiter darauf ein, schnappte sich nach einem kurzen Monolog ihre Kleidung, die der Blonde ihr freundlicher Weise in eine Stofftasche gestopft hatte, und verschwand. Ihr neues Kleid lies sie gleich an.
 

Sie wusste nicht, wohin sie gehen sollte, bloß „nach Hause“ wollte sie nicht, denn da war sie allein und dann kamen ihr wieder die widerlichen Gedanken an den Absturz, das musste sie nicht haben. Sie brauchte jemanden, der sie ablenkte und dem sie sich präsentieren konnte.

Zunächst kam ihr Jiro in den Sinn, aber in seinem Haus war es so stickig und er selbst war vermutlich noch immer staubiger als die Wüste selbst, da hatte sie keine wirklich Lust drauf. Konnte sich Lilli nicht einmal um ihren Verlobten kümmern?

„Was stehst du so nachdenklich auf der Straße herum?“

Eine bekannte Stimme riss sie aus den Gedanken und sie fuhr herum und erstrahlte ein weiteres Mal.

„Imera!“

Er nickte ihr grinsend zu.

„Du siehst schön aus, Tafaye versteht sein Handwerk tatsächlich.“

„Ja, nicht?“, machte auch Choraly und drehte sich einmal um ihre eigene Achse, kam direkt vor ihm wieder zum Stillstand und lächelte ihn süß an; er hob beide Brauen, sehr zur Überraschung des Mädchens leicht errötend.

„Du suchst meine Nähe ja von selbst...“, kam dann leise und er lächelte mindestens genau so zuckrig wie sie, „Wie schön...“
 

Imera war ein wirklich bildhübscher Junge, dachte sich die noch immer 15-jährig bezaubert. Er hatte himmelblaue Augen und dunkelbraunes kurzes Haar, dass sein Gesicht malerisch umrahmte. Davon abgesehen war er immer ordentlich gekleidet und roch auch noch gut. Irgendwie nach Wald... das Mädchen wurde fast schon nostalgisch, als sie einen Moment lang an den vor den Toren von Wakawariwa dachte. Ja... an diesen Duft erinnerte es sie...

„Du schaust mich so verträumt an...?“, hörte sie seine angenehme Stimme leise und lächelte noch lieber.

„Ich hab mir gerade gedacht, wie hübsch du bist.“, gab sie zu und errötete ebenfalls, „Und dass dein Duft mich an meine Heimat erinnert.“

Er schaute kurz zur Seite und blinzelte angenehm überrascht, dann suchte sein Blick ihre braunen Iriden wieder und schließlich streichelte er ihr sanft durchs Haar.

„Wenn ich nicht wissen würde, dass der Köter in drei Sekunden hinter mir steht, würde ich dich jetzt küssen.“, flüsterte er leise und sein warmer Atem streifte ihr Gesicht und lies sie erschaudern.
 

„Lass sie sofort in Ruhe, oder ich werde ungemütlich.“

Imera verdrehte die Augen und als Choraly über seine Schultern linste, erstarrte sie. Mayora war tatsächlich da! Woher kam der so plötzlich und woher hatte ihr Liebster gewusst, dass er gleich auftauchen würde?

„Vielleicht will sie das selbst?“, machte Zuletztgenannter, die monotone Art des Grünhaarigen nachahmend und dieser schnaubte.

„Das Mädchen aus der großen Stadt kennt dich überhaupt nicht und lässt sich von dir blenden. Sie weiß nicht, worauf sie sich einlässt und was das Beste für sie ist.“

Die junge Frau wollte protestieren, da hatte sich der Braunhaarige auch schon umgedreht und den Anderen mies gelaunt anvisiert.

„Mach sie nicht dümmer als sie ist und tu nicht so, als hätte ich jemals einer Frau etwas getan, du Volldepp! Bloß weil du mich nicht mehr leiden kannst, musst du mich nicht schlechter machen als ich bin und jetzt hau ab, sonst setzt es was!“

Die 15-jährige war etwas überrascht, was das impulsive Verhalten des Älteren anging, aber Recht gab sie ihm schon. Mayoras Wachhund-Gehabe war wirklich nervig, das zerstörte die ganze kitschige Romantik...

„Ach, es setzte was?“, grummelte der Angesprochene unterdessen bloß leicht grinsend und seine blutroten Augen funkelten bedrohlich, „Ohne, dass du dein tolles Kurzschwert dabei hast? Da bin ich aber mal gespannt...“

Aus seinem Gürtel zog er eine Art gespitzten und geschärften Dolch und Choraly fuhr kurz zusammen, als sie erkannte, dass es genau der Selbe war, mit dem er in ihrem Traum auch Atti getötet hatte, Imera seufzte nur.

„Dass du alles so kompliziert brauchst. Stecke das Enatirí weg und kämpfe wie ein richtiger Kerl, oder wenn du so auf Waffen bestehst, ich hab noch ein Taschenmesser dabei. Dann können wir ja wieder „Wer schlitzt das schönere Muster?“ spielen. Du verlierst eh...“

Aus dem Gesicht des Himmelsblüters wich das Grinsen und in das des Anderen kehrte es zurück. Die junge Frau verstand nicht ganz, was ihr Liebster da meinte, aber es reichte, um seinen „Feind“ erbleichen zu lassen, das war erst mal gut. Sie würde ihn später fragen.

„Du bist echt widerlich und völlig geschmacklos!“, keuchte der Grünhaarige währenddessen völlig fassungslos und lies die Waffe zunächst sinken, steckte sie dann wieder weg, „Wenn du auch nur ein klein wenig Verstand hast, Mädchen aus der großen Stadt, dann halt dich fern von ihm und komm jetzt mit mir zurück nach Hause. Ansonsten dürftest du auch mit Chatgaia Probleme bekommen...“

Er wandte sich ab und der Brünette kicherte.

„Oh, Chatgaia, rette sich, wer kann!“

„Ich hab aber echt Angst vor der Frau...“, gab die Jüngere bloß zerknirscht zu, streckte sich dann zu dem 17-jährigen und küsste ihn sanft auf die Wange.

„Ich gehe jetzt lieber.“
 

--

Mayora schwieg eisern auf dem Heimweg und auch Choraly hatte keine Lust, mit ihm zu sprechen. Immer musste er ihr alles versauen! Es war so romantisch gewesen!

Aber allem Anschein nach hatte es wohl wirklich nicht an ihr, sondern an Imera gelegen. Vermutlich hatte er ihren Liebsten schon so oft mit so etwas genervt, dass dieser schon im Voraus gewusst hatte, dass er gleich erscheinen würde, wenn es ernster wurde. Woher hatte der Himmelsblüter überhaupt davon Wind bekommen?

„Imera wird dich bloß benutzen, glaub mir oder nicht. Ich meine es bloß gut mit dir!“

Sie schrak empört aus ihren Gedanken, den Rücken des Grünhaarigen wütend anvisierend.

„DU meinst es gut mit mir? Soll ich jetzt lachen? Es gibt tausend Gründe, die dagegen sprechen, du Missgeburt! Ich hasse dich!“

Er zeigte zunächst keinerlei Reaktion auf ihre Worte, ging einfach stumm weiter und das schürte den Zorn der Jüngeren bloß weiter.

„Zum Beispiel wärst du absolut völlig gestört, wenn du es tatsächlich gut mit mir meinen würdest, wo ich dich doch noch nicht einmal als intelligente Lebensform akzeptiere und zweitens willst du bloß vermeiden, dass Imera und ich glücklich werden, weil du so verdammt neidisch bist! Du bist neidisch auf ihn, weil du keine Frau abbekommen wirst und du bist neidisch, dass er hübsch ist und du bist neidisch, weil er eine eigene Meinung hat und schlagfertig ist!“

Sie schrie es einfach aus sich heraus und wie am ersten Tag in Thilia hatte sie plötzlich das Gefühl, dass sie eine große Last damit los wurde. Die Menschen auf der Straße schenkten ihr kaum Beachtung, da sie solches Verhalten von Pinita bereits gewohnt waren und tolerierten es. Vermutlich waren alle Leute von fremden Kontinenten so drauf...

Mayora hingegen blieb endlich stehen und drehte sich halb um, ihr einen seltsamen Blick zuwerfend und sie atmete nach ihrem Redeschwall einmal tief durch.

„Du hast Recht, wenn ich ehrlich bin. Ich bin unglaublich neidisch auf Imera. Aber nicht, weil ich nicht so hübsch oder schlagfertig bin wie er, ich beneide ihn einzig um seine Menschlichkeit. Seinen Charakter möchte ich niemals haben. Und über solche oberflächlichen Dinge wie Aussehen mache ich mir keinerlei Gedanken, dann würde ich ja zerbrechen. Ich bin froh, nicht in einer großen Stadt leben zu müssen.“

Er senkte den Blick

„Weißt du überhaupt, was Hass bedeutet? Oder erahnst du annähernd das Ausmaß deiner Worte?“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schnaubte verächtlich.

„Natürlich, ich bin ja nicht blöd.“

Wieder aufsehend begannen die zu schmalen Schlitzen verengten roten Augen des jungen Mannes bedrohlich zu funkeln und ein kalter Schauer überkam das Mädchen in dem Moment, in dem er wieder den Mund auftat.

„Dann bist du ein ganz furchtbarer Mensch und die Dinge, die du zu mir sagst, werde ich ab diesem Moment kein bisschen Ernst mehr nehmen. Jemanden zu hassen, obwohl man ihn überhaupt nicht kennt, ist echt widerlich!“

Er kehrte ihr wieder den Rücken und ging schnellen Schrittes weiter, ohne auf sie zu warten. Sicher, ob es richtig gewesen war, sich von seiner Wut leiten zu lassen und so etwas zu ihr zu sagen, war er sich zwar nicht, aber wenn sie tatsächlich dumm genug war, sich auf Imera einzulassen, brauchte sie auf jeden Fall eine Zurechtweisung! Sie kannte ihn nicht, sie wusste nicht, wie er war und was er getan hatte, man musste doch auf sie aufpassen und sie von ihm fern halten. Oder reagierte er wirklich über, weil er ihn hasste...?
 

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Zur selben Zeit, sehr weit weg, hatten die Menschen ganz andere Probleme, von denen Mayora nichts ahnte.

Eine junge Frau in roten Designer-Kostüm und streng hoch gestecktem Haar stand in dem riesigen Büro ihres Arbeitgebers und schenkte diesem, wie er haareraufend an seinem Schreibtisch saß, monotone Blicke.

„Ich möchte ihr Handeln ja nicht in Frage stellen, Herr Magafi, aber ist Ihnen klar, dass ihr überstürztes Abreisen aus Palbuflor, und ich möchte betonen, dass sie Ihre Arbeit dort nicht zu Ende geführt haben, ernsthafte Konsequenzen für die Partnerschaft der Kontinente Noboka und Kamake haben kann?“

Er fuhr auf.

„Stelle mein Tun niemals in Frage, du ehemalige Straßennutte! Tu nicht so, als seist du intelligenter als ich, bloß, weil du dir jetzt Kleidung leisten kannst, die mehr als deinen Intimbereich bedeckt, du Schlampe! Ich hab dich von der Straße geholt!“ (Obszön ist der Herr ja nicht)(Muppa errötet!)

Die Dame blinzelte unbeeindruckt.

„Ich dachte ja nur, Weltkriege sind immer so ungemütlich...“

„Ach, Sie nerven!“, schluchzte ein weiterer Mann, weniger schick angezogen auf einem Sofa sitzend. In seinen Armen lag ein etwa 3 Jahre alter Junge und schlief.

Uda Magafi nickte ihm zu.

„Wenn Kamake wegen so etwas einen Krieg beginnt, war es so wie so bloß noch eine Frage der Zeit, bis es eskaliert! Ich habe Frau und Tochter verloren! Dem Mann und dem Jungen dort fehlen nun Frau und Mutter und ein paar Straßen weiter erfahren gerade eine weitere Frau und ihre beiden Kinder, dass ihr Mann und Vater tot ist! Kannst du dich überhaupt in diese Situation herein denken, Weib?!“

Sie seufzte.

„Nein, Herr Magafi. Es tut mir Leid, ihr Handeln in Frage gestellt zu haben. Wenn sie erlauben, entferne ich mich jetzt.“

„Ja, hau nur ab!“, fauchte er und ließ sich wieder in seinen Schreibtischstuhl sinken, während die Dame verschwand.

„Meine arme Atti...“, jammerte der Mann auf dem Sofa unterdessen und knuddelte zum Trost seinen schlafenden Sohn, der deswegen immer mal wieder missbilligend grummelte.

„Ja...“, machte Uda Magafi bloß, sich wieder durch sein dunkelblondes Haar streichend.
 

Etwas schlimmeres hatte nicht passieren können. Wie sollte er bloß den ganzen Organisationen, in denen seine Frau tätig gewesen war, von deren Ableben berichten? Wer würde die Familientradition fortsetzen, wenn nicht seine Choraly? Wie würde Opas Herz auf die schreckliche Nachricht reagieren? Und am wichtigsten... was sollte er denn tun, jetzt, so ganz allein?

Sich eine neue Frau suchen und einen neuen Erben machen? Nein, das war nicht das Selbe.

Er seufzte abermals.

Nein, das ist nicht das Selbe!, war auch der erste Gedanke gewesen, als sein Vater gemeint hatte, dass die kleine Choraly seinen Posten irgendwann übernehmen müsse, da sein Sohn Semera es nicht mehr gekonnt hatte.

Semera...
 

Fast zehn Jahre war es nun her. Sein Blick schweifte zu dem Lichtbild auf seinem Schreibtisch, das seinen kleinen Jungen fröhlich lachend zeigte.

Jetzt bist du wenigstens nicht mehr so allein im Himmelreich, Semerachen... dachte er deprimiert.

Er war erschossen worden, als unschuldiges, 10-jähriges Kind. Oft genug hatte man ihm und seiner Schwester verboten, dass große Grundstück ganz allein zu verlassen, doch an diesem Tag hatten sie einfach nicht gehört. Die Eltern hatten viel zu tun gehabt und in der Stadt hatte es eine Parade gegeben, am großen Fluss, die die Kinder unbedingt hatten sehen müssen. So hatten sie sich fort geschlichen und Semera war Opfer eines Attentats geworden.
 

Man hätte den Kindern klar machen sollen, dass sie nicht „normal“ waren, wie andere Kinder ihren Alters, dann wären sie vorsichtiger gewesen. Solche Gedanken hatten Uda und Naputi Magafi im Nachhinein oft gehabt. Es gab eine ganze Untergrundorganisation, deren einziges Ziel es war, die einflussreichen Politikerfamilien zu entmachten und das taten sie vorrangig, indem sie sie ihrer Erben beraubten. Dass die Familie Magafi nach Semeras Ableben aber alles auf die Tochter setzen würde, hatten diese Verbrecher jedoch nicht geahnt und so war das kleine Mädchen verschont gewesen. Wenn man seinem Bruder beim Sterben zusehen denn als verschont bezeichnen konnte. Seit diesem Ereignis hatte Choraly ihr Zuhause nie wieder unbeaufsichtigt verlassen. Das hätten zum Einen ihre Eltern nicht erlaubt und zum Anderen hätte sie das nach dem Blutbad auch überhaupt nicht mehr gewollt. Aber letzten Endes hatte man sie doch nicht beschützen können.
 

„Es muss der Wille der Götter sein...“, murmelte der Mann resigniert vor sich hin und Attis Witwer sah auf und nickte.

„Ja, muss es wohl...“
 

Es klopfte an der Tür und ohne abzuwarten trat die Dame im Designer-Kostüm wieder ein, sich leicht verneigend.

„Man hat das Wrack nun gefunden.“, teilte sie monoton mit und die Herren sahen auf.

„Und?“, fragte Attis Mann ungeduldig und die Dame hob eine Braue.

„Was und? Mehr weiß ich auch nicht!“

Uda Magafi grummelte. Wenn sie nicht mehr wusste, hätte sie sich den Weg auch sparen können. Was brachte ihnen ein Wrack?

„Herr Magafi!“

Im Gang ertönte eine schrille Stimme und wenige Sekunden später stolperte ein kleiner Junge, höchstens zwölf Jahre alt, spindeldürr, mit zerzaustem rot-blondem Haar und nahezu schneeweißer Haut völlig außer Puste in den Raum.

„Herr Magafi!“, machte er wieder, schwer atmend, „Sie haben... sie haben jetzt sterbliche Überreste gefunden! Ich weiß nicht wie viele und ich weiß nicht von wem, jedenfalls wurden welche entdeckt! Ich... ich bin von der Wachzentrale bis hier her gerannt und... und ich kann nicht mehr...!“

In dem Moment verfärbte sich sein eben noch weißes Gesicht in dunkel-violett und er kippte rückwärts um und war ohnmächtig. Dabei war er fast auf die Dame im Designer-Kostüm gefallen, die allerdings im rechten Augenblick noch elegant einen Schritt zur Seite machen konnte und nun ein wenig blöd auf den Kleinen hinab sah.

„Soll ich ins nächste Armen-Viertel gehen und ihnen einen neuen Laufburschen besorgen?“, fragte sie bloß.

Uda Magafi verdrehte entnervt die Augen.

„Nein, diesmal nehmen wir einen aus dem Waisenhaus. Die sind besser ernährt und haben mehr Ausdauer.“
 

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Herr Magafi ist lustig "XD

Flucht

Vorsicht, hier ist irgendein Fehler von Animexx aufgetaucht! Die Hälfte des Textes ist kursiv, obwohl er gar keine FF-Codes enthält. Ich werde mich noch an das Helpdesk wenden; nicht beirren lassen.
 

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„Törichtes Mädchen...“

Chatgaia hielt ihre verbeulte Gießkanne in das Licht einer Kerze und begutachtete sie ein wenig blöd.

Die Dunkelheit war bereits eingekehrt, denn auf der südlichen Halbkugel des Planeten, dort, wo Thilia lag, war momentan Winter. Auch wenn man die Jahreszeit bei etwa 45°C im Schatten bloß an der Anzahl der Sonnenstunden erahnen konnte...

„Ich habe sehr gehofft, sie würde es ordentlich machen, wirklich...“, seufzte Mayora, der auch im Raum war und seiner Tante bei ihrem Tun zusah.

Er konnte ja verstehen, dass es Choraly nicht in den Kram passte, hier leben zu müssen, doch hätte er ihre Situation doch nicht ändern können, selbst wenn er gewollt hätte. Und zumindest soweit hätte sie ihnen doch entgegen kommen können, bei ihrer Gastfreundlichkeit...

„Du hast sie nicht im Griff.“, stellte die Ältere schließlich fest, die Gießkanne zur Seite stellend und seufzend.

Er legte den Kopf leicht schief.

„Bloß weil sie die Kräuter nicht ordentlich gießen kann und die Kanne zerdeppert hat? Das treibe ich ihr aus...“

„Daran zweifle ich auch nicht.“, machte die Frau, sich an den Tisch setzend und zu dem Jungen hinauf sehend, „Ich sorge mich eher um dich, wo du dich momentan doch in eine seltsame Richtung entwickelst. Die Träume, das Fieber... du kannst jemanden, der dich am laufenden Bande fertig macht, im Moment wirklich nicht gebrauchen! Wer weiß, was mit deiner schwachen Seele geschehen wird...?“

Er setzte sich zu ihr, mied aber ihren Blick und schaute stattdessen aus dem Fenster. Draußen konnte man das Dorf wieder durch das sanfte Mondlicht erkennen...

Einerseits war es nervig, dass Chatgaia sich so in seine Angelegenheiten einmischte und ihn so hart mit seiner schwachen Seele konfrontierte, andererseits machte es ihn auch ein wenig glücklich, dass sie sich so um ihn sorgte...

„Mach dir keine Gedanken, meine liebe Tante, da stehe ich doch drüber...“, versuchte er sie bloß leise zu besänftigen, doch sie schnaubte.

„Ja, so sehr, dass du abends im Bett liegst und bitterlich weinst! Und jetzt komm nicht wieder mit der Story, du hättest mitten in der Nacht im Bett Zwiebeln geschält, damit du bei der Arbeit den Mond beobachten kannst! Da ist ja selbst Harata einfallsreicher gewesen und seinerzeit habe ich geglaubt, die „Das Kind hat eine Beule, weil es mir die Pfanne aus der Hand genommen und sich selbst auf den Kopf gehauen hat“-Geschichte wäre nicht mehr zu toppen...“

Mayora errötete. Ja, ein besonders kreativer Kopf war er wahrlich nicht, aber da erzählte er lieber Müll, als zuzugeben, dass er wie ein Baby im Bett lag und heulte... wegen so einem Schwachsinn! Warum konnte er die Worte, die er sprach, nicht einfach selbst glauben und sich wie ein Mann benehmen?

Die Magierin erriet unterdessen die Gedanken des Jüngeren und seufzte.

„Du bist noch kein Mann! Du beziehst dich noch immer zu sehr auf die Menschen, du bist noch ein Junge! Schau in den Spiegel und komm in ein paar Jahren wieder, dann können wir über erwachsen reden...“

Sie unterbrach sich, als sie bemerkte, dass sie lauter wurde und blinzelte.

„Was macht Choraly?“

„Duschen...“, grummelte der noch immer verlegene Grünhaarige leise, „Danach wollte sie zu Bett...“

Er hasste es, keine eigene Persönlichkeit zu sein! Immer gab es jemanden, der ihn zurecht wies! Außerdem wusste er, dass er, wenn man es genau nahm, noch kein Mann war, wäre ja lachhaft gewesen...

Sein Gegenüber musterte ihn unterdessen eine Weile, dann lächelte es.

„Hör zu, mein Lieber.“

Sie fuhr ihrem Neffen durchs Haar und gewann so wieder seinen Blick aus klaren roten Augen.

„Thilia wird über lang oder kurz so wie so vergehen, da kommt es auf eine Frau mehr oder weniger auch nicht an. Imera möchtest du sie nicht geben, das verstehe ich, deshalb hast du ab jetzt freie Verfügung über sie.“

Sie erhob sich und schritt in Richtung Treppenaufgang.

„Mach mit ihr, was du möchtest. Mach aus ihr ein Putzmädchen, zwinge sie deine Frau zu werden oder schneide ihre Kehle durch, damit kein Unsinn mehr ihren losen Mund verlässt, es ist mir gleich. Du bist am Wichtigsten.“

Er nickte bloß, obwohl sie ihm den Rücken kehrte. Ihre Worte waren sehr hart und unmissverständlich, aber sie zeugten davon, dass er ihr etwas bedeutete und das machte ihn in diesem Augenblick sehr glücklich.

„Tante Chatgaia?“

Sie drehte sich noch einmal halb um und er lächelte verlegen.

„Ich hab dich sehr lieb.“
 

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Choraly erwachte am nächsten Morgen durch viel Krach vor ihrem Fenster. Es war noch sehr früh, die Sonne hatte es gerade erst über die Dünen am Horizont geschafft und das Mädchen blinzelte missmutig in den noch dämmrigen Raum.

Da waren ziemlich viele Stimmen zu hören, hörte sich so an, als wäre das halbe Dorf da draußen... aber was hatten die für ein Problem?

Schließlich siegte Neugierde über Müdigkeit und das Mädchen raffte sich auf, ging zum Fenster und erschreckte sich ordentlich, als da wirklich das halbe Dorf stand. Aus den Gesichtern der Menschen und Himmelsblütern konnte sie bloß lesen, dass sich die Leute nicht gerade freuten, dann plötzlich erkannte sie Chatgaia in der Menge, die sich zu einem von den Meisten gut einsehbaren Platz hervor gekämpft hatte und nun die Stimme erhob. Die Brünette öffnete unterdessen vorsichtig das Fenster, um sie besser verstehen zu können...
 

„Ich weiß, ihr seid aufgeregt!“, begann sie, in die Runde schauend, „Aber wenn das unser Schicksal ist, können wir es nicht ändern!“

Lautes Murmeln ging durch die Reihen und die Magierin war ihrem Neffen unheimlich dankbar, als er an ihrer Seite erschien. Diese Situation machte auch sie nervös...

„Und dann sollen wir einfach sterben? Uns einfach ausrotten lassen, oder wie?“, fragte Havi Beviri, die unter Anderem auch anwesend war, laut in die Gemeinschaft und durch die Meute ging ein Raunen. Maragi war auch da und schenkte Mayora, der sie entdeckt und kurz angelächelt hatte, einen vernichtenden Blick. Dieser blinzelte bloß ein wenig überrumpelt und schaute sicherheitshalber in eine andere Richtung. Vor Frauen jedem Alters hatte er Angst...

„Wir wissen gar nicht mit Sicherheit, was passieren wird, wenn man uns entdeckt. Jiro, wie war das, welchen Eindruck hattest du?“

Chatgaia wandte sich an den Jungen und Choraly musste sich an ihrem Fenster kurz überrascht räuspern. Dieses Mal war er sogar so verstaubt, dass sie ihn überhaupt nicht mehr erkannt hatte...

„Na ja, ich wollte nach den toten Leuten aus der großen Stadt sehen, es ist schließlich nicht gut, wenn man die Leichen einfach der unbarmherzigen Wüste überlässt! Und dann wollte ich über die letzte Düne und dann sah ich sie! So viele Flugmaschinen und Leute, die da herum gerannt sind und weiß der Geier was getan haben!“

Die Menge war erschrocken und die Leute tuschelten wieder untereinander, da meldete sich wieder jemand zu Wort, dieses Mal Imera.

„Nicht, dass mir etwas an diesem verfluchten Ort liegen würde, aber wie wärs, wenn wir einfach Shakki fragen, was die meint?“

Mayora schnaubte.

„So weit sind wir auch schon, aber trotzdem danke. Bisher haben wir noch keine Rückmeldung.“

Der Brünette zuckte bloß gelangweilt mit den Schultern, als eine weitere Stimme von Außen die Aufmerksamkeit aller auf sich zog.

„Macht Platz für meine Schwester, ihr Unnötigen, es ist wichtig!“

Wie ein Bodyguard scheuchte ein junger Mann, weder besonders groß, noch besonders furchteinflößend, von den gelben Augen abgesehen, die Leute auseinander und trampelte auf Chatgaia und Mayora zu, gefolgt von eine jungen Frau.
 

Choraly, zunächst einmal restlos benommen von Jiros Bericht, erschauderte bei ihrem Anblick ein weiteres Mal.

Sie war nicht groß, aber unsagbar wohlgeformt und hatte das nahezu perfekte Gesicht und Haar einer waren Gottheit und für den Bruchteil einer Sekunde hatte die 15-jährige wirklich das Gefühl, diese Frau wäre eine, bis ihr Blick, aus violetten Iriden stammend, sie einen Moment lang an ihrem Fenster zu treffen schien. Dann wandte die Schönheit ihn wieder ab, sich stattdessen an Chatgaia wendend.
 

„Große Magierin.“, sprach sie ehrfürchtig und verneigte sich leicht. Die Angesprochene erwiderte die Begrüßung.

„Shakki Kaera, unsere einzige Seherin.“, machte sie ernst, „Was haben dir die Götter gezeigt? Was bringt die Zukunft?“

Das Volk hielt die Luft an, als die Schwarzhaarige zum Reden ansetzte.

„Sie werden sich uns nähern, bis zur letzten Düne vor der Oase und wir werden sie bereits hören können. Dort werden sie eine Weile bleiben. Dass wir sie hören können heißt, dass das Selbe für sie bei uns gilt. Ich schlage einen Ruhetag für alle Arbeiten vor, um unnötigen Lärm zu vermeiden. Wenn wir es schaffen, nicht ihre Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen, dann werden wir es schaffen.“

Allgemeines erleichtertes Ausatmen erfüllte die Luft, da sprach sie weiter.

„Wir dürfen allerdings nicht zulassen, dass man uns verrät. Choraly Magafi zieht sich in diesem Moment an, um sich auf den Weg zu ihren Landsleuten zu machen. Sie hat die ganze Zeit zugehört.“

Nun war es das blanke Entsetzen und auch ein wenig Unglaube, der den Leuten auf der Stirn geschrieben stand und Chatgaia blickte ihren perplexen Neffen empört an.

„Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dich versichern, dass sie noch schläft?“

„Hab ich doch.“, machte dieser verwirrt, „Sie muss aufgewacht sein, als wir schon hier draußen waren.“
 

„Was macht dieses Weib überhaupt hier?“, hörte man unterdessen Stimmen aus der Menge fragen, „Wir wollen keine Fremden!“

„Das bringt alles nur Ärger, denkt an die Forschungsstation!“, machten Andere, „Es muss eine Strafe der Götter sein!“

„Tötet sie!“, forderte irgendwer von ganz hinten und vereinzelte stimmten zu. Imera schnaubte.

„Ihr habt sie doch nicht mehr alle, denkt ihr, Choraly wäre freiwillig hier? Ich für meinen Teil werde sie begleiten, vielleicht nehmen sie mich ja mit in die große Stadt, wenn ich nett bitte...“

„Drehst du jetzt völlig durch?“, fauchte Mayora darauf, „Weißt du überhaupt, was du anrichtest? Wir würden alle sterben!“

„Mir doch Wurst!“, empörte sich der Braunhaarige bloß perplex, „Ihr geht mir total am Allerwertesten vorbei! Na ja, fast...“

Er blickte zu einem kleinen Jungen, den er an der Hand hielt und der ihn einen Moment lang ziemlich entsetzt angesehen hatte.

„Keine Sorge, Kura, du und deine Eltern sind mir wichtig, das weißt du. Du bist doch mein Lieblingscousin.“

Der Kleine nickte einsichtig und Imera lächelte einen Moment. Ja, seine Familie war ihm natürlich wichtig... seine Ersatzfamilie...
 

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„Die müssen mich ja für sehr dumm halten, wenn sie denken, ich würde den Vordereingang benutzen...“, grummelte Choraly vor sich hin, während sie einmal quer über Chatgaias Grundstück rannte, in der Hoffnung, irgendwann noch einmal die richtige Richtung zu finden.

Sie hatte die Worte der Göttin durch ihr Fenster, dass die ganze Zeit offen gewesen war, noch gehört und war so zu dem Schluss gekommen, dass der Hintereingang klüger wäre. Aber vielleicht hatte die allwissende Frau sie nicht aufgehalten, weil sie gewusst hatte, dass man ohne Hilfe nicht von hier entkommen konnte? Wie furchtbar, dabei war ihre Rettung so nah!

Durchhalten!, dachte sie sich, Ich muss wieder zu meinem Papa!]/i]

Sie fragte sich, was sie ihm sagen sollte, wenn sie sich wieder hatten. Sollte sie über das Dorf sprechen? Den Absturz? Ihre Mutter und Atti? Himmelsblüter? Darauf, ihren Geburtstag zu feiern, hatte sie jedenfalls wenig Lust. Zum erste Mal in ihrem Leben, fiel ihr ein, als sie merkte, wie eine einsame Träne sich über ihre Wange bahnte.

Sie musste es schaffen!
 

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„Und wir sollen ihr nicht folgen?“

Mayora fragte verwirrt in die Runde und schenkte jedem ein Glas Schmodder-Saft ein. Die Bewohner von Thilia waren größtenteils wieder nach Hause zurückgekehrt, übrig geblieben waren bloß er und Chatgaia, denen das Haus, vor dem die Versammlung statt gefunden hatte, ja eh gehörte, Shakki und ihr älterer Bruder Kinai und überraschender Weise auch Imera mit seinem niedlichen kleinen Cousin Kura, der fast nie sprach. Zuletztgenannten waren wohl bloß geblieben, um Choraly noch einmal zu sehen, denn ohne die ließ es sich schlecht flüchten...

„Nein, es ist nicht nötig, sie zu suchen. Sie wird die rechte Richtung nicht finden und zum Sonnenuntergang wieder zurückgekehrt sein.“

„Verdammt...“, grummelte Imera und trank einen großen Schluck, „Ist das nicht ungesund, wenn sie den ganzen Tag in der prallen Sonne herum rennt?“

Es wäre natürlich zu schön gewesen, wirklich mit ihr nach Wakawariwa gehen zu können, aber er hatte dennoch darauf gehofft. Er schielte kurz zu dem gleichaltrigen Himmelsblüter, der das Getränk nun weggestellt und sich dazu gesetzt hatte. Der würde ihn nicht davon abhalten, sie zu seiner Frau zu machen, da konnte er Gift darauf nehmen...

„Nein.“, durchschnitt Shakki seine Gedanken da, „Sie kommt am Mittag am See vorbei, dort wird sie etwas trinken und Beeren essen. Heute Nacht werden die Leute aus dem fernen Land wieder abreisen, sie schafft es nicht...“

„Tja, das Schicksal...“, flötete Kinai und steckte sich eine seltsame Art Zigarette in den Mund. Sie roch nach Kräutern, aber intensiver als Mayora und Kura verzog das Gesicht.

„Wenn du das rauchst, wirst du lustig.“, erklärte ihm sein Cousin, auf dessen Schoß er saß, darauf sarkastisch und der Kleine legte bloß den Kopf schief, aber niemand ging weiter darauf ein.

„Sag, Shakki...“, sprach Chatgaia stattdessen, „Meine Götter meinen, es würde in nächster Zeit schwierig werden, doch ich bin keine Seherin und kann nur Dinge hinein interpretieren, ich weiß nicht was kommt. Weißt du es?“

„Stell mir diese Frage in zwei Tagen wieder, dann werde ich sie dir wohl beantworten können.“, seufzte die Jüngere bloß, in ihren Becher sehend. Mayora musterte sie eine Weile, wandte den Blick aber wieder ab, als ihm einfiel, dass sie ja so wie so bemerkte, wenn man sie beobachtete, auch wenn sie es nicht zeigte. Das hatte ihn schon immer an ihr gestört...

„Ach...“, grummelte Imera da und lehnte sich so weit es ihm mit Kura möglich war in seinem Stuhl zurück, „Mit der süßen Maus war es immer so schön, jetzt muss ich mich wieder einen ganzen Tag lang langweilen...“

„Dann mach halt was sinnvolles...“, antwortete Mayora bloß gedämpft und Kinai gackerte blöd.

„Genau, färbe Mayorachen die Haare!“

Chatgaia und Shakki verdrehten zeitgleich die Augen und der Himmelsblüter räusperte sich verlegen.

„Mir die Haare färben? Geht’s noch, die sind doch total schön, ey...“

Imera lachte.

„Mayorachen? Seid ihr beiden ein heimliches Liebespaar oder so?“

„Jetzt wird es ekelhaft...“, murmelte Shakki bloß und die Älteste im Raum schaute sie überrascht an.

„Ich hätte vermutet, dass du Randgruppen gegenüber toleranter bist, Shakki.“

Angesprochene seufzte lächelnd.

„Das war eigentlich eher auf die Gedanken der Herren bezogen, denn meine Götter meinen es gerade zu gut mit mir und zeigen sie mir. Und DAS ist ekelhaft...“, sie beugte sich etwas über den Tisch und grinste den kleinen Kura an, „Und du hör bitte auf, dir Mayora mit pinken Haaren vorzustellen, da bekommt man ja eine Gänsehaut...“

Kura blinzelte und errötete, als plötzlich alle Blicke auf ihm lagen.

„Du Wolf im Schafpelz!“, empörte sich Mayora als Erster, ehe Kinai wieder dämlich zu lachen begann und auch alle anderen glucksten.

„Also echt, du entsetzt mich...“, flötete Imera und kniff dem Kleinen in die Seite, der ihn darauf empört ansah und Shakki räusperte sich verlegen.

„Wenigstens waren bei ihm bloß die Haare pink, Reizwäsche kam nicht vor, guter Mann.“

Chatgaia, die zuvor eine ziemliche Menge von Kinais Rauch eingeatmet hatte, kicherte wie ein kleines Mädchen und ihr Neffe lies seinen tomatenroten Kopf auf die Tischplatte knallen.

„Langsam ist es nicht mehr lustig...“, jammerte er unglücklich.
 

--
 

„Wie? Drei Stück? Habt ihr richtig nachgesehen, da fehlt doch noch jemand!“

Uda Magafi fauchte die Männer von der Wachzentrale entsetzt an. Gab es denn hier niemanden, der seinen Job anständig machte?

„Es waren bloß drei Leichname dort, Herr Magafi, zwei konnte man bereits identifizieren.“

Der Mann schaute fast so monoton wie die Dame im Designer-Kostüm und der Politiker seufzte.

„Und was ist mit dem Dritten? Wen habt ihr denn?“

„Bei den Toten handelt es sich um den Piloten und das Kindermädchen. Der Dritte Körper ist bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, wem er gehört, wissen wir nicht.“

Es war nun der zweite Wachmann gewesen, der geantwortet hatte.

Uda Magafi hustete. Seit er vom Verlust der Familie erfahren hatte, war er krank. Das war wohl alles ein bisschen viel für ihn, dachte er sich...

„Und es gibt absolut keine Anhaltspunkte? Kleidung? Haare?“

„Nichts, mit dem wir etwas anfangen könnten. Heute Abend reisen unsere Männer ab.“
 

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Während sich die Leute in Wakawariwa am späten Nachmittag Gedanken um die verbrannte Tote machten, saß viele Tausend Kilometer entfernt die noch immer 15-jährige Choraly bitterlich weinend in hohen Gras.

Sie hatte versagt. Sie hatte ihre vermutlich allerletzte Chance zu entkommen nicht nutzen können. War sie einfältiges Stadtmädchen denn wirklich so dumm, dass sie noch nicht einmal die richtige Düne fand? Oder war es einfach ihr Schicksal, für immer und ewig hier bleiben und leiden zu müssen...? Es musste eine Strafe der Götter sein...

„Warum?!“, heulte sie verzweifelt, gen Himmel sehend, doch niemand antwortete ihr als normalem Menschen. Es war einfach nicht gerecht, warum wurde sie immer so gequält...? Zuerst starb ihr Bruder durch ihre Schuld, dann ihre Mutter, Atti und der Herr Pilot und jetzt saß sie auch noch am Ende der Welt fest.

Sie senkte ihren Blick und starrte mit nassen Augen auf das Gras vor ihr. Hier war sie schon einmal gewesen, diese Wiese hatte sie schon einmal durchquert. Es schien so, als sei sie ungewollt auf dem Rückweg zu Chatgaias Haus, wo sie von ekligen Himmelsblütern umgeben war...

Ein bitteres Lächeln schlich sich in ihr vom vielen Weinen leicht angeschwollenes Gesicht. Die Sonne stand schon tief und wenn sie in Gedanken den Weg, den sie gegangen war, noch einmal abging, dann hatte sie noch einen ordentlichen Fußmarsch vor sich, bis sie das Dorf wieder erreicht hatte.

So erhob sie sich schwankend und tappte weiter... im Dunklen musste sie nicht unbedingt in einer Wiese hocken...
 

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„Sie ist noch immer nicht wieder da.“, stellte Imera beklommen fest, neben seinem bereits schlafendem Cousin auf dem Sofa-Ähnlichem Teil in Chatgaias Stube sitzend und zu Mayora sehend, der im Raum auf und ab ging. Die Kaera-Geschwister waren inzwischen wieder nach Hause gegangen und Chatgaia war in ihrer Kammer verschwunden, bloß der Brünette hatte sich noch nicht vertreiben lassen. Er musste Choraly an diesem Tag unbedingt noch einmal sehen, es ging nicht anders. Himmel sei Dank hatten Kuras Eltern vollstes Vertrauen zu ihrem Neffen, sonst hätten sie sich sicher schon sehr um ihn und ihren Sohn gesorgt...

„Ich weiß.“, antwortete der Grünhaarige da monoton und hielt seufzend inne, „Aber Shakki hat gesagt, sie kommt, wenn es dunkel ist.“

„Nein!“, empörte sich der Andere, „Sie hat gesagt „zum Sonnenuntergang“, der ist schon lang vorbei! Wir sollten sie suchen, am Ende ist ihr noch etwas passiert!“

Der Himmelsblüter schüttelte den Kopf.

„Ich habe vollstes Vertrauen zu Shakki. Ihre Vorhersagen sind nun einmal nicht immer minutengenau, Imera.“

Angesprochener verdrehte die Augen und erhob sich, stellte sich zu Mayora an das Fenster, wo er vor ein paar Sekunden inne gehalten hatte.

„Schon komisch.“, machte er da, „Wenn man so mit dir spricht, wirkt es fast so, als hättest du eine eigene Meinung.“

Der Kleinere senkte sein Haupt und errötete leicht.

„Ich habe eine eigene Meinung, ich vertrete sie bloß nicht. Das ist doch mein gutes Recht, wenn ich darauf keine Lust habe...“

„Ja, aber in deinem Fall ist es wirklich krank.“, grummelte sein Nebenmann bloß und er sah auf, „Ich meine, du weißt, wie lang wir uns kennen und du hast quasi seit deiner Geburt jemanden gebraucht, dem du hinterher rennen kannst und der dich erniedrigt. Das ist so... erbärmlich!“

Und er konnte jetzt nicht das Gegenteil behaupten, die beiden kannten sich ja wirklich länger als fast alle anderen, Imera hatte alles beobachten können und er hatte es seit frühesten Kindheitstagen widerlich gefunden. Ein Wesen, dessen einziger Lebensinhalt es war, anderen zu dienen und sich zu erniedrigen, konnte er einfach nicht akzeptieren, dieser Junge war ihm einfach zutiefst zuwider.

Dieser jedoch fuhr nun auf.

„Chatgaia erniedrigt mich nicht! Das würde sie niemals tun!“, machte er erbost, „Sie ist eine gute Tante!“

Der Brünette verdrehte abermals die Augen.

„Wenn sie eine gute Tante wäre, würde sie dich nicht so schamlos benutzen, Mayora. Du weißt genau so gut wie ich, dass sie dich ausnutzt.“

Beide senkten wieder den Blick und es herrschte kurz Schweigen, bis der Magier wieder ansetzte.

„Natürlich weiß ich es... aber sag mir, was soll ich stattdessen tun?“
 

Das Knarren der Hintertür durchbrach das Gespräch und beide drehten sich um, als plötzlich Choraly da stand. Etwas zerzaust und mit gerötetem Gesicht, aber wohl auf.

„Ich... bin wieder da.“, sprach sie leise und gefühlserkaltet und Imera erstrahlte.

„Choraly!“, machte er glücklich, nahm sie kurzerhand zärtlich in den Arm und sie kuschelte sich müde an ihn und schluchzte leise. Mayora tat nichts, sah bloß stumm zu.

„Ich habe mich so um dich gesorgt, aber man sagte mir, ich solle dich nicht suchen, denn du kämst von allein zurück. Himmel sei Dank war es die Wahrheit!“

Sie sah mit nassen Augen zu ihm hinauf und erwiderte nichts, er küsste sie bloß liebevoll auf die Stirn und der Himmelsblüter senkte den Blick.

„... soll ich euch vielleicht allein lassen?“, hörte man ihn bloß leise fragen und der Brünette sah zu ihm und blinzelte.

„Nein, muss nicht, ich mach jetzt mal die Düse. Rohama und Kahana machen sich sicherlich schon Sorgen um Kura und mich, es wird wirklich Zeit.“, er wandte sich wieder an das Mädchen, „Kura ist der kleine Junge dahinten, er ist mein Cousin. Ich muss ihn unbedingt nach Hause bringen. Bloß meine Sehnsucht nach dir hat mich hier gehalten...“

Sie nickte einsichtig und trat einen Schritt zurück, als der junge Mann sich von ihr entfernte, sich das Kind schnappte und zur Tür ging.

„Wir sehen uns!“, versprach er liebevoll lächelnd und Mayora nickte er noch einmal zu, der bloß leise seufzte und müde zu dem Fast-Geburtstagskind sah, das mit den Gedanken sehr weit weg zu sein schien. Schade, dass Shakki jetzt gerade nicht hier war...
 

„Bist du hungrig?“, fragte er fast flüsternd, als Imera mit dem kleinen Jungen aus der Tür verschwunden war und sie darauf allein waren, sie nickte, ihn nicht ansehend. Hungrig war sie zwar, aber essen wollte sie eigentlich nicht. Das ergab kaum Sinn, deshalb blieb sie einfach still...

Er schenkte ihr darauf ein wenig Suppe vom Abendbrot ein und sie setzte sich an den Tisch, stumm auf ihren Teller starrend und den Jungen, der sich ihr gegenüber gesetzt hatte, ignorierend.

„Sie ist nicht mehr besonders warm, also solltest du schnell essen...“, machte er schließlich leise, als einige Minuten vergangen waren und die junge Frau noch immer keine Regung gezeigt hatte. Dann sah sie kurz auf und Mayora bemerkte ihre glänzenden Augen; keinen Moment zu früh, da schluchzte sie und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.

„Ich will hier weg!“, klagte sie mit zitternder Stimme, „Das ist nicht gerecht!“

Der Grünhaarige sagte nichts darauf, sah ihr nur mitleidig zu, wie sie ihm bitterlich weinend gegenüber saß. Sie hatte ja Recht und er konnte sie auch verstehen, aber etwas tun für sie konnte er nicht. Einen Moment später schämte er sich, dass er einem armen Geschöpf wie ihr die Worte so ernst nahm. Sie meinte es nicht böse, sicher nicht, das hätte ihm klar sein müssen. Das war ja fast so, als würde Imera ihn ernst nehmen..

„Tut mir Leid, dass ich gestern so hart zu dir war!“, entschuldigte er sich leise, die Tischplatte anstarrend und sie sah mit ihren geröteten Augen auf.

„Hart zu mir?“, fragte sie, „Hast du eigentlich kein Selbstwertgefühl? Du warst doch völlig im Recht!“

Sie wischte sich mit der Hand über die Augen.

„Von deinem Standpunkt, versteht sich, du bist ja eigentlich wirklich abartig...“

Sie nahm den Löffel in die Hand und begann zu essen, obwohl ihr der Hunger inzwischen vergangen war – jetzt war sie nicht mehr hungrig, aber essen wollte sie.

Er blinzelte.

„Ich habe nun einmal erkannt, dass du Recht hattest...“, log er einfach und sie hielt inne und verdrehte die Augen.

„Das ist Unsinn! Das... das kann nicht dein Ernst sein!“

Er brachte sie ein wenig aus dem Konzept und sie starrte ihn etwas säuerlich und verwirrt an. Er konnte sich doch nicht einfach mit so etwas abfinden, oder?

Er seufzte und schaute monoton.

„Würde ich etwas anderes sagen, würden wir uns streiten und am Ende wären wir eh bloß beleidigt und wer Recht hat, wüssten wir auch nicht. Wenn ich deinem Wissen jedoch einfach vertraue, und das tue ich, und deine Meinung ohne nachzufragen annehme, dann ist das für uns beide viel einfacher!“

Sie schüttelte ungläubig den Kopf.

„Du bist doch völlig krank.“
 

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Von all dem nichts mitbekommen hatte Dafi, die jedoch zumindest einen Teil in der Nacht von ihrer Cousine erfuhr, die plötzlich voll uniformiert vor ihrem Bett erschienen war und sie etwas unsanft geweckt hatte.

„Aus Wakawariwa?“, fragte die Kleinere desinteressiert und gähnte, Pinita nickte.

„Sie waren wegen dem Flugmaschinen-Wrack hier, mit dem Choraly abgestürzt ist. Ich sag dir, knapper ging es nicht, bloß eine Düne weiter und die hätten Thilia entdeckt! Und das wäre wiederum auch ziemlich schlecht für uns verlaufen...“

Sie sah ernst aus und seufzte, die 16-jährige lies sich unterdessen einfach wieder rückwärts ins Bett fallen und schloss die Augen.

„Und was jetzt?“, fragte sie dennoch.

„Jetzt sind sie wieder abgereist, aber wir haben an Fides gefunkt, die sollen gefälligst dafür sorgen, dass so etwas nicht wieder vorkommt!“

Die Blonde schnaubte. Wenn sie durch Choraly arbeitslos wurde, würde sie ihr den Hals umdrehen!

„Und wie sollen die in Fides das machen?“, erkundigte sich die Jüngere weiter, wieder halb im einschlafen und die Angesprochene fauchte nun erbost.

„Wie die das machen sollen? Wir befinden uns hier in Wacio-Teriff, einem Land, das offiziell zum Kontinent Mon'dany gehört! Staatliche Angestellte aus Noboka und dergleichen haben ohne ausdrückliche Erlaubnis hier nichts verloren! Das solltest du eigentlich wissen, Kleines!“, sie blinzelte, „Kleines?“

„Kleines“ antwortete ihr nicht mehr und die 18-jährige verdrehte lächelnd die Augen, als sie sich das zierliche Mädchen genauer ansah und bemerkte, das dieses längst wieder ins Land der Träume abgeschweift war.

„So etwas hat dich noch nie interessiert.“, sprach sie dennoch leise weiter, „Träume süß.“
 

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Ob Dafi süß träumte, sei dahingestellt, Choraly tat es. Zumindest im Ansatz.
 

„Hör zu, kleiner Bruder! Das Spiel ist ganz einfach!“, das kleine Mädchen klatschte lächelnd in die Hände und zeigte gleich darauf auf ein paar Kästchen mit seltsamen Zahlen darin, die mit Kreidestein auf den Pflaster-Weg gezeichnet worden waren. Der kleine Junge schaute sie mit großen Augen an.

„Ich bin so aufgeregt!“, machte er, „Es ist so nett, dass du dir extra Zeit nimmst, um mit mir zu spielen, das verdiene ich doch überhaupt nicht!“

„Unsinn!“, antwortete die große Schwester lächelnd und tätschelte dem Kleinen den Kopf, „Ich würde gerne viel öfter mit dir spielen, aber ich habe so wenig Zeit. Und wenn ich einmal Zeit habe, habe ich so wie so keine Freunde, die mit mir spielen könnten, du tust mir also auch einen Gefallen!“

Er lächelte zufrieden und sie deutete wieder auf die Kästchen.

„Du musst ihnen nur nachhüpfen, aber du darfst immer bloß einen Fuß in ein Feld stellen. Und wer das am längsten schafft, ohne daneben zu treten, hat gewonnen!“, sie kratzte sich am Kopf und wurde verlegen, „Um ehrlich zu sein, geht das Spiel eigentlich viel komplizierter, aber die anderen Mädchen erklären es mir nicht und vom Zuschauen werde ich nicht schlau daraus. Wir werden es so spielen müssen...“

„Macht doch nichts!“, strahlte der kleine Junge, „Es macht sicher trotzdem sehr großen Spaß!“
 

„Was soll das?“, eine schrille Frauenstimme lies die Beiden zusammenschrecken und kurze Zeit später erschien die dazu gehörige Dame und fauchte, „Wie könnt ihr es wagen, eurem Vater gegenüber so respektlos zu sein?!“

Der Kleine drückte sich gegen seine Schwester, wie ein Tierbaby gegen seine Mama, wenn sie von Raubtieren umgeben waren, aber auch das Mädchen sank im Angesicht der seltsamen Frau ganz klein in sich zusammen.

„Einfach sein Verbot zu missachten, wenn er nicht da ist! Denkt ihr, er würde euch Missgeburten ohne Grund verbieten, das Haus zu verlassen?! Ihr seid eine Schande für ihn und das Dorf, euch will keiner sehen, verschwindet gefälligst!“

Die Kinder nickten scheu.

„Es... es tut uns Leid, wir... wir wollten wirklich nicht stören... bloß spielen...“, entschuldigte sich die Kleine auch noch zusätzlich stotternd und die Frau schnaubte.

„Spielen? Spielen wollt ihr auch noch, euch geht es wohl zu gut! Euer einziger Lebenssinn ist zu dienen, damit das klar ist, wenn euer Vater es nicht schafft, euch das beizubringen. Ansonsten seit ihr nicht würdig, unser Sonnenlicht zu genießen!“

„Natürlich!“, kam es wie aus einem Mund bei den Kleinen und ehe die Dame noch etwas sagen konnte, hatten sie sich schon umgedreht und waren in einem Gebäude verschwunden.
 

Choraly war aufgewacht. Es war noch tiefe Nacht und sie starrte resigniert gen Decke. Die Frau hatte sie irgendwie an sich selbst erinnert, die beiden Kleinen waren sicher Himmelsblüter gewesen. Die Götter mussten ihr diese seltsamen Träume schicken, weil sie immer so gemein zu Mayora war und sie seufzte in die Stille hinein.

Aber Mayora war doch etwas anderes. Wäre er auch ein kleiner Junge, könnte sie ihm sicherlich nichts antun, doch er war fast erwachsen, auch wenn er nicht so aussah, mit ihm konnte sie kein Mitleid haben. Er war ihr nun einmal einfach nicht geheuer!
 

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Yeah, Shakki-Action XD

Irgendwie ist hier mehr kursiv geworden, als ich wollte Oo' Ich wende mich mal an das Helpdesk, das ist falsch so xx'

Feierlichkeiten (Part 1)

„Wir sind uns inzwischen ziemlich sicher, dass es sich bei der Toten um ihre Frau handelt, Herr Magafi.“

Der Mediziner von der Wachstation sah sein Gegenüber gleichgültig an. Er tat ja schließlich bloß seine Arbeit. Uda Magafi hingegen seufzte resigniert.

„Wenn ich mich jetzt erkundige, was mit meiner Tochter geschehen ist, können Sie mir bestimmt nicht helfen, also überspringe ich das und frage direkt, ob ich meine Naputi noch ein letztes Mal sehen kann.“

Der Mann nickte.

„Natürlich, aber ich weiß nicht, ob ihr Anblick jetzt so gut für Sie ist. Ich an Ihrer Stelle würde meine Frau lieber als Schönheit im Gedächtnis behalten, als das, was sie jetzt ist...“
 

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„Gibt es etwas besonderes, worauf ich achten muss?“

Viele tausend Kilometer entfernt saß Lilli nervös auf Chatgaias Küchentisch und wartete gespannt auf die Worte der Magierin.

„Achten? Nun ja, du solltest dich nicht überanstrengen oder Rauschmittel nehmen, ansonsten... nein.“

Das Mädchen quiekte.

„Das ist ja toll!“

Lilliann war so wie so meistens gut gelaunt, aber seit sie schwanger war, war sie richtig hyperaktiv und brachte sogar das Dorfoberhaupt zum Kichern.

„Du scheinst dich sehr zu freuen.“, stellte sie erfreut fest, „Das ist sehr gut. Was sagen deine Eltern eigentlich?“

Die Jüngere zuckte lachend mit den Schultern.

„Vater will, dass ich viele Kinder bekomme, damit die Klassen in der Schule wieder größer werden, von daher ist es ihnen schon recht, aber...“, ein Seufzen entrann ihrer Kehle und sie senkte traurig den Blick, „Aber sie finden es nicht gut, dass mein Baby von Jiro ist. Sie glauben, er könnte nicht richtig für mich sorgen... das Schlimme ist, das glaubt er auch!“

Chatgaia tätschelte ihr den Kopf und lächelte ermutigend.

„Das Selbe haben meine Eltern und mein Freund damals auch gesagt, als ich Taranii zu bekommen hatte. Aber das war Unsinn, wie sich herausgestellt hat. Harata war ein guter Mann und Vater und auch um das Dorf hat er sich wunderbar gekümmert!“

Viel besser als ich, fügte sie in Gedanken hinzu, hielt es aber für besser, das nicht laut auszusprechen und Lilli strahlte wieder.

„Richtig!“, machte sie, „Genau so war das! Und Ihrer Schwester haben Ihre Eltern den Mann ausgesucht, das ist nach hinten losgegangen...“

Sie hopste vom Tisch und tänzelte glücklich zur Tür.

„Sie sind ein perfektes Beispiel, mit Ihnen kann ich meine Eltern sicher von Jiro überzeugen. Und ihn vielleicht von sich selbst...“

Sie verneigte sich, dann verschwand sie und die Himmelsblüterin seufzte.

„Du tust sicherlich das Richtige, Lilli.“
 

Choraly saß auf einer kleinen Mauer im Schatten eines Kaliri-Baumes und sah dem geschäftigen Treiben im Dorf zu. Sie hatte nichts zu tun und war auch ganz allein, so quälte sie sich wieder mit ekligen Gedanken und war dementsprechend schlecht gelaunt. Mayora war schon am frühen Morgen verschwunden, dafür war seine Tante aber zuhause geblieben und Imera fand die junge Frau heute auch nicht. Dafür fiel ihr aber jemand anderes auf. Eine Gruppe Kinder ging an ihr vorbei und sie blinzelte und überlegte kurz. Das war doch Imeras Cousin? Vielleicht wusste der ja, wo der Süße steckte...?

„Kura?“

So hatte er doch geheißen, oder? Der kleine Junge drehte sich überrascht um und die Anderen gingen bereits weiter, sich laut unterhaltend. Choraly winkte ihn zu sich.

„Hallo Kura!“, machte sie lächelnd, als er vor ihr stand und sie perplex ansah, „Mein Name ist Choraly Magafi und ich bin neu hier. Ich hab dich gestern Abend schon kennen gelernt, als du geschlafen hast. Sag, weißt du, wo Imera ist?“

Er guckte sie eine Weile stumm an, errötete dann und senkte den Blick. Die Brünette hob verwirrt beide Brauen.

„Alles in Ordnung?“

Er nickte, sagte aber nichts und die Ältere schnaubte. War der blöd oder so?

„Kannst du nicht sprechen?“, fragte sie nun etwas barsch, „Oder bist du etwa SO schüchtern?“

Er hob den Kopf wieder und blickte sie verzweifelt an, begann nervös mit den Füßen im Boden herum zu scharren und sie blinzelte abermals.

„Bist du krank oder so?“, erkundigte sie sich nun doch etwas besorgt. Hoffentlich hatte sie ihn vorhin nicht irgendwie beleidigt...

Er schüttelte wild den Kopf.
 

„Choraly, warte!“

Sie wandte sich um und sah Dafi, die lächelnd auf sie zugerannt kam. Seit wann hatte die ihr etwas zu sagen...?

„Bedränge ihn nicht!“, forderte sie, als sie bei den Beiden angekommen war und tätschelte den Kleinen, „Kura spricht nicht gern. Keiner weiß warum, aber er tut es nicht. Na ja, manchmal, aber bloß wenn das Haus brennt oder er sich einen Finger halb abgeschnitten hat...“

Sie deutete auf die rechte Hand des Jungen, an deren Zeigefinger eine seltsame Narbe prangte und das Stadtmädchen räusperte sich. Woher wusste die Tussi das?

Kura seinerseits atmete erleichtert aus und das zierliche Mädchen bückte sich zu ihm.

„Und? Warst du in der Schule?“

Er nickte gut gelaunt.

„Bei uns gehen stumme Kinder nicht zur Schule...“, machte die Andere darauf bloß irritiert und Dafi sah zu ihr auf.

„Das ist aber nicht sehr gerecht.“, stellte sie fest und erhob sich wieder, „Kura zum Beispiel ist ja nicht blöder als andere.“

Der Kleine schnaubte darauf beleidigt und Choraly kicherte.

„Das hab ich auch nicht gemeint! Bei uns läuft das bloß anders...“

Die Ältere nickte und sah wieder zu dem Jungen.

„Du solltest jetzt besser nach Hause, am Ende sorgt sich deine Mama noch.“

Er nickte und rannte einen Moment später davon, den jungen Frauen noch einmal zuwinkend.
 

„Er ist süß.“, machte das Mädchen mit dem Zopf, als Kura außer Sichtweite war und die Jüngere schnaubte. Sie ließ sich nicht gern zurechtweisen, erst recht nicht von einer wie dieser Dafi. Einer, die ihr helfen könnte, die es aber nicht tat...

„Schleim dich nicht ein.“, machte sie deshalb und wandte sich ab, „Du bist eine miese Kuh, genauso wie deine Schlampe von Cousine... aber du bist zusätzlich auch noch eine widerliche Missgeburt! Blöde Himmelsblüterin...“

Die kleine Magierin starrte den Rücken der Braunhaarigen einen Moment ungläubig an und keuchte verwirrt, dann sprach sie.

„Zuerst einmal schleime ich mich sicherlich nicht ein, bloß weil ich den kleinen Kura niedlich finde, dann bin ich ganz sicher keine miese Kuh, bloß weil ich meinen Job nicht verlieren möchte und Pinita ist bestimmt keine Schlampe, bloß weil sie hübsch aussieht! Und für das, als was ich geboren worden bin, kann ich bestimmt nichts! Du bist echt fies!“

Sie erschauderte und Choraly drehte sich halb zu ihr um und schaute sie eingebildet an.

„Heulst du jetzt gleich?“

„Ja!“

Wider Erwarten wischte sie sich über ihre plötzlich wirklich ziemlich nassen Augen und die Jüngere hob beide Brauen. Okay, sie war definitiv empfindlicher als Mayora...

„Das ist so ziemlich das Gemeinste, was man je zu mir gesagt hat!“, jammerte die Dunkelblonde währenddessen weiter und vergrub zitternd das Gesicht in den Händen, das Stadtmädchen wandte sich ihr nun komplett zu und schaute sie ungewollt schuldbewusst an.

„Hey, ich sage andauernd solche Sachen, frag Mayora mal... Ich meine das nicht so böse, wie es sich anhört!“

„Aber es tut verdammt weh!“, machte ihr Gegenüber gekränkt und sah schluchzend wieder auf. Himmel, warum ging ihr das denn so nah? Choraly seufzte.

„Okay, hör zu, es tut mir Leid – ich merke mir für das nächste Mal, dass ich so etwas nicht mehr zu dir sagen darf.“

„Tut es dir wirklich Leid?“, fragte Dafi nicht überzeugt und ihr Gegenüber wandte errötend den Blick ab.

„Ich entschuldige mich fast nie.“, machte sie gedämpft, „Wenn ich es tue, muss schon etwas daran sein.“
 

Die Ältere lächelt leicht.

„Das ist lieb!“, sie senkte abermals den Blick, „Weißt du, ich bin eine total miese Magierin... eigentlich sollte ich dem Feuermond Ehre machen, aber meist reicht es noch nicht einmal, um eine Zigarette anzuzünden. Ich fürchte mich vor dem Feuer...“

„Du fürchtest dich vor deinem eigenen Element?“

Sie sollte sie zwar nicht mehr beleidigen, aber war das nicht wirklich ein bisschen krank? Sie war doch eine Himmelsblüterin, wenn schon, dann wenigstens richtig!

Die Magierin sah sie darauf bloß seltsam an.

„Choraly, einst hat mich mein Element wie alle anderen meines Blutes in seinen Bann gezogen. Das ist ganz natürlich. Werfe Mayora in einen See und du wirst ihn die nächsten sechs Stunden nicht mehr heraus bekommen... aber weißt du...“, sie machte eine kleine Pause und zupfte ein wenig nervös an ihrem Oberteil herum, „Meine Familie ist vor meinen Augen in einem riesigen Feuer gestorben. Ich hab nun einmal Angst...“

Die Andere schaute errötend zu Boden.

„Stimmt ja... das tut mir sehr Leid!“

Dafi schnaubte, lächelte aber dabei und trat näher an das Stadtmädchen heran, um einen Arm um sie zu legen. Zunächst wollte dieses sich ganz schnell wieder aus dem Griff der Himmelsblüterin befreien, hielt dann aber doch inne. Was stellte sie sich eigentlich so an? Sie mochte diese komische Tussi gegen ihren Willen irgendwie, fiel ihr auf, ihre Aura machte ihr keine Angst, nein, sie war sogar irgendwie angenehm... wie krank war sie denn? Warum war diese Missgeburt ihr plötzlich so sympathisch?!

„Das muss dir doch nicht Leid tun, wo du selbst gerade so einen heftigen Verlust hinter dir hast!“, machte die Ältere da und schaute sie lieb an, „Du wolltest nach Palbuflor, damit du deinen Geburtstag mit deinem Vater hättest feiern können, hab ich gehört, oder? Das ist doch schon eine Weile her, wann ist es denn so weit?“
 

Choraly schaute grinsend zu Boden.

„Heute.“, machte sie knapp, „Aber behalte es bitte für dich, ich hab keine Lust von jedem gratuliert zu bekommen. Dieser Geburtstag ist total unnötig, er hat meine Mama getötet...“

Das Grinsen verschwand und die Größere blinzelte. Na wenn sie niemandem verriet, dass heute ihr Tag war, würde das auch nicht dazu beitragen, dass sie sich besser fühlte!

„Unsinn!“, machte sie deshalb gespielt barsch, „Herzlichen Glückwunsch trotzdem, auch wenn du es nicht willst! Chatgaia dürfte heute zu Hause sein, die soll gefälligst dafür sorgen, dass man dich feiert!“

„Nein!“, quiekte die Andere geschockt. Sie hätte besser lügen sollen!

„Ich will nicht gefeiert werden!“

Dafi seufzte und schaute sie einen Moment später überraschend ernst an.

„Hör mal, in Thilia gibt es gewisse Traditionen, mit denen ich mich inzwischen auch ganz gut auskenne. Wenn du denen nicht verrätst, dass du heute Geburtstag hast, beleidigst du die Leute hier und das ist ganz sicher nicht von Vorteil für dich. Außerdem gibt es hier lustige Bräuche!“

Sie lächelte wieder und Choraly zog entnervt eine Schnute.

„Aber Lust habe ich trotzdem keine.“
 

--
 

„Herzlichen Glückwunsch!“

Das arme Geburtstagskind hätte fast einen Herzschlag erlitten, als Chatgaia sie nach Dafis Worten kräftig durchknuddelte und plötzlich unnatürlich gut gelaunt war. Die Ober-Magierin hier, die immer so hinterhältig wirkte... Geburtstage schienen hier ja wirklich sehr wichtig zu sein.

„Gut, dass du mir Bescheid gesagt hast!“

Die Älteste im Raum wandte sich an ihre zierliche Blutsschwester und nickte ihr anerkennend zu, das Stadtmädchen rang unterdessen nach der Attacke von eben kräftig nach Luft.

„Du kennst meine Meinung zu eurer seltsamen Forschungsstation aus der fremden Welt, aber du bist seit ich dich kenne schon ein gutes Mädchen, Dafi. Das hast du heute wieder einmal bewiesen.“

Die Angesprochene verneigte sich lächelnd, seufzte dann allerdings.

„Choralychen möchte nach ihren Verlusten aber nicht gerne feiern, deshalb bitte ich Sie, den Kreis klein zu halten, ja?“

Chatgaia seufzte ebenfalls.

„Dabei wäre es so eine schöne Gelegenheit gewesen, sie mit allen hier bekannt zu machen...“, sprach sie mehr zu sich selbst als zu den Anderen und sah dann zu der nun frisch gebackenen 16-jährigen, „Na gut. Bestimme du, wer kommen soll.“

Sie blinzelte.

„Ich?“

Jetzt verlangte man auch noch, dass sie sich selbst um die Gästeliste kümmerte! In Wakawariwa hatte es dafür Personal gegeben...

„Wer denn sonst?“, schnitt die Himmelsblüterin ihr die Gedanken ab und sie schnaubte und dachte einen Moment nach, ehe sie begann.

„Dafi soll kommen.“, murmelte sie zunächst leise. Es wäre schließlich ziemlich unverschämt gewesen, wenn sie ausgerechnet sie nicht eingeladen hätte.

„Dann Imera, der kann seinen komischen stummen Cousin auch mitbringen, wenn er will. Jiro und Lilli... und Tai natürlich! Mit Begleitung, wenn sie denn eine hat. Tafaye auch, vielleicht schenkt er mir ja etwas hübsches zum Anziehen...?“

Sie musste lächeln. Vielleicht tat ihr so eine kleine Ablenkung ja doch ganz gut?

„Aber, äh...“

Die zierliche Himmelsblüterin unterbrach sie seltsam lächelnd.

„Ich will ja nicht aufdringlich sein oder so, aber kann meine Cousine Pinita...?“

„Nein!“, fauchte die eigentlich noch immer Jüngere sie an und ihr Gegenüber blinzelte.

„Wie jetzt?“

„Ich kann sie nicht leiden, die soll wegbleiben!“

Chatgaia nickte, nun wieder ernst.

„Pinita ist im Gegensatz zu dir noch nie ein gutes Mädchen gewesen!“, stellte sie bloß gedämpft fest und Dafi sah zwischen den beiden her.

„Ja, gut...“, kam dann verunsichert, „Dann komm ich halt allein, irgendwie...“
 

--
 

Während sie gemeinsam mit ihrer Gastgeberin eine kleine Feier vorbereitete (indem sie ihr beispielsweise dabei half, seltsame Dinge zu kochen), wollte sich Dafi darum kümmern, dass alle eingeladen wurden.

Choraly fiel unterdessen auf, dass sie die Magierin gerade zum ersten Mal kochen sah. Also hatte sie das ihrem Neffen wohl beigebracht?

„Was schaust du so, Mädchen aus der großen Stadt?“, fragte die Grünhaarige dann irgendwann und die Angesprochene schreckte auf.

„Na ja“, begann sie vorsichtig, sich wieder auf die komischen Kräuter, die sie klein hacken sollte, konzentrierend, „Ich habe mich gerade gefragt, ob Sie Mayora wohl das Kochen beigebracht haben? Bei uns ist es nämlich sehr ungewöhnlich, dass Männer ganz freiwillig so etwas tun...“

Chatgaia seufzte lächelnd.

„Nicht nur bei euch. Er ist halt ein wenig besonders... aber um deine Frage zu beantworten, nein, ich habe ihm weder kochen, noch putzen, noch seltsame Duschen bauen, die eh nicht funktionieren, beigebracht.“

Die Fragenstellerin blinzelte überrascht, ehe die Angesprochene ihre Kunstpause beendete hatte und weiter sprach.

„Meine Schwester muss es ihm wohl beigebracht haben, seine Mutter. Bitte frag mich jetzt nicht, warum, über Kindererziehung haben wir nie gesprochen...“

Das Geburtstagskind nickte einsichtig. Mayoras Eltern waren ihr, wenn sie genauer darüber nachdachte, auch ein Rätsel. Schließlich war es nicht gerade alltäglich, dass 17-jährige Jungen bei ihren Tanten lebten... weiter nachfragen wollte sie aber auch nicht, das wäre wohl zu unhöflich gewesen, auch wenn sie bloß eine Himmelsblüterin ausgequetscht hätte. Oder gerade deswegen, die Missgeburt hatte sie ja vorgewarnt...

So seufzte sie und zerhackte missmutig das arme Grünzeug, das so wie ihr Mitbewohner roch und die Ältere neben ihr musste kichern. Wie seltsam.

„Warum so resigniert? Egal was geschehen ist, heute ist ein wunderschöner Tag!“

Die Kleinere pfiff ungewollt durch die Zähne und senkte die Brauen, nicht aufsehend.

„Egal was geschehen ist!“, machte sie, „Haben sie eigentlich eine Ahnung, wie weh mein Herz mit jedem Schlag den es schlägt tut, jede Minute, die ich seit dem Absturz lebe?“

Hier hatten alle so leicht reden, aber niemand verstand sie. So eine Extrem-Einbürgerung funktionierte nicht, nicht bei einer Persönlichkeit wie die der Erbin der Magafi-Familie! Dennoch war sie sich nicht sicher, ob ihre Reaktion richtig gewesen war, als die Andere ihr Kochzeug aus den Händen legte und sich ihr zuwandte, sie seltsam ansehend. Choraly reagierte darauf nicht, hackte einfach weiter. Nervös wurde sie nun aber doch.

„Weißt du...“, begann die Magierin dann schließlich, „Ich habe meinen Mann und meinen Sohn verloren, meine Eltern sind ebenfalls bereits tot. Genauso wie meine Schwester, mein Bruder und meine Nichte. Ich denke, ich kann mir anmaßen, zu behaupten, dich zu verstehen.“

Die Jüngere hielt in der Bewegung inne, sah aber nicht auf. Das war ja schrecklich...

Sie zuckte zusammen, als sie plötzlich die eiskalten Finger der Frau an ihrer Wange spürte, die ihr Gesicht mit sanfter Gewalt dazu brachten, ihrem Gegenüber in die orangen Augen zu blicken.

„Ich lebe aber noch immer und erfreue mich daran. Die Schmerzen werden nie ganz verschwinden, kleines Mädchen, aber du wirst lernen, mit ihnen zu leben. Je schneller, desto besser. Deshalb will ich, dass du diesen Tag genießt und einfach alles vergisst!“

Sie zog die Hand zurück und lächelte leicht.

„Geburtstage sind hier sehr wichtig, musst du wissen. Es gibt keinen Tag mit einem höheren Rang als die Tage, an denen ein neues Leben das Licht der Welt erblickt hat. Mit Ausnahme des Regentages, aber der kommt ja bloß alle 10 Jahre...“

Die Jüngere nickte einsichtig. Einen Tag lang vergessen war vielleicht wirklich nicht schlecht... aber ob sie das auch schaffte?
 

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„Komm nicht auf die Idee, mich zu knuddeln, Missgeburt!“

Choraly hatte beschlossen, dass es nach Chatgaias „Angriff“ von vorhin vielleicht besser war, Mayora gleich davon abzuhalten. Außerdem hatte er so ein Funkeln in den Augen...

„Noch nicht einmal umarmen?“, fragte er mit seltsamem Enthusiasmus und breitete demonstrativ die Arme aus. Das Mädchen quiekte.

„Vergiss es! Noch nicht einmal die Hand schütteln!“

Er zog eine Schnute, lächelte dann aber und verneigte sich leicht.

„Na gut, dann so. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Wie alt wirst du eigentlich?“

Der Grünhaarige war allerbester Laune und das Geburtstagskind konnte noch immer nicht so ganz begreifen, was die Leute hier so unglaublich spektakulär an so einem Tag fanden...

„16.“, antwortete sie knapp und seufzte, „Als ich mich vorgestellt habe, hab ich, glaube ich, erwähnt, dass ich 15 bin. Im Rechnen scheinst du nicht besonders helle zu sein.“

Er senkte den Blick.

„Stimmt, ich bin nicht von großer Intelligenz, verzeih meine dumme Frage.“, er grinste leicht, „Ehrlich gesagt habe ich dir damals auch bloß halbherzig zugehört, ich bin so überrascht gewesen, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe.“

„Überrascht?“, fragte sie feindselig und seufzte innerlich. Er hatte „damals“ gesagt. Ja, ihr kam es auch schon wie „damals“ vor, dabei war es erst ein paar Tage her...
 

Damals, als sie noch in Wakawariwa gelebt hatte.
 

„Ja, ich war überrascht!“, antwortete er dann ungewöhnlich knapp und schenkte ihr einen seltsamen Blick, wandte sich dann ab.

„Ich sollte meiner Tante lieber bei den Vorbereitungen helfen...“

Er verschwand.
 

„Ich bin wieder da!“

Nahezu im selben Moment hatte sich die Haustür geöffnet und Dafi war gut gelaunt herein gehüpft gekommen.

„Sie kommen heute alle zum Abendessen!“, verkündete sie, „Kurzfristig kann Chatgaia so wie so nicht all zu viel vorbereiten und du wolltest ja keine große Fete...“

Choraly nickte.

„Danke, lieb von dir, dass du dich darum gekümmert hast.“, machte sie leicht lächelnd und ihr Gegenüber kicherte, was sich bei ihr unheimlich dämlich anhörte. Ihre Stimme klang noch immer so seltsam...

„Ich hab es dir ja aufgedrängt.“, sagte sie ehrlich und verneigte sich leicht, „Ich gehe jetzt aber noch einmal nach Hause, mich hübsch machen...“

Sie senkte missmutig den Blick und grummelte irgendetwas, doch die Jüngere verstand sie nicht und ehe sie hätte nachfragen können, blickte sie wieder auf.

„Wir sehen uns dann!“, strahlte sie und wandte sich zum Gehen.
 

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„Und du meinst, das geht in Ordnung?“

Naga hüpfte gut gelaunt auf der Stelle auf und ab und Jiro seufzte lächelnd.

„Klar. Zur Not gibst du dich als Tais Begleitung aus.“

Das zierliche Mädchen hob einen Raum weiter am Bett ihrer kranken Mutter den Kopf und blinzelte, obwohl das bei ihr so wie so sinnlos war.

„Jiro?“, rief sie, „Hast du mich gerufen?“

„Nein!“, schallte es zurück und die kranke Frau zog sich die Decke über den Kopf.

„Lauter geht es nicht mehr!“, hörte man sie beleidigt murmeln, aber ihre Tochter kicherte bloß.

„Ich will aber nicht Tais Begleitung sein!“, empörte sich der Schwarzhaarige unterdessen und hielt inne.

„Hast du ein Problem mit mir, wie?“, kreischte die junge Frau im Nachbarraum, aber man ignorierte sie wie so oft einfach.

Naga verdrehte die Augen.

„Ich kann doch nicht mit Begleitung kommen, wenn meine liebe süße Dafi auch da ist!“

„Sieh es ein, Dafi hätte lieber einen giftigen, fleischfressenden Kaktus zum Freund als dich!“, hörte man Tainini abermals rufen, aber niemand ging darauf ein.

„Meinetwegen versuch dein Glück.“, meinte Jiro nur schulterzuckend und begann in seinem kleinen Schrank nach etwas ordentlichem zum Anziehen zu suchen. Am Ende achteten Stadtmenschen ja auch noch auf saubere Kleidung...

Sein Freund seufzte unterdessen.

„Ich hasse es, dass du so ernst geworden bist...“
 

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„Dass ich mich fein machen muss, kann ich ja verstehen, aber warum ziehst du dich um?“

Zur selben Zeit waren in Chatgaias Haus alle Vorbereitungen getroffen und Choraly, ihr hübschestes Kleid tragend, lugte in Mayoras Zimmer hinein, der sich aus seinem Schrank gerade andere Kleidung genommen hatte und sie nun groß ansah.

„Hässlich sein und hässlich aussehen sind zwei Paar Schuh.“, machte er perplex, „Ich will auch schick sein.“

Sie hob unbeeindruckt eine Braue und grinste dann fies.

„Aber wer sagt denn, dass du eingeladen bist?“

Es wäre natürlich ziemlich unverschämt gewesen, ihm zu verbieten, bei der Feier mitzuwirken, schließlich war es auch mehr oder weniger sein Haus, in dem sie lebte, aber im engeren Sinne eingeladen war er ja wirklich nicht. Geduldet, ja, aber nicht erwünscht...ihn damit ein wenig aufzuziehen konnte nicht schaden, außerdem durfte sie das als Geburtstagskind.

Er schaute sie bloß einen Moment stumm an, dann sah er hinab auf die Kleidung in seiner Hand und nach wenigen Augenblicken öffnete er seinen Schrank wieder und legte sie zurück.

Choraly gackerte.

„Natürlich bist du nicht eingeladen, du bist ja mehr oder weniger der Veranstalter!“, machte sie amüsiert, „Du wirst ja jetzt wohl nicht wie Dafi anfangen und heulen...“

Er schüttelte den Kopf und lächelte gezwungen.

„Natürlich nicht.“, antwortete er leise, „Es war schließlich töricht von mir zu denken, ausgerechnet ich sei erwünscht. Lass das jetzt nicht wie einen Scherz aussehen, ich weiß genau, dass du mich nicht dabei haben möchtest. Ich werde einfach in meinem Zimmer bleiben und ein wenig den Stimmen lauschen...“

Er verneigte sich leicht und ihr Grinsen verschwand. So ernst hatte sie das jetzt eigentlich gar nicht gemeint...

„Na hör mal...“, murmelte sie leise, aber verständlich und er wandte sich ab, kehrte ihr den Rücken zu und schritt zu seinem Fenster.

„Geh schon.“
 

Sie war zu gut erzogen, als dass sie Mayoras Abwesenheit hätte zulassen können und so wandte sie sich nach einigem Zögern einfach an Chatgaia. Ihr persönlich war ja egal, ob ein nervender Himmelsblüter mehr oder weniger da war, aber der Magierin war ihr Neffe sicher wichtig. Sollte sie sich mit ihm herum schlagen.

Das Mädchen kämpfte unterdessen noch immer mit seinem Gewissen. War es richtig gewesen, sich zu einer Feier überreden zu lassen? Hätte ihre Mutter das gewollt? Oder Atti? Sie wusste es nicht und die Gedanken daran taten ihr weh. Sie wollte wirklich vergessen. Bloß einen Abend lang.

So saß sie schließlich ungewollt resigniert am Holztisch und wartete auf ihre Gäste. Selbst wenn sie sich noch einmal umentscheiden würde, die Leute konnte man ja nicht wieder weg schicken...
 

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„Mayora!“

Der Junge sah auf, als seine Tante im Türrahmen stand und seltsam auf ihn hinab blickte.

„Stell dich nicht so an, du weißt genau, dass sie es nicht so gemeint hat!“

Er erhob sich von seinem Bett und legte den Kopf leicht schief.

„Dass wer was nicht so gemeint hat?“

„Stell dich nicht dumm, zieh dich um und komm mit nach unten!“, herrschte sie ihn an und wandte ihm den Rücken zu, er schnaubte.

„Und wenn ich gar nicht möchte?“

Sie hielt inne. Nicht möchte?

„Warum solltest du nicht wollen?“

Der Grünhaarige sah etwas verlegen zu Boden.

„Wegen Imera. Es war schon extrem unangenehm, als ich letztens mit ihm allein war, wenn ich jetzt auch noch mit ihm feiern soll... nein.“

Sie drehte sich wieder um und seufzte.

„Eine Feier wird das wohl kaum werden, bei Choralys Stimmung...“, machte sie, „Tu es mir zu Liebe, Mayora. Es gehört sich nicht, sich an so einem wichtigen Tag in seinem Zimmer zu verkriechen!“

„Ich weiß.“, versetzte er, „Aber das Mädchen aus der großen Stadt hasst mich, ich glaube, es wäre auch für sie angenehmer, wenn ich...“

„Du kommst!“
 

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„Ich bin wieder da!“

Dafi stand strahlend in der Haustür und das Geburtstagskind staunte bei ihrem Anblick nicht schlecht.

„Wow.“, machte es, sie von oben bis unten musternd und die Ältere errötete daraufhin leicht, „Du siehst ja wunderhübsch aus!“

Sie trug ein langes, dunkelblaues Kleid, das ihren dürren Körper im besten Licht präsentierte, dazu ihre Haare offen und Choraly war mehr als erstaunt darüber, wie lang sie eigentlich waren. In dem Zopf bemerkte man das gar nicht so...

„Danke...“, stammelte sie bloß verlegen und wollte am Liebsten ganz schnell das Thema wechseln, „In Mon'dany, da wo ich herkomme, ist es normalerweise wie bei euch Brauch, sich zu beschenken, aber in Thilia bekommen nur Kinder unter 10 Jahren etwas und die Älteren von ihrem Mann oder ihrer Frau, deshalb habe ich auch nichts dabei...“

Die Brünette lachte perplex.

„Machen so, als sei ein Geburtstag ein Staatsfeiertag, aber Geschenke gibt es nicht, ist ja klasse... aber okay. Komm endlich herein, draußen ist es kalt...“

Auch in der Oase sanken die Temperaturen in der Nacht stark, besonders im Winter, wie jetzt. Da merkte man die Jahreszeit auch...
 

„Huhu!“

Choraly lächelte und Dafi drehte sich ebenfalls grinsend in die Richtung, aus der Jiro und Kumpanen kamen. Ebenso wie das Mädchen aus der Forschungsstation waren alle vier fein heraus geputzt und die nun 16-jährige war doch sehr überrascht darüber, wie ansehnlich ihre erste Bekanntschaft hier unter dem ganzen Staub war. War seine Freundin doch nicht geschmacksverirrt...

Ehe sie weiter denken konnte, war die Gruppe auch schon bei ihnen angekommen und sie wurde ein weiteres Mal von allen Seiten geknuddelt, unter anderem auch von einem Jungen, den sie noch nie zuvor gesehen hatte und die momentan einzige Himmelsblüterin unter ihnen erlitt urplötzlich einen schrecklichen Hustenanfall.

„Nagaoyao!“, quiekte sie, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte und Tainini als Einzige noch an Choralys Hals hing und sie irgendwie gar nicht mehr loslassen wollte, „Du bist sicher nicht Tais Begleitung! Hau sofort ab!“

Der Fremde grinste und das zierliche Mädchen errötete stark, ob vor Verlegenheit oder Wut sei dahingestellt.

„Tai hat keine Begleitung, dafür bin ich Jiros zweite Begleitung. Äh... im freundschaftlichen Sinne, versteht sich.“

Er zwinkerte ihr zu und ehe jemand hätte weiter sprechen können, schaltete sich der andere Junge ein.

„Choraly, das ist mein bester guter Freund Naga. Nenne ihn niemals Nagaoyao, sonst beißt er sich in deinem Oberschenkel fest und lässt erst wieder los, wenn du dich 1200 Mal entschuldigt hast.“

Die Angesprochene schaute ein wenig bedeppert. 1200 Mal?

„... das muss ich nicht verstehen.“, machte sie nur und ihr Gegenüber grinste.

„Ja, er hat da so seine Prinzipien. Bloß Dafi darf sich alles erlauben, er liebt sie nämlich.“

Tainini begann zu kichern und der schwarzhaarige Junge warf der kleinen Magierin eine Kusshand zu, die darauf angewidert das Gesicht verzog. Dabei war er gar nicht hässlich.

„Und der beißt einem in den Oberschenkel?“, fragte Choraly unterdessen ungläubig weiter und Lilli, die sich die ganze Zeit adrett zurück gehalten hatte, antwortete ihr nun ernst.

„Ja, und wie er das tut. Der Abdruck ist immer noch zu sehen...“

Sie rieb sich seufzend über ihr Bein und das Geburtstagskind hob beide Brauen. Vermutlich tat er das genau so sehr, wie sie den Leuten die Arme ausriss...
 

„Guten Abend!“

Die Meute sah auf, als zwei weitere Gestalten plötzlich bei ihnen erschienen waren und bei den Meisten verdunkelte sich das Antlitz bedrohlich, bloß das Stadtmädchen strahlte aus tiefstem Herzen.

„War das Imeras Stimme...?“, fragte Tai vorsichtig an Lilli gewandt, die leise bejahte.

Der seltsame Naga sah zur noch immer leicht erröteten Dafi.

„Was macht der denn hier?“

„Choraly hat sich gewünscht, dass er kommt. Er muss ja nicht von jedem gehasst werden!“

Sie verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und sah zur Seite, Imera räusperte sich.

„Schön, dass ich so willkommen bin.“, grummelte er ironisch, ehe er sich einfach zum Geburtstagskind hervor kämpfte und es sanft in die Arme schloss.

„Herzlichen Glückwunsch, meine Schöne.“, flüsterte er zärtlich und sie kuschelte sich kurz an ihn, lies dann aber wieder los, weil es ihr peinlich vor den anderen war und bückte sich zu Kura, der lächelnd neben seinem Cousin stand und darauf wartete, dass er an die Reihe kam. Sogar er war hübsch gemacht.

„Ich wette, dein Blick will mir „Herzlichen Glückwunsch!“ sagen, nicht?“, fragte sie ihn lächelnd und er nickte und warf sich ihr um den Hals.

Eigentlich hatte Dafi völlig Recht, der Junge war total süß. Er sah seinem Cousin sehr ähnlich...

Die Anderen sollten bloß nett zu den Beiden sein!
 

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Let's fetz! XDD

Feierlichkeiten (Part 2)

„Schön, dass ihr euch heute Abend Zeit genommen habt, um mit uns gemeinsam den ehrwürdigen Tag zu feiern, an dem unser neues Gemeindemitglied Choraly Magafi vor nun 16 Jahren das Licht der Welt erblickt hat!“

Chatgaia begrüßte ihre Gäste, die mittlerweile fast ausnahmslos alle guter Dinge am Tisch saßen und das Stadtmädchen betüdelten, voller Elan. Bloß Mayoras Laune war ein wenig bescheiden, gemeiner Weise hatte man ihn auch noch neben Imera gesetzt, der ihn allerdings knallhart ignorierte. Weniger ignorieren tat ihn dafür Tafaye, der mittlerweile ebenfalls eingetroffen war und sich immer wieder über das Hemd des Himmelsblüters wunderte.

„Und du willst wirklich nicht zu meinem Vater in die Lehre kommen? Ich meine, was du da gemacht hast ist eine wahre Meisterleistung! Der Kragen ist echt toll...“

Der Ältere fummelte gut gelaunt an dem Stoff herum und der Grünhaarige seufzte entnervt. Ja, er konnte nähen, schön. Na und?

„Hast du dich denn inzwischen schon gut eingelebt?“, fragte Lilli unterdessen bester Laune über den Tisch hinweg das Geburtstagskind und dieses zuckte mit den Schultern. Die Leute waren extra wegen ihr gekommen, da sollte sie dankbar sein. So verkniff sie sich auch ein bissiges Kommentar und lächelte leicht.

„Den Umständen entsprechend, ja.“

Kaum hatte sie geantwortet, zupfte man auch schon von der anderen Seite an ihr und als sie sich ihr zuwandte, blickte sie in Tais lächelndes Gesicht.

„Findest du mich eigentlich hübsch?“

Die Ältere blinzelte überrascht, da sprach die Kleine weiter.

„Ich weiß ja nicht, ob ich hübsch bin, deshalb frage ich alle möglichen Leute, um so ein ziemlich genaues Bild von mir zu bekommen!“

Die Vorstellung, dass das Mädchen niemals ihr eigenes Gesicht im Spiegel bewundern würde können, stimmte Choraly ein wenig traurig und so nickte sie ehrlich, obwohl ihre Nebenfrau es nicht sehen konnte.

„Ich finde dich sogar sehr hübsch, Tai.“, machte sie und das Mädchen quiekte freudig.

„Ich bin hübsch!“, rief sie aufgeregt in die Runde, aber kaum einer bekam das mit, weil alle in laute Gespräche verwickelt waren. Bloß der kleine Kura lächelte der jungen Frau lieb zu, was allerdings ziemlich sinnlos war.

Dem Stadtmädchen fiel in dem Moment auf, dass Kura und Tainini niemals in ihrem Leben etwas miteinander würden anfangen können, weil Tai ausnahmslos durch Sprechen und Zuhören mit ihren Mitmenschen kommunizierte und Kura bloß durch Zuhören, Gestik und Mimik. Er verstand sie zwar, konnte aber nicht antworten und das war echt ziemlich dumm und brachte sie zum seufzen.

„Kura hat dir zugelächelt.“, meinte sie so und das zierliche Mädchen strahlte.

„Ja? Ich kenne ihn kaum, wie sieht er aus?“

Choraly lachte. Auf Dauer mit Tainini zu Tun zu haben, stellte sie sich ziemlich stressig vor...

„Wie Imera mit blonden Haaren, aber das bringt dir vermutlich nicht viel...“

„Doch!“, lachte die Jüngere, „Bis ich vier Jahre alt war, hab ich gesehen, da ist Imera schon 7 gewesen! Ich kann mich noch sehr gut an ihn erinnern, er war ein hübscher Junge!“

„Wer? Ich?“

Der Braunhaarige wandte sich den beiden Mädchen zu und Tai nickte.

„Bist du immer noch hübsch?“

Sie wirkte naiv und zerbrechlich, aber in Wirklichkeit war die 14-jährige eine bemerkenswerte Persönlichkeit und das Geburtstagskind beneidete sie um ihren Lebensmut. Irgendwie war sie auch so jemand, den man lieb haben musste, ob man wollte oder nicht.

„Klar!“, antwortete er ihr grinsend und sie lachte wieder, „Schönheit vergeht so schnell nicht. Oder?“

Er sah zu der 16-jährigen und grinste etwas zweideutig; ohne es sich richtig erklären zu können, wurde sie darauf rot und blickte verlegen auf ihren Teller.

„Das denke ich auch.“, antwortete sie da dennoch und schielte kurz zu Mayora, der allerdings von all dem nichts mitbekam.

„... und diese Naht! Junge, wie konntest du so etwas kompliziertes bloß ganz alleine hinbekommen? Ich habe zwei Jahre gebraucht, bis ich das drauf hatte!“

Wie konnte ein erwachsener Mann sich an einem blöden Hemd so dermaßen erfreuen?! Dem Himmelsblüter kam es so vor, als sei das mal wieder einer der Tage, an denen er das Bett am besten gar nicht erst verlassen hätte... dieser Idiot stellte seine Nerven wirklich auf eine harte Zerreißprobe.

„Können, pures Können, Tafaye.“, antwortete er deshalb gewollt eingebildet, was den Schneider allerdings herzlich wenig interessierte...

„Chatgaia?“

Das Geburtstagskind wandte seinen Blick wieder von den beiden Kerlen ab und sah zu Imera, der sich nun an die Gastgeberin gewandt hatte.

„Erlaubst du mir, Choraly für eine Weile zu entführen?“

Die Frau hob beide Brauen und warf zunächst dem Mädchen einen skeptischen Blick zu, dann dem Jungen.

„Meinetwegen.“, machte sie da, „Aber bitte nicht zu lange, es ist schließlich ihr Geburtstag.“

Der 17-jährige nickte gut gelaunt und erhob sich, schritt um den Tisch und zog auch Choraly auf und mit sich.
 

„Was hast du vor?“, fragte sie perplex, als er sie gerade in den Garten geschleift hatte und er grinste.

„Ich musste ein wenig mit dir allein sein.“, erklärte er dann leise und mit einem dezenten Rotton im Gesicht, als er den Blick senkte und ihre Hände vorsichtig in Seine nahm, „Wir müssen uns unterhalten.“

Sie nickte ebenfalls errötend und ahnte, in welche Richtung es gehen würde. Sie hatte vor etwa einem Jahr schon einmal einen Freund gehabt, fiel ihr ein, ein Laufbursche ihres Vaters, sie hatten gekuschelt und sich manchmal auch geküsst, waren aber zu unvorsichtig gewesen und waren erwischt worden. Daraufhin hatte Uda Magafi dafür gesorgt, dass der arme Junge den Rest seines Lebens in einem Kerker verbringen musste. Für seine Tochter war allein diese Tatsache als Strafe schlimm genug gewesen...

„Wir kennen uns leider noch nicht so besonders lange...“, begann ihr Gegenüber da und sie sah ihm vorsichtig in die Augen. Sie waren tiefblau...

„... aber, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, da hab ich direkt gedacht, also... weißt du...“, er sah etwas unbeholfen lächelnd auf, „Du weißt doch, was ich meine? Dieses... Besondere... oder so...“

Sie blickte ihn ungläubig an. War das gerade Wirklichkeit oder bloß wieder einer ihrer verrückten Träume? Der sagte ja wirklich das, was sie geahnt hatte... oder gehofft, wenn sie ehrlich zu sich selbst war. Sie gestand sich nicht gerne ein, zu lieben, genau so wenig, wie sie gern zugab, dass Dafi ihr sympathisch war... aber in diesem Fall...

„Ich denke, ich weiß, was du meinst...“

Sie senkte verlegen ihr Haupt. Er sprach wohl von der legendären Liebe auf den ersten Blick. Wenn sie ganz ehrlich war, war ihr erster Gedanke, als sie ihm zum ersten Mal begegnet war, nicht gewesen „Der ist es!“, sondern viel mehr, „Himmel, ist das aber ein Hübscher.“. Beim genaueren Betrachten wirklich zwei Paar Schuhe... aber letzten Endes war es doch auf das Selbe heraus gekommen.

„Ja?“, fragte Imera da leise, aber erfreut lächelnd und streichelte über ihre zarten Hände, „Dann weißt du doch auch sicher, was ich jetzt möchte, oder?“

Sie blinzelte.

„Was möchtest du denn?“, fragte sie vorsichtig und lächelte nun ebenfalls, „Einen Kuss?“

Er strahlte.

„Den so wie so, nein, das meinte ich nicht, Prinzessin...“

Er lies von ihren Händen ab und schloss das Mädchen stattdessen zärtlich in die Arme, flüsterte direkt neben ihrem Ohr weiter.

„Ich will, dass du meine Freundin wirst!“, brachte er es endlich auf den Punkt und sie kuschelte sich nickend an ihn. Himmel, hatte er das wirklich gesagt? Was für eine süße Aufheiterung an ihrem eigentlich noch immer ziemlich traurigen 16. Geburtstag...

„Ich werde gerne deine Freundin!“

Er schob die junge Frau etwas von sich und musterte sie kurz strahlend, dann beugte er sich endlich vor, wie es der Brünetten vorkam, nach einer so unendlich langen Zeit, und küsste sie vorsichtig auf den Mund, ganz zärtlich und für einen Typen wie ihn überraschend schüchtern...
 

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„Also dieser Saum ist echt klasse! Und dieses Strickmuster, so dezent aber doch schön...“

Tafaye erfreute sich noch immer an Mayoras Hemd und dieser seufzte resigniert.

„Hör zu.“, machte er mit letzter Kraft, „Ich wasche es morgen und schenke es dir dann, ja?“

„Ehrlich?“, fragte der Ältere überrascht und Naga, der die ganze Zeit Dafi genervt hatte, das nun aber nicht mehr konnte, weil diese auf Toilette war, wandte sich den beiden zu.

„Und was würde das bringen?“, fragte er verwundert, „Mayora ist doch ein Zwerg, in das Ding passt du gar nicht herein, tapferes Schneiderlein.“

Der Himmelsblüter rümpfte ein wenig beleidigt die Nase und der Blonde grinste.

„Das ist mir schon klar. Aber ich kann es als Vorlage benutzen!“

„Außerdem bist du doch noch kleiner als ich, Naga...“

Der Schwarzhaarige lachte.

„Aber bloß weil ich klein bin, macht das dich nicht groß!“, stellte er schlau fest und der Grünhaarige wandte sich etwas angesäuert ab.

„Die sind gemein zu mir!“, beschwerte er sich schmollend bei Tai und die lachte. Dann fiel ihm noch etwas ein.
 

Lilli und Jiro hatten unterdessen großes Gefallen an Kura gefunden.

„Sag mal was!“, machte der 16-jährige, den kleinen Jungen groß ansehend und seine Verlobte schlug ihn unsanft auf die Schulter.

„Hör auf, ihn so zu bedrängen!“

„Aber es ist doch langweilig, wenn er immer nur grinst!“, erwiderte er säuerlich, „Ich will mich mit ihm unterhalten, vielleicht weiß er ja etwas peinliches, womit ich Imera aufziehen kann!“

Der 7-jährige schüttelte demonstrativ den Kopf und die junge Frau verdrehte die Augen.

„Klar und das erzählt er dann ausgerechnet dir!“, sie lächelte dem Kleinen zu, „Weißt du eigentlich, dass du echt süß bist? Das hörst du sicher oft, aber ich musste dir das unbedingt noch einmal sagen!“

Nun war es Jiro, der seiner Verlobten unsanft auf den Arm schlug.

„Findest du ihn etwa süßer als mich?!“, machte er entsetzt und sie schlug zurück.

„Klar, das steht ja wohl außer Frage!“

„Aber ich bin ein viel besserer Gesprächspartner!“, verteidigte sich der Ältere und knuffte sie abermals und wieder wehrte sie sich.

„Manchmal ist es aber auch schön, wenn jemand ruhig ist!“, keifte sie und er schnaubte.

„Was findest du so geil daran? Soll ich mir den Mund jetzt zukleben?“

„Mach doch, da kommt eh nur Müll heraus!“

Kura sah entsetzt zwischen den Beiden hin und her. Stritten die sich jetzt wegen ihm? Das wollte er nicht!

„Weißt du was, du hast Recht, du bist echt zu blöd um dich um ein Kind zu kümmern!“

„Aber du, ich wette, du lässt es verhungern!“

Das ging zu weit, niedlich sein war dumm!

„Nicht streiten!“, befahl er und schlug sich einen Moment später entsetzt die Hände vor den Mund. Stolz war er aber trotzdem, die Beiden hatten aufgehört. Er war schon ein guter Junge...

„Was ist los?“, machte Lilli mit großen Augen und Jiro begann zu grinsen.

„Das hast du aber schön gesagt!“, kam dann und er tätschelte dem Kleinen den blonden Kopf.
 

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„Wir sollten wieder rein.“

Imera strich seiner neuen Freundin zärtlich durch ihr weiches Haar und diese kuschelte sich demonstrativ nur noch näher an ihn.

„Ich will nicht.“, antwortete sie und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust, „Nicht jetzt!“

Er seufzte.

„Aber du hast doch gehört, was Chatgaia gesagt hat. Außerdem ist es deinen anderen Gästen gegenüber nicht besonders nett, wenn du die ganze Zeit abwesend bist, oder?“

Sie nickte widerwillig. Diese verdammte Feier! Das erste Mal seit vielen Tagen fühlte sie sich wieder gut, sie wollte dieses Gefühl nicht verlieren...

„Nun komm...“

Er zog sie einfach mit...
 

„Ich wollte gerade nach euch sehen...“, kam sofort von Chatgaia, als sie zur Hintertür hereinkamen. Die Himmelsblüterin war ihnen entgegen gekommen und ihr Blick klebte skeptisch an dem Paar. Choraly senkte ihr Haupt etwas verlegen und schwieg nur, während ihr Freund die Magierin bloß angrinste.

„Wir sind ja wieder gekommen.“, machte er nur und stolzierte an ihr vorbei, gefolgt von dem Geburtstagskind zurück zu den Anderen.
 

„Dein Cousin spricht ja!“, wurde der 17-jährige unverzüglich von dem unnatürlich fröhlichen Jiro begrüßt und Lilli deutete im Hintergrund auf einen Krug mit einer böse aussehendem dunklen Flüssigkeit.

„Ich weiß.“, antwortete Imera so nur halbherzig, „Mit dir etwa auch?“

„Ja!“, strahlte er, hüpfte auf der Stelle herum und fiel plötzlich rückwärts um.

„Ist er tot?“, fragte seine Verlobte gelangweilt und die frisch gebackene 16-jährige blickte als Einzige besorgt auf den Jungen hinab, der plötzlich zu schnarchen begann.

„Er ist mitten im Reden umgefallen und... schläft?!“

Das Stadtmädchen hob beide Brauen und Dafi, am anderen Ende des Tisches, begann zu gackern, was sich einfach nur bescheuert anhörte.

„Ming-Ming!“, quiekte sie völlig hyperaktiv und setzte sich zu Naga auf den Schoß, um ihn zu knuddeln. Was war in diesen wenigen Minuten ihrer Abwesenheit hier geschehen?

„Ming-Ming sagen wir zu einem alkoholischen Getränk...“, erklärte Lilliann ihr da und deutete auf den Krug. Man hatte ihr ihre Frage von der Stirn ablesen können.

„Das Zeug ist total süß und fruchtig, man merkt gar nicht, wie stark das ist. Deshalb ist das Gesöff auch extrem heimtückisch, man liegt schneller auf dem Boden, als man ein Glas leer hat. Mayora hat es uns gerade aufgetischt, weil er gemeint hat, dieses hier wäre nicht so stark wie gewöhnliches Ming-Ming, er hätte extra aufgepasst, dass es nicht zu alkoholisch wird. Aber wie wir sehen ist der Gute im Brauen ein echter Verlierer...“, sie schielte den ziemlich böse dreinschauenden Mayora einen Moment lang an, „Ich hab übrigens keines getrunken, weil ich meinem Baby nicht schaden wollte...“

„Baby?“, fragte Choraly überrascht und Lilli lächelte errötend, „Herzlichen Glückwunsch!“

„Von wem ist es denn?“, fragte Imera grinsend.

„Von mia isses nüsch!“, kam von dem noch immer recht mies schauenden Himmelsblüter von der anderen Tischseite und er hickste, „Würklisch! Und is mia egal, was ia sagt, das Ming-Ming is klasse!“

Er machte sich demonstrativ seinen Becher ein weiteres Mal voll und trank in einem Schluck aus.

„Ich auch noch!“, schrie Tai hysterisch und hielt ihr Glas dabei in die völlig falsche Richtung.

„Ne, du bischt schon ganz besoffn, du grischt nüchts mehr!“, tat der Grünhaarige das todernst ab und hickste wieder.

„Aba isch will noch!“, Tafaye riss ihm den Krug aus der Hand und füllte sich wieder auf, um es in einem Zug auszutrinken und diesen Vorgang dann noch zwei Mal zu wiederholen.
 

„Ich bin sprachlos.“, wisperte das Geburtstagskind völlig entsetzt über dieses Gelage und ihr Freund tätschelte ihren Kopf.

„Das kommt vor!“, machte er gut gelaunt und wandte sich dann ab, schritt stattdessen zu Mayora, um sich zu ihm zu beugen und ihn breit anzugrinsen, „Na?“

„Na?“, fragte dieser ein wenig blöd zurück und blinzelte, „Willscht du auch was trünken?“

„Nein, danke.“, antwortete der Brünette, „Aber wird Tante nicht böse sein, wenn sie erfährt, dass du fast den gesamten Besuch in die Unzurechnungsfähigkeit getrieben hast?“

„Ja, ey.“, mischte sich Lilli wieder müde ein und kuschelte sich an Kura, der gerade zu ihr gekommen war, um sich auf ihren Schoß zu setzen. Dafi ihrerseits saß noch immer bei Naga und schmiegte sich mit größter Hingabe an ihn und er lachte nur gut gelaunt. Irgendwie fand Choraly diesen Anblick eklig, obwohl sie gar nicht wusste, was daran schlimm war und so schaute sie schnell wieder zu Imera. Tafaye, der den Krug gerade komplett leerte, musste sie auch nicht unbedingt vor Augen haben...

„Ich weiß nüscht...“, antwortete der einzige männliche Himmelsblüter am Tisch da nachdenklich, „Bischt du jetzt böse mit mir?“

Sein Gegenüber lachte.

„Mir doch egal, was du mit den Gästen anstellst!“
 

„Mir nicht!“

Alle wandten sich zur Tür, wo nun Chatgaia wieder erschienen war und entsetzt die Arme vor der Brust verschränkte.

„Mayora, ich hab dir doch gesagt, du sollst dieses Zeug weg kippen, es ist dir völlig misslungen, viel zu hochprozentig!“

„Ach escht?“, machte der Junge geschockt, „Merkt man gar nüsch, oder Tafaye?“

„Nööö!“, antwortete dieser ihm voller Elan und hochrotem Kopf und die Älteste schnaubte.

„Du spinnst doch völlig!“, machte sie zornig, „Du hast die ganze Feier ruiniert! Das wird noch Konsequenzen haben, mein Lieber!“

Imera konnte sich das Lachen nicht verkneifen.

„Mayora kriegt jetzt Hausarrest!“, flötete er und Chatgaia warf ihm einen düsteren Blick zu.

„Wo du noch so nüchtern bist...“, kam dann seltsam grinsend von ihr, „Da kannst du ja auch dafür sorgen, dass alle sicher nach Hause kommen.“

„Wie jetzt?“, machte der Brünette entsetzt und die Frau fuhr fort.

„Bloß Dafi lässt du am Besten hier, ihr Weg ist zu weit.“

Er nickte und verzog das Gesicht.

„Kommt, ihr versoffenes Pack!“
 

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Choraly war traurig, dass alles so plötzlich geendet hatte und ihr Freund tat ihr Leid, die Gruppe benahm sich nämlich wie ein Haufen Kindergartenkinder. Ein solches Verhalten kannte man in ihren Kreisen nicht und sowas musste sie auch nicht wirklich wieder haben.

Meinen 17. Geburtstag werde ich wieder in Wakawariwa feiern!, schwor sie sich, während ihr Blick zum Sofa schweifte, auf dem Dafi friedlich schlief. Hoffentlich machte sich ihre dumme Cousine nicht all zu viele Sorgen, wenn sie die Nacht wegblieb... obwohl, der war das vermutlich egal. Arme Dafi...
 

„Sobald du wieder bei Verstand bist, wirst du ordentlich etwas von mir zu hören bekommen, du verdorbener Bursche!“, schimpfte Chatgaia unterdessen in der zweiten Etage mit ihrem Neffen, dem sie gerade dabei half, sein von Tafaye heiß und innig geliebtes Hemd aufzuschnüren, weil er es allein nicht mehr hinbekam.

„Es war nüscht meine Absicht, böse zu sein...“, machte dieser bloß deprimiert, verwirrt und vor allen Dingen todmüde und schwankte einen Moment bedrohlich. Die Ältere seufzte.

„Ist mir schon klar.“, sie streifte ihm das Kleidungsstück von den Schultern, „Aber ein wenig mehr Verstand hätte ich dir zugetraut. Du scheinst doch noch ein kleiner Junge zu sein...“

Er zog eine Schnute, sagte aber nichts mehr und lies sich einfach ins Bett fallen.

„Morgen kannst du ganz viel schimpfen...“, versicherte er ihr mit letzter Kraft und sie verließ lächelnd das Zimmer.
 

Auf der Treppe kam ihr das Geburtstagskind entgegen.

„Choraly.“, machte sie lächelnd, „War es wenigstens ein bisschen schön?“

Sie nickte.

„Ja, natürlich. Vielen Dank für den Aufwand.“

Sie musste dankbar sein, das war sie Atti, die sie erzogen hatte, auf jeden Fall schuldig. Auch wenn sich ihre Gäste wie die Wilden aufgeführt hatten. Ihr Gegenüber seufzte.

„Tut mir bloß sehr Leid, dass es so geendet ist. Ich weiß nicht, was mit Mayora los war...“

Das Mädchen lachte.

„Keine Sorge! Es war ziemlich amüsant, ihn einmal zu sehen, wenn er nicht so furchtbar ernst ist!“

War es wirklich, wenn sie im Nachhinein so nachdachte. Allein wie er gesprochen hatte, damit würde sie ihn ja wunderbar aufziehen können...

„Ja, das Problem ist aber, dass er lieber nichts hätte trinken sollen...“, sagte die Ältere da und die Brünette blinzelte, „Ich wette, morgen hat er wieder Fieber. Das ist ihm nicht bekommen...“
 

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Chatgaia sollte Recht behalten. Als Choraly am nächsten Morgen das Badezimmer verließ, wurde sie von ihr abgefangen.

„Mayora schläft noch.“, berichtete sie ungefragt und schaute sie seltsam an, „Aber ich habe bereits seine Stirn gefühlt, er glüht nur so. Ich kann heute nicht zu Hause bleiben und mich um ihn kümmern und das will ich auch nicht von dir verlangen, Mädchen aus der großen Stadt, aber eine kleine Bitte wirst du mir erfüllen müssen.“

Hatte sie „müssen“ gesagt? Die Brünette schnaubte innerlich. Sie musste gar nichts, wenn überhaupt, dann hörte sie bloß auf ihren Vater! Aber die Dame rief in ihr noch immer ein flaues Gefühl hervor, obwohl sie sich schon längst an ihre Aura gewöhnt hatte, das bedeutete sicher nichts Gutes... sie sollte auf die Missgeburt hören.

„Und die wäre?“, erkundigte sie sich so bloß missmutig und die Himmelsblüterin verengte ihre Augen durch ihren Tonfall kurz minimal, ging aber nicht weiter darauf ein.

„Pass auf, dass er das Bett nicht verlässt. Wenn du mir und ihm einen ganz großen Gefallen tuhen möchtest, mach das Tuch auf seiner Stirn immer mal wieder nass und bring ihm etwas zu trinken. Mehr kannst du nicht machen.“

Mehr hätte sie auch nicht gemacht, aber sie nickte. Ihr Leben war echt abartig. Sie hatte sich mit Imera treffen wollen und jetzt musste sie zuhause bei diesem Trunkenbold bleiben, das würde sie ihm noch heimzahlen. Und wie sie das würde...
 

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Mayora schlief tief und fest, wie das Mädchen feststellte, als sie nach etwa zwei Stunden zum ersten Mal nach ihm sah. Öfter wollte sie nicht in seiner Nähe sein, sie tat nur das Nötigste (wie beim Kräutergarten). Wäre doch gelacht gewesen, sie war adlig und benahm sich schon fast wie... Atti?

Sie sah sich blinzelnd in dem dämmrigen Raum um. Täuschten ihre Augen sie gerade gewaltig oder erblickte sie hier... Lichtbilder (=Fotos)? Woher hatten die Bildmaschinen? Irgendwo hörte es doch mit der Selbstversorgung auf, die Bilder waren fast so scharf wie die, die sie in Wakawariwa oft gemacht bekommen hatte! Da würde sie den kleinen Bastard noch einmal drauf ansprechen müssen...

Sie schnappte sich das Tuch auf seiner Stirn und schwenkte es im Badezimmer kurz aus, um es wieder zurück zu bringen und sich den Bildern genauer zu widmen.

Soweit sie bei dem schlechten Licht erkennen konnte, war auf einem ein kleines Mädchen abgebildet, das süß vor sich hin lächelte. Ob Himmelsblüterin oder nicht, wagte Choraly nicht zu urteilen, die Farben waren bei der Dunkelheit so schlecht zu erkennen und außerdem gab es ja auch normale Menschen mit seltsamen Haarfarben. Auf einem anderen Bild waren Chatgaia und ein Mann, der breit grinste. War das Dorfoberhaupt etwa einmal verheiratet gewesen? Jedenfalls schien Mayora den Herrn ja auch gemocht zu haben... auf dem letzten Bild waren dann drei Personen. Ein kleiner Junge, ein etwas größeres Mädchen und eine Frau. Vermutlich waren da aber einmal noch mehr Leute drauf gewesen, denn es war bloß der rechte Teil des Bildes vorhanden, der Linke war abgerissen. Was für eine Verschwendung von teurem Papier!

„Ich hasse mich.“

Sie sah erschrocken zu Mayora, der mit glasigen roten Augen die Zimmerdecke anstarrte.

„Ich dich auch, na und?“, stellte sie ihm bloß ernüchternd eine Gegenfrage und setzte sich nach einer kurzen innerlichen Überwindung zu ihm ans Bett, gleichgültig auf ihn herab sehend.

„Tut mir sehr Leid, dass ich die Feier ruiniert habe und dass du wegen mir jetzt auch noch hier festsitzt.“, seufzte er bloß betreten.

„Das kann dir auch Leid tun!“, schnappte sie und nahm das halbe Bild, das auf seinem Nachttisch stand, in die Hand, „Woher habt ihr eigentlich Bildmaschinen?“

Er fuhr sich durch sein gerötetes Gesicht und schloss die Augen wieder.

„Von der Forschungsstation.“, begann er leise, „Die stehen ja im Kontakt zu der Welt und bekommen von dort auch Dinge... aber sie nehmen auch Dienstleistungen von Thilia in Anspruch und da hier alles nach dem Tauschprinzip funktioniert, wird auch erwartet, dass wir eine kleine Gegenleistung erhalten. In diesem Fall... Bildmaschinen und Zubehör.“

„Ah...“, machte das Mädchen erleuchtet. Das ergab natürlich Sinn. Die Leute hier schienen wohl auch an ihren Erinnerungen zu hängen... aber wohl nicht an allen...

„Und warum hast du dieses Bild zerrissen?“

Er seufzte leise.

„Das geht dich nichts an...“

Um zu verhindern, dass sie weiter fragte, zog er sich die Decke über den Kopf und kehrte ihr den Rücken. Sie fauchte.

„Du Missgeburt erlaubst dir ja ganz schön was! Und ich kümmere mich auch noch um dich, du des Lebens nicht würdige Kreatur! Ich hasse dich!“

Er rührte sich nicht und das steigerte ihre plötzliche Wut, die nun jede Faser ihres Körpers erfüllte, bloß. Wie hatte er es wagen können, ihr, Choraly Magafi, der Tochter von Uda Magafi, eine Antwort zu verweigern?! Das war ihr in ihrem ganzen Leben noch nicht untergekommen! Das war erniedrigend, das ging nicht! Wenn sie gekonnt hätte, dann hätte sie ihn dafür auf der Stelle erschlagen!

„Sei froh, dass ich kein Mann bin!“, schrie sie ihn deshalb an, „Du widerliche Schande für deine Eltern! Man hätte dich direkt nach deiner Geburt erstechen und verbrennen sollen! Du hast scheinbar keine Ahnung, wo dein Platz auf der Welt ist!“

Sie rang nach Luft und er kauerte sich unter seiner Decke noch mehr zusammen, zeigte aber auch weiterhin keine Reaktion auf ihre Worte und das hätte die Braunhaarige fast zum Platzen gebracht.

„Du widerliches Erzeugnis der Mondgötter!“, machte sie deshalb weiter und hatte schon längst vergessen, über welch belanglosen Grund sie sich gerade fast in den Wahnsinn trieb, „Man hat euch nicht umsonst fast ausgerottet, du respektloses Stück Dreck! Du solltest jemandem wie mir normalerweise zu Füßen liegen, verstanden? Sei dankbar, dass ich dir überhaupt erlaube, mein Sonnenlicht mitzubenutzen! Sobald ich es schaffe, meinen Vater zu erreichen, und glaub mir, dass ist nur noch eine Frage der Zeit, werde ich dafür sorgen, dass ihr alle einen grausamen Tod sterbt und bei dir werden ich zusehen! Schlagen, verbrennen und schneiden soll man dich, Hurensohn!“

Die 16-jährige ließ sich zu Boden sinken und atmete schwer. Wieder fühlte sie sich ein wenig erleichtert, doch in ihrem Inneren brodelte es noch immer. Er gehörte auch dazu, zu den Leuten, die sie gegen ihren Willen festhielten und ihr die Hilfe verweigerten. Er würde ihren unendlichen Zorn eines Tages zu spüren bekommen, genau wie all die andere Weltschanden und es würde sie mit aller Härte treffen, ohne Mitleid. Sie sollten bluten.

Aber noch immer zeigte der Grünhaarige keine Reaktion und mit dem Gedanken, er könnte unglaublicher Weise während ihrem Schreianfall wieder eingeschlafen sein erhob sich das Mädchen und riss ihm die Decke vom Leib.

Fast hätte sie zu schreien begonnen, als sie sah, dass er oberkörperfrei da lag, unterließ es dann aber doch und beugte sich über ihn, um in sein Gesicht zu sehen. Seine roten Augen waren offen und starrten ins Leere, ohne mit einer einzigen Wimper zu zucken.

„Hast du mir überhaupt zugehört?!“, fragte sie ihn grob und er drehte den Kopf zu ihr, fing ihren Blick mit seinem.

„Wie hätte ich weghören können?“, stellte er bloß eine Gegenfrage und sie schnaubte.

„Du bist noch immer frech!“

„Das war nicht meine Absicht.“, machte er nur, „Ich habe einen Vorschlag für dich.“

Sie hob beide Brauen und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Und der wäre?“

Er deutete auf eine kleine Komode, auf der dieses seltsame spitze Ding lag, mit dem er Atti im Traum getötet hatte.

„Das ist eine Enatiri, eine traditionelle Waffe meines Volkes. Ich habe sie von meinem Großvater geerbt.“, erklärte er ihr, „Nimm sie und ramme sie mir in die Brust, ich hätte mit dem Gedanken hier und heute zu sterben kein Problem, aber das dürfte dich eh nicht interessieren. Du kannst das Ding dann Imeras ältestem Sohn schenken.“

Die Jüngere blinzelte ihn ungläubig an. Wie jetzt?

„Du scherzt.“, kam nur und er setzte sich müde auf.

„Nein. Ich meine es ernst.“

Er blickte seine Decke, die nun nur noch seine Beine bedeckte, seltsam an, ohne sich zu rühren und das Stadtmädchen legte den Kopf schief. Dann grinste es.

„Du musst mich schon für sehr dumm halten!“, lachte sie, „Du willst dich für deine Rache an mir selbst opfern, bloß weil du weißt, dass Chatgaia mich dafür in den Kochtopf setzt!“

Sie schüttelte den Kopf und er sah auf.

„Ich will mich nicht rächen, du sprichst bloß die Wahrheit!“, er strich sich eine grüne Strähne hinter das Ohr, „Ich scheine wirklich vergessen zu haben, wo mein Platz auf der Welt ist. Meine Tante ist einfach zu gut zu mir, weißt du? Du bist ein wirklicher Segen!“

Die Brünette blickte ihn eine Weile stumm an, dann senkte sie den Blick.

„Ich nehme alles zurück.“, machte sie leise, „Du bist nichts anderes als die bemitleidenswerteste Kreatur die je gelebt hat.“

Dann ging sie.
 

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Sie sah noch öfters nach ihm, brachte ihm Schmodder-Saft und machte den Lappen wieder feucht und das Fieber sank auch langsam, aber stetig. Doch sprachen sie nicht mehr miteinander, Mayora stellte sich den Rest des Tages schlafend und Choraly tat so, als würde sie es nicht bemerken, das war am einfachsten.

Imera hatte Recht, dachte sie sich, dieser Junge war wie ein Hund, er hatte keinerlei Persönlichkeit. Obwohl... selbst ein Hund knappte, wenn man ihm auf den Schwanz trat.

Ihr Blick schweifte wie am Vorabend irgendwann zum Sofa, als sie so in der Stube herum saß und sich langweilte. Dafi war seit sie aufgewacht war weg. Wie es ihr wohl ergangen war? Sie hatte sicherlich einen schlimmen Kater gehabt... und zuhause hatte ihre Cousine ihr bestimmt noch einmal eins auf den Deckel gegeben. Die Arme, sie tat ihr Leid. Sie sollte sich bloß von Naga fern halten, die beiden gaben kein schönes Paar ab.

Überhaupt konnte sie sich Dafi an der Seite keines Jungen, den sie kannte, vorstellen. Sie war einfach viel zu speziell für eine Beziehung zu einem gewöhnlichen Kerl. Was genau sie so speziell machte, konnte sich das Stadtmädchen auch nicht erklären, es war nun einmal so. Hauptsache, sie hielt sich von Naga fern... Nagaoyao...
 

„Guten Abend.“

Sie sah erschrocken auf. Neben ihr stand urplötzlich Chatgaia. Wo war die denn nun hergekommen?

„Guten Abend...“, stammelte sie dennoch und sah ein wenig verlegen über diese Überrumpelung auf die Tischplatte vor ihr.

Die Himmelsblüterin schritt einmal durch die Küche und sah sich überrascht um.

„Nanu?“, sie lächelte sie seltsam an, „Nichts zu essen?“

„Ich kann nicht kochen.“, seufzte das Mädchen und rieb sich über den Bauch. Sie war ganz schön hungrig...

„Und Mayora hat auch den ganzen Tag nichts zu essen bekommen?“

Choraly schüttelte den Kopf. Wie denn, wenn sie nichts zubereiten konnte?

Die Ältere zischte.

„Du hättest es wenigstens versuchen können.“, machte sie bedrohlich leise, „Du weißt gar nicht, wie dankbar er dir gewesen wäre.“

Sie erwiderte nichts darauf und die Ältere machte sich auf den Weg in die Speisekammer.
 

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Hach, Choraly ist so ein Schätzchen....

Der Fluch des Sehens

„Wie, nichts?“

Mayora schaute überrascht zu seiner Tante, die sich zu ihm ans Bett gesetzt hatte und ihm nun eine Schüssel Suppe in die Hand drückte, die er stumm dankend annahm.

„Es ist nichts geschehen, alles in Ordnung.“, wiederholte er ruhig und pustete auf sein Essen. In ihm war es heiß genug, auch wenn er fror, da musste er sich nicht auch noch die Zunge verbrennen...

„Lüge nicht, ich kenne dich, Neffe.“, machte die Frau seufzend und sah ihn streng an, „Was hat sie schon wieder zu dir gesagt?“

Für Chatgaia war der Junge durchsichtig wie Luft. Sie kannte ihn in und auswendig. Und sie hatte ihn unter Kontrolle, das war besonders wichtig, er war ihr engster Vertrauter. Sie wollte nicht daran denken, was geschehen würde, wenn sie diese Kontrolle irgendwann einmal verlieren würde...

„Bloß die Wahrheit.“, antwortete er ihr da und begann, die Suppe vorsichtig zu löffeln.

Sie schnaubte.

„Die Wahrheit? So wahr, wie die Dinge, die dein Vater dir gesagt hat?“

Anfangs hatte sie es für eine glückliche Fügung des Himmels gehalten, dass dem Wüstendorf eine neue Seele geschenkt worden war, aber mittlerweile war sie der Meinung, dieses Mädchen, so lieb es auch schien, sei pures Gift für die schwache Seele ihres Neffen. Sie sollte ihn nicht noch mehr zerstören. Sollte sie sich doch ein anderes Opfer suchen.

„Aber wenn so viele Menschen es sagen, muss es doch stimmen, oder?“, machte der Junge bloß mit gesenktem Haupt, „Hand aufs Herz, wir kämpfen einen Kampf, den wir nicht gewinnen können, oder?“

Sie sah ihn bitter an.

„Wenn du so denkst, dann tut es mir sehr Leid für dich.“, flüsterte sie und erhob sich, schritt zur Tür, ohne ihn noch einmal anzusehen, „Du solltest stolz auf das sein, was du bist.“

Stolz...

Er grinste verzerrt in die Schüssel hinein.

„Nein... ich hasse es mehr als alles andere.“
 

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Auch Choraly aß Suppe. Sie wusste zwar nicht genau, was darin war, aber es schmeckte nicht schlecht, das war die Hauptsache. Dabei hatte sie gar keinen besonderen Appetit. Wegen der Missgeburt war er ihr vergangen. Wie konnte man bloß so charakterlos sein? Jetzt wusste sie, was Imera meinte; das war wirklich eklig...

In dem Moment, in dem sie an ihren Freund dachte, klopfte es plötzlich an der Tür und überrascht sprang sie auf und hastete zum Öffnen. Vielleicht war er es ja?
 

Er war es nicht.

„Was willst du denn hier?“, fragte sie etwas überrumpelt und ihr Gegenüber grinste verzerrt und knackte demonstrativ mit den Fingern.

„Choraly...“, sagte es nur, „WAS ZUM GEIER ERLAUBST DU DIR, MEINE COUSINE VOLLLAUFEN ZU LASSEN?!“

Sie blinzelte. Wie konnte dieses Horror-Weib es wagen...?

„WAS ZUM GEIER ERLAUBST DU DIR, MICH DANACH ZU FRAGEN?!“

„Und was erlaubt ihr beiden euch, um diese Uhrzeit so herumzuschreien?!“

Sie sahen nach oben, wo Chatgaia sich aus dem Badezimmerfenster lehnte. Allem Anschein nach trug sie bloß eine Art Badetuch um den Körper und ihr unheimlich langes, hell-grünes Haar viel ihr frisch gewaschen und gekämmt über die Schultern. Sie war eine schöne Frau.

Pinita schnaubte bloß.

„Können Sie sich vorstellen, Frau Setari, was wir heute Morgen für Probleme hatten? Dafi ist einfach nicht zur Arbeit erschienen! Und als ich nach ihr gesehen habe, hat sie halbtot in ihrem Bett gehangen und ist nicht aufgekommen! Wundert mich, dass sie heute früh überhaupt den Weg gefunden hat...“

Sie wandte sich wieder an Choraly.

„Hast du dir meine Cousine einmal angesehen? Die hat den Körper eines ganz kleinen Mädchens, nach einem Glas ist die voll bis oben! Sie hat einen totalen Filmriss!“, sie fuhr sich durch ihr kurzes blondes Haar. Ihr war heiß...

„Und ich habe es dem Chef erklären können, dabei übernimmt sie doch eigentlich einen so wichtigen Posten bei uns... das war nicht sehr schön, ich sag es euch.“

Sie seufzte. Das hatte gut getan. Hätte sie ihrer Wut nicht freien Lauf gelassen, dann wäre sie heute Abend geplatzt. An Dafi wollte sie es nicht auslassen, die war mit ihrem Kater schon gestraft genug...

„Tut mir sehr Leid.“, rief Chatgaia da und strich sich ein paar Haarsträhnen hinter die Ohren, „Aber das hat sich unglücklicher Weise so ergeben. Sie hat uns nicht gesagt, dass sie heute hätte arbeiten müssen.“

Choraly runzelte die Stirn. Und sie hatte jetzt bloß den Weg hierher gemacht, um ihnen das an den Kopf zu werfen? Moment, ihr fiel etwas ein.

„Gehört ihr beiden zur IzVü?“

Die Ältere nickte.

„Ja. Da weißt du, wie das ist. Die sind schon ein bisschen strenger als die Wachmänner, auch zu ihren Mitarbeitern... aber gut.“, sie verneigte sich vor dem Dorfoberhaupt (oder zumindest vor dem Badezimmerfenster), „Jetzt geht’s mir wieder besser. Wiedersehen!“

Quietsch-vergnügt drehte sie sich um und ging zurück. Dabei pfiff sie irgendein fröhliches Lied. Das Stadtmädchen starrte ihr mit offenem Mund nach.

„Was... sollte das denn?“, stammelte es und die Magierin im oberen Stockwerk gluckste.

„Das kommt öfters vor. So ist Pinita nun einmal.“
 

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Pinita war doch krank. So krank, dass sie nach der Meinung der Brünetten gut zu Mayora gepasst hätte.

Der Gedanke lies sie kichern, während die junge Frau sich bettfertig machte. Obwohl, das wäre doch nicht so gut. Pinita wäre sicherlich die totale Domina gewesen... Pinita, Domina, das war doch ein unreiner Reim, oder so etwas? Ach, wen scherte es schon... Sicherlich hätte sie den Grünhaarigen dann wirklich an der Leine geführt...

Das Mädchen grinste. Sie sollte versuchen, die Beiden zu verkuppeln, klang interessant.

Im Verkuppeln war sie nämlich gut. Sie hatte Atti damals mit ihrem Mann zusammengebracht. Und das war sehr schwierig gewesen, wo die beiden doch so schüchtern waren.

Sie musste an die kleine Familie denken und seufzte resigniert. Der junge Mann verdiente nicht viel und jetzt war er ganz allein mit seinem kleinen Jungen... das war schmerzhaft. Es tat ihr so Leid...

Bevor sie vor lauter Schuldgefühlen wieder Alpträume bekam, beschloss die 16-jährige dann aber doch lieber schnell schlafen zu gehen.
 

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Während Thilia unter dem sanften Licht des Windmondes ruhte, war in einem Haus, besser einem Zimmer eines Hauses, noch Leben.

Der Raum war düster, geschmückt mit vielen traditionellen Gegenständen des Himmelsblutes und verschiedenen dunklen Tüchern. In mitten dieser befremdlichen Umgebung saß auf einem ebenfalls dunklen Himmelbett eine junge Frau, Shakki Kaera, die einen großen Kristall in den Händen hielt und gebannt hinein starrte.

Sie war ein Kind des Windes und normalerweise fühlten sich Himmelsblüter in dem Jahresviertel ihres Geburtsmondes sehr wohl; sie bildete die Ausnahme.

Sie war eine Seherin. Dazu auserkoren, alles zu erfahren, ohne Grenzen. Wie alle ihre Blutbrüder und -Schwestern empfing sie im Moment eine besonders starke Magie, die ihre Kräfte wachsen lies und das machte sie fast wahnsinnig.

Zu viele Stimmen redeten Tag und Nacht gleichzeitig auf sie ein, erzählten ihr dies und das und sie versuchte das Richtige, eine wichtige Information über die Zukunft ihres Dorfes, herauszufiltern. Schon seit Tagen, erfolglos. Mittlerweile verließ sie ihr Zimmer schon fast überhaupt nicht mehr, bloß um sich frisch zu machen und etwas zu trinken manchmal. Essen konnte sie nicht, würde sie es in so einer Situation tun, würde sie sich sofort wieder übergeben. Ihre Nerven waren am Ende.

Sie war die einzige Seherin im Ort, es gab niemanden, der sie verstand, ihr Leiden. Es hatte mal eine zweite gegeben, Liase, sie war bildhübsch gewesen und hatte einen langen, weiß-blonden Zopf gehabt.

Die junge Frau dachte seufzend an an sie zurück, versuchend, die tausend Stimmen und das Pochen in ihrem Kopf für einen Moment zu ignorieren. Liase war schon gestorben, als Shakki ein ganz kleines Mädchen gewesen war. Sie erinnerte sich, dass sie ihr manchmal Tipps gegeben hatte, wie sie die Stimmen besser unter Kontrolle halten konnte, aber das war sehr lange her. Und genutzt hatte es allem Anschein nicht. Liase war irgendwann wahnsinnig geworden und hatte sich von den Klippen gestürzt. Und Shakki hatte es gesehen, obwohl sie nicht dabei gewesen war. Sie hatte schon so viele sterben sehen...

Einen Moment flackerte vor ihrem inneren Auge das Bild von Naputi Magafi auf, Choralys hübscher Mutter. Der armen Frau, die in einer Welt, fernab von Thilia oder Wakawariwa oder dem Eisland war und um ihr Sein fürchten musste...

Die Schwarzhaarige legte den Kristall aus der Hand und massierte ihre Schläfen. Wenn es nicht so verdammt schmerzen würde...

„Warum quält ihr mich so...?“, flüsterte sie leise in die Stille, aber darauf antwortete ihr niemand.
 

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„Bist du noch sauer?“

Pinita atmete laut aus und drehte sich zu ihrer Cousine um, die auf dem Rücken lag und stur zur Decke blickte. Auf stumme Bitten der Kleineren übernachtete die 18-jährige bei ihr, das war immer noch so gewesen, wenn Dafi sich schlecht gefühlt hatte. Und das war sie ihr aus schuldig.

„Nein, ich hab mich an Choraly abreagiert.“, antwortete sie dann dumpf und die Kleine sah zu der Älteren.

„Choraly ist ein armes Mädchen, sei lieb zu ihr.“, bat sie, „Versetze dich einmal in ihre Lage, sie ist ganz allein hier.“

„Ja.“, machte die Andere, „Ich mag sie trotzdem nicht. Aber wenn du sie magst, verbiete ich dir nicht, dich mit ihr abzugeben. Tu oder sag bloß nichts unüberlegtes, ja?“

Die Jüngere seufzte.

„Ja...“
 

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Am nächsten Morgen war dann wieder alles beim Alten. Chatgaia verließ früh das Haus und als das Stadtmädchen aufgestanden war und sich fertig gemacht hatte, fand sie in der Küche einen liebevoll gedeckten Frühstückstisch vor, aber jemand fehlte.

„Missgeburt?“, fragte sie überrascht in den scheinbar leeren Raum, „Kräuterheini?“

„Ein neuer Name für mich?“

Sie drehte sich um und erblickte Mayora, der sie leicht anlächelte.

„Guten Morgen.“, machte er dann und schritt zum Tisch, „Isst du mit mir oder soll ich lieber weg gehen?“

Sie blinzelte. Nach all dem, was sie zu ihm gesagt hatte, war er noch so lieb...? Was wunderte sie sich, langsam sollte sie es ja gewohnt sein...

„Ich esse mit dir.“, antwortete sie deshalb freundlicher Weise und gesellte sich zu ihm, sich ein Brötchen-ähnliches Teil greifend und dann mit Kaliri-Aufstrich zubereitend.

Er tat es ihr gleich und überlegte eine Weile, ob es wohl besser war, still zu sein, entschied sich dann aber doch dagegen. Wenn er schon einmal nicht allein frühstücken musste, dann wollte er auch etwas davon haben.

„Hast du etwas Schönes geträumt?“, fragte er sie deshalb freundlich und sie schnaubte, wie sich herausstellte aber nicht über ihn, sondern eher über den Inhalt seiner Frage und hielt im Streichen inne.

„Schön war das nicht!“, machte sie, „Ich hab von Pinita und dir geträumt!“

„Das ist schlimm.“, bestätigte er todernst und sie schüttelte energisch den Kopf.

„Nein, das meine ich nicht, nicht direkt!“

Der Junge sah auf. Es war nicht schlimm, von ihm zu träumen? Das war ja fast schon ein Kompliment... er hatte plötzlich so gute Laune...

„Was denn dann?“, bohrte er neugierig weiter und sie verzog das Gesicht und wandte den Blick verlegen ab.

Leck meine Stiefel, du Wurm!“, machte sie und beide erröteten.

„Was soll ich? Ich meine, du trägst doch Sandalen...“

Mayora schaute sie naiv und peinlich bewegt an. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, dass er tatsächlich dazu bereit gewesen wäre, der „Forderung“ nachzukommen und schüttelte sich vor Kram.

„Nicht meine, du Idiot!“, grummelte sie, „Pinitas. Pinitas Lackleder-Stiefel, ja...“

Der Grünhaarige blinzelte benommen. Was sagte sie?

„Pinitas Lackleder-Stiefel? Oh... oh, wir haben doch nicht etwa unanständige Sachen gemacht?!“, nun überkam auch ihn eine Gänsehaut, „Für sowas bin ich doch nicht der Typ...“

Choraly hielt es für besser, darauf nicht mehr zu antworten. Gleichzeitig kam sie sich ziemlich seltsam vor, von so einem Traum hätte sie in Wakawariwa niemals jemandem erzählt, noch nicht einmal Atti. Was die wohl von ihr gedacht hätte?

„Ich schwöre, ich werde niemals an Pinitas Stiefeln lecken, die würde mir bloß auf die Zunge treten...“

Der 17-jährige murmelte unterdessen leicht traumatisiert vor sich hin. Jetzt würde er der Blonden die nächsten drei Monate nicht ins Gesicht blicken können, ohne dabei Nasenbluten zu bekommen, ganz toll. Dass er den Satz vielleicht ein klein wenig zu wörtlich nahm, kam ihm dabei nicht in den Sinn... da war es ihm fast schon Recht, dass seine Mitbewohnerin das Thema plötzlich wechselte.

„Sag mal...“, machte sie und stützte ihr Gesicht auf den Händen ab, sich etwas über den Tisch beugend, „Ich hab ja schon gemerkt, dass Imera und du euch nicht besonders mögt aber ich denke mal, du als Obermacker weißt doch sicher, wo er wohnt? Ich würde ihn gerne einmal besuchen gehen... wir sind jetzt zusammen.“

Er blinzelte und dachte plötzlich gar nicht mehr an die Blondine, vor der er im Übrigen ein wenig Angst hatte. Sie war größer als er...

„Ihr seid jetzt also zusammen.“, wiederholte er ernst, „Na meinetwegen, ich zeige dir, wo er lebt.“

So ging sie dahin, die gute Laune...
 

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Imeras Haus war weder besonders groß, noch besonders klein und weder besonders hübsch, noch besonders hässlich. Neben dem Eingang stand ein großer dürrer Baum, der dürftigen Schatten spendete und ein Schild, das abermals mit seltsamen Schriftzeichen beschrieben war, mit seinen Zweigen fast überdeckte. Das Mädchen seufzte. Analphabet zu sein war ätzend...

„Imeras Onkel ist Schreiner.“, erklärte ihr Begleiter ihr da und sie sah zu ihm auf, „Er lebt bei ihm und seiner Familie.“

„Wie du bei deiner Tante?“, wollte sie wissen und er nickte.

„Ich werde jetzt...“

Noch ehe er den Satz zu Ende sprechen konnte, öffnete sich die Haustür und eine Frau, eindeutig ein Mensch, blinzelte die Beiden mit großen Augen an. Mayora seufzte innerlich. Zu langsam...

„Guten Morgen!“, wurden sie von ihr begrüßt, „Was für eine seltene Ehre.“

Der Grünhaarige schenkte der Dame einen seltsamen Blick und die zog kurz die Brauen zusammen, dann nickte sie unmerklich, so leicht, dass Choraly glaubte, sie habe sich versehen. Schließlich lächelte sie.

„Und du bist sicherlich Choraly Magafi, Imeras kleine Freundin? Er war ganz stolz, als er nach Hause kam...“

Das Mädchen nickte errötend. Der kleine Kura hatte die Augen seiner Mutter, fiel ihr nebenbei auf...

„Mein Name ist Kahana.“, die Frau verneigte sich, „Mein Mann ist im Moment nicht da und mit meinem Sohn hast du sicher schon Bekanntschaft gemacht?“

Abermals nickte die Jüngere, lächelte dieses Mal aber.

„Ja. Er ist sehr niedlich!“

Kahana lachte.

„Das ist er!“, sie kehrte ihnen den Rücken, „IMERA!“

„Ich gehe jetzt.“, murmelte Mayora unterdessen gedämpft und seine Mitbewohnerin musste grinsen. Er ging dem Streit so gut wie möglich aus dem Weg. Eigentlich war er ganz amüsant.

„Und ihr vertragt euch immer noch nicht?“, fragte Kuras Mutter da und lehnte sich an den Türrahmen, auf ihren Neffen wartend. Der Junge schüttelte den Kopf.

„Das werden wir nie mehr.“, antwortete er ihr dumpf und sie senkten zeitgleich den Blick. Das Stadtmädchen kam sich ein wenig ausgeschlossen vor und schnaubte. Wie gemein. Aber Imera würde ihr sicherlich erzählen, was vorgefallen war. War so wie so die Schuld des Kräuterheinis...

„Ich bin da!“, schallte es da von drinnen und nach ein wenig unschönem Gerumpel erschien der brünette Junge altbewährt grinsend neben seiner Tante, die aufsah und ihm zunickte, sich dann abwandte und im Reingehen noch etwas von „Hübsche Freundin!“, murmelte.

„Liebster!“, quiekte die 16-jährige und stürzte sich in seine Arme, nicht bemerkend, wie er ihrem Mitbewohner über ihre Schulter hinweg einen schadenfrohen Blick zuwarf und der sich darauf abwandte.

„Auf Wiedersehen.“, kam nur noch, da verschwand er ohne auf eine Erwiderung zu warten.

Das Paar kicherte bloß.

„Dummer Junge.“, machte Choraly, „Er lässt sich wirklich alles gefallen.“

„Alles.“, bestätigte ihr ihr Freund, „Ausnahmslos alles. Gehen wir irgendwohin, wo wir ganz alleine sind?“
 

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Der Himmelsblüter schritt derweil monoton zurück nach Hause. Er hatte heute nicht viel zu tun und das Mädchen aus der großen Stadt war auch unterwegs, wie langweilig. Vielleicht sollte er Pinita suchen?

Er hielt inne und verzog einen Moment das Gesicht, spürte dann plötzlich eine kalte Hand, die von hinten nach ihm griff und drehte sich überrascht um.

„Shakki.“, machte er kurz perplex, kehrte dann aber wieder in seine Monotonie zurück, „Was führt dich in diesen Tagen aus dem Haus? Das bedeutet sicher nichts Gutes, nehme ich an?“

Die junge Frau schüttelte keuchend den Kopf. Hätte das Stadtmädchen sie nun so gesehen, hätte sie sie nicht mehr für eine Göttin gehalten.

Ihr an sich recht ansehnliches Kleid hatte sie sich bloß notdürftig übergeworfen und sie trug weder ihren wertvollen Schmuck, noch die edle Schminke und ihr langes lockiges Haar hatte sie sich auch einfach bloß weggesteckt, was den unschönen Blick in ihr fahles Gesicht mit den tiefschwarz unterlaufenen Augen freigab.

„Ich finde die richtige Antwort nicht.“, erklärte sie dennoch überraschend gefasst und strich sich über ihr Antlitz, „Aber ich habe etwas anderes herausgefunden, dass ich unbedingt der Öffentlichkeit erzählen muss.“

„Und das wäre?“, fragte der junge Mann und sie blinzelte ihn bedrohlich an.

„Der Sandsturm wird kommen.“
 

Aber erst in ein paar Tagen und so hielt er es für besser, seine Tante nicht von ihren 'Angelegenheiten' wegzuholen, sondern sich erst am Abend mit ihr zu beraten. Shakki nahm er inzwischen einfach mit zu sich, um ihr einen speziellen Tee zu kochen.

„Ich weiß nicht, ob er wirkt.“, sagte er ihr ehrlich, als er die Tasse vor ihr auf dem Tisch abstellte und sie nicht aufsah, ihm aber trotzdem aufmerksam lauschte, „Rein theoretisch schon. Er hemmt dein magisches Blut und so die Fähigkeit, die Stimmen zu hören, damit du nicht auch noch wahnsinnig wirst.“

„Und was ist, wenn mir etwas wichtiges entgeht?“, fragte die Schwarzhaarige bloß gedämpft ohne aufzusehen und er setzte sich zu ihr und lächelte leicht.

„Dann wird dir das niemand übel nehmen, glaub es mir.“

Sie seufzte. Ihre Vernunft sagte ihr, sie solle es bleiben lassen. Mayora hatte ein ausgeprägtes Talent, wenn es darum ging, neue Medikamente zu erfinden und herzustellen und so zweifelte sie auch kaum an der Wirkung des Gebräus, ganz davon abgesehen, dass eine der tausend Stimmen in ihrem Kopf das auch bestätigte. Aber schließlich erlag sie doch der Versuchung, eine Zeit lang aus diesem Alptraum namens „Das Leben der Seherin“ zu entfliehen und trank ein paar Schlücke, dann fiel ihr etwas auf.

Die Gedankengänge ihres Gastgebers waren wie immer so leicht zu durchschauen, vermutlich hatte sie es bloß noch nicht bemerkt, weil sie so benebelt war und sie wünschte sich, die Stimmen und auch ihr logisches Denken würden sich irren.

„Mayora Timaro.“, sprach sie ihn mit vollem Namen an und violette Iriden trafen auf rote, „Du arbeitest doch nicht etwa an einem Medikament, das die Kräfte des Himmelsblutes für immer komplett aufhebt... und aus den Kindern der Götter normale Menschen macht?“

Er blickte ertappt zur Seite.

„Ich enthalte mich einer Antwort, du kennst sie so wie so schon.“

Fragen von Shakki waren immer so überflüssig, fand er.

Sie vergrub das Gesicht in den Händen.

„Das kannst du nicht machen!“, kam dann leise, „Du kannst dein himmlisches Blut doch nicht einfach wegwerfen, es ist ein Geschenk!“

Er schnaubte und sah sie wieder an.

„Ein Geschenk, dass dich seelisch und auch körperlich krank macht. Und ein Geschenk, dass uns fast ausgerottet hätte. Im Großen und Ganzen und rein biologisch gesehen sind wir alle normale Menschen mit einem völlig kranken Gendeffekt, der uns seltsame Dinge vollbringen lässt.“

Shakki sah wieder auf und keuchte.

„Wie kannst du nur?“, fragte sie, „Und was ist mit den Stimmen?“

Er grinste verzerrt.

„Wahrscheinlich haben wir einfach alle einen Dachschaden...“

Wie kannst du uns so verleugnen, Sohn?, wurde er im selben Moment von einer traurigen Stimme in seinem Inneren gefragt, doch er ignorierte sie. Er war sauer. Es machte ihn traurig, die arme Shakki so zu sehen, die seit ihrer Geburt so gequält war.

Normale Himmelsblüter entwickelten ihre Fähigkeiten erst mit dem Eintritt in die Pubertät, Seher hingegen hatten sie schon wenige Tage, nach dem sie zur Welt gekommen waren. Es war ein Jammer, wie die junge Frau immer im Mitte des Augusts litt, seit sie ganz klein gewesen war.

Nein, ein einziges Mal hatte der junge Mann einen Traum, nämlich die 'Krankheit', wie er es heimlich für sich nannte, an der sie alle 'litten', zu besiegen. Das war auch schon als kleiner Junge sein einziger Wunsch gewesen und er würde es auch schaffen, obwohl er sich ein Leben als Mensch überhaupt nicht vorstellen konnte.

Er würde das angenehme Gefühl der Mondenergien in seinem Inneren sehr vermissen... aber darauf würde er verzichten können. Ganz sicher und egal, was alle anderen sagten. Bloß ein einziges Mal wollte er egoistisch sein. Nur einmal.
 

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„Ist das schön!“

Choraly strahlte. Blumen, überall waren Blumen! Niemand war hier, bloß sie und ihr Liebster, dieser Anblick gehörte allein ihnen!

„Ja, mir gefällt es auch.“, bestätigte der junge Mann da und lächelte verträumt, „Deshalb habe ich dich ja hierher gebracht. Hierhin gehörst du, in das Blütenmeer. Dieses hässliche Dorf beißt sich doch mit deiner Schönheit.“

Sie warf sich in seine Arme um ihn zu knuddeln und er lachte. Sie war so süß. Und sie war nur ihm.

„Du bist so lieb!“, quiekte sie unterdessen, „Du bist so nett und hübsch und... ach, ich weiß nicht.“

Sie sah zu ihm auf.

„Wenn ich wieder zurück nach Wakawariwa gehe, dann kommst du doch mit, oder?“

Sich einer Antwort enthaltend beugte er sich einfach zu ihr und küsste sie zärtlich auf den Mund. Was für eine überflüssige Frage...
 

„Und wie gedenkst du, von hier wegzukommen?“, wollte Imera dann wissen, als sie sich wieder gelöst hatten und schaute sie ernst an.

Sie senkte traurig den Blick.

„Ich weiß nicht.“, gestand sie, „Auf jeden Fall musst du mir helfen und immer zu mir halten, ja?“

Grinsend nickte er. Vielleicht war es einfacher, als sie es sich vorstellte.

„Wenn ich dir einen Tipp geben darf...“, machte er deshalb leicht grinsend, „Du bist schön und intelligent, hast Charakter und weißt genau, was du willst. Behalte es dir vor Augen und beiße in den sauren Apfel!“

Sie blinzelte.

„Wie meinst du das?“

Das waren zwar alles nette Komplimente, aber sie wusste nicht, was er ihr damit mitteilen wollte.

Der Junge seufzte leise.

„Stell dich gut mit möglichst vielen Leuten. Je mehr du auf deiner Seite hast, desto leichter wird die Flucht. Und sobald du Mayora und Pinita gewonnen hast, hast du so gut wie gesiegt.“

Sie würde für ihn Intrigen schmieden müssen, dachte er sich, sie hätte die Macht dieses ganze Dorf gegen einander aufzustacheln und gerade dann, wenn es für diesen verfluchten Ort zu Ende ging, würde er mit ihr in die große Stadt gehen. Sie war reich, er müsste niemals einen Finger krumm machen (mal davon ab, dass er so wie so in so ziemlich allen handwerklichen Bereichen total talentfrei war). Sie würden total modern leben, wenn sie seine Frau war konnte sie ihr Politik-Ding durchziehen und er wäre dann den Rest seines Lebens damit beschäftigt, die Kinder aufzuziehen. Mindestens drei. Höchstens sechs. Er hatte eine genaue Wunschvorstellung, aber damit wollte er das arme Mädchen jetzt noch nicht überrumpeln.

Ihre Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

„Und wie kann ich mich mit den Beiden gut stellen? Ich hasse sie...“

Als ob das ein Problem gewesen wäre. Er grinste.

„Die meisten Leute, mit denen ich gezwungener Maßen zu tun habe, hasse ich. Man lernt es schnell zu verdrängen, glaub mir. Außerdem bin ich ein guter Beobachter...“, er zwinkerte ihr zu, „Bei Pinita kannst du Punkte machen, wenn du sie anhimmelst, ihr ein wenig nachrennst und dich herumkommandieren lässt. Sie ist halt so eine Domina...“

Choraly hustete. Sie hatte es gewusst, so absurd waren ihre Gedanken also gar nicht!

„Und bei Mayora ist es noch einfacher.“, erklärte er weiter, „Sei einfach nett zu ihm. Ein paar liebe Worte können Wunder bewirken. Du kannst ihn auch zu deinem Privat-Sklaven machen, ganz einfach, indem du besser zu ihm bist, als Chatgaia.“

Sie starrte ihn erstaunt an.

„Du kennst dich aber aus.“, kam dann und er blinzelte, „Wie kommt das denn?“

„Ganz einfach.“, seufzte er, „Ich habe einfach Dafi über Jahre hinweg beobachtet, wie sie ihre Cousine an sich bindet. Und bei Mayora hab ich schon selbst die Erfahrung machen dürfen.“
 

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Shakki starrte in ihre leere Tasse.

„Höllentrank!“, sprach sie und ihr Gastgeber grinste leicht.

„Hat geklappt, oder?“

Sie nickte.

„Es ist ganz still in meinem Schädel und vor deinen Gedanken hängt ein dunkler Schleier.“

Eine Weile herrschte Schweigen und das Mädchen fragte sich, was in dem Kopf des Grünhaarigen nun vorging. Es war ungewohnt, so blind und taub durch das Leben zu gehen. Wie die Anderen es wohl empfinden würden, wenn man ihnen ein paar Minuten lang seherische Fähigkeiten schenken würde...?

„Liebste...“

Sie schreckte auf. Ihr Gegenüber starrte auf die Tischplatte.

„Ich denke, das ist die richtige Gelegenheit, um sich zu unterhalten, oder?“

Sie nickte vorsichtig. Das war sie ihm schuldig, ja. Aber wie sollte sie ihre Entscheidung erklären?!

„Es ist drei Jahre her!“, machte sie deshalb abwehrend und schnaubte, „Wir waren noch kleine Kinder, nenn mich nicht mehr Liebste!“

Er sah einen Moment entsetzt auf, dann fasste er sich wieder.

„Sag mir gefälligst, was ich falsch gemacht habe!“

Sie senkte den Blick. Ja, genau das war es ja – nichts.

„Es hat nicht an dir gelegen...“, machte sie leise und starrte wieder in die Tasse, „Aber ich wusste zu viel. Ich hab versucht, zu ignorieren, was man mir andauernd zugeflüstert hatte, aber es ging nach einer gewissen Zeit einfach nicht mehr. Du warst zu leicht zu durchschauen, ich hab es nicht ausgehalten! Ich bin nicht für eine Beziehung, ich werde für immer allein bleiben müssen, ansonsten werde ich wirklich noch wahnsinnig!“

Er fixierte sie, ohne ein Gefühl andeutungsweise zu zeigen.

„Ich bin also zu leicht zu durchschauen... danke, Liebste, dass du mir das noch gesagt hast. Es ist so schade um so eine schöne Frau wie dich.“

Sie lächelte traurig.

„Andere Mütter haben auch schöne Töchter.“
 

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„Was soll der Terz?!“, schrie Uda Magafi und fegte mit einem Schlag alle Papiere, die vor ihm auf dem Tisch lagen, zu Boden.

Seine Kollegen, der Senat von Noboka., der sich aus jeweils einem Vertreter jeden Landes und einem der Kontinentalhauptstadt zusammenfügte, schauten ihn bloß feindselig an.

„Gut gemacht.“, grummelte der Vertreter von Goina-Reâ ironisch, „Sie haben Kamake beleidigt, indem sie vorzeitig abgereist sind und Sie haben einen schwerwiegenden Vertragsbruch mit Mon'dany begangen, indem Sie einfach Wachtruppen in die Wüste geschickt haben! Ist Ihnen eigentlich klar, dass wir wegen Ihren komischen Launen vor einem erneuten Weltkrieg stehen?“

Choralys Vater sagte nichts und schnaubte nur. Ja, er hatte Fehler gemacht, aber es war doch um seine Familie gegangen!

„Takama und Fokua haben ihre Neutralität erklärt.“, sprach Wakawariwas Senator missmutig, „Was glauben Sie, wer sich gegen uns verbünden wird?“

Er antwortete nichts. Sie malten den Teufel an die Wand, aber wenn er seine Klappe zu weit auftat, riskierte er vielleicht seinen Beruf...

„Nun übertreiben sie aber nicht!“, die Vertreterin Vetewas, einem winzigen Land des Südens, gab dem Mann überraschend Rückendeckung, „Noch haben wir nichts Weiteres als zwei Beschwerdebriefe, ja?“

Genau dieser Meinung war Uda Magafi auch. Himmel...

„Ja, aber daraus kann ratz-fatz noch etwas ganz ganz Schlimmes werden!“, flötete der Herr für Arika, einer kühlen Nordregion, und spielte mit einem pinken Stift. Atti hatte immer gesagt, er sei so schwul, das ging schon gar nicht mehr...

„Ach, das bringt doch jetzt alles nichts!“, schaltete sich Wakawariwas Senator wieder ein und räusperte sich, „Wir müssen jetzt erst einmal eine Weile beobachten, wie sich die Lage entwickelt. Und wir müssen den Süd-Kontinenten in die Ärsche kriechen...“

Den letzten Satz hatte er leiser zu sich selbst gemurmelt, aber die, die ihn dennoch verstanden hatten, gaben ihm stumm recht. Schöne Sauerei.

„Und Sie!“, der Mann von Goina-Reâ zeigte auf Magafi, „Sie geben sich jetzt besonders viel Mühe! Schließlich sind sie der Alleinverantwortliche! Sie haben ganz schönes Glück, dass Sie uns sonst immer so treue Dienste geleistet haben, sonst würden Sie sich schon längst in der Gosse wieder finden!“

Choralys Vater seufzte. Hatten die denn kein Privatleben? Irgendjemanden musste es doch geben, der ihn verstand? Er hatte seine komplette Familie verloren!

Oder auch nicht, dachte er. Den Leichnam seiner Tochter hatte man nicht gefunden. Vielleicht lebte sie ja noch, irgendwo? Wer wusste es schon? Vielleicht war sie ja auf Nomaden getroffen oder etwas in der Richtung und saß nun irgendwo ganz weit weg fest, ohne Kontakt mit zu Hause aufnehmen zu können?

Er grummelte.

Was sollte er sich wünschen? Dass es so war und sie nun für den Rest ihres Lebens allein bei Wilden leben musste oder dass sie irgendwo tot im Sand lag?

Ihm gefiel irgendwie keine der beiden Varianten...
 

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Shakki-Action, einself+9 ^o^

Btw. lustig, hier werden die Regeln auch jeden Tag geändert "XD

Intelligenz und ihr Gegenteil

„Sandsturm?“

Chatgaia hob beide Brauen und auch Choraly blinzelte ihren Mitbewohner überrascht an, während sie noch ihr Gabel-ähnliches Instrument im Mund hatte.

„Ja, Shakki war da und hat mir davon erzählt. In etwa einer Woche wird wieder einer kommen.“

Mayora sah nicht auf und aß seelenruhig weiter. Seine Tante war beunruhigt.

„Wie schlimm?“, fragte sie und er sah auf.

„Wir werden es überstehen.“, machte er.

Das Stadtmädchen sah bloß verwirrt zwischen Beiden hin und her. Ein richtiger Sandsturm?

„Sind wir in Gefahr?“, wollte sie wissen und die Himmelsblüter schauten sie an.

„Stürme bringen immer Gefahr, Mädchen.“, kam etwas irritiert von der Ältesten und ihr Neffe wandte sich wieder ab. Wenn es nicht gefährlich gewesen wäre, dann hätte Shakki sie wohl kaum gewarnt...
 

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Am späteren Abend, Choraly war sich gerade am bettfertig machen, klopfte es noch einmal an der Haustür.

„Wer kommt denn noch zu dieser Zeit?!“, hörte sie ihre Gastgeberin aus irgendeinem Zimmer zischen und es war wohl Mayora, der öffnete.

Wie unhöflich, dachte sich das Mädchen bloß und zupfte ihr Nachthemd zurecht, da trat jemand in ihr Zimmer.

„Huch!“, wurde sie von Dafi begrüßt, „Ich hätte klopfen sollen, tut mir Leid!“

„Macht nichts.“, erwiderte die Brünette perplex, „Was machst du denn hier?“

Die Größere senkte ihren Blick verlegen und seufzte.

„Ich muss immer so lang arbeiten.“, begann sie, „Und ich habe mir Gedanken um dich gemacht, wo du doch ganz allein bist. Ich meine, ich verstehe dich und, da dachte ich, ich sehe lieber mal nach dir.“

Sie blickte scheu wieder auf und lächelte. Die Jüngere lächelte auch. Es war wohl schon richtig gewesen, dieses Mädchen auf Anhieb gern zu haben, obwohl es kein Mensch war. Sie hatte allem Anschein nach ein Herz aus Gold.

„Danke.“, seufzte sie, „Aber lass das lieber, Chatgaia scheint das nicht gern zu sehen und ganz allein bin ich auch nicht mehr. Imera und ich sind jetzt nämlich zusammen.“

Sie strahlte und die Ältere blinzelte überrascht. Das hatte Mayora zugelassen?

„Das freut mich sehr für dich!“, entgegnete sie dennoch, „Aber ich schaue trotzdem gern nach dir, ja?“

Sie setzte sich auf das Bett des Stadtmädchens und sah mit großen Augen zu ihr auf.

„Denkst du, wir können Freundinnen werden?“

So direkt war sie noch nie gefragt worden und deshalb entgleisten ihr wohl auch zunächst die Gesichtszüge ein wenig. Über Freundschaft konnte man nicht bestimmen, das ergab sich wenn überhaupt von selbst; sogar sie wusste das. Ihr Gast starrte inzwischen verschüchtert zu Boden.

„Äh...“, machte sie da, „Ich meine, wir können es versuchen, aber wir wissen doch noch gar nicht, ob wir gut miteinander klar kommen!“

Die Ältere kratzte sich etwas verlegen am Kopf.

„Ich weiß, aber ich denke, wir könnten gute Freundinnen werden!“, sie sah wieder auf, „Weil wir uns verstehen. Weil wir schlimme Dinge durchmachen mussten.“

Das war allerdings wahr. Choraly senkte den Blick und setzte sich zu ihr. So weit hatte sie noch gar nicht gedacht.

„Du hast Recht.“, machte sie leise und ohne es verhindern zu können tauchten vor ihrem inneren Auge wieder die furchtbaren Bilder auf, ließen ihre Iriden nass werden, „Wir werden beste Freundinnen, ja?“

Dafi nickte und schenkte ihr einen besorgten Blick, als sie zu schluchzen begann. Oh je, sie hatte sie nicht daran erinnern wollen, wie dumm von ihr!

„Tut mir Leid.“, seufzte sie und legte einen Arm um die Kleinere, „Aber wenn du zu viel weinst, macht das deine Mama im Himmelreich auch traurig, das würde sie nicht wollen.“

Die Braunhaarige nickte und kuschelte sich ein wenig an die Himmelsblüterin. Es erschreckte sie, als sie feststellte, wie dünn sie wirklich war, sie schien nur aus Knochen zu bestehen.

„Sag mal...,“, begann sie deshalb vorsichtig, „Bist du irgendwie krank...?“

Es dauerte, bis die Ältere antwortete.

„Frag nicht weiter nach.“, sagte sie, „Irgendwann unterhalten wir uns darüber. Ich bin nicht krank.“
 

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Sie glaubte ihr. Etwas anderes blieb ihr auch kaum übrig und dennoch fand sie es seltsam, als sie schließlich am späten Abend in ihrem Bett lag und in das spärlich erhellte Zimmer blinzelte. Jede Nacht war mondhell, hier schien es noch nicht einmal Schönwetterwolken zu geben...

Das war wohl das Letzte, woran sie dachte, bevor sie einschlief und zum ersten Mal seit einigen Tagen wieder träumte.
 

Sie war in der Wüste, aber nicht direkt in den Dünen, sondern auf einer ebenen, festeren Fläche. Vor ihr war ein seltsames Gebäude, das ihr irgendwie Angst einjagte, obwohl es gar nichts besonderes daran gab. Sie hörte ein metallisches Geräusch und aus einer großen Tür stürmten drei kleine Kinder. Eines war etwas größer als die anderen beiden und wie der kurze Rock erkennen ließ wohl ein Mädchen, bei den Kleineren war sie sich nicht sicher. Die Welt war verschwommen und so hörte sie sich auch an, so seltsam es auch klang, sie konnte bloß das Wenigste genau erkennen. Und dann war plötzlich alles weg und sie befand sich in völliger Dunkelheit. Nach einem Augenblick tauchte vor ihr ein kleiner Junge auf, der bitterlich weinte, danach war es vorbei.
 

Sie erwachte und das Erste was sie tat war seufzen. Was brachten ihr solche Träume? So etwas war nichts für Menschen, wenn sie wieder in Wakawariwa war, musste sie sich unbedingt untersuchen lassen...
 

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Am nächsten Morgen war sie dann allein. Mayora war so freundlich gewesen, ihr einen kleinen Zettel zu hinterlassen, jedoch machte er sich mit diesem nicht besonders beliebt.

„Missgeburt!“, quiekte die junge Frau außer sich, „Ich kann das nicht lesen, was denkt der sich denn?!“

So machte sie sich mies gelaunt auf den Weg ins Dorf, um sich zu beschweren. In einem hatte der junge Mann Recht; besonders schlau schien er wirklich nicht zu sein...
 

Zu ihrem Pech, heute schien wirklich nicht ihr Tag zu sein, war die einzig interessante Person auf die sie schließlich traf, Kura, der sie bloß blöd anschaute, während sie ihm peinlich berührt von ihrem Leseproblem berichtete.

„... jedenfalls kann ich das Gekrakel kein bisschen lesen.“, seufzte sie und wedelte mit dem Stück Papier in der Luft herum, „Du ließt mir das wohl auch nicht vor, oder?“

Er zuckte mit den Schultern und griff danach, las es sich durch und die Brünette seufzte.

„Komm schon, ich geb dir auch einen Kuss!“

Errötend blickte der Kleine auf, dann wieder zu dem Zettel.

„Sandsturm.“, murmelte er da kaum hörbar, „Leute warnen.“

„Ah!“, machte die Ältere erleuchtet. Na gut, mit ein bisschen Fantasie hätte sie sich das auch denken können, aber so fit war sie zu frühen Morgenstunden noch nicht. Apropos Morgenstunden, musste der Zwerg nicht eigentlich in die Schule?

Sie beschloss nach kurzem Zögern, ihn lieber nicht weiter danach zu fragen; sie wollte sich da in nichts einmischen. War ja auch nicht ihr Problem.

So kniete sie sich bloß zu ihm und grinste.

„Ihr Männer seid doch alle gleich.“, flüsterte sie und küsste ihn auf die Wange, worauf er die Arme um sie legte und sich an sie kuschelte.

„Hey!“, quiekte das Stadtmädchen überrascht auf den Jungen hinab sehend, „Du willst deinem Cousin doch nicht die Freundin ausspannen?!“

Er reagierte nicht darauf und schmiegte sich weiter an sie. Choraly lachte perplex.

„Kura? Alles okay?“, wollte sie wissen und erschreckte sich zu Tode, als sie hinter sich einen Schatten wahrnahm.

„Gehörst du nicht eigentlich in die Schule?“

Das Mädchen atmete erleichtert über nichts und wieder nichts aus.

„Imerachen...“, begrüßte sie den jungen Mann, doch der beachtete sie gar nicht, visierte bloß das Kind in ihrem Arm grimmig an.

„Du kannst nicht andauernd schwänzen, das ist nicht in Ordnung!“, fuhr er ihn weiter an, „Ich hab die Schule auch nicht gemocht, aber da musst du durch!“

Der Junge schüttelte den Kopf und ließ die 16-jährige schließlich los, mit gesenktem Haupt da stehend und die junge Frau erhob sich wieder, verwirrt ihren Freund musternd. Was war denn los mit ihm?

„Nicht nein!“, fauchte er, „Du missratenes Gör machst immer nur Schande!“

Sie schrie auf, als er dem Kind mit der flachen Hand ins Gesicht schlug, aber niemand auf der Straße beachtete sie. Kura gab keinen Laut von sich, wischte sich bloß über seine kleine Nase, die einen Augenblick später zu bluten begann.

„Lass ihn in Ruhe, er ist doch viel kleiner als du!“, machte das Mädchen verzweifelt. War das wirklich ihr Liebster? Er hatte sich doch immer so fürsorglich um den Kleinen gekümmert, warum tat er das?

„Misch dich nicht ein, das geht dich überhaupt nichts an!“, grummelte der Braunhaarige bloß bedrohlich, „Würde ich es nicht tun, würde sein Vater es machen und glaub mir, der würde ihn richtig verdreschen. Andererseits würde er es auch verdienen, wenn er immer wieder so blöd ist zu schwänzen und sich erwischen zu lassen!“

„Aber man darf kleine Kinder nicht verhauen!“, protestierte sie weiter und er winkte ihr bloß ab, sie seltsam angrinsend.

„Verwöhntes Mädchen aus der Stadt, du hast ja keine Ahnung. Nur so lernt er es!“

War sie wirklich mit einem solchen Idioten zusammen? Choraly konnte es kaum glauben und zischte, die Arme vor der Brust verschränkend.

„Allem Anschein nach ja nicht, wenn er es schon öfters getan hat!“

Der Ältere schüttelte bloß den Kopf und nahm seinen Cousin, dessen Nase gar nicht mehr zu bluten aufhören wollte, an die Hand.

„Das ist alles eine Frage der Ausdauer. - Und jetzt mische dich nie wieder in meine Familienangelegenheiten ein, du dummes Huhn.“

Sie verschwanden schnellen Schrittes und das Mädchen konnte das, was sie gerade erlebt hatte, gar nicht fassen.
 

--
 

Am anderen Ende des Dorfes bekam Mayora davon nicht viel mit, als er am Haus des Glasers anklopfte. Er mochte es zwar nicht, wenn er den ganzen Tag durch den Ort rennen musste um alle zu warnen, nahm seine Aufgabe aber dennoch sehr ernst. Er war schließlich gewissenhaft, anders als manch andere...

Maragi riss ihn aus seinen Gedanken, als sie öffnete und ihn zunächst überrascht, dann feindselig fixierte.

„Was willst du denn hier?“, fragte sie angewidert, sich hinter der bloß einen Spalt weit geöffneten Tür verbergend, „Mama hat noch keine Medizin bestellt. Außerdem sind sie und Papa im Moment eh nicht da.“

Er seufzte. Was hatte sie denn? Sie hatte ihn letztens schon so komisch angeschaut...

„Ende der Woche oder Anfang nächster Woche wird ein Sandsturm kommen, sag deinen Eltern bitte Bescheid, ja?“

„Meinetwegen.“, antwortete sie barsch und wollte schon wieder schließen, aber er hielt sie ab, indem er einen Fuß in den Rahmen stellte.

„Was hast du denn?“, wollte er wissen, „Habe ich dich verärgert? Sag es mir doch!“

Wenn es etwas gab, das er wirklich nicht mochte, dann war es die ewige Geheimniskrämerei von Frauen. Die waren wirklich alle gleich...

Maragi sprach nicht sofort, stattdessen hörte er sie plötzlich schluchzen.

„Du hast Choraly viel lieber als mich!“

„Hab ich?“

Er starrte das Holz vor sich perplex an. Wie kam sie darauf?

„Sie hat gesagt, du wärst verliebt in sie oder so etwas in die Richtung!“, jammerte das kleine Mädchen weiter und Mayora errötete.

„Gar nicht wahr, dann hat sie gelogen!“

„Ich glaub dir nicht...“, schluchzte sie weiter hinter der Tür, die irgendwie im Weg war.

„Öffne mir doch mal.“, bat der junge Mann deshalb, aber sie weigerte sich.

„Nein!“, kam bloß, „Das wäre nicht gut, das wäre gar nicht gut!“

Er verstand nicht, was sie meinte und hielt es für das Beste, den Störfaktor einfach mit Gewalt bei Seite zu schaffen; so schob er das sperrige Stück Holz einfach auf. War ja auch nicht schwierig, Maragi war so ein zierliches kleines Mädchen, sie hatte ihm nichts entgegenzusetzen. Als er sie sah, verstand er aber, was sie gemeint hatte.

„Oh...“, machte er und blickte einen Moment beschämt über sein voreiliges Handeln zur Seite, „Tut mir sehr Leid, ich habe nicht nachgedacht.“

Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen.

„Ich bin so hässlich, geh weg!“, jammerte sie unter bitteren Tränen und der Ältere seufzte leise, wandte sich ihr zu und nahm sie in den Arm

„Du bist gar nicht hässlich.“, erklärte er ihr sanft, „Ich mache dir neue, stärkere Salbe, dann geht der Ausschlag wieder weg, ja?“

Sie kuschelte sich nickend an ihn.

„Und du hast Choraly wirklich nicht lieber als mich?“, erkundigte sie sich abermals leise und er lächelte.

„Wie könnte ich?“

Das Mädchen aus der großen Stadt musste ein wirklich schlechter Mensch sein, kam ihm dann, wenn es sie glücklich machte, kleinen Mädchen das Herz zu brechen. Dabei war Maragi doch so zuckersüß. Andererseits war es natürlich auch ein bisschen dumm, dass sie ihn SO gern mochte...
 

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„Er mag mich nicht!“

Das Stadtmädchen schlug wütend auf den Küchentisch ein und alle Anwesenden schauten sie etwas blöd an. Da sie nicht wusste, wo ihre neue beste Freundin Dafi genau wohnte und ihr Prügelknabe auch unauffindbar war, hatte sie es als einzige Lösung gesehen, Jiro zu beehren und sich bei ihm über das für sie unmögliche Verhalten ihre Freundes auszuheulen.

„Dass Imera ein Arschloch ist, hätte ich dir auch vorher sagen können.“, meinte Lilli demotivierender Weise jedoch darauf bloß und nippte an einem Becher Tee. Tai zog eine Schnute.

„Armer Kura...“

Das zierliche Mädchen mochte den Kleinen, hatte sie beschlossen. Er schien sie schließlich auch hübsch zu finden und ihr Aussehen war ihr immerhin enorm wichtig...

„Ja!“, meckerte Choraly da weiter, „Und sein Vater verhaut ihn auch, das darf man doch nicht!“

Jiro zuckte mit den Schultern und griff nach seiner halb zerdepperten Tasse ohne Henkel, die er dummerweise in dem Dämmerlicht nicht richtig fand und umwarf.

„Idiot...“, seufzte seine Verlobte, während sie einen Lappen nahm und das Getränk wegwischte.

„Was findest du eigentlich so seltsam daran?“, wollte der Junge da wissen, „Mein Vater hat mich auch ganz gern mal verprügelt, ist doch normal.“

„Normal?!“, empörte sich sein Gast und Lilliann warf ihm den Lappen an den Kopf.

„Dein Vater war ja auch ein Arsch!“, brummte sie und wandte sich dann wieder an die Braunhaarige, „Du hast völlig Recht, zu Kindern muss man lieb sein.“

Sie streichelte wie zufällig über ihren eigenen Bauch, an dem man mit viel Fantasie eine leichte Wölbung erkennen konnte und Tainini stützte den Kopf auf die Hände.

„Weißt du...“, begann sie, allem Anschein nach auch an das Stadtmädchen gewandt, allerdings leicht an ihr vorbei „sehend“ , „In Imeras Familie war das immer schon so. Sein eigener Vater ist noch viel schlimmer gewesen als der von Kura...“

Alle Thilianer senkten den Blick, als die Kleine aufhörte zu sprechen und Choraly blinzelte verwirrt.

„Noch schlimmer?“, fragte sie, „Geht das denn?“

Der einzige Junge im Raum blickte wieder ein wenig auf.

„Weißt du...“, begann er flüsternd, „Sein Vater hat seine Mutter und seine Schwester... na ja, umgebracht, ja.“

Das Mädchen erbleichte. Umgebracht? Auf so eine widerliche Art und Weise hatte Imera seine Familie verloren?

„Er hat sie wirklich getötet?“, versicherte sie sich noch einmal geschockt und nun ebenfalls so leise wie der Gastgeber, „Warum?“

Niemand antwortete ihr, also wiederholte sie ihre Frage.

„Warum denn...?“

Tai kämmte sich mit den Fingern durchs Haar.

„Es gibt Geister, die nicht wollen, dass man über ihren Tod spricht.“
 

--
 

Imera hatte seinen Cousin lieb und wollte nur das Beste für ihn. Und er hielt es nun einmal für das Beste, ihm zwischendurch einmal eine zu verpassen, wenn er ihn schon nicht bei seinem Vater verpetzte. Aber er konnte auch tolerant sein, dachte er sich stolz, als er mit dem Kleinen auf einer Mauer, etwas außerhalb des Dorfes saß. Er hatte ihn nach kurzem Zögern nicht zurück zur Schule gebracht, sondern sich dazu entschieden, mit ihm irgendwohin zu gehen, wo sie allein waren und wo er sich zu sprechen traute. Schließlich musste es ja einen Grund dafür geben, dass er andauernd schwänzte...

Imera hatte selbst auch des Öfteren geschwänzt und war von den acht regulären Schuljahren bloß sechs im Unterricht gewesen, da hatte der Rektor ihm gesagt, er könne daheim bleiben, weil er ja doch nichts mehr lernen würde. Er schämte sich dafür, aber es war wohl das Beste für ihn gewesen.

„Komm, sprich mit mir, wir sind allein.“, forderte er Kura deshalb auf und unterbrach seine Gedanken damit selbst.

Der Kleine Junge seufzte und senkte den Kopf so tief, dass der Ältere schon befürchtete, gleich würde sein Genick deshalb brechen, aber es hielt.

„Die Anderen...“, flüsterte er unglücklich und spielte dabei nervös am Saum seines Shirts herum, „Die... doof!“

Sein Cousin seufzte ebenfalls.

„Ja...“, machte er gedehnt, „Die Anderen sind zu mir auch immer doof gewesen, weil ich so dumm war, denen musst du dann einfach gehörig die Fresse polieren. Oder zeig ihnen, dass du viel besser aussiehst... irgendwie.“

Er grinste verzerrt und Kura schüttelte sich und sah empört auf.

„Die größer als wie ich!“

Der Braunhaarige redete so leicht, er war ja auch schon groß und stark und konnte alle ganz leicht verhauen, aber er selbst war doch so klein und schwach, was erwartete er denn?

„Stimmt, du bist ja ein Zwerg.“, schien sich Imera da auch wieder zu erinnern und kratzte sich am Kopf, „Na gut. Warum sind die denn doof zu dir?“

Der kleine Junge verzog das Gesicht.

„Weil ich nicht gut sage mit ihnen!“

Er fand seine Klassenkameraden lächerlich. Hatte Choraly nicht erwähnt, dass man Kinder wie ihn bei ihr zuhause nicht in die Schule schickte?

„Was willst du?“, wunderte sich seine Nebenmann unterdessen und dachte kurz nach, bis er verstand, „Ah! 'Weil ich nicht gut mit ihnen sprechen kann!'?“

Er verzog das Gesicht, als der Kleine nickte.

„Na hör mal, wenn du etwas öfter den Mund auftun würdest, hättest du das auch drauf. Deine Sprache ist ja wirklich erbärmlich, du redest schlimmer als ein Kleinkind! Wenn du in meiner Klasse gewesen wärst, hätte ich dich sicher am laufenden Band verprügelt, weil du mir auf den Geist gegangen wärst!“

Kura schnaubte. Toll, jetzt waren die Anderen auch noch im Recht, natürlich. Immer auf die kleinen Süßen, schlimm. Und süß war ein gutes Stichwort.

„Ich besorge dir was Süßes, ist dann wieder gut?“

Imera wusste, es gab die einfache und die komplizierte Variante. Letzteres verlangte, sich der Problematik zu stellen und sich damit zu befassen. Und wenn das nicht klappte, konnte man noch immer auf die erste Möglichkeit zurückgreifen. Man schenkte dem Zwerg was zu naschen und schon war er glücklich.

„Süüüß!“, quiekte der Kleine da auch schon wie erwartet und sein Cousin erhob sich.

„Komm, gehen wir zum Bäcker.“
 

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„Ich bin Parfum-Hersteller und kein Frühwarnsystem für Katastrophen aller Art!“

Kinai Kaera hockte meckernd im Schatten eines Kaliri-Baumes. Mayora war bei ihm, einen Baum weiter und verdrehte die Augen.

„Du stellst Drogen her.“, stellte er monoton fest und der Schwarzhaarige stoppte.

„So würde ich das nicht sagen!“, machte er, „Ich erzeuge nebenberuflich Stoffe, die glücklich machen, das hat überhaupt nichts mit Drogen zu tun! Voll die Unterstellung... wer weiß, was du in deine Tees mischst...“

Der Andere seufzte. Ja, sein Hobby war es, Leute zu vergiften, natürlich. Für was hielten die ihn alle?

Kinai war ein Nervenzwerg, aber immer wenn es darum ging, die Dorfbewohner vor irgendetwas zu warnen, war es an ihm, als Bruder der Seherin und dem Grünhaarigen, als Neffe des Dorfoberhauptes, allen Bescheid zu sagen; ob es ihnen gefiel oder nicht. Was ließen sie sich eigentlich von Frauen so herumkommandieren...? Richtig, der kleine Dealer hatte ja einmal gefragt...

Wir sind voll ehrbar, ja?!“, hatte ihm Shakki darauf geantwortet und ihm einen kräftigen Tritt in den Allerwertesten verpasst. Seine Eltern hatten ihn ausgelacht. Irgendwie war er ja schon ein Verlierer...

„Ich will nicht mehr, mach doch was!“, jammerte der Jüngere da weiter und sein Nebenmann verzog das Gesicht.

„Was soll ich denn machen? Ich übernehme ja jetzt schon zwei Straßen mehr als du, also beschwere dich nicht!“

Sich auf offener Straße wie ein Kleinkind zu benehmen, hatte der denn gar keinen Stolz? Doch statt es gut sein zu lassen, flennte er weiter.

„Du hast ja auch viel längere Beine als ich! Mach noch zwei Straßen mehr, ja?“

Er hatte schließlich besseres zu tun, als den lieben langen Tag alte Omas in den entlegensten Ecken des Dorfes zu warnen und sich dabei auch noch hundert Mal wiederholen zu müssen, weil sie so schlecht hörten. Wobei, das war doch eine Idee. Er ließ alle alten Leute einfach aus; wenn die sich nicht richtig vorbereiten konnten und dann umkamen, war es nicht mehr schlimm, weil die ja so wie so nicht mehr all zu lange durchmachten. Von dieser Idee sollte er dem Streber aber lieber nicht erzählen...

„Noch zwei Straßen mehr?“, empörte sich dieser unterdessen, „Das sehe ich ja mal gar nicht ein! So viel länger sind meine Beine nicht!“

Er erhob sich und gähnte.

„Ich für meinen Teil mache jetzt weiter, damit ich wieder nach Hause komme. Und komm nicht auf blöde Ideen, denk daran, deine Schwester weiß alles...“

Er ging. Kinai verzog das Gesicht.

„Mist.“
 

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Die Forschungsstation warnte man nie vor. Sie bekam alles Negative in voller Breitseite ab, die Leute in Thilia kümmerte das wenig. Bloß Dafi hatte als einzige Himmelsblüterin dort manchmal schlechte Ahnungen, aber da sie keine Seherin war und keine Ahnung hatte, was sie beunruhigte, brachte das herzlich wenig. Pinita hatte dafür wenig Verständnis.

„Wenn schon, dann richtig!“, meckerte sie ihre unglückliche Cousine so beim Mittagessen an und die Kleine seufzte. Wäre vielleicht besser gewesen, ganz still zu sein... aber dann hätten sie die schlechten Gedanken doch erdrückt! Choraly hätte sie sicher davon erzählen können, ohne, dass sie ihr Vorwürfe gemacht hätte...

„Aber ich bin keine Seherin...“, versuchte sie sich dennoch leise zu verteidigen und die Ältere wedelte mit ihrer Gabel vor ihrem Gesicht herum.

„Dann werde halt eine, mir egal, oder halt den Rand!“

Sie blickte seufzend auf ihr angeknabbertes Mittagessen, ehe sie es von sich schob. Das war doch gemein...

„Wie, schon satt?“, wollte die Blonde nun doch ein wenig bekümmert wissen und die Kleinere erhob sich.

„Ich will nicht dick werden.“, erwiderte sie bloß monoton und verschwand. Ein wenig Ruhe würde ihr gut tun. Hoffte sie zumindest...
 

Pinita schüttelte nur den Kopf und aß schließlich weiter. So genau musste sie ihren 'Plan' auch nicht einhalten, aber wie sie wollte. War ja nicht ihr Problem, schlimmer wäre es gewesen, wenn es anders gelaufen wäre. Außerdem hatte sie so wie so noch zu tun, da musste sie die kleine Trulla nicht an der Backe haben. Politik interessierte sie eh nicht.

Die Ältere dafür umso mehr. Sie grinste in sich hinein.

Wakawariwa hatte sich bei Fides entschuldigt und um Verständnis gebeten. Aber so leicht ging das nicht, zur Not würde sie selbst dafür sorgen. Schließlich wäre das die Gelegenheit für ihr Lebenswerk und das ihrer Eltern; oh ja, sie würde sie stolz machen. Und wie.
 

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Sie wusste ja gar nicht, dass sich weit weg gerade die „gegnerische Partei“, wie sie sie für sich selbst immer so schön betitelte, genau wegen solchen Gedankengängen wie den Ihren sorgte. Wohl zu Recht. Denn auf die Entschuldigung hatte es bisher keinerlei Reaktion gegeben. In Kamake war es auch nicht besser, Palbuflor zeigte sich garstig und wollte nicht annehmen. Und Uda Magafi hatte ein gewaltiges Problem, wie es schien, denn alle Augen im Senat lagen nun auf ihm. Wenn es Krieg gab, war das seine Schuld und das wiederum machte ihn so nervös, dass er sich auf kaum etwas konzentrieren konnte und nur noch mehr Mist baute.

„Ich will zurücktreten!“, klagte er so irgendwann im Büro seines alten, aber noch verhältnismäßig fitten Vaters, ohne es wirklich ernst zu meinen und dieser zog ruhig an seiner Pfeife, strich sich dann durch den grauen Bart.

„Sei nicht feige.“, grummelte er, „Damit machst du nur Schande, behalte dir im Hinterkopf, wer du bist.“

Der Jüngere schaute ihn blöd an.

„Die Familie ist so wie so entehrt.“, stellte er fest, „Und wen soll ich zu meinem Erben machen, wenn nicht meine Choraly?“

Femeese Magafi brummte.

„Die ist weit weg. Und entehrt ist sie erst, wenn du aufgibst. Ein Magafi gibt nicht auf!“
 

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„Ein Magafi gibt nicht auf!“

Abermals prügelte das Stadtmädchen auf Jiros unschuldigen Tisch ein, während sie mit der Familie irgendetwas Salat-Ähnliches zu Mittag aß.

„Und was willst du uns damit jetzt sagen?“, wollte ihr Gastgeber perplex wissen und sie grinste.

„Ich werde aus Imera einen guten Menschen machen, damit ich mich nicht schämen muss, wenn ich ihn meiner Familie vorstelle. Oder das, was von ihr übrig ist...“

Lilli schaute ungläubig auf.

„Ein guter Mensch? Weißt du denn überhaupt, was das ist?“

Nach allem, was man sich im Dorf über sie erzählte, schien sie kein wirklich gutes Herz zu haben, wie wollte sie dann ihren Freund bekehren?

„Na klar!“, empörte sich die Braunhaarige, „Wieso sollte ich das nicht wissen? Haltet ihr mich für dumm?“

Der Ausdruck der Tussi gefiel ihr nicht. Er war so anschuldigend, das sollte sie lassen.

„Das hat nicht unbedingt mit Intelligenz zu tun... nicht, dass Imera welche besäße...“, antwortete das andere Mädchen da ruhig und aß einfach weiter. Choraly schnaubte.

„Willst du damit etwa sagen, mein Liebster sei blöd oder wie? Also das verbitte ich mir!“

Sie erhob sich empört und Tainini kicherte.

„Ich sag dir mal was.“, begann sie, „Imera ist ein Jahr vor Jiro und Lilli eingeschult worden, im nächsten Jahr war er dann bei ihnen in der Klasse und irgendwann war er dann bei mir. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie amüsant es ist, mit dem in einer Klasse zu sein; selbst ich kann besser lesen und ich bin blind.“

Jiro nickte gut gelaunt.

„Er hat immer Tobsuchtsanfälle bekommen, wenn er etwas vorlesen sollte, weil er es einfach nicht gepeilt bekam!“

Und manchmal hat er seinen Banknachbarn bei der Gelegenheit verprügelt, fiel ihm noch ein. Warum hatte man ihn eigentlich immer neben den Idioten gesetzt?

Seine Verlobte seufzte.

„Also mir hat er ehrlich gesagt immer Leid getan. Mein Vater hat eine Zeit lang versucht, ihm mittags Nachhilfe zu geben, glaubt mir, ihr habt noch nie so etwas trauriges gesehen...“

„Aber so ganz blöd ist er nicht!“, erklärte Tai da weiter und wandte sich wieder an ihren geschockten Gast, „Er kann total gut rechnen, in Mathematik war er immer super gut. Das ist auch der Grund, weshalb er es bis in die vierte Klasse geschafft hat...“

Choraly fasste sich entsetzt an den Kopf. Logen die sie jetzt an, weil sie sie schocken wollten oder war ihr Freund wirklich so... hohl? Er schien doch immer so intelligent! Und warum war Tainini überhaupt zur Schule gegangen?

Moment, da fiel ihr etwas ein.

„Ihr habt ja alle gar keine Ahnung!“, machte sie zerknirscht, „Wisst ihr denn nicht, dass es Kinder gibt, die sowas einfach nicht können, weil sie schon so zur Welt gekommen sind? Und ihr lacht über Imera, das war sicher sehr schlimm für ihn!“

Sie hielt inne und dachte einen Moment nach. Deshalb war er wohl so streng zu Kura gewesen. Er wollte einfach, dass sein Cousin mehr lernte als er selbst. Das war ja so süß...

Aber ihr drängte sich eine Frage auf...

„Wie viele Klassenstufen gibt es hier eigentlich?“

Sie hoffte auf nicht all zu viele, wurde aber leider enttäuscht als Lilliann ihr antwortete.

„Normalerweise 8.“
 

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Erst am frühen Abend kehrte sie wieder „heim“ und bekam zunächst einmal einen riesen Schock, als eine Gestalt zusammengekauert auf der dunklen Treppe hockte und das Gesicht in den Händen vergrub. Beim genaueren Hinsehen erkannte sie dann aber Mayora.

„Missgeburt!“, fauchte sie ärgerlich, „Ich habe fast einen Herzschlag bekommen, was fällt dir ein, einfach da herum zu sitzen?“

Sie ging schnellen Schrittes auf ihn zu, stemmte die Hände in die Hüften und bäumte sich vor ihm auf wie eine Gewitterwolke. Er seinerseits nahm die Hände vom Gesicht und strich sich stattdessen durchs Haar, um dann mit geröteten Wangen zu dem Mädchen aufzusehen.

„Tut mir Leid, das war nicht meine Absicht.“, entschuldigte er sich und legte den Kopf leicht schief, „Wo warst du?“

Gerade in Versuchung, dem Jungen für seine in ihren Augen unverschämte Frage kräftig in die Visage zu treten, fiel ihr wieder ein, was Imera ihr vor nicht all zu langer Zeit geraten hatte. Lieb sein, ruhig bleiben. Netter sein als Chatgaia.

„Bei Jiro.“, antwortete sie so ruhig und betrachtete sich ihn genauer, „Du siehst seltsam aus, was ist mit dir?“

Also das war doch einmal richtig sozial, dachte sie sich in dem Moment, da bekam man ja fast schon das Gefühl, sie würde sich sorgen. Der Ältere seufzte nur und wandte den Blick ab, seine Füße anstarrend.

„Den ganzen Tag umher gerannt und alle gewarnt, dann mit den Vorbereitungen hier angefangen... ich fühle mich wieder fiebrig.“

Dabei musste er doch morgen weiter arbeiten, alle Gegenstände draußen in Sicherheit bringen, die oberen Fenster zumachen und alles, was im Garten halbwegs reif war, ernten. Es war doch noch so viel zu tun! Langsam aber sicher entwickelte er sich zu einem richtigen Nichtsnutz, konnte das denn sein?

Choraly seufzte gespielt und legte ihm nach einiger innerlicher Überwindung eine Hand auf die Schulter.

„Du Armer.“, hörte sie sich selbst sagen, „Vielleicht geht es dir ja besser, wenn ich dir etwas schönes sage?“

Er blickte sie aus großen roten Augen von der Seite an. Wer war das?

Sie lächelte.

„Ich hab mir heute viele Gedanken gemacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass es nur gerecht wäre, dir eine Chance zu geben. Tut mir Leid, dass ich so gemein zu dir war.“
 

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^^

Sturm

„Wer bist du?“

Sie sah aus wie Choraly, sie sprach wie Choraly, aber sie war es nicht. Oder?

Die Brünette lachte. War sie nicht glaubwürdig genug?

„Ich bin ich!“, machte sie gut gelaunt und nahm ihre Hand wieder von seiner Schulter, ihn freundlich anlächelnd und er rückte sicherheitshalber ein Stück zur Seite.

„Hat dir jemand gedroht oder so?“, erkundigte er sich verunsichert und sie blinzelte.

Da war sie einmal nett zu ihm und dann stellte er sich so an. Konnte der nicht ein wenig dankbar sein? Frechheit...

„Man hat mir nicht gedroht.“, brummte sie so leicht angesäuert und wandte den Blick ab, „Wenn du dich jetzt hinlegst und ich mich ein wenig um dich kümmere, dann geht das Fieber sicher schnell wieder weg.“

Was tat sie nicht alles? Wenn sie erst einmal wieder zu Hause wäre, würde sie sich ja sowas von verwöhnen lassen, das konnte man sich gar nicht vorstellen... irgendwie kam sie sich lächerlich vor. Vor allem, als sie merkte, wie er sie ansah.

„Du meinst es ernst.“, stellte der Junge fälschlicher Weise fest und sie nickte, dann lächelte er.

„Ich weiß zwar nicht, wie du plötzlich zu diesem Entschluss kommst, aber das freut mich!“

Na endlich. War ja doch ganz einfach.

„Aber ich will nicht zu viel von dir verlangen, ich komm schon allein klar.“

Er erhob sich und rannte bester Laune die Treppe hoch. Sie trottete ihm seufzend nach. Der Kerl war ja wirklich sowas von leichtgläubig...

„Du musst dich nicht um mich kümmern!“, machte er abermals, als sie an seinem Zimmer ankam und hob beschwichtigend die Hände, sie verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich will aber.“, sie lächelte aufgesetzt, „Als Wiedergutmachung dafür, dass ich in den letzten Tagen so gemein zu dir war, ja?“

Eigentlich wollte sie nicht, ganz und gar nicht. Bei dem Gedanken, der Missgeburt freiwillig etwas Gutes zu tun, kam ihr fast die Galle hoch, aber sie brauchte ihn zum Freund, hatte Imera gesagt. Und der wusste sicher, wovon er sprach. Also in den sauren Apfel beißen...

„Na gut.“, er grinste ergeben, „Tut mir trotzdem Leid, dass ich dir deine kostbare Zeit stehle.“

So ganz geheuer war ihm ihr plötzlicher Meinungswechsel nicht, aber Mayora wollte sich nun einmal keine negativen Gedanken machen. Dazu tat es zu gut, gemocht zu werden. Außerdem machte es ihn stolz, wenn ein Mädchen ihn so anlächelte...

„Als ob ich etwas zu Tun hätte...“, erwiderte die Brünette da und er sah wieder auf, „Magst du etwas zu Trinken? Oder zu Essen? Nicht, dass ich etwas zubereiten könnte...“

Vielleicht sollte sie sich allein zu dem Zweck, hier Eindruck zu schinden, Kochen beibringen, überlegte sie sich, während er nachdachte. Und ihren Vater würde es sicher auch stolz machen.

„Ein Becher Wasser fände ich nicht schlecht.“, antwortete der Junge da und zog sich seinen Pulli aus, sie nickte und verschwand sofort nach unten. Halbnackt musste sie ihn wirklich nicht noch einmal sehen, das erste Mal hatte sie schon traumatisiert genug. Nicht, dass es etwas abartiges an ihm gegeben hätte, aber er war ein Himmelsblüter... igitt...
 

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„Na, was sehe ich denn?“

Chatgaia starrte halb positiv, halb negativ überrascht auf ihre ziemlich mitgenommen aussehende Küche und die mittendrin vor dem Herd (oder eher der modernisierten Feuerstelle) stehende Choraly, die voller Elan in einem Topf herum rührte. Mit Wasser war es nicht getan...

„Ich koche!“, machte sie, verbissen ihrer Arbeit folgend. Die Magierin trat näher und schaute ihr über die Schulter.

„Sehe ich. Und was?“

Die Brühe hatte eine seltsame gelb-bräunliche Färbung und roch nicht unbedingt schlecht, aber irgendwie beunruhigend...

„Keine Ahnung!“, antwortete man ihr da und sie hob beide Brauen, „Irgendeine Suppe oder so. Ist auf jeden Fall flüssig...“

Das Mädchen hatte so ziemlich alles, was halbwegs genießbar ausgesehen hatte, genommen und auf gut Gelingen in den Topf geworfen. Vielleicht schmeckte es ja. Und wenn nicht, einfach gut würzen. Brachte zwar nicht wirklich etwas, aber so hatte ihre Mutter es immer zu vertuschen versucht, wenn sie das Essen versaut hatte. Nicht, dass sie oft gekocht hätte... außerdem war es so wie so nur für Mayora, würde sie halt fasten...

„Du willst uns doch nicht etwa vergiften...?“

Die Stimme ihrer Gastgeberin riss sie aus den Gedanken. Irgendwie hatte sie einen seltsamen Unterton...

„Erstens ist das viel zu wenig für uns alle, weil ich bloß Ihren Neffen bekoche und zweitens, nein, mit Giften kenne ich mich leider nicht aus.“

Sie drehte sich um und grinste frech. So etwas ließ sie sich nicht unterstellen, niemals. Bloß weil sie diese Möchtegern-Menschen verabscheute, würde sie doch keinen von ihnen töten. Wobei, vielleicht war das Gebräu ja wirklich schädlich? ... Dann war es jedenfalls keine Absicht.

„Ich koste lieber vor.“

Chatgaia hatte sich einen Löffel genommen und probierte nun vorsichtig, ehe sie dem Mädchen einen seltsamen Blick zuwarf und sich ihr Gesicht dunkelrot verfärbte. Dann atmete sie keuchend aus.

„Viel zu scharf!“, ihre Stimme klang krächzend, „Du hast doch nicht etwa was von den gelben Beeren rein getan?“

Die Jüngere lächelte lieb.

„Das hat die schöne Farbe gegeben!“
 

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„Pass auf, ist feurig!“

War ihr doch egal, ob das Zeug scharf war, sie hatte es schließlich ganz allein für die Missgeburt gekocht, da sollte er es auch essen. Seine Tante war ja ziemlich skeptisch gewesen, aber Choraly hatte sich vom Servieren nicht abhalten lassen. Sie selbst hatte übrigens nicht probiert...

Dafür tat Mayora es gut gelaunt. Für einen Fieberkranken allerdings etwas zu gut, für den Geschmack der jungen Frau.

Der Anblick, wie auch seine Wangen sich verfärbten und er einen Moment nach Luft rang, war dafür aber köstlich.

„Ich hab dich ja gewarnt!“, gackerte die junge Frau, während sie sich jede seiner Regungen genau anschaute. War lustig.

„Ja! Wirklich feurig!“, bestätigte er ihr da etwas geschockt und starrte sie aus großen roten Augen an, „Isst man bei dir daheim immer so, Mädchen aus der großen Stadt?“

Sie setzte sich zu ihm ans Bett.

„Nein. Ich hab die Suppe gerade eben extra für dich erfunden. Du darfst dich geehrt fühlen.“

Er nickte und nahm tapfer noch einen Löffel.

„Du musst mich wirklich lieben.“, kam dann stimmlos und die Brünette hob eine Braue.

„Soweit sind wir aber noch nicht. Außerdem bin ich doch vergeben, erinnerst du dich?“

Was bildete der sich denn ein? Der Junge nickte jedoch und sah grinsend auf.

„Meine Mutter hat immer gemeint, scharf kocht man bloß für Leute, die man liebt.“

Ach so. Sie lächelte.

„Na, dann solltest du das ja eigentlich gewöhnt sein.“

Sie kicherte und ehe er antwortete, aß er noch einen Löffel voll.

„Meine Mutter hat nie scharf gekocht.“
 

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Die Woche ging schnell vorüber. Choraly beobachtete die Menschen und Himmelsblüter, die mit jedem Tag beschäftigter und gehetzter schienen zwar mit größtem Interesse, kam sich selbst dabei aber ein wenig blöd vor. Man bezog sie überhaupt nicht mit ein und sie selbst konnte sich doch nicht dazu hinab lassen, nach Arbeit zu fragen. Sie war schließlich adlig oder so ähnlich. Aber es machte ihr auch ziemlich schwer, ihren unausgereiften Plan in die Tat umzusetzen, Mayora war ständig bei irgendwelchen alten Omas um Blumentöpfe unter Dach zu tragen oder sonstige unwichtigen Dinge zu erledigen. Pinita ließ sich auch nicht mehr blicken, genauso wie Dafi. Von wegen beste Freundin, die würde etwas zu hören bekommen...

Am Ende war es dann so, dass sie wieder ständig in Jiros staubiger kleiner Hütte herum hing und die Leute dort nervte. Aber das war nicht weiter schlimm, die nervten ja auch zurück.

„Flechtest du mir die Haare?“

Meist war es Tai, die sie in Beschlag nahm, weil ihr Bruder auch zum Wohltäter geworden war und sich nicht mehr besonders oft blicken ließ. Lag doch hoffentlich nicht an ihr...

„Deine Haare sind doch schon geflechtet!“

Das Mädchen seufzte. Die Kleine schien es auch mit dem Gedächtnis zu haben, so etwas kam andauernd vor.

„Dann mach nochmal!“, bat sie dennoch und die Ältere ergab sich. Tainini hatte ja sonst nicht viel am Leben, wenn es sie denn so glücklich machte, dann sollte es nicht daran scheitern. Und so machte sie ihre Zöpfe zum vierten Mal an dem Tag wieder auf und begann von Neuem. Zöpfe flechten konnte sie schon, seit sie ganz klein gewesen war, Atti hatte es ihr beigebracht. Wobei es ihr selbst eigentlich unverständlich war, warum ihr Kindermädchen das gekonnt hatte, wo sie doch selbst immer so kurzes Haar gehabt hatte. Aber ihr Bruder hatte es auch gekonnt, fiel ihr ein. Und der hatte noch Kürzere gehabt...
 

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Und während sich das Mädchen aus der großen Stadt so seine Gedanken über Frisuren machte, hatte Shakki ganz andere Sorgen.

„Heute Abend...“, murmelte sie, während sie auf ihrer Terrasse stand und ein ungewöhnlich starker Wind ihr um die Nase wehte. Kinai, der im Hintergrund in einer riesigen Schüssel herum hopste und seltsame lila Beeren zerquetschte, sah gelangweilt auf.

„Gestern hieß es noch in vier Tagen. Du bist auch nicht mehr das, was du einmal warst.“

Er lachte, doch sie ignorierte es. Er hatte ja keine Ahnung. Das, was sie zu viel hatte, hatte er zu wenig, wie ihr Vater es immer so schön sagte und die Sprache der Götter zu verstehen hieß nicht, die „Alte Sprache“ zu beherrschen. Es war wesentlich komplizierter. Und das war zu viel von dem Jüngeren verlangt. Manchmal machte es ihn traurig, das wusste seine Schwester, aber eigentlich kam er gut damit klar, zumindest das war beruhigend in Zeiten wie diesen...

„Das Mädchen bringt Unglück.“, sprach sie ihre Gedanken laut aus, „Sie sollte so schnell wie möglich von hier verschwinden.“

„Und wohin bitte?“, wollte der Junge wissen und hielt in der Bewegung inne. Die Schwarzhaarige drehte sich um und visierte ihn kalt.

„Chatgaias Windgeist.“

Ein Dorfoberhaupt durfte nicht töten, aber jeder in Thilia wusste, dass Chatgaia es dennoch tat. Nicht mit eigener Hand, doch sie hatte jemanden, der es für sie erledigte. Da man die Windgeister für den Tod verantwortlich machte, betitelte man diese ominöse Person einfach damit, denn sie gab ihre Identität natürlich nicht Preis.

Manche hatten Mayora im Verdacht, weil er schließlich alles für seine Tante tat, aber Kinai hielt das für völlig absurd. Sie konnte ihrem Neffen schließlich nicht eine solche Bürde auferlegen, das wäre völlig taktlos und widerlich. Theoretisch konnte es genau so gut jeder andere sein. Das einzige, was den Jungen störte, war, dass seine Schwester die Einzige war, die wusste, wer der Mörder war, es aber niemandem verriet. Das war doch gemein.

Gemein fand er auch den Gedanken, das Stadtmädchen zu töten, bloß weil sie ein „Unglücksbringer“ war.

„Aber sie kann doch nichts dafür.“, er verließ die Schüssel und putzte sich die Füße an einem Lappen ab, seine Schwester nicht aus den Augen lassend, „Sie hat es doch schwer genug!“

„Sie ist eine Egoistin, sie wird uns alle in den Tod schicken, bloß um wieder von goldenen Tellern essen zu können!“

Shakki schnaubte. Sie wusste das besser als er, er sollte sich bloß nicht anmaßen, mit ihr darüber zu diskutieren! Sie ahnte, was passieren würde, die Stimmen gaben ihr Andeutungen genug. Die Stimmen, die in ihrem Kopf immerhin nicht mehr ganz so dominant waren, weil die schlimmsten Tage vorbei waren.

„Bist du dir wirklich sicher?“, versicherte sich der Jüngere stattdessen bloß und sie senkte ihr Haupt.

„So gut wie.“

Sie war sich fast nichts mehr ganz sicher, es war zum Verzweifeln. Sie hatte ihre Gabe zu Deuten verloren. Nun gut, verloren war vielleicht etwas übertrieben, aber sie konnte die Worte nicht mehr so klar interpretieren wie noch vor wenigen Wochen. Sie wollte nicht daran denken, dass es möglicherweise ja an Mayora seltsamen Tee gelegen hatte, aber seitdem war es so. Wenn er so weitermachte, dann würde sein Vorhaben sicher gelingen. Was für eine grauenhafte Vorstellung...
 

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„Du Idiot!“

Herr Beviri fauchte. Er war so sozial gewesen, Jiro ein paar Tage zu beschäftigen, weil er die Hälfte seiner tausend Werkzeuge und was er sonst noch brauchte draußen lagerte und die nun nach drinnen mussten. Formen zum Fensterscheiben herstellen waren schließlich unsagbar schwer zu bauen, die durften in dem blöden Sturm natürlich keinen Schaden nehmen und weil es so ziemlich viel zu tun gab, kam ihm der Junge eigentlich gerade recht. Bloß leider handelte es sich bei seinem Gehilfen um einen furchtbaren Trottel, der so eben die Hälfte der Glasbecher, die er zuletzt hergestellt hatte, mit einer falschen Bewegung in tausend Scherben hatte zerspringen lassen. Der war aber auch ein Trampel...

„Tut mir so furchtbar Leid!“, machte er, während er verzweifelt mit einem Strohbesen versuchte, die Splitter zusammen zu kehren, „Ich bin so... ach, verdammt...“

„Du gehörst genau so in die Tagebauten wie dein Vater, möge er im Himmelreich seinen Frieden gefunden haben...“

Der Mann setzte sich seufzend auf einen vertrockneten Baumstumpf. Konnte er ja auch ein wenig Pause machen...

Tado Raatati, Jiros Vater, war selten zu Hause gewesen, denn die unterirdischen Vorkommen an Erz, Salz, Kristall und sonstigen Bodenschätzen befanden sich genau am anderen Ende der Oase und die war schließlich nicht gerade klein. Eigentlich hatten auch nur Männer aus Morika in den Bergwerken gearbeitet, weil deren Weg wesentlich kürzer war, aber von Thilia hatten dort dann dennoch irgendwann ein paar schuften müssen. Und das war immer eine peinliche Sache gewesen, denn wenn das Dorf jemanden in die dreckigen Höhlen geschickt hatte, hieß das immer, dass man die Person für nichts anderes gebrauchen konnte.

Heute war das natürlich ein wenig anders. Es gab eine provisorische Siedlung dort und auch viele Freiwillige aus Thilia (wobei böse Zungen behaupteten, die Männer würden bloß von zuhause weggehen, weil sie so schreckliche Ehefrauen hatten) konnte man dort vorfinden. Jiro war allerdings gezwungen, im Ort zu bleiben, weil er sich ja nebenbei noch um seine Familie kümmern musste.

Herr Beviri seufzte. Tag für Tag rannte er durch die Straßen und bat um Arbeit, damit er nicht betteln musste. Dabei hätte wirklich jeder seiner Familie freiwillig gegeben, wo sie doch so bemitleidenswert waren, keiner hätte ihnen etwas verweigert. Aber vermutlich war dem jungen Mann die Schande zu groß. Anders als sein dämlicher Vater schien er nämlich so etwas wie Stolz und Pflichtbewusstsein zu kennen.

Der Glaser hatte Tado Raatati nie gemocht. Er hatte kaum seinen Namen schreiben können, aber immer gern einen über den Durst getrunken und dann den nächst Besten grundlos verprügelt, auch seinen Sohn immer öfters. Wirklich, der Junge konnte einem Leid tun, das war wohl auch der Grund, weswegen jeder ihn bei sich mithelfen ließ, obwohl er immer nur Schaden anrichtete...
 

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Aber all zu lange sollte er nicht bleiben, denn der Mann schickte den trotteligen Jungen schon früh nach Hause. Zu früh für seinen Geschmack.

Jiro war wirklich wesentlich stolzer, als man ihm auf den ersten Blick zutraute und er hasste es, so nutzlos zu sein. Er war nicht Shakki, er wusste nicht mit Sicherheit was die Zukunft brachte, er hatte ja noch nicht einmal magisches Blut. Aber er hatte seine Intuition, das Einzige, worauf ein klein wenig Verlass war, fand er. Auch wenn ihm das niemand abkaufte, aber es war immer noch so gewesen. Damals, als Tai gesagt hatte, dass ihre Augen immer mehr brannten, hatte er geahnt, dass sie blind wurde und es hatte sich bewahrheitet. Das war doch das beste Beispiel, er vertraute darauf. Und wenn er auf diese kleine Stimme in seinem Inneren hörte, dann sagte sie ihm, dass es dunkel war. Sehr dunkel, er würde Lilli nicht der Mann sein können, den sie verdiente und ein schlechter Vater würde er noch dazu werden. Und wieder verfluchte er die Götter, dass seine Liebste ausgerechnet jetzt ein Baby bekommen musste. Das passte so schlecht. Warum hatten sie denn nicht

aufpassen können? Sie Idioten...

Wenn er an das Gesicht von Lillianns Vater dachte, dass er gemacht hatte, als man ihm davon erzählt hatte, bekam er eine Gänsehaut. So hasserfüllt und voller Abscheu.

Er war der Rektor der Schule von Thilia, ein gebildeter und erhabener Mann, der seiner einzigen Tochter alle Annehmlichkeiten beschert hatte, die ein Vater seiner Tochter eben bescheren konnte. Dumm nur, dass Klein-Lilli das nie besonders toll gefunden und lieber mit dem Nachbarsjungen im Matsch gespielt hatte. Ihr Vater hatte so oft darüber geschimpft und die anderen Nachbarn hatten ihn immer ausgelacht, weil er in ihren Augen übertrieben hatte, aber er war im Recht gewesen, wie Jiro nun wusste.

„Es fängt an, dass sie mit diesem unzivilisierten Bastard im Dreck spielt und ehe man sich versieht, hat er ihr ein Kind gemacht!“

Das waren seine Worte gewesen. Und er hatte Recht gehabt, verdammt.

Nicht, dass er kein Kind wollte, nein, er wollte auf jeden Fall eine Familie, aber doch nicht jetzt. Er würde seine Geliebte nur ins Unglück schicken!

Seine Geliebte, wie war es eigentlich dazu gekommen...?
 

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Mayora stand auf dem flachen Dach eines Hauses und starrte gebannt gen Westen, wo die Luft zu glitzern schien. Sand. Heute Nacht war es also soweit. Er musste Choraly noch einsammeln, aber wo war die?

Es tat ihm Leid, dass er in den letzten Tagen so wenig Zeit für sie gehabt hatte. Sie war so lieb geworden und hatte es dabei so schwer und er überließ sie einfach sich selbst, das war mehr als nur unhöflich.

Sie schien sich auch gut mit Dafi zu verstehen, überlegte er sich, aber die hatte in letzter Zeit selbst sehr viel um die Ohren, weil es irgendwelchen politischen Stress gab, aber was scherte es ihn? Jedenfalls war sie wohl nicht zugänglich für das Stadtmädchen. Wo konnte sie sonst sein? Bei Imera? Er war sich nicht so sicher, ob es klug war, sie dorthin abholen zu gehen. Andererseits war es ja auch möglich, dass sie sich wo ganz anders befand und in Gefahr war, er sollte lieber einmal nachschauen... na toll.
 

„Choraly? Die lebt noch?“

Der Brünette schaute sein perplexes Gegenüber blöd an. Er hatte vor seinem Haus auf einer kleinen Mauer herum gehangen und irgendwie gar nichts gemacht. Wie so oft, er hatte noch nie besonders viel zu tun gehabt...

„Warum soll sie nicht mehr leben?“, erkundigte sich der Jüngere verwirrt, „Ich dachte, ihr seid ja so verliebt?“

Imera grinste.

„Eifersüchtig?“, fragte er, „Ich hab sie dummes Huhn genannt, seitdem war sie nicht mehr hier und ich sehe es auch nicht ein, ihr nachzurennen. So notgeil bin ich schließlich noch nicht.“

„Nein, solange du deine Hände hast.“

„Da kannst du aber auch ein Lied von singen.“, er erhob sich und streckte sich gähnend, „Der Sturm kommt heute noch, oder?“

Mayora nickte.

„Ihr wisst ja Bescheid. Falls du das Mädchen aus der großen Stadt siehst, kannst du sie ja nach hause schicken.“

Damit war alles gesagt und er wandte sich zum Gehen.

„Ich soll sie zu Fuß nach Wakawariwa schicken?“, wunderte sich der Andere gespielt und der Junge hielt noch einmal inne, „Vergiss es, Missgeburt, Thilia wird sie nie als ihr 'zu Hause' akzeptieren können, genau so wenig wie ich. Es kann nicht jeder so gewissenlos sein wie du.“

Der Grünhaarige drehte sich langsam wieder um und blickte in das düstere Gesicht des Größeren. Was hatte der jetzt schon wieder für ein Problem? Gewissenlos?!

„Noch ein falsches Wort und ich reiß dir deine Zunge heraus, Imera.“, zischte er leise, aber verständlich und ein starker Windstoß fegte über sie hinweg, wirbelte den Staub auf der Straße auf und ließ sie so aussehen wie Jiro normalerweise.

„Tu es.“, grinste sein Gegenüber, „Dann werde ich deine Augen auskratzen und deine Augenhöhlen mit Sand füllen, damit es nicht so sehr blutet. Wir wollen doch keine Sauerei...“

Er griff an seinen Gürtel, wo sein geliebtes Kurzschwert steckte, bereit, es jeden Moment zu ziehen. Er war wütend und an der Missgeburt hatte man sich noch immer gut abreagieren können. Obendrein besaß er auch noch das Privileg, ihn als einziges reizen zu können, bei ihm wehrte er sich wenigstens richtig. Einerseits spaßig, andererseits ließ es ihn brodeln. Der Himmelsblüter war nicht wütend auf ihn und er hasste ihn auch nicht, dass hatte Chatgaia ihm alles eingeredet! Diese miese...

„Du willst es also wirklich darauf ankommen lassen?“

Der Kleinere schaute rasch nach links, die Straße hinab. Die Dünen am Horizont waren hinter einem glitzernden orangen Nebel verschwunden. Mist.

„Das verschieben wir, ich mache, dass ich nach Hause komme. Aber glaub mir, irgendwann kriege ich dich.“

Er ging.
 

„Ja ja, irgendwann, feige Sau...“

Auch Imera ließ seinen Blick schließlich gen Westen wandern.

Wo war Choraly, verdammt, sie durfte doch nicht zu Schaden kommen! Er brauchte sie doch noch! Aber so, wie es im Moment aussah, war es eh sinnlos. Sie hatte sich von ihm abgewandt, nach so kurzer Zeit schon. War es denn ein solcher Fehler gewesen, sie dummes Huhn zu nennen?

Er wollte sich nicht bei ihr entschuldigen. Erstens, weil er in seinen Augen im Recht gewesen war und zweitens, weil er sich vor unangenehmen Überraschungen fürchtete. So sehr, dass es ihm schon Alpträume bereitete.

Jetzt kommst du? Ich hab schon längst einen Neuen, geh mir doch aus den Augen. Du bist noch widerlicher als Mayora...

Er hörte sie in seinem Inneren kalt lachen und erschauderte. Wie war er auch auf die Idee gekommen, sich eine Freundin zu nehmen? Dummer Junge, selbst Schuld, Imera...
 

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„Wenn du so nervös bist, ist das bestimmt nicht gut für dein Baby.“

Tai saß ruhig auf einem Stuhl in der kleinen dämmrigen Küche, genau so wie Choraly, während ihre Fast-Schwägerin wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gegend rannte.

„Ich weiß!“, machte sie verzweifelt, „Aber wenn der Sand kommt und Jiro ist nicht da... argh! Es ist ein schleichender Sturm, die Götter des Windmondes haben allen genügend Zeit gegeben, sich in Sicherheit zu bringen, weil jeder den Staub gesehen hat, aber... mein Verlobter ist ja eben etwas anders!“

Sie raufte sich ihr rot-blondes Haar und die Jüngere seufzte.

„Ja, er ist halt... nicht besonders aufmerksam.“

Das Stadtmädchen senkte den Blick. Lilliann und Tainini taten ihr Leid, sich jetzt so sorgen zu müssen. Sie selbst hatte es für besser befunden, diesen ominösen Sturm als Grund um eine Nacht in menschlicher Gesellschaft zu bleiben zu verwenden.

Wobei sie die ganze Situation so wie so verwunderte. In den Abenteuerbüchern, die sie in Wakawariwa oft gelesen hatte, waren die Leute immer in der Wüste gewesen und auf einmal war der Sandsturm da, tötete ein paar unwichtige Nebenfiguren und ließ die Helden über sich hinaus wachsen. Das echte Leben war doch irgendwie anders, auch wenn es ihr eigentlich noch immer schwer fiel, das, was ihr in den letzten Tagen, oder Wochen, erlebt hatte, als Realität zu sehen. Es kam ihr vor, wie ein einziger, überlanger Traum, der einfach nicht enden wollte. Vielleicht war das der Grund, weshalb sie noch nicht wahnsinnig geworden war? Weil sich irgendetwas in ihr noch immer an den Gedanken, Naputi Magafi und Atti seien in Sicherheit, klammerte? Das war erbärmlich, sie musste es verdrängen...

„Wisst ihr was, ihr unterschätzt Jiro!“, hörte sie sich so selbst sagen, ohne es bewusst kontrollieren zu können, „So unaufmerksam kann er ja nicht sein, er hat mich schließlich auch in der Wüste gefunden! Ohne ihn wäre ich tot, ich finde ihn toll...“

Ob sie wirklich so glücklich darüber war, noch zu leben, wusste sie selbst nicht, doch sie hatte den beiden Anderen gleichermaßen ein Lächeln ins Gesicht gezaubert, das war die Hauptsache.

„Stimmt, mein Verlobter ist ein Held!“, machte die Älteste und strahlte, „Er ist ein guter Mann!“

Auch Tai nickte.

„Er ist mir immer ein toller Bruder gewesen!“
 

„Ich?“, die Mädchen blickten, soweit sie es konnten, zur Tür, wo der junge Mann gerade aufgetaucht war, verstaubter und schmutziger denn je.

„Mein Schatz!“, quiekte seine schwangere Liebste und stürzte sich in seine Arme, ihn darauf heftig auf den Mund küssend. Er erwiderte den Kuss zunächst bloß dürftig, weil er etwas überrumpelt war, legte sich dann aber mehr ins Zeug, seine Hände in ihre Taille legend und sie streichelnd. Die anderen Beiden wurden eiskalt ignoriert.

„Wenn die ihre Momente haben, dann ist es ihnen ziemlich egal, wer dabei ist.“, erklärte Tainini ihrem perplexen Gast entspannt lächelnd, „Meistens hauen sie sich, ich finde solche Augenblicke total niedlich, zum Beneiden...“

Sie seufzte. Ja, sie hatte es ja schwerer als andere Mädchen, obwohl sie so bildhübsch war. Das war traurig, fand die Brünette, musste aber ebenfalls lächeln, als sie wieder zu dem Paar blickte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Jiro großes Durchsetzungsvermögen hatte, es war wohl eher Lilli, die zuhaute. Aber wahrscheinlich nicht zu doll, die zwei hatten sich wirklich gern, das merkte man. Ob es auf andere auch so gewirkt hatte, wenn sie mit Imera herum geknutscht hatte? Wohl kaum, dachte sie sich, obendrein war er auch kein so berauschend guter Küsser, fiel ihr ein. Er war viel zu schüchtern, als wäre es ihm unangenehm. Oder vielleicht war sie einfach widerlich? Nein, der Gedanke wurde ganz schnell wieder verworfen...
 

„Lilli!“

Jiro war kurz vor dem Ersticken gewesen, deshalb hatte er sich wieder von dem Mädchen gelöst, das sich, ebenfalls außer Atem, an ihn kuschelte. Was war denn in sie gefahren, sonst war sie doch nicht so.

„Ich liebe dich!“, schnappte sie, „Wir haben uns um dich gesorgt!“

„Habt ihr?“, fragte er blöd, „Ihr Angsthasen!“

Choraly schnaubte. Angsthasen, der hatte gut reden, wäre doch furchtbar gewesen, wenn ihm etwas geschehen wäre!

„Müsstest du nicht nach Hause?“, erkundigte er sich da an seinen Gast gewandt, sein Mädchen noch immer festhaltend und sie blinzelte.

„Ich bin schon über zwei Wochen hier, warum soll ich ausgerechnet jetzt nach Hause? Davon abgesehen weiß ich gar nicht, wie ich dahin soll...“

Tainini kicherte und ihr Bruder schien erst einen Moment überlegen zu müssen, was die junge Frau meinte. Ach ja...

„Was willst du jetzt eigentlich machen?“, fragte er da und legte den Kopf schief, seiner Verlobten, die sich noch immer an ihn gekuschelt hatte, einen kurzen Blick zuwerfend. Was war denn ihn die gefahren?

„Wie, was will ich machen?“

Das Stadtmädchen fuhr sich durchs Haar. Sollte sie von ihrem provisorischen Plan erzählen? Ach, was sollte es schon?

„Ich versuche mich bei Mayora einzuschleimen, damit er mir hilft, von hier wegzukommen. Etwas besseres ist mir bisher noch nicht eingefallen, leider, ich werde hier noch verrückt...“

Betretenes Schweigen.

Choraly war normalerweise nicht die Art Mensch, die Lilliann mochte, nein. In ihren Augen war sie eine verwöhnte Ziege, die alle Annehmlichkeiten, die man ihr bescherte, schamlos ausnutzte, ohne irgendeine Gegenleistung zu erbringen, mit Ausnahme von Personen, die ihrer Meinung nach ein so furchtbares Leben hatten, dass es selbst ihr Leid tat. Vermutlich, weil ihr Kindermädchen es sie gelehrt hatte oder so.

Aber trotzdem war sie ein Mensch mit Gedanken und Gefühlen, der Furchtbares erlebt hatte und der wohl einfach nichts für das konnte, was er war.

Sie seufzte leise und lies endlich von ihrem Verlobten ab. Solche Leute gab es und man musste sie akzeptieren, wie sie waren. Mayora gehörte auch dazu, ebenso wie Imera, fiel ihr ein. Die konnten auch nichts dafür, auch wenn ihr beide nicht besonders geheuer waren. Choraly war wenigstens harmlos...

Ein leises Schluchzen riss sie aus ihren Gedanken.

„Verzeihung, ich... tut mir Leid!“

Die Brünette wischte sich über ihre nassen Augen und lächelte aufgesetzt.

„Alles in Ordnung?“, fragte Tai leise und tastete sich zu dem Mädchen, um sachte einen Arm um sie zu liegen. Der rötliche Wind, der gegen das Haus peitschte, wurde völlig ignoriert, als auch Lilli sich zu ihr setzte und sie mitleidig ansah.

„Es... ja, es geht schon!“

Das Stadtmädchen versuchte tapfer, seine Tränen zurückzudrängen, doch es gelang ihm bloß dürftig. Verdammt, sie hätte nicht hier bleiben dürfen, was für ein Fehler! Wie peinlich...

Jiro schaute dem Schauspiel bloß geschockt zu. Wie seine Schwester und seine Verlobte das arme Mädchen trösteten und dieses irgendwie immer trauriger wurde und immer mehr schluchzte. Als sie es schließlich aufgab und ihr Gesicht in den Händen vergrub, wurde ihm zum ersten Mal klar, wie bemitleidenswert dieses Geschöpf eigentlich war. Es musste so für sie sein, wie es für Lilli gewesen wäre, wenn man sie ganz allein in die große Stadt geschickt hätte. Also grausam.

„Ich helfe dir!“, hörte er sich selbst sagen und alle sahen (mehr oder weniger) auf.

„Was meinst du?“, fragte Choraly leise, aber hoffnungsvoll und er grinste sie aufmunternd an. Seine Liebste lächelte. Das war ihr Jiro, darauf hatte sie nur gewartet.

„Weißt du, ich arbeite für alle möglichen Leute hier in Thilia.“, begann er zu erklären und setzte sich den Mädchen gegenüber, während der Wind draußen immer stärker über das Land hinweg fegte und man vor dem Fenster nur noch orange sah, „Und wir machen ja auch Tauschgeschäfte mit der Forschungsstation da draußen, da bin ich oft Laufbursche und ich kenne mich da auch schon ziemlich gut aus. Wenn ich das nächste Mal da bin, schaue ich nach einem Funkgerät, ja?“

Er lächelte lieb und stützte sein schmutziges Gesicht auf seinen Händen ab, während in Choralys Antlitz plötzlich alle Tränen weggetrocknet waren.

„Das würdest du für mich tun, ja?“, wollte sie ungläubig wissen und Tainini knuddelte sie gut gelaunt.

„Mein Bruder ist der Beste, nicht?“, machte sie und lachte. Lilli knuddelte sie derweil von der anderen Seite und lachte mit. War sie gerade aufgewacht oder begann sie jetzt erst zu träumen? Jiro war wirklich ein Held! Sie würde dafür sorgen, dass man ihn und seine Familie groß belohnte, so lieb wie sie waren!

„Aber, Choralychen...“, die beiden im Moment etwas hyperaktiven Mädchen hatten wieder von ihr abgelassen und nun schaut sie die Ältere ernst an.

„Dich bei Mayora einzuschleimen könnte praktisch für dich sein und wahrscheinlich auch nicht all zu schwierig, so einfach, wie der Laubfrosch gestrickt ist, aber pass bloß auf Chatgaia auf...“

„Sie ist eine Hexe!“, stimmte ihr Verlobter ihr zu, „Sie kann dich töten, wenn sie will, unter uns ist ein Mörder, der jeden bei Seite schafft, den sie nicht leiden kann!“

„Du solltest also nicht versuchen, ihr Mayora komplett auszuspannen, das würde sie vermutlich ziemlich böse machen...“

Auch Tai sprach in seltsamen Unterton zu ihr und sie schaute perplex in die Runde.

„Wie? Einen Auftragskiller?!“

Das Mädchen merkte, wie ihr das Atmen plötzlich immer schwerer fiel und ihr Herz bei dem Gedanken zu rasen begann. Oh nein...

„Choraly?“, fragte Jiro geschockt. Hatten sie etwas falsches gesagt?

„Hey, was ist?“, wollte Lilli wissen und ihre Fast-Schwägerin schlug sich geschockt die Hände vor den Mund. Heute schien wirklich nicht der Tag des Mädchens aus der großen Stadt zu sein...

„Mein Bruder!“, jammerte sie kreidebleich, „Semerachen wurde getötet... mir darf nichts geschehen, dann wäre Vater so traurig...“

Sie stammelte vor sich hin und war sich irgendwann selbst nicht mehr so ganz sicher, ob es bloß die Situation war, oder ob sie nun wirklich wahnsinnig geworden war...

Sandkasten

Choraly hatte bei Tai geschlafen. In dem kleinen Haus gab es kein Gästezimmer, aber das Bett der Jüngeren war recht groß, so dass das schon in Ordnung ging. Außerdem war es ganz lustig, bei jemandem zu übernachten, fand die 16-jährige. Sie hatte, als sie noch klein gewesen war, oft bei Atti geschlafen und dabei viel mit ihr herumgealbert. Mit Tai ging das auch gut, wie sie festgestellt hatte, auch wenn die Kleine etwas übervorsichtig mit ihr war.

Das Stadtmädchen war am Abend nach all den Eindrücken fast ohnmächtig geworden und hatte eine ziemliche Weile gebraucht, um sich wieder zu fassen und so waren alle ziemlich besorgt um sie gewesen, was ihr irgendwie peinlich war. Früher hatte sie sich bei jedem Schnupfen von allen verhätscheln lassen und hatte es genossen, im Mittelpunkt zu stehen, aber hier war alles anders.

Die Menschen hier hatten andere Probleme und waren nicht so eingenommen wie die in Wakawariwa, es war furchtbar, wenn man sie auch noch zusätzlich belastete. Und es war furchtbar, dass sie es so empfand, überlegte sie sich. Das grenzte an Identitätsverlust. Na ja, so lange sie nicht auch noch damit begann, Mayora sexy zu finden, ging es ja noch in Ordnung...
 

„Hattest du eigentlich genügend Platz?“, erkundigte sich Lilli dann beim Frühstück und ihre Fast-Schwägerin schnaubte.

„Natürlich, ich bin ja nicht fett!“

„Bist du dir da sicher?!“, machte ihr Bruder lachend und sie verzog das Gesicht.

„So sicher, wie ihr gestern Abend unanständig wart...“

Choraly nickte zustimmend, die Wände in dieser Hütte waren nicht besonders dick, sehr zu ihrem Leidwesen. Lilliann gackerte gut gelaunt und Jiro errötete.

„Dann hört doch weg, verdammt!“, fuhr er sie verlegen an und fuhr sich durch sein gruseliger Weise sauberes Gesicht. Wenn er das Haus verließ würde er aber wieder genauso sandig sein wie immer, dachte sich die Brünette.

Wäre Tainini nicht so lustig gewesen, hätte sie in dieser Nacht wirklich Angst bekommen, es war gut gewesen, dass sie nicht allein hatte schlafen müssen. Alles hatte gerattert, gescheppert und sonstige gruselige Geräusche gemacht, die sie unschön an den Absturz erinnert hatten und sie hatte sich echt gefragt, wie es draußen wohl ausgesehen haben musste, denn die Nacht war dunkel gewesen.

Wo ist der Mond?, hatte sie Tai irgendwann gefragt und diese hatte ihr ehrfürchtig geantwortet Hinter dem Sand!

Es verursachte noch immer eine Gänsehaut bei ihr, auch wenn es so ganz anders gewesen war, wie sie es sich vorgestellt hatte. Wie eine Schlechtwetterfront, bloß eben ohne Regen, sondern mit Sand.

So ganz anders und doch so ähnlich. Wie das Wetter in der großen Stadt jetzt wohl war...?
 

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In der großen Stadt regnete es schon seit Tagen, obwohl Sommer war. Aber zu Uda Magafis Stimmung passte es sehr gut, denn die politische Lage spitzte sich von Tag zu Tag zu. Kamake und Mon'dany stürzten sich nur so auf die Fehler des Mannes und warteten bloß noch auf die entsprechenden Formalitäten, um die Waffen zu ziehen, sie wollten den Frieden gar nicht wahren. Und das wegen so einem Unsinn! Konnten die ihm denn nicht nachempfinden, es war um seine Familie gegangen. Apropos Familie, Choraly war ja vielleicht noch immer da draußen. Und er kam nicht dazu, sie zu suchen. Aber vielleicht fand jemand anderes sie? Und half ihr? Aber vielleicht war es jemand böses, der seinem Mädchen schlimme Sachen antat?! Verdammt, das half ihm nicht weiter...
 

„Du musst ruhig bleiben.“

Femeese Magafi für seinen Teil war noch immer ganz ausgeglichen. Er hatte sich in seiner Amtszeit in schwierigeren Situationen befunden, das konnte ihn nicht mehr schocken. Mehr Gedanken machte er sich um seine Enkelin, doch das sprach er dem Gemütszustand seines Sohnes zu Liebe nicht aus. Er hatte es schon schwer genug in letzter Zeit, fand er. Und in die Wüste konnte man im Moment eh nicht, das würde die Lage bloß verschlimmern. Es war schon recht so, dass der Jüngere sich mehr um den Frieden seiner Heimat sorgte.

Der letzte Krieg zwischen den Kontinenten lag schon viele hundert Jahre zurück, obwohl sich die Mächte untereinander immer wieder in den Haaren lagen. Noch immer hatte die Vernunft gesiegt und der alte Mann zweifelte auch nicht daran, dass es letzten Endes wieder so kommen würde. Alles andere war doch Unsinn.

„Was hat Mon'dany uns schon entgegen zu setzen? Wir sind viel größer, haben stärkere Truppen und mächtigere Waffen, uns anzugreifen wäre ein Himmelfahrtskommando!“, stellte er aufmunternd grinsend fest. Uda Magafi grummelte.

Sie befanden sich im Salon des Magafi-Anwesens und immer wieder kamen irgendwelche Diener vorbei, die Tee brachten, leere Tassen wegnahmen oder auch einfach nur den großen Kaminsims abstaubten, da konnte man sich kaum konzentrieren und so kam er auch erst nach ein paar Sekunden auf den Denkfehler seines alten Vaters.

„Du hast Kamake vergessen.“, sagte er dumpf, „Die haben fast genauso viel wie wir, wenn sich die Südkontinente verbünden, stellen sie eine Übermacht dar.“

„Oh.“, machte der Ältere und kratzte sich am Kopf, „Wäre aber trotzdem dumm.“
 

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„Mayora, du hirnloser Nichtsnutz!“

Der Junge stand schuldbewusst vor seiner aufgebrachten Tante, deren hübsches Gesicht sich vor Wut ganz rot verfärbt hatte.

„Was hab ich dir gesagt? Fensterrahmen stärken, die Dinger sind alt! Und zufällig bist du ausgerechnet bei dem in meinem Zimmer zu blöd gewesen, um es anständig zu machen! Wolltest du mich umbringen?! Ich bin heute morgen in meinem Sandkasten von Schlafzimmer fast erstickt!“

Wenn man es genau nahm, war eigentlich noch immer Morgen, aber da die Magierin normalerweise gegen 5 Uhr aus dem Haus verschwand war 8 Uhr für sie schon fast Mittag. Auch egal, ihr Neffe hatte Mist gebaut.

„Es war keine Absicht.“, murmelte er beklommen. Blöder Weise hatte er, als er für seinen Teil ungewöhnlich früh aufgestanden und sein Zimmer verlassen hatte, einen Lachanfall bei Chatgaias Anblick bekommen, was die nicht so besonders berauschend gefunden hatte. Sie war total eingestaubt gewesen, überall hatte sie Sand gehabt, sogar in ihrem Dekolleté, wie er nach einem flüchtigen Blick registriert hatte. Aus ihrem langen grünen Haar war das pulverige Zeug nur so gerieselt, es hatte toll ausgesehen, im amüsanten Sinne.

Nützte aber alles nichts, jetzt bekam er gehörig was auf den Deckel, wie es schien.

„Wäre ja noch schöner gewesen! Ich würde dir am liebsten den Hintern versohlen, aber dazu erscheinst du mir ein wenig zu alt, ich...“

Sie überlegte. Wie konnte man einen 17-jährigen Jungen bestrafen? Ausgangssperre? Lustig, der Kleine ging ja nie weg.

Ich will keine Mädchen mehr kennen lernen, hatte er ihr irgendwann einmal gesagt, als sie ihn darauf angesprochen hatte, Das mit Shakki hat mir gereicht, das war schon schmerzhaft genug, auf eine sehr unangenehme Weise...

Dann such dir halt einen Kerl, hatte sie geseufzt, ohne es wirklich ernst zu meinen, Du kannst doch nicht dein Leben lang allein bleiben. Dafür bist du viel zu hübsch. Obwohl du deinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten bist, übrigens. Er hatte bloß gegrummelt.

Es war wirklich schwer, jemanden zu bestrafen, dem an nichts etwas lag, fand die Ältere und senkte schließlich den Blick. War es eigentlich ihre Schuld, dass er so geworden war?

Nein, beantwortete sie die Frage in Gedanken selbst, als sie sich daran erinnerte, wie er sich verhalten hatte, als er noch klein gewesen war. Schon damals hatte er keine wirklichen eigenen Interessen gehabt und war den ganzen Tag lang Imera nachgerannt, um ihn irgendwie zu kopieren, dabei hatte er gar nicht gemerkt, was für einen Idioten er sich zum Vorbild genommen hatte. Aber sie hatte ihm ja Himmel sei Dank die Augen öffnen können. Normaler hatte ihn das aber leider auch nicht gemacht.

„Gibt es eigentlich irgendetwas, was du wirklich magst?“, erkundigte sie sich so monoton und sah wieder auf.

Er blinzelte.

„Was ich mag?“, machte er erstaunt, „Willst du mich etwa belohnen?“

„Nein, ich will wissen, was ich dir wegnehmen soll.“

„Könnte schwierig werden.“, er grinste, „Ich mag alles, was mit Wasser zu tun hat, natürlich. Und ich mag Shakki und Maragi. Und dich natürlich.“

Und Choralychen, fügte er in Gedanken hinzu, hielt es aber für vorteilhafter, das nicht auszusprechen.

„Shakki mag mich aber nicht mehr und mit Maragi verhält es sich bekanntlich ein bisschen schwierig, da kann ich dir nicht weiterhelfen.“

Sein Grinsen verschwand und sein Ausdruck wurde seltsam. Seine Tante hätte in dem Moment viel darum gegeben, seine Gedanken zu kennen, aber mit einer Seherin wollte sie dennoch nicht tauschen, diese Leute waren nur bedauernswert.

„Ich bin irgendwie wirklich eine Missgeburt, kann das sein?“, fragte er da und sie musste glucksen.

„Diese Stadtgöre ist wirklich nicht gut für dich!“, stellte sie kopfschüttelnd fest und tätschelte ihm das grünhaarige Haupt.

Er hielt es für besser, darauf nichts zu erwidern und sie fuhr weiterhin gedankenverloren durch sein Haar.

„Meine Güte.“, kam dann irgendwann, „Du bist verdammt schnell groß geworden.“

Er zuckte nur mit den Schultern und hielt still, bis sie wieder von ihm abließ.

„Als du zur Welt gekommen bist, hattest du braune Haare, hast du das gewusst?“

Er blinzelte.

„Nein, hab ich nicht. Ehrlich?“

Sie nickte. Er hatte ziemlich wenig Peilung von seiner ersten Lebenszeit, das war ihr schon öfter aufgefallen. Andererseits war es ja auch nicht weiter wichtig, aber man konnte es ja einmal ansprechen.

Der Junge legte seinen Kopf leicht schief. Da war er wieder, der „Ich hab ja keine Ahnung“-Blick, den Chatgaia so amüsant fand und sie konnte nicht anders, als ihre Wut zu vergessen.

„Na gut.“, seufzte sie, „Ich lass es dir noch einmal durchgehen, aber beim nächsten Mal pass etwas besser auf. Oder willst du mich etwa um die Ecke bringen, damit du endlich das Sagen hast?!“

Sie grinste und ihm klappte die Kinnlade nach unten.

„Tante!“, keuchte er entsetzt und sie wandte sich grinsend ab.
 

Er war niedlich, er sollte endlich Shakki heiraten. Seit er bei ihr war, wollte sie das schon. Der Vater der kleinen Seherin war auch immer der Meinung gewesen, es sei eine gute Idee, die beiden zusammen zu bringen und als sich die Zwei ganz von selbst ineinander verliebt hatten, waren alle zufrieden gewesen, doch dieses selbstsüchtige Mädchen hatte ihnen ja einen Strich durch die Rechnung machen müssen. Bloß weil es sie nervte, ständig zu wissen, was ihr Freund dachte, Himmel. Dabei wären sie doch so ein schönes Paar gewesen.

Die Frau dachte seufzend an den Tag zurück, an dem man ihrem Neffen das Herz gebrochen hatte. Sie hatte in der Küche gestanden und Frühstück gemacht, genauso wie in diesem Moment übrigens, und hatte überhaupt nichts böses geahnt, da war die Welt untergegangen.
 

„Ich hasse alles!“

Die Haustür fiel scheppernd ins Schloss und die Magierin zuckte überrascht zusammen, als ihr Neffe die hölzerne Treppe hinauf stampfte und irgendetwas in der alten Sprache vor sich hinschimpfte. Nicht gerade ein typisches Verhalten für den ruhigen Jungen und für seine Tante Grund genug, sich nach ihm zu erkundigen.

„Was ist denn in dich ge... oh.“

Sie betrat sein Zimmer und verstummte, als sie ihn schluchzend auf seinem Bett kauern sah und er vergrub sein Gesicht in seinem Kissen, als er sie bemerkte.

„Geh weg!“, jammerte er gedämpft und sie setzte sich gegen seine Anweisung einfach zu ihm, ihn perplex musternd.

„Was ist los?“, erkundigte sie sich ruhig, „Hat Imera dich wieder geärgert?“

„Imera!“, er fuhr mit der bloßen Erwähnung dieses Namens auf und strich sich ein paar störrige Haarsträhnen aus dem Gesicht, „Nein, er hat mich nicht geärgert, der Idiot... der nicht.“

Er versuchte einen Moment dagegen anzukämpfen, begann dann jedoch abermals zu schluchzen und vergrub sein noch recht kindliches Gesicht in den Händen.

„Sie hat Schluss gemacht...“, brachte er gequält hervor und die Ältere schaute ihn mitleidig an.

Ach herrje, der arme Junge.

„Warum denn?“, fragte sie behutsam und zog ihn in ihre Arme. Er mochte es normalerweise nicht, wenn man versuchte, ihn zu knuddeln, aber das war wohl eine Ausnahme und so ließ er es zu.

„Weiß ich nicht.“, gab er bekümmert von sich, „Sie wollte mich einfach nicht mehr. Sie hat gesagt, ich würde... sie nerven.“

„Wie gemein.“

Dabei hatte die kleine bildhübsche Shakki immer so lieb gewirkt, seltsam. Aber da lag wohl der brennende Punkt. Auch wenn sie für das Dorfoberhaupt die Traum-Schwiegertochter gewesen wäre (auch wenn der Junge bloß das Kind ihrer Schwester war), es hatte sie sehr verwundert, dass sie zusammen gefunden hatten. Shakki war als Seherin schon sehr viel weiter als Mayora, geistig sowie körperlich, das hatte irgendwie ja nicht gehen können. Aber trotzdem, dem Kleinen so das Herz zu brechen, das ging doch nicht...

„Was hab ich nur falsch gemacht?!“, fragte er laut, wohl wissend, dass seine Tante ihm diese Frage kaum beantworten konnte.

Er war verletzt. Er war schon oft verletzt worden, aber das war ganz anders, das war einfach nur furchtbar und tat in seinem Herzen so weh. Er hatte immer Hoffnung gehabt, wenn man gemein zu ihm gewesen war, aber Shakki hatte von einem Tag auf den Anderen alles im Keim erstickt.

„Ich will dich nicht mehr sehen, klar?“, hatte sie gesagt, „Du bist total unreif und gehst mir mit deinem kindischen Getue sowas von auf die Nerven, such dir doch eine neue Freundin auf dem Spielplatz!“

Sie war immer so nett und zärtlich zu ihm gewesen, sodass es für ihn so plötzlich gekommen war, wie ein Stein, der ohne Vorwarnung von oben auf seinen Kopf knallte und ihn tot schlug. Obendrein waren die Dinge, die sie geteilt hatten, ja so etwas von überhaupt nicht kindisch gewesen, aber darüber wollte er sich mit Chatgaia nicht unbedingt unterhalten. So wie so, das ging sie nichts an, sie hatte genügend andere Sorgen.

„Ist schon gut, Tante, geh ruhig, ich komme alleine klar.“

Er befreite sich aus ihrer Umarmung und senkte den Blick. Sie strich durch sein Haar.

„Wirklich?“, fragte sie sicherheitshalber noch einmal nach, denn eigentlich hatte sie an diesem Tag wirklich noch viel zu tun.

Er nickte und so ließ sie ihn wieder allein, mit dem Gedanken, dass ein Kind in dem Alter sich schnell von so etwas erholte.
 

Doch sie sollte sich irren, ihr Neffe tat sich sehr schwer daran, auch wenn er stets versuchte, tapfer zu sein. Aber er veränderte sich, aß fast nichts mehr und war noch ruhiger als zuvor und als sich auch nach über einem Monat keine Besserung zeigte, suchte sie noch einmal das Gespräch mit dem Kleinen, wie sie ihn nannte, denn so besonders groß war er nicht.

„Mir geht es gut, ich denke schon gar nicht mehr an du weißt schon wen.“, meinte er bloß gleichgültig und stierte sie dabei seltsam aus seinem aschfahlen und so überhaupt nicht gesund wirkendem Gesicht an. Er war sehr dünn geworden.

„Aber du isst nicht.“, brachte sie es deshalb auf den Punkt und er zuckte mit den Schultern.

„Ich hab halt keinen Hunger.“

Die Frau fuhr sich durch ihr langes Haar, welches sie zu dieser Zeit gern in einer lockeren Hochsteckfrisur getragen hatte und seufzte.

„Du bringst dich noch um.“, machte sie ernst, „Du weißt, dass du schon seit du klein bist krank bist, irgendwie, du musst dich richtig ernähren!“

Wieder bloß ein Schulterzucken. Das Angst machen nützte wohl nichts.

„Wäre doch nicht schlimm.“, meinte er da, „Mich braucht doch eh niemand.“
 

Ob Shakki überhaupt wusste, was sie Mayora damals angetan hatte? Wohl kaum, auch wenn ihre Götter ihr alles verrieten. Aber Gefühle übermitteln konnten sie nicht.

Wenn sie ehrlich war, war sie mit ihrer Antwort, die sie von ihr vor wenigen Wochen erst nach der Frage des Trennungsgrundes von damals bekommen hatte, nicht wirklich zufrieden. Konnte es denn so schlimm sein, zu wissen, was in seinem Partner vorging?

„Ich bin nicht mehr besonders hungrig, ich hab vorhin schon etwas gegessen.“

Sie schreckte aus ihren Gedanken und drehte sich zu ihrem Neffen, der sie monoton ansah.

„Ich will sehen, wie es im Dorf aussieht. Außerdem muss ich doch nach dem Mädchen aus der großen Stadt suchen, ich bin sehr besorgt. Sie war in letzte Zeit immer so lieb und ich hatte so

wenig Zeit für sie, das will ich wieder gut machen. Außerdem läuft es zwischen ihr und Imera im Moment nicht so toll, wie ich gestern Abend noch in Erfahrung hab bringen können.“

Die Frau nickte. Er war so vernünftig geworden.

„Wie gesagt, mach mit ihr, was du möchtest... hast du denn schone eine gute Verwendung für sie?“

Zu ihrer Überraschung lächelte er, während er den Kopf schüttelte.

„Nein. Aber es reicht mir, wenn sie da ist und wir uns unterhalten können.“

Und das war ihr auch nicht geheuer. Irgendetwas lief da doch falsch, dieser plötzliche Sinneswandel der kleinen Prinzessin kam ihr nicht so ganz glaubwürdig vor. Sie konnte den Jungen doch nicht am einen Tag hassen und am nächsten mögen, das ging doch nicht.

Dieses Mädchen war absolut hinterlistig, da war sie sich sicher und ihr Freund war es auch, womöglich täuschten sie selbst ihre Krise nur vor, das traute sie ihnen alles zu. Aber so einfach war es nicht, Mayora hatte nicht genügend Macht, um das Dorf zu verraten, dafür hatte sie schon gesorgt... hoffte sie zumindest...
 

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„Pinita, hilf mir!“

Dafi saß an ihrem kleinen Schreibtisch, rechts und links neben ihr jeweils ein riesiger Berg von Akten. Ihre Cousine stand an den Türrahmen gelehnt da und aß ein Eis.

„Ich mache deine Arbeit nicht, du faules Stück.“, entgegnete sie nur gleichgültig und ein paar wirre blonde Strähnen fielen ihr ins Gesicht, „Hast du eigentlich mein Haarband gesehen? Irgendwie ist es weg und ich hab das Bedürfnis, mir die Haare schon wieder abzuschneiden...“

„Nicht!“, machte die Jüngere, „Ich weiß nicht, wo es ist, aber bitte die Haare nicht noch kürzer, du siehst aus wie ein Kerl mit Brüsten!“

Sie wandte sich todernst wieder ihrer Arbeit zu und die Andere spuckte ein Stück Eis, das sie gerade abgebissen hatte, wieder aus.

„Bitte?!“, empörte sie sich, „Und das sagst gerade du zu mir?! Du siehst aus wie ein Kerl mit langen Haaren, so! Mieses Stück Dreck, ey...“

Sie trat nach einem kleinen Schrank, der darauf ein unschönes Geräusch von sich gab und die 16-jährige sah wieder auf.

„Das war mit Abstand das Lustigste, was man je zu mir gesagt hat.“, seufzte sie und die Ältere gackerte darauf blöd.

Ihren Bruder hatte man immer ausgelacht, weil er ausgesehen hatte wie ein Mädchen, dachte sie sich. Letzten Endes waren sie sich bloß ähnlich gewesen und das hatte keinem von Beiden einen Vorteil gebracht. Echt blöd.

„Nicht schmollen, arbeiten!“, forderte Pinita sie wieder auf, als sie sich wieder zusammen gerissen und ihr Eis zu Ende gegessen hatte, „Ich geh jetzt ins Dorf und frag Tafaye, ob er ein neues Stirnband für mich hat, sonst passiert wirklich noch ein Unglück mit den Fransen...“

Sie pustete sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht und wandte sich schon zum Gehen, als die Andere mit ihrer noch immer komischen Stimme quiekte.

„Nein, ich will mit!“, forderte sie, „Ich hab gesagt, ich will Choralys beste Freundin sein und bloß wegen eurem blöden Krieg bin ich schon ewig nicht mehr zu ihr gekommen! Ich muss doch nach ihr sehen!“

Sie war aufgestanden und zu ihrer Cousine getreten. Man nannte ihren Beruf Koordinatorin und das klang so, als würde sie irgendwelche ominösen Dinge koordinieren, doch dem war irgendwie nicht so. Vielmehr halste man ihr irgendwelchen blöden Schreibtischkram auf. Gut, sie verdiente nicht schlecht, aber was nützte einem Geld in der Wüste? Und nach Hause kam sie auch nur einmal im Jahr und so toll war es da auch wieder nicht. Das Mädchen war schließlich hier draußen aufgewachsen und die Stadt, aus der sie kam, war ziemlich groß und doch recht modern, sie kam da kaum zurecht. Außerdem kannte sie dort niemanden, es zog sie nichts dorthin.

„Und was ist mit deiner Arbeit?“, wollte die Größere da wissen und sie seufzte.

„Ich will weg hier, ich will ins Dorf.“
 

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Der Sandsturm war nicht so schlimm gewesen, wie befürchtet. Die meisten Dinge und Gebäude waren heil geblieben und niemand war zu Schaden gekommen. Ein größeres Problem stellte der Sand dar, der ins Dorf geweht worden war und nun so ziemlich alles teilweise sogar meterhoch bedeckte. Und die windstille Luft, die noch immer orange schimmerte und die einem das Atmen furchtbar schwer machte, weil die voll von winzigen Staubpartikeln war

So stand der kleine Wirtschaftskreislauf des Ortes an diesem Morgen still, denn alle waren irgendwie damit beschäftigt, den Sandkasten wieder bewohnbar zu machen. Die einen mussten sich dabei mehr Mühe geben, die anderen, besonders die Windmagier, weniger, denn die konnten mit ein paar kleinen Zaubern die Straßen frei fegen. Zumindest manche, nicht jeder war gleich talentiert in der Magie. Warum das so war, konnte niemand sagen. Ursprünglich war man einmal davon ausgegangen, dass verschiedene Familien stärker waren, als andere, aber mit der Zeit hatte man bemerkt, dass das damit überhaupt nichts zu tun hatte. Bestes Beispiel waren die Geschwister Shakki und Kinai. Aber gut, man konnte nicht alles haben.
 

Das waren auch Mayoras Gedanken, als er so durch die inoffizielle Hauptstraße des Dorfes ging und sich aufmerksam umsah. Die Leute kamen zurecht, wunderbar. Aber wo war Choraly hin?

„Ich hab sie nach Wakawariwa geschickt, wie du wolltest.“

Er schreckte auf und sah zur Seite, wo Imera an einer Hauswand lehnte und ihn wissend angrinste.

„Das war es doch? Du suchst sie, oder?“

Er schnaubte und schaute einfach wieder weg. Er hatte keine Zeit für diesen Primitiven, auch bei ihnen zu Hause gab es zu tun. Zum Beispiel Chatgaias Zimmer freischaufeln...

„Bist du unhöflich heute morgen.“, hörte er den Älteren gespielt entsetzt sagen und der Himmelsblüter ging rasch weiter, merkte aber, dass er ihm folgte. Hatte der nichts besseres zu tun?

„Du nervst.“, knurrte er so ärgerlich, als der Braunhaarige neben ihm erschien und der schwieg eine Weile und schaute sich genau so interessiert um wie der Andere zuvor.

„Ich will aber auch wissen, wo sie hin ist. Sie ist schließlich meine Freundin... und ich liebe sie.“

Der Jüngere hielt inne. Was sagte er?

„Was denn?“, auch Imera hatte halt gemacht.

„Du weißt doch gar nicht, was Liebe bedeutet! Noch nicht einmal im Ansatz!“

Es machte ihn wütend, wenn ausgerechnet er von Liebe sprach, diese unnötige Erscheinung des Lebens.

„Und du weißt es auch nicht, vermutlich noch weniger als ich, also reg dich nicht so künstlich auf, du Feigling.“

Er hatte anscheinend gute Laune und ließ sich von dem Kleineren nicht reizen. Warum auch, das verschwendete nur Energie bei der schlechten Luft...

„Na gut.“, schnappte der Grünhaarige so, „Aber dann solltest du dich einmal ernsthaft mit ihr unterhalten, wenn sie dir SO wichtig ist.“

Gut, er konnte verstehen, dass er an ihr hing, hatte er bei den einheimischen Mädchen doch so gut wie keine Chance, obwohl er nicht hässlich war. Keine wollte einen so talentfreien und dummen Mann wie ihn haben. Nein, falsch. Das war es nicht. Jiro war weder viel schlauer, noch in irgendetwas talentierter als er, aber trotzdem liebte Lilli ihn bedingungslos. Und das lag einfach an seinem guten Herz und seinem lieben Charakter, etwas, was er Imera weit voraus hatte. Choraly schien ihn tief in ihrem Inneren bereits durchschaut zu haben, wenn sie ihm ein „Dummes Huhn“ so lange so übel nahm; sie hatte es wohl bloß noch nicht so recht registriert.

„Was meinst du?!“, erkundigte sich der Ältere nun auch etwas säuerlich. Er sollte sich nicht in seine Angelegenheiten einmischen, verdammt.

Mayora grinste bitter.

„Na ja, wenn ihr heiraten solltet, denkst du nicht, dass das Mädchen aus der großen Stadt irgendwann einmal das Bedürfnis bekommt, Mutter zu werden? Was willst du ihr dann sagen?“

Er hob beide Brauen und blinzelte.

„Was soll ich ihr denn sagen? Ich kann gesunde Kinder zeugen, die sicherlich auch keine Missgeburten sind!“

Der Jüngere seufzte, wandte sich ab und ging weiter. Er war zu dumm.

„Hey!“, rief der Andere ihm empört nach, „Weißt du etwas, was ich nicht weiß?“
 

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„Choralychen ist bei uns.“

Jiro grinste. Die Menschen hatten wohl Recht, Chatgaias Neffe war irgendwie wirklich einfältig, konnte das sein? Oder er dachte bloß von hier, bis zum nächsten Kaliri-Baum, war ja auch möglich.

„Warum ist sie nicht nach Hause gekommen?“, wollte der überraschte Ältere wissen, der nach einer halben Stunde des ahnungslosen Umherrennens auf den werdenden Vater getroffen war, der irgendwie etwas besseres zu tun hatte, als bei der „Entsandung“ zu helfen.

Jiro seinerseits dachte im letzten Moment an die Worte seines Gastes zurück und war ganz schön stolz auf sich, als er sich nicht verplapperte.

„Sie hat es gestern Abend nicht mehr geschafft.“, erklärte er so ruhig und kicherte innerlich wie ein kleines Kind, „Aber sie hat sich Vorwürfe gemacht, weil sie nicht bei euch Bescheid sagen konnte, wo sie war. Sie wollte nicht, dass du dich sorgst.“

Das hatte er gut gemacht, er verdiente sich eine Belohnung, fand er. Aber nein, kam ihm dann im nächsten Moment, er tat es ja für einen guten Zweck.

Ich bin sehr stolz auf dich., hatte Lilli ihm in der vergangenen Nacht liebevoll zugeflüstert, Du weißt, was das Richtige ist, du bist vernünftiger als alle anderen hier!

Vielleicht hatte sie Recht, wer wusste es schon? Er sollte sich Mühe geben, vor allem, weil er so auch bei seiner niedlichen Verlobten Eindruck schinden konnte. Und bei seiner lieben Schwester, die das Mädchen auch sehr gern hatte. Ja, er tat das Richtige, auch wenn er log.

„Sie wollte wirklich nicht, dass ich mich sorge?“, wollte Mayora da überrascht wissen und der Jüngere nickte grinsend. Oh, war er gut. Er musste sich in nächster Zeit bloß ganz weit von Shakki entfernt halten, nicht, dass die ihnen noch einen Strich durch die Rechnung machte. Oder er musste sie miteinbeziehen, mal sehen, was sich ergab. Würde schon gehen.

„Das hätte ich nicht gedacht... ich meine, dass sie das sogar zugibt!“

Er war überraschter als sie angenommen hatten, war das noch im Rahmen? Nach dem Frühstück hatten sie noch einmal alles besprochen und man hatte Choraly noch einmal ausdrücklich, aber behutsamer als am Tag zuvor gewarnt, nicht zu weit zu gehen. Wenn der Idiot jetzt aber schon so drauf war, musste das nicht unbedingt von Vorteil sein. Ach, was sollte es, da konnte er ja wirklich nichts für.

„Sie mag dich halt.“, gab er so nur noch von sich und ging dann weiter ihm noch ein Grinsen zuwerfend, „Ich hab noch zu tun!“
 

„Sie mag mich?“

Mayora guckte dem Jüngeren ein wenig blöd nach. Also log sie wirklich nicht?

Er lächelte.

Das war ja wunderbar! Und das, obwohl er sie so vernachlässigen hatte müssen. Sie schien wirklich ein kluges Mädchen zu sein. Das musste er unbedingt seiner Tante erklären, sie hatte ja keine so gute Meinung von ihr, wie schade. Sie hatten halt einen schlechten Start gehabt, sei es darum, das war der jungen Frau aber nun wirklich nicht zu verübeln! Am liebsten wollte er sich sofort schon wieder bei ihr entschuldigen, auch wenn er keine Peilung davon hatte, wofür, Hauptsache irgendwie Einschleimen, hätte Imera wohl gegackert.
 

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Und wie er das tat.

Choraly und Lilli starrten ihn gleichermaßen blöd an, als er in der Haustür stand und Tai, die auch dabei war, schnupperte verwirrt.

„Hier duftet etwas.“, stellte sie richtig fest und ihr Fast-Schwägerin warf ihr ein seltsames Lächeln zu.

„Ja.“, machte sie und wandte sich wieder an den Besucher, „Wo hast du die denn ausgebuddelt? Himmel...“

Er lachte verlegen und hielt dem braunhaarigen Mädchen einen wunderhübschen und sehr selbst gepflückten Blumenstrauß entgegen.

„Geheimnis. Ich wollte mich entschuldigen, weil... ich mich halt entschuldigen wollte, ja.“

Er streckte das Grünzeug noch mehr in ihre Richtung und hätte sie fast im Gesicht getroffen, hätte sie es nicht endlich entgegen genommen.

„... wie?“, fragte sie bloß und Tainini kicherte ein wenig. Was die dachte, wollte sie nicht wissen, bei allen Göttern...

„Na ja, ich hatte nicht viel Zeit für dich und wir hatten keinen guten Start und so...“

Er wurde ganz verlegen und das Stadtmädchen auch, wie konnte man so peinlich sein? Und das vor Lilli und Tai! Sie hatte irgendwie das Bedürfnis, ihm ganz doll weh zu tun, aber damit machte sie vermutlich alles kaputt. Also immer schön lächeln, sie war eine Magafi, sie konnte das.

„Danke.“, presste sie so hervor und grinste verzerrt, während Lilliann die Jüngste in die Stube schob, weil sie nicht mehr aufhören konnte, zu gackern. Kleines Kind!

„Gehen wir?“, fragte er freundlich und sie verstand ihn zunächst falsch und wollte ihm trotz guter Vorsetze eine in die Fresse hauen, da sprach er weiter, „Ich weiß nicht, ob du schon gegessen hast, aber meine Tante wollte noch etwas zubereiten.“

„Ich bin satt.“, seufzte sie erleichtert und hatte sich im letzten Moment noch einmal zurück halten können, „Aber ich komme trotzdem mit.“

Nicht, dass sie so besonders scharf darauf war, wieder in der Gegenwart von Himmelsblütern vor sich hin faulen zu müssen, aber bei den beiden Tussis konnte sie jetzt ja wohl kaum noch bleiben, wo er sich so eine Nummer geleistet hatte. Ach, er war echt primitiv.
 

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„Weißt du, wo Jiro hin wollte?“

Während sie so durch den Ort spazierten, versuchte die sehr zu ihrem Leidwesen recht rosa angelaufene Choraly so gut sie nur konnte, den hübschen Blumenstrauß zu verstecken. Viele alte Omas begannen zu kichern und tuscheln wie kleine Kinder, als sie sie die Beiden sahen, das war alles, wovon sie mitbekam. Dass so ziemlich alle anderen sie ignorierten, bekam sie nicht mit. Auch nicht, dass der Ältere sie etwas gefragt hatte.

„Chorilein?“

Okay, das hatte sie gehört.

„Wie hast du mich genannt?!“

Als sie empört zu ihm herum fuhr, grinste er sie an. Das lief irgendwie aus dem Ruder, was hatte man dem denn erzählt?

„Chorilein!“, wiederholte er ohne böse Gedanken und dem Mädchen klappte der Mund auf. Sie mochte wohl keine Kosenamen?

Er selbst hätte immer gern einen gehabt, aber sein Vorname war so schlecht abzukürzen gewesen. Ihn nannte man bloß Missgeburt oder Kräuterheini... na ja, nicht mehr. Aber im Stillen hatte er es eigentlich ganz lustig gefunden. Auch egal.

„Du Missgeburt!“

Wenn man daran dachte. Er musste lachen. Ach, das Leben war schön.

Choraly fand das ja nicht, aber das wusste er ja nicht. Dieser eingebildete, hässliche, dumme, zurückgebliebene, naive Arsch! Man durfte den Namen einer Dame wie ihr doch nicht so zerstückeln, verdammt! Am liebsten hätte sie ihn in Hackfleisch verarbeitet, aber sie riss sich zusammen und atmete ein paar Mal tief durch.

Er hatte ja nicht wissen können, dass das in ihren Kreisen einer Beleidigung glich. Außerdem war sie es ja selbst Schuld, wenn sie so gütig zu ihm war.

Irgendwie bezweifelte sie, dass dieser Idiot wirklich dazu in der Lage war, sie von hier wegzubringen. Er war so verdammt leichtgläubig.

„Bist du jetzt sauer?“, fragte er da und riss sie so aus ihren Gedanken.

„Nein.“, war alles, was sie antwortete.

Gesundheit

„Jiro!“, Dafi starrte den Junge geschockt an, „Was machst du hier?!“

Er errötete. Netter Weise hatte Maragis Vater noch ein paar Gegenstände, die zur Forschungsstation mussten und so hatte er einen guten Grund gehabt, hier aufzukreuzen. Auf der Suche nach einem Funkgerät, er hatte bloß verschwommene Vorstellungen von einem solchen Teil, war er in ihm völlig unbekannte Gänge geraten und bis auf das dürre Mädchen war ihm niemand begegnet, was die Sache doch ein wenig vereinfacht hatte. Praktisch.

„Ich äh... ich habe Sachen gebracht.“, er grinste verlegen und kratzte sich hinter dem Kopf, worauf aus seinem Haar der Sand rieselte.

Die etwas Jüngere verschränkte die Arme vor der Brust und hob skeptisch eine Braue. Er sollte nicht lügen, ihre Laune war ohnehin schon ziemlich mies. Pinita hatte sie nicht mitgenommen...

„Rede keinen Quatsch, dein Zeug gibst du an der Verwaltung ab. Das hier sind die Wohngänge und wie der Name so schön sagt, befinden sich hinter diesen Türen die Zimmer der Leute, die hier leben! Also, was sind deine Absichten...?“

Dass man ihn so leicht ertappen würde, hätte der Junge nicht gedacht und er seufzte enttäuscht. Und dann auch noch ausgerechnet von Dafi. Komisch, sonst war sie doch immer so ruhig...

Pinita ist nicht hier.

„Du hast Recht.“, gab er dann zu und zögerte kurz, „Was hältst du eigentlich von Choraly?“

Die schmalen Gesichtszüge seines Gegenübers hellten sich auf.

„Von Choraly?“, machte es, „Schickt sie dich? Ich mag sie gern!“

Damit gehörte sie wohl zu den Wenigsten in der Wüste, wie der Junge bereits mitbekommen hatte, denn in Thilia redete man schlecht über sie. Manche meinten sogar, Shakki würde in ihr einen Unglücksbringer sehen, aber das fand er absurd. Sie war schließlich nicht absichtlich hier. Und es ging ihr schlecht. Seltsamerweise lag das Misstrauen aber auch zu einem großen Teil an ihrer angeblichen Abneigung Himmelsblütern gegenüber. Gut, sie hatte ziemlich geschockt auf Mayora reagiert und war vielleicht ein wenig voreingenommen, aber das war doch auch nicht ihre Schuld! Und so schlimm konnte es ja nicht sein, sonst hätte Dafi sie bestimmt nicht gemocht.

„Gut.“, meinte er deshalb. Vielleicht konnte er das Mädchen ja auch einweihen, sie kannte sich schließlich hier aus.

„Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?“
 

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Chatgaias Mundwinkel zuckten zunächst bedrohlich, ehe sie sich ruckartig abwandte und hinter vorgehaltener Hand zu kichern begann. Bei allen Göttern, das hatte er sich von seinem Onkel abgeschaut!

Unterdessen saß Choraly hochrot am Tisch und beobachtete die Frau. Mayora hatte sie hier her gebracht und wollte ihr eigentlich noch irgendetwas erzählen, doch da war so ein Typ gekommen und hatte gemeint, er solle einmal mitkommen, es sei ein Notfall oder wie auch immer. So war sie alleine nach drinnen gegangen und hatte ihren Blumenstrauß in eine mit Wasser gefüllte Vase gestellt (sie kannte sich, nachdem sie einmal gekocht hatte recht gut in den Schränken aus) und diese dann auf dem Esstisch platziert. Und ihrer Gastgeberin versuchte sie das Geschenk gar nicht erst zu erklären, die dachte sich ja scheinbar ihres.

„Dein Freund hat nichts dagegen, wenn dir andere Männer Blumen schenken?“, erkundigte diese sich da und grinste noch immer leicht vor sich hin. Ach ja, sie hatte ja einen Freund...

„Ach, der ist dazu ja nicht in der Lage, da soll er still sein.“

Sie war verletzt. Das Mädchen hatte gedacht, oder zumindest gehofft, wenn sie mit Imera zusammenkam, würde er auf sie aufpassen, für sie sorgen und sie gern haben, aber nichts von all dem war eingetreten. Sie hatten sich schön unterhalten, ein wenig geschmust, sich kindergartenmäßig geküsst und das Letzte, was ihr zu dem jungen Mann einfiel, war der Moment, indem er seinen kleinen Cousin geschlagen hatte. Na toll.

„Hört sich nicht besonders gut an.“, kommentierte die Ältere ihre traurige Aussage da und beugte sich zu den Blumen, um an ihnen zu riechen.

„Er war ziemlich weit drin, um die zu finden, in der Nähe von Morika...“, ihre orangen Augen fixierten das Stadtmädchen, „Aus irgendeinem Grund hat er dich plötzlich noch sehr viel lieber als zuvor. Aber ich warne dich, spiele nicht mit meinem Neffen, Fremde.“
 

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„Oh bitte, hilf ihr!“

Havi Beviri stand verzweifelt in der Ecke eines einfach, aber liebevoll eingerichteten Raumes ihres kleinen Hauses und starrte auf ihre Tochter, die in ihrem Bett lag und sich vor Schmerzen krümmte.

Mayora sah entsetzt auf die kleine Maragi herab, deren Körper über und über mit roten Stellen versehrt war und deren Fieber dem von dem jungen Mann wirkliche Konkurrenz machte.

„Was ist passiert?“, fragte er bloß verwirrt an die Mutter gewandt, die ganzen anderen Leute, Verwandte, Nachbarn, Freunde, die von überall zusahen, weitgehend ignorierend.

„Ich weiß nicht.“, antwortete die Frau ihm den Tränen nah, „Die Salbe wirkt nicht mehr richtig und gestern Abend hat sie auch noch Fieber bekommen... wir haben alles versucht!“

„Oh Himmel...“

Der Junge setzte sich zu der Kleinen. Sie sah schlimm aus und er war gar nicht sicher, ob sie überhaupt richtig bei sich war.

„Maragi?“, fragte er deshalb vorsichtig und sie schenkte ihm einen schwachen Blick aus glasigen Augen, „Maragi, es ist wichtig, hast du irgendetwas anders gemacht als sonst? Das musst du mir unbedingt sagen!“

Sie schüttelte leicht den Kopf.

„Ich sterbe...“, machte sie schwach und er tätschelte ihr Haupt tröstend.

„Du stirbst nicht, nicht deswegen!“, versicherte er ihr gezwungen lächelnd, in Wahrheit war ihm seine gute Laune bei ihrem Anblick jedoch schon längst vergangen. Sein Talent lag in der Medizin, seine Tante brachte ihm schon jahrelang ihr vielfältiges Wissen bei, dabei arbeitete auch er daran, immer neue Medikamente herzustellen um immer mehr Krankheiten behandeln zu können. Maragi Beviri war seine erste Patientin gewesen, als gerade einmal 8-jähriger hatte er angefangen, selbst hergestellte Salben auf sie zu pappen. Chatgaia war es nicht gelungen, etwas wirkungsvolles für das Leiden des kleinen Mädchens zu erfinden und weil sie es ja schon von Geburt an gehabt hatte, hatte sie den Eltern nach ein paar Wochen einfach empfohlen, das Baby unglücklich auf den Kopf fallen zu lassen und sich ein neues zu machen. Ihr Neffe hatte ihre Kaltherzigkeit damals nicht verstanden und hatte, wie sich herausgestellt hatte zum Glück, darauf bestanden, sich dem Kind annehmen zu dürfen. Mit seinem Erfolg hatte er alle beeindruckt und zumindest in dieser Hinsicht großen Respekt erlangt, was die kleine Himmelsblüterin zu seiner allerliebsten Lieblings-Kranken gemacht hatte.

Was ihr Leiden betraf kannte sich keiner so gut aus wie er, aber so wie an diesem Tag hatte er sie noch nie gesehen und der Anblick schnürte ihm einen Moment lang sehr unangenehm die Luft ab, dann fasste er sich wieder.

„Stift und Papier!“, verlangte er und irgendein kleiner Junge brachte ihm beides. Er schrieb ein paar Kräuter und sonstige, ekligere Medizinzutaten auf und drückte die Liste dem Kind wieder in die Hand.

„Bring das bitte meiner Tante und sag ihr, dass soll sie mir irgendwie besorgen. Und beeil dich!“

Der Kleine rannte sofort los.

Maragi rang nach Atem.

„Mayora...“, jammerte sie weinend und er nahm sie hoch und legte sie sich vorsichtig auf den Schoß, wo sie sich zitternd an ihn kuschelte, „Ich sterbe...“

Er warf der Mutter einen mahnenden Blick zu und sie verstand.

„Alle raus hier!“

Sie scheuchte die Meute aus dem Raum und folgte schließlich selbst. Erfahrungsgemäß arbeitete, oder wie man es nennen wollte, der eigentlich ziemlich schüchterne junge Mann am besten, wenn man ihn dabei nicht beobachtete.
 

„Ich sterbe!“

Das kleine Mädchen hustete kraftlos und der Ältere hielt sie vorsichtig fest.

„Du stirbst nicht!“, widersprach er ihr traurig und zweifelte den Bruchteil einer Sekunde an seinen eigenen Worten, sie sah so schlimm aus. Die Kleine schien ihn gar nicht richtig wahrzunehmen.

„Ich sehe die Windgeister...“, flüsterte sie benebelt und der Grünhaarige weitete die Augen. Nicht doch!

„Hör mir zu!“, fuhr er sie an, stand auf und stellte sie vor sich hin. Damit sie nicht umfiel, packte er sie unsanft an den Schultern, gerade an ganz besonders schlimmen Stellen und der Schmerz riss sie wieder ein wenig ins Leben zurück. Ihr Blick klebte flackernd, aber aufmerksam in seinem Gesicht und er zögerte einen Moment, ehe er weiter sprach.

„Ich verspreche dir hiermit feierlich, dass ich dich heute, sagen wir in... 4 Jahren, ja? Also ich werde dich heute in 4 Jahren zu meiner Frau nehmen, Maragi, in Ordnung?“

Er glaubte selbst nicht so ganz, was da gerade seinen vorschnellen Mund verlassen hatte, aber der Schock fiel in dem Moment von ihm ab, in dem er das Mädchen packte.

Ihr Blick flackerte nicht mehr und mit einem Mal war sie unglaublich klar.

„Was sagst du da?“, fragte sie brüchig, aber verständlich und er lockerte seinen Griff ein wenig und kniete sich lächelnd zu ihr.

„Ich hab dir etwas versprochen.“, entgegnete er leise, „Das hast du dir doch gewünscht, oder?“

Eigentlich wagte er ja zu bezweifeln, dass er ihr gerade das Richtige gesagt hatte, aber es hatte seinen Zweck allem Anschein nach erfüllt, denn sie war zumindest nicht mehr halb tot.

In 4 Jahren konnte noch viel geschehen, beruhigte er sich innerlich selbst, sie fand sicherlich einen anderen Jungen, der besser zu ihr passte und der noch ein wenig mehr in ihrem Alter war oder sie verlor einfach die Lust daran, ihm hinterher zu schauen, man wusste es ja nicht. Und wenn all das nicht eintraf, dann heiratete er sie halt, was sollte es schon? Sie war ja lieb und eine Andere fand er so wie so nicht, Shakki hatte ja kein Interesse mehr....

„Liebst du mich?“

Er senkte den Blick. Sie war ein kleines Mädchen, er liebte sie natürlich nicht. Vielleicht schon, aber doch nicht so.

„Sagen wir, in vier Jahren werde ich es tun, ja? Jetzt mag ich dich noch einfach...“

Die Jüngere nickte ernst.

„Ich bin wieder gesund.“
 

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„Du wolltest was?!“

Jiro schaute die entsetzte Dafi hart an. Er durfte keine Zweifel zeigen, dachte er sich, dann war die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihn ernst nahm, wesentlich größer. Glaubte er zumindest einmal so gehört zu haben...

„I-ich meine, ist dir eigentlich klar, was man mit dir machen könnte, wenn der Falsche dich hier erwischt?! Du würdest ins Gefängnis kommen! Nach Fides oder Palbuflor, das sind zwei riesige Städte, die du in deinem ganzen Leben dann nie wieder verlassen könntest, ob du willst oder nicht!“

Sie fuhr sich geschockt durchs Gesicht, als ihre krächzige Stimme ihr kurz entsagte und er zuckte mit den Schultern.

„Ist ja bisher gut gegangen.“, machte er nur, „Und wer soll der armen Choraly sonst helfen, wenn ich es nicht tue? Außerdem findet Lilli es attraktiv, wenn ich den Held spiele...“

Seine Gedanken schweiften augenscheinlich kurz ab. Seine süße Verlobte...

„Das ist natürlich ein Grund...“, murmelte die Jüngere nicht wirklich überzeugt und seufzte. Sie wollte Choraly ja auch helfen. Allein schon als Entschädigung dafür, dass sie sich in den letzten Tagen nicht hatte um sie kümmern können, aber war das nicht zu riskant?

„Lass mich nachdenken...“

Am nächsten Tag kamen irgendwelche Persönlichkeiten von weit weg zu einer wichtigen Lagebesprechung in die Station, dann würden die Meisten dort sein. Der Funkraum war natürlich immer überwacht, aber wenn ein Großteil des Personals im Ratssaal versammelt waren, fiel es dem einen Verlierer, der morgen Dienst hatte, sicher schwer, Alarm zu geben. Von daher...

„Okay, wir machen es wie folgt...“

Jiro erstrahlte. Sie half ihm!

„Ich werde dich jetzt nach draußen bringen, dabei werden wir einen Umweg machen und ich zeige dir die Tür des Funkraumes. Morgen Abend, wenn die Sonne hinter den Dünen verschwindet, machst du dich wieder auf den Weg hier her, ich werde bei dem Gerät in diesem Zimmer sein. Soweit klar?“

Bei dem Trottel war es besser, wenn man zwischendurch einmal nachfragte. Sie hatte nichts gegen ihn, im Gegenteil, aber er war wirklich ziemlich verpeilt und bei so einer Aktion durfte man sich natürlich keine Fehler erlauben.

„Ich habe verstanden!“, antwortete er ihr ernst und voller Elan, „Und weiter?“

Sie nickte ihm zu.

„Wenn du bei mir ankommst, hab ich mich schon um die Wache gekümmert. Allerdings kann ich nicht einfach so nach Wakawariwa funken, aus verschiedenen Gründen, das könnte mich den Kopf kosten. Ich hoffe, dafür hast du auch Verständnis.“

Er blinzelte, da fuhr sie schon fort.

„Leute, wie die Magafis haben natürlich auch ein privates Funkgerät oder sogar mehrere, man muss sie ja überall erreichen können. Nun ist es so, dass verschiedene Geräte verschiedene Codierungen haben und... bitte Choraly einfach, dir ihre Nummer aufzuschreiben, ja?“

Es hätte nichts gebracht, weiter auf dieses technische Wirrwarr einzugehen, das hätte er eh nicht verstanden. Das Mädchen aus der großen Stadt würde schon wissen, worum es ging.

Hoffentlich verriet sie sie nicht...
 

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„Du bist aber auch ein Verlierer...“

Kahana spülte Geschirr ab und schimpfte schlecht gelaunt, wie sie es eigentlich meistens war, vor sich hin. Kura und Imera saßen am Tisch und lasen jeweils ein Buch, wobei Letzterer nach allen zwei Zeilen eine kleine Pause einlegte, weil die „komischen Zeichen“, wie er sie liebevoll betitelte, ihm Kopfschmerzen bereiteten.

„Weiß ich schon länger...“

Er seufzte. Ja, wenn man von sich selbst ablenken wollte, richtete man seine Aufmerksamkeit auf jemand anderes...

„Da bekommst du endlich eine ab und dann lässt du es so enden.“, sie räumte die Teller weg, „Nicht, dass du eine Frau verdient hättest, so faul wie du bist – andererseits verstehe ich auch, dass man schnell in den selben Trott verfällt, wenn man nichts kann. Obwohl, mit dem Kurzschwert bist du überraschender Weise ja nicht schlecht.“

Kura vergrub sein Gesicht in seinem Buch. Er mochte das Umfeld, in dem er aufwachsen musste, überhaupt nicht. Immer redeten alle so miteinander, als hätten sie sich nicht lieb... hatten sie auch nicht...

„Und ich kann rechnen, besser als du übrigens, Tante.“

„Da kannst du dir auch was drauf einbilden...“

Sein Papa und seine Mama hatten sich nicht lieb, niemand hatte Imera lieb und vermutlich mochte ihn auch niemand, deshalb blieb er lieber still und mischte sich in nichts ein. Er wollte nichts wissen, deshalb fragte er auch nichts, so einfach war das. Und sobald er groß war, verschwand er von hier, ganz schnell. Und soweit weg wie möglich, genau.

„Kura, kannst du deinen Text jetzt eigentlich?“

Seine Mutter war neben ihm aufgetaucht und lächelte gezwungen. Sie versuchte immer, nett zu ihm zu sein. Er nickte.

„Und was nützt ihm das?“, wollte sein Cousin gelangweilt wissen und weitete ein wenig die Augen, als er versuchte weiter zu lesen, „Was heißt das denn?!“

Kahana schielte in sein Buch.

„Das ist ein Eigenname, du Held. Und was es ihm bringt, musst du Lilli fragen, deren Eltern sind schließlich die Lehrer und geben die Hausaufgaben.“

Der Junge zuckte mit den Schultern.

„Als ob mich das interessieren würde... oh, hallo.“

Rohama, Imeras Onkel, war zur Tür herein gekommen und grüßte wie immer nicht zurück.

„Wenn du mich fragst...“, machte er nur und trank einen Schluck Kaliri-Saft aus einem Krug, der auf dem Tisch stand, „Geh zu deinem Weib und mach ihr ein Kind, dann kann sie nicht mehr so leicht weg. Erinnerst du dich...?“

Seine Frau schnaubte und sein Neffe verstand. Seine Ehe war am zerbersten gewesen und Kahana wäre ihm fast davon gelaufen, da war Kura gekommen und hatte noch einmal alles zusammengehalten. Ursprünglich hatte er ja keine Kinder gewollt, Der Nervenzwerg meines Bruders reicht mir!, aber so hatte er immerhin seine Frau behalten. Wie gemein ein solcher Zug war, war ihm eigentlich egal, so hatte es schon sein Vater gemacht, sein Bruder, sein Großvater... und die ganzen Väter seiner Väter. Es war normal so in dieser Familie, was sollte es schon. Aber Kura wollte ganz sicher nicht so werden. War er irgendwie gestört oder so...?
 

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„Ob das was bringt?“, Chatgaia legte verschiedene Medikamente, Kräuter und ähnliches in einen Korb, „Wenn es wirklich so schlimm ist, wie du sagst, Junge, dann ist es ziemlich unwahrscheinlich.“

Der Kleine begann zu schluchzen.

„Aber sie ist doch meine Lieblingscousine, ich will nicht, dass sie sterben muss.“

Er vergrub sein Gesicht in den Händen und weinte. Choraly trat dazu und umarmte ihn, auch wenn sie ihn nicht kannte und er kuschelte sich schutzsuchend an die Fremde.

Er tat ihr Leid, der Arme. Sie schenkte der Magierin, die unbeeindruckt weiter nach irgendwelchem Kräuterzeug suchte, einen bösen Blick. Man konnte einem kleinen Kind so etwas doch nicht einfach ins Gesicht sagen, also wirklich! Hätte Atti das mitbekommen, hätte sie die Grünhaarige für diesen schweren pädagogischen Fehler einen Kopf kürzer gemacht, mit Sicherheit. Sie hatte immer gewusst, was das Richtige war...

„Maragi wird sicher wieder gesund, Mayora wird ihr helfen. Er hätte dieses Zeug bestimmt nicht aufgeschrieben, wenn er keine Ahnung hätte, was er tun sollte, oder?“, versuchte sie ihn zu beruhigen und der kleine, etwas hässliche Junge nickte schwach.

„Na ja, es sieht mir eher so aus, als hätte er keine Ahnung und wollte bloß...“

„Chatgaia!“

Vielleicht war ihr Handeln nicht vorteilhaft, dachte sich die Brünette, aber sie konnte doch nicht zulassen, dass diese himmelsblütige Vollidiotin den armen Knirps so fertig machte! Kein Wunder, dass Mayora so eine meinungslose Missgeburt war, wenn er bei der hatte aufwachsen müssen...

Sie zuckte unter dem funkelnden Blick der Älteren etwas zusammen.

„Du schneidest mir das Wort ab.“, stellte sie kalt fest, „Was erlaubst du Göre dir?“

Sie legte die Kräuter bei Seite und baute sich bedrohlich vor dem Mädchen auf, dass sich ebenfalls erhob und den Jungen etwas nach hinten schob.

„Göre!“, zischte es, „Wissen Sie denn nicht, was Sie dem Kleinen damit antun, wenn sie ihm solche Angst machen? Sie wissen schließlich nicht alles, oder? Also warten Sie ab, verdammt!“

Sie drehte sich um und ging.
 

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„Ihre Tante ist böse!“, der hässliche Knirps hielt Mayora den Korb entgegen und warf seiner gleichaltrigen Cousine, die zwar geschwächt, aber adrett und völlig beisammen auf ihrem Bett saß, einen konfusen Blick zu, „Ihr geht’s ja wieder besser.“

„Natürlich!“, schnappte Maragi, „Ich bin eine erwachsene Frau, ich darf nicht jammern.“

Der Grünhaarige nahm unterdessen den Korb an und kontrollierte seinen Inhalt.

„Gut. Was ist mit meiner Tante?“

„Sie ist böse!, wiederholte sich der Kleine, „Sie ist böse auf das hübsche Mädchen! Aber das hübsche Mädchen ist lieb.“

Der Ältere blinzelte. Okay, das klang nicht gut. Warum war sie wütend auf Choraly? Verdammt, er musste sich beeilen...

So schnappte er sich seine Materialien und verschwand in die Küche, da ließ sich besser Medizin herstellen.
 

„Du willst meine Tochter doch nicht wirklich zur Frau nehmen?“, fragte ihn Havi Beviri kaum, dass er den Raum erreicht und zu arbeiten begonnen hatte. Die ganzen anderen Nervensägen hatte sie inzwischen rausgeschmissen.

„Ich weiß nicht.“, seufzte der Junge, „Ich habe gedankenlos gesprochen. Würden Sie sie mir denn geben?“

Sie blickte ihm über die Schulter.

„Nein, du bist kein guter Mann.“

Niemand würde seine Tochter freiwillig diesem Spinner anvertrauen, dachte sich die Frau, er war doch gar nicht in der Lage für jemanden zu sorgen.

Er hielt in der Bewegung inne.

„Ah...“, kam dann, „Aber gut genug, um die Kleine immer wieder aus ihrer Welt der Schmerzen zu befreien. Sie Undankbare!“

„Was hat das mit Dankbarkeit zu tun?“, erkundigte sich die Ältere bloß gelangweilt und setzte sich an den Tisch, ihn weiterhin aufmerksam beobachtend, „Es war lediglich eine Feststellung. Das, was man von dir verlangt, machst du ja auch zufriedenstellend.“

Oder auch nicht, dachte sie sich weiter, sie wäre heute trotz seiner tollen Salbe fast gestorben.

Mayora hingegen reizten ihre Worte, nicht zuletzt, weil sich durch die Worte des Jungen eine innere Unruhe in ihm breit gemacht hatte. Zufriedenstellend? All das, was er für dieses Kind getan hatte, betitelte die Mutter als „zufriedenstellend“?! Er legte die Kräuter aus seiner Hand und stützte sich an der Küchenablage ab.

„Hören Sie mal gut zu, Frau Beviri, ich kümmere mich schließlich freiwillig um Ihre Tochter.“, er zischte leise, „Ich könnte auch einmal aus Versehen die falschen Kräuter in die Salbe tun und dann würde meine arme kleine Pseudo-Verlobte nicht mehr aufwachen. Wäre doch jammerschade...“

Die Frau schluckte.

„Das meinst du nicht ernst, oder?“

„Durchaus.“

Er setzte seine Arbeit fort und Havi Beviri schlug sich die Hände entsetzt vor den Mund. Dieser Bastard hatte Glück, dass er Chatgaias Neffe war, sonst...

„Die Leute in diesem Dorf würdigen das, was ich tue nicht genügend, kann das sein? Sie ehren mich als den Neffen des Oberhauptes und verachten mich als den Erben von Morika, aber als Person hat niemand Interesse an mir. Also fast.“

„Ich würde mich ja dazu äußern, wenn ich nicht um das Leben meiner Tochter fürchten müsste...“

Die Magierin sah grummelnd zur Seite.

„Oh, sprechen Sie nur, Sie müssen Sich nicht fürchten, bloß ein bisschen mehr nachdenken. Sagen Sie mir, was ich falsch mache. Ich bitte darum.“

Sie seufzte. Nicht fürchten, wenn er damit drohte, ihr Kind zu töten? Er war lustig, wirklich.

„Du bist ein willenloses Spielzeug, so etwas ist abartig.“, machte sie dennoch leise.

Man wusste ja nicht, wer mithörte... sie warf einen verschwörerischen Blick in die Richtung der Zimmertüre von Maragi. Sie würde sie anfallen, wenn sie ihren Liebsten beleidigte. Ach, wie sie diesen Zustand doch hasste...

„Es ist viel einfacher, keinen Willen zu haben in dieser Welt. Sie sollten es auch einmal versuchen, es ist leichter als man denkt...“, er blickte nachdenklich in die Schüssel, in der er irgendetwas zusammen gemischt hatte, „Fertig. Ich heile die Kleine dann mal.“

Er verließ den Raum mit der Medizin und Havi Beviri seufzte.

„Manchmal ist der einfachste Weg nicht der Beste, Mayora.“
 

--
 

„Komm aus dem Badezimmer!“

„Nein!“

„Du kommst jetzt sofort daraus!“

„Ich denk ja gar nicht dran!“

„Weißt du eigentlich, was ich mit dir machen kann?“

„Ist mir so hoch wie breit!“
 

Chatgaia fauchte. Sie war ruhig und ausgeglichen und hatte das Dorf unter Kontrolle, aber diese Göre aus der großen Stadt entpuppte sich mehr und mehr als Störfaktor, so wie es schien. Ihr Neffe sollte etwas unternehmen, verdammt!

„Du bist ein unerhört verzogenes Kind, Choraly Magafi!“

„Heul doch!“

Und sie belagerte das Badezimmer schon seit einer halben Stunde mit dem einzigen Zweck, sie zu ärgern. Und das hatte sie auch geschafft. So wie so, sie schien sich viel zu gut zu fühlen, wenn sie es sogar wagte, sie zu unterbrechen.
 

Choraly ihrerseits hatte extrem schlechte Laune. Diese Ziege bezeichnete sie als unerhört verzogen, sollte sie jetzt lachen? Diese Frau war rücksichts- und taktlos.

Und sie fürchtete sich vor ihr, auch wenn sie es so nicht zugab. Nachdem, was sie von Jiro gehört hatte, erst Recht. Sie war so froh, wenn sie endlich von hier wegkam. Und außerdem hatte sie im Moment unglaublicher Weise eine große Sehnsucht nach der Missgeburt. Sie wusste nicht genau warum, aber irgendwie kam sie sich bei ihm sicher vor. Ob das aber auch bei Streitigkeiten mit Chatgaia so war, konnte sie nicht sagen. Aber trotzdem, der sollte jetzt gefälligst kommen.
 

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„Und Dafi kann man trauen?“

Lilli saß grübelnd vor dem Abendessen und starrte auf den Tisch. Jiro hatte ihr natürlich sofort alles berichtet.

„Ich meine, ein bisschen mulmig ist mir ja schon, stell dir mal vor, du gehst dahin und die lauern dir schon auf, weil sie dich verraten hat und du kommst wirklich ins Gefängnis. Ich glaube, dann würde ich sterben... ich liebe dich.“

Sie sah auf und zog eine Schnute. Er lachte bloß.

„Natürlich kann man Dafi trauen!“, es war Tai, die sich einmischte, „Sie hat mich in den letzten Monaten doch oft besucht, erinnert ihr euch? Und sie ist ein herzensguter Mensch, sie würde niemals jemanden verraten!“

Angesäuert biss sie in ein Stück Brot und schnaubte. Dafi war lieb.

„Wenn man es genau nimmt ist sie bloß kein Mensch...“, überlegte ihr Bruder da laut, „Aber prinzipiell hat Taininilein schon Recht, man kann ihr trauen, denke ich!“

„Ich ja auch, aber.... du wirst schon Recht haben.“

Die werdende Mutter lächelte ergeben. Es war ja mitunter auch ihre Idee gewesen, der armen Choraly zu helfen, jetzt wegen ihren Panikgedanken alles abzusagen wäre einfach nur kindisch.

Das konnte man dem Mädchen ja auch nicht antun.

„Und Dafi ist wirklich lieb.“, die Jüngste schnaubte und der Junge nickte.

„Jetzt muss ich morgen früh nur noch einmal mit dem Mädchen aus der großen Stadt sprechen, damit die mir dieses Nummern-Dings sagt.“

„Ja, ohne das geht’s wohl nicht.“, bestätigte ihm seine Verlobte, „Dass diese zivilisierten Leute auch alles so kompliziert brauchen...“
 

--
 

„Diese Salbe ist gut.“

Maragi knuddelte ihr Kissen, während Mayora ihren Rücken mit dem ominösen Zeug einrieb.

„Ja? Die ist viel stärker als die Alte, ich hoffe, da gibt es keine Nebenwirkungen... wenn sich irgendetwas an dir verändert, musst du mir sofort Bescheid sagen, ja?“

Sie nickte.

„Weißt du jetzt eigentlich, was ich habe?“

„Immer noch nicht.“, er seufzte, „Vielleicht würden richtige Ärzte aus der großen Stadt es wissen, aber ich glaube nicht, dass ich je darauf kommen werde. Dazu bin ich nicht intelligent genug.“

Nicht intelligent genug? Das Mädchen fuhr auf und wandte sich ihm entsetzt zu.

„Es gibt keinen Mann auf der Welt, der so intelligent ist wie du, mein Liebster!“

Er musste sich ein Grinsen stark verkneifen. Jetzt verstand er Shakki, die nicht mehr Liebste genannt werden wollte...

„Einbildung, ich kann nicht rechnen. Ich kann überhaupt nicht rechnen, es ist sehr peinlich...“

Er wischte sich die Hände an einem Tuch ab und seufzte verlegen. Liebe machte wirklich blind, es wusste doch jeder, dass er kaum zählen konnte...

„Für mich bist du der intelligenteste Mann auf der Welt, auch wenn du nicht gut rechnen kannst. Ich kann übrigens ziemlich gut rechnen, dafür hast du ja dann mich!“

Sie strahlte ihn an und er grinste gequält.

„Sehr gut.“, murmelte er, „Aber ich gehe jetzt nach Hause, ich hab mich ja ziemlich lang hier aufgehalten. Du weißt ja, wie du dich zu verhalten hast.“

Er ging.
 

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„Denkst du, du bekommst dein Haustier irgendwann unter Kontrolle?“

So wurde der junge Mann von seiner Tante begrüßt, als er sein Haus betrat und blinzelte verwirrt.

„Guten Abend.“, machte er, „Was ist denn los? Hat sie sich nicht geschickt? Dabei hatte sie doch so gute Laune gehabt...“

Das hatte sicher daran gelegen, weil er ihr so einen schönen Blumenstrauß geschenkt hatte. Er sollte es öfters tun...

„Sie belagert stundenlang das Badezimmer, nur um mich zu reizen.“, zischte die Magierin bedrohlich leise. Und das hatte sie wohl auch geschafft, denn das Dorfoberhaupt war von einer bedrohlichen Energie umgeben, die selbst Mayora erschaudern ließ.

„Ja, aber warum denn?“

Sie antwortete nicht sofort und warf ihm nur einen seltsamen Blick zu.

„Hol sie da raus. Sofort.“

Er hielt es für besser, zu gehorchen.
 

„Choraly?“, wenig später klopfte er an die Tür, „Was machst du so lange da drin?“

Sie schluchzte.

„Ich kann nicht mehr hier heraus!“, es war ein herzergreifendes Wimmern, „Ich hasse deine Tante!“

Oh Himmel. Was war denn geschehen, als er weg war?

„Kann ich zu dir rein?“

Es dauerte kurz, da hörte er den Schlüssel im Schloss und wurde eingelassen. Vor ihm stand ein augenscheinlich zutiefst bestürztes Mädchen, das es nicht wagte, ihm ins Gesicht zu sehen.

„Ich habe sie verärgert.“, begann sie von selbst, „Sie hat Maragis Cousin verängstigt und... das geht doch nicht! Ich habe sie gestoppt und dann war sie so... gruselig...“

Sie vergrub das Gesicht in ihren Händen.

„Ich hab Angst vor ihr und ich hasse sie, fertig!“

Der Junge seufzte mitleidig.

„Hör mal.“, machte er leise, „Erinnerst du dich, was ich dir an deinem ersten Tag hier gesagt habe? Misch dich lieber nicht in ihre Angelegenheiten ein, auch wenn dir etwas falsch erscheint, das ist am Einfachsten.“

Er hätte sie gern tröstend in die Arme geschlossen, aber er war sich sicher, dass sie das nicht wollte, auch wenn sie es vielleicht nicht zugab und so legte er ihr bloß tröstend eine Hand auf die Schulter. Sie hatte es nur gut gemeint, ja, aber wie sollte er Chatgaia wieder besänftigen?

Sie war so furchtbar garstig geworden in den letzten Jahren, duldete keine Widerrede mehr und bestrafte hart, der Grünhaarige erkannte die Frau, zu der er einst so aufgesehen hatte, nicht mehr wieder. Aber sie hatte Schlimmes erfahren, er konnte es ihr nicht übel nehmen. Und wenn die ganze Welt irgendwann gegen sie sein würde, er würde zu ihr halten, das hatte er sich geschworen.

„Aber der arme kleine Junge!“, Choraly riss ihn wieder aus seinen Gedanken, „Kommst du dir denn nicht komisch vor, wenn du ihr dämliches Verhalten immer nur hinnimmst?“

Er blinzelte und sprach, bevor er nachdachte, was er später ziemlich bereuen sollte.

„Ich habe dein dämliches Verhalten doch auch immer hingenommen, wo liegt denn da der Unterschied?“

Recht hatte er eigentlich, das war der jungen Frau vom ersten Augenblick an klar, aber dass er das so sagte...

„Du mieser Arsch!“

Monster

„Bitte mach die Tür auf!“

Mayora stand verzweifelt vor Choralys Zimmertür, hinter der man das Mädchen hemmungslos schluchzen hören konnte.

„Geh weg, du blöde Missgeburt!“, schrie sie das Holz von innen an, „Ich hasse dich, ich bleibe jetzt hier drin und verhungere, so!“

Sie wusste eigentlich, wie dumm und kindisch sie sich verhielt, aber irgendwie kam ihr das als die angenehmste Lösung vor. Er hatte ja Recht, verdammt. Aber hatte er ihr das so gemein ins Gesicht sagen müssen? Das hatte weh getan, irgendwie...

So wie so, alles tat weh. Da war dieser tiefe Schmerz in ihrem Inneren, den sie so gut es ging verdrängte, der aber mit jeder Sekunde, die verging und sie ihn nicht durchließ, größer wurde und sie wahnsinnig zu machen drohte. Er schien sie zu erdrücken und ihr wurde schlecht, als sie sich apathisch an ihr Kissen klammerte.

Sie vermisste ihre Mutter und Atti. Und ihren Vater und ihren Großvater. Und ihren lieben großen Bruder Semera. Und die große Stadt Wakawariwa, die schon im Kleinkindalter ihr zu Hause gewesen war. Sie vermisste ihre eingebildeten adligen Freundinnen und ihre Angestellten, die hässlichen dürren Laufburschen ihres Vaters so wie die Putzmädchen. Und sie vermisste den Jungen, der wegen ihr irgendwo ganz weit weg in einem Kerker saß und in seinem ganzen Leben vermutlich kein Tageslicht mehr zu Gesicht bekommen würde.

Langsam aber sicher wurde ihr klar, dass sie sich in keinem Alptraum befand. Das hier war das Leben. Und sie hasste es.
 

„Bitte verzeih mir! Ich bin wirklich eine verdammt blöde Missgeburt, du hast Recht! Bitte weine nicht mehr!“

Der Junge raufte sich verzweifelt die matsch-grünen Haare. Oh nein, was hatte er nur angerichtet? Man durfte doch keine Mädchen zum Weinen bringen! Und erst recht keine wie die kleine Prinzessin, was sollte er jetzt bloß machen?

„Geh einfach weg, du misslungenes Stück Leben! Du Götterschande!“

Ihm klappte der Mund auf. Er wusste nicht genau, woher sie, als Mädchen aus der großen Stadt, dieses Wort kannte, aber anders als alles andere, was sie ihm so an den Kopf warf, machte es ihm wirklich etwas aus. 'Götterschande' war so ziemlich das Allerschlimmste, was man zu einem Himmelsblüter sagen konnte, eine größere Beleidigung gab es nicht.

Und mit einem Mal zweifelte er mehr an ihrer Glaubhaftigkeit als je zuvor.

„Das muss ich mir nicht bieten lassen.“, war alles, was er noch von sich gab, ehe er sich abwandte und nach unten ging. Das Mädchen ließ er heulend zurück.
 

--
 

„Meine Güte.“

Chatgaia musterte ihren Neffen mit hochgezogenen Brauen, während sie in der Stube saßen und Tee tranken. Er war zu ihr nach unten gegangen und fühlte sich augenscheinlich ziemlich mies, was ihre innere Wut auf ihren Gast weiter schürte.

„Was hat sie dieses Mal zu dir gesagt?“, erkundigte sie sich so und trank einen Schluck.

Er sah sie nicht an.

„Du würdest sie töten, wenn ich es dir sagen würde.“, grummelte er nur leise und sie seufzte.

Sie hatte ihm dieses Mädchen anvertraut. Verständlich gesagt hatte sie sie ihm geschenkt. Es lag nicht in ihrer Befugnis, sein Geschenk kaputt zu machen. Aber der Junge war nicht dumm, er wusste, was gut für ihr altes Herz war. Sie durfte sich nicht zu sehr aufregen... wo war ihre sensationelle Selbstbeherrschung nur hin?

Ach... was sollte es schon...?

„Mayora.“, sprach sie leise und bedacht in ihre Tasse blickend, „Ich will mich schon lange einmal mit dir unterhalten.“

Er sah zu ihr.

„Was? Worum geht es?“

Sie hielt kurz inne und dachte nach.

„Um dich, Neffe. Ich sorge mich ein wenig...“

Es war an der Zeit, mit ihm zu reden. Er blinzelte.

„Was fällt dir ein, wenn du an deine ehemaligen Klassenkameraden denkst? Was ist aus ihnen geworden?“, begann sie da und er kratzte sich am Kopf.

„Wenn du mich das so spontan fragst... weiß nicht. Die Meisten haben irgendeinen Beruf gelernt oder haben sich einen Partner gesucht. Manche...“, er unterbrach sich etwas geschockt selbst, als er kapierte, worauf sie hinaus wollte, „Manche haben auch schon Kinder... ach so...“

Die Magierin nickte. Gut, dass er sie so leicht verstand.

„Magst du es nicht noch einmal mit Shakki versuchen? Sie schaut dir so hinterher, dieses Mal würde es sicher klappen!“

Er erschauderte. Oh Himmel, bloß nicht.

„Ich will nicht noch einmal etwas mit Shakki anfangen. Ich meine, ich will schon, sie ist so schön und ich... ich liebe sie ja. Aber... nein, lieber nicht.“

Er zog eine Schnute und die Ältere erhob sich. Ihr Tee war leer.

„Du bist doch ein hoffnungsloser Fall.“, gab sie noch zu hören, ehe sie in die Küche verschwand.
 

Der Junge vergrub sein Gesicht in den Händen. Ach war das alles kompliziert...

Ein Klopfen riss ihn aus den Gedanken.

Warum kamen die Leute seit kurzem immer zu so unmöglichen Uhrzeiten?! Ach, was sollte es schon, er öffnete.

„Guten Abend!“, er blickte in Jiros grinsendes Gesicht, „Ich muss zu Choralychen, es ist gaaanz wichtig!“

Er war so hyper-gut gelaunt, wie demotivierend. Der Ältere senkte resigniert den Kopf und ließ ihn ein.

„Ich bring dich zu ihr, komm mit.“
 

„Hast du eine tolle Laune.“, gackerte der andere Junge, als er dem Grünhaarigen über die Treppe folgte und dieser verkniff sich einen Kommentar. Ach, der hatte ja keine Ahnung. Der Depp hatte es ja so gut, mit seiner Fast-Frau und seiner Schwester und seinem ungeborenen Baby. Und seinen Freunden...

An die Sorgen, die er sich machte, dachte der Grünhaarige natürlich nicht. Er hielt ihn wohl für zu gedankenlos.
 

Im Obergeschoss war es still geworden und Mayora deutete auf die Tür des Gästezimmers.

„Da.“, seufzte er, „Ihr geht es nicht besonders gut, also sei nett zu ihr...“

Dann wandte er sich ab und verschwand in seinen Raum. Es wäre nicht besonders vorteilhaft gewesen, wenn er nun bei dem anderen geblieben wäre, vermutlich hätte die Prinzessin dann ihre Tür noch nicht einmal geöffnet. Und wenn es ja so wichtig war...

Moment, was konnte denn so wichtig sein?

Zum Glück waren die Wände nicht besonders dick...
 

--
 

„Choralychen, es gibt gute Neuigkeiten!“

Jiro hämmerte voller Elan auf dem dunklen Holz herum und hätte dem Mädchen als es öffnete fast ins Gesicht geschlagen, wäre es nicht im letzten Moment noch einmal zurückgewichen.

„Oh!“, machte der andere erschrocken, „Entschuldigung. ... wie siehst du denn aus?“

Ihr ging es schlecht und das sah man auch. Andererseits, was wunderte es ihn? Mayora hatte ihn doch vorgewarnt, das hatte sie hören können...

„Ach...“, seufzte sie nur und strich sich ein paar wirre Strähnen hinter die Ohren, „Mir wird das hier alles zu viel. Ich kann bald nicht mehr... du hast gute Neuigkeiten?“

Sie wollte jetzt irgendwie kein Mitleid.

Es war komisch, früher hatte sie es genossen, immer für jeden Mist bedauert zu werden, aber jetzt, wo sie es wirklich verdient hätte, kam ihr das abartig vor. Entweder war man stark oder schwach, man konnte nicht kämpfen und jammern gleichzeitig. Das hatte sie nun gemerkt. Atti wäre stolz auf sie gewesen.

„Ja, es gibt super Neuigkeiten!“, grinste Jiro da und riss sie so aus ihren dämmrigen Gedanken, „Ich habe Dafi für uns gewonnen und die hat voll die Peilung!“

Choraly blinzelte. Dafi?

Sie ist wohl doch meine beste Freundin...

Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, als er weiter sprach.

„Jedenfalls haben wir voll den guten Plan! Und, aber... wir können halt irgendwie nicht dahin funken wie normal und irgendwie... äh... brauchen wir jetzt eine Nummer von dir, ja?“

Der Junge kratzte sich am Kopf. War das denn noch normal? Vergaß er einfach die Hälfte seines super tollen Heldenplans! Das ging doch nicht! Also echt...

Die Jüngere kicherte. Sie wusste, was er meinte.

„Du willst unsere Privatnummer.“, stellte sie richtig fest und sah sich kurz im Raum um, bis sie das entdeckte, was sie gesucht hatte, „Ach ja, Papier, genau. Ich notiere sie dir schnell.“

Sie eilte zu ihrem kleinen Schreibtisch und kritzelte mit einem seltsamen Kohlestift, der total schwer zu handhaben war, wie sie fand, auf einen dicht daneben gelegenen Zettel die Nummer und reichte sie schließlich ihrem Freund, der so viel für sie tat.

„Hier.“, lächelte sie, „Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll. Tut mir Leid für die Unannehmlichkeiten.“

„Ach was.“, er steckte das Papier ein, „Das tu ich doch gern für ein liebes Mädchen wie dich. Und...“

Er senkte den Blick.

„Erinnerst du dich an deinen ersten Tag hier? An das Gespräch, das wir geführt haben, als ich dich zum ersten Mal zu diesem Haus geführt habe, um dir Mayora vorzustellen?“

„Verschwommen.“

Ein Seufzen entrann seiner Kehle.

„Da hab ich gelogen, du hast nicht so ausgesehen, als wärst du tot. Du hast bloß sehr sehr traurig ausgesehen...“
 

--
 

Lilli fühlte sich mit jeder Minute, die verging, immer schlechter. Sie wusste nicht, woran es lag, aber sie hatte einfach Angst um ihren Liebsten.

„Schau doch nicht so traurig.“, bat dieser sie und zog eine Schnute, als sie am Abend in ihrem gemeinsamen Zimmer waren und er sich auszog. Die junge Frau saß bereits nur noch mit einem kurzen Nachthemd bekleidet auf dem Bett.

„Und was ist, wenn du doch ins Gefängnis kommst?“

Er verdrehte grinsend die Augen und sie stand auf.

„Oder wenn irgendein Verrückter kommt und dich verkloppt. Vielleicht wirst du ja auch überfallen? Oder ein Wüstendämon kommt und frisst dich auf!“

„Lilliann!“

Er schaute seine Verlobte, die nun völlig verängstigt vor ihm stand, erschrocken an.

„Lilli...“, wiederholte er, „Ganz ruhig, alles ist gut! Sonst bist du doch nicht so... Mäusschen...“

Er umarmte sie und sie schluchzte.

„Seit ich schwanger bin, bin ich komisch...“, heulte sie und Jiro musste unwillkürlich grinsen. Ja, das war wahr...

„Geht doch in Ordnung, Süße.“, beruhigte er sie dennoch und streichelte ihr liebevoll über den Rücken, „Das ist ganz normal. Bei meiner Mutter ist es glaube ich auch so gewesen, als sie mit Tainini schwanger gewesen ist... ist zwar sehr lange her, aber ich erinnere mich ein ganz klein bisschen. Und außerdem...“

Er schob sie etwas von sich und musterte sie eine Weile. Sie blinzelte sich überrascht die Tränen aus den Augen.

„Kann es sein...“, begann er da strahlend, „...dass dein Bäuchlein schon wieder runder geworden ist? Du siehst ja so süß aus!“

Sie errötete ein wenig. Sie fand ja, die Schwangerschaft stand ihr nicht so besonders...

„Das sagst du nur so...“, tat sie es so bloß ab und ließ sich wieder aufs Bett plumsen. Er folgte ihr grinsend.

„Kuscheln?“, fragte er gut gelaunt und sie musste unwillkürlich auch grinsen, auch wenn ihre Hormone ihr noch immer ein flaues Gefühl bereiteten.

„Natürlich, was denn sonst?“
 

--
 

Am Morgen war Choraly sehr nervös. Die Zeit bis zum Sonnenuntergang schien noch so lang und es war so verdammt langweilig, denn schon als sie aufgewacht war, war sie ganz alleine im Haus gewesen. Zu Jiro wollte sie irgendwie nicht, sie befürchtete, sie könnte die Familie nerven und das war bei allem, was sie für sie auf sich nahmen das Letzte, was sie wollte. Sie hatte in der Wüste die Dankbarkeit kennen gelernt.

Und so beschloss sie am Vormittag, etwas sehr unangenehmes hinter sich zu bringen. Wenn alles glatt ging war sie so wie so in ein paar Tagen weg von hier und dann musste es erledigt sein. Sie wollte sich mit Imera unterhalten.
 

Und so fand sie sich schon bald vor dem doch recht schäbigen kleinen Haus ihres Freundes wieder. Sie hatte ein seltsames Gefühl dabei und musste komischer Weise noch nicht einmal anklopfen, denn nach kaum einer Minute kam der junge Mann von selbst nach draußen. Sie hatten sich verhältnismäßig lange nicht gesehen. Er wirkte verändert.
 

„Choraly.“, machte er und seine Stimme klang brüchig, „Du willst Schluss machen.“

Sie nickte langsam.

„Ja... wir haben ja den Göttern sei Dank schnell gemerkt, dass wir nicht so gut zueinander passen, wie zunächst angenommen. Es ist besser so.“

Es tat ihr nicht weh, es zu beenden. Sie wusste nicht genau, warum es so war; als sie sich gezwungener Maßen von ihrem ersten Freund hatte trennen müssen, hatte es weh getan. Aber bei Imera war es anders. Er senkte den Blick tief.

„Weil ich dich dummes Huhn genannt habe.“, kam dann leise und sie schüttelte den Kopf.

„Nein. Nicht deswegen. Du bist komisch. Ich kann nicht mit jemandem wie dir zusammen sein, tut mir Leid.“

Er schwieg eine Weile und fuhr sich dann durchs Haar.

„Natürlich.“, schluchzte er darauf schließlich und sie weitete die Augen angesichts dessen, dass er tatsächlich begann, wegen ihr zu weinen, „Mit mir will ja nie jemand zusammen sein, weil ich immer irgendwie komisch bin. Weil ich ein Verräter bin, obwohl ich noch nie jemanden verraten habe und weil ich dumm bin...! Ich... du gehst jetzt besser...“

Nun tat es ihr doch weh, aber nicht, weil sie ihren Liebsten verloren hatte, sondern weil er ihr Leid tat.

Mitleid, noch etwas, das sie erst hier kennen gelernt hatte.

„Imera...“, sie kam sich schäbig vor, „Du wirst eine andere finden, die dich besser ergänzt! Ich bin mir ganz...“

„Du kannst dir nicht sicher sein!“, unterbrach er sie aufgelöst, „Ich muss immer alleine sein! Das ist so gemein, ich... ach..“

Er drehte sich um und ging.
 

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Dafi war nervös. Eigentlich war sie ja die Heldin, wenn man es genau nahm. Oder auch nicht, noch war es nicht soweit.

Das größte Problem stellte der Wachmann in der Funkkammer dar. Was sollte sie ihm erzählen? Und wenn er sich nicht vertreiben ließ? Niederschlagen? Aber er würde sie dann doch melden. Oder gar... töten? Auch dumm, irgendwann würde ja auffallen, dass einer fehlt. So etwas blödes aber auch. Verdammt.

Sie seufzte.

„Musst du eigentlich nicht arbeiten?“, sie schenkte ihrer ahnungslosen Cousine einen bösen Blick, „Und den ganzen Tag isst du Eis. Weißt du eigentlich, wie schwer das zu importieren ist? Du fängst schon an, pummelig zu werden, und das nur, weil du was mit der Küchenhilfe hast...“

Die Blonde schaute sie blöd an.

„Stimmt, ich hab zugenommen.“, gab sie offen zu, „Aber was soll es, ich fühle mich ja gut und ich finde, es steht mir.... was hast du für ein Problem?“

Sonst freute sich das kleine Ding doch immer so, wenn sie bei ihm blieb. Und dabei hatte sie gewiss besseres zu tun, als sich in ihrem kleinen hässlichen Zimmer aufzuhalten...

„Ich hab schlechte Laune!“, fauchte die Jüngere ungehalten und regte sich zusätzlich auf, als ihr ihre Stimme abermals entsagte. Das war so ungerecht! Die fette Kuh sollte jetzt abhauen, sie musste sich konzentrieren...

„Danke, ich liebe dich auch!“, fauchte Pinita angesäuert zurück und schritt zur Tür, „Du veränderst dich gerade in eine völlig falsche Richtung, das gefällt mir gar nicht...“

„Ich werde erwachsen!“, antwortete die Andere, „Du kannst dir gar nicht vorstellen, was ich wegen dir durchmachen muss, also stell dich nicht so an, wenn es mir einmal schlecht geht!“

Sie wollte nicht deutlicher werden, es war in diesem Moment so wie so nur eine dumme Ausrede. Sie konnte sie schließlich unmöglich einweihen, die Bekloppte würde sie ja aufspießen. Aber wer wusste, was man mit ihr machte, wenn etwas schief ging... sie musste das alles genau festlegen, verdammt. So viel Verantwortung bekam ihr gar nicht.
 

--
 

Lilli hingegen fühlte sich besser als am Abend zuvor. Sie konnte nicht sagen, was es war, aber in den letzten Wochen verstand sie sich so wie so selbst nicht mehr. Was sollte es, das ging vorbei.

Ihr Verlobter hingegen wurde mit voranschreitender Zeit doch immer nervöser. Es war jedoch kein negatives nervös, irgendwie war er einfach aufgeregt. Das war das Spannendste, was er bisher je gemacht hatte, fand er. Ein gewisses Risiko war ja schließlich schon dabei. Wenn das klappte, würde er sich von seinem Mädchen ordentlich belohnen lassen, genau. Er war glücklich, einmal etwas wirklich nützliches tun zu können. Über Dafis Part an der Sache machte er sich überhaupt keine Gedanken, war ja nicht sein Problem. Fertig und basta. Zu viel wollte er sich dann doch wieder nicht vornehmen, dann wäre die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schief lief, wesentlich größer gewesen und das musste ja nicht sein. So war auch gut, fand er.

„Ich bin aufgeregt!“, es war Tainini, die zu ihm in sein Zimmer gekommen war und sich zu ihm gesellte. Lilliann war in der Küche.

„Ich auch.“, gab er zu und tätschelte seiner kleinen Schwester den Kopf, „Wird sicher lustig.“

Die Kleine nickte.

„Choraly freut sich bestimmt sehr, das ist schön. Und knuddel Dafi mal von mir, ja? Ich hab sie ja schon lange nicht mehr getroffen, sie hatte so viel zu tun...“

Er lachte. Schlechte Idee.

„Du weißt doch, wie es ist, wenn ich jemanden knuddele, sie würde doch in der Mitte durchbrechen! Aber ich grüße sie von dir, ja?“

Sie lachte auch.
 

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Ursprünglich hatte Pinita ja vorgehabt, ihre Cousine dazu einzuladen, an der großen Besprechung teilzunehmen. Als Koordinatorin war sie schließlich auch nicht so ganz unwichtig und eben weil sie gerade erwachsen wurde, hätte sie sie gern dabei gehabt. Aber mit ihrer Laune hätte sie sie vermutlich bloß blamiert.

Sie seufzte, während sie sich ihre Uniform anzog.

In letzter Zeit war sie so empfindlich und leicht zu reizen. Wie sie die Tage, an denen sie ohne nachzufragen einfach alles, was man ihr gesagt hatte, freudestrahlend gemacht hatte, vermisste... Aber Recht hatte sie schon, langsam aber sicher begann die Situation echt brenzlig zu werden. Sie wusste ehrlich gesagt selbst noch nicht, wie es weiter gehen sollte. Im Zweifel musste sie ihre Cousine zum Kündigen drängen, nicht, dass sie noch Schande machte und...

Sie schrie schrill auf.

„Mein Rock ist zu eng!“

Nicht, dass sie das nicht bemerkt hätte, wenn sie es nicht ausgesprochen hätte, aber das war so gruselig, dass es schon fast unglaubwürdig war. Jahrelang hatten sie alle Weiber um ihre annähernd perfekten Proportionen beneidet und jetzt wurde sie plötzlich dick?

„Küchenhilfe, es ist aus!“
 

Dafi beobachtete unterdessen vom Dach aus das Gelände, wie alle sich langsam zum Haupthaus begaben. Gut so. Sie hatte beschlossen, einfach einmal abzuwarten, wie der Depp bei dem Funkgerät auf sie reagieren würde und dann erst zu handeln. Sie durfte nichts überstürzen, vielleicht würde der Kerl auch überhaupt nicht misstrauisch werden, wer wusste es schon? Und ohne Risiko ging ja auch der Spaß verloren...

Sie seufzte. Die Sonne stand schon recht tief, es wurde Zeit für sie. Von ihren Kollegen war kaum noch einer zu sehen, wie vermutet. Also los.
 

Die Gänge waren leer, niemand begegnete ihr auf dem Weg zu besagtem Raum. Und selbst wenn, bis auf ihre wertvollste Waffe, die Teganby ihres Vaters, ihre letzte Erinnerung an ihn, sah sie ganz normal aus. Und so war der Herr im Funkraum bei ihrem Anblick auch nicht so überrascht, wie man hätte vermuten können.

„Fräulein Tebettra!“, begrüßte er sie bloß, „Was verschafft mir die Ehre?“

„Ein Spezialauftrag.“, log sie, ohne eine Miene zu verziehen, „Ich muss an das Funkgerät. Du kannst gehen.“

Er hob beide Brauen.

„Bei Spezialaufträgen werde ich normalerweise vorher aber immer benachrichtigt. Ich will Ihnen ja nichts unterstellen, aber... lügen Sie?“

Misstrauischer Idiot. Es hätte doch so leicht sein können.

„Ich lüge natürlich nicht. Es wäre besser für dich, wenn du jetzt gehen würdest.“

Ohne es kontrollieren zu können, umklammerte sie den doch recht langen Stab ihrer Waffe fester. Jetzt wurde es spannend. Ob er wohl verstand, was sie meinte?

„Ich glaube meine Karriere nicht in Gefahr zu wissen, bloß weil ich dir kleinem Mädchen nicht traue. Tss... Himmelsblüter...“

Er wandte sich grinsend ab und zündete sich unerlaubter Weise eine Zigarette an. Nein, er hatte es definitiv nicht verstanden.

Als sich der Mann ihr wieder zudrehte, fand er seinen Kopf zwischen zwei der 3 langen spitzen Zacken wieder und er keuchte bei dem funkelnden Blick aus den giftgrünen Augen seines Gegenübers.

„Du hast es nicht anders gewollt, Schwachkopf. Wenn dir dein Leben lieb ist, setzt du dich gleich einfach auf diesen Stuhl dahinten und hältst die Klappe, bis ich dir etwas anderes sage, ja?“

Ihr Ausdruck duldete eigentlich keinerlei Widerrede, doch als sich der Wachmann von seinem ersten Schock erholt hatte, verhärteten sich auch seine Züge wieder und langsam aber sicher ließ er seine Hände zu seiner Pistole in seiner Tasche wandern.

„Wage es nicht!“, warnte die Jüngere ihn vor und er grinste, „Du nimmst mich wohl nicht ernst?!“

Verarschen ließ sie sich nicht und so trat sie ihm unerwarteter Weise mit ihren hochhakigen Schuhen in den Bauch und er keuchte auf und hätte sich beinahe selbst aufgespießt, als er in sich zusammensackte.

„Mistkuh!“, fauchte er, „Was hast du vor? Was soll der Unsinn?!“

„Es ist für einen guten Zweck.“, sie trat wieder nach ihm und traf diesmal seinen Kopf, was dazu führte, dass er sich nun endgültig auf dem Fußboden wieder fand, „Du hättest besser daran getan, gleich auf mich zu hören.“

Er verlor die Zigarette aus dem Mund und sie erlosch, als das Mädchen ihr einen mahnenden Blick zuwarf. In ihrer Gegenwart durfte nichts brennen...

„Ich bringe dich um, im Namen des Kontinents Mon'dany und der Stadt Fides!“

Kaum war man für einen Moment abgelenkt, schon wurde eine Pistole auf einen gerichtet. Die Wache verzog das Gesicht vor Schmerz, hielt die Schusswaffe vom Boden aus aber dennoch zielsicher auf die Jüngere gerichtet und die seufzte.

„Soll ich dich grillen?“, erkundigte sie sich, ohne es wirklich ernst zu meinen und richtete die Teganby wieder auf den längst geschlagenen Mann. Sie würde ja niemals jemanden verbrennen... alles andere, aber nicht das...

„Ich bring dich um.... du Hure...!“

Er wollte den Abzug drücken doch sie kam ihm zuvor und schlug ihm die Stabrückseite auf den Kopf, was ihn endgültig in die Ohnmacht beförderte. Immerhin, das hatte sie schon einmal.

Ihr Blick schweifte aus dem kleinen Fenster. Jiro würde bald kommen.
 

--
 

„Ich mach mich jetzt auf den Weg!“

Der Junge grinste seine Familie stolz an, als sie alle zusammen um den kleinen Küchentisch saßen. Sogar seine kranke Mutter war dabei, ihr Zustand hatte sich sehr zur Überraschung, aber vor allen Dingen zur Freude aller, innerhalb der letzten Tage noch einmal stark verbessert. Heute hatte sie Lilli sogar wieder ein wenig beim Haushalt geholfen und alle hatten dementsprechend gute Laune.

„Mein Junge wird zu einem Helden...“, machte die Frau so verträumt, „Du machst deine Mama stolz, nicht wahr?“

Er lachte.

„Ja, ich bin ja sowas von gut, ey!“, er erhob sich und seine Verlobte stand ebenfalls auf und knuddelte ihn noch einmal.

„Lass dich nicht erwischen, du verpeilter Idiot!“, mahnte sie ihn, „Und hast du den Zettel?“

„Jaja!“

„Und pass auf, dass sie dich nicht ins Gefängnis werfen!“

Auch Tainini umarmte ihren großen Bruder noch einmal.

Kurzzeitig fragte sie sich, warum sie sich alle so anstellten, aber dann fiel es ihr wieder ein. Jiro war der erste in dieser Familie, der etwas bewegte und das machte sie stolz. Ja, sie war eine stolze kleine Schwester und sie freute sich wahnsinnig, dass Choraly bald wieder glücklich sein würde, auch wenn sie sie sicher sehr vermisste. Aber es war sicher besser so.

„Ich geh jetzt, aber wirklich. Ich kann Dafi ja nicht ewig warten lassen!“
 

Thilias Straßen waren fast leer, als er sich auf den Weg zur Forschungsstation machte. Erst in der Nähe des Friedhofes am Ende der Oase traf er überraschend auf jemanden.

„Oh.“, war sein Kommentar darauf, „Hallo. Ich hätte nicht erwartet, dich hier zu treffen!“

„Konnte ich mir denken.“, machte der Andere, „Ich weiß bereits, was du vorhast.“

Der Junge guckte blöd. Okay, das war natürlich dumm jetzt.

„Ich weiß zwar nicht, wie du darauf gekommen bist, das wundert mich...“, seufzte er und kratzte sich hinter seinem Kopf. Sein Haar war im Übrigen frisch gewaschen, zur Feier des Tages.

„Aber ich muss jetzt gehen, ich bin schon spät dran. Bitte verrate mich nicht, wir können uns ja später vielleicht über... eine Gegenleistung oder so unterhalten, wie du möchtest. Aber du kannst mir glauben, für das Dorf besteht keine Gefahr!“

Das war so nicht geplant gewesen und irgendwie wirkte sein Gegenüber heute seltsam auf ihn. Es glaubte ihm wohl nicht, dabei war alles so schön geplant gewesen...

„Du denkst nicht wirklich, dass ich mich von dir bestechen lasse, Jiro Raatati. Außerdem interessieren mich deine Angelegenheiten ganz sicher nicht so sehr, dass ich nach recherchiere, was du wie für Choraly Magafi machst. Nein, ich habe diese Information von Chatgaia persönlich.“

Er legte seinen Kopf schief. Von Chatgaia?!

„Aber woher weiß die das denn?!“

Sein Gegenüber grinste seltsam.

„Du hast eine laute Stimme und Mayora Timaro gute Ohren. Kannst du dir denken, was dir jetzt blüht? Das ist Hochverrat.“

Wie? Wer war denn der Verräter?! Er verzog das Gesicht. Dafür würde er diesem verblendeten Idioten einmal kräftig die Fresse polieren, mit Sicherheit. Für so einen Arsch hatte er ihn echt nicht gehalten.

Oder hatte er bloß Angst gehabt, dass er das Mädchen verlor? Lilli hatte gesagt, er hatte ihr Blumen geschenkt, vielleicht war er ja unglücklich in sie verliebt oder so... aber trotzdem.

„Ich hab doch noch überhaupt nichts gemacht, also ist es auch noch kein Hochverrat.“, rechtfertigte er sich so mürrisch, „Und was machst du jetzt hier? Willst du mich warnen? Wieso erzählt die Hexe dir das eigentlich? Geht dich doch gar nichts an...“

Die andere Person kam ein paar Schritte auf ihn zu.

„Das geht mich sehr wohl etwas an, du Hohlkopf. Merkst du es nicht? Weißt du nicht, wer ich bin?!“

Was für eine dumme Frage, natürlich wusste er das, sie kannten sich ja schon ewig. Da ging er gar nicht weiter drauf ein...

„Und was willst du jetzt genau? Ich meine, ich stehe unter Zeitdruck! Die Sonne ist längst hinter den Dünen, ey...“

Der junge Mann durfte seinen Heldenauftritt doch nicht versauen, bloß weil ihn irgendwer aufhalten wollte. Schließlich zählten alle auf ihn.

„Ich habe einen Auftrag, Jiro.“, erklärte ihm der Andere da und zog ein aufwendig verziertes Kurzschwert aus dem Gürtel, „Ich bedaure zutiefst, diese schöne Waffe, die mir das Dorfoberhaupt übrigens persönlich geschenkt hat, zu solch niederen Zwecken verwenden zu müssen...“

Gefährliche Augen fixierten den Jungen und der schnappte nach Luft.
 

Moment. Nein. Das konnte nicht sein, oder? Das war doch ein Missverständnis!

„Du bist nicht wirklich das, wofür ich dich gerade halte?“, fragte er stimmlos, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten, „Kann sie mich denn nicht anders bestrafen? Irgendwie, ich meine, das willst du doch nicht wirklich tun?! Lilli bekommt doch ein Baby!“

Sein Gegenüber senkte den Blick voller Reue.

„Ach, wenn du wüsstest...“
 

--
 

„Ich dreh ihm den Hals ja sowas von um, das kann er sich gar nicht vorstellen...“

Dafi saß entnervt auf einem Hocker im Funkraum. Er hätte schon längst da sein sollen, verdammt. Oder hatte der Idiot ihren Plan etwa schon vergessen?! Dann war er so gut wie tot.

Diese komische Versammlung dauerte bloß noch etwa eine halbe Stunde, wenn er bis dahin nicht aufgetaucht war, mussten sie alles abblasen und die arme Choraly musste noch wochenlang warten, bis sie ihre nächste Chance bekam. Das war echt so gemein.

„Und was wird aus mir?“

Das Mädchen schaute entnervt zu dem Wachmann, der gefesselt auf dem Boden herum saß. Sie war so freundlich gewesen, ihm seine Wunde am Kopf zu verarzten und jetzt war der Depp halt einfach da und sie wusste nicht so recht, was sie mit ihm anstellen sollte.

„Du hältst mal schön die Klappe, ja? Wenn ein falsches Wort deinen Mund verlässt dann...“

Er verdrehte die Augen.

„Dann tötest du mich, schon klar.“

„Nein.“, die Jüngere grinste, „Dann erzähle ich der notgeilen Putzfrau von Flügel 2 du würdest auf sie stehen.“

„Oh nein....“
 

Die Tür öffnete sich und Dafi wollte erleichtert ausatmen, da schlug man ihr auch schon mit der flachen Hand ins Gesicht. Da war nicht Jiro, sondern Pinita, die sie wutentbrannt anstarrte.

„Was fällt dir dreckigem Stück ein, so eine Scheiße zu bauen?! Weißt du, was hätte passieren können?! Du verrätst eine Weltmacht, du Schlampe! Du blöde Kuh!“

Sie schlug abermals zu und der Wachmann in seiner Ecke grinste. Gut so, das hatte sie verdient.

„Ich wollte nur helfen!“, verteidigte sich die die Jüngere, deren Nase zu bluten begonnen hatte und fuhr auf, „Ich wollte bloß das tun, was ich für richtig hielt und meine Freunde sind mir wichtiger als mein Beruf!“

Die Blonde blinzelte und lachte dann laut auf.

„Ihr Beruf, sagt sie!“, grinste sie mit einem Ausdruck, der die Mischung aus Spott und Ungläubigkeit war, „Mädchen, wenn es um deinen Job ginge, wäre es mir völlig egal! Ist ja schließlich deine Sache, was du mit deinem Leben anstellst! Aber das ist auch der Punkt, in Mon'dany gibt es so eine nette kleine Sache, mit der man zurecht kommen muss, wenn man des Verrates schuldig gesprochen wird... wie hieß es noch gleich? Ach ja, Todesstrafe war glaube ich das Wort, du Arschkuh!“

Die Blonde rang nach Luft. Hoffentlich hatte sie niemand gehört. Unwahrscheinlich, die Besprechung war ja noch nicht zu Ende...

„Hättest du nicht auf dieser komischen Versammlung sein sollen...?“, erkundigte sich die Kleinere da und versuchte durch ahnungsloses Betasten ihre Nase vom bluten abzubringen.

„War ich auch.“, die Ältere seufzte, „Aber plötzlich hat es an der Tür geklopft und so ein kleiner Depp aus Thilia, ich kenne ihn vom Sehen, hat nach mir verlangt. Und der hat mir dann erzählt, was du und Jiro vorhabt.... und da bin ich natürlich sofort hier hin.“

Na toll, dann hatte Jiro es also versaut? Klasse, ganz super. Und sie hatte er wohl auch noch verraten, wenn man Pinita ja Bescheid gesagt hatte...

Wie sollten sie Choraly denn jetzt noch helfen? So etwas konnten sie sich schließlich nicht nochmal erlauben, das wäre nicht nur unvorteilhaft, sondern obendrein auch ziemlich dumm. Verdammt...
 

„Fräulein Ferras?“, der Typ am Boden guckte bedeppert, „Würden sie die Gütigkeit besitzen...?“

„Ah... ja.“

Seufzend wurde der Mann befreit und als er wieder mehr oder minder sicher auf zwei Beinen stand, grinste er.

„Und was bekomme ich, wenn ich euch nicht verrate?“

Sein Gegenüber verdrehte die Augen.

„Schweigegeld oder... keine Ahnung.“, machte es gelangweilt.

„Was will ich in der Wüste mit Geld?!“, empörte er sich darauf und sie begann am Träger ihres BH's herum zu zupfen.

„Ah ja!“
 

--
 

Choraly hatte in der Nacht nicht gut geschlafen. Zum einen war sie aufgeregt gewesen und zum anderen hatte sie ein seltsames Gefühl wach gehalten. Im Übrigen war sie Mayora und Chatgaia den ganzen Tag lang nicht begegnet, was doch ziemlich abnormal war. Erst spät in der Nacht hatte sie ihre Schritte auf den alten Holzdielen vernommen. Aber immerhin konnte sie mittlerweile selbst kochen, auch wenn es ungenießbar war, so war sie nicht mehr so abhängig von den Beiden.
 

Als sie am Morgen dann durch die Strahlen der aufgehenden Sonne aus ihrem leichten Dämmerschlaf geweckt wurde und missmutig aufstand, musste sie schnell feststellen, dass die beiden auch am heutigen Tag verschwunden waren.

„Unverschämtheit!“, murmelte sie, als sie in der leeren Küche stand und noch nicht einmal einen unlesbaren Zettel vorfand. Wäre einer da gewesen, hätte ihr das zwar nicht viel gebracht, aber zumindest der gute Wille wäre bewiesen gewesen und Atti hatte immer gesagt, das war es, was zählte. Aber anscheinend war sie den Pseudo-Menschen ja plötzlich egal.

Sie schnaubte. Was hatte Mayora eigentlich? War es wegen diesem einen Wort gewesen, Götterschande? Sie wusste noch nicht einmal so genau, was es bedeutete, was stellte der sich so an? Er war schließlich zuerst gemein gewesen, auch wenn er im Prinzip Recht gehabt hatte. Aber in diesem Fall ging es nun einmal nicht ums Prinzip...

Sie seufzte. Sie musste zu Jiro.
 

Auf der Straße war es still an jenem Morgen, was das Mädchen ziemlich verwunderte, denn sie hatte die Wüstenbewohner als sehr lautes Völkchen kennen gelernt, dass sich hauptsächlich schreiend unterhielt und mit allem Krach machte, was auch nur irgendwie ein Geräusch von sich geben konnte.

Aber heute gingen alle langsam und behutsam ihrer Arbeit nach und unterhielten sich leise, fast flüsternd, als würden sie Geheimnisse untereinander austauschen.

Und die ganzen alten Omas gafften schon wieder so. Was denn? Heute hatte sie keinen Blumenstrauß dabei, die sollten bloß nichts falsches denken.

Sie brummte und es hob ihre Laune auch nicht besonders, als sie Imera entdeckte. Oder schlimmer noch, entdeckte, dass er sie entdeckt hatte. Er stand im Schatten eines seltsamen Baumes und fixierte sie aus seinen großen blauen Augen irgendwie schockiert. Selbst schockiert war sie, als er nach kurzem Zögern auf sie zukam und sie einfach umarmte.

„Imera?“, machte sie perplex, „Wir haben uns gestern getrennt, weißt du noch? Ich liebe dich nicht mehr!“

Sie befreite sich und er guckte sie groß an.

„Klar weiß ich das noch, aber wir sind doch trotzdem Freunde... und ich dachte...?“

Sein hübsches Gesicht war ziemlich blass, stellte sie fest. Er hatte sicher keine schöne Nacht gehabt... aber das hatte sie auch nicht, was sollte es?

„Klar sind wir noch Freunde.“, seufzte sie so, „Aber die meisten Freunde stürzen sich nicht jeden morgen aufeinander und umarmen sich innig wie ein Ehepaar, oder irre ich mich da?“

Er blinzelte.

„Natürlich nicht, du hast schon Recht, aber heute ist doch wohl eine Ausnahme, denke ich...?“

War sie etwa so kalt? Der Junge schloss die Augen kurz. Ihm war schwindelig.

„Wieso? Weil wir heute eintägiges Jubiläum unserer Trennung feiern oder was?“

Sie verstand ihn nicht, aber dafür wurde ihm nun klar, weshalb sie aneinander vorbei sprachen.

„Oh nein...“, jammerte er und fasste nach seiner Stirn, ihm war nicht nur nicht besonders gut, sondern viel mehr gar nicht gut, „Choraly, es ist so, ich.... ich zeig es dir!“

Er nahm sie an der Hand und zog sie hinterher.
 

„Wohin bringst du mich?“

Sie hatte sich nicht gewehrt, denn er hatte sie neugierig gemacht. Sein Verhalten war echt nicht sehr Imera-mäßig...

„Zu... einem Tempel.“

Sie blinzelte. Ein Tempel?

„Was wollen wir da?“

„Das siehst du ja dann... wir sind da.“

Sie hatten das Dorf verlassen und befanden sich nun an einem Fleck, der weder fruchtbares Land, noch Wüste war, aber sie waren den Dünen sehr nah.

Vor ihnen lag nahezu unbemerkt ein kleines, seltsam verziertes Gemäuer.

„Ist der Tempel unterirdisch?“

Der Junge nickte und sie trat ein paar Schritte auf das Gebäude zu.

„Und was sind das für Viehscher?“

Er trat neben sie und das Mädchen deutete auf die Figuren, die in den Stein geschlagen waren.

„Wüstendämonen und Windgeister. Komm mit.“

Ihr Weg führte durch den Eingang eine lange steinerne Treppe hinab, die mit Fackeln beleuchtet war und endete in einer großen, düsteren Halle mit Altar. Auch hier waren Fackeln und ähnliche Verzierungen wie schon draußen.

„Hier war ich doch schon einmal!“, stellte die junge Frau erschrocken fest und drehte sich einmal um ihre eigene Achse.

„Das ist nicht möglich.“, machte der Ältere perplex und sie kam zum Stillstand.

„Ich habe einmal von diesem Ort geträumt...“

Es war der Traum gewesen, in dem Mayora Atti getötet hatte, sie wusste es genau. Sie hätte nicht geglaubt, dass es diesen Ort wirklich gab, es erschreckte sie.

„Ist ja auch egal.“, seufzte Imera da und ging wieder weiter, auf eine kleine Tür hinter dem Altar zu, „Komm mit.“

Sie folgte ihm und hielt mit ihm vor dem unscheinbaren Holz inne. Er starrte die Klinke an.

„Was denn?“

„Ich zögere.“

Er sah in ihr Gesicht und schien noch blasser als zuvor.

„Ich untertreibe, wenn ich behaupte, das, was sich hier hinter befindet, würde dir nicht gefallen. Aber soweit ich weiß, hast du schon sehr schlimme Dinge gesehen, deshalb.... ich öffne jetzt einfach.“

Sie erschauderte. Er machte ihr Angst und plötzlich überkam sie ein so unglaublich ungutes Gefühl, dass sie befürchtete, sich an Ort und Stelle übergeben zu müssen. Sie war sensibel. Und dieser Ort setzte eine ganz düstere Energie frei.
 

Es kam ihr so vor, als würden Stunden vergehen, bis ihr Ex-Freund die Tür komplett geöffnet hatte und sie starrte einfach nur in den kleinen Raum dahinter und fühlte sich, je mehr sie sehen konnte und je mehr sie die Situation wahr nahm, in den Tag des Absturzes zurück versetzt.

Da war Chatgaia, in ein langes, wertvolles Kleid gehüllt, das locker aus Naputi Magafis Kleiderschrank hätte stammen können und schaute sie so eiskalt an, dass sie einen Moment dachte, gleich würde alles um sie herum gefrieren.

„Imera.“, hörte sie ihre herrische Stimme irgendwo weit weg, „Du kennst die Regel, nur ein Angehöriger!“

Das Mädchen spürte Mayoras Blick, der, in normaler Kleidung, an der Seite seiner Tante stand und dessen Ausdruck so monoton war, dass es sich noch viel unangenehmer anfühlte als von dem Dorfoberhaupt persönlich angeschaut zu werden. Er blieb stumm.

Sie keuchte.

„Bring sie weg!“, verlangte Chatgaia in der Ferne und Imera schnaubte.

„Sie soll sehen, wozu du im Stande bist.“

Die junge Frau begann zu schreien. Böser Traum, ganz böser Traum. Warum spielten ihr ihre Sinne immer so böse Streiche?!

„Es ist doch nicht deine Schuld, Choraly.“,

Sie verstummte. Die Stimme war leise, übertönte aber doch alles andere und durch einen Schleier aus Tränen erkannte sie Lillianns bitter lächelndes Gesicht. Oh Himmel nein.

„Ji..-ro...“, wimmerte die Jüngere nur und sah zu dem Jungen, den man erst auf den zweiten Blick überhaupt noch erkannte. Wer war das gewesen?

Sie stolperte mit zittrigen Knien nach vorne sackte vor ihm am Boden zusammen.

Er sah so furchtbar aus, oh nein.

Sein ansehnliches Gesicht war zerkratzt und wirkte blutig, obwohl es bereits gewaschen war und seine Augen waren so dunkel unterlaufen wie die des Herrn Piloten. Viel mehr war von ihm auch nicht zu sehen, sein Körper war in eine schwarze, befremdliche Robe gehüllt, die nichts weiteres von ihm Preis gab.

„Was ist mit dir passiert...?“

Sie strich durch sein frisch gewaschenes Haar. Nein. Nein!

„Geh weg von ihm.“, forderte Chatgaia sie auf und Mayora zog sie unsanft wieder auf die Beine.

„Du verärgerst die Götter!“, zischte er ihr feindselig zu und schupste sie zu Imera, der sie auffing.

„Jetzt weißt du, was los ist in dieser Hölle.“, machte er mit bösartigem Unterton, der jedoch nicht dem Mädchen galt.
 

Choraly wurde nach seinem Satz plötzlich seltsam klar und sie sah auf und blinzelte sich die Tränen aus den Augen.

Ihr Blick schweifte zu dem Dorfoberhaupt.

Sie hatte ihn umgebracht. Sie hatte ihn auf dem Gewissen. Sie war das Monster.

Sie sah zu ihrem Neffen.

Er hatte sie gehört, es musste so sein. Verräter. Mörder.

Wegen ihnen war Lilli jetzt allein!

Und wegen ihr. Aber damit musste sie sich später befassen.

Sie grinste die beiden Himmelsblüter verzerrt und von ihr unbemerkt apathisch an.

„Ich werde euch töten.“

Vergebung

Ich töte euch...
 

Ihr antwortete niemand und eine Zeit lang geschah gar nichts. Bloß Lillianns linkes Auge verließ eine einsame kleine Träne. Dann wurde das Stadtmädchen von ihrem Ex-Freund am Oberarm gepackt und aus der Tür gezerrt.

„Du tötest niemanden!“, fauchte er, „Willst du etwa mit denen auf einem Niveau sein?“

Sie starrte ihn aus leichenblassen Gesicht an. Nein, natürlich nicht. Aber sie hatten Jiro getötet. Ihren lieben Jiro, der alles für sie getan hatte, obwohl er sie nicht richtig gekannt hatte. Ihren lieben Jiro, den sie in Gedanken immer ein wenig abartig gefunden hatte, weil er so schmutzig und hohl gewesen war. Aber mit einem Herzen aus Gold. Einem Herzen, das nicht mehr schlug. Wegen ihr. Himmel, sie würde Lilli nie wieder ins Gesicht sehen können. Oder Tai. Oder seiner Mutter. Seinem ungeborenen Kind. Sich selbst.

Sie musste weg.
 

Noch ehe der Brünette etwas hätte sagen können, hatte das Mädchen sich losgerissen und war weggerannt. Hier hielt sie es nicht aus, bei den Monstern und den Menschen, denen sie so weh getan hatte.

Aber die nächste Hürde kam schnell, wohin denn? Sie saß in der Wüste fest, sie würde nicht entkommen. Das war ihr nun endgültig klar. Aber wieder zurück zu Chatgaias Haus? Unmöglich! Oder bei Familie Raatati? Noch undenkbarer! Zu Imera? Natürlich...

Sie wollte einfach heim...
 

--
 

„Was hast du dir dabei gedacht, sie hierher zu bringen? Du hast die Zeremonie zerstört und Jiro entehrt!“

Chatgaia funkelte den perplexen jungen Mann bedrohlich an. Er lies sich nicht einschüchtern.

„Verdient sie es denn nicht, die Wahrheit zu sehen? Jiro hätte es auch gewollt, da bin ich mir sicher...“

Lilliann senkte den Blick und die Magierin begann seltsam zu grinsen, dann wandte sie sich ab und schritt an die Seite der jungen Frau.

„Wer weiß schon, was in seinem Kopf vorgegangen ist?“, machte sie dann seufzend, „Mayora, schaff diesen Narren weg.“

Der Angesprochene zuckte noch nicht einmal mit einer Wimper, als er die Hände hob und der Ältere seufzte. Er wusste, was jetzt kam. Immer, wenn er dem Kleineren die Kehle hatte aufschlitzen wollen, war das passiert. Es war ja keine Überraschung mehr.

Eine Druckwelle schleuderte ihn rückwärts aus der Tür und ließ ihn hart auf dem steinernen Boden aufprallen, allerdings ohne, dass er sich ernsthaft verletzte. Zugegebener Maßen war er heimlich fasziniert von diesem „Phantom-Wasser“ des anderen, wie er liebevoll betitelte, das man bloß andeutungsweise sehen konnte und sofort nach seinem Einsatz wieder verschwand, ohne Spuren zu hinterlassen. Noch nicht einmal nass wurde man davon. Nicht viele Wassermagier beherrschten diese Technik, aber Mayora war ja ach so begabt, der musste das ja können.
 

Die kleine Holztür schloss sich und der junge Mann erhob sich murrend, rieb sich dabei über den Rücken. Tat ja doch etwas weh...

Am besten schaute er sich nach der armen Choraly um, er wusste, wo er sie unterbringen konnte.
 

Jiros Tod war ihm im Übrigen näher gegangen, als er angenommen hatte. Wobei angenommen definitiv das falsche Wort war, er wäre schließlich niemals auf die Idee gekommen, über den Tod des Jüngeren nachzudenken.

Er fand es einfach nur schrecklich. Er hatte sich nie besonders gut mit dem Jungen verstanden, sie hatten sich ständig geprügelt und sich gegenseitig fertig gemacht. Er hatte ihn immer ausgelacht, weil er so ärmlich gelebt hatte und der Andere hatte es ihm gleichgetan, weil der Ältere so dumm war. Aber sie hatten im Grunde nicht wirklich etwas gegeneinander gehabt. Und sie kannten sich schon ewig. Es fiel Imera schwer, zu begreifen, dass sein Bekannter nun für immer von dieser Welt verschwunden war. Dabei war er noch so jung gewesen und gerade dabei, sich eine eigene kleine Familie aufzubauen. Er hatte ihn beneidet und jetzt war das geschehen.

Erfahren hatte er es von seinem Cousin Kura, der zufällig auf dem Marktplatz ein Gespräch darüber mitbekommen hatte. Der Kleine war im Übrigen ebenfalls zutiefst geschockt gewesen, wie man an seinem Sprechanfall, der stolze 5 Minuten ohne nennbare Atempause angedauert hatte, leicht bemerken hatte können. Eigentlich war es jedem in diesem Dorf so ergangen.
 

--
 

Choraly lief ziellos durch die Gegend, mal ein wenig um das Dorf herum, mal wieder durch belebtere Straßen. Gab es hier nicht so etwas wie eine Pension oder so? Dämliche Frage, natürlich, bei dem Tourismus hier...

„Am Ende musst du doch wieder zu Chatgaia.“

Eine eiskalte Stimme aus dem Nichts ließ sie zusammenzucken. Das Mädchen schaute sich perplex um, wurde sie jetzt etwa schon verrückt?!

„Hier oben, du dummes Weib.“

Mit hier oben war eine Terrasse gemeint, an deren Geländer eine junge Frau mit schwarzen Locken lehnte und sie mit ihren violetten Augen gefühllos fixierte. Diese Pseudo-Göttin! Moment, dummes Weib?

„Was fällt dir ein, mich zu beleidigen?“, fauchte sie von unten und die andere verzog keine Miene.

Wer war das?

„Jeder bekommt, was er verdient.“, erwiderte die Schwarzhaarige bloß monoton, „Du auch. Aber manchmal verdient man sich seinen Lohn nicht selbst.“

Die Jüngere blinzelte. Lohn? Welcher Lohn? Hier gab es doch noch nicht einmal Geld!

„Bist du so dumm, oder tust du nur so? Deine Gedanken sind so durchsichtig...“

Und durchsichtige Gedanken waren fast schon langweilig, fand die Seherin. Aber praktisch, zugegeben, vor allem, da sie dank ihres Ex-Freundes nicht mehr alles mitbekam und deuten konnte.

Aber das wusste die Göre ja nicht.

Unverschämtes Ding, es kam ihr gelegen, sie zu treffen. Die junge Frau stieg auf die Brüstung und sprang anschließend einfach zu der Anderen auf die Straße, als ob es bloß ein paar Zentimeter gewesen wären. Sie grinste darauf und ihr Gegenüber keuchte.

„Wer oder was bist du?“, fragte es entsetzt und wich einen Schritt zurück, „Missgeburt!“

Sie beleidigte alles, wovor sie sich fürchtete. Und sie fürchtete alles, was sie nicht kannte. Wie einfältig.

„Mein Name ist Shakki Kaera.“, stellte sich die Ältere dennoch artig vor und verneigte sich leicht, „Und ja, ich bin das, was du als Missgeburt bezeichnest, Choraly Magafi.“

Sie näherte sich der Braunhaarigen und die flüchtete sich immer weiter rückwärts, ehe sie an eine Hauswand stieß und nicht mehr weiter kam.

Sie hatte keine Ahnung, was diese Frau von ihr wollte und sie wusste noch nicht einmal, wovor sie sich so fürchtete. Sie wusste überhaupt nichts mehr, bloß, dass Jiro wegen ihr tot war. Und dass sie die beiden Ober-Missgeburten töten musste, irgendwie...

„Geh weg!“, forderte sie ihr Gegenüber so bloß auf und presste sich gegen den kahlen Stein, „Ich will nichts mit dir zu tun haben, du hässliche Zigeuner-Frau!“

Shakki lächelte kalt.

„Ich bin nicht hässlich. Und das andere... bin ich auch bestimmt nicht, meine Güte. Wenn du schon versuchen musst, mich anzulügen, dann geb dir wenigstens etwas Mühe. Oder kannst du das nicht, da du durch den Wind bist, weil Jiro wegen dir hat sterben müssen?“

Na ja, Selbstbewusstsein hatte die Dame zumindest. Und Recht auch noch, Unverschämtheit. Choraly schnaubte und errötete. Was hatte die gegen sie? Warum wollte sie ihr Gewissen noch schlechter machen, als es ohnehin schon war? Was brachte ihr das?

Sie riss ihre braunen Augen weit auf, als die Magierin ihre knochigen, ungewöhnlich kalten Hände um ihren Hals schloss, zwar nicht schmerzhaft oder gefährlich, aber dennoch unangenehm zudrückend.

„Hör mir zu.“, fauchte sie dann, und die violetten Iriden funkelten sie bedrohlich an, „DU tötest hier niemanden, ein Opfer reicht schon. Mayora kann nichts für das, was er tut und Chatgaia ist ein Opfer ihrer selbst, unter dem ständigen Druck, ihren Ahnen gerecht zu werden und das Dorf zu beschützen, obwohl es immer mehr auseinander fällt. Aber du bist zu töricht, um deine Mitmenschen zu verstehen!“

Sie presste fester zu und das Stadtmädchen keuchte, zwang sich dann aber ebenfalls zu einem eisigen Grinsen. Sollte die sie doch erdrosseln, es konnte eh nur noch besser werden...

„Ach, meine Mitmenschen versuche ich gern zu verstehen, aber Missgeburten sind mir egal.“, krächzte sie, „Bring mich doch um, du Schlampe, ich hab dir nichts getan! Aber egal, du erlöst mich schließlich nur von meinen Qualen! Denn mich versteht ihr ja genau so wenig!“

Sie hatte dir Wahrheit gesprochen und jetzt sollte die Verrückte doch mit ihr machen, was sie wollte, war ihr gleich. Am besten erlöste sie sie gleich von ihrer Schuld an Jiros Tod...
 

„Shakki!“

Eine Stimme riss sie aus dem Konzept und die beiden Frauen sahen mehr oder minder überrascht die Straße hinab, von wo Imera angerannt kam. Ob das nun gut oder schlecht war, vermochte die 16-jährige kaum zu beurteilen...

„Shakki, lass sie sofort los, du Hure!“

Überraschender Weise tat die Schwarzhaarige sogar, wie ihr geheißen, wenn auch nicht aus Respekt vor der jungen Mann, den sie gleichgültig musterte. Choraly ließ sich unterdessen nach Luft ringend zu Boden sinken. Himmel, hatte die eine Kraft...

„Es ist rührend zu sehen, wie du bei jemanden, bei dem du längst verspielt hast, um Liebe und Anerkennung kämpfst.“, begrüßte sie ihn seufzend und er stürzte an ihr vorbei zu der Jüngeren auf der Erde.

„Choraly?“, machte er besorgt, die Gleichaltrige ignorierend, „Alles in Ordnung?“

Die Angesprochene nickte deutlich, hustete aber erst einmal.

„Halt dich von Shakki fern, sie ist eine Hexe!“, belehrte er sie da weiter und tat so, als sei die andere Frau gar nicht da, „Wenn du mich fragst ist sie völlig wahnsinnig und besessen und weiß alles und gleichzeitig nichts. Sie ist kein Mensch und noch nicht einmal wert, Missgeburt genannt zu werden, alles was ihren Mund verlässt sind bloß die verdrehten Worte der Unheil-Götter, die ihren Geist benutzen, um in dieser Welt ihren Nutzen zu bringen!“

Er zog seine erstaunte Ex-Freundin wieder auf die Beine. Erstaunt über seinen Mut vor dieser Verrückten – aber er war ja doch ein Mann.

„Shakki ist eigentlich eine ganz bemitleidenswerte Person, weißt du?“, machte er da sogar noch weiter, „Sie kann nicht glücklich sein, weil sie nicht mit Liebe leben kann. Und trotzdem liebt sie...“

Er grinste die Magierin breit an.

„Du bist ja nicht besser als ich. Nein, im Gegenteil. Du hast mit deinem Freund Schluss gemacht, obwohl du ihn gern hattest, bloß, weil du mit deinen wirren Gedanken nicht klar gekommen bist, so war es doch, oder? Ich bin ein guter Beobachter...“

Das war er allerdings, so viel, wie er über sie wusste. Die Frau kehrte ihm den Rücken und ging raschen Schrittes in Richtung ihres Hauses, hielt an der Tür noch einmal inne.

„Imera.“, machte sie mit eigenartig zittriger und weinerlicher Stimme, ohne sich den Beiden noch einmal zuzuwenden, „Du bist so abartig.“

Dann verschwand sie.
 

Choraly schaute ihr perplex nach. Hatte er sie mit seinen Worten getroffen?

„Bloß so wird man die los, mir ist sie auch einmal fast an die Kehle gesprungen, weil ich nicht nett zu ihrem Schatz gewesen bin. Wachhund-Reflex, zumindest passt sie auf das, was sie liebt, auf...“

Der Junge seufzte und nahm sein Gegenüber mitleidig an die Hand.

„Tut mir Leid, dass ich dich einfach so mit in den Tempel genommen habe, das hat dich sehr geschockt, aber ich dachte, du verdienst die ungeschminkte Wahrheit. Jedenfalls bring ich dich jetzt zum Übergang mal wohin, wo du sicher gut aufgehoben bist... also ich hoffe es.“

Er hatte so wie so noch zu Dafi gemusst, um ihr zu erklären, weshalb Jiro nicht gekommen war. Fern ab von Thilia würde sich seine Ex-Freundin sicher am wohlsten fühlen und die kleine Himmelsblüterin würde sie bestimmt mit offenen Armen empfangen, wenn man es ihr denn erlaubte, das war die Voraussetzung. Aber wenn er Pinita überzeugte, war das auch kein Problem, ganz bestimmt.

„Du bist so lieb zu mir.“, er blinzelte überrascht, als er die Stimme des Stadtmädchens leise neben sich vernahm und verstand zunächst noch nicht einmal so genau, was sie meinte, „Und ich war so gemein zu dir, das tut mir so Leid.“

Er lächelte und zog sie ein wenig hinter sich her, als er sie aus dem Ort brachte. Sie ließ sich schleifen, weil sie ihm nicht ins Gesicht sehen wollte.

„Macht nichts. In einem Punkt hat Shakki schon recht, jeder bekommt, was er verdient. Und dich habe ich leider nicht verdient, da hab ich mir zu viel kaputt gemacht. Also mach dir deswegen keine Gedanken.“
 

--
 

Dafi lag auf ihrem Bett und starrte die weiße Zimmerdecke an. Das war gestern so verdammt schief gelaufen. Wie hatte das geschehen können? Hatte Jiro sie etwa tatsächlich verraten? So dumm konnte doch noch nicht einmal der sein!

Es ist anders als du denkst.

Schön. Das erzählte man ihr schon den ganzen Tag. Sie hatte heute frei und wäre schon längst ins Dorf gerannt, um sich zu erkundigen, wäre ihre geliebte Cousine nicht gewesen.

„Du hast Hausarrest!“, hatte sie mütterlich gemacht und dabei theatralisch mit dem Zeigefinger herum gewedelt, „Du hast ja eh nur Mist im Kopf! Und wehe, du hältst dich nicht daran, meine Rache wird furchtbar sein...“

Das glaubte sie allerdings sofort, Pinita war grausam. Sie war immer schon grausam gewesen.

Das Mädchen dachte an seine Kindheit zurück. Als sie ihre Familien noch gehabt hatten, war alles anders gewesen. Die Blonde hatte sie noch nicht einmal mit der Kehrseite angeschaut, beachtet hatte sie sie nur, wenn sie sie irgendwie hatte quälen wollen. Und heute war das alles so anders und das nur, weil sie nun allein waren.

Wenn ich eine Wahl hätte..., dachte sie mürrisch, Ich würde sie allein lassen, damit sie mal sieht, wie sich das anfühlt.

Es klopfte an der Tür.

„Wenn du es bist, Pinita, ich will dich nicht sehen.“

Sie drehte sich um und vergrub das Gesicht im Kissen, ehe die andere antwortete – wie erwartet war es ihre Cousine.

„Hast du aber eine gute Laune. Geh ich halt wieder, ich wollte dir ja bloß Gesellschaft leisten...“
 

Langsam wurde Dafis Verhalten besorgniserregend, fand die Blonde, als sie wieder abzog. Sie meinte es doch bloß gut mit ihr.

Sollte sie denn zulassen, dass sie wegen einer Fremden ihr Leben riskierte? Nein, das würde sie niemals fertig bringen, vor allen Dingen nicht, wenn diese Fremde Choraly Magafi hieß. Sie mochte sie nicht, also war sie schlecht, fertig.

„Pinita!“

Die Stimme kannte sie doch. Sie drehte sich bedacht langsam um, um zu erkennen, dass sie richtig lag.

„Was willst du denn hier, Schmalzi? Stadtgöre?“
 

Choraly schaute sich erstaunt um. Moderne Architektur, wie sie das vermisst hatte.

Imera grummelte.

„Wir müssen uns mit dir und Dafi unterhalten, es ist sehr wichtig.“

Er versuchte, so ernst wie möglich zu klingen, was mit seiner in der Tat ziemlich schmalzigen Stimme gar nicht mal so leicht war. Dabei war er wirklich tief bekümmert.

„Was willst du denn wichtiges wissen? Du bist doch viel zu nutzlos, als dass in deinem Leben etwas Interessantes geschehen könnte... zumindest nichts, was mich auch interessieren würde.“

Wenn es etwas gab, worauf sie im Moment so überhaupt keine Lust hatte, dann war es eine Konversation mit diesem Traumpaar. Der Junge brummte.

„Das wird dich aber mit Sicherheit interessieren, es ist sehr ernst! Also bring uns zu Dafi!“

Sein ungeahnt düsterer Blick zeigte Wirkung, denn sein Gegenüber hob beide Brauen, kehrte um und winkte sie hinter sich her.

Am Ende war es ja wirklich noch wichtig, man wusste ja nie. Und wenn der Idiot hier schon aufkreuzte... sie hatte heute ja eh nichts besseres zu tun, eigentlich bloß deshalb.
 

--
 

„Was?“

Aber für so wichtig hatte sie es auch nicht gehalten. Jetzt saßen sie versammelt im Zimmer der kleinen Himmelsblüterin und die beiden Cousinen starrten die Besucher leichenblass an.

„Jiro ist tot? Jiro Raatati? Oh Himmel...“

Pinita strich sich geschockt durch ihr kurzes blondes Haar. Damit hatte sie allerdings nicht gerechnet. Sie hatte den Jungen schon seit ihrer Kindheit gekannt; gut, besonders viel miteinander zu tun gehabt hatten sie nie, aber trotzdem. Das war traurig.

„Ja... Chatgaia hat ihn töten lassen...“, erwiderte Imera nur beklommen und die anderen beiden Mädchen schwiegen.
 

In Dafis Inneren sah es schrecklich aus.

Ich hätte ihn zurechtweisen müssen!, hallte sie sich selbst, Und ich hab ihn auch noch unterstützen wollen, dabei war die Sache doch von Anfang an viel zu gefährlich...

„Wie konnte ich nur?!“, sie raufte sich die Haare und bekam so die Aufmerksamkeit der Anderen, „Es ist meine Schuld, verdammt! Der arme Junge, ich war so dumm!“

Choraly schluchzte und widersprach ihr.

„Nein, es ist meine Schuld. Wäre ich nicht so verwöhnt gewesen und hätte nach Palbuflor gewollt, wäre ich nie hier gelandet und hätte nie Hilfe gebraucht... es tut mir so Leid!“

Die Älteste seufzte und legte dem Mädchen überraschend eine Hand auf die Schulter. In so einem Fall konnte sie nicht böse zu ihr sein...

„Jiro hat das freiwillig für dich getan, weil er dich gern hatte. Und er würde auch ganz sicher nicht wollen, dass du jetzt traurig bist und dir die Schuld gibst, oder?“

Das stimmte wohl, aber trotzdem. Sie fühlte sich so schlecht. Irrte sie sich, oder machte sie immer alles kaputt? Sie musste Lillianns Leben zerstört haben! Aber was hätte es schon gebracht, diesen Gedanken auszusprechen...? Sie würde wieder getröstet werden, obwohl sie es nicht verdiente und sich darauf dann noch schlechter fühlen. Nein, das musste nicht sein, da schwieg sie lieber.

Das Reden übernahm wieder Imera, der sich an Pinita wandte.

„Ich denke, ihr versteht, dass Choraly in nächster Zeit nur ungern bei Chatgaia wohnen will und da habe ich mir gedacht...“

Die Blonde unterbrach ihn

„Aber nur für ein paar Tage! Dann meinetwegen.“

Er lächelte leicht. Die Dame hatte wohl doch so etwas wie ein gutes Herz.

„Danke. Dann will ich euch nicht länger stören. Ich komme nochmal vorbei und bringe Klamotten, ja?“

Sie nickten zeitgleich und er erhob sich und schritt traurig lächelnd zur Tür.
 

--
 

Als auch Pinita verschwunden war, wurde es sehr schnell sehr still in dem einfach gehaltenen Raum. So etwas wie ein Gästezimmer konnte man dem Mädchen nicht geben, sie war schließlich noch immer mehr oder minder illegal hier und so übernachtete sie wohl oder übel bei Dafi, denn in dem Bett derer Cousine war so wie so nie Platz und das Stadtmädchen und sie kamen auch bloß angesichts der Situation ein wenig miteinander klar. Und die kleine Himmelsblüterin war nebenbei auch noch ihre selbsternannte beste Freundin, also ging es schon in Ordnung.

„Ich schlafe auf dem Sofa.“, auf eben dieses ließ sie sich auch fallen und seufzte, „Schöner Mist...“

Ihr Gast ließ sich unterdessen deprimiert auf dem Bett nieder.

„Ich hab auch nichts dagegen, wenn wir uns das Bett teilen...“, machte sie leise und bedacht.

Wenn sie ehrlich war, wäre ihr das sogar lieber gewesen. Natürlich würde es dieses Mal nicht so lustig werden wie mit Tai, das würde nie wieder geschehen, aber es würde gut tun, nicht ganz allein zu sein. Nicht, dass sie als fahrlässige Mörderin die Einsamkeit nicht verdient hätte, aber dennoch. Egoistin blieb Egoistin.

„Nein, das halte ich für keine gute Idee.“, gab die Andere da leise zu hören, „Ich hau immer um mich.“

Na gut, wie auch immer. Sogar jetzt meinte sie es noch gut mit ihr, das Mädchen fand es furchtbar.
 

--
 

„Wir werden ihn nächste Nacht begraben.“

Chatgaia schritt schnellen Schrittes neben ihrem Neffen her auf ihr Heim zu. Die Zeremonie war zu Ende, Lilliann hatte darauf bestanden, allein nach Hause zu gehen. Sie war erstaunlich gefasst gewesen. Eben eine starke Persönlichkeit, das Dorfoberhaupt hatte nichts anderes von ihr erwartet. Auch ihre erste Reaktion war dementsprechend gewesen. Während Tainini schreiend zusammengebrochen war, hatte sie einfach tapfer alles geschluckt. Bemerkenswert.

„Tante?“

Sie blickte zu ihrem Neffen auf. Er war blass.

„Als ich dir berichtet habe, was ich hörte, da war mir klar, dass du Jiro dafür bestrafen müsstest. Mit völligem Recht, er wäre ein zu großes Risiko für unsere Heimat eingegangen. Aber...“

Er blieb stehen und blickte zu Boden. Die Frau tat es ihm gezwungener Maßen gleich, musterte ihn jedoch interessiert.

„Aber?“

„Aber hat er wirklich gleich sterben müssen? Es hätte doch so viele gerechte Strafen für ihn gegeben, aber mit seinem Tod hat es auch seine arme Familie getroffen... ich finde das nicht gerecht von dir, Chatgaia.“

Sie hob beide Brauen. Er zweifelte. Das gefiel ihr nicht.

„Wie kannst du meine Entscheidung in Frage stellen? Er hätte es wieder versucht, egal, wie sehr ich ihn hätte leiden lassen. Er hat das Mädchen aus der großen Stadt gemocht und hätte deshalb fast alles für sie getan, es war recht so.“

Und damit hatte sich die Sache. Sie wandte sich ab und ging die wenigen Meter bis zu ihrem Haus, Mayora folgte ihr in gewissem Abstand und schloss die Tür hinter sich.
 

„Hunger?“

Er schaute müde auf und schüttelte unglücklich den Kopf.

„Nein... wo ist Choraly? Ich vermisse ihre penetrante Stimme...“

Wenn er ehrlich war, sorgte er sich ein wenig. Wer wusste schon, wo sie hin war? Was Imera mit ihr gemacht hatte? Oder was sie selbst getan hatte? Sie gab sich sicherlich die Schuld an dem Tod des Jungen und der Grünhaarige wusste nur zu gut, wie sich das anfühlte.

Dabei war Jiros Tod doch seine Schuld. Er verdiente eine harte Strafe.

„Choraly ist sicher bei irgendwem untergekommen, die wird sich wieder beruhigen. Mach dir keine Gedanken... und bitte auch keine Vorwürfe, dein Handeln war durchaus richtig!“

Seine Tante war zu ihm gekommen und hatte ihm sanft eine Hand auf die Schulter gelegt. Er sollte nicht so ein Gesicht ziehen...

„Ich fühle mich schlecht.“, gab er da allerdings auch schon zu und die Frau seufzte gespielt betroffen. Wie konnte man wegen eines Verräters trauern? Aber ihrem Neffen derart auf den Schlips treten musste sie auch wieder nicht...

„Vielleicht hatte er Recht und man sollte dem Mädchen aus der großen Stadt wirklich...“

Sie unterbrach ihn.

„Sprich nicht weiter! Ich will nicht auch noch meinen Jungen in ständigem Verdacht haben müssen, das ist dieses verwöhnte Ding definitiv nicht wert!“

Hörte er Verzweiflung in ihrer Stimme? Ehrliche Verzweiflung? Der junge Mann senkte sein Haupt noch tiefer.

„Nenn mich nicht 'dein Junge', das bin ich nicht, das war Taranii. Und... vergiss es einfach, es war bloß so ein Gedanke, ja?“

Er schielte sie von der Seite an und sie wandte sich ab.

„Meinetwegen. Und mein Junge bist du trotzdem.“
 

--
 

In der Nacht träumte Choraly seit einer Ewigkeit, so kam es ihr vor, zum ersten Mal wieder. Und sie verfluchte die Tatsache, 'sensibel' zu sein, mehr als je zuvor.
 

„Du bist nicht das, wofür ich dich gerade halte?“, Jiro starrte sein schattenhaftes Gegenüber leichenblass an, „Kann sie mich denn nicht anders bestrafen? Irgendwie, ich meine, das willst du doch nicht wirklich tun?! Lilli bekommt doch ein Baby!“

„Ach, wenn du wüsstest...“

Der Andere trat ein paar Schritte auf ihn zu. Choraly kannte die Stimme, da war sie sich sicher, aber der Schleier des Traumes verhüllte die eindeutige Erkenntnis.

„Deine Dummheit gehört bestraft. Und was mit Lilliann ist, ist mir ehrlich gesagt egal. Wenn sie dämlich genug war, sich auf dich einzulassen...“

Er zog scharf die Luft ein.

„Beleidige nie wieder meine Lilli! Sie ist die wunderbarste Frau, die man sich vorstellen kann! Aber von wunderbaren Menschen hast du ja keine Ahnung, du... du Monster!“

Der Brünette spuckte herablassend auf den Boden.

„Wie kann man wegen Lapalien unschuldige Leute ermorden? Erzähl mir nicht, du würdest dir ernsthaft etwas von Chatgaia sagen lassen! Du hast Spaß daran, zu töten, nicht wahr?“

Ein grausames Lächeln schlich sich in das unerkennbare Antlitz der Schattengestalt und sie spielte wie beiläufig mit dem seltsam verzierten Schwert, als sie antwortete.

„Erwischt. Krank, nicht wahr? Aber ich liebe es. Ich liebe meine Aufgabe, ich habe sie schon immer geliebt. Und nun werde ich sie erfüllen, ich freue mich schon den ganzen Tag darauf... wenn man die Person, die es zu beseitigen gilt, gut kennt, kribbelt es besonders...“

Choraly erschauderte. Das war ja das mit Abstand widerlichste, was sie je gehört hatte. Selbst die Attentäter, die ihren Bruder auf dem Gewissen hatten, töteten nicht aus Spaß, sondern aus einer Überzeugung heraus. Diese Person war eindeutig psychisch schwer gestört, wie konnte das Dorfoberhaupt bloß zulassen, dass so etwas frei auf der Straße herum lief? Vielleicht kam ja irgendwann jemand zu Schaden, der es nicht sollte...?

Jiro wich unterdessen völlig konfus ein paar Schritte zurück.

„Ich hab ja schon immer heimlich geahnt, dass du nicht ganz so bist, wie du sein sollst...“, machte er heiser, „Aber dass es soweit geht, hätte ich nicht gedacht, niemals!“

Er ließ seine Hand vorsichtig zu seiner Hosentasche gleiten, aus der er langsam und bedacht sein Taschenmesser zog. Seine einzige Waffe, wenn man es überhaupt als eine bezeichnen wollte. Die unmenschlichen und im Übrigen auch nicht himmelsblütigen Augen seines Gegenübers verfolgten den verzweifelten Versuch, einen Hauch von Chance zu erlangen, belustigt.

„Denkst du, das würde ich nicht mitbekommen?“, die Gestalt lachte kalt auf, „Du solltest gleich aufgeben, das wird für dich angenehmer und für mich... sauberer...“

Wie abartig. Der jungen Frau schossen die Tränen in die Augen, als sie Jiros Gesichtsausdruck bemerkte, der mehr und mehr aus purer Verzweiflung bestand. Sie hätte so gern etwas getan, wäre dazwischen gegangen aber wie schon einmal waren ihr die Hände gebunden. Sie war stille Beobachterin.

„Bitte!“, flehte der Junge da, „Bitte komm zu dir! Ich bin mir sicher, dass irgendetwas ganz scheußliches deine Seele in Besitz hat, du musst dich befreien! Früher bist du nicht so gewesen! Vielleicht hast du auch Recht und ich verdiene den Tod, ja! Aber es ist nicht dein Recht, über mich zu richten! Oder über mein Kind, dass dann allein mit seiner Mutter wäre und so ein Leben führen müsste, wie ich seit jeher!“

Er wischte sich mit dem Ärmel über seine nassen Augen. Er hatte Angst.

„... du nimmst dein Schicksal nicht an, oder?“, die düstere Erscheinung seufzte, „Du willst um dein Leben kämpfen, lachhaft, aber na gut,...“

Sie nahm das Schwert hoch und der junge Mann klappte sein rostiges Messer aus und kam sich dabei so dumm vor wie lange nicht mehr. Was sollte er tun?

'Schnell sein und abschlachten.', kam ihm in den Sinn. Aber da waren zwei kleine Probleme; erstens war er nicht schnell und zweitens würde er es niemals über sein Herz bringen, jemanden zu ermorden. Das war so ziemlich das widerlichste und unwürdigste, was es gab, fand er.

Aber lieber kämpfen, als aufgeben.

Für Lilliann und das Baby.
 

Welcher Geist auch immer es war, der Choraly diesen Traum gesendet hatte, er erlaubte ihr, in dem Moment, in dem beide Personen auf einander zupreschten, die Augen zu schließen. Sie wusste aber auch so, was geschehen war. Dieser Abschaum war kleiner und flinker als Jiro und besaß ein längeres Schwert, dass den jungen Mann schon erreicht hatte, ehe er auch nur mit seinem Messer hatte richtig ausholen können. Sie hörte das abartige Geräusch von zerfetzendem Fleisch und nach einem kurzem Moment das Tropfen von Blut und ein ersticktes Keuchen. Sie wollte es nicht mitbekommen, sie wollte nicht wahrnehmen, wie der arme Junge seinen Tod fand. Er hustete und brach zusammen, sein Mörder schritt ein paar Schritte zurück.

„Das war doch kein Kampf.“, stellte er gelangweilt fest, „Ich glaube, du hättest es besser zunächst einmal mit der bloßen Faust probiert... auch egal.“

Die Bestie lachte diabolisch.

„Einer weniger!“, kicherte sie, „Du hast es verdient, Jiro Raatati! Ich bin gespannt, was aus deinem Kind wird!“

Choraly schluchzte. Noch nicht einmal Respekt zollte dieses Ding seinen Opfern, es war so schlimm! Wie konnte Chatgaia so etwas zulassen? Wie konnte sie nur?! Dafür würde sie sterben müssen!
 

Sie weinte eine Weile leise vor sich hin, ohne aufzusehen und bemerkte in ihrem Schmerz gar nicht, dass das Grauen vorbei war.

„Nicht weinen!“

Was?

Das Mädchen erschauderte und rang sich nach kurzem Zögern dazu durch, die Augen vorsichtig wieder zu öffnen, um vor sich den grinsenden Jiro zu erkennen. Sie keuchte.

„Jiro!“, er sah aus wie immer, schmutzig, gesund und gut gelaunt, „Du bist noch am Leben, ich hab es doch gewusst!“

Ein Alptraum, genau! Das musste es gewesen sein, jetzt wurde ihr mit einem Mal alles klar!

„Nein, leider nicht.“, nahm er ihr da allerdings auch schon den Wind aus den Segeln und kratzte sich ein wenig verlegen am Kopf, so dass Sand aus seinen Haaren rieselte, „Du träumst, weil ich es will. Ich bin jetzt voll mächtig und so....“

Es vergingen Momente des Schweigens, bis das Mädchen seine Worte wirklich verstand und er weitersprach.

„Tut mir Leid, dass du das miterleben musstest, ging aber nicht anders. Meine geliebte Lilliann kann ich nicht mehr erreichen.“

Er seufzte und die Jüngere wollte etwas erwidern, doch kein Laut verließ ihre Kehle. Er wollte nicht, dass sie etwas sagte, sie sollte bloß zuhören.

„Mach dir keine Vorwürfe. Und halt dich vor allen Dingen nicht von meiner Familie fern! Du verletzt sie mehr damit, sie nicht mehr zu besuchen, als wenn du sie den ganzen Tag nervst, ja?“

Sie nickte erzwungen.

„Außerdem möchte ich mich entschuldigen dafür, dass ich versagt habe. Tut mir Leid. Und... ich würde dir mehr sagen, aber das darf ich nicht, du bist bloß ein Mensch. Richte Lilli und meinem Sohn aus, dass ich sie sehr liebe.“

Der Junge lächelte noch einmal lieb, drehte sich dann um und ging auf das Ende des trostlosen Landstrichs zu, das eine riesige Düne darstellte. Dann war er weg und dem Mädchen kamen abermals die Tränen.
 

„Nicht mehr weinen, alles wird gut...“

Choraly hörte eine bekannte, seltsam klingende Stimme beruhigend auf sich einreden und fand sich, als sie die Augen öffnete, in Dafis dürren Armen, die sie sanft umarmten.

„Oh, endlich aufgewacht.“

Sie ließ sie los und lächelte traurig. Die Mädchen befanden sich auf dem Bett der Gastgeberin und es war nahezu stockfinster, bloß schwaches Licht fiel durch das Fenster und erhellte den Raum etwa zur Hälfte sehr spärlich.

„Du hast angefangen ganz schlimm zu weinen, da bin ich aufgewacht und wollte dich trösten...“, berichtete die kleine Magierin da deprimiert, „Du hast wohl schlecht geträumt...“

Die Jüngere nickte.

Aber wenn sie ehrlich war, war der Traum gar nicht einmal so schlecht gewesen. Jiro und seine Familie waren ihr nicht böse, das war toll. Und der Geist des Jungen hatte allem Anschein nach auch seinen Frieden gefunden, obwohl sein Mörder so herablassend mit ihm umgegangen war. Himmel sei Dank.

Sie lächelte leicht.

Vergeltung

„Du hast gesagt, es würde schon gut gehen!“

Uda Magafi stützte sich wie ein enttäuschtes Kind am Schreibtisch seines Vaters ab, der bekümmert dahinter saß und zu ihm hinauf sah.

Man hatte ihnen tatsächlich den Krieg erklärt, zumindest formell.

„Ich hab dich bloß ermutigen wollen, ich konnte doch nicht wissen, dass es so kommt, meine Güte...“, er lehnte sich zurück, „Es wird trotzdem schon irgendwie gehen, du wirst es sehen. Aber wo es jetzt eh nicht mehr schlimmer kommen kann, hast du nicht ein wenig Lust, Dummheiten zu machen?“

Der Jüngere zog beide Brauen hoch. Diesen Unterton kannte er.

„In wie fern?“

Es würde bloß Unglück bringen...

„Du hast einmal eine Tochter gehabt, erinnerst du dich?“

Femeese Magafi hatte beunruhigt beobachtet, wie sich sein Sohn mehr und mehr in seine Arbeit geflüchtete hatte, die schmerzlichen Gedanken an das verlorene Leben seiner Frau und das unbekannte Verbleiben seines Mädchens vollkommen verdrängend. Aber das war nicht richtig so, seine Enkelin verdiente diese Aufmerksamkeit, auch wenn sie wahrscheinlich längst bei ihrer Mutter und ihrem Bruder im Himmelreich war. Wahrscheinlich, aber es musste nicht sein und so lange es Hoffnung gab, gab der alte Mann auch nicht auf. Eine der Eigenschaften, die die Magafi-Familie so mächtig gemacht hatte, der Glaube an das Gute. Aber das schien sein Erbe nach all den Jahren noch nicht verstanden zu haben.

„Meine geliebte kleine Prinzessin...“, seufzte er da und ließ seinen Blick sehnsüchtig aus dem Fenster schweifen, „Ich träume oft von ihr, als sie noch klein war, wie sie die Angestellten immer herum gescheucht hatte... oder erinnerst du dich? Als sie hingefallen war und sich den Finger gebrochen hatte? Sie hat drei Tage lang durchgeschrieen und man musste ihr alle Wünsche erfüllen, weil sie sonst noch einen Tag dran gehängt hätte... sie war so niedlich.“

„Definitiv.“, bestätigte der Vater ebenfalls resigniert. Ohne Choraly fehlte etwas.

„Wir müssen endlich nach ihr suchen.“
 

--
 

Choraly ging es schlecht. Nicht nur ein bisschen, sondern richtig schlecht.

„Kann ich irgendetwas für dich tun?“, erkundigte sich die ebenfalls ziemlich mitgenommene Dafi in Schlafklamotten vor der Badezimmertür, während die Andere sich dahinter gerade übergeben hatte und nun vor sich hin hustete.

„Nein...“, kam es brüchig von drinnen, „Ich denke nicht, geh wieder schlafen...“

Das wäre die kleine Magierin gern, wenn sie ehrlich gewesen war. Ihr Kopf dröhnte wahnsinnig und ihre kantigen Knie zitterten. Sie hatte sich viele Gedanken gemacht über den armen Jiro und immer wieder kam sie zu dem Schluss, dass es ihre Schuld sein musste. Himmel, es war so schrecklich! Sie kam sich so schäbig vor, so abgrundtief widerlich.

Tainini und sie waren Freundinnen gewesen, wie sollte sie je wieder normal mit ihr sprechen können, wenn sie doch ihren Bruder auf dem Gewissen hatte? Nein, das ging nicht...

Aber jetzt musste sie sich zusammenreißen, dem Mädchen aus der großen Stadt ging es zumindest körperlich ja noch schlimmer als ihr.

„Ich komm gleich nach... aber bitte bleib bei mir im Bett!“

„Na gut...“

Sie schlief nicht gern mit Fremden in einem Bett, bloß wenn sie sich nicht gut fühlte manchmal bei ihrer Cousine. Gut, die ein oder andere Ausnahme hatte es schon einmal gegeben. Aber bei Choraly?

Sie wünscht es sich.

Es würde schon gehen...

Nachdem die Jüngere aus ihrem Alptraum erwacht war, ging es den beiden so mies und sie wussten nicht, was sie dagegen tun konnten, als sich einfach gegenseitig ein wenig zu trösten. Aber wenn es ihnen schon so ging, wie ging es dann manch anderen...?
 

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Lilliann lag in ihrem Bett. Nein, sie lag in Jiros Bett. Sie konnte nicht schlafen, dazu hatte sie keine Nerven. Sie verbrachte den stillen Moment einfach damit, das Unbegreifliche zu begreifen.

Einen Tag zuvor zur selben Zeit hatte sie sich noch an die nackte Brust ihres Geliebten geschmiegt und er hatte durch ihr Haar gestrichen und ihr gesagt, wie wichtig sie ihm war und wie sehr er sich auf ihr Kind freute, obwohl er besorgt war.

Und jetzt war alles anders. Er war weg, einfach so. Und nicht nur er, alles war weg. Es kam dem Mädchen so vor, als hätte ihr Verlobter alles, was ihr Leben wertvoll gemacht hatte, mit sich genommen und sie als unbedeutende Hülle vergessen.

Sie fühlte nach ihrem rundlichen Bauch. Ihr Baby hatte vor wenigen Tagen begonnen, sich richtig zu bewegen. Es war ein so schönes und überwältigendes Gefühl gewesen und hatte sie so unsagbar glücklich gemacht. Und gerade jetzt, in diesem Moment, hatte sie es wieder gespürt. Doch dieses Mal war es anders, sie fühlte nichts. Es war ihr egal.

Alles war egal. War doch gleich, ob das Ding in ihr geboren wurde oder nicht, sie würde sich so wie so nicht darum kümmern können, dazu war sie nicht in der Lage. Nicht ohne Jiro. Wenn es in wenigen Monaten das Licht der Welt erblicken würde, dann müsste sie es an irgendwen abgeben. Sie schaffte das nicht.
 

Die Zimmertür öffnete sich leise und eine schmale kleine Gestalt kam vorsichtig hereingetappst und auf sie zu, krabbelte auf das Bett und kuschelte sich schließlich vorsichtig an sie.

„Meine Niemals-Schwägerin.“, begrüßte die Ältere die Kleine kalt und wie auf Kommando erzitterte sie.

„Darf ich bei dir bleiben?“

Tainini war den ganzen Abend bei ihrer Mutter gewesen, die auf die Todesnachricht wieder schwer krank geworden war. Jetzt war sie eingeschlafen.

„Ich kann dich ja schlecht wegschicken, oder?“

Die Jüngere erwiderte nichts darauf, streckte stattdessen suchend die Hand nach dem Bauch der Anderen aus und wechselte das Thema.

„Was wird jetzt aus Choraly?“

Ihre Schmerzen wurden noch größer, als sie an das Mädchen dachte, das jetzt für immer hier fest saß. Ihr Bruder hatte ihr nicht helfen können.

„Imera hat sie zur Zeremonie gebracht... als sie es gesehen hat, hat sie so geschaut, wie du heute morgen. Es geht ihr wohl auch dementsprechend... und dabei wollten wir sie strahlen sehen, so ein Jammer.“

Vielleicht war es doch nicht so schlecht, wenn man sie ihrer Einsamkeit beraubte? Es lenkte ab und verlieh ihr neues Leben.

Die Jüngere sah es natürlich nicht, aber Lilli musste unwillkürlich ein wenig lächeln, als sie nach der ziellos in der Gegend herum tastenden Hand griff und sie auf ihren Babybauch legte.
 

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„Er wird morgen beigesetzt?“

Chatgaias düsterster Handlanger saß auf einem kleinen Sofa im Schlafzimmer der Frau und musterte sie interessiert, wie sie an ihrem Schreibtisch saß und irgendetwas ausfüllte.

„Ja.“, antwortete die Magierin, ohne aufzusehen, „Aber mal nebenbei, dürfte ich dir eine Frage stellen?“

Der Andere lachte amüsiert auf.

„Ehrenwertes Dorfoberhaupt, nur zu!“

Die Frau seufzte und wandte sich doch zu ihrem Gast. Vermutlich machte sie sich nun absolut lächerlich.

„Als ich dich nach deiner Meinung nach dem weiteren Vorgehen gefragt habe, hast du mir deine Dienste angeboten. Du bietest sie mir sehr oft an, seit knapp 10 Jahren tust du es schon. Und dennoch habe ich oft Zweifel. Haben wir denn das Recht, eine Todesstrafe zu verhängen, ohne dem Angeklagten eine Verteidigung zu gewähren?“

Sie drehte sich schnell wieder ab, hatte aber noch aus den Augenwinkeln wahrgenommen, wie sich die andere Person erhob und ein paar Schritte auf sie zu trat, beide Brauen hebend.

„Ehrenwertes Dorfoberhaupt.“, begann es überaus überrascht und auch ein wenig belustigt, „Sie zweifeln doch nicht ernsthaft an ihren Taten? Nein... das tun Sie nicht. Das haben Sie vor 10 Jahren genau so wenig wie vorgestern, als Sie mich zu sich haben rufen lassen. Es ist etwas anderes. Ihr Neffe zweifelt, hab ich Recht? Weil er Jiro verraten hat. Machen Sie sich keine überflüssigen Gedanken und bringen Sie ihm bei, dass es unsere Pflicht ist, manchmal Dinge zu tun, die uns nicht gefallen...“

Dinge, die einem nicht gefielen? Chatgaia erhob sich nun ebenfalls.

„Im Gegensatz zu dir mache ich mir erst Gedanken, ehe ich ein Todesurteil spreche. Du würdest doch deine eigenen Eltern töten, wenn ich es dir erlauben würde, bloß weil es dir gefällt, du krankes Biest.“

Ihr Gegenüber kicherte kindisch und wandte sich zum Gehen.

„Stimmt.“, gab es an der Tür zu, „Ich liebe es und mit meinen Eltern hätte ich sicherlich kein Mitleid. Mit keinem.“

Dann ließ es die Ältere allein zurück.
 

„Und wie soll ich ihm jetzt die Realität erklären...?“, fragte das Dorfoberhaupt dennoch in den leeren Raum und setzte sich auf ihr weiches Bett.

Ihr Neffe stellte sich blind und taub, verschloss alle Sinne vor Dingen, die ihm nicht gefielen. Ein verhängnisvoller Fehler, vielleicht sein Größter, der ihm das Leben bisher bloß unnötig schwer gemacht hatte. Ihm war egal, ob die Leute um ihn herum vollkommen abartig zu ihm oder dritten waren, bloß wenn er sich selbst für etwas verantwortlich machte, hatte er so fürchterliche Schuldgefühle, dass er jedes Mal Fieber bekam. Sicher würde es dank Jiro ganz besonders hoch werden.

Sie hatte ja bereits versucht, seinen Charakter zu stärken, war bisher aber immer gescheitert. Vielleicht, weil sie durchgehend im Hinterkopf hatte, dass er mit dieser Schwäche auch seine Berechenbarkeit verlieren würde? Ach, sie wusste es nicht. Sie würde es so lassen, wie es war.
 

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Chatgaia kannte den Jungen allerdings wirklich gut, denn er lag bereits ein paar Räume weiter fiebernd in seinem Bett.

Er war fassungslos und je länger er über das nachdachte, was er angerichtet hatte, desto fassungsloser wurde er. Er hatte Jiro auf dem Gewissen. Sie hatten sich so lange gekannt, er war so sympathisch gewesen!

Und seine Tante hatte ihm zuvor noch nicht einmal gesagt, was sie vorhatte. Vielleicht hätte er sie ja aufhalten können? Ach, es war unsinnig, ihr die Schuld in die Schuhe schieben zu wollen, sie hatte nach den alten Regeln gehandelt und war nicht im Fehler.

Er war es, er hätte einfach die Klappe halten sollen. Es hätte dem Dorf sicher nicht geschadet und der seltsamen Forschungsstation auch nicht. Es hätte im Gegenteil bloß viele Menschen glücklich gemacht. Familie Raatati wäre so stolz gewesen. Und Choraly selig.

Choraly.

Er hatte ihn ihretwegen verraten, weil er ihr allen ernstes hatte weh tun wollen. Sie sollte nie wieder ihren Vater und ihre restlichen Verwandten sehen, sollte sie doch hier wahnsinnig werden! Sie sollte leiden, wie er hatte leiden müssen!

Sie hatte ihn Götterschande genannt.

Das vergaß er ihr nicht. Das würde er ihr niemals vergessen. Aber vergessen war nicht vergeben, wenn er ehrlich war hatte er dem Mädchen tief in seinem Inneren längst verziehen. Sie hatte nicht gewusst, was sie sagte, wie tief sie ihn damit wirklich traf. Und dabei wusste er noch nicht einmal genau, was so schlimm an ausgerechnet diesem Wort war. Natürlich, es war die größte Beleidigung für jeden mit magischem Blut, aber ansonsten war es dem Jungen doch auch egal, was wer über ihn sagte. Aber das war anders gewesen, irgendwie.

Und jetzt war wegen seiner Wut ein Mensch tot und viele tief verletzt. Und wo das Mädchen aus der großen Stadt war, wusste niemand, außer Imera und Shakki natürlich, die wusste ja ohnehin fast alles. Und er war besorgt. Er vermisste sie.

Er würde sich mit ihr unterhalten, sobald sie auffindbar und er wieder auf den Beinen war, idealer Weise natürlich schon am nächsten Morgen.

Vielleicht brachte das eine gewisse seelische Erleichterung für ihn.
 

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Der nächste Morgen ließ auch nicht lang auf sich warten. Nicht nur Mayora ging es wie erhofft zumindest körperlich wieder besser, auch Choraly und Dafi hatten sich in der restlichen Nacht erholt und waren nun auf den Weg ins Dorf.

Imera hatte es nicht mehr geschafft, Klamotten vorbei zu bringen, so hatte die kleine Himmelsblüterin ihren Gast dazu gedrängt, mit ihr zurück in den Ort zu gehen und sich welche in Chatgaias Haus abzuholen, auch wenn es schwer fiel. Aber früher oder später musste das Mädchen so wie so wieder dorthin zurückkehren, egal wie sehr es sich sträubte. Sie konnte nicht ewig bei ihr bleiben, je eher sie sich wieder an den Gedanken, mit den beiden Grünhaarigen unter einem Dach zu leben, gewöhnte, desto besser war es für alle Beteiligten.

Auch wenn ihr die Tatsache nahezu grausam vorkam, es ging nicht anders. Aber es tat ihr Leid.

Sie schenkte der Kleineren einen flüchtigen Blick und musste unwillkürlich grinsen, als sie daran dachte, wie sie es letzten Endes geschafft hatte, sie zu überzeugen.

„Ich ersticke!“, hatte die Brünette gekrächzt, als ihre Freundin das von ihr geliehene Kleid verschlossen hatte, „Das ist viel zu eng!“

Aber etwas größeres hatte es nicht gegeben, so musste sie sich halt quälen. Auch wenn Dafi ein wenig Schuldgefühle hatte, wenn sie dem schweren Atem der Jüngeren lauschte. Aber es ging.
 

„Wir sind da.“, riss sie sich in dem Augenblick auch schon selbst aus den Gedanken und hielt vor der Tür des Dorfoberhauptes, die Hand bereits hebend, um anzuklopfen.

„Geh du!“, forderte die leicht blau angelaufene Choraly da aber und trat ein paar Schritte zurück. Es war schlimm genug, sich in diesem Ort aufhalten zu müssen, dieses Haus konnte und wollte sie nicht betreten! Nicht, wenn sie seine Bewohner in nächster Zeit noch töten müsste...

Ihr Gegenüber seufzte ergeben.

„Meinetwegen, aber bloß dieses eine Mal.“
 

Sie klopfte und Chatgaia persönlich öffnete ihnen, blinzelte einmal überrascht und grinste dann herrisch.

„Guten Morgen.“, machte sie aber zeitgleich nahezu unschuldig, „Ich hab mir gedacht, dass ihr heute zusammen sein würdet. Ihr wollt sicher Kleidung, damit die kleine Prinzessin nicht erstickt?“

Sie ließ ihre Blutsschwester eintreten und wandte sich dann selbst nach drinnen, allerdings ohne die Türe zu verschließen.

„Mayora!“, rief sie, „Sie ist hier, jetzt kannst du mit ihr reden! ... oder was du halt mit ihr machen willst.“

Noch ehe die junge Frau etwas hätte einwenden können, hörte sich schon die bekannten Schritte auf der Treppe. Mayora hatte eine sehr eigene Art, die Treppe zu gehen, das war ihr bereits aufgefallen und sie hatte es sich unbeabsichtigt eingeprägt. Und so stand sie dem jungen Mann, gegen den sie tief in ihrem Inneren einen gewaltigen Groll hegte, gegenüber.

„Guten Morgen.“, machte er emotionslos, „Können wir etwas spazieren gehen?“
 

Sie hatte ja schlecht nein sagen können.

Lange schritten sie schweigend nebeneinander her, bis sie die an diesem Tag einsamen Kaliri-Plantagen erreichten.

„Hör zu, Choraly...“, begann der junge Mann zögernd und hielt den Blick gesenkt, „Ich habe euch verraten, das ist eine Tatsache. Aber... es ist nicht so, wie es scheint, weißt du?“

Sie schnaubte und erwiderte nichts. Nein, sie wollte am liebsten gar nichts mit ihm zu tun haben, sie wollte bloß seinen Tod, egal, was er ihr erzählte. Neben ihr am Boden lag ein schöner Stein...

„Jedenfalls... ich war an dem Abend sehr wütend auf dich, du hast... mich ziemlich verletzt, mit dem Wort, das du zu mir gesagt hast. Ich hab mich an dir rächen wollen, nicht an Jiro oder Lilliann oder Tainini... ich habe nicht weit genug gedacht, um zu merken, dass die dabei ja in Mitleidenschaft gezogen werden würden. Und mir war auch nicht bewusst, wie sehr ich dich dabei verletzen würde. Ich weiß, das war egoistisch und deshalb wollte ich...“

„Du willst gar nichts mehr, Missgeburt!“

Auf ihren hysterischen Aufschrei hin folgte ein grausamer explosionsartiger Schmerz im Kopf des Jungen, der ihn lähmte, ihn nach Luft schnappend in die Knie zwang und die Welt um ihn herum dunkel werden ließ.
 

Die junge Frau starrte entsetzt auf den blutverschmierten Stein in ihrer Hand. Oh Himmel. Hatte sie es etwa wirklich getan? Sie war eine Magafi, sie stand zu ihrem brutalen Wort, wie es schien.

Der Grünhaarige lag seinerseits regungslos vor ihr in der Wiese, an seinem Hinterkopf klaffte eine Platzwunde, die man selbst durch seinen dichten Haarschopf erkennen konnte.

Sie hatte es geschafft, wie es schien.

„Man hat mir zu oft weh getan, ab jetzt wehre ich mich.“, sprach sie kalt zu dem bewusstlosen Jungen und bückte sich zu ihm, um zu schauen, ob es wirklich schon vorbei war, oder ob sie noch einmal draufhauen musste. Dazu drehte sie ihn auf den Rücken, was ihr überraschend leicht gelang und musterte ihn kurz, ehe sie eine Hand an seinen Hals legte, um nach seinem Puls zu fühlen.

Seine Augen waren nicht ganz geschlossen, sie schimmerten ihr blass und leblos entgegen, was sie seltsamer Weise so überhaupt nicht berührte. Vielleicht, weil er noch nicht ganz tot war, wie sie an seinem langsamen, aber vorhandenen Herzschlag fühlen konnte. Der Spruch 'Unkraut vergeht nicht.' schien wirklich wahr zu sein, dachte sich die Brünette; sie hatte ihm den Stein mit aller Kraft an die ihrer Meinung nach empfindlichste Stelle am Kopf geschlagen. Aber vielleicht war das bei Missgeburten ja anders als bei normalen Menschen? Auch egal, gleich war es eh vorbei...

Sie nahm abermals aus, dieses Mal wollte sie ihm den Schädel frontal zerdeppern. Sie hasste ihn. Sie hasste ihn so sehr.

„Stirb!“
 

„NEIN!“

Ein Schwall aus Feuer schlug ihr den Stein seitlich aus der Hand und verbrannte ihre Fingerspitzen leicht, was sie aufschreien und von ihrem Opfer wegstolpern ließ.

Als sie sich nach wenigen Sekunden des Schocks wieder gefasst hatte, sah sie Chatgaia, Dafi und Shakki, Letztere starrte sie bösartig an und fauchte irgendwelche Worte in der alten Sprache. Das Dorfoberhaupt hockte inzwischen schwer atmend vor ihrem Neffen und flüsterte ebenfalls unverständliche Worte, während sie ihn abermals umdrehte und seine Wunde vorsichtig zu betasten und notdürftig zu versorgen begann. Und Dafi hatte sich schlicht und ergreifend entsetzt die Hände vor den Mund geschlagen und war völlig neben der Spur. Verdammt.

Sie hatte versagt.

Was jetzt...?
 

„So wach doch auf...“

Die grünhaarige Frau versorgte die Verletzung nach all ihren Möglichkeiten, wandte dabei auch bestimmte Feuerzauber an, mit denen sie nebenbei etwa alle Haare seines Hinterkopfes um die Hälfte versengte, was ihr allerdings reichlich egal war. Sollte er sie eben kürzer schneiden, die wuchsen ja wieder. Wenn er denn wieder erwachte. Sie würde diese Göre vierteilen. Mindestens.

„Nicht aufgeben!“, vernahm sie Shakkis Stimme dicht neben sich und registrierte aus den Augenwinkeln noch, wie sich das Mädchen zu ihr kniete und die Hand des Bewusstlosen liebevoll in ihre Eigene schloss, „Wenn Sie jetzt dran bleiben, wird er es schaffen. So stark ist diese... Frau auch wieder nicht.“

Das spornte doch an. Sie gab sich nochmal so viel Mühe wie zu Beginn und keuchte vor Anstrengung. Heilzauber waren wesentlich schwieriger als normale, besonders wenn man Feuer als sein Element hatte. Aber es ging um ihren tatsächlich geliebten charakterlosen Neffen, den sie nicht verlieren wollte. Konnte.

Shakki atmete erleichtert aus.

„Er schafft es. Gleich wacht er auf.“
 

Choraly entgleisten die Gesichtszüge bei dem Anblick, der sich ihr bot. Bei Chatgaia, die alles wieder kaputt machte. Bei dem noch immer halbtoten Mayora, der jetzt erzitterte und die Augen vorsichtig komplett aufschlug. Und bei der Zigeuner-Schlampe, die...

... die sich über ihn beugte und leidenschaftlich auf den Mund küsste?

Was. War. Das?!

„A-alles in Ordnung...?“

Es fiel dem Mädchen schwer, sich Dafi zuzuwenden, die sich nun zu ihr gehockt hatte und besorgt über ihren Kopf strich.

„Ja...“, antwortete sie keuchend, „Was tut sie da?“

Sie deutete auf das Paar und ungewollt auch auf das Dorfoberhaupt, dass sich ja bei dem beiden befand und nun erschöpft lächelte. Shakki ließ noch immer nicht von dem jungen Mann ab, der noch gar nicht so recht mitbekam, was da mit ihm geschah.

Dafi seufzte.

„Eigentlich hat sie ja mit ihm Schluss gemacht... jetzt sind sie wohl wieder zusammen?“

Die Jüngere hustete.

„Wie jetzt? Die waren ein Paar?“
 

Mit ein wenig Überwindung schaffte es die Schwarzhaarige, sich von dem Verwundeten loszureißen und zu den anderen, insbesondere Choraly, aufzusehen.

„In der Tat.“, erwiderte sie, „Und wir werden auch wieder eins. Ich werde die Mutter seiner Kinder sein!“

Sie hatte grauenhafte Dinge geträumt, die niemals wahr werden durften. Es würde ihr schwer fallen, mit einem Partner zu leben, aber das war völlig zweitrangig, es ging schließlich um Mayoras Glück, das sie bewahren musste. Und das würde sie.

„Meinetwegen.“, entgegnete die Andere da, „Macht doch so viele Missgeburten wie ihr wollt...“
 

„W-was...?“

Die Blicke wandten sich allesamt an den Grünhaarigen mit der versengten Frisur, der jetzt benommen durch die Runde schaute.

Alles war verschwommen und dröhnte...

„Und?“, hörte er die besorgte Stimme seiner Tante. Moment, sie war besorgt? ... dann war er ihr also wirklich wichtig?

„... ich weiß nicht.“, antwortete er verwirrt und richtete sich vorsichtig auf, zu Shakki schielend, „Ich hatte gerade einen seltsamen Traum...“

„Das war kein Traum.“, erriet sie seine Gedanken und lächelte ihn liebevoll an, „Ich bin wieder dein.“

Es vergingen ein paar Sekunden und er senkte die Brauen.

„Ich will dich aber nicht mehr.“
 

Zuerst machte sie ihm schöne Augen, beraubte ihn seiner Jungfräulichkeit, dann ließ sie sein Herz zerbersten und als er sich gerade damit abgefunden hat, will sie ihn wieder? Nein. Selbst er hatte irgendwo, tief in seinem Inneren, so etwas ähnliches wie Stolz und Prinzipien. Das ließ er sich nicht gefallen, das konnte sie sich abschminken.

Auch wenn ihr entsetzter Blick weh tat, genau so sehr wie der Ausdruck seiner Tante.
 

Die Seherin ihrerseits hatte schon vermutet, dass das passieren würde, hatte die Möglichkeit aber die ganze Zeit über verdrängt. Vielleicht war es unprofessionell gewesen, aber immerhin angenehmer, als sich mit den Gedanken an eine Abfuhr zu befassen.

So wie es aussah, wäre es aber leichter in diesem Moment gewesen, wenn sie diese Antwort doch schon miteinkalkuliert gehabt hätte...
 

„Mayora!“, allerdings war es doch Chatgaia, die als erste etwas erwiderte, „Was soll das? Du wirst keine bessere Frau finden als sie, weil es keine bessere Frau gibt! Nehme sie und mache sie glücklich, ich will in spätestens 10 Monaten dein erstes Kind in den Armen halten können!“

Sie schnaubte. Endlich bekannte sich das Mädchen wieder zum Erben des Dorfes und dann lehnte er sie ab! Dabei war er so verletzt gewesen, als sie Schluss gemacht hatte, dann sollte er jetzt doch Dankbarkeit zeigen! Sie war schließlich wirklich ein ganz anderes Kaliber als er...
 

„Ich will sie aber nicht!“, empörte er sich nun lautstark an seine Tante gewandt und ein gewaltiger Schmerz erfüllter seinen Kopf daraufhin wieder, ließ ihn kurz nach Luft schnappen, „Ich weiß ja nicht, weshalb sie plötzlich wieder Interesse an mir hat, aber meinerseits ist sie mir vergangen und damit ist das Thema für mich durch!“

Da konnte die Älteste so viel meckern, wie sie wollte, darauf ließ er sich nicht ein. Und wenn sie so gern ein Baby haben wollte, sollte sie gefälligste selbst eins bekommen, und nicht erwarten, dass er eins für sie machte, schon gar nicht mit Shakki.

Stattdessen wandte er sich demonstrativ Choraly zu, die in mit unergründlichem Blick musterte.

Er lächelte.

„Bitte sag mir, dass wir jetzt quitt sind.“
 

Sie zögerte. Hatte sie dann nicht ihr Versprechen gebrochen? Ihren Schwur? Es fiel ihr schwer, aber der knochige Ellbogen, den Dafi ihr diskret in die Seite rammte, veranlasste sie dann schließlich doch zum Nicken. Sicherlich würde sie wieder eine Gelegenheit für Rache bekommen, auch bei der alten Hexe.

Für den Moment war zumindest ihre Wut abgeklungen, was blieb war die Trauer, die sie so schwach und willenlos machte und am liebsten hätte sie sich einfach nur irgendwo verkrochen. Chatgaia machte ihr einen dicken Strich durch die Rechnung
 

„Wie kannst du es eigentlich wagen, meinen Jungen so heimtückisch anzugreifen?!“

Sie hatte sich bedrohlich vor der Jüngeren aufgebaut, die das Haupt nun gesenkt hielt. Ihr langes braunes Haar fiel in ihr Gesicht und verdeckte die Tränen, die plötzlich bei ihr aufgekommen waren.

„Mayora war immer gut zu dir!“, sprach sie da erzwungen gefasst weiter, „Wäre er nicht gewesen, wärst du schon längst genau so tot wie Jiro. Denkst du denn, ich hätte nicht mitbekommen, wie du dich benimmst, bloß weil ich meist nicht zuhause bin? Lächerlich. Du hast mich zutiefst erbost und das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat...“

Ihre orangen Augen funkelten sie bösartig an und Dafi kam sich so hilflos vor wie noch nie. In die Angelegenheiten des Dorfes durfte sie sich nicht einmischen, wo sie so wie so schon in Chatgaias Ungunsten stand. Schließlich war sie ja ebenfalls in diese Rettungsaktion verwickelt gewesen. Ihre Sprache hatte jedoch ihr persönliches Oberhaupt übernommen...
 

„Tante, lass sie bitte“

Die Frau fuhr herum, als auch Mayora sich mit größter Mühe aufraffte und neben sie trat, sich dabei schließlich an ihrer schmalen Schulter abstützend.

„Sie ist kein schlechter Mensch, sie hat ein gutes Herz und hat einfach gedacht, damit könnte sie ihre Schuld begleichen. Eine Schuld, die sie gar nicht trägt, im Übrigen. Ich hab sie ja auch verletzt, wie gesagt, wir sind quitt. Ich wünsche mir...“

Er verstummte und fasste mit der freien Hand nach seinem pochenden Hinterkopf. Na damit würde er noch viel Spaß haben in den nächsten Wochen... Moment, warum fühlten sich die Haare so komisch an?

„Ich wünsche mir, dass wir so, wie vor ein paar Tagen einfach zusammen leben können... fast wie eine Familie!“
 

„Mit mir könntest du eine richtige Familie haben!“, bot sich Shakki abermals etwas verzweifelt an, wurde aber ignoriert.

Choraly glaubte nicht, was sie da hörte.

Das war ein Mordversuch gewesen! Dafür wäre sie selbst in Wakawariwa als Uda Magafis Tochter bestraft worden, es war eine ganz schlimme Straftat! Und er nahm es ihr nicht übel? Überhaupt nicht? Das war krank!

Sie sah schluchzend zu dem Jungen auf, dessen Gesicht plötzlich die gesunde Farbe einer Leiche angenommen hatte. Das konnte sie so nicht auf sich beruhen lassen...

Sie konnte ihre plötzlichen Schuldgefühle nicht erklären, aber in dem Moment wurde ihr klar, dass Mayora genau so wenig Schuld an Jiros Tod traf wie auch sie oder Dafi. Er hatte sich ganz einfach einmal nicht unter Kontrolle gehabt und das war ihm zum Verhängnis geworden.
 

Sie erhob sich weinend und sah ihn an.

„Mayora Timaro.“, sein Name kam zitternd über ihre Lippen, „Es ist purer Wahnsinn, was du mir hier vergibst. Um das auszugleichen, will ich mich entschuldigen, dieses Mal ehrlich, wegen meiner Vorurteile und...“

Dafi stützte sie. Sie konnte nicht mehr, das reichte. Das Lächeln ihres Gegenübers bemerkte sie so nicht, aber das Dorfoberhaupt sah es und seufzte leise.

Diesem Jungen war nicht mehr zu helfen... und dabei hatte sie sich so sehr auf ihr Enkelkind gefreut, das gar nicht ihr Enkel sein konnte, weil Mayora nicht ihr Sohn war und trotzdem... ach, abwarten.
 

„Ihr werdet alle das Unheil erfahren!“, schallte es von der kleinen Seherin da erbost und als man sich ihr mehr oder minder geschlossen zuwandte, hatte sie ihnen schon den Rücken gekehrt und war davon gerannt.

Sie war verletzt, auch wenn sie es nicht gern zugab. Sie war tief verletzt. Ob es sich wohl so für ihren Ex-Freund angefühlt hatte, als sie es mit ihm beendet hatte...?

Es war grausam.
 

--
 

Choraly und Chatgaia hatten dem armen Jungen den Wunsch, wie eine „Familie“ zusammen zu leben, wieder erfüllt. Es war auch einfacher so. Und für Dafi und auch Pinita ungefährlicher.

Außerdem hatte sich die Brünette vorgenommen, noch einmal bei Lilli und Tai vorbei zu schauen. In ihrem Traum hatte Jiro schließlich gemeint, dass es viel schlimmer für die beiden wäre, wenn sie sich nicht mehr bei ihnen meldete, als wenn sie wieder zu ihnen ging. Und sie wollte ja das Bestmögliche aus ihrem Leben machen. Aus ihrem Leben, mit dem sie sich nun langsam, aber sicher abgefunden hatte. Sie würde nie wieder nach Hause kommen und ihre Familie, Angestellten und Freundinnen sehen. Das war schlimm. Das war sehr schlimm. Aber sie lebte, das war die Hauptsache. Sie wohnte jetzt in einem kleinen Ort, der weder schön noch hässlich, weder bequem, noch unvorteilhaft war. Umgeben von seltsamen Leuten, die aus einer anderen Welt zu stammen schienen. Aber was sollte es?

Thilia war doch größer, als es auf den ersten Blick schien, vielleicht fand sich hier ja doch noch ein netter Mann? Einen, den sie heiraten und bekochen konnte, mit dem sie ein paar Kinder bekam und ein einfaches, aber glückliches Leben wie die meisten Frauen in diesem Ort führen konnte. Sie würde einfach versuchen, das, was einst war, zu vergessen.

Es gab kein Wakawariwa. Keine Politik. Keine Magafi-Familie, deren letzte Erbin sie war. Jetzt war alles gleich. Sie hatte es begriffen.

Sie war nicht grundlos hier, es hatte schon einen Sinn gehabt. Doch welchen wussten bislang bloß die Götter...

Leben

Irgendwie war es seltsam, wieder zuhause zu sein. Zuhause, in Chatgaias Haus. Nach der furchtbaren Nacht in der Forschungsstation (was natürlich nicht an Dafi gelegen hatte), fühlte sie sich hier wirklich wieder heimisch, auch wenn sie auf das Dorfoberhaupt in ihrem Inneren einen tiefen Groll verspürte. Aber sie ignorierte es weitgehend, ehe noch etwas schlimmeres geschah. Bei dieser Frau wusste man ja nie...

„Vielen Dank noch einmal, dass du das machst!“

Mayora riss sie aus ihren Gedanken, wie er vor ihr auf einem Hocker im Badezimmer saß und sie seinen Hinterkopf wieder in Ordnung brachte. In Ordnung bringen hieß in diesem Fall, seine Kopfhaut von dem verkrusteten Blut zu befreien und die versengten Haare ein wenig abzuschneiden. Sie tat es hauptsächlich aus Schuldgefühlen ihm gegenüber, wie hatte sie das bloß machen können? Jiro rächen war ja schön und gut, aber sie bezweifelte inzwischen, dass der Junge das überhaupt gewollt hätte. Und Mayora war doch auch bloß ein Opfer seiner selbst.

„Nichts zu danken.“, erwiderte sie so bloß und lächelte, „Aber denk nicht, dass du keine Missgeburt mehr bist!“

Sie legte den Lappen mit den letzten Blutresten bei Seite und er lachte.

„Wie könnte ich? Ich habe ja einen Spiegel und apropos....“, er drehte sich zu ihr um und musste leicht zusammenzucken, weil sein Kopf noch immer unangenehm pochte, „Kannst du versuchen, meine Haare nicht zu kurz zu schneiden? Ich mag sie doch so gern...“

Ihm war bekannt, dass sich seine Frisur und vor allem die Farbe nicht der absoluten Beliebtheit erfreute, aber er fand sie eigentlich ganz schön so und da wollte er natürlich auch nichts dran ändern. Was hatte Chatgaia sie auch verkohlen müssen?!

Das Mädchen kicherte darauf nur.

„Ich werde es versuchen, Matsch-Haar!“
 

--
 

Während Mayora und Choraly sich ausnahmsweise einmal gut verstanden, brodelte es im Inneren des Dorfoberhauptes nur so.

Sie saß in der Küche und trank zur Beruhigung einen Tee, während sie an das Stadtmädchen dachte. Sie hätte sie fast ihres Neffen beraubt, wenn Shakki nicht gewesen und sie rechtzeitig gewarnt hätte. Und dann erwiderte er ihre Liebe noch nicht einmal mehr, er war so undankbar! Stattdessen wünschte er sich, wieder mit dieser verwöhnten Prinzessin zusammen leben zu können, dabei hatte sie ihn so grauenhaft fertig gemacht, dass es der Frau bei dem Gedanken daran säuerlich aufstieß. Wäre es nicht sein ausdrücklicher Wunsch gewesen, sie zu behalten, dann hätte sie die junge Frau noch am selben Tag eigenhändig zerfetzt, da waren ihr die Regeln egal. So ein bösartiger unbelehrbarer Mensch konnte sie hier nicht gebrauchen, obendrein war sie ja fast so nutzlos wie Imera. Allem Anschein nach musste sie sich einmal ernsthaft mit ihrem Neffen unterhalten. Wenn er sich so für sie einsetzte, dann konnte er auch dafür sorgen, dass sie dem Ort, auf dessen Kosten sie frech lebte, einen Nutzen brachte. Irgendetwas konnte sie sicher, in Wakawariwa hatte man ihr bestimmt etwas hochnäsiges beigebracht.

Sie schnaubte leise und schaute ihr verschwommenes Spiegelbild in der halbleeren Tasse an.

Choralys Vater würde sie auch gerne einmal treffen, wenn sie schon dabei war. Wie konnte man zulassen, dass aus einem Kind so etwas wurde? Durch und durch nutzlos und intrigant, sicher hatte er sich nie richtig um sie gekümmert, als sie klein gewesen war. Reiche Menschen kümmerten sich bloß um ihr Geld und nie um ihre Familien, so hatte es ihr ihr eigener Vater beigebracht, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, sie sollte dankbar sein, dass es in ihrem Dorf keinen Reichtum in diesem Sinne gab. Und das war sie auch. Die Stadtgöre hatte ihr zum wiederholten Male bewiesen, was er aus Menschen machen konnte. Oder Alhata Timaro, Mayoras Vater, der obendrein noch nicht einmal mit seinem Verdienst, oder seiner Abzocke, wie man es nennen wollte, umgehen hatte können.

Es war traurig, fand sie. Wenn man wirklich soweit gehen wollte, konnte man dem Geld alle Schuld der Welt geben, fiel ihr da auf.

„Hättet ihr nicht so viel Geld, dann wärt ihr nie mit einer Flugmaschine geflogen und abgestürzt, Choraly...“
 

--
 

Am Abend wurde Jiro beigesetzt. Und wo in diesem Dorf Geburtstage so enorm wichtig waren, war es bei Todesandachten scheinbar genau umgekehrt.

Choraly durfte nicht daran teilnehmen, genau so wenig wie Mayora, Dafi oder Imera.

„Nur die engsten Freunde und Verwandten sind zugelassen!“, hatte das Dorfoberhaupt die junge Frau etwas grantig belehrt, während sie vor ihrem riesigen, etwas gruseligen Spiegel gestanden und ihr langes Haar gekämmt hatte, um es daraufhin zu einer aufwendigen Frisur hochzustecken. Sie war eine stolze Frau, der man möglichst viel Respekt zollen musste, da hatte die Missgeburt schon Recht gehabt, wie das Mädchen sich im Nachhinein dachte. Noch einmal würde sie das Schicksal nicht herausfordern, sie wollte nicht, dass wegen ihr noch jemand zu Schaden kam, diese eine Schmach war schlimm genug.
 

„So viel ich mitbekommen habe, werden bloß seine Mutter, seine Schwester, Lilliann und Naga dort sein, meine Tante einmal ausgenommen, versteht sich.“, hatte ihr Mitbewohner ihr beim Abendessen auch wie selbstverständlich geantwortet, als sie nach den Teilnehmern der traurigen Veranstaltung gefragt hatte.

„Erdmagier haben heute früh schon alles vorbereitet, wenn du verstehst, was ich meine.“

Sie verstand. Es tat ihr weh, sich nicht noch einmal von dem jungen Mann verabschieden zu können, aber sie wollte ja von nun an artig sein und immer brav auf Chatgaia hören, auch wenn es sie nervte. Außerdem hatte sie ihn ja noch einmal in ihrem Traum treffen dürfen, das war ein Privileg. Apropos Traum, da fiel ihr doch noch etwas ein.

„Sag mal...“, ihr Gegenüber am anderen Ende des Tisches sah auf, „Wir hatten doch mal diesen Traum... du weißt schon, den mit meiner Mama und Atti... und den komischen Kindern! Der total Komische, der ja ein ach so schlechtes Zeichen war, oder was du gesagt hast. Weißt du mittlerweile was darüber?“

Der Junge blinzelte und schluckte erst einmal sein Essen, ehe er zur Antwort ansetzte.

„Ich hab mir ehrlich gesagt nicht mehr so viele Gedanken darum gemacht.“, gab er zu, „Aber ich hätte so eine Vermutung, über die ich mich ehrlich gesagt lieber zuerst mit meiner Tante unterhalten würde, wenn es genehm ist.“

Sie nickte und aß weiter.

Mayora war unterdessen höchste erfreut über ihre Entwicklung. Vor nicht all zu langer Zeit hätte sie ihn für eine solche Antwort noch zerfetzt, jetzt nahm sie sie einfach hin. Ob sie ihn nun wirklich ernster nahm oder einfach resigniert hatte, wusste er natürlich nicht, wollte er auch gar nicht, aber so war ein Gespräch mit ihr doch wesentlich angenehmer, fand er.

Dabei musste sie ihn doch so hassen. Er kam noch immer nicht darüber hinweg, dass der arme Jiro wegen ihm jetzt tot war. Natürlich verstand er seine Tante auch irgendwo, das hatte er immer, aber war das moralisch auch wirklich richtig? Er bezweifelte es langsam. Und es gab niemanden, mit dem er diese Zweifel teilen konnte, entweder waren die Leute für oder gegen Chatgaias Art der Dorfpolitik, keiner sah das Positive und das Negative daran. Außer ihm natürlich. Ach, war das kompliziert...
 

--
 

Für den nächsten Morgen hatte Choraly sich viel vorgenommen, fand sie. Eigentlich ja bloß eine Sache, aber die war extrem wichtig und auch ziemlich schrecklich, für sie zumindest.

Sie wollte Familie Raatati besuchen.

Vor ein paar Tagen hätte sie damit keinerlei Probleme gehabt, aber heute war das natürlich anders. Der Jiro in ihrem Traum hatte ihr zwar versichert, dass es schlimmer sein würde, wenn sie seine Liebsten nicht mehr besuchte, aber dennoch fiel es ihr sehr schwer, bei ihren trauernden Freundinnen vorbei zu schauen. Sie hatte noch immer furchtbare Schuldgefühle und sie wollte gar nicht daran denken, was passiert wäre, wenn sie nicht an diesem einen Abend heulend bei ihnen in der Küche gesessen hätte, wenn sie sich mehr hätte zusammenreißen können. Wenn sie stärker gewesen wäre.

Aber sie war es nicht gewesen, also brachte es auch nichts mehr, sich darüber Gedanken zu machen. Das brachte den armen Jungen ja auch nicht wieder zurück.

Wo sie schon bei armen Jungen war, kurz vor Jiros Haus entdeckte sie hinter einem Baum Kura zusammengekauert sitzen. Schwänzte der etwa schon wieder die Schule?
 

„Hey, kleiner Mann!“

Sie entschloss, ihn einfach darauf anzusprechen. Vielleicht erreichte ein schönes Mädchen mit sanften Worten ja mehr als ein brutaler Cousin mit Schläge.

Der Junge zuckte zusammen und regte sich nicht mehr, bis sie sich vor ihn kniete und ihn mit sanfter Gewalt dazu brachte, sie anzusehen. Sie machte ein mitleidiges Gesicht.

„Du weinst ja.“

Er nickte beklommen und erzitterte am ganzen Leib, als er wieder schluchzen musste. Er war sehr, sehr traurig...

„Darf ich dich in den Arm nehmen...?“, erkundigte sich die Ältere da auch schon weiter und er konnte gar nicht sagen, wie dankbar er ihr für das Angebot war und streckte bereitwillig die Arme nach ihr aus. Ja, ein wenig Nähe würde ihm jetzt gut tun. War zwar etwas peinlich, dass er so verschmust war, aber es schaute ja keiner, der von Bedeutung gewesen wäre, hin.

Choraly ihrerseits dachte sich nichts Schlechtes dabei, als sie sich zu dem Kleinen setze, ihn auf ihren Schoß zog und ganz fest an ihren Körper drückte. Was auch immer mit ihm geschehen war, ihr Beschützerinstinkt lief gerade auf Hochtouren und sie würde für ihn da sein. Aber es war Kura, bei ihm war das nicht so leicht...

„Du willst mir sicher nicht sagen, was passiert ist?“

Er schüttelte den Kopf und schmiegte sich schutzsuchend an sie. Dabei legte er seine linke Hand allerdings etwas unvorteilhaft auf ihrer rechten Brust ab, was er selbst jedoch noch nicht registrierte und das Mädchen bloß beiläufig grinsen ließ. Männer...

„Soll ich ein bisschen bei dir bleiben und mit dir knuddeln?“

Er nickte, wie sie bereits vermutet hatte und versuchte demonstrativ, sich noch mehr an sie zu kuscheln, was allerdings dank seines etwas enthusiastischen Handelns zuvor kaum noch möglich war.

Unterdessen fragte sich das Mädchen, was sie denn für das Kind tun konnte, wenn es ihr nicht von seinem Problem erzählte. Wenn sie Probleme gehabt hatte, war sie damit immer zu Atti gegangen. Es hatte immer gut getan, mit jemandem darüber reden zu können und es erleichterte ungemein, wenn man verstanden wurde oder jemand einem seine Hilfe anbot. Kura war ein bemitleidenswertes Kind, fand sie. Wäre einmal interessant gewesen, herauszubekommen, weshalb er so stumm war. Irgendetwas sagte ihr, dass die Familienverhältnisse, in denen er aufwachsen musste, nicht die Besten für ihn waren...

Sie schreckte aus ihren Gedanken, als der Junge unverhofft doch zu sprechen begann, ganz leise und brüchig bloß, aber er tat es.

„...wohin willst du gehen?“, fragte er zunächst und vergrub sein Gesicht etwas oberhalb ihrer Brust, damit er sie nicht ansehen musste. Er war ganz rot...

Das Mädchen verstand ihn auf die Überraschung hin nicht sofort und blinzelte verwirrt, dann fiel es ihr ein und sie hatte eine nicht ganz uneigennützige Idee.

„Ich wollte zu Lilliann und Tainini, du kennst die beiden doch? Die beiden sind jetzt sehr traurig und ich... wollte sie ein wenig trösten. Ich frage mich, ob du das nicht auch möchtest?“

Als er aufsah und sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen wischte, strahlte sie ihn an.

Es war ein herzerwärmendes Lächeln, das seine Mutter vor langer Zeit auch einmal auf den Lippen getragen und ihn glücklich gemacht hatte. Und es konnte ihn noch immer aufheitern.

So nickte er und lächelte ebenfalls zaghaft.

Er hatte ja mitbekommen, was geschehen war und fand es ganz schrecklich. Der Kleine hatte Jiro im Stillen immer bewundert, weil er so laut und lustig gewesen war, eben genauso, wie er immer hatte sein wollen. Und jetzt war er weg.

Für seine Familie musste es sicher furchtbar sein, sie hatten sich ja alle so lieb gehabt. Er stellte sich dieses Gefühl etwa so vor, als würde Imera jetzt sterben.... oh Himmel, was für ein grausiger Gedanke! Er erschauderte unwillkürlich. Wobei seine Eltern sicher nicht um seinen Cousin trauern würden... aber er würde es, und wie. Er hatte ihn doch so lieb. Er hatte doch alle so lieb. Aber warum hatte niemand ihn lieb?
 

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Eigentlich benahm sie sich ja schon wieder verdammt egoistisch, dachte sich Choraly, allerdings nicht willig, etwas dagegen zu unternehmen. Sie hatte das Gefühl, mit Kura an ihrer Seite wäre sie stärker. Und Lilli würde nicht wagen... was eigentlich? Sie anzuschreien? Zu weinen? Wenn sie es genau nahm, hatte das Mädchen eigentlich keine Ahnung, was sie erwarten würde. Wie die Mädchen auf sie reagierten. Und ob es wirklich so gut war, einen kleinen lieben Jungen, dem es selbst allem Anschein nach ziemlich mies ging in eine solche Trauergesellschaft zu bringen. Sie würde sehen.
 

Jiros Haus sah aus wie immer. Natürlich, ein Gebäude veränderte sich mit dem Tod eines seiner Besitzer auch nicht, zumindest nicht äußerlich. Aber es strahlte etwas seltsames, erdrückendes aus, als sie vorsichtig an die hölzerne Tür klopfte.

Vielleicht ist ja niemand zuhause, überlegte sie sich irrsinniger Weise, ehe Tainini ihr die Tür öffnete und ihr ausgezehrter Anblick sie nach Luft schnappen ließ.

Von dem hübschen jungen Mädchen war kaum noch etwas übrig, sie wirkte blass und hatte tiefe dunkle Ringe unter den trüben Augen, ihr langes Haar fiel ihr offen, ohne tolle Frisur über die Schultern.

„Wer ist da?“, erkundigte sie sich da leise, als niemand etwas sagte, sei es auf ihren schrecklichen Anblick hin oder aus purer Schüchternheit. Aus diesem Grund hasste die 14-jährige es, zur Türe zu gehen...

„I-ich...“, rang sich Choraly da doch zum Sprechen durch und blinzelte ein paar Mal ungläubig auf die Kleinere hinab, die nun ungläubig den Mund öffnete.

„Prinzessin...“

Sie sprach den Titel, den man der jungen Frau vor nicht all zu langer Zeit aus Spaß gegeben hatte, andächtig aus. Sie war also tatsächlich noch einmal gekommen...
 

Nach einem kurzem Moment des Zögerns warf sie sich schluchzend in die Arme ihres Gegenübers und knuddelte es. Sie war da, sie war tatsächlich da!

„Ich hab gedacht, du würdest uns jetzt hassen!“, weinte die Kleine und das Stadtmädchen nahm es überrascht in die Arme, „Weil wir unser Versprechen nicht haben halten können!“

Sie erstarrte.

Nein.

Die hatten jetzt nicht ernsthaft Schuldgefühle? Sie schluchzte auch. Wie gut konnten Menschen denn sein?

Kura begann obendrein ebenfalls wieder zu weinen, weshalb, wusste er allerdings selbst nicht so genau. Vermutlich, weil er dazu gehören wollte...

„Tainini!“, machte die Brünette unterdessen neben sich, „Ich bin euch doch nicht böse! Ich dachte, ihr wärt mir böse, weil... weil es doch mein Schuld ist...“

Die Jüngere guckte verwirrt. Sie hatte scheinbar einen ganz anderen Blickwinkel als sie. Wobei Blickwinkel gut gesagt war...

„Dann bist du wirklich gar nicht böse?“, versicherte sich die Kleinere noch einmal und ließ von ihrem Gegenüber ab, stieß dabei an Kura und quiekte, „Da ist ja noch jemand! Konntest du mir das nicht sagen? Ich hab mich total erschreckt!“

„Oh.“, erwiderte Choraly bloß etwas perplex, während der kleine Junge nach ihrer Hand angelte, „Ja, ähm, hier ist Kura, genau.“
 

Lilliann stand schon im Flur, als die Gäste eintraten, und begrüßte sie mit einem traurigen, aber so durch und durch liebenswürdigem Lächeln, dass den Beiden schon wieder die Tränen kamen.

„Ich hab so gehofft, dass du wieder kommen würdest, Choraly.“, sagte sie dann doch und kam auf die Andere zu, um sie zu umarmen.

„Und ich hab so gehofft, ihr würdet mich nicht hassen!“, erwiderte die Kleinere darauf nur und schluchzte abermals.

Sie fühlte sich so mies, wenn sie von so vielen durch und durch reinen und fehlerlosen Menschen umgeben war. Sie kam sich so dreckig und verabscheuungswürdig vor, dass sie am liebsten auf dem Absatz kehrt gemacht hätte um hinaus in die Wüste zu rennen und dort ihren Tod zu suchen. So ein widerlicher Mensch wie sie verdiente das Leben doch überhaupt nicht.

Es war Kura, der sie plötzlich aus ihren düsteren Gedanken riss, als er die beiden Mädchen auseinander drängte, um dann selbst Lilli zu umarmen. Dabei legte er sein Köpfchen zärtlich auf ihrem rundlichen Bauch ab und die Frau lächelte gerührt.

„Wo hast du den kleinen Schwänzer denn wieder aufgetrieben?“, fragte sie lächelnd und tätschelte seinen blonden Kopf, „Hör mal Kura, es ist nicht nett, einfach nicht in die Schule zu gehen, hörst du? Außerdem bekommst du dann doch schlechte Noten!“

Er reagierte nicht. Das Mädchen seufzte.

„Mein Vater ist dein Lehrer, Kura. Ich weiß, wie schlimm die Anderen zu dir sind. Aber lass dir von diesen Idioten doch nicht auch noch deine Zukunft kaputt machen!“

Choraly wagte nicht, noch weiter darüber nachzufragen, sie wollte den Jungen nicht beschämen. Aber er tat ihr unendlich Leid.
 

--
 

„Zu Lilli? Da sollte ich auch mal hin!“

Imera knallte einen nun leeren Becher auf den hölzernen Tisch in Chatgaias Küche und schnaubte. Wenn er schon nicht zur Beerdigung gedurft hatte, dann wollte er ihr wenigstens so sein Beileid aussprechen.

Mayora, ihm gegenüber sitzend, stützte bloß gelangweilt den Kopf auf den Händen ab.

„Jaa.“, machte er gedehnt, „Aber wenn ich fragen dürfte, warum beehrst du dann mich?“

Der Andere grinste und beugte sich ein wenig über den Tisch.

„Hast du aber ein Ego entwickelt.“, machte er, „Ich wollte nicht zu dir, sondern zu Tantchen. Wo ist sie denn?“

Als ob er freiwillig die Missgeburt besuchen würde, soweit käme es noch...

Aber eben diese hob nun beide Brauen.

„Meine Tante ist nicht da. Was willst du von ihr?“

Nicht da?

„Das, was du nicht willst!“, antwortete der Braunhaarige patzig und lehnte sich wieder zurück. Warum war die nicht da?

„Wo ist sie?“

„Geplatzt, hast du es nicht knallen hören?“

Die Jungen schauten sich gleichermaßen blöd an. Irgendwie konnten die Beiden kein wirklich konstruktives Gespräch mehr führen. Hatten sie eigentlich nie können, aber früher hatte Mayora immer gekuscht und sich nicht quer gegen die Aussage des Älteren gestellt, da war das besser gegangen.

Konnte der nicht einfach antworten?

„Sag schon!“

„Dann sag du, was du von ihr willst!“, der Grünhaarige wedelte theatralisch mit dem Finger in der Luft herum, „Am Ende willst du sie abstechen oder so!“

Der Andere blinzelte.

„Klar doch, ich hab ja nichts besseres zu tun.“, hatte er echt nicht, „Aber mal was Anderes, was macht ihr jetzt mit Choraly?“

Mayora nahm sich wieder zusammen und seufzte. Stand der immer noch auf sie? Oder wurde er am Ende noch sozial, dass er sich so sehr um andere sorgte?

„Was sollen wir mit ihr machen? Sie wohnt hier und... ist nun einmal da, was dagegen?“

Er verengte seine roten Augen. Man konnte dem Spinner nicht trauen.

„Nein, ich hab nichts dagegen.... aber ich würde bei euch durchdrehen.“

Er lächelte lieblich. Ernsthaft, mit der Missgeburt unter einem Dach zu wohnen war nicht schön, vor allem nicht, nachdem was passiert war. So wie so, warum war sie nach so kurzer Zeit schon wieder von Dafi abgehauen? Das konnte er nicht nachvollziehen.

„Du musst ja auch nicht bei uns wohnen.“, erwiderte sein Gegenüber da ruhig und schaute wieder normal, „Ich weiß, was du denkst, aber es ist wieder alles in Ordnung.“

War er also doch sozial geworden, bemerkenswert...

„In Ordnung? So würde ich das aber nicht nennen!“, empörte sich der Braunhaarige darauf jedoch, „Ihr habt einen ihrer Freunde auf dem Gewissen und dabei geht es ihr ohnehin schon so schlecht! Ich weiß ja nicht, wie du sie bestochen hast, aber in Ordnung ist es sicher nicht.“

Er schnaubte. War er gerade schlauer gewesen als jemand anderes...?

Der Jüngere senkte den Blick.

„Mich trifft tiefe Schuld.“, gab er zu, „Aber sie hat sich bereits an mir abreagiert.“

Fast hätte Imera es sich denken können. Natürlich. Er lachte kalt auf.

„Immer noch ganz der Alte, was? Und ich hab vorhin noch gedacht, du hättest ein Ego entwickelt, wie lachhaft!“

Der Angesprochene zuckte zusammen und der Ältere lehnte sich wieder über den Tisch. Da hatte er sich aber blenden lassen...

„Ich sag dir jetzt einmal etwas und das solltest du dir zu Herzen nehmen; ich kann durchaus verstehen, dass du in gewissen Lebensbereichen etwas verpeilt bist, aber ein für allemal, wenn man dich verprügelt, heißt das nicht, dass dein Peiniger dich mag, du Vollpfosten!“

Allein für seine absolut nicht nachvollziehbaren Denkweisen verdiente dieser Idiot schon den Titel Missgeburt. Er errötete.

„Das weiß ich doch längst.“ erwiderte er kleinlaut und starrte die Tischplatte an. Wusste er garantiert nicht.

„Kauf ich dir nicht ab!“, fauchte er so, „Du bist noch genau der selbe Blödmann wie damals, bloß mit anderem Anstrich von Chatgaia! Sei ihr dankbar, ansonsten hätte ja gar keiner Respekt von dir...!“

Er erhob sich.

„So wie ich, im Übrigen, weil ich dich kenne. Gib einfach auf, nach Zuneigung zu suchen, dich wird so wie so niemals jemand mögen. Noch nicht einmal Chatgaia mag dich, die benutzt dich nur und lacht sich heimlich schlapp über deine beängstigende Dummheit.“

Er ging ein paar Schritte und hielt noch einmal inne, als er den empörten Blick des Angesprochenen auf sich spüren konnte.

„Doch, Tante mag mich!“

„Nein, sie mag dich nicht, du bist nur ihr blöder kleiner Laufbursche, falls sie irgendwann einen Besseren findet, bist du weg vom Fenster. Sie empfindet überhaupt nichts für dich, höchstens Belustigung, weil du so ein leichtgläubiger Idiot bist. Und sie hat völlig Recht, deine bloße Existens ist eine Beleidigung für das ganze Dorf, du erbärmliche Missgeburt!“

Imera schnaubte. Gute Idee, an dem Blödmann konnte man sich toll abreagieren. Das hatte er mal wieder nötig.

„Sei still, das ist gemein.“, der Grünhaarige senkte den Blick tief, „Ich will das nicht hören, bitte.“

Als ob er wirklich gewollt hätte, dass er aufhörte. Er wollte gar nichts. In Wirklichkeit war er doch bloß eine Hülle, die nur das machte, was man ihr sagte und nur etwas forderte, damit man nicht bemerkte, wie tot seine Seele in Wahrheit war. Ja, eine tote Seele, das war der passende Ausdruck.

„Warum lebst du eigentlich?“, fragte der Ältere da weiter und verschränkte die Arme vor der Brust.

Der Andere sah mit nassen Augen auf.

„Was ist das für eine Frage? Weil ich geboren wurde, du Trottel!“

Was stellte der ihm so dämliche Fragen? Und warum beleidigte er ihn nicht einfach, damit er böse auf ihn sein konnte, sondern tat ihm hinterlistig so weh?

Und dabei war es eigentlich ja noch nicht einmal wirklich hinterlistig, er sprach ja bloß die Wahrheit. Warum hatten immer alle Recht und er nie?

Sein Gegenüber lachte kalt.

„Nein, das meine ich nicht. Ich an deiner Stelle hätte mich längst umgebracht oder so...“, er wandte sich zum Gehen, „Ich gehe jetzt Chatgaia suchen und bewerbe mich als dein Nachfolger!“

Dann war er weg.
 

--
 

„Was willst du jetzt machen?“

Choraly saß noch immer etwas verschüchtert am Küchentisch der Familie Raatati und blickte zu Lilli, die ihr Tee einschenkte. Sie blinzelte.

„Wie, was soll ich denn machen?“

Sie stellte ihr die Tasse vor die Nase und die Kanne weg, um sich schließlich zu ihrem Gast zu setzen.

„Na, was du jetzt machen willst... ohne Jiro...“

Sie rührte verlegen im Tee herum und die Ältere lächelte müde, während Kura, der ebenfalls am Tisch saß, von Tai ein seltsames Gebäck serviert bekam. Das Stadtmädchen kannte das Zeug schon, es war eine Süßigkeit.

„Na, was soll ich schon tun? Um Jiros Mama steht es wieder ziemlich schlecht, ich kümmere mich jetzt noch um sie, bis sie endlich erlöst ist und dann gehe ich zu meinen Eltern zurück, bekomme mein Baby und verbringe die Zeit damit, es ganz doll lieb zu haben.“

Lilliann war eine sehr tapfere junge Frau, fast schon beneidenswert, hätte sie nichts so schlimmes erlebt. Oder auch vor sich. Sie würde wahrscheinlich ihr ganzes Leben allein bleiben müssen, in Wakawariwa fand eine Frau mit Kind keinen neuen Mann mehr. Aber Moment, da fiel ihr etwas ein.

„Und was wird aus Tainini?“

Die Kleine zuckte zusammen.

„M-mit mir?“, schüchtern fragend setzte sich dazu, „Ich gehe zu Naga, er will auf mich aufpassen, hat er gesagt.“

Choraly nickte. Dieser Naga musste ein wirklich guter Junge sein, auch wenn er seltsam wirkte. Dennoch, an Dafis Seite konnte sie ihn sich nicht vorstellen. Dazu war er doch zu seltsam. Sollte er sich doch mit Tai zusammentun, wenn er sie schon bei sich aufnahm. Wäre ihr lieber gewesen, aber für solche Gedanken war nun eh der Falsche Zeitpunkt.

„Umgekehrt, was wird jetzt aus dir?“

Sie schreckte aus den Gedanken und blinzelte benommen auf Lillianns berechtigte Frage.

„Ich weiß nicht.“, gab sie zu, „Ich werde wohl erstmal hier bleiben müssen, irgendwann werde ich schon klar kommen. Und dann.... mal sehen, vielleicht lasse ich mir von der Missgeburt, Entschuldigung, Mayora etwas beibringen, damit ich im Haushalt helfen kann oder so. Wer weiß, vielleicht wird aus mir ja noch eine brauchbare Persönlichkeit, die irgendeinem netten Kerl eine gute Ehefrau sein kann?“

Sie lachte traurig und ihr Gegenüber lächelte.

„Das wirst du sicher.“, bestätigte sie, „Es ist sicher schwer, soweit von zuhause und allen geliebten Menschen weg zu sein, aber du gewöhnst dich bestimmt daran. Und du bist intelligent und schön, die Jungen werden sich nur so um dich reißen. Hast du denn schon jemanden entdeckt, der dir zusagt? Abgesehen von Imera, versteht sich.“

Sie stützte ihren Kopf auf den Händen ab und betrachtete ihr Gegenüber interessiert, Tainini tat es ihr unbewusst gleich und Kura knabberte gleichgültig an seinem Gebäck. Choraly lächelte errötend. Lilli wollte nicht über ihre Sorgen sprechen, wenn ihr etwas so belangloses half, dann sollte es so sein.

„Na ja, nein, nicht wirklich.“, sie kicherte mädchenhaft, „Aber immerhin weiß ich jetzt, was für ein Vollidiot Imera ist, der ist so blöd, das tut schon weh... aua!“

Alle Augen, sofern sie funktionierten, richteten sich überrascht auf Kura, der die junge Frau ungeahnt bösartig anfunkelte. Er hatte sie getreten.

„Nicht sagen....“, grummelte er verärgert und biss wütend in seine Knabberei. Niemand durfte seinen lieben Cousin beleidigen, noch nicht einmal die hübsche Choraly! Imera war der Beste!

„Man tritt keine Mädchen.“, belehrte ihn Lilliann darauf etwas angesäuert, „Sie hat es vielleicht nicht gerade schön ausgedrückt, aber eigentlich hat sie doch Recht! Ich hätte es ja nicht geglaubt, aber wenn ich mir jetzt dein Verhalten so anschaue, denke ich fast, du mutierst zu genau so einem Idioten wie er. Viel intelligenter bist du im Übrigen auch nicht, wenn ich das mal anmerken dürfte...“

Er schnaubte empört und sprang auf, machte sich vor der jungen Frau groß und schnappte nach Luft. Verdammt, er musste jetzt etwas sagen! Er war ein Kerl, verdammt, er ließ sich doch nicht von minderwertigen Weibern fertig machen! Irgendetwas total schlagkräftiges, was alle aus den Socken haute, etwas total einfallsreiches, was genau traf...

„Du bist blöd!“

Ja, das hatte gesessen! Er drehte sich erhobenen Hauptes um und rannte weg. ...hoffentlich hatte er sie nicht zu sehr verletzt...

Lilli blinzelte ihm stirnrunzelnd nach.

„Schade.“, machte sie, „Ich hab ihn immer für einen niedlichen, vernünftigen Jungen gehalten und jetzt offenbart er mir, dass er eine Miniausgabe von Imera, dem Volldepp, ist. Tragisch...“
 

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Es schepperte. Kinai zog geschockt den Kopf in letzter Sekunde weg.

„Shakki!“, empörte er sich, „Willst du mich umbringen!?“

„Stirb doch!“, fuhr sie ihn zurück an, „Was sitzt du auch im Weg?!“

Er legte das ziemlich intelligent scheinende Buch zur Seite und erhob sich schnaubend von dem Sofa. Die war doch bescheuert.

„Du wütest schon tagelang, reicht es nicht langsam? Du entehrst die Handwerker unseres Dorfes, wenn du alle ihre mit Mühe gefertigten Produkte zerstörst! Mal nebenbei, das war Mutters Lieblingsvase...!“

Er stemmte die Hände in die Hüften und sie kreischte einmal schrill auf.

„Ich werde noch wahnsinnig!“, fluchte sie, „Er will mich nicht mehr, dieser Volltrottel, er rennt in sein Verderben und ich kann nichts dagegen tun!“

„Und was kann ich dafür?“, wollte der kleine Bruder schmollend wissen und sie funkelte ihn bedrohlicher denn je an.

„Nichts. Aber du könntest zumindest den Willen beweisen, deiner geliebten Schwester zu helfen!“

Sie atmete tief ein und aus, um sich zu beruhigen und begann, unruhig eine ihrer lockigen Strähnen in den Fingern zu drehen. Sie war echt fertig.

Der Jüngere antwortete obendrein nichts besonders hilfreiches.

„Ja, ich geh jetzt gleich zu ihm und sag ihm, er soll dich gefälligst gut durchnehmen, damit du nicht mehr so dauerwuschig bist, meine Güte...“

Er schaute sie blöd an und sie keuchte empört.

„Aber darum geht’s doch nicht!“, erwiderte sie verzweifelt und zog sich unwillkürlich selbst an den Haaren, „Mir ist klar geworden, dass ich keine Wahl habe! Es ist unerträglich, immerzu zu wissen, was der Partner denkt, aber es geht nicht um mich! Die Götter verlangen, dass ich seine Frau werde und auf ihn aufpasse, Mayora ist etwas ganz besonderes und muss beschützt werden.“

Sie seufzte erschöpft und setzte sich auf einen Stuhl in ihrer Nähe, fuhr sich durch das blasse Gesicht und verstummte. Es war doch zwecklos. Mayora würde nicht mehr zu ihr zurückkehren.

Aber schlimmer als der Gedanke daran, ihr Schicksal nicht vollziehen zu können, war die Tatsache, nicht gewollt zu sein. Er hatte sie abgelehnt. Er mochte sie nicht mehr. Es tat so grauenhaft weh, dass ihr die Tränen kamen und ihr kleiner Bruder sie trösten musste...
 

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Was sie ausnahmsweise einmal nicht wusste, war, dass ihr Liebster im Moment ebenfalls am Boden zerstört in seiner Stube saß und Löcher in die Wand starrte, bis seine Tante irgendwann nach Hause kam und ihn so vorfand.

„Hallo.“, begrüßte sie ihn, „War Imera wieder gemein zu dir?“

Er drehte wie mechanisch den Kopf in ihrer Richtung und starrte sie aus glasigen Augen an.

„Immer sagst du das.“, erwiderte er brüchig und sie hob ein Braue, „Immer fragst du, ob jemand gemein zu mir war. Imera, Choraly... nun frage ich dich, Tante, bist du gemein zu mir?“

Darauf hob sie beide Brauen. Moment- ... was redete er da?

„Ich?“, kam dann perplex, „Warum sollte ich gemein zu dir sein, habe ich dir je weh getan?“

Er senkte den Blick wieder und sie sah, wie er erzitterte. Oh nein...

„Ich weiß es nicht...“, antwortete er dann nur noch leise und verstummte dann.

Die Magierin beobachtete ihn ein paar Sekunden, dann vergrub sie plötzlich das Gesicht in den Händen.

„Nein!“, schrie sie und er fuhr erschrocken auf, „Sag mir, dass du nicht schon wieder Fieber hast, Mayora, bitte! Du wirst sterben, verdammt!“

Es nahm überhand! Das hielt er nicht mehr lange durch!

Er senkte bloß bitter den Blick.

„Ich kann doch nichts dafür, Tante...“

Schutz

Choraly kam erst am späten Abend nach Hause und fand zu ihrer Überraschung Chatgaia, die noch ziemlich wach war oder zumindest noch die Augen offen hatte, in der Küche vor. Auf sie reagieren tat sie nicht. Sie starrte aus dem Fenster vor ihr in die Dunkelheit und als sie sie ansprach, zuckte sie gewaltig zusammen.

„Alles in Ordnung?“

„Was?“, sie drehte verwirrt den Kopf in die Richtung der Jüngeren, schaute sie aber irgendwie nicht an.

„Ob alles in Ordnung ist?“, wiederholte die junge Frau verunsichert und trat ein paar Schritte auf die andere zu, um sie genauer zu mustern. Sie war blass...

„Nein, nichts ist in Ordnung.“, kam dann die beunruhigende Antwort und die Magierin wandte sich ab und kehrte ihr den Rücken, „Mein Neffe, Mayora, er ist krank und ich kann nichts dagegen tun. Aber... dürfte ich dir eine Frage stellen?“

Das Mädchen hob beide Brauen. War das wirklich die gruselige Oberhexe?

„Ja... natürlich.“

Sie zögerte eine Weile. Nicht, dass sich die Kleine unnötige Hoffnungen machte, wenn sie es aussprach...

„Denkst du... ich meine, es ist nur so ein Gedanke, aber könnten die Mediziner in der großen Stadt meinem Jungen vielleicht helfen?“

Vorsichtig wandte sie sich wieder ihrem Gast, der schon viel mehr eine Mitbewohnerin geworden war, zu und diese blinzelte sie überrumpelt an.

„Also...“, begann sie, „Ich kenne mich mit Medizin leider überhaupt nicht aus, aber in Wakawariwa gibt es wirklich sehr gute Ärzte, die können fast alles heilen. Mayora könnten sie sicher auch helfen...“

Himmel, sie musste sie überzeugen, einen Versuch zu wagen! Nicht, dass ihr so besonders viel an dem jungen Mann gelegen hätte, aber wenn einer das Dorf verlassen konnte, warum dann nicht alle? Alle, die wollten, verstand sich.

„Ich muss Opfer bringen...“, murmelte die Grünhaarige da benommen mit Blick auf die Dielen, „Ich habe mich schon vor vielen Jahren für das Dorf entschieden. Aber der Gedanke an den Abschied von meinem Kleinen... tut sehr weh...“

Sie drehte sich wieder weg und ging schnellen Schrittes die Treppe hinauf.

„Ich gehe ins Bett, solltest du auch.“, verabschiedete sie sich halblaut mit erschreckend brüchiger Stimme und verschwand.
 

Choraly sah ihr erschrocken nach. Gut, Mayora genoss noch immer nicht ihre höchste Sympathie, aber wenn seine Tante, die sonst so kalte Chatgaia, so besorgt war, musste es ja wirklich schlimm um ihn stehen. Sie erinnerte sich plötzlich an die Worte, die Imera vor tausend Jahren einmal zu ihr gesagt hatte.

Himmelsblüter sterben von Natur aus früher und das dann an irgendwelchen Lapalien, Chatgaia hat vor vielen Jahren mal zu seiner Mutter gesagt, dass er eh nicht alt wird.

Sie schlug sich keuchend die Hände vor den Mund, als sie die Härte dieses Satzes zum ersten Mal, so schien es, wirklich traf. Er würde sterben!

Nein! Noch mehr Tod verkraftete sie nicht, noch nicht einmal wenn es sich dabei bloß um die Missgeburt handelte. Er war doch noch nicht einmal richtig erwachsen, man musste ihm doch helfen... und dabei hatte sie ihn vor nicht all zu langer Zeit selbst noch töten wollen, wie furchtbar.
 

Von einer seltsamen Angst gepackt fand sie sich wenige Sekunden später im Zimmer des jungen Mannes wieder, wo dieser schwer atmend im Bett lag, einen Lappen auf der Stirn. Sie fasste prüfend danach, er war noch schön kühl. Vermutlich hatte Chatgaia ihn noch einmal nass gemacht, ehe sie zu Bett gegangen war.

„Tante?“

Sie blinzelte. Er war ja wach.

„Nein, ich bin es. Du wirst es nicht glauben, aber ich hab mir Sorgen um dich gemacht.“

Der Junge öffnete schwach die Augen, als sie sich zu ihm an die Bettkante setzte und lächelte mit größter Mühe, aber ehrlich.

„... das ehrt mich.“

Damit hätte er wirklich nicht gerechnet, das war ja nett. Nicht, dass er diese Nettigkeit verdient hätte...

„Muss es nicht... hört sich jetzt dumm an, aber wie geht es dir?“

Er schloss die Augen wieder.

„Vermutlich mies... aber so geht es mir so oft, ich bemerke es schon gar nicht mehr richtig. Ich hoffe, es ist bald vorbei...“

Und Erlösung verdiente der Egoist obendrein auch nicht...

Sie schloss ihre Augen ebenfalls einen Moment benommen. Wie schlimm, das konnte er sich doch nicht ernsthaft wünschen!

„Du bist 17, du hast dein Leben noch vor dir, so etwas darfst du noch nicht einmal im Ansatz denken!“

Irgendwie kam sie sich seltsam vor, so auf ihn einzureden, aber sie fühlte sich lieber seltsam als schlecht, was sie getan hätte, wäre sie still gewesen. Wer wusste es schon, vielleicht bewirkte es etwas?

„Von welchem Leben sprichst du?“, unterbrach er sie da, „Nach dem Tod meiner Tante würde ich einsam und allein dieses Dorf kaputt regieren, ich glaube, es ist besser so...“

Choraly schnaubte.

„Du sprichst Unsinn!“, fuhr sie ihn wie gewohnt an, „Du findest sicher ein süßes Missgeburten-Mädchen, dass dich gern heiratet und dir ein paar Missgeburten-Babies schenkt und du wirst ein tolles Dorfoberhaupt!“

Es war doch wahr, der Junge hatte eine so negative Einstellung, da war es doch gar nicht verwunderlich, dass er ständig halbtot im Bett lag!

Sie selbst hatte so schlimme Dinge in letzter Zeit erlebt, aber auch wenn sie sich nun mit ihrem Schicksal abgefunden hatte, war tief in ihr noch immer dieser Funken Hoffnung, irgendwann wieder nach Hause zukommen, und dieser winzig kleiner Funken würde auch in 50 Jahren nicht erloschen sein. So etwas machte nämlich stark und hielt am Leben.

Er drehte bloß langsam den Kopf in ihre Richtung.

„Missgeburten-Babies...“, sprach er versonnen, „Ich wäre sicher kein guter Vater, auch wenn ich zugegebenermaßen gerne Kinder hätte, am liebsten jetzt gleich schon...“

„Also!“, versetzte die junge Frau nun voller Elan, „Du musst weiterleben, damit du ganz viele kleine Missgeburten machen und lieb haben kannst!“

Er grinste unwillkürlich.

„Gut, wenn du darauf bestehst...“
 

Sie bestand darauf und kam sich, als sie den Raum nach wenigen Minuten verlassen hatte und sich in ihrem eigenen Zimmer bettfertig machte, unglaublich toll vor. Sie hatte der Missgeburt tatsächlich eingetrichtert, dass sie leben musste. Sie war ja schon ein guter Mensch, doch. Atti hätte das auch gekonnt. Sie wäre stolz auf sie gewesen.
 

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Mayora kam sich ebenfalls toll vor. Dem Mädchen aus der großen Stadt lag etwas an seinem Leben, obwohl er doch so ein grauenhafter Mensch war. Nein- noch nicht einmal das. Das grenzte ja schon fast an Wunschdenken, Mensch...

Und so war es, zumindest für ihn selbst, nicht wirklich verwunderlich, dass er sich am nächsten Morgen wieder wesentlich besser fühlte und direkt voller Elan den Frühstückstisch deckte. Seine Tante hatte sehr zu seinem Leidwesen das Haus schon unheimlich früh verlassen, so dass er wieder mit Choraly allein frühstücken musste. Natürlich nur, wenn sie wünschte, mit ihm am Tisch zu sitzen, er wollte sie ja zu nichts drängen.

Das musste er auch nicht, sie setzte sich letzten Endes ganz selbstverständlich zu ihm. Ihr einzig negatives Kommentar galt dabei noch nicht einmal ihm, sondern dem Essen.

„Es schmeckt zwar gut.“, machte sie, „Aber es ist irgendwie jeden Tag das Selbe, kann das sein?“

Ja, da hatte sie wohl Recht. In Thilia ließ es sich gewiss gut leben, aber es war und blieb ein Dorf mitten in der Wüste, keinem bekannt, ohne Import oder Export. Da war das Angebot an Nahrungsmitteln eben etwas begrenzter als in der großen Stadt. War sicherlich eine große Umgewöhnung, wenn man das anders kannte.

Aber sie schien nicht böse zu sein und ließ es einfach stumm über sich ergehen, die Prinzessin. Sie war schon ziemlich tapfer, zugegeben. Er war ziemlich froh darüber, über sie verfügen zu dürfen, so konnte er sie vor seiner Tante beschützen.

Er liebte und verehrte diese Frau sehr, aber manchmal teilte er tatsächlich nicht ihre Meinung. Zum Beispiel was das Entscheiden über Leben und Tod anging... und über Choralys Zukunft. Wer wusste es schon, vielleicht erfüllte sich ja noch irgendwann ihr Wunsch und sie konnte wieder heim. Auch wenn er persönlich das schade gefunden hätte. Sie war doch eine Bereicherung für das Dorf, obwohl sie, wenn man es genau nahm, nicht mehr konnte als Imera, der Volldepp.
 

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Imera, der Volldepp, hatte seinerseits an diesem Morgen auch zu tun.

„Was willst du denn hier?“

Lilliann guckte ihn blöd an, als er vor ihrer Haustür stand und mit dem Fuß im sandigen Boden herum scherte. Mit dem hatte sie nicht gerechnet.

„Na ja, was denkst du denn?“, er sah auf, „Was haben denn die anderen Leute in den letzten Tagen hier gewollt?“

Irgendwie hatte er schon damit gerechnet, so liebevoll begrüßt zu werden.

Sie seufzte.

„Wenn es etwas gibt, was ich ganz sicher nicht brauche, dann ist es dein geheucheltes Mitleid, also verschwinde wieder.“

Diese ganzen Deppen aus dem Dorf sollten sie doch einfach in Ruhe lassen, die hatten ja keine Ahnung. Und dieser Trottel schon gar nicht, sie hatte ihn nie leiden können. Hatte eigentlich keiner in Thilia je gekonnt. Einen Moment lang überlegte sie sich, was das für eine Umstellung hatte sein müssen, wo er in Morika doch anscheinend so beliebt gewesen war. Aber auch egal.

„Ich heuchle mein Mitleid nicht, Lilli!“, unterbrach er da ihre Gedanken empört, „Es ist nicht gerade sozial, immer nur das Schlechteste von mir zu denken! Ich gebe zu, dass Jiro und ich nie die besten Freunde waren, aber sein Tod hat mich ziemlich tief erschüttert. Dass du dir anmaßt, etwas anderes zu behaupten, grenzt ja fast schon an Beleidigung.“

Er schnappte nach Luft und als er ihren kalten Blick einfing, fiel ihm erst auf, was er da gesagt hatte. Ach verdammt, er Idiot. Er wollte sie doch trösten und sie nicht fertig machen! Auch wenn er eigentlich ja im Recht war...

„Da wir das ja jetzt geklärt haben...“, machte sie da jedoch bereits abweisend, „... kannst du ja auch wieder verschwinden. Wiedersehen!“

Na, das hatte er ja wieder schön versaut. Wann war er eigentlich zu einem solchen Versager mutiert?

Er wandte sich zum Gehen, doch zu seiner Überraschung hielt die junge Frau ihn noch einmal auf.

„Hör mal.“, begann sie, „Etwas anderes. Wenn du nach Hause kommst, kannst du dann bitte auf deinen Cousin acht geben? Mein Vater hat seinen nämlich heute in die Schule bestellt...“

Und was das bedeutete, wussten sie alle. Der Schulrektor hatte es schon so lange wie möglich hinaus gezögert, denn jeder kannte die Kaltherzigkeit von Imeras Onkel, aber langsam wurde Kuras ewige Schwänzerei gefährdend für seine Versetzung, da war es nun einmal seine Pflicht, einzugreifen. Aber um das arme Kind tat es ihm sehr Leid.

Imera seinerseits weitete die Augen geschockt.

„Nicht dein Ernst?“, keuchte er, „I-ich, ich komme nochmal, ich will noch mal in Ruhe mit dir reden! Aber jetzt muss ich nach Hause!“

Ohne eine Antwort abzuwarten drehte er sich um und rannte wieder dahin, wo er hergekommen war. Lilli senkte den Kopf tief.

Irgendwie wollte sie jetzt nicht mit ihm tauschen.
 

Den jungen Mann hatte fast der Schlag getroffen. Er mochte seinen Onkel und seine Tante sehr gern, aber sie konnten beide absolut kaltherzig sein. Und ihre Ansprüche an ihren kleinen Sohn waren höher, als er je würde erfüllen können. Und wenn Kura jetzt wirklich nicht versetzt wurde... du liebe Zeit!
 

Die liebe Zeit schien jedoch nicht mit ihm zu sein, denn als er nach Hause kam, war es bereits zu spät, wie er an dem mies gelaunten Ehepaar am Küchentisch erahnen konnte. Er war völlig außer Puste, als er sich hektisch umsah. Wo war der Kleine?

„Vermutlich ist es deine Schuld...“, begann da sein Onkel unverhofft mit ihm zu sprechen und schielte ihn an, „Deine Dummheit hat sich vermutlich auf ihn übertragen.“

Der Jüngere schüttelte noch immer fertig vom Rennen den Kopf.

„N-nein.... Kura ist nicht dumm! Kura... hat bloß Probleme... mit den Anderen....!“

Er stützte sich keuchend an seinen Knien ab, als er das Gefühl bekam, irgendetwas würde ihm den Hals zuschnüren. Seltsam.

Der Mann schlug mit der Faust auf den Tisch und ließ ihn zusätzlich zusammen zucken.

„Ist mir scheiß egal, er endet so wie du!“, er erhob sich und machte einen bedrohlichen Schritt auf den Jungen zu, „Es muss doch deine Schuld sein! Ach, wie ich den Tag verfluche, dich hier aufgenommen zu haben, Imera, du...“

„Das reicht jetzt aber!“, unterbrach Kahana, die noch ungerührt am Tisch saß, ihren Mann da gedämpft. Nicht, dass sie diesen Idioten mochte, aber das lag auch nicht an ihm. Sie war völlig abgestumpft, sie mochte niemanden mehr. Und man musste ihn ja nicht unnötig verletzen, der Blödmann hatte es schwer genug...

„Halt den Rand!“, fuhr der Blonde sie darauf allerdings auch an und sie schloss entnervt die Augen. Sie hasste den Kerl...

Der Neffe atmete seinerseits noch immer schwer und sah zu seiner Tante am Tisch. Mit Rohama war jetzt wohl nicht zu reden.

„Ist er in seinem Zimmer?“

Sie nickte und er machte, dass er wegkam.
 

In Kuras kleinem Zimmer war es dämmrig, als er es betrat. Das kleine Bündel irgendwo in der Bettdecke zuckte zusammen, als hätte es einen Stromschlag bekommen, als die Tür ins Schloss fiel und der Cousin sich zu ihm setzte. Ja, das hatte er erwartet.

„Tut mir Leid.“

Mehr sagte der Ältere nicht. Das musste er auch nicht, es hätte jetzt sowieso nichts mehr gebracht. Es war ja zu spät. Verdammt. Hatte Lilli ihm das nicht gleich sagen können? Wie ihn das ärgerte! Aber die hatte ja auch keine Ahnung, auf sie musste er nicht wütend sein...

Der Kleine regte sich unterdessen nicht. Das konnte er im Moment nicht. Er spürte Imeras Hand, die unter die Decke fuhr, um über seinen blonden Kopf zu streicheln und wie er plötzlich inne hielt und sie wieder zurückzog.

„Kurachen?“, fragte er da, „Du hast doch nicht etwa am Kopf geblutet...?“

Er antwortete wie erwartet nicht und der Ältere zwang sich, ihm die Decke vom Leib zu ziehen und sich davon zu überzeugen. Dabei hasste er solche Anblicke doch so sehr.

Blut... er hasste Blut so sehr...

Und er musste es dennoch sehen, auch an dem Köpfchen des Kleinen. Darauf sprang er entsetzt auf.

„Du liebe Güte!“

Kura blinzelte schwach, als er aus dem Raum rannte. Was denn...?
 

„Onkel!“, die Stimme des jungen Mannes hallte durch das komplette kleine Haus, als er in der Küche ankam und den Gerufenen wieder am Tisch vorfand. Kahana stand mittlerweile gleichgültig vor ihrem Herd und kochte.

„Was denn?“

Er errötete vor Wut.

„Du wirst ihn eines Tages noch tot schlagen!“, begann er, „Du reagierst völlig über, sei nicht so hart zu ihm! Ein paar in die Fresse hätten sicher auch ge-...“

Das letzte Wort wurde verschluckt, als er sich selbst eine fing und rückwärts gegen die Tür stolperte. Sein Gegenüber schnaubte.

„Was maßt du dir denn an?“, wollte es wissen, „Du nutzloser Bastard, halt dich raus.“

Imera rieb sich über die blutende Lippe. Ach, wie gerne hätte er sich in einem solchen Moment gewehrt. Wie gerne hätte er Kura beschützt.

Aber er konnte nicht.
 

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„Du bist unvernünftig!“

Choraly ging schimpfend neben Mayora her, der bloß dümmlich lachte. Der Idiot hatte gestern noch Fieber gehabt, verdammt! Und jetzt rannte er mit ihr durch das Dorf, das war doch bescheuert! Ach, hatte der ein Glück, dass Atti nicht hier war, die wäre ganz anders zu ihm gewesen...

„Aber es ist doch immer gleich.“, versuchte er sein Verhalten zu rechtfertigen, „Eine Nacht krank, dann ist wieder gut. Ganz einfach.“

Ja ja, ganz einfach. Und in ein paar Tagen würde es wieder genau so gehen, das war doch echt bescheuert.

„Was rennst du mir überhaupt nach?“

Sie selbst hatte, wie so oft, nichts besonderes zu tun und so hatte sie beschlossen, wieder einmal bei Tafaye vorbei zu schauen. Sie brauchte mehr Abwechslung denn je, nach allem, was geschehen war.

„Ich hab nichts zu tun.“, gab er da zu hören, „Tante wollte mich wohl schonen, sie hat mir keine Aufgaben gegeben... ich könnte mal das Haus putzen...“

Das Haus putzen. Sie hielt inne. Wie gestört konnte eine Missgeburt denn sein?

„Du bist absolut unmännlich!“

Er blinzelte.

„Unmännlich? Na hör mal, und du bist frauenfeindlich, wenn du Hausputz unmännlich findest.“

Ja, er war für Gleichberechtigung. Komisch, dass die Meisten da anders dachten...

Das Mädchen schnaubte nur. Sie hasste es, wenn er Recht hatte. Das war unsozial, verdammt!

„Ach, du hast ja keine Ahnung.“, schnappte sie so bloß und ging hoch erhobenen Hauptes weiter, einen Moment hoffend, er würde da bleiben, wo er war, doch das blieb ihr natürlich verwehrt. Der Typ war wirklich wie ein kleiner Hund.

„Und was machst du mit Tafaye?“, erkundigte er sich gut gelaunt, als er wieder mit ihr gleich auf war und sie schenkte ihm einen perplexen Blick. Moment, mit?

„Was soll ich denn mit ihm machen? Ihn ausrauben und verprügeln natürlich, was denkst denn du...?“

Er lachte. So lustig fand sie das eigentlich nicht, aber gut, sie verkniff sich einen giftigen Kommentar.

„Na ja, ich hab gehört, manche Mädchen rennen zu ihm, weil er hübsch ist und... nein! Nicht, dass ich dir das zutraue, aber wenn es so wäre, würde ich natürlich nicht mitkommen... AUA!“

Er rieb sich empört den frisch geprügelten Oberarm und das Mädchen vor ihm lief über und über rot an. Was dachte der sich?! War der bescheuert?! Sah sie so aus, als hätte sie es so nötig oder was?!

„Wie kannst du es wagen?!“, sie trat ihm zusätzlich ans Bein und er schnappte kurz nach Luft, „Und deine Gedanken dann noch aussprechen, wie gestört kann man denn sein? Ich bin eine Dame, verdammt, etwas mehr Respekt, bitte!“

Das Mädchen stampfte wütend auf. Am liebsten hätte sie ihn erdrosselt, aber es gehörte sich nicht, ältere Männer auf offener Straße so zu demütigen. Ältere Männer... das hörte sich ja so an, als ob er ein alter Sack wäre. Aber er war ja auch älter als sie, auch wenn man es ihm nicht ansah.

„Tut mir ja Leid.“, entschuldigte er sich da auch schon errötend und kratzte sich hinter dem Kopf, „Ich habe mich dämlich ausgedrückt, aber ich musste doch sicher gehen, dass es dir nichts ausmacht, wenn ich dich begleite.“

Na ja, etwas ausmachen wäre übertrieben gewesen, aber er nervte schon enorm.

„Ich meine, ich habe ansonsten nichts zu tun und lasse dich nicht gern allein durch das Dorf rennen, man weiß ja nie...“

Er beendete seinen Satz und ging einfach weiter. Das Leben war vergänglich.

Vielleicht wurde er jetzt paranoid, aber wenn er an Jiros Tod dachte, wurde ihm ganz anders. Und das, obwohl er die Schuldgedanken mehr oder minder verdrängt hatte. Er konnte seine Tante nicht mehr recht einschätzen, sie hatte sich verändert in den letzten Jahren. Verübeln konnte er ihr das natürlich nicht, aber es machte sie gefährlich. Und sie mochte Choraly nicht. Also gab er lieber Acht auf sie, es tat ihm doch so Leid um das arme Mädchen.

Sie ihrerseits folgte ihm verwirrt. Er war nicht zu verstehen, nein. Aber auf eine sinnlose Diskussion hatte sie nun keine Lust, außerdem waren sie gleich da.
 

„Choraly!“

Tafaye klatschte gut gelaunt in die Hände, als er sie sah und hopste über die Theke, um sich dann tief vor ihr zu verneigen. Sie lachte überrumpelt.

„Ja, ich bin da.“, bestätigte sie und er richtete sich grinsend wieder auf. Er war ja tatsächlich ein ganz hübscher. Aber nein, niemals.

„Oh!“, unterbrach Mayora da ihre Gedanken, der sich auf die Ignoranz hin demonstrativ einem fremden Jungen, der an der Theke lehnte und perplex zu den anderen gesehen hatte, zuwandte, „Kinai, du auch hier?“

Er hob eine Braue.

„Ja, oder soll ich nackt durch die Gegend rennen?“

Choraly blinzelte, als sie ihn bemerkte. Den hatte sie doch schon mal irgendwo gesehen?

„Das ist Kinai Kaera.“, stellte Tafaye ihn da auch schon ungebeten vor, „Seine Schwester kennst du sicher schon, Shakki, unser schlaues Mädchen.“

Shakkis Bruder?

Das Stadtmädchen überkam eine unangenehme Schauer, als sie an die Schwarzhaarige dachte – sie war nicht schlau, sondern wahnsinnig. Mehr nicht. Und ihre Missgeburt von Bruder sah ihr zumindest äußerlich ziemlich ähnlich. Moment, vielleicht konnte der ja auch ihre Gedanke lesen? Sie würde sich hüten...

„Und du bist Choraly Magafi?“, sprach er sie da an und sie nickte erbleichend, als er seltsam grinste, „Meine Güte, dich hätte ich mir aber gruseliger vorgestellt...“

Er wandte sich an Mayora.

„Meine Schwester ist voll fertig, sie hält die Süße für die Verkörperung des Bösen und...“, die junge Frau unterbrach ihn.

„Ich bin nicht deine Süße, damit das mal klar ist, du Spast!“

Ja, das war Choraly. Die älteren Jungen grinsten, als der Schwarzhaarige errötete und irgendwie den Faden verloren hatte. Frauen und ihr Mundwerk.

„Jedenfalls...“, versuchte er nach ein paar Sekunden wieder und starrte seine Füße an, „Shakki geht es nicht gut und...“

Er würde sich hüten, zu sagen, dass sie wirklich scharf auf den Grünhaarigen war und so gab er es nun endgültig auf und brummte bloß noch etwas unverständliches.

Der Schneider lachte und zog die Aufmerksamkeit wieder auf sich.

„Ich habe dir schöne Klamotten gemacht, Prinzessin!“, er deutete auf ein Regal hinter der Theke mit viel rosa Stoff, „Und dein Hemd ist jetzt in Serie gegangen, Mayora!“

Der Jüngere lachte verlegen. Ja ja, sein tolles Hemd...

„Und du hast mir tolle Sachen gemacht?“, drängte die Brünette sich da wieder dazwischen und faltete mädchenhaft dankbar die Hände.

Oh ja, Klamotten. Mit Klamotten hatte man sie immer schon glücklich machen können. In Wakawariwa hatte sie einen Privatschneider gehabt, erinnerte sie sich. Aber irgendwie war der Blondi toller. Würde sie jemals wieder zurückkehren können, müsste der mitkommen, auf jeden Fall.
 

Während der Schneider seiner Kundin seine Werke präsentierte, widmete sich ihr Begleiter wieder dem noch immer zutiefst verlegenen Kinai.

„Du hast vorhin Shakki erwähnt...“, begann er gedämpft neben ihm, ohne den Blick von Choraly und Tafaye zu wenden, „Geht es ihr nicht gut?“

Er blinzelte ihn an.

„Äh- nein. Gar nicht gut. Ich sollte dich dafür verhauen, dass es meiner Schwester wegen dir so schlecht geht.“

Aber er würde es natürlich nicht wagen, Chatgaias Hündchen auch nur ein Haar zu krümmen, dazu war er natürlich nicht berechtigt. Er seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Sie hat mir auch mal weh getan, sie soll sich nicht so anstellen. Außerdem soll sie zu dem stehen, was sie sagt. Sie hatte schon immer die Gabe des Sehens, hat sie und wird sie auch immer haben, es ist also keine Rechtfertigung dafür, mal einen Freund zu haben und mal nicht. Richte ihr das ruhig aus!“

Der Ältere schnaubte. Die Gedanken an seine Ex-Freundin machten ihn wütend und traurig zugleich. Sie war eine Lügnerin. Dabei verstand er ihren Bruder nicht.

Es ging ihm nicht wirklich um das Wohlbefinden der jungen Frau, das scherte ihn nämlich nicht mehr sonderlich, sondern viel eher um sein Eigenes. Shakkis Wutanfälle konnten unter Umständen schließlich echt mörderisch werden. Und wenn sie depressiv war wollte sie so viel von seinem tollen Zeug, das war auch dumm. Was konnten die sich nicht einfach heiraten, Kinder machen und glücklich sein? Es hätte doch so einfach sein können... und das sagte er auch.

„Warum vergesst ihr eure Streitereien nicht einfach und fangt noch einmal von vorn an? Wäre besser für alle, glaub ich...“

Mayora verdrehte die Augen.

„Du hast mit deinen 14 Jahren ja auch schon Ahnung von sowas, natürlich.“, er ging zwei Schritte nach vorn und hielt dann noch einmal inne, „Und such dir lieber später mal einen anständigen Beruf.“

Dann widmete er sich wieder dem Stadtmädchen.
 

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Während all des geschäftigen Treibens im Dorf suchte Chatgaia die Ruhe fernab von allen anderen. Mittig in der Oase befand sich ein großer, glitzernder See mit kristallklarem Wasser, der ihnen allen das Leben schenkte. Aber seit es keinen Grund mehr gab, die kleine Sandstraße nach Morika, die daran entlang führte, zu passieren, war es hier sehr einsam geworden und die Frau genoss die daraus resultierende Stille, während sie am Ufer hockte und den Fischen zusah.

Wie oft hatte sie das in ihrem Leben schon getan, wenn sie nicht mehr wusste, wie es weiter gehen sollte?

Sie fürchtete um ihren Neffen. Sie würde ihn verlieren, egal, wie es weiter ging. Entweder, weil sein Körper irgendwann einfach versagte, und das konnte man ihm bei den Fieberschüben, die er schon mitgemacht hatte, wirklich nicht verübeln, oder weil er einfach nicht mehr an ihrer Seite bleiben wollte.

Er stellte ihre Politik in Frage, seit dieses Mädchen hier war. Zuvor nicht... es war Choraly Magafis Schuld! Wegen ihr war so viel passiert.

So viel, was dem Dorfoberhaupt gar nicht bewusst gewesen war. Sie hatte die Leute hier verändert und das nicht zum Positiven. Sie zerstörte alles.

Es musste wohl der Wille der Götter sein, dass es so gekommen war, so viele negative Zufälle waren unmöglich.

Aber was brachte ihr diese Erkenntnis? Wie sollte sie etwas an diesem Zustand ändern?

...

Aber zumindest versuchen, Mayora gesund zu machen, musste sie. Er war ihr Neffe. Sie hatte ihrer Schwester versprochen, immer gut auf ihn Acht zu geben. Auch wenn diese noch nicht einmal um dieses Versprechen gebeten hatte, aber dennoch...

Sie wandte den Blick vom Wasser ab und dem blauen Himmel zu.

... es musste wohl seinen Sinn haben.
 

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„Stell dich nicht so an!“

Imera baute sich schnaubend vor seinem kleinen Cousin auf, der ihn trotzig anschaute und die Ärmchen vor der Brust verschränkt hatte. Er war am ganzen Körper mit verkrusteten Blut verschmiert, er musste unbedingt in die Badewanne! Fand Imera zumindest. Aber der kleine Mann fürchtete sich wohl davor, dass seine Wunden brennen würden, wenn sie mit Wasser in Berührung kamen oder was auch immer, jedenfalls stellte er sich halb-nackig wie er war schon seit Ewigkeiten quer und so langsam bekam der Ältere auch das Bedürfnis, ihm dafür kräftig eine zu scheuern. Aber er riss sich zusammen, für einen Tag war der Kleine definitiv geschunden genug. Was kümmerte sich seine Mutter auch nicht um ihn?

„Tu mir doch den Gefallen, Kura!“, versuchte er es so abermals auf die sanfte Tour, „Ich muss nochmal weg, ich hab noch eine Verabredung! Und ich will dich so nicht zurück lassen, sei lieb!“

Der Junge schüttelte schnaubend den Kopf. Das konnte er sich abschminken.

Der Brünette betrachtete ihn einen Moment stumm. Na gut, dann anders. Er hatte jetzt keine Zeit und Lust schon zwei mal nicht mehr, es reichte ihm.

„Als ich klein wahr, hab ich Baden gehasst.“, erklärte er, „Aber ich hab es natürlich trotzdem müssen. Willst du wissen, was mein Vater immer gemacht hat, um mich in die Wanne zu bekommen?“

Er schüttelte demonstrativ den Kopf, aber sein Gegenüber ignorierte seine Reaktion, hob ihn einfach hoch und warf ihn (übrigens samt Unterhose und Strümpfen, die der Junge noch trug), ins Wasser. Er quiekte und rang errötend durch die unsanfte Behandlung und die plötzliche Berührung mit dem Nass nach Luft und Imera grinste triumphierend.

„Ist doch gar nicht so schlimm!“, kommentierte er guter Laune und nahm sich einen Lappen, um den Kleinen schön ordentlich zu waschen, dem die Tränen in die Augen traten. Dafür, dass er seit seiner Geburt so rau behandelt wurde, war er irgendwie ganz schön verweichlicht...

Kura schluchzte.

Irgendwie hatte sein Cousin keine Ahnung.
 

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Keine Ahnung hatten auch manch andere.

Dafi zuckte zusammen, als es klirrte und Pinitas Wandspiegel in tausend Scherben in sich zusammen fiel und das blonde Mädchen sich fluchend die rechte, nun blutende Hand rieb.

„Du hast das Ding kaputt gemacht.“, stellte die Jüngere blöd fest und sah von einem Haufen Papiere zu ihr auf und ihre Cousine wandte sich ihr meckernd zu.

„Ist nicht schade darum!“, erklärte sie laut stark, „Ich mach hier gerade voll die Diät und das Teil macht mich immer fetter, das ist ja so... so... unsozial!“

Die kleine Magierin verzog leicht das Gesicht und widmete sich rasch wieder ihrer Arbeit. Sie würde sich hüten, auszusprechen, dass der Spiegel bloß die Wahrheit gezeigt hatte... vielleicht sollte sie mal zu einem Arzt? Nein, das würde sie ihr sicherlich nicht empfehlen...

Die Ältere ließ sich deprimiert auf ihr Bett fallen und betrachtete sich ihre verletzte Hand. Ach, das war doch nicht gerecht...

„Musst du nicht arbeiten?“, erkundigte sich Dafi da und sie verdrehte die Augen.

„Nein, muss ich nicht und wenn ich müsste, würde es dich trotzdem nichts angehen!“

Sie hatte gerade einen ziemlich aggressiven Moment, weil sie sich verarscht vorkam und sie ließ sich nicht gern verarschen!

Nicht nur, dass ihr Körper nicht das machte, was sie wollte, nein, ihr Projekt, an dem sie schon so lange arbeitete war durch die blöden Kriegszustände ein wenig ins Stocken geraten und irgendwie war alles so verwirrend in letzter Zeit... apropos...

„Weißt du irgendetwas neues von der Stadttussi?“

Die Jüngere verneinte.

„Anders als du hab ich verdammt viel zu tun und komme nicht mehr dazu, ins Dorf zu gehen. Aber ich denke, bei Mayora ist sie gut aufgehoben.“

Sie hatte ja wirklich immer zu tun in den letzten Wochen. Teilweise schob man ihr Sachen unter, die irgendwie gar nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich lagen, hatte sie das Gefühl. Sie sprach es nicht aus, aber irgendwie vermutete sie, dass ihre definitiv unterbeschäftigte Cousine ihr zwischendurch etwas von ihrer Arbeit mit unterschob. Aber nach ihrer momentanen Aggressivität würde sie sie sicher nicht darauf ansprechen.

Das Mädchen legte den Stift bei Seite. Sie war besorgt. Irgendetwas war anders als sonst...
 


 

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Ich hab grad Bock, noch was zu sagen oô.

Die FF hat sich ungeahnt um ein Kapitel verlängert und Kappi 26 ist 20 Open Office-Seiten lang geworden,... freut euch oder lasst es sein XD

Abwesenheit

„Meine Güte, jetzt musst du aber so schnell nicht mehr zur Schneiderei.“

Mayora betrachtete ehrfürchtig den riesigen Stapel Kleidung, den er durch das Dorf tragen durfte. Tafaye hatte so getan, als hätte er keine Tasche, damit er ihn auslachen konnte...

Ein wenig Gekicher nahm er so wie so wahr, wenn er an manchen Leuten vorbei ging, er sah einfach dämlich aus, wie ein altes Waschweib. Aber er konnte schließlich unmöglich von der armen, zierlichen Choraly verlangen, das Zeug selbst zu tragen, das ging ja überhaupt nicht.

Sie für ihren Teil war bester Laune und das war es ihm wert. Wo sie doch so wenig Freude hatte...

„Nein, ganz so schnell nicht mehr!“, bestätigte sie ihm da lächelnd, „Aber findest du nicht auch, dass Tafaye genial ist? In Wakawariwa gibt es niemanden, der so tolle Kleidung macht wie er! Ich liebe den Kerl einfach...“

„Ehrlich?“

Sie trat sachte nach ihm. Zu doll ging nicht, sonst hätte er die schönen Klamotten noch auf den sandigen Boden fallen lassen.

„Doch nicht so, du Missgeburt! Ich mag ihn, weil er sein Handwerk so gut versteht, deshalb!“

Der Junge grinste sie breit an.

„Ich sag doch, hier ist es viel besser als in Wakawariwa! Jetzt siehst du es ja...“

Vermutlich war das nicht wirklich überzeugend, aber auf einen Versuch konnte man es ja ankommen lassen, fand er. Sie schnaubte.

„Du warst noch nie in Wakawariwa!“, entgegnete sie stolz, „Mein Haus dort ist so groß wie halb Thilia und mit unserem Garten ist unser Grundstück sicher größer als das Kaff hier! Und es gibt alles, was du dir vorstellen kannst, oder auch nicht. Es würde dir gefallen.“

Sie stolzierte gut gelaunt vor ihm her. Oh ja, in der großen Stadt gab es alles. Sie dachte an die Schule, die sie bis vor kurzem noch besucht hatte. Sie war in der letzten Klasse gewesen... jetzt hatte sie keinen Abschluss. Und hier war sie sogar Analphabetin.

Ach, positiv denken, wozu brauchte man schon lesen und schreiben? Imera kam schon sein ganzes Leben ohne aus, also. Und wenn selbst der das schaffte...

„Ich will die große Stadt niemals sehen.“, riss Mayora sie da aus ihren Gedanken und sie hielt blinzelnd inne, „Ich bin hier nämlich sehr glücklich. Dieses Dorf hat mich aufgenommen, als ich allein und mittellos war, als ich meine alte Heimat verloren hatte. Deshalb gibt es nichts, was mich dazu bewegen könnte, diesen Ort zu verlassen.“

Er stolperte weiter voran und lächelte leicht, vermutlich stolz, dass er so zu konsequent gewesen war, seinen Standpunkt zu vertreten, ohne zu kuschen.

Choraly ihrerseits machte sich auf seine Worte hin ganz andere Gedanken.

„Du kommst nicht aus Thilia, sondern aus diesem komischen anderen Kaff, Morika, oder?“

Das war wohl auch diese gewisse Verbindung zwischen ihm und Imera. Er stoppte wieder und sie konnte sein Nicken bloß vermuten, weil er sich ein wenig in den Klamotten versteckte.

„Warum bist du dann jetzt hier und nicht bei deinen Eltern, wenn ich fragen darf?“

Er antwortete ihr nicht und einen Moment lang wurde sie wütend und hatte das Bedürfnis, ihn anzuschreien für seine verweigerte Antwort, dann erinnerte sie sich an ihre Erkenntnis vom letzten Mal. Er war eine ganz bemitleidenswerte Kreatur, wenn er nicht antwortete, hatte das sicher seinen Grund und sie seufzte leise. Dann trat sie neben ihn, um in sein monotones Gesicht sehen zu können.

„Alles in Ordnung?“

Er nickte leicht und ging langsam weiter, sie blieb an seiner Seite.
 

„Tut mir Leid.“, kam dann ungeahnt irgendwann von dem Jungen, „Ich habe meine Eltern leider vor langer Zeit schon auf etwas unschöne Art und Weise verloren, ich denke auch nicht gern an sie zurück. Ich wollte dich nicht verärgern.“

Sein Blick war noch immer kalt und starr auf die Straße vor ihm gerichtet, so weit er sie hinter dem Klamottenberg sah. Das Mädchen schaute vorsichtig zu ihm auf.

„Muss dir nicht Leid tun, wenn du nicht darüber sprechen magst, ich bin auch nicht ärgerlich!“

Sie hatte ein wenig Respekt vor ihm, wenn er so unnahbar war. Anfangs war er oft so gewesen, aber all zu lange hatte er es nicht geschafft, diese Fassade aufrecht zu erhalten, fiel ihr auf. War ihr auch lieber...

„Du warst verärgert, wenn auch nur kurz.“, erwiderte er darauf dann kühler, als er gewollt hatte und es versetzte ihm selbst einen Stich, dass ihm der Satz so über die Lippen gekommen war. Er durfte das arme Mädchen nicht noch zusätzlich verletzen...

„Nein!“, wunderte sich die Jüngere nur, „Echt nicht!“

Doch, war sie. Aber er nahm es lieber einfach so hin, als noch weiter seine komische Laune an ihr auszulassen, das wäre gemein gewesen. Außerdem hatte er auch keine Ahnung, wie er ihr hätte erklären können, woran er gemerkt hatte, dass sie sauer gewesen war...
 

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Dafi rannte kreischend durch ihr Zimmer, was vermutlich nicht wirklich gut für ihre ohnehin drangsalierte Stimme war. Aber das war ihr egal. Denn das, was sie da gerade zu hören bekommen hatte, war einfach schlimm!

„Das kannst du mir nicht antun!“, schrie sie ihre etwas bleiche Cousine an und hielt vor ihr inne, „Das kannst du nicht machen!“

„Ich bin ja nicht für immer weg...“, entgegnete diese bloß kleinlaut und sah zur Seite. Dumm gelaufen.

„A-aber für ein halbes Jahr!“, fuhr sie die andere an, „Ein halbes Jahr willst du mich allein lassen und mich nicht mitnehmen! Bloß wegen deiner blöden Arbeit, du miese Egoistin!“

Es reichte der Jüngeren, ein für alle mal. Sie tat so viel für Pinita und jetzt wollte die sie auch noch allein lassen, das war so abartig! Und nur wegen ihrer dummen Arbeit, für die ging sie ja bekanntlich so wie so über Leichen. Das war so gemein!

„Nun mach mal halblang, ja?“, empörte sich die Blonde da doch, allerdings nicht halb so energisch, wie es sonst ihre Art war, „Du bist 16 Jahre alt, benehme dich gefälligst auch so! Ich muss beruflich weg, denkst du denn, ich sei besonders scharf darauf, in Fides zu hocken? Ich bin in großen Städten doch verloren, ich lebe hier seit 14 Jahren! Also mach mir keine Vorwürfe!“

Sie schnaubte, dann verließ sie der Elan, der sie während ihrer Rede kurzzeitig gepackt hatte und sie ließ sich auf dem Bett der kleinen Magierin nieder. Ihr war gar nicht gut...
 

„Hör mal“, begann sie dann wieder leiser, „Mir ist ganz und gar nicht wohl bei der Sache, weil...“

Sie brach ab. Mit ihrer beunruhigend weißen Gesichtsfarbe brachte sie ihre Cousine dann auch dazu, sich zu beruhigen. Wobei Dafi so wie so nie besonders lang böse sein konnte...

„Was stimmt nicht mit dir, Cousinchen?“, machte sie so etwas außer Puste, aber behutsamer und setzte sich ebenfalls, legte sanft einen Arm um sie. Und sie hatte sie schon so verflucht, dabei hatte sie doch etwas auf dem Herzen. Die Wut hatte wohl ihren Blick vernebelt...

„Nichts schlimmes...“, entgegnete die Ältere bloß leicht lächelnd und wich dem Blick der Anderen aus, „Und wenn ich zurück komme, werde ich eine Überraschung für dich haben.“

Und was für eine.

„Klingt gut!“, Dafis Stimme klang dennoch traurig, „Und wann gehst du weg?“

„Übermorgen.“
 

Übermorgen kam sehr schnell, sehr zum Bedauern der beiden jungen Frauen.

Im Stillen hatte Dafi sich gefragt, ob es nicht vielleicht möglich gewesen wäre, Choraly mit nach Fides zu nehmen, von dort aus wäre es ihr schließlich ein Leichtes gewesen, sich zuhause zu melden, doch Pinita hätte sicherlich irgendetwas dagegen gehabt und sie wollte ihre letzten Tage zusammen nicht unbedingt mit unnötigen Streitereien verbringen.

Das war sicherlich sehr egoistisch, wo die Kleine doch so wenig Aussichten auf eine Rückkehr hatte und das wusste sie auch, aber irgendwie hatte der Gedanke, so lange allein zu sein, sie wahnsinnig ernüchtert und ihrer Kraft beraubt. Nicht, dass sie je besonders stark gewesen wäre, wie sie nach dem Tod ihrer Familie hatte bemerken müssen...

Der Abschied war nichts besonderes, auch wenn dem Mädchen dabei zu heulen zu Mute gewesen war. Ihre Cousine hatte sich kalt gestellt, das tat sie immer, wenn sie traurig war. Und nach einer kurzen Umarmung war sie einfach in die Flugmaschine gestiegen, ohne noch einmal zurück zu sehen. Und dann in den Weiten des Himmels verschwunden.

Da war sie also allein.
 

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Im Dorf selbst hatte man davon nicht viel mitbekommen, bloß die Wenigsten wussten Bescheid.

Choraly gehörte nicht dazu, aber das war wohl auch besser so, sonst hätte sie sich nur wieder unnötig über die verpasste Chance geärgert. So lebte sie unwissend vor sich hin und übte kochen. An anderen Tätigkeiten hatte sie sich auch schon versucht, aber das machte ihr noch immer am meisten Spaß. Vor allem, weil Mayora ihr ja ungefragt hinter her räumte, sie musste danach nichts sauber machen oder so. Und dabei bat sie ihn noch nicht einmal darum.

Dem Jungen war es seinerseits jedoch sehr Recht, wenn er ihr helfen konnte. Seine Tante schonte ihn viel zu sehr in letzter Zeit, er kam sich so furchtbar nutzlos vor. Da konnte er sich auch ein wenig um seine Mitbewohnerin kümmern. Wobei das nicht wirklich der Plan von Chatgaia gewesen war.

Du sollst dich ausruhen und ein wenig dein Leben genießen!, hatte sie einen Abend zuvor geschimpft, als das Stadtmädchen gerade unter der Dusche gewesen war, Ich lasse dir nicht so viel Freizeit, damit du der Göre hinterher räumst!

Natürlich nicht, das wusste er auch. Aber er wollte nun mal kein Nichtsnutz sein wie Imera, da tat er doch lieber das. Außerdem hatte er ja auch Spaß dabei und das konnte doch gar nicht schaden, oder?

Choraly war eigentlich sehr nett, hatte er herausgefunden. Sie hatte ein gutes Herz, an ihrer arroganten Art war die Umgebung, in der sie hatte aufwachsen müssen, Schuld. Ganz sicher, diese reichen Menschen, die gar keine Menschen waren, weil sie kein Herz besaßen, konnten ihre Kinder eben bloß zu ihren Ebenbildern erziehen, das hatte er schon erleben dürfen. Aber für Choraly war es noch nicht zu spät, es war gut, dass sie jetzt hier war. Gut für sie, bald würde sie es auch merken.

Und gut für ihn, wenn er ganz ehrlich war.

Er hatte seine Tante sehr lieb, doch war sie als Dorfoberhaupt seit jeher sehr beschäftigt gewesen und hatte nur wenig Zeit für ihn gehabt. Natürlich hatte sie für ihn gesorgt, als er es noch nicht selbst gekonnt hatte und gepflegt, wenn er mal wieder krank gewesen war, aber die Momente, in denen sie einfach mal etwas Spaßiges zusammen gemacht hatten, konnte er an einer Hand abzählen und das wollte etwas heißen, denn all zu gut war er in Mathematik nicht...

Dafür konnte er aber sehr gut lesen und schreiben.
 

„Schau her, es ist ganz einfach.“, er deutete auf ein mit Schriftzeichen beschriftetes Blatt Papier, oder etwas ähnliches, Choraly kannte es nicht, „Jedes Zeichen steht für einen Laut, man muss sie einfach nur richtig zusammensetzen!“

Klang ja simpel. Ja, das Mädchen hatte sich tatsächlich dazu überreden lassen, sich von ihm lesen und schreiben beibringen zu lassen. Wo er so von ihrer angeblichen Intelligenz geschwärmt hatte, war es auch ziemlich schwer gewesen, seiner Bitte nicht nachzukommen. Außerdem war es ja auch zu ihrem besten. Aber lernen war eklig, sie war an sich schon etwas erfreut darüber gewesen, nicht mehr zur Schule zu müssen. Nicht, dass sie dumm gewesen wäre, ganz sicher nicht, aber eben auch nicht auffällig schlau. Sie hatte für gute Noten immer lernen müssen und sie hatte es gehasst. Aber sie hatte keine andere Wahl gehabt, schlechte Noten schickten sich nicht für kleine Prinzessinnen.

Wobei die Missgeburt sie ja andererseits nicht benotete, da gab es keinen Zwang.

Überhaupt, in Thilia war man zu viel weniger gezwungen als in der großen Stadt. Man musste zwar arbeiten, aber alles in allen lebte jeder, wie er wollte.

Sie erinnerte sich an Jiro, der immer vor Dreck getrieft hatte. Aber es hatte weder ihn, noch irgendjemand anderen gestört, er war glücklich so gewesen. Sie schämte sich fast, ihn anfangs eklig gefunden zu haben, mittlerweile fand sie sein Auftreten doch so in Ordnung...

... aber vielleicht war das auch nur so, weil er jetzt nicht mehr da war.

In der großen Stadt hingegen gab es so viele Regeln, die sie seit ihrer Geburt immer ohne sich Gedanken darum zu machen eingehalten hatte, deren massive Sinnlosigkeit ihr aber nun mit jedem Tag, den sie mehr in der Wüste verbrachte, bewusst wurde. Warum machte man sich das Leben so unnötig schwer? Sie müsste ihren Vater einmal darauf ansprechen, falls sie ihn jemals wiedertreffen würde.

„Chorilein?“

Sie zuckte zusammen. Mayora betrachtete sie mit schief gelegtem Kopf.

„Hör mal, wir müssen das nicht machen, wenn du nicht magst. Du hast noch viele andere Dinge im Kopf, das verstehe ich, also...“

Sie nickte bloß und ließ ihn allein am Tisch zurück, auch wenn es unhöflich war. Lernen war eh doof...
 

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Er war sehr nett zu ihr, obwohl so viel geschehen war. Obwohl sie so oft ihren Hass beteuert und auch gezeigt hatte und obwohl auch er Fehler gemacht hatte. Das war seltsam. Er war seltsam.

Sie hasste ihn nicht mehr. Eigentlich hatte sie ihn auch nie gehasst, sondern nur das, was er war. Mittlerweile war es ihr jedoch recht egal. Es war weder besser noch schlechter, als ein Mensch zu sein. Obwohl, seine Krankheitsanfälligkeit war schon ziemlich übel...
 

Mit solchen Gedanken befasste sich die junge Frau den ganzen restlichen Tag, bis in die Nacht hinein. Von ihrem Mitbewohner hielt sie sich fern, er hatte schon Recht, ein wenig nachdenken war nicht schlecht. Ewig verdrängen konnte sie es ja nicht. Und so entkam sie auch dem Lernen...
 

Alles war komisch, irgendwie. Ihre Mama war weg, Atti, Jiro... ihren Vater würde sie wohl auch nie wieder sehen. Und trotzdem machte es ihr nicht mehr so viel aus, wie vor ein paar Tagen noch. Nein, Wochen waren es. Ach, egal. Sie verstand es selbst nicht und das hielt sie lange wach und raubte ihr schließlich auch den Schlaf, als sie mitten in der Nacht aufschreckte.
 

Vielleicht hätte sie doch lieber schreiben üben sollen...

Die letzten Tage waren doch idyllisch gewesen, sie hatte sich gar nicht gefragt, ob etwas nicht richtig war. Aber jetzt auf einmal... ach, es war die Schuld der dummen Missgeburt, ende.

Den Titel Missgeburt würde er sicher auch nicht mehr los werden.
 

Sie tappste durch die Dunkelheit in die Küche, um etwas zu trinken. In Wakawariwa hatte man ihr in ihrem Zimmer immer schon etwas bereit gestellt gehabt und Mayora konnte sich einfach irgendetwas herzaubern. Sie war gerade voll benachteiligt, wie unfair, wenn man schon nicht schlafen konnte.

Aber ließ sich nicht ändern...
 

Etwas getrunken und die Treppe wieder hinauf gestiegen erlebte sie eine böse Überraschung.

Ihr Blick wanderte verwirrt zur Zimmertür ihres Mitbewohners, hinter der man ungewöhnliche und irgendwie ungesund klingende Geräusche hören konnte.

Moment – starb dieser kränkliche Idiot etwa gerade vor sich hin?!

Sie quiekte, riss seine Tür auf und verstummte irritiert.

„Hä?“

Mayora, noch halb am Schlafen, aber feuerrot im Gesicht, blinzelte sie keuchend an.

„W-was...?!“

„Stirbst du?“, irgendwie sah er nicht so aus, als würde es ihm sonderlich schlecht gehen, aber warum...? Sie verzog das Gesicht.

„Was macht deine Hand da...?“

„M-meine Hand?“, wiederholte er blöd und folgte ihrem Blick, „Die macht... äh... nicht das was du denkst!“

Er schnappte nach Luft und zog die Decke über den Kopf. Gerade rechtzeitig, sonst hätte ihn ein 300-Seiten Lexikon über giftige Wüstentiere, das unpraktischer Weise auf einem kleinen Schränkchen neben der Tür gelegen hatte, volle Kanne getroffen. So spürte er es bloß dumpf durch das Bettzeug.

„Du Perverser!“, schrie Choraly ihn da an, ungeachtet der Tatsache, dass Chatgaia sie hören und sich durch ihre Lautstärke belästigt fühlen könnte, „Wie kann man so eklig sein, ich war besorgt und du...! Igitt, fasse mich nie wieder mit der Hand an, du notgeile Missgeburt!“

Ungehalten fluchend stampfte sie wieder in ihren Raum und knallte die Tür lautstark zu.

Der Junge lugte höchst verlegen wieder unter der Decke hervor.

Wie gemein, er hatte doch geschlafen... und dabei etwas komisches geträumt...
 

„Meine Güte!“, wunderte sich das Dorfoberhaupt wenige Zimmer weiter, „Was haben die denn?“

„Weiß ich nicht, aber hat sie gerade notgeil gesagt?“, erkundigte sich ihre kleine Affäre und kuschelte sich an sie, „Mayora ist notgeil? Ich hab es ja geahnt...“

Die Frau seufzte belustigt.

„Wer weiß? Er ist schließlich auch nur ein Mann...“

„Was soll das denn heißen?!“
 

Nachdem sich Chatgaias Liebschaft im frühen Morgengrauen abenteuerlich durch ihr Fenster verabschiedet hatte, trafen sich die drei übrigen ein paar Stunden später nach und nach am Frühstückstisch. Die Älteste war dabei am frühesten an gewesen und hatte die Gütigkeit besessen, das Essen zu machen und ihren Neffen, als er irgendwie etwas gerändert in der Küche erschien, nicht nach der vergangenen Nacht zu fragen. Nach notgeilen Sachen fragte man als Tante besser so wie so nicht. Welch Ironie...

Wobei sie mit Choralys Erscheinen doch recht neugierig wurde.

Das Mädchen begrüßte sie höflich, ließ ihrem Mitbewohner hingegen bloß ein empörtes Schnauben zukommen und aß schweigend. Dabei waren die Beiden in den letzten Tagen doch so toll miteinander ausgekommen, wie seltsam. Aber sie sollte es nicht stören.
 

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„Die wollen uns verarschen!“

Uda Magafi schlug wütend auf seinen armen Schreibtisch ein und der kleine, zur Abwechslung einmal nicht potthässliche Laufbursche mit den hellblonden Engelslöckchen zuckte erschrocken zusammen.

„W-wer?“ wagte er zu fragen mit einem scheuen Blick auf das Dokument, das er dem Politiker so eben gebracht hatte, ohne dessen Inhalt zu kennen. Er konnte nicht lesen.

„Mon'dany, Kamake, wer auch immer! Die verarschen uns!“, fuhr der Mann ihn lautstark an, stand auf und begann in seinem riesigen Büro auf und ab zu gehen.

„Sie drohen uns Krieg an, und jetzt rüsten sie heimlich wie bekloppt, denken die, wir merken das nicht? Halten die uns für dumm oder was?“

Der Kleine zuckte unwissend mit den Schultern. Konnte er doch nicht wissen.

„Die werden was erleben!“, empörte sich der Ältere da auch weiter, „Wenn die einmal etwas machen, was mir nicht gefällt, verlass dich drauf, die werden ihre Angehörigen in Einzelteilen einsammeln können!“

Dabei war dem Mann noch nicht einmal so genau klar, wer 'die' waren. 'Die' konnten viele sein. Andererseits konnte er ja auch viele Menschen zerstückeln lassen, so war es ja nicht.
 

Zerstückeln. Da kam ihm doch glatt seine Frau wieder in den Sinn.

Er hatte nicht besonders um sie getrauert, sie hatten eh kaum noch etwas miteinander zu tun gehabt. Ihre Berufe hatten sie zu sehr eingespannt und seit dem Tod ihres gemeinsamen Sohnes hatten sie ohnehin das Interesse aneinander verloren. Zusammen geblieben waren sie ja bloß wegen des Ansehens und ihrer kleinen Tochter, die allerdings auf die eine, wie auch auf die andere Weise nicht viel von ihren Eltern gehabt hatte. Aber jetzt war es zu spät.

Für Choraly aber vielleicht noch nicht, der Mann hatte eine erneute Suchaktion für sie in Auftrag gegeben. Bisher hatte er aber noch keine Rückmeldung. Und große Hoffnung eigentlich auch nicht.
 

Währenddessen, irgendwo in der großen Wüste:

„Haben Sie schon einmal dieses Mädchen gesehen?“

Der Nobokaer Offizier stand kerzengerade vor einem etwas primitiv wirkenden Mann und zeigte ihm seriös ein Bild der jungen Frau. Der Kerl blinzelte blöd und murmelte dann irgendwelche Worte auf einer unbekannten Sprache. Der Offizier schnaubte.

„Antworten Sie anständig!“, verlangte er und packte das Bild wieder weg. Der Typ kicherte blöde.

„Happa happa!“, machte er dann und zeigte auf seinen Mund.

Sein Gegenüber hob entsetzt beide Brauen.

Der würde das arme Mädchen doch hoffentlich nicht gegessen haben...?
 

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„Die suchen schon wieder nach ihr.“

Kinai warf seiner Schwester einen besorgten Blick zu, als er neben ihr auf der Terrasse stand und ihr dabei zusah, wie sie in die Ferne starrte.

Sie hatte ihr Trauma, nicht gewollt zu werden, weitgehend überstanden und war für ihre Verhältnisse wieder recht normal, solange man das böse M-Wort nicht erwähnte. Aber das musste man ja auch nicht, war überflüssig. Er würde es zumindest ganz sicher nicht tun, wenn es nicht überlebensnotwendig war.

„Und was machen wir jetzt?“

Sie sah ihn nicht an.

„Nichts. Sie werden sie nicht finden. Noch nicht.“

Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis es geschehen würde, da war sich die junge Frau ganz sicher. Diese Städter waren fürchterlich. Choraly ließ sich noch im Zaum halten, aber was ihr Vater fernab des großes Meeres tat, konnte hier leider niemand kontrollieren. Shakki erkannte ihn auch bloß verschwommen in ihren Träumen. Selbst Seher hatten irgendwo Grenzen. Schwache Seher. Sie war nicht immer schwach gewesen, dass sie es jetzt war, verdankte sie... sie wollte nicht an ihn denken.

Er hatte es absichtlich getan, da war sie sich sicher. Er hatte sie schwächen wollen. Aus welchen Gründen auch immer, er hatte genau gewusst, dass dieses Gesöff dauerhaft schaden würde.

Moment, hinterging er damit nicht auch seine Tante?

Wenn er die Seherin schwächte, schwächte er auch das Dorf. Das Dorf, für das Chatgaia schon so viel getan hatte, für das sie so litt. Und damit schwächte er letzten Endes auch sie.

Dieser Bastard schien wirklich ein Wolf im Schafpelz zu sein.

„Hallo, Schwester! Noch anwesend?“

Sie schreckte auf und wandte sich an ihren kleinen Bruder neben ihr, der sie aus seinen schmalen, aber doch noch recht kindlich wirkenden gelben Augen musterte.

„Ich hab dich gefragt, was du mit 'noch nicht' meinst!“

Er schnaubte. Wie er es hasste, wenn sie ihm nicht lauschte!

Sie schüttelte bloß den Kopf.

„Nichts bestimmtes.“, gab sie zu hören, „Bloß, dass die Stadtmenschen Ausdauer haben...“
 

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Dafi war allein. Sie hatte sich in den letzten Tagen halb tot gearbeitet, um sich von ihrer Einsamkeit abzulenken. Das hatte auch ganz gut geklappt, bloß hatte es den Nachteil, dass sie zum Einen nun sämtliche Aufträge der nächsten drei Monate erledigt hatte (ja, die Dame hatte auch nachts durchgemacht) und zum Anderen, dass sie nun einfach nur noch hundemüde und ausgelaugt war. Sie hatte zwischendurch den starken Drang verspürt, einmal ins Dorf zu rennen, aber irgendwie kam ihr das komisch vor, nach allem, was geschehen war. Dennoch wollte sie es in den nächsten Tagen einmal machen, sie konnte sich ja nicht ewig in ihrem Zimmer verkriechen und Pinita vermissen. Das tat sie schließlich so oder so. Aber hier fehlten ihr auch Tainini und Choraly. Auf eine sehr eigene seltsame Art und Weise ihre besten Freundinnen. Und das musste ja nicht sein, sie war schließlich nicht ganz allein. Und die Blonde hatte Recht, sie war 16 Jahre alt, langsam musste sie auf eigenen Beinen stehen und zurecht kommen. Genau!

Aber wenn sie auf eigenen Beinen stand, hieß das auch, dass sie selbst entscheiden konnte, was sie tat und was nicht. Dann durften Pinita und auch niemand sonst ihr in ihre Entscheidungen reinsprechen. Das klang doch gut.
 

Sie betrachtete aufmerksam ihr Spiegelbild im Badezimmer. Sie gefiel sich nicht im geringsten, aber das ging ja schon jahrelang so. Da musste sich doch auch etwas machen lassen.

In gewisser Weise hatte sie ja sturmfrei, wenn ihre Cousine nicht da war.

Sie grinste, dann griff sie nach einer kleinen Schere auf einem Regal.
 

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Tai stand dämlich kichernd vor Lilliann, die schnaubend die Arme vor der Brust verschränkt hatte.

„Wieso hast du diesen Vollspasten herein gelassen?“, erkundigte sie sich in entsprechend liebevollem Ton, ungeachtet der Tatsache, dass der 'Vollspast' einen Meter neben ihr am Tisch saß und etwas verlegen wurde.

„Ich hab dir doch gesagt, dass ich wieder kommen werde, Lilli...“, maulte er leise, wurde aber ignoriert.

„Ich hab ihn doch nicht verjagen können!“, rechtfertigte sich die Jüngste da auch schon aufgesetzt empört, „Das wäre sehr unhöflich gewesen. Außerdem hätte es ja auch Choraly oder Dafi sein können, ich sehe das ja nicht durch das Fenster. Anders als du, wenn dir mein Besuch nicht passt, geh du doch das nächste Mal an die Tür!“

Die Kleine drehte sich schnaubend um und verließ die Küche, ließ 'ihren Besuch' damit mit der Älteren allein.

Die ist gut!, dachte diese verärgert, behielt es sich jedoch vor, das auch noch auszusprechen. So etwas gehörte sich schließlich wirklich nicht. Nicht, dass das sie ehrlich interessiert hätte, aber trotzdem...

„Tut mir Leid, wenn meine Anwesenheit dir so unangenehm ist, aber ich wollte so gern noch einmal nach dir sehen...“, schaltete sich Imera da ein, als die Gastgeberin sich ergeben seufzend zu ihm setzte.

„Schon gut.“, tat sie es nun doch einfach ab, gab schließlich wirklich schlimmeres, „Aber was genau willst du von mir? Ich kann mich nicht erinnern, dass wir je viel miteinander zu tun hatten und auf Mitleid jeglicher Art, soll heißen, egal ob echtes oder geheucheltes, kann ich ganz getrost verzichten, danke.“

Der Junge hob beide Brauen und blinzelte.

„Moment mal.“, begann er, „Dass wir nie viel miteinander zu tun hatten liegt aber ganz sicher nicht an mir, ich hab mich immer schon mit dir anfreunden wollen!“

Und das sagte er nicht nur so, das stimmte wirklich. Sie grinste dümmlich.

„Du? Mit mir? Jetzt spinnst du herum, rede gefälligst keinen Müll.“

Da konnte sie sich aber ganz sicher nicht dran erinnern. Er sollte endlich mal auf den Punkt kommen und ihr sagen, weshalb er sie ständig belästigte. Den Gefallen tat er ihr jedoch noch nicht.

„Ich rede ganz sicher keinen Müll!“, empörte er sich und lehnte sich etwas über den Tisch, „Überleg mal. Hand aufs Herz, ich bin dumm wie Brot, ich war doch schon in der Schule verloren. Und das hab ich damals auch schon gewusst. Und trotzdem bin ich zu deinen Eltern in die Nachhilfe gekommen, in der Hoffnung, dich ein wenig besser kennen zu lernen.“

Er lehnte sich wieder zurück und seufzte.

„Was ja gehörig nach hinten losgegangen ist. Du hast dich bloß jede freie Minute über mich lustig gemacht, weil du meine Blödheit in allen Fassetten gekannt hast. Das war ziemlich... verletzend.“

Ihr Grinsen verschwand. Du liebe Güte, das machte ja Sinn. Sie hatte ihn voll fertig gemacht und dabei hatte der arme Kerl bloß Anschluss gesucht. Wie peinlich...

Sie senkte beschämt ihr Haupt.

„Tut mir sehr Leid.“

Mehr wusste sie darauf nicht zu erwidern. Zu ihrer Überraschung lachte er.

„Ach was, muss nicht, das ist ja lange her! Außerdem bin ich auch nicht hier, um dir Vorwürfe zu machen oder so, sondern bloß, weil...“

Er hielt inne. Ja, warum? Weil es sich so gehörte. Aber das klang ja dann wieder nach der Mitleidstour, die sie nicht leiden konnte.

„Weil ich mich nach dir erkundigen wollte. Ach ja... und ich wollte dir sagen, dass ich dir gern helfe, wenn du einmal Hilfe brauchen solltest!“

Bei allem Scham für ihr blödes Verhalten von vor ein paar Jahren, ein Schnauben konnte sie sich nicht verkneifen.

„Bei jedem Anderen hätte ich jetzt gesagt, dass ich mich geehrt fühle, aber bei dir...? Da komm ich mir ja eher verarscht vor, du kannst doch gar nichts! Du bist ein völliger Versager, so nötig habe ich es echt noch lange nicht!“

Ach, jetzt war sie ja schon wieder fies zu ihm gewesen. Aber was sollte sie denn machen? Schließlich war sie im Recht und in der Disziplin Blatt vor den Mund nehmen war sie sehr zum Leidwesen ihrer Eltern noch nie sonderlich gut gewesen.

Er seufzte gekränkt.

„Na hör mal!“, entgegnete er leise, „Ich tue mehr, als bloß den ganzen Tag auf irgendeiner Mauer zu sitzen und mich zu langweilen, ja? Ich versuche das Schreinern, das Handwerk meines Onkels zu erlernen, schon seit Jahren, auch wenn ich ehrlich gesagt nicht besonders erfolgreich damit bin. Zumindest nicht erfolgreich genug, dass Chatgaia es ernst nehmen würde... aber ich versuche es. Genau so versuche ich mich um Kura zu kümmern. Und ich hab wieder eine Freundin, beeindruckend was?“

Er lehnte sich stolz grinsend zurück und die Jüngere hob beide Brauen.

„Aber wenn du so beschäftigt bist, dann brauchst du doch nicht andauernd bei mir herum zuhängen, oder?“

War doch wahr. Er nervte.

Und er musste wohl seine Niederlage einsehen. Dabei hatte er bloß ein einziges Mal etwas gutes machen wollen, indem er der armen, schwangeren und allein stehenden Lilli etwas unter die Arme gegriffen hätte. Wäre nicht schlecht für sein Ego gewesen und so viel Nettigkeit hätte die gute Chatgaia sicher auch begeistert. Ach, er war echt ein Verlierer...

Der Junge erhob sich seufzend.

„Ist schon gut, du magst mich einfach nicht und damit hat es sich. Ich gehe jetzt lieber. Aber wenn du doch mal auf die Idee kommen solltest, möglicherweise meine Hilfe gebrauchen zu können, zögere nicht, mich zu rufen.“

Dann ging er.
 

--
 

Pinita war weit, weit weg in Fides. Den Großteil ihrer Arbeit hatte sie wie geplant schon in den ersten Tagen dort erledigt, heute hatte sie einen wichtigen Termin bei ihrem Chef persönlich. Sie war nicht besonders aufgeregt, sie kannte den alten Mann schon, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war. Er hatte ein gutes Herz und ein offenes Ohr für alle Probleme seiner Angestellten. Sie mochte ihn. Und er mochte sie, wie sie an dem erfreuten Lächeln irgendwo unter seinem viel zu langen Bart erkennen konnte.

„Pinitachen!“, begrüßte er sie, als sie sein Büro betrat und vor seinem Schreibtisch Platz nahm.

„Es freut mich sehr, Sie nach so langer Zeit wieder zu sehen.“, erwiderte sie freundlich und er lachte.

„Wie förmlich du bist!“

Sie grinste ebenfalls.

„Muss sein. Ich habe schließlich eine große Bitte an Sie.“

Ihr Gegenüber hob gespannt die Brauen.

„Und die wäre?“

Pinita war eine seiner loyalsten Angestellten, wie auch schon ihr Vater, dessen Vater und alle Mitglieder ihrer Familie zuvor, soweit er zurück denken konnte, es gewesen waren. Er würde ihr also wohl kaum eine Bitte abschlagen.

Das Mädchen senkte verlegen den Kopf, als sie begann.

„Ich bin schon so gut wie fertig mit meiner Arbeit hier. Aber das Projekt meines Vaters, Sie wissen, welches ich meine, ist durch die Unfähigkeit mancher Personen da unten erheblich ins Stocken geraten. Ich würde gerne noch ein halbes Jahr hier bleiben, um von hier aus alles perfekt zu planen. Ich habe hier viel bessere Möglichkeiten als in der Wüste.“

Sie sah wieder auf in das nun ziemlich verwunderte Gesicht ihres Chefs.

„Nun, an mir soll es nicht liegen.“, entgegnete er, „Aber Pinitachen, sag mir, was du brauchst, und ich schaffe dir diese Möglichkeiten auch in der Station, das ist doch kein Problem.“

Er war ziemlich mächtig und konnte alles mögliche bewirken, sie hätte ihn ruhig direkt darum bitten können! Der Mann lächelte gütig.

„Hör mal, ich weiß doch, dass du da unten deine liebe Cousine hast und dass du dich hier nicht zuhause fühlst. Das wäre doch eine Qual für dich!“

Die Jüngere seufzte kaum hörbar. Sie hatte die Nettigkeit dieses Mannes weit unterschätzt.

„Aber es ist nicht nur das.“, sprach sie leiser weiter, ohne ihm in die Augen zu sehen, „Es ist... wegen meines gesundheitlichen Zustandes. Ich will dazu keine großen Worte verlieren, sorgen Sie sich nicht. Aber ich bin hier im Moment wesentlich besser aufgehoben als in der Wüste.“
 


 

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ALDA! O____o Ich hab Mayoras dumme Vergangenheit jetzt endlich durch! Die ist jetzt insgesamt 55 Seiten lang! *umfall* So viel interessiert doch keinen.... »'

Blut

„Hör auf, mir hinterher zu rennen, du perverse Missgeburt!“

Choraly rannte laut fluchend ziellos durch das Dorf, dicht verfolgt von Mayora. Nicht, dass er ihr hätte hinterherrennen müssen, aber er ließ sie schließlich nicht gern allein. Wer wusste schon, welcher Wahnsinnige etwas gegen sie hatte und ihr das auch demonstrieren wollte? Er musste unweigerlich an seine Ex-Freundin denken... wenn die noch einmal auf das Stadtmädchen treffen würde, wäre das sicherlich sehr unvorteilhaft... für beide. Außerdem hatte er noch immer Schonfrist und er langweilte sich.

Selbstverständlich war ihm der 'Vorfall' von vergangener Nacht im höchsten Maße peinlich, aber rückgängig machen konnte er es ja nicht. Und er hatte Spaß gehabt...

Aber dass seine Mitbewohnerin ihn jetzt für einen widerlichen Perversling hielt, störte ihn schon. Er war nicht pervers, verdammt. Widerlich vielleicht, aber doch nicht pervers!

Er hatte geschlafen und geträumt... er erwischte, wie sein Blick auf ihrem hübschen Hintern klebte. Er hatte von ihr geträumt.

Na sowas. Er war doch pervers.
 

„Sag mal, hörst du schlecht?!“, die Jüngere drehte sich empört zu ihm um und er schreckte auf und sah ihr wieder ins Gesicht, „Ich will nicht, dass du abartiger Wichser mir nachrennst! Wenn du nicht auf der Stelle zurück gehst, such ich mir bakterienfeste Handschuhe und schlag dir dann in deine verseuchte Fresse, du Lüstling!“

Der Junge schaute sie traurig an.

„Der Anblick tut mir ja Leid für dich...“, entschuldigte er sich leise, „Aber musst du jetzt so dermaßen böse zu mir sein? Wir haben uns in den letzten Tagen so gut verstanden!“

Verstanden. Gutes Stichwort. Und er verstand gar nichts.

Natürlich ging es nicht nur um sein ekelhaftes Verhalten. Aber das fiel ihr schwerer auszusprechen. Wie konnte man bloß so ein Idiot sein?

Sie schnaubte und verschränkte die Arme.

„Es geht nicht nur um den Anblick.“, belehrte sie ihn dann doch gezwungen ruhig, „Es geht darum, dass ich mir Sorgen um dich gemacht habe. Dein Stöhnen hat echt ungesund geklungen...“

Sie blickte verlegen und noch immer leicht angeekelt zur Seite und er blinzelte positiv überrascht. Sie hatte sich um ihn gesorgt?

Sie sprach weiter.

„Auf dich Idioten muss man doch aufpassen wie bescheuert, du könntest schließlich jeden Moment tot umfallen. Und das wäre doch sehr schade, schließlich hast du noch keine kleinen Missgeburten gezeugt, oder? Zumindest noch keine überlebensfähigen mit einer Missgeburten-Frau...“

Mayora lächelte selig. Sie sorgte sich um ihn. Er konnte gar nicht in Worte fassen, wie sehr ihn das freute.

Nicht, dass es ihn freute, dass sie besorgt war und es ihr folglich schlecht ging, natürlich nicht! Aber es freute ihn, dass er ihr nicht egal war. Das war wirklich toll.

Ihm fiel etwas auf.

„Du betonst das 'Missgeburt' vor Frau so.“, stellte er stirnrunzelnd fest, „Ich muss nicht zwingend eine andere Himmelsblüterin heiraten, ich kann mit Menschenmädchen genau so gut Kinder bekommen, falls du das jetzt angenommen hast. Mein Vater war auch ein Mensch.“

Okay, das hatte sie nicht gewusst.

Sie hob erleuchtet beide Brauen. Sie hatte sich noch nie besonders für die Magier ihrer Welt interessiert, in der Schule waren sie auch kaum erwähnt worden. Bloß im Geschichtsunterricht, wo von der erfolgreichen Vernichtung dieser Monster berichtet wurde. Aber das hatte sich ja auch nicht wirklich mit der Rasse selbst beschäftigt.

„Das geht? Kommen dann nicht Mischlinge raus oder so?“, erkundigte sie sich so interessiert und verdrängte die Gedanken an die widerlichen Bildern der letzten Nacht ein wenig. Er schüttelte lächelnd den Kopf.

„Nein, man kann nur das eine oder das Andere sein. Bloß das Aussehen der Eltern vermischt sich manchmal auf komische Weise...“

Er zupfte grinsend ein einer seiner Haarsträhnen. Jetzt hatte er ihr sogar noch etwas beibringen können, er war richtig stolz. Und sie schien sogar vergessen zu haben, dass sie böse gewesen war. Obwohl...

„Jetzt hab ich noch mehr Angst vor dir!“, schnappte sie, „Am Ende willst du noch mit mir... bääh, nein, das würdest du nicht im Ansatz denken?“

Choraly schaute ihm ehrlich angegruselt in die roten Augen. Er antwortete ihr, ohne nachzudenken, das, was sie hören wollte.

„Selbstverständlich nicht, das könnte ich dir doch nicht antun.“

Jetzt war es gesagt und sie nahm ihn beim Wort, als sie ihm erleichtert seufzend den Rücken kehrte.

„Ich dachte schon... das wäre nämlich ganz schön grausam gewesen, nicht?“

Er sagte nichts mehr dazu und ging an ihrer Seite weiter.
 

Sie entschied, wo sie hingingen. Mayora maßte sich nicht an, die Führung zu übernehmen, wo er ihr doch ursprünglich nachgerannt war. Dennoch kam in ihm nach einer Weile die berechtigte Frage auf, wo ihr Weg sie denn eigentlich hinführte. Deshalb erkundigte er sich.

Sie hob nur unbeeindruckt eine Braue.

„Keine Ahnung.“, war die glorreiche Antwort und er hustete, „Ich renne doch andauernd einfach so durch die Gegend, hab ja kaum was zu tun.“

Wenn ihm das nicht passte, konnte er sie ja gern in Ruhe lassen, überlegte sie schnippisch und beschleunigte ihren Schritt automatisch ein wenig. Der Wichser...

„Ja, aber...“

Sie rannte ihm zu schnell, in diesem Zustand mit ihr zu reden war ihm zu anstrengend. So kam es, dass er etwas ganz böses tat.

Er hielt sie an der Schulter fest. Mit seiner schlimmen Hand.

Der Junge merkte es zu spät, erst als sie schon panisch zu quieken begann, wurde ihm klar, wo das Problem war und er zog sie wieder weg. Sie hüpfte hysterisch vor ihm auf und ab.

„Du Ekel, wie konntest du nur? Du willst mich doch umbringen!“

Das wollte er ganz sicher, wie gemein! Was machte sie denn jetzt?!

„Ich will dich nicht umbringen!“, verteidigte er sich empört. Er verstand sie schon, aber man konnte ja auch irgendwie übertreiben...

„Du tust ja so, als hätte ich mit der Hand in irgendwelchen Eingeweiden herum gewühlt oder so! A-aber das war doch... natürlich und nicht giftig oder so, stell dich mal nicht so an!“

Sie beharrte auf ihrer Meinung.

„Mordversuch, rede es nicht schön!“
 

Mayora setzte schon zu einem weiteren Besänftigungsversuch an, da ließ ihn eine leise Stimme in seinem Kopf inne halten.

Du bist eine Persönlichkeit, erniedrige dich nicht! Nicht vor ihr!

Da war irgendwie etwas Wahres dran, fand er. Respekt kam Erniedrigung nicht gleich. Er erinnerte sich nicht mehr daran, wer das einmal zu ihm gesagt hatte, es war wohl sehr lange her... er schien es komplett vergessen gehabt zu haben...

Er schnaubte.

„Na gut, denk doch, was du magst, ist mir doch gleich!“

War es ihm eigentlich nicht, er wollte, dass sie ihn gern hatte und sie sich gut verstanden, aber er musste auf die Stimmen hören, das war schließlich seine Bestimmung. Und die Stimmen hatten immer Recht.

Er drehte sich um und verschwand in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
 

Choraly guckte ihm blöd nach.

„Missgeburt?“

Er hörte sie nicht mehr.

Moment, war der etwa beleidigt? Wie konnte er es wagen...?!

Sie wollte gerade Luft holen, um laut zu fluchen, da fiel ihr wieder dieser gewisse Unterschied zwischen der großen Stadt und der Wüste ein. Hier war alles viel unzwanghafter. Zuhause erwartete man eine entsprechende Reaktion einer Adligen auf solches Verhalten, aber hier?

Sie atmete wieder laut aus und seufzte.

Was würde es bringen, wenn sie sich jetzt künstlich aufregte? Er würde es eh nicht mehr mitbekommen, sie machte sich bloß lächerlich und wurde müde. Nein, sie verzichtete.

Aber nachrennen tat sie ihm sicher nicht, sie hatte schließlich ihren Stolz! Und den Widerling musste sie auch nicht zwingend dabei haben...

Das Mädchen ging schnaubend weiter, in die ursprüngliche Richtung. Aber was sollte sie tun, wenn sie dieser Wahnsinnigen wieder begegnete?

Mayoras Ex, wenn man es genau nahm... seltsame Vorstellung. Sie konnte sich die Beiden nicht unbedingt als richtiges Paar vorstellen. Dazu waren die doch irgendwie.... ach, was wusste sie schon, die passten nicht und fertig.
 

In Gedanken versunken, fand sich das Mädchen wenige Minuten später mitten im Ödland wieder, außerhalb des Dorfes, aber noch nicht in der Wüste. Es war heiß, die Sonne knallte unbarmherzig auf ihren Kopf und die rot schimmernden Dünen in nicht all zu weiter Ferne blendeten sie.

Sie erschauderte, obwohl ihr heiß war. Dieser Ort kam ihr bekannt vor.

Ihre Füße trugen sie eine Weile weiter, bis der steinige Boden in den reinen Sand überging. Sie blinzelte.

Auf manchen Brocken konnte man seltsame dunkle Flecken erkennen. Das Mädchen bückte sich, um zu erkennen, um was es sich dabei handelte und blinzelte. Dann keuchte sie, fuhr zurück und stolperte, so dass sie zu Boden fiel.

„Blut...!“

Sie starrte erbleicht auf die Steine vor ihr. Sie wusste wieder, woher sie diesen Ort kannte, sie hatte von hier geträumt.

Hier war Jiro gestorben.
 

Sie ließ sich auf den Rücken fallen und schlug die Hände vor den Mund. Hier, genau an dieser Stelle der Welt hatte der Junge seinen Tod gefunden, das war sein Blut.

Die Erinnerungen an den Tag und den darauf folgenden Traum, die beide nicht all zu lange Zeit zurücklagen, trafen sie mit einem Schlag wieder in voller Härte.

Es war noch immer ihre Schuld, dass er nicht mehr lebte. Und sie hatte es einfach verdrängt und gedacht, es ginge in Ordnung, bloß weil Lilli und Tai ihr nicht böse waren! Sie war so verabscheuungswürdig, wie konnte sie nur?!

„Ich wünschte, irgendwie würde man mich bestrafen...“

Einen Moment später bereute sie es, diese Worte geäußert zu haben, denn man erfüllte ihr ihre Bitte prompt, als sie einen brennenden Schmerz in ihrem rechten Unterschenkel wahr nahm. Das Mädchen fuhr keuchend auf und sah gerade noch ein ekliges schwarzes Vieh wegkriechen, dann schrie sie aus vollem Hals. Das tat ja so schrecklich weh!

Es brannte und pochte und die kleine Wunde war nach wenigen Sekunden völlig blutig, hätte sie nicht gerade so gelitten, hätte Choraly den Anblick vermutlich im höchsten Maße eklig gefunden.

Aber im Moment war ihr das Aussehen ihres Beines egal, sie kreischte sich einfach nur die Seele aus dem Leib und bekam gar nicht mit, dass Mayora längst bei ihr war und sie rüttelte, damit sie wieder zu sich fand. Erst nach einer schallenden Ohrfeige riss sie wieder die krampfhaft zusammengekniffenen Augen auf und realisierte ihr Gegenüber bloß langsam.
 

„Missgeburt...“, wimmerte sie gezwungen gefasst, denn eigentlich schickte es sich nicht für eine Dame, auf offener Straße vor Schmerzen zu schreien, „Es tut so furchtbar weh...“

Er nickte bloß.

„Man darf sich hier doch nicht auf den Boden legen, dummes Huhn!“, fuhr er sie da ungewohnt grantig an, griff umständlich um und unter sie und hob sie hoch auf seine Arme.

War gar nicht so einfach, sie war zwar sehr leicht, aber er, als fieberkranker Himmelsblüter hatte es nicht so mit der körperlichen Kraft. Aber da musste er jetzt die Zähne zusammenbeißen, das war wirklich dumm gelaufen.
 

Kaum war er ein paar Meter gegangen gewesen, hatte ihm eine Stimme zugeflüstert, dass er das Mädchen aus der großen Stadt dennoch nicht aus den Augen lassen dürfte und er hatte artig gehorcht. Zum Glück. Das war nämlich höchst gefährlich, hoffentlich war es noch nicht zu spät...

Er sah ihr beunruhigt in das fahle Gesicht, während er so schnell wie möglich mit ihr nach Hause rannte. Sie wimmerte und atmete schwer, hoffentlich war seine Tante da. Ansonsten... nein, er wollte nicht daran denken.
 

„Hey!“

Der Junge schnaubte. Musste das jetzt sein?

„Was geht denn mit euch ab?“

Es war Imera, der ihm keuchend hinterher rannte und der mittlerweile bewusstlosen Choraly einen besorgten Blick schenkte. Was hatte die Missgeburt denn mit der Armen angestellt?

„Irgendein Vieh hat sie gestochen und sie vergiftet!“, erklärte Mayora nur kurz angebunden, „Tante muss so schnell wie möglich nach ihr sehen!“

„Tante?!“

Der Ältere hielt abrupt an.

„Chatgaiachen ist doch gar nicht daheim, du Volldepp!“

Als ob die jemals zu dieser Zeit zuhause war, das hätte der kleine Blödmann aber auch wissen können.

Er hielt ebenfalls kurz inne.

„Dann ruf sie!“, verlangte er nur, ehe er weiter rannte und der Brünette wagte nicht, zu widersprechen. Schließlich ging es hier um das Wohlbefinden der armen Choraly!
 

Als der Grünhaarige ankam, hatte er das Gefühl, seine Arme würden ihm jeden Moment abfallen, so erschöpft war er. Dennoch schleppte er die junge Frau tapfer die Treppe hinauf und in ihr Bett, wo er sich erst einmal ganz egoistisch einen Moment zu ihr setzte, um zu verschnaufen. Hätte er sofort weitergemacht, wäre es sicher schief gegangen. Außerdem wusste er so wie so nicht so genau, was nun zu tun war. Auf eine solche Situation hatte ihn seine Tante leider noch nicht vorbereitet. Und er selbst war nicht schlau genug dafür. Verdammt, der Idiot sollte sich beeilen!
 

Und das tat der Idiot auch, denn kaum zehn Minuten später stand er samt Chatgaia auf der Matte. Die Frau eilte sofort ohne ein Wort der Begrüßung zu dem Mädchen, um nach einer kurzen Untersuchung ungehalten zu fluchen.

„Verdammter Dreck!“, machte sie, „Hätte sie sich nicht von einem ungiftigeren Tier stechen lassen können?! Und ich war so erfreut darüber, wieder neues Blut in unserem Dorf zu haben...“

Sie seufzte bedauernd und ihr Neffe schnappte erschrocken nach Luft.

„Du wirst doch noch etwas für sie tun können?!“

Die Frau zuckte mit den Schultern.

„Weiß ich nicht, mal sehen.“

„Du machst sie gesund, Chatgaia!“, mischte sich auch Imera ungewohnt düster ein und Mayora hob eine Braue, als die Frau darauf die Augen einen Moment verengte und dann zischend, aber tatsächlich gehorsam nach unten ging, um irgendein ekliges Zeug zusammen zu mischen. Wow.

„Einer von euch ist jetzt noch so gut und legt ihr einen kalten Lappen auf die Stirn, sie wird gleich Fieber bekommen!“, hörte man sie noch und der Grünhaarige erbarmte sich.
 

Das Dorfoberhaupt kannte sich wirklich aus, nur wenige Minuten später war das bewusstlose Mädchen tatsächlich fiebrig.

Die Jungen wachten ihrerseits schweigend bei ihr am Bett, während die Hausherrin beschäftigt war.

„Seit wann kannst du Tantchen herumkommandieren?“, erkundigte sich der Jüngere irgendwann und Imera zuckte mit den Schultern.

„Was heißt herumkommandieren?“, fragte er nur zurück, „Ich hab sie bloß vor einer Dummheit bewahrt!“

Da war etwas dran.

„Und du nennst sie 'Chatgaiachen'. Gestört?“, machte der Andere dennoch weiter und erntete dafür einen empörten Blick.

„Und du sagst 'Tantchen', doppelt gestört!“

Was fiel ihm ein? Mayora schnaubte.

„Das ist etwas ganz anderes, immer einmal gestörter als ich!“

„Das ist gar nichts anderes, immer fünf Mal gestörter als ich!“

Die beiden stierten sich feindselig an.

„Ihr seid beide gestört, zufrieden?“
 

Chatgaia konnte gerade keine stänkernden Halbstarken gebrauchen, die Lage war schließlich ernst. Nicht, dass ihr wirklich etwas an Choraly Magafi gelegen hätte, aber den Jungen war sie scheinbar mehr oder minder wichtig, da konnte sie sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, das ging nicht. Außerdem hatte sie Pflichtbewusstsein, sie war schließlich nicht nur das Dorfoberhaupt, sondern auch die Heilerin des Ortes. Also erledigte sie einfach ihre Arbeit, als sie dem Mädchen mit sanfter Gewalt ein übel riechendes Gesöff einflößte.

„Das entgiftet sie... hoffe ich zumindest. Ich bin mir nicht ganz sicher, was sie da gestochen hat, aber die Wunde ist übel. Ich verspreche mal nichts.“

Damit wandte sie sich ab und schritt zur Tür.

Mayora starrte ihre Kehrseite geschockt an.

„Wie, du versprichst nichts? Tante, mach sie gesund, du kannst jeden gesund machen!“

Die Frau hielt inne.

„Wenn ich jeden gesund machen könnte, würdest du nicht bald sterben.“
 

Eine unangenehme Stille legte sich über den Raum, die bloß ab und an von einem Keuchen des kranken Mädchens durchbrochen wurde.

Das hatte allerdings gesessen. Der Grünhaarige senkte sein Haupt beschämt über die eisigen Worte und Imera räusperte sich verlegen.

„Und du kommst mit!“, fuhr die Frau ihn darauf an, „Wir haben noch zu tun.“

Er nickte stumm und verließ mit ihr den Raum.
 

--
 

Mayora war enttäuscht von seiner Tante. Sie hatte sich nicht genügend Mühe gegeben, fand er, hatte ihn stattdessen mit seiner Schwäche abgewimmelt. Er wollte sich nicht so abspeisen lassen, anders als sie hatte er Choraly inzwischen sehr gern.

Und allein aus Trotz dem Dorfoberhaupt gegenüber würde er fast alles für sie tun, dachte er sich, als er ihre Wunde reinigte. Sie hatte eben nicht alles getan, was möglich war...

Das Mädchen zuckte stark, als er ihr Bein behandelte und er hielt einen Moment inne und blickte bedauernd in ihr Gesicht. Sie hatte sich letztes Mal so lieb um ihn gekümmert und sich um ihn gesorgt, jetzt würde er auch für sie da sein.

Dabei fragte er sich, wie ein einzelner Mensch in so kurzer Zeit eigentlich so viel Pech haben konnte. Das war doch abnormal. Gab es da keine physikalischen Regeln gegen oder so?
 

„Etwas sanfter... bitte...“

Er schreckte auf. Sie regte sich zwar nicht, schien aber wach zu sein, wie es schien.

„Kann das nicht lieber Atti machen?“

Mehr oder weniger, zumindest. Er erhob sich und setzt sich zu ihr an die Bettkante.

„Atti ist nicht hier.“, erklärte er behutsam und strich ihr durchs Haar, „Aber ich werde mich um dich kümmern, ja?“

Sie öffnete ihre glasigen Augen ein wenig.

„Auf den Steinen war Blut...“, begann sie plötzlich zu erklären, „Jiro ist da gestorben.“

Er verstand, was sie meinte.

„Deshalb hast du da gelegen, hm? Du warst geschockt...“

Dann war es ja auch noch seine Schuld. Jiro war schließlich wegen ihm tot. Au... das brannte ihm noch immer auf der Seele.

Choraly nickte.

„Ich kann mein Bein nicht spüren...“, machte sie leise und er streichelte ihr weiter durchs Haar.

„Das wird wieder.“, versicherte er ihr, „Das ist normal. Aber hör mal...“

Vielleicht war es nicht gerade gut, sie jetzt darauf hinzuweisen, aber lieber etwas unpassend als erneut zu spät.

„Die Oase mag friedlich erscheinen, aber wir leben hier in der Wüste, Mädchen aus der großen Stadt. Im Sand lauernd unsagbar viele unbekannte Gefahren. Manche Alten glauben auch an die Sanddämonen, von den Sagen um die hast du sicher auch schon gehört...“

Sie nickte erneut schwach.

„Deshalb gilt immer, vorsichtig zu sein. Du darfst dich nie am Wüstenrand auf den Boden legen, da könnte noch viel schlimmeres passieren als mit dir jetzt! Unser Land ist ein Land des Todes, du musst immer auf der Hut sein, hier ist es nicht so schön wie in Wakawariwa und das weiß ich auch...“

Einen Moment lang fragte er sich, ob er sie jetzt zu hart angegangen war, aber es war schließlich die Wahrheit und sehr wichtig zu wissen. Sie schloss die Augen.

„Darf ich etwas fragen?“, kam dann schwach und er nickte.

Obwohl sie es nicht sehen konnte, sprach sie weiter.

„Wenn dieses Land so schrecklich ist, weshalb lebt ihr dann hier? Es wäre doch sicher möglich, von hier wegzukommen ... irgendwie...“

Da hatte sie schon Recht, aber eigentlich zeugte ihre Frage nur von Dummheit. Der Junge nahm die Hand von ihren Haaren und drehte stattdessen ihr Gesicht mit sanfter Gewalt so, dass sie ihm genau in die Augen schauen konnte, was sie auch prompt tat.

„Ich bin Wassermagier.“, begann er erstaunlich düster, „Ich liebe Wasser. Und als Kind habe ich immer davon geträumt, irgendwann am Meer zu leben. Aber das wird mir niemals vergönnt sein, Choraly. Sobald meine Füße festen, gepflasterten Boden berühren würden, wäre ich des Todes. Das ist schließlich auch der Grund, weshalb Thilia niemals von anderen Menschen entdeckt werden darf! Wir wollen nicht sterben, wir wollen in Ruhe leben! Und wenn wir dafür 45° im Winter auf uns nehmen müssen, dann sei es nun einmal so. Hat das deine Frage beantwortet?“

Es tat ihm gut, sich darüber auszulassen. Aber vielleicht nicht in diesem Moment, kam ihm, als sie darauf leise zu schluchzen begann und er seufzte und strich ihr entschuldigend wieder durchs Haar.

„Tut mir Leid, das ist eine dumme Situation, um dir das zu erklären. Schlaf lieber ein wenig.“

Jetzt speiste er sie auch ab, so kam es ihm vor. Aber das war wirklich das Beste für sie, wenn sie zumindest das Fieber loswerden wollte. Da hatte er schließlich genügend Erfahrung mit.

„Mayora?“

„Hm?“

Er erhob sich und sie drehte den Kopf wieder weg. Verlegen, aber das bemerkte er nicht.

„Ich fürchte mich.“, gestand sie, „Ich will nicht alleine bleiben.“

Und dabei untertrieb sie noch. Sie hatte Todesangst, wie sie sie zum letzten Mal beim Absturz gehabt hatte. Am liebsten hätte sie auch genau so geschrien, aber dazu war sie im Moment einfach zu schwach...

„Du musst nicht allein bleiben.“, hörte sie ihren Mitbewohner da behutsam sagen und sah aus den Augenwinkeln, wie er sich einen Stuhl nahm und neben das Bett stellte, um sich darauf zu setzen.

„Ich pass auf dich auf...“

Und das würde er die ganze Nacht tun, dachte er sich, als das Mädchen zufrieden die Augen wieder schloss.
 

--
 

Als Choraly erwachte, war es hell. Wieder hell, dachte sie sich, denn als sie eingeschlafen war, hatte die Sonne schon recht tief gestanden. Also war die Nacht vorbei. Und sie lebte noch, irgendwie.

Sie fühlte sich mies, völlig ausgelaugt und schwach. Aber sie hatte wohl tatsächlich kein Fieber mehr.

Sie drehte den Kopf müde zur Seite und keuchte zunächst einmal gehörig geschockt auf, dann lächelte sie verwirrt.

Dieser Vollidiot.

Er war tatsächlich die ganze Zeit bei ihr geblieben und musste irgendwann eingeschlafen und vom Stuhl gefallen sein, jedenfalls lag sein Kopf auf der Bettkante und der Rest seines Körpers verrenkt auf dem Boden, sah ziemlich schmerzhaft aus.

„Ey Missgeburt, wach auf!“

Er schnarchte leise und sie konnte sich trotz ihres schlechten Befindens ein leises Lachen nicht verkneifen. Besonders hohe Ansprüche schien der Typ ja echt nicht zu haben, wenn es um einen Schlafplatz ging...

„Mayora, du brichst dir noch das Genick!“

Das war vielleicht etwas übertrieben, aber viel fehlte nicht, dachte sie sich, als sie ihm vorsichtig über den Kopf strich.

Aus purer Neugierde, im Übrigen, sie fragte sich schon seit Ewigkeiten, wie sich seine hässlichen Haare wohl anfühlten. Ganz furchtbar weich, stellte sie überrascht fest, weicher als ihre eigenen. Tse, ihre waren trotzdem schöner.

„Wirst du jetzt mal aufwachen?“

Statt ihn weiter zu streicheln, schlug sie ihm nun sanft auf sein Haupt und er grummelte missmutig, ehe er verwirrt blinzelte und müde zu ihr sah.

„Was...?“, kam dann leise und er schaute sich müde im Raum um, ehe er sich umständlich erhob und sich streckte, als hätte er in dem bequemsten Federbett gelegen. Dann lächelte er gut gelaunt.

„Dir geht es wieder besser?“

Sie richtete sich auf und seufzte dann.

„Zumindest hab ich kein Fieber mehr, ja.“

„Na immerhin.“, er grinste, „Kann ich was für dich tun?“

Durstig war sie.

„Bring mir Wasser!“

Sie konnte wieder befehlen, das war ja so wunderbar. Und er hatte gedacht, seine Tante hätte absichtlich versagt! Nein, die Prinzessin würde bald wieder gesund sein. Und das freute ihn sehr.

Er beschloss, etwas zu wagen und streckte die Hand aus.

Sie hob beide Brauen, als er eine schwabbelnde Wasserkugel erscheinen ließ.

„Sag ah!“, machte er und sie erschauderte.

DAS sollte sie trinken? Das war sicher nicht gesund!

„Das ist eklig!“, beschwerte sie sich deshalb und verschränkte die Arme vor der Brust, aber er ließ sich nicht so leicht abwimmeln, wie erhofft.

„Trink es!“, bat er sie weiter und kam dabei näher, hielt ihr die Flüssigkeit unter die Nase, „Ich verspreche dir, das ist das beste Wasser auf der ganzen weiten Welt! Und es ist sehr gesund, es wird dir gut tun!“

Er war als Magier sehr begabt und beherrschte sein Element annähernd perfekt, so hatte er sich manch ungewöhnliche Dinge beigebracht. Er wollte den Beruf des Heilers seiner Tante übernehmen, da ließen sich viele Dinge unglaublich schön mit seiner Magie verbinden. Anders als das zerstörerische Feuer war das Wasser sanft, das hatte er ihr auch seit jeher voraus.

Choraly schnaubte.

„Du willst mich sicher vergiften oder so!“

Irgendwie sprach sie immer das Selbe, fiel dem Jungen auf. Er musste sich bei Gelegenheit mal erkundigen, weshalb sie immer so misstrauig war.

Er seufzte.

„Ich hab dich lieb, ich würde dir niemals etwas böses wollen. Bitte trink!“

Im Übereifer hätte er ihr die schwabbelnde Flüssigkeit fast ins Gesicht geplatscht, aber sie konnte noch einmal zurückweichen, worauf sie ihn aus zu Schlitzen verengten Augen anschielte.

„Wenn du mich so lieb hast... aber wehe, du machst mich nass, dann bist du des Todes, klar?“

Der Junge nickte glücklich.

„Mach einfach den Mund auf.“

Sie tat, wie ihr geheißen und er ließ die Flüssigkeit in angenehmen Schlücken einfach in ihren Mund gleiten, ohne, dass etwas daneben ging. Wäre ja noch schöner gewesen.

Und sie musste einsehen, dass er Recht hatte, so tolles Wasser hatte sie noch nie getrunken. Sie konnte nicht sagen, was so besonders daran war, aber es hatte etwas einmalig Gutes an sich. Aber sollte sie das wirklich zugeben? Tse, sie war eine Magafi...

„Und? Lecker, nicht?“

Irgendwie war ihm klar, dass sie ihm nicht zustimmen würde, aber dass er trotzdem Recht hatte. Er hatte schon richtige Erfahrung mit ihr...

„Schmeckt ganz normal, aber danke.“

Immerhin.
 

--
 

Chatgaia war ein wenig beschämt. Sie hatte das Mädchen aus der großen Stadt ehrlich etwas lustlos therapiert und um sich vor dem einen Funken schlechtem Gewissen in ihr abzulenken, hatte sie die Nacht dann auch noch mit ihrem Liebsten verbracht. Der im Übrigen völlig friedlich neben ihr lag und friedlich wie ein Baby schlief. Na toll, jetzt musste sie ihn wieder aus dem Fenster werfen, damit es keinem auffiel. Eine Affäre schickte sich schließlich nicht für das Dorfoberhaupt. Aber... war ja nicht ihr Problem, so lange er schön vorsichtig war.

Sie tätschelte ihm seufzend den Kopf und er schnarchte als Reaktion bloß einmal etwas, was sie schmunzeln ließ.

Sie musste später unbedingt nach Choraly sehen und sie gegebenenfalls noch weiter behandeln, wenn ihr Neffe ihr nicht bereits zuvor gekommen war. Mayora war schließlich besser, als er dachte, wenn er sich wirklich Sorgen machte, war er zu vielem fähig. Das hatte Maragi auch schon öfters das junge Leben gerettet...

Ja, sie musste nach dem Mädchen sehen. Unbedingt. Frisches Blut tat dem Dorf gut. Sie würde sich um sie kümmern.

Aber sie lag gerade so bequem. Verdammtes Pflichtbewusstsein!

„Du... wach auf, Süßer!“

Sie rüttelte ihren Liebhaber, bis es träge die Augen öffnete und erst einmal ausgiebig gähnte.

„Du muss jetzt gehen.“, erklärte sie, „Ich muss arbeiten.“

„Immer Arbeiten, nie ich.“, beschwerte er sich, stand aber gehorsam auf und begann, sich anzuziehen.

Während sie es ihm gleich tat, konnte sie sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er hörte artig auf sie, wie alle anderen auch. In diesem Moment kam es ihr so vor, als sei die ständige Angst vor dem Kontrollverlust völlig unbegründet und alles wunderbar.

Aber dem war nicht so, fiel ihr wieder ein. Sie hatte dem armen Mayora eiskalt gesagt, dass er nicht mehr lange hatte, wie gemein von ihr. Nicht, dass sie es nicht schon oft genug angedeutet hätte, nein, und er wusste es auch selbst, aber in diesem Kontext war es einfach nur verletzend gewesen. Das gehörte sich nicht.

Sie erinnerte sich an ihre Schwester.

Ein ursprünglich so liebes Mädchen, das mit der Zeit immer verblendeter und kälter geworden war. Zu ihr hätten solche Worte gepasst.

„Du zweifelst an dir selbst.“, ihre nun angezogene Liebschaft umarmte sie liebevoll von hinten, „Dabei bist du das allerbeste Dorfoberhaupt der Welt, du solltest es langsam wissen!“

Sie musste leise lachen.

„Ach, ich werde alt...“
 

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Zumindest zu alt für ihre Arbeit war sie nicht, wie sich wenig später herausstellte, als sie Choraly untersuchte.

„Die Entgiftung war nicht ideal, aber verhältnismäßig gut geklappt hat sie. Du musst heute unbedingt noch im Bett bleiben.“

Wenn es weiter nichts war, dachte sich die Angesprochene, wagte aber nicht, es laut auszusprechen. Chatgaia war ihr noch immer gruselig und mehr als suspekt. Und wegen ihr war Jiro auch tot. Und vermutlich auch noch viele andere Unschuldige, die sie nie hatte kennen lernen dürfen. Aber daran denken, während die gruselige Frau direkt bei ihr war, wollte sie nicht. Die merkte ihr das sicher an und dann wäre sie noch mehr bei ihr unten durch als ohnehin schon. Und das musste nicht wirklich sein, sie wollte schließlich noch immer die bestmöglichen Bedingungen für ihre imaginäre Flucht haben, die vermutlich nie stattfinden würde. Was für tolle Aussichten.

„Da das ja ganz gut gelaufen ist, werde ich mich jetzt wieder meiner regulären Arbeit widmen.“, sprach die grünhaarige Frau da und wandte sich zum Gehen, „Ich werde dich vermutlich nicht bitten müssen, Mayora, bei ihr zu bleiben, oder? Falls irgendetwas unerwartetes in negativer Richtung geschieht, kannst du mich ja rufen, du weißt, wo du mich findest.“

Sie verschwand.
 


 

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War in dem Kappi echt nur einmal kursiv? oô XD

Feierlichkeiten (Part 3)

„Also.... ich will ja nicht unhöflich sein oder so, aber ich kann einfach nicht glauben, dass ein Mann freiwillig so kocht!“

Choraly starrte mit großen Augen auf das Tablett auf ihrem Schoß, das mit den bestmöglichen Speisen der Wüste bedeckt war. Eigentlich hätte es ihr auch nichts ausgemacht, kurz aufzustehen und am Tisch zu essen, aber Mayora hatte darauf bestanden, es ihr ans Bett zu bringen.

Tante hat gesagt, ich soll mich um dich kümmern, hatte er das kommentiert, Also werde ich dich schön verwöhnen!

Scheinbar kannte er den Unterschied zwischen 'kümmern' und 'verwöhnen' nicht so ganz, bedauerlich. Normalerweise hätte sie da sicher nichts gegen gehabt, aber irgendwie war ihr seine Nettigkeit peinlich und sie fühlte sich so, als würde sie ihn ausnutzen. Und das wollte sie nicht. Irgendwie.

„Aber ich koche gern, das macht mir Spaß.“, erwiderte er da in nahezu entschuldigendem Tonfall, „Findest du das schlecht?“

Wie dämlich konnten Fragen sein? Sie seufzte lächelnd.

„Nein, ich finde es toll, nur ungewöhnlich, das ist alles.“

Er grinste.

„Ich bin nun einmal ungewöhnlich.“
 

Ja, das war er. Auch den Rest des Tages las er ihr die Wünsche von den Augen ab und am nächsten Morgen ging es ihr verhältnismäßig gut und sie konnte auch wieder mit den beiden Himmelsblütern gemeinsam frühstücken.

Und da kam es, dass jemand an der Haustür klopfte. Das war an sich nicht ungewöhnlich, besonders Imera stand in letzter Zeit öfters mal sinnlos vor der Tür (und wurde von Mayora dann zusammen gestaucht und weggeschickt), aber am heutigen Morgen war es anders.

Als die Hausherrin öffnete, erhaschten die beiden übrigen einen Blick auf Tafaye, der breit grinsend da stand.

„Guten Morgen!“, begrüßte er sein Gegenüber und dieses erwiderte den Gruß überrascht und musterte den jungen Mann fragend, als nichts weiteres folgte.

Dann verstand sie, warf sich in seine Arme und knuddelte ihn wie bescheuert, die arme Choraly verschluckte sich bei dem Anblick ganz übel an ihrem Schmoddersaft und als Mayora sich auch erhob und den Blonden im Anschluss genau so doll knuddelte wie seine Tante zuvor, hatte sie den Faden völlig verloren.

„Was ist denn jetzt los?“, erkundigte sie sich verwirrt und trat ebenfalls zu den Dreien. Der Blonde grinste stolz.

„Ich habe heute Geburtstag!“

Ah. Das erklärte natürlich so einiges.

Das Mädchen erinnerte sich an seinen eigenen zurück. An diesem Abend hatten sich alle völlig besoffen... und sie war mit Imera, dem Idioten, zusammengekommen. Das hätte sie sich auch sparen können, dachte sie sich nun.
 

Die erwartenden Blicke aller rissen sie aus ihren Gedanken. Mayora hustete gekünstelt.

„Du musst ihm gratulieren...!“

Sie machte große Augen. Wie, sie sollte ihn jetzt auch abknuddeln oder was? Das war doch... nein, so weit konnte sie gar nicht sinken, sie hatte auch ihre Grenzen!

„Glückwunsch!“, machte sie deshalb bloß und hielt ihm die Hand hin, bereute es aber direkt danach, als sie den unglücklichen Gesichtsausdruck Tafayes und den giftigen Chatgaias bemerkte.

„Wenn du mich nicht magst, musst du heute Abend auch nicht zum Essen kommen...“, machte das Geburtstagskind nur deprimiert und sie seufzte.

„Ich mag dich.“

Und sie überwand sich und umarmte den ihrer Meinung nach perversen Kerl doch.

Furchtbar, diese Geburtstags-Geilheit hier. Das grenzte ja fast schon an sexueller Nötigung, was sie machen musste. Aber wenigstens der Blondi war glücklich und er hatte sogar davon abgesehen, sie unsittlich anzufassen, kaum zu glauben. Sie wusste nicht, dass das bloß dank eines bösartigen Blicks Mayoras hinter ihrem Rücken so war, war aber auch egal.

„Also, kommt ihr heute Abend alle?“

Nachdem Choraly ihn wieder losgelassen hatte, schaute der junge Mann fragend in die Runde.

„Kommt drauf an, wer kommt.“

Das Mädchen hob fragend eine Braue und er schaute blöd.

„Na... alle wichtigen Leute, ein paar Verwandte und meine besten Kunden.“, er grinste schelmisch, „Du gehörst zur letzten Gruppe, genau so wie Shakki und Kinai, die sind ja auch sowas von eitel! Freut mich übrigens, die Meisten kommen ja nur, wenn ihre Kleidung bereits durch ist....“

„Wir beiden werden da sein!“

Den geschockten Blick der Brünetten konnte der junge Mann quasi auf sich spüren, denn er wusste, was sie gesagt hätte, wenn er sie nicht davon abgehalten hätte. Dass sie nicht kommen wollte, weil sie Shakki nicht mochte. Und das wäre absolut unhöflich gewesen, besonders nach der peinlichen Nummer zuvor. Außerdem gehörte Tafayes Familie nicht gerade zu den Leuten, die gern feierten, man musste sich geehrt fühlen, wenn man von ihnen eingeladen wurde.

Seine Tante jedoch empörte ihn.

„Ich werde wohl nicht kommen können, tut mir Leid.“

„Oh.“, machte der Blonde irritiert und sie seufzte etwas verlegen, „Ja, ich hab noch zu tun, sei mir nicht böse.“

Er nickte nur. Sie war das Dorfoberhaupt, sie hatte sicher ihre Gründe. Hoffentlich nicht das, was böse Zungen so behaupteten ...
 

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„Ich hasse Shakki!“, schimpfte Choraly ungehalten am späten Nachmittag, während sie sich im Badezimmer fertig machte, „Und ich hasse dich, Missgeburt!“

Mayora, der sich in seinem Zimmer ebenfalls feierlich ankleidete, seufzte lächelnd.

Seit er wusste, dass sie es nicht mehr ernst meinte, fand er es nicht mehr schlimm, wenn sie so arg über ihn fluchte. Besser, sie reagierte sich ab, als alles in sich hinein zu fressen, wie mach anderer...

„Ignoriere sie einfach und freu dich für Tafaye!“, bat er deshalb bloß freundlich und sie kreischte wutentbrannt auf.

„Wie soll man die Hexe ignorieren?! Kann man denn nichts dagegen tun, dass sie so... so... dass es sie gibt!?“

Sie wollte nicht aussprechen, dass sie sie am liebsten umbringen würde. Und dabei wusste sie noch nicht einmal warum, sie war zwar gruselig und hatte sie bedroht, aber direkt etwas schlimmes getan hatte sie ihr ja nicht. Dennoch, für das Stadtmädchen war sie Abschaum, den es zu beseitigen galt. Wie die Bastarde, die ihren Bruder auf dem Gewissen hatten, aber so lange es Menschen gäbe, würden diese Psychopathen nicht aussterben. Das war die traurige Wahrheit.

„Ist doch halb so wild, ich pass schon auf dich auf!“, na toll, das hatte sie hören wollen.

Sie steckte sich ihre Haare zurecht und betrachtete prüfend ihr Spiegelbild. Sie sah hübsch aus. Mittlerweile schaffte sie es ja tatsächlich ganz allein, sich schick zu machen, früher hatte sie dafür Bedienstete gehabt. Sie war selbstständig geworden.

Das Mädchen trat seufzend auf den Flur, Mayora tat es ihr kaum einen Moment später gleich und schnappte geschockt nach Luft, als er sie sah.
 

„Was schaust du so geschockt?!“, sie schnaubte und hob dann beide Brauen, als sie ihn musterte, „Siehst schick aus.“

Das musste sie sich eingestehen, er war wirklich nicht hässlich, besonders nicht, wenn er so edle Klamotten trug und fein zurecht gemacht war. Er war ein ansehnlicher Junge.

„Du auch!“, riss er sie da aus den Gedanken, „Du siehst wunderschön aus, Prinzessin!“

Ihre Laune hob sich. Komplimente mochte sie, von denen konnte sie gar nicht genügend bekommen. Und dann auch noch so ein liebes. Sie musste lächeln.

„Vielen Dank.“, sie machte eine höfliche Verbeugung und er erwiderte sie grinsend.

„Sehr gern, Prinzessin, ich spreche die Wahrheit!“

Sie lachte.

„Ich hoffe es!“
 

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Der Weg zu Tafaye war lustig, sie beschimpfte ihren Mitbewohner für nichts und wieder nichts gut gelaunt und er tat so, als wäre er beleidigt, ohne es ein einziges Mal zu schaffen, dabei nicht zu grinsen.

Als sie dann ankamen, fiel dem Mädchen auf, dass sie zwar schon öfters im Laden, aber noch nie in der Wohnung des jungen Mannes gewesen war. Der private Eingang war hinter dem Haus, wie sie feststellte, der Garten davor war trostlos und verwittert.

Jede Menge Sand, vermutlich von dem Sandsturm und etwa hundert seiner Vorgänger, lagen in dem vertrockneten Gestrüpp und dem verbrannten Gras, irgendwo stand ein verkrüppelter Kaliri-Baum.

Choraly hob überrascht von diesem Anblick beide Brauen. Das ging ja echt nicht, sah ja asozial aus.

„Tafayes Mama hat sich immer um den Garten gekümmert.“, begann Mayora da an ihrer Seite ungebeten dumpf zu erklären und sein Blick folgte dem Ihren, „Ich weiß es bloß von Erzählungen hinter der Hand, aber sein Vater muss ein ziemlicher Arsch sein... als Tafaye sieben oder acht war, ist seine Mutter weggerannt.“

Wie schrecklich, das hätte sie bei dem fröhlichen Kerl nie vermutet. Sie senkte betroffen den Blick, ehe ihr etwas einfiel.

„Aber wohin ist sie denn gerannt?“

Der 17-jährige hielt sein Haupt ebenfalls gesenkt, als er antwortete.

„In die Wüste.“
 

Auf diese ernüchternde Nachricht hielten die beiden es für besser, schnell anzuklopfen und hereinzugehen, damit sie nicht zu viele traurige Gedanken bekamen. Traurige Gedanken gehörten nicht zu so einem Freudentag wie dem Heutigen.

Auch nicht, wenn die Wohnung so trist und düster war, wie die, in der sie feierten. Aber zumindest das Geburtstagskind hatte gute Laune und die beiden Gäste ebenfalls, als sie die Küche, in der auch der Esstisch stand, betraten und sahen, wer daran saß.

„Tai und Lilli!“, war Choralys erfreute Begrüßung und die Mädchen erhoben sich ebenfalls und umarmten sich.

„Die beiden?“, wunderte sich Mayora überrascht an den Gastgeber gewandt und dieser lächelte.

„Ich dachte, den beiden würde etwas Ablenkung sehr gut tun.“

Da war etwas dran.

Eben genau das war es, was der Grünhaarige schon immer an Thilia gemocht hatte, die Art, mit der viele miteinander umgingen. Es gab auch einige schwarze Schafe, sicherlich, aber der Großteil war nett oder tat zumindest so.
 

Wenig später, die Mannschaft saß am Tisch und ließ sich bekochen, klopfte es abermals an der Tür.

Die Kaera-Geschwister waren bereits eingetroffen (Shakki und Choraly vermieden es, sich anzusehen, geschweige miteinander zu sprechen) und auch Dafi war da. Letztere hatte man nicht ganz angenehm begrüßt, denn besonders Lilli und Choraly hatten sie zunächst zusammen geschrien, weil sie es gewagt hatte, sich die Haare ein Stück zu schneiden. Nun reichten sie ihr nur noch bis an die Schultern, was alle Übrigen extrem schade fanden, doch der kleinen Himmelsblüterin gefiel es und da ließ sie sich auch nicht reinquatschen.

Während das Geburtstagskind also zur Tür ging, um die nächsten Gäste zu begrüßen, fiel Kinai etwas auf.

„Wo ist eigentlich Pinita?“

Seine Schwester warf ihm unbeeindruckt einen Seitenblick zu, als die Cousine der Blonden seufzend den Blick senkte.

„Pinita ist in der großen Stadt Fides, unter dem Vorwand, aus beruflichen Gründen dort festgehalten zu sein. In Wirklichkeit gibt es andere Gründe, aber ich will sie nur ungern verraten...“

Dafi starrte sie an.

„Ist es schlimm?“

„Es gibt schlimmeres...“

Die Schwarzhaarige musterte ihr dürres Gegenüber düster. Dieses Mädchen war die mit Abstand bemerkenswerteste Kreatur, der sie in ihrem ganzen Leben je begegnet war.

Choraly ihrerseits war innerlich etwas eingeschnappt, dass die Blondine reisen konnte, wie sie wollte, aber sie behielt es für sich, weil sie nichts zu Worten der Seherin sagen wollte.
 

Einen Moment darauf riss Tafaye wieder die Aufmerksamkeit auf sich, als er, gefolgt von zwei weiteren Personen, den Raum betrat. Die erste war ein Mann, er musste etwas älter als Uda Magafi sein und hatte eine ziemliche Ähnlichkeit mit dem Geburtstagskind, ebenso auch eine junge Frau, die etwas älter als die Gäste zu sein schien.

„Mein Onkel Alya und meine Cousine Katico!“, wurden die beiden vorgestellt und sie verbeugten sich höflich und nahmen ebenfalls guter Laune Platz.

„Verkriecht sich dein Vater schon wieder in seinem Zimmer?“, erkundigte sich der nun Älteste in der Runde und sein Neffe, der sich nun wieder dem Essen widmete, seufzte.

„Du kennst ihn doch.“

Choraly und Mayora warfen sich unauffällig einen eindeutigen Blick zu. In so einem Geburtstags-fanatischen Kaff nicht den Geburtstag mit dem eigenen Kind zu feiern war ein Skandal, fand die junge Frau, behielt sich aber vor, weitere Gedanken daran zu verschwenden. Man wusste ja nie, wer es mitbekam...
 

Das Essen verlief harmonisch, man redete über dies und das und verstand sich gut. Dabei fiel dem Stadtmädchen auf, dass auch der Schneider ein durchaus annehmbarer Koch war. Vielleicht nicht ganz so toll wie ihr Mitbewohner, aber doch sehr lecker. Er hatte sich richtig Mühe gegeben, das schmeckte man. Sein Vater wusste vermutlich gar nicht, was er verpasste.

Interessant wurde es jedoch erst nach dem Essen, als Tafaye, um die Stimmung etwas „aufzulockern“, so hatte er es bezeichnet, Ming-Ming brachte und dabei besonders Mayora blöd angrinste.

„Pass nur auf, meiner ist noch viel toller als deiner!“

Na, das war ein Wort. Mit Ausnahme von Lilli und komischer Weise auch Tai bekam jeder ein Glas von dem hoch-alkoholischen Getränk und Choraly war überrascht von dem angenehmen süßen Fruchtgeschmack. Man merkte gar nicht, wie stark es war...

So blieb den beiden Nüchternen aus plötzlicher Überzeugung oder eben Umstand nichts anderes übrig, als den anderen dabei zuzusehen, wie sie immer voller wurden, und das war irgendwie überraschend amüsant.
 

Und zehn Minuten später war die ganze Mannschaft zu. Immer wieder faszinierend, dass es keine Person zu geben schien, die die Heftigkeit der Wirkung der Gesöffs einzuschätzen wusste...

„Ich will noch ein Glaaaaaaas!“, jammerte Kinai wie auf Kommando, als sich Lilliann darüber Gedanken gemacht hatte, „Bitteeeeeee!“

„N-nix da, du verträgst n-nichts mehr!“, schimpfte seine Schwester und wedelte dabei theatralisch mit dem Finger vor seiner Nase herum. Er zog eine Schnute und kramte in seiner Hosentasche herum, um eine kleine Schachtel mit seltsamen Zigaretten heraus zu nehmen und sich eine anzuzünden.

„Ich muss mich trösten!“, erklärte er dramatisch und Katico streckte eine Hand danach aus.

„Ich mag auch eine!“

„Nix da, alles meine!“

Tafaye lachte blöd, während Choraly irgendetwas lallend an Mayora klebte, der sich ungestört weiter betrank.

Onkel Alya fiel etwas auf.

„Hast du unser ehrenwertes Dorfoberhäuptchen denn nicht eingeladen?“

Er hickste und wirkte damit genau so unseriös wie der Rest der Truppe. Ja, auch älteren Herren schmeckte das Zeug gut...

„Doooch, aber die mag mich nicht!“

Das Geburtstagskind jammerte und Dafi lachte es aus, ungeachtete dessen, dass sie noch nicht einmal zugehört hatte und gar nicht wusste, worum es ging. War ihr auch egal, seit Pinita nicht mehr da war, hatte sie selten Gelegenheit dazu.

„Mein Tantschän had zu tun!“, mischte sich Mayora da ernst ein und Alya hickste wieder.

„Ach was, die hat nur keine Lust, die vergnügt sich jetzt!“

„Mit jemandem, den wir alle kennen.“, fügte Shakki noch hinzu, wurde aber ignoriert.

Der Grünhaarige schlug empört auf den Tisch und schnaubte.

„Niemand belaidischt mein Tantschän!“

Choraly tat es ihm gleich.

„Genau, das darf nur ich persönlich, weil ich ja die schöne, tolle, perfekte, unwiderstehliche Tochter von Uda Magafi bin und alles darf!“

„Genau!“

Der blonde Mann lehnte sich lachend in seinem Stuhl zurück und Dafi gackerte wieder doof mit.

„Als ob Chatgaiachen wirklich seriös oder gar anständig wäre, das kleine Flittchen...“

„Also Onkel!“, machte jetzt auch Tafaye empört und Mayora schnappte nach Luft.

„Meine Tante ist eine sähr säriöse und voll anständige Frau, halts Maul!“

Es wurde still in der Runde. Katico fragte sich besorgt, wie ihr Vater auf die Idee kam, die mächtigste Magierin des Dorfes öffentlich und dann auch noch vor ihrem Neffen so zu entwürdigen, das konnte doch nicht gesund sein?!

„Schaut nicht so!“, schnappte er, „Sie ist wirklich ein Flittchen! Sie hat mich verführt!“

Das konnte man falsch verstehn.

„Du hast Mami betrogen?!“, quiekte seine Tochter geschockt und der Mann verdrehte die Augen.

„Das war, bevor ich mit Mami zusammen war, klar?“

„Aber trotzdem!“, meckerte der Magier weiter, „Bloß weil Tantschän disch mal verfüat hat, is sie doch nicht gleich ein Flittchen!“

„Genau!“, pflichtete Dafi ungefragt bei und Kinai begann ein seltsames Lied auf der alten Sprache zu singen.

„Sie ist mit 13 Jahren wie eine Nutte bei mir angekommen und hat mich halb vergewaltigt!“

Empört über den allgemeinen Unglauben verschränkte Alya die Arme vor der Brust und Shakki, die mittlerweile ebenfalls eine seltsame Zigarette rauchte, wedelte wieder theatralisch mit dem Finger herum.

„Durchaus, er spricht die Wahrheit! Unser Dorfoberhaupt ist tatsächlich etwas pervers angehaucht mit Vorlieben für Männer außerhalb ihrer Altersklasse!“
 

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„Hatschi!“

„Bäh, spinnst du?!“

Chatgaia schlug sich verlegen die Hände vor der Mund.

„Ich musste jetzt einfach niesen, ich glaube, jemand hat schlecht über mich gesprochen, Verzeihung.“

Der junge Mann über ihr starrte sie empört an.

„Hallo?! Du kannst mir doch nicht einfach ins Gesicht niesen, während ich voll dabei bin! Das ist... das ist asozial und unprofessionell, genau!“

Er stützte sich mit den Ellbogen am Bett ab und wischte sich mit den Händen durch sein Antlitz. Sie schnaubte.

„Such dir doch eine andere, wenn es dir nicht passt!“

Anstatt an ihre Gesundheit zu denken, also wirklich. Und wer da gerade schlecht über sie gesprochen hatte, dem sollte es doch ins Badezimmer schneien, Frechheit! Jetzt konnten sie wieder von vorn anfangen...

„Ich will aber keine andere, ich will dich!“, maulte er da weiter, „Und zwar nur dich und nicht deine Bazillen und Bakterien und was du sonst noch so hast!“

Er wollte sie küssen, doch sie legte eine Hand auf seine Stirn und drückte ihn wieder etwas weg.

„Und das sagst du so schamlos? Entweder nimmst du mich mit allen Bazillen und Bakterien und was ich sonst so habe, oder gar nicht!“

„Igitt, das ist Erpressung!“

Frauen waren höchst komplexe Wesen, hatte der arme Kerl gelernt. Und sie konnten ganz schön widerlich sein, fand er.

„Ich bin nicht igitt...“, kam dann leiser und er hob beide Brauen bei ihrem etwas verletzten Gesichtsausdruck.

Das hatte er auch nicht gewollt. Ach herrje...

„Nein, natürlich nicht. Ich hab dich gern, mit all deinen Bazillen...“, er grinste verschmitzt, „Komm, lass uns weiter machen. Ähm- wo waren wir stehen geblieben?“

Die Frau schaute blöd. Er war wirklich sowas von dumm.

Sie ließ ihren Blick demonstrativ nach unten gleiten und nach unendlichen Sekunden verstand er tatsächlich.

„Ich bin ein Blödmann.“, gestand er dann leise lächelnd und küsste sie sanft auf die Lippen, ehe er wieder ganz langsam begann, da weiter zu machen, wo sie aufgehört hatten...
 

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„... und ihre Röcke waren so lang wie ein durchschnittlicher Gürtel, ja! Und wie sie immer mit dem Hintern gewackelt hat, da konnte man nicht weg schauen! Glaubt mir, ich bin mir auch bescheuert vorgekommen mit so einem jungen Mädchen zu schlafen, aber das ging gar nicht anders!“

Bis auf Kinai, der noch immer komische Lieder sang, lauschten alle gespannt Alya Alhatfas Worten mehr oder minder aufmerksam (es kam halt immer auf den Alkoholpegel an). Am aufmerksamsten natürlich Tai und Lilli, die ja völlig nüchtern waren und ihr Dorfoberhaupt ganz plötzlich aus anderen Augen sahen.

Der Eindruck des kleinen Flittchens machte sie menschlicher, dachte sich Lilliann, aber man durfte auch nicht vergessen, wie lange das schon her war. Fast jeder tat in seiner Pubertät mal etwas verrücktes, sie selbst hatte sich vor gerade einmal zwei Jahren die Haare so kurz geschnitten, dass selbst Jiros länger gewesen waren und das nur, um ihre Eltern zu empören, weil sie Empörung toll gefunden hatte.

Sie fand, jemand musste diesen Mann stoppen, bevor hier alle den Respekt vor dieser eiskalten Frau verloren!

Und das geschah schneller, als sie geahnt hatte und auf eine ungewollte Art und Weise.
 

„Lass dem Dorfoberhaupt doch auch seine Geheimnisse, Alya! Wir haben verstanden“

Shakki erhob sich und knallte den Rest der zu ende gerauchten Zigarette auf den Tisch.

„Sie ist fähig zu regieren und zu richten, das ist sie Hauptsache, hier gibt es schließlich viel schlimmere Individuen!“

Kinai hörte auf zu singen.

„Was will sie uns damit sagen?“, wunderte sich Dafi benommen und stand auf dem Schlauch, doch die allem Anschein nach ziemlich benebelte Schwarzhaarige antwortete ihr nur all zu deutlich, als sie mit ausgestrecktem Arm auf Choraly zeigte.

„Dieses nichtsnutzige Weib meine ich! Die, die uns den Tod bringt! Wen denn sonst?!“

Mayora schaute blöd zwischen den beiden jungen Frauen her.

Da war doch noch etwas gewesen, hatte er dem Mädchen aus der großen Stadt nicht etwas versprochen? Er erinnerte sich nicht mehr...

Choraly ihrerseits blinzelte überrascht, dann schnaubte sie.

„Von dir lass ich mir nichts sagen, du geisteskranke Ziege!“, blaffte sie zurück, „Ich bin eine Magafi, ich mache immer alles richtig! Und du bist eine notgeile Hexe, genau! Du solltest vor mir kriechen!“

Der Alkohol und wohl auch Kinais Drogen ließen ihre Sicht verschwimmen und beide erhoben sich und starrten sich über den Tisch hinweg wutentbrannt an. Die Anderen sahen mehr oder minder interessiert zu und Tafaye überlegte sich, dass es doch ziemlich unhöflich war, auf Geburtstagen zu streiten.

In dem Grünhaarigen kam währenddessen ein beunruhigendes Gefühl auf. Die beiden waren eine explosive Mischung, das wusste er auch, selbst wenn er zu war und kaum sprechen konnte.

Aus irgendeinem Grund hatte die Seherin etwas gegen das Stadtmädchen...

„Kriechen?!“, fauchte die Ältere da, „Du wirst kriechen, nicht ich! Und zwar vor meinen Füßen, du bist pures Gift!“

Tainini zog laut die Luft ein, als sich etwas merklich düsteres über den kleinen Raum legte und Choraly geriet ins Wanken. Alkohol und ihre Feinfühligkeit ergaben keine gute Kombination...

„Du verkörperst alles Schlechte dieser Welt, Choraly.“, zischte die Magierin da, „Und das bestrafen die Götter.“

Die Angesprochene hob verwirrt und gezwungen gefasst beide Brauen. Es fiel ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen, dieses Ming-Ming-Zeug setzte ihr doch ziemlich zu. Und auch den anderen, denn die sahen bloß verwirrt und teilweise nicht handlungsfähig zu. Die Stimmung war angespannt.

„Sie bestrafen dich und alle, die dir wichtig sind oder waren.“, Shakkis violette Augen funkelten, „Du wirst für immer hier bleiben müssen, bei uns, unter uns und es wird dir immer schwer fallen! Aber nicht nur du sollst leiden, die Seele deiner Mutter wird bis ans Ende der Zeit gefangen sein in einer düsteren Welt zwischen unserer und dem Himmelreich, gejagt von den Schatten ihres Lebens!“

Sie schritt um den Tisch herum und auf die Jüngere zu, die weiter wankte und erschauderte, ebenso wie Mayora, der irgendwie eingreifen wollte, aber in seiner eigenen Benommenheit nicht wusste, wie.

„Dein Vater muss zusehen, wie die Welt im Chaos versinkt und dein geliebtes Kindermädchen, Atti, existiert nicht mehr! Ihre Seele wurde im Namen der Wasser-Götter zerfetzt und es geschieht ihr Recht! Und du...“

Sie wurde unterbrochen. Aber nicht von Mayora, der seiner Mitbewohnerin fest versprochen hatte, auf sie acht zu geben, sondern von Tafaye, dem es trotz seines Alkoholpegels und der damit verbundenen erhöhten Toleranz langsam zu bunt wurde.

„Ich werde heute 21 Jahre alt, klar?!“, fuhr er sie an und erhob sich ebenfalls, um sich bedrohlich vor ihr aufzubauen, „Ich habe euch eingeladen, damit ihr mit mir feiert und nicht, damit ihr euch gegenseitig fertig macht!“

Die Frau blickte bloß feindselig in seine blauen Augen. Das war nicht nur frech, sondern in Anbetracht dessen, dass er der Gastgeber war auch noch unverschämt. Aber sie war die Seherin, sie war wichtig. Sie durfte das.

„Ich mache sie nicht fertig, ich spreche bloß die Wahrheit. Ich spreche immer die Wahrheit.“

„A-aber die Wahrheit ist voll dumm!“, kommentierte Dafi das, die dieses Mal zumindest halbwegs mitbekommen hatte, worum es ging.

Und auch Tainini gab ihr stumm Recht, als sie aufstand und Choraly, die ursprünglich neben ihr gesessen hatte, vorsichtig umarmte, weil sie leise schluchzte.
 

Sie hatte von dem Traum gesprochen! Sie kannte den Traum, sie wusste, was er bedeutete und es war grausam! Und sie war grausam, diese Hexe!

Aber am grausamsten war Mayora, der einfach nur da saß und verwirrt allen zusah, wie sie irgendetwas machten (und war es nur gegenseitige sexuelle Belästigung wie im Fall von Kinai und Katico). Er hatte sein Versprechen gebrochen!

„Ja, leide, Mädchen aus der großen Stadt, das sollst du, das ist dein Schicksal!“, hörte sie Shakkis giftige Stimme da wieder und sie konnte sich nicht verteidigen. Sie war betrunken, sie wusste nichts anständiges zu erwidern. Und so riss sie sich einfach aus Tais Umarmung und rannte hinaus.
 

„Das war echt absolut unhöflich von dir!“, tadelte Alya die Seherin kurz darauf noch immer hiksend, doch sie ignorierte ihn einfach und warf einen düsteren Blick zu ihrem kleinen Bruder, der sich auf doch recht intime Art mit dem hellblonden Mädchen vergnügte.

„Lass die Finger von ihr, Kinai, wir gehen.“

Sie drehte sich um und ging, der bekiffte Junge folgte ihr kaum später. Zurück blieb eine Gruppe mehr oder minder angeheiterter Leute, die irgendwie keine Lust mehr auf feiern hatte.

Und die Erste, die sich wieder regte, war Lilli, denn sie verpasste Mayora, der ihr gegenüber saß, eine schallende Ohrfeige über den Tisch hinweg und zog damit alle Aufmerksamkeit auf sich.

„Du bist so ein Waschlappen!“, schimpfte sie, „Du bist für sie verantwortlich, wenn ich dem Dorfgespräch richtig gelauscht habe, du hättest sie verteidigen müssen! Und wenn du betrunken nicht dazu fähig bist, hättest du nichts trinken dürfen! Ich denke, du hast sehr wohl gewusst, dass sie nicht mit Shakki zurecht kommt, das war unverantwortlich von dir!“

Er erwiderte ihren wütenden Blick stumm.

„Worauf wartest du?“, sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, „Geh sie suchen, kümmere dich um sie! Oder willst du das Geburtstagskind oder Verwandtschaft auf die Suche schicken? Oder Dafi, die selber breit ohne Ende ist? Oder die blinde kleine Tai? Oder mich mit meinem runden Bauch?!“

Was war los mit dem Kerl? So besoffen konnte er doch nicht sein, das war unverschämt!

Sie wollte weiter schimpfen, da erhob er sich stumm und verließ artig den Raum.

„Das hat jetzt aber auch gedauert.“, meinte Alya darauf und schaute ihm nachdenklich nach, „Aber wenn sein Vater betrunken war, war er genau so, ich erinnere mich...“
 

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Tafayes Onkel hatte Recht und das wusste Mayora auch, was das betraf kam er nach seinem Erzeuger und das passte ihm nicht wirklich. Und es passte ihm nicht, vorhin so versteinert gewesen zu sein. Er hatte vergessen, was er versprochen hatte. Und er hatte seine Pflichten nicht erfüllt. Aber zumindest wusste er jetzt ein wenig besser den seltsamen Traum von vor ein paar Wochen zu verstehen... wenn er sich das hatte richtig merken können, er war noch immer betrunken.

Aber zumindest lange nach seiner Mitbewohnerin suchen musste er nicht, Choraly saß unter dem verkrüppelten Kaliri-Baum und heulte sich die Augen aus.

Was hatte sie denn gemacht, dass die Götter sie so bestraften? War das Leben in der Stadt so sündig gewesen? Oder hatte Shakki gelogen?

Es war verwirrend, sie hatte keinen Durchblick, bloß Kopfschmerzen und zwischendurch Magenkrämpfe. Dieses Ming-Ming war Höllenzeug...

„Hey!“

Sie sah auf und erkannte Mayoras Silhouette verschwommen in der Dunkelheit, wie er sich durch das Gestrüpp zu ihr kämpfte und sie auf die Beine zog, als sie nicht reagierte.

„Es is kalt nachts, man solle nisch auf dem Boden hocken...“

Und das Sprechen wollte auch nicht so recht klappen, na super.

Sie scherte das jedoch herzlich wenig, als sie düster und verletzt zu ihm auf sah und er genau wusste, weshalb.

Verdammt, und er hasste sich dafür! Er war einfach nicht klar genug gewesen... er hatte es ihr doch versprochen! Damit hatte er im übrigen auch seine Tante enttäuscht, die hatte sie ihm schließlich geschenkt, damit er sich gut um sie kümmerte!

„Lass mich einfach in Ruhe!“, fauchte sie da und trat einen Schritt zurück.

Sie war enttäuscht.

„Du hast uns einfach ignoriert! Du hast durch uns hindurch gesehen, als wir uns gestritten haben! Und dabei hast du mir doch versprochen, dass du dich um mich kümmerst und auf mich aufpasst! Du elender Lügner!“

Sie war so verletzt, die musste sich Luft machen, unbedingt. Sie fühlte sich irgendwie hintergangen...

„Ich war... ich bin betrunken, ich war nisch ganz bei mir!“, versuchte er sich darauf zu rechtfertigen, doch sie schnaubte nur verachtend. Ja, er wusste es, dann hätte er nichts trinken sollen, für das nächste Mal würden er es sich merken.

Wenn es denn ein nächstes Mal gab, mit so einem musste sie nicht unbedingt zusammen herum laufen. Er konnte ja nicht auf sie aufpassen...

„Bitte verzeih mir!“, jammerte er weiter, „Isch wais doch auch nisch...“

Sie senkte nur den Blick.

„Aber du hast es versprochen und du hast dein Versprechen nicht gehalten...“

Er wusste es und er schämte sich. Aber... er hatte einfach nicht schnell genug gemerkt, was geschah...

„Etwas anderes...“, begann sie da leise und schaute ihm wieder direkt in die roten Augen, aus ihren eigenen rannen frische Tränen, „Denkst du, Shakki hat die Wahrheit gesprochen?“
 

Darauf antwortete er zunächst einige Zeit nicht, dann bloß leise.

„Ich weiß nisch...“, begann er, „Vieles, was sie sagte, stimmte mit diesem seltsamen Traum überein... aber bei einem bin ich mir fast sischa...“

Sicher? Die junge Frau blinzelte sich die Tränen aus der Augen, als er leicht zu lächeln begann. Wusste der denn, was er sprach? Sie war sich nicht sicher.

„Was meinst du?“
 

Die Prinzessin war naiv. Er beugte sich etwas zu ihr, ohne über die Konsequenzen nachzudenken.

„Du wirst doch nie bei uns leiden müssen, du wirst niemals allein sein.“

Dann küsste er sie.
 


 

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Ahoi ö.ö Eigentlich wissen es ja alle, die es wissen müssen, aber für eventuelle Schwarzleser noch einmal: Ich werde am 10.07. für 1,5 Woche in Urlaub fahren, das heißt... ich bin weg, gut, schlau XD

Nein, ich werd nächste Woche am Donnerstag und am Freitag jeweils ein Kapitel hochladen, wie ihr es euch dann aufteilt, ist eure Sache, die Woche darauf werd ich logischerweise nichts hochladen können ^^

So, das wärs <3

Einsam

Er presste seine Lippen sanft gegen ihre und sie erstarrte, unfähig sich zu wehren. Oder gar zu erwidern, aber das war eh absurd.

Warum machte er das, fragte sie sich nur. War er so betrunken? Sie war es im Übrigen selbst, aber so klar zu wissen, dass sie das nicht wollte, war sie noch.

Und so schaffte sie es auch irgendwann, ihn von sich weg zu drücken, denn von selbst hätte er wohl nicht mehr aufgehört. Ihm hatte es wohl gefallen.

„Was is?“, fragte er sie blöd und schwankte ein wenig. Sie starrte ihn aus großen Augen an.

Was war? WAS WAR?!

„Wie kannst du es wagen?“

Sie schaffte es nicht, wie eine Magafi zu klingen, viel mehr wie ein trauriges kleines Mädchen, aber an sich war sie das ja auch. Aber das musste er doch nicht mitbekommen...

Sie vertraute ihm nicht mehr, sie hätte es nie tun sollen! Egal wie nett er zu ihr gewesen war, er hatte sein Versprechen gebrochen. Nein, seine Versprechen, denn er hatte ihr ja auch einmal erzählt, er hätte kein Interesse an ihr!

„Wagen? Isch hab dich geküsst, das war doch nett gemeint...“

Er schwankte wieder ein wenig hin und her und schien keinerlei Fehler in seinem Verhalten zu finden, anscheinend war er wirklich zu. Das war doch Wahnsinn!

„Aber ich will nicht von dir geküsst werden, ich will wissen, was mit meiner Familie ist!“

Ihr war so schlecht und schwindelig, dass sie einen Moment daran dachte, ihre Manieren über den Haufen zu werfen und sich einfach auf seine Füße zu übergeben, damit hätte sie ihn auch gestraft. Oder auch nicht, vermutlich wäre ihm selbst so etwas Abartiges gerade völlig egal.

Das Mädchen erschauderte und schluchzte wieder. Das war alles plötzlich so seltsam...

„Isch kenn deine Familie doch gar nich...“

Ja, das war ihr klar. Er streckte die Hand nach ihrem Gesicht aus, doch sie wich zurück. Er sollte sie nicht anfassen, diese widerliche Missgeburt!

„Ich hasse dich!“

Sie schrie aus vollem Hals, ehe sie sich abwandte und an ihm vorbei nach Hause rannte.
 

Als sie gerade die Tür öffnete und die Treppe nach oben hastete, kam ihr der Gedanke, dass es vielleicht besser gewesen wäre, irgendwo draußen unter einem Baum oder ähnlichem zu schlafen, denn hier würde sie diesem Volltrottel schon sehr bald wieder begegnen, andererseits wäre sie draußen bloß wieder vergiftet worden. Egal, jetzt war es sowieso zu spät.

Direkt in ihr Zimmer flüchten konnte sie dann auch nicht, zunächst stolperte sie ins Badezimmer, um sich heftig zu übergeben. Das war zu viel für sie gewesen.

Sie fühlte sich leer und schwach und war irgendwie nicht in der Lage zu denken. Zu viele Eindrücke, zu viele Worte, zu viel Alkohol. Sie ließ sich vor der Toilette einfach zu Boden sinken und blieb keuchend liegen.

Nicht lange.
 

„Choraly! Wach auf!“

Das Mädchen blinzelte benommen. Ihre Knochen taten nicht all zu weh und es war noch immer dunkel, bloß wenige Minuten waren vergangen. Und nun hockte Chatgaia in knappem Nachthemd und reichlich zerzaust vor ihr und rüttelte sie wach. Oder riss sie einfach in die Realität zurück, denn wirklich geschlafen hatte sie ja nicht.

„Steh auf da, du kannst nicht auf dem Boden übernachten!“

Das war allerdings wahr. Sie setzte sich stöhnend auf und rieb sich den pochenden Schädel.

Die ältere Frau musterte sie stirnrunzelnd.

„Wo hast du meinen Neffen gelassen?“

An den wollte sie jetzt gerade so gar nicht denken. Er hatte sie enttäuscht, er hatte sie berührt, sie hasste ihn.

„Weiß ich nicht...“, sie versuchte sich aufzurappeln und die Grünhaarige erhob sich ebenfalls, um ihr dabei zu helfen und das schwankende Mädchen zu stützen, „Ich will es eigentlich auch gar nicht wissen... ich hasse ihn...“

Choraly war es egal, ob es unvorteilhaft war, Chatgaia das zu sagen, es musste einfach raus. Sie war verletzt. Und zu müde, um nachzudenken.

Die Magierin erwiderte auch nichts, sondern führte das Mädchen bloß auf leisen Sohlen in ihr Zimmer und half ihr netterweise sogar beim Ausziehen. Ihr Kleid war kompliziert verschnürt, das bekam sie in ihrem Zustand sicher nicht mehr auf. Und um darin zu schlafen war das gute Stück definitiv zu schade.

Das war das Letzte, woran sie sich an diesem Abend noch erinnern konnte.
 

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Am nächsten Morgen weckten sie die Strahlen der Sonne, aber anders als sonst bemühte sie sich nicht, aus dem Bett zu kommen. Sie wollte am liebsten den ganzen Tag einfach nur liegen bleiben, denn sie fühlte sich furchtbar, körperlich wie auch geistig.

Langsam drehte sie den Kopf nach rechts und starrte die beige Wand an, an der ihr Bett stand. Genau auf der anderen Seite stand Mayoras Bett, sie schliefen praktisch jede Nacht nebeneinander, nur durch eine dünne Mauer getrennt. Sie war so dünn, dass sie sogar hören konnte, wenn er sich im Schlaf umdrehte. Nebenbei fragte sie sich, wie sie überhaupt auf die Idee gekommen war, die Missgeburt im Nachbarraum wissend, sich mit Jiro über ihren Plan zu unterhalten. Das grenzte ja beinahe an fahrlässiger Tötung...

Na ja, sie war ohnehin Mitschuld und das wegen so vielen Dingen, man wusste gar nicht wo man ansetzen sollte. Aber dazu war sie im Moment nicht in der Lage.

Sie fühlte sich noch immer so furchtbar ausgelaugt und vermisste ihre Familie mit einem Schlag mehr denn je.

Als alle noch gelebt hatten, waren sie keine wirkliche Familie gewesen. Natürlich hatte sie ihre Eltern geliebt, aber sie hatte sie so selten gesehen, dass sie ihre wirkliche Zuneigung vergessen hatte. Zwischen Uda und Naputi war es noch schlimmer gewesen, nach dem Tod ihres Sohnes Semera hatten sie sich völlig entzweit. Vermutlich, weil sie sich gegenseitig die Schuld am verlorenen Leben des Kindes gegeben hatten.

Der Gedanke war dem damals noch kleinem Mädchen nicht von selbst gekommen, sie hatte Atti belauscht, wie sie sich mit ihrem zu dieser Zeit noch Freund darüber unterhalten hatte. Das Verhältnis der Eltern war schließlich mit einem Schlag abgekühlt und das war natürlich aufgefallen.

Choraly seufzte leise, als sie daran dachte. Sie versuchte sich ihren Bruder vorzustellen und erschreckte sich, als es ihr nicht mehr recht gelingen wollte. Er hatte blondes Haar gehabt und blaue Augen, das wusste sie noch. Und er war recht schmal gewesen und ziemlich groß für sein Alter. Und bildhübsch, die kleinen Mädchen waren ihm in Scharen hinterher gerannt.

Doch ließen sich diese einzelnen Puzzlestücke nicht mehr zu einem Ganzen zusammensetzen, es waren schon zu viele Jahre vergangen. Noch nicht einmal der Klang seiner Stimme war ihr mehr im Ohr.

Plötzlich verspürte sie wieder die große Lust, um ihn zu weinen, doch irgendwie hatte sie keine Tränen mehr. Sie hatte so viel geweint in letzter Zeit. Auch manchmal nachts, wenn sie es gar nicht bewusst mitbekommen hatte. Morgens vor dem Spiegel hatte sie es erst bemerkt.

Vermutlich wäre es auch jetzt so gekommen, wäre sie denn aufgestanden. Aber dazu hatte sie gewiss keine Lust. Und keine Energie.

Sie wollte einfach wieder schlafen.
 

Und fast wäre es ihr gelungen. Sie döste vor sich hin, als sich die Tür leise öffnete und jemand kam, um sich zu ihr zu setzen und ihr leicht durchs Haar zu streicheln.

Sie wusste, wer es war, sie wusste es ganz genau. Aber sie war zu schwach, um sich dagegen zu wehren.

„Solltest du... solltest du nicht mit hohem Fieber im Bett liegen und sterben?“, war alles, was sie leise und brüchig hervor brachte und blinzelte den Jungen, der sich nun über sie beugte, kraftlos an.

„Du bist noch immer nicht ganz auskuriert, fürchte ich.“, entgegnete er bloß überraschend seriös und betrachtete sie, „Falls es dich beruhigen sollte, ja, ich habe ganz enorme Kopfschmerzen und musste mich auch schon einmal übergeben, aber Fieber habe ich den Göttern sei Dank nicht.“

Warum sei Dank? Sie hasste ihn, sie hätte sich nicht die Mühe machen müssen, Zuneigung für ihn zu empfinden, sie war von Anfang an im Recht gewesen. Er war verabscheuungswürdig.

Und das ließ sie plötzlich erwachen.

„Ich gebe dir zehn Sekunden, um aus meinem Zimmer zu verschwinden, abartige Missgeburt!“

Sich ruckartig aufzusetzen war dabei vielleicht doch keine so tolle Idee gewesen. Bei allem Elan, sie hatte einen furchtbaren Kater und so war sie gezwungen, sich von dem jungen Mann die Blöße zu geben, sich keuchend an den pochenden Schädel zu fassen. Verdammt.

„Du solltest lieber langsam machen...“, riet er ihr da auch noch ruhig und strich ihr wieder sanft durchs Haar, war dabei dann auch noch schnell genug, die Hand wieder wegzunehmen, als sie nach ihr schlug.

„Hör auf, mir Dinge vorschreiben zu wollen, du verdammter Lügner!“, schrie sie ihrer Verfassung zu Trotz und freute sich innerlich einen Keks, dass er darauf dann doch zusammen zuckte. So fuhr sie fort.

„Du hast mir versprochen, auf mich acht zu geben, Missgeburt! Du hast es mir versprochen! Und dann besäufst du dich und lässt zu, dass diese Hexe mir solche Dinge sagt, Dinge, die ich nicht hören kann, weil sie mich krank machen!“

Er schaute betroffen zur Seite und erwiderte nichts. Sie hatte ja Recht. Wie hatte er nur so dumm sein können? Er verdiente es doch, irgendwie bestraft zu werden...

„Und als würde das nicht reichen, verseuchst du mich noch, du Parasit! Ich will, dass du mich nie wieder anfasst, Götterschande!“

Ja, sie wusste, das sie das nicht mehr zu ihm sagen wollte, aber er hatte es verdient. Davon war sie fest überzeugt.

Er weniger, als er zu ihr herumfuhr und die Jüngere mit einem Mal zurück in die Laken drückte und sich über sie beugte, ihre Handgelenke neben ihrem Kopf mit dem eigenen Griff festnagelnd.

„Was habe ich dir gesagt, Choraly Magafi?!“, zischte er lauernd und sie fauchte zurück.

„Und was habe ich dir gesagt, Mayora Timaro?!“
 

Eine Weile bohrten sich ihre Blicke ineinander fest, ohne, dass sie sprachen. Kriege konnten man auch stumm führen, hatte Naputi Magafi einst beiläufig erklärt.

Aber ganz ohne Worte ging es dann doch nicht, wie Mayora irgendwann demonstrierte.

„Eigentlich bin ich gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen, Mädchen aus der großen Stadt.“, begann er, „Mein Verhalten am gestrigen Abend war absolut inakzeptabel, der Alkohol hat meinen Geist vernebelt. Ich hätte nicht so viel trinken dürfen, damit ich dich hätte beschützen können und vor allen Dingen hätte ich diesem gewissen Drang in mir nicht nachgeben dürfen. Aber es ist geschehen, ja? Es ist passiert, ich kann es nicht mehr rückgängig machen!“

Er verfestigte seinen Griff, dass es ihr weh tut. Aber sie keuchte nicht mehr, sie verzog noch nicht einmal das Gesicht vor ihm, diese Genugtuung gönnte sie ihm nicht. Zumindest nahm sie an, es sei eine Genugtuung für ihn.

„Ich mache Fehler und stehe dazu! Und du hast das Recht wütend auf mich zu sein, ja? Aber dann lass mich in Ruhe und wirf nicht mit Worten um dich, deren Bedeutung du noch nicht einmal im Ansatz verstehen kannst, du.... miese kleine Hure!“

Seine blutroten Augen funkelten sie bösartig an und sie erschauderte angesichts seiner unheilvollen Aura unwillkürlich. Er war wütend. Richtig wütend. Und er hatte sie beleidigt.

Das machte ihr Angst.

„Ich... bin keine Hure...!“, entgegnete sie so nur kleinlaut und er verengte seine Augen weiter.

„Und ich keine Götterschande, Choraly.“

Sie beobachtete ihn beunruhigt dabei, wie er sie musterte, jeden Zoll ihrer Haut, den sie frei gab und verstand ihn dabei völlig falsch.

„Du hättest jetzt leichtes Spiel mit mir...“, stellte sie leise fest und schloss die Augen deprimiert und verängstigt.

Das war falsch. Wo war die Missgeburt hin, die sie einst kennen gelernt hatte? Vor der hätte sie sich nie fürchten müssen...

Er hob beide Brauen.

„Leichtes Spiel? Du meinst...?“

Als das Mädchen die Augen wieder öffnete, sah sie ihn verzerrt grinsen. Dann kehrte überraschend etwas in seinen Blick zurück, dass sie eher kannte. Verzweiflung.

„Ich bin wütend auf dich!“, erklärte er geschockt, „Aber das heißt doch nicht, dass ich dir etwas böses antun würde! Ich hab dich doch gern, egal, wie sauer ich bin, ich würde dir niemals ein Haar krümmen!“

Es verletzte ihn gleich doppelt, wenn sie ihm auch noch so etwas abartiges zutraute. Schlimm genug, was sie zu ihm sagte und wozu sie ihn quasi zwang, aber das tat wirklich weh.

Er würde doch niemals ein Mädchen derart... nein.

Aber immerhin glaubte sie ihm.

„Dann ist okay...“, sie wich seinem Blick dennoch aus, „Du machst mir Angst.“

Das wusste er und das konnte er auch verstehen. Aber er hatte nun einmal das Gefühl gehabt, ihr zeigen zu müssen, wo ihre Grenzen waren.

Er meinte es doch nur gut mit ihr, er hatte sie doch gern. Und jetzt reichte es wohl, sie hatte allem Anschein nach verstanden.

Der Junge setzte sich auf, ließ ihre Handgelenke wieder los und die Jüngere seufzte unverzüglich erleichtert und rieb sich die schmerzenden Stellen. Er war wirklich nicht gerade zimperlich gewesen.

„Ich sage es dir jetzt zum Letzten Mal, fürchte dich nicht vor mir! Ich mag dich, ich beschütze dich.“

Mayora erhob sich und schritt zur Tür. Sie hielt ihn noch einmal auf.

„So sehr wie gestern Abend, du Angeber?“

Reden konnte er ja gut, hatte er sicher von Chatgaia. Wobei Männer im Allgemeinen viel sagten, wenn der Tag lang war...

„Nein, nicht wie bei diesem Aussetzer.“, entgegnete er, ohne sich noch einmal zu ihr umzudrehen, „Mit meinem Leben und all meiner Kraft.“

Dann verschwand er und sie schaute ihm verblüfft hinterher.
 

--
 

„Shakki!“

Kinai starrte seine Schwester geschockt an, als die plötzlich aus heiterem Himmel aufstand, eine hübsche Vase nahm und sie dann mit ganzer Kraft gegen die Wand schleuderte.

Sie keuchte nur.

Den ganzen Morgen lang war sie friedlich gewesen, hatte sogar vergleichsweise gute Laune gehabt und dann mit einem Schlag... na ja, er war es ja gewohnt.

Ihre Götter erzählten ihr irgendetwas Dummes und mit einem Mal wurde sie wütend deswegen. Oder traurig, verängstigt, besorgt... selten auch glücklich.

Sie hatte es nicht leicht.

„Es tut mir Leid, kleiner Bruder.“, machte sie da und starrte auf die Scherben vor sich, „Ich bin sehr verletzlich geworden in letzter Zeit, sehr schwach... verzeih es mir.“

Sie bückte sich und hob ein besonders scharfes Stück Porzellan auf, betrachtete kurz ihr schwaches Spiegelbild darin und schloss dann die Augen.

„Ich sehe nicht mehr so gut wie einst. Und das, was ich sehe... bringt mich nicht voran, sondern wirft mich eher zurück, verstehst du?“

Er verstand nicht und das wusste sie auch so, deshalb antwortete er gar nicht erst und musterte die schöne junge Frau bloß mitleidig.

Sie war seine Schwester, sie war zwar seltsam, aber er hatte sie gern. Und es tat ihm weh, wenn er nicht kapierte, was sie meinte. Dann kam er sich so dumm vor.

So versuchte er es dennoch und trat wie so oft ins Fettnäpfchen.

„Liegt es an Choraly?“

Die Ältere riss die Augen auf und ihre violetten Iriden funkelten bösartig.

„Sprich diesen Namen nie wieder in meiner Gegenwart aus!“, verlangte sie, „Sie ist die Verkörperung des Unheils, halte dich fern von ihr!“

„Und dabei sieht sie doch so nett aus...“, wunderte sich der Bruder darauf, meinte es jedoch nicht ernst.

Sie zischte.

„Nett sagst du! Ihr Leben ist eine Sünde, das Einzige, was sie verdient, ist den Tod! Sie bringt keinen Nutzen, sie macht nur Schaden, sie zerstört unsere Gesellschaft mit ihrer verwöhnten Art!“

Als sie die Scherbe ungeachtet der scharfes Kannten noch etwas fester umfasste als ohnehin schon, zog Kinai beide Brauen hoch. So schlimm? Ihr ganzer Hass schien im Moment diesem Mädchen zu gelten...

„Und was willst du gegen sie tun?“, erkundigte er sich kleinlaut und sie starrte das Porzellan in ihrer Hand starr an.

„Was ich tun will oder was ich tun werde?“, sie begann, das scharfe Stück in ihren Fingern zu drehen, „Ich will sie zerfetzen... ich will ihr bei lebendigem Leibe die Haut abziehen und sie zu Leder verarbeiten, da hätten wir wenigstens etwas von. Ich will sie zerstückeln und ihren Geist... zerfetzen!“

In dem Moment rammte sie sich die Scherbe selbst mit aller Kraft in den Arm und der Junge keuchte auf, bei dem plötzlichen Anblick des dunkelroten Lebenselixiers, das in Strömen aus der Wunde drang, in die sie immer tiefer hinein bohrte.

„Und das werde ich auch tun!“

Der 14-jährige schlug sich geschockt die Hände vor das Gesicht, als sie den Splitter wieder aus der Wunde zog, um ihn darauf abermals mit voller Kraft hinein zu rammen.

„Du bist wahnsinnig!“, schrie er, „Du bist doch völlig verrückt!“

Shakki grinste verzerrt.

„Bring mir eine Schale...“
 

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Den ganzen Tag im Bett zu liegen war auf Dauer auch dumm. Auf Dauer hieß bis kurz vor dem Mittagessen und das gab es im Haus des Dorfoberhauptes normalerweise nie all zu spät, wo es sich immer nur um eine kleine, meist kalte Mahlzeit handelte. In der Mittagshitze konnte man schlecht warm essen, das war ihr von Anfang an klar gewesen. Deshalb hatte sie sich auch niemals nach dem Grund erkundigt, so schlau war sie dann noch.

Während sie im Badezimmer unter der, im übrigen wirklich nicht richtig funktionierenden Dusche stand, fiel ihr auf, dass die Götter wohl ausnahmsweise einmal etwas Erbarmen gekannt hatten, denn der pochende Kopfschmerz war zu einem leichten Stechen abgeklungen und so natürlich wesentlich leichter zu ertragen. Wenigstens etwas.

Ertragen musste sie schließlich schon genug, wenn sie da an Mayora dachte. Er war absolut nicht einzuschätzen.

Zunächst hatte sie ihn für eine kaltblütige Bestie gehalten, dann für einen willenlosen Verlierer, darauf für einen simplen Dummkopf und kurzzeitig wieder für die kaltblütige Bestie. Sie war also wieder am Anfang angekommen, wenn man es denn so betrachten wollte. Und sie wusste noch immer nicht, wer dieser Kerl eigentlich war.

Himmelsblüter waren eben doch anders, als Menschen.
 

Sie hatte sich sehr erhofft, die Küche bis auf das bereits vorbereitete Mittagessen leer vorzufinden, doch sie wurde bitter enttäuscht.

„Doch aufgestanden?“, war die Begrüßung ihres Mitbewohners, der gerade dabei war, irgendeinen Salat zu machen, „Ich hätte dir auch was nach oben gebracht.“

Dass das nicht nötig gewesen wäre, verkniff sie sich. Es war unangenehm, mit ihm allein zu sein, das war alles.

„Wo ist deine Tante?“, wollte sie so wissen, während sie sich am Tisch niederließ und ihn von hinten beobachtete. Er schien wieder wie immer zu sein.

Andererseits, wie war er denn immer? Genau das war doch ihr Problem, sie konnte seine Persönlichkeit absolut nicht einschätzen.

Er verhielt sich so seltsam. Er hatte vermutlich gar keine Persönlichkeit.

„Sie ist irgendwo mit Imera unterwegs...“, er stellte die Schüssel mit dem nun fertigen Grünzeug bei Seite und drehte sich zu ihr um, „Sie hat in letzter Zeit so viel mit ihm zu tun... denkst du, sie hat ihn lieber als mich?“

Die Unschuld in Person. Er schien seine Frage tatsächlich irgendwie ernst zu meinen und das Mädchen hob beide Brauen. Sie verstand es einfach nicht.

„Nicht ernsthaft.“, entgegnete sie, „Du bist doch ihr einzigartiger Lieblingsneffe mit den Matsch-Haaren, wie könnte sie Imera da lieber haben als dich?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Du hattest ihn auch mal lieber als mich. Oder wieder?“

Und aus seinen Fragen wurde sie auch nicht schlau. Sie erhob sich.

„Was hat das mit mir zu tun? Imera ist ein dämlicher Idiot, aber wenigstens weiß man bei ihm, wo man dran ist! Er ist blöd und Punkt. Und du bist gestört und Punkt!“

Das musste sie ihm einmal klar machen, vielleicht half es ja. Vielleicht merkte er dann, weshalb sie ihn nicht verstehen konnte. Warum sie nicht mit ihm klar kam.

„Aber gestört ist wesentlich weiter gefächert als einfach nur blöd! Du hast keinen Charakter, du ergibst keinen Sinn! Wer bist du?!“

Mit seiner einfachen Frage hatte er sie ursprünglich nicht so weit treiben wollen, so dass er sie nun entsprechend verwirrt musterte, als sie sich vor ihm aufbaute wie eine kleine Gewitterwolke.

Frauen waren sehr kompliziert, fand er. Und er war gestört? Und hatte keinen Charakter?!

Vielleicht war er charakterschwach, aber eine Persönlichkeit war er definitiv. Fand er.

„Ich kann dir nicht ganz folgen.“, gab er so zu, „Wann habe ich je keinen Sinn ergeben? Geht das überhaupt, ein Mensch, der keinen Sinn ergibt?“

„Du bist doch noch nicht einmal ein Mensch...“

Sie schnaubte. Wie sollte sie ihm ihr Problem erklären?

Entweder konnte man eine Person einschätzen oder nicht. Das hatte im Regelfall nichts mit der einzuschätzenden Person selbst zu tun.

Aber Mayora war so eine Missgeburt!

Sie wollte gerade zu einem weiteren, vermutlich erfolglosen Erklärungsversuch ansetzen, als er ihr zuvor kam.

„Aber ich denke und fühle nicht anders als ein Mensch. Dein Problem hat nichts mit dem zu tun, was ich bin!“

Da war er wieder, der verzweifelt, ärgerliche Kräuterheini. Seine Laune wechselte auch so oft wie das Wetter in den Bergen.

Sie zischte lachend.

„Kann stimmen, muss aber nicht. Woher weißt du, wie Menschen denken und fühlen?“

Sein erschrockener Blick ließ sie triumphierend lächeln. Er sprach viel, aber hatte bloß von der Hälfte wirklich Ahnung. Dumm gelaufen.

Er schwieg.

Der Junge wusste nichts darauf zu erwidern, sie hatte gewonnen.

Und sie hatte Recht.

Andauernd ärgerte er sich darüber, nicht mit Menschen gleich gestellt zu sein, obwohl es doch gar keine Unterschiede gab, dabei wusste er das doch gar nicht. Er war nie etwas anderes gewesen als jetzt, das fiel ihm nun zum ersten Mal auf. Wie beschämend, ein solcher Fehler.

„Na also.“, kommentierte Choraly sein Verhalten gelassen und schnaubte grinsend, „Aber das war auch nicht das, was ich gemeint habe. Ich habe dich zunächst für ein Monster gehalten, ja. Aber im Großen und Ganzen... nein, damit hat es nichts zu tun. Es ist nicht zu erklären, vergiss es. Lass uns essen.“

Das hatte keinen Sinn, sie war müde, heute fehlte ihr die Ausdauer, um ihm klar zu machen, was sie meinte. Er guckte bloß blöd, angesichts ihres abrupten Themenwechsels.

„Ich glaube aber, ich verstehe was du meinst...“, kam dann langsam.

Er glaubte nicht, er hoffte. Er wollte die Sache zumindest nicht aus Bequemlichkeit auf sich beruhen lassen, dafür war sie ihm zu wichtig. Dafür war Choraly ihm zu wichtig.

„Was meine ich denn?“

Das Mädchen hob eine Braue und er senkte den Blick verlegen, denn ihm kamen mit einem Mal seltsame Gedanken und er fühlte sich plötzlich wieder so betrunken wie am Abend zuvor.

„Ich... kann es nicht erklären...“, stammelte er, „Aber... ich mag dich!“
 

Dämliche Stille.

„Was redest du für einen Müll?“

Das fragte er sich allerdings auch. Das hatte doch nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun gehabt. Aber was war eigentlich das Thema gewesen? Er blickte da nicht mehr durch.

Er wusste nur, dass er sie mochte, etwas Gescheiteres fiel ihm im Moment nicht ein. Hauptsache, er war am Reden, genau.

„Ist doch kein Müll, gemocht zu werden!“, plapperte er munter weiter, „Freue dich!“

Natürlich war es kein Müll, gemocht zu werden, das wusste sie auch. Genau so, wie er wusste, dass sie eigentlich etwas ganz anderes gemeint hatte. Das ergab schon wieder keinen Sinn!

„Okay, Auszeit!“, entschied sie weise und strich sich ein paar Strähnen hinter die Ohren, „Zusammenfassung, das führt sonst zu nichts.“

Er nickte. Ja, da konnte sie Recht haben.

„Ich komme nicht mit dir klar, weil du seltsam bist, du bist zu doof um mich zu verstehen, was mich aufregt und... du magst mich.“

„In der Tat.“

Die Beiden starrten sich eine Zeit lang stumm an.

„Lass uns essen.“

„Gute Idee.“
 

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„Pinitachen!“

Dafi knuddelte das Funkgerät voller Hingabe. Endlich meldete sich ihre Cousine mal! Endlich!

Sollten die Wachmänner um sie herum blöd gucken, endlich konnten sie sich wieder unterhalten!

„Ja, ich bin da.“, antwortete die Blonde viele hundert Kilometer entfernt amüsiert, „Wie geht es dir?“

„Verhältnismäßig gut! Ich mache so ziemlich alle Arbeit, die ich in die Finger bekomme, damit ich nicht vereinsame oder so!“, antwortete die Jüngere ehrlich mit Tränen in den Augen.

Es tat so gut, Pinitas Stimme nach so langer Zeit (eigentlich nicht all zu langer Zeit) wieder zu hören. Im Dorf fühlte sie sich im Moment nicht all zu wohl, dann kam sie sich vor, als würde sie ihre Cousine hintergehen, weil sie ihr keinen Bescheid geben konnte, wann sie ging und wann sie wieder kam.

„Überarbeite dich nicht!“, schallte ihr diese da, „Ich tu es auch nicht, verlass dich drauf. Aber ich muss noch eine Weile hier bleiben... aber deine tolle Überraschung wächst und gedeiht, freu dich drauf, ich tu es auch.“

Ja, die ominöse Überraschung, auf die war die kleine Magierin mehr als nur gespannt. Die Ältere hatte sie noch nie positiv überrascht, dass es ausgerechnet jetzt so weit war, wunderte sie.

Aber sie freute sich selbst darauf, dann schien es ja nicht ganz uneigennützig zu sein.

„Ich kann mir überhaupt nichts darunter vorstellen.“, gab sie zu, „Aber ich freue mich sehr, versprochen!“

Die Andere lachte.

„Vielleicht bist du auch geschockt, wer weiß?“

Ja, wer wusste es? Moment!

„Du wirst mir doch nicht etwa Reizwäsche mitbringen wollen? Das zieh ich nicht an!“

„Schade...“
 

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Mayora und Choraly spülten gemeinsam ab. Der Einfachheit halber hatten sie beim Essen geschwiegen, bei einem Gespräch wäre ja eh nichts Gescheites heraus gekommen. Aber nur still sein war auf Dauer auch dumm, dachte sich der Junge schließlich.

„Hat es dir geschmeckt?“

„Wie immer.“, war die kurz angebundene Antwort.

Wieder schwiegen sie. Er hatte ihr schon mehrmals gesagt, dass er sie mochte, aber sie schien ihn kein bisschen gern zu haben, dachte er sich. Schließlich war immer er es, der sich um sie bemühte und nie umgekehrt. Obwohl, als er krank gewesen war und hatte aufgeben wollen... aber das war auch das einzige Mal gewesen. Wie deprimierend.

„Du kannst mich nicht leiden.“, stellte er so gekränkt fest und sie sah zu ihm auf.

„Und du redest immer das Selbe, du Jammerlappen.“, das Geschirr schaffte sie bei Seite, „Ständig beklagst du dich, ich könnte dich nicht leiden und alle würden dich diskriminieren und deine Tante würde Imera bevorzugen, Liste beliebig fortsetzen, anstatt etwas dagegen zu tun. Geh zu deiner Mami.“

War doch wahr. Mehr als Befehlen gehorchen und jammern konnte er in ihren Augen doch nicht.

Er senkte sein Haupt.

„Meine Mama wird mir da wohl nicht helfen können.“, seufzte er, „Sicher hast du Recht, du bist schließlich eine Frau...“

Endlich mal jemand, der die Genialität des weiblichen Geschlechts erkannte. Er sollte schön weiter sprechen...

„Ich habe meine Fehler, das weiß ich doch. Aber musst du mir die immer wieder vorhalten? Ich kann doch nichts dafür...“

Und das sagte er auch oft, er konnte doch nichts dafür.

„Dann tu doch was dagegen!“, schnappte sie deshalb nur und schaute ihn eingebildet an. Unnötiges Geschwätz, er wollte ja nur Mitleid oder Aufmerksamkeit oder was man als Missgeburt so zum Überleben brauchte.

Für ihren Geschmack wurde sein Ausdruck darauf jedoch etwas zu ernst. Er schien erst eine Weile nachzudenken, ehe er etwas entgegnete.

„Und was muss ich tun, um dir zu gefallen?“

Gefallen?

„Was hast du davon, wenn du mir gefällst? Versuch erst einmal, weniger leicht zu manipulieren zu sein, das wäre schon mal ein Anfang.“

Sie war sich nicht ganz sicher, ob er verstand, was sie von ihm wollte, als er ergeben nickte und sie legte ihm seufzend eine Hand auf die Schulter.

„Immerhin versuchst du es.“, kommentierte sie gutmütig.

Sie hatte schließlich keine Lust mehr, weiter mit ihm zu diskutieren, sie redeten so wie so immer aneinander vorbei. Irgendwann sollte man es auch mal gut sein lassen.

Er seinerseits war deprimiert. Nie machte er etwas richtig, er kam sich so dumm und unnütz vor. Choraly war viel zu nett für ihn, fand er, während er seufzend die Augen schloss und seine Hand auf ihre, die noch immer auf seiner Schulter ruhte, legte.

„Aber versuchen genügt nicht. Ich will für dich perfekt sein...“

Sie kam aus der großen Stadt, sie wusste, worauf es ankam, dachte er zumindest. Wenn sie etwas kritisierte, war sie sicherlich im Recht. Natürlich, sie war immer im Recht gewesen, wie hatte er es je anzweifeln können?

Deine Tante zweifelt...

Ja, richtig. Und er hatte immer ihren Glauben geteilt, das musste es sein. War es etwa das, was Choraly mit manipulierbar gemeint hatte?

Er merkte ihren verwirrten Blick erst nach einigen Sekunden, während ihm auch auffiel, dass ihre Hand mittlerweile mehr oder minder freiwillig auf seiner Brust lag und er sie ungewollt fest hielt.

Als er zur Entschuldigung ansetzte, kam sie ihm zuvor.

„Für mich musst du sicher nicht perfekt sein. Nicht, dass du das überhaupt je werden könntest, du bist schließlich nur eine Missgeburt... aber übernimm dich nicht. Das wollte ich damit nicht erreichen...“

Mayora war ein absoluter Idiot, ein hoffnungsloser Fall. Er konnte wohl nichts dafür, aber ihn wieder auf seinen Fehler hinweisen wollte sie nicht, das tat selbst ihr zu Leid.

Er war ja schließlich doch irgendwo lieb... dachte sie sich zumindest in diesem Moment. Wie war das noch, seine Stimmung änderte sich so schnell wie das Wetter in den Bergen?

„Aber du hast doch Recht.“, machte er leise, „Ich bin wirklich ein schrecklicher... eine schreckliche Person. Ich bin nutzlos, ich beschäme lediglich alle... wenn ich das nächste Mal fiebrig bin, kümmere dich bitte nicht um mich...“

Schämen tat sich das Mädchen eher selbst, als sie merkte, dass seine hübschen roten Augen wegen ihr bedrohlich zu glänzen begannen.

„Hey, nicht weinen!“, verlangte sie gezwungen lächelnd und er zwang sich ebenfalls eines auf.

„Als Kind habe ich nie geweint.“, erklärte er leise, „Erst seit ein paar Jahren bin ich unheimlich leicht am Wasser gebaut, wie peinlich.“

Das Mädchen schüttelte den Kopf.

„Ist doch in Ordnung, dann bist du mit den Jahren halt sensibel geworden, na und? Ist okay...“, ihr erzwungenes Lächeln wurde zu einem ehrlichen Grinsen, „Und jetzt darfst du dir ganz gewaltig was einbilden, so nett wie gerade jetzt bin ich selten, ich bin schließlich eine Respektperson... oder zumindest gewesen.“

Hier gab es ja keinen mehr, der auf sie hörte.

„Ja, da bilde ich mir etwas drauf ein, Prinzessin.“, war die sanfte Antwort und er ließ ihre Hand los, um stattdessen seine eigenen vorsichtig an ihre Taille zu legen und sie zu sich zu ziehen, um sie zu umarmen.

„Das muss jetzt sein, sonst weine ich wirklich.“, erklärte er und sie schaute ihn dümmlich an, ehe sie in seinen blutroten Augen die Antwort auf alle Unstimmigkeiten seiner Persönlichkeit fand.

Seine Naivität, seine Abhängigkeit, Wut, Hass, Unschuld und Liebe in einer absolut unmöglichen Kombination in dem Jungen vereint.

„Du bist einsam...?“

Mit einem Schlag fühlte sie nur noch Mitlei

d und Zuneigung. Sie war auch allein, sie hatte ihn die ganze Zeit verstanden, ohne es zu bemerken! Und sie war so verdammt gemein zu ihm gewesen, dass ihr mit einem Mal auch die Tränen kamen.

„Verzeih mir!“, bat sie erschüttert und er lächelte verwirrt.

„Was denn?“

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, sie hatte keine Ahnung, wie sie sich am besten ausdrückte. Und nach einem Moment des Zögerns fasste sie einen folgenschweren Entschluss.

Manchmal sagen Gesten mehr als tausend Worte.

Das hatte Atti ihr beigebracht. Hoffentlich war es auch die Wahrheit, dachte sie sich, als sie sich streckte und ihn schüchtern auf den Mund küsste.
 


 


 

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So, morgen abend fahre ich dann nach Spanien ö.ö Falls ich noch dazu komme, werde ich morgen mittag noch ein Kapitel hochladen, weil ich nächste Woche ja nicht kann, aber versprechen tu ich nichts.

Von daher, bis dann und eine schöne nächste Woche wünsche ich euch, falls ich nicht mehr dazu kommen sollte~

Liebe

Einige Sekunden vergingen, bis sie sich vorsichtig wieder lösten und jeweils einen Schritt rückwärts machten, als wäre der Andere giftig. Ihre Blicke mieden sich.

„Choraly...“, kam dann leise und höchst verlegen von Mayora und das Mädchen schlug sich mit einem Mal erschrocken die Hände vor den Mund.

Was hatte sie getan? Er hatte ihr so Leid getan, er hatte so hübsch ausgesehen und sie so zärtlich umarmt, irgendetwas war mit ihr durchgegangen. Und es war schön gewesen und hatte sich richtig angefühlt, anders als bei dem Kuss an Tafayes Geburtstag, der aus purer Trunkenheit und ohne jegliche Emotion dabei entstanden war.

Aber es war doch die Missgeburt! Es schickte sich doch nicht, für ein Mädchen von Rang und Namen, jemanden wie Mayora auch nur ansatzweise zu mögen...

Wenn ihr Vater das jemals erfahren würde, würde er ihm die Haut abziehen, mit Sicherheit. Wie schrecklich, was hatte sie sich nur dabei gedacht?!

„Vergiss, was passiert ist!“, platzte es mit einem Mal aus ihr heraus, „Vergiss es, ja? Das hat nicht sein sollen!“

Sie sah ihn erbleichen.

„Aber...?“

Ihm fehlten die Worte. Wieso? Was sollte das?

„Das war ein Fehler, er ist aus Mitleid geschehen!“, seufzte sie und fuhr sich durchs Gesicht, „Ich hab dich gern, ja? Wir sind Freunde, mehr ist ungesund...“

Besonders für ihn, fügte sie in Gedanken hinzu. Wer wusste schon, vielleicht fand man sie ja tatsächlich irgendwann hier? Und dann würde Uda Magafi durchdrehen, auf jeden Fall. Und das würde dem Grünhaarigen nur schaden...

Er schaute sie verzweifelt an.

„Mitleid? Selbst du bemitleidest mich? Was muss ich denn für eine elende Kreatur sein?!“

Er wollte nicht aus Mitleid geküsst werden! Wusste sie denn nicht, dass er auch seine Würde hatte?! Das ließ er sich nicht bieten!

Der Junge drehte sich schnaubend um und verließ das Haus.

„So habe ich das doch nicht gemeint!“, machte Choraly geschockt, doch er hörte es nicht mehr.
 

Er war ziemlich durch den Wind, als er mit gesenktem Haupt durch Thilias Straßen marschierte.

Er mochte Choraly wirklich gern, das musste er sich eingestehen. Aber wie konnte sie es wagen, ihn aus Mitleid zu küssen?! Das war ja noch viel schlimmer wie ein Kuss in Trunkenheit!

Vor allem, wo er sich doch wirkliche Zuneigung eingebildet hatte, er Trottel.

„Mayora?“

Er erschreckte sich gehörig, als ihn jemand von hinten ansprach. Als er sich umdrehte, stand er Lilli gegenüber, die ihn mit schräg gelegtem Kopf musterte.

„Du siehst deprimiert aus.“, stellte sie fest und er seufzte.

„Bin ich auch etwas...“

Hatte wohl keinen Sinn, es zu leugnen, man sah es ihm an. Was war aus ihm geworden, früher hatte er seine Gefühle perfekt verstecken können! Nein, er hatte keine gehabt, so hatte man ihn erzogen... und Chatgaia hatte ihn wieder umerzogen, was hatte die nur geritten?

Was das Mädchen darauf erwiderte, riss ihn allerdings aus der Bahn.

„Das verdienst du auch, zu solltest dein ganzes Leben leiden, bis du irgendwann daran zu Grunde gehst.“

Er war zu verblüfft, um etwas zu sagen, so sprach sie monoton weiter, ohne eine Miene zu verziehen.

„Ich wollte eigentlich niemanden sehen, aber alle sind gekommen. Alle sind gekommen und haben mir ihr Mitgefühl gezeigt. Selbst Imera ist da gewesen, der hat sich sogar sehr um mich bemüht, das hat mich durchaus positiv überrascht.“, sie senkte ihre Brauen, „Bloß Chatgaia und ein paar andere Persönlichkeiten sind nicht gekommen, aber das tun sie ja bei niemandem. Aber du bist auch nicht da gewesen... wärst du gekommen und hättest mir gesagt, dass du einen Fehler gemacht hast, dann hätte ich dir verziehen! Ich hätte dir verziehen, Mayora Timaro!“

Ihre Stimme wurde beim Sprechen immer lauter und die wenigen Leute auf der kleinen Nebenstraße reckten neugierig ihre Köpfe in Richtung der Beiden.

Dem Jungen stockte währenddessen der Atem. Richtig, er war kein einziges Mal bei ihr gewesen. Auf Tafayes Geburtstag hatte sie ihn schon nicht angesehen, er hatte sich allerdings nichts weiter dabei gedacht. Dabei war sie ihm wütend, und das auch noch völlig mit Recht!

„Aber selbst davon hätte ich absehen können. Verständlich, dass du dich nicht getraut hättest, über einen kleinen Brief hätte ich mich auch gefreut. Ein Zettel. Meinetwegen ein gemaltes Bild, aber es kam nichts, Mayora, gar nichts! Weißt du, was das heißt?“

Er reagiert nicht darauf und sie keuchte vor Wut.

„Dass du es nicht bereust. Du bereust nicht, was wegen dir geschehen ist! Nein, du bist mir keine Rechenschaft schuldig, sicher nicht, das bilde ich mir auch nicht ein, aber diesem Kind in meinem Bauch bist du es!“

Sie deutete auf ihren gerundeten Bauch und er dachte sich, dass sie Recht hatte, sie hatte völlig Recht.

Die Menschen um sie herum suchten nun nach Möglichkeit auch das Weite, wo das „Gespräch“ doch nun etwas unangenehm zu werden schien...

„In ein paar Jahren wirst du das Oberhaupt dieses Dorfes sein, Mayora, dann werde ich einen kleinen Jungen oder ein kleines Mädchen bei mir haben, dass irgendwann merkt, dass alle anderen Kinder einen Papa haben und es wird mich fragen, wo seiner ist. Und weißt du, was ich ihm antworten werde? 'Frag das Dorfoberhaupt, es hat Recht getan.'“

Ihr standen die Tränen vor Wut in den Augen.

Und er stand ganz still und schien nur zu lauschen. Dabei war er bei ihren eisigen Worten bloß zur Salzsäule erstarrt und hatte das Gefühl, sich vor Scham jeden Moment übergeben zu müssen.

„Aber was erwarte ich von dir?“, schnappte sie dann und schluckte den Klos in ihrem Hals tapfer herunter. Vor ihm würde sie sich nicht die Blöße geben, zu weinen.

„Du bist nur Chatgaias Puppe, oder? Ich habe immer an dein Herz geglaubt, weil ich das grundsätzlich bei jedem tue, aber du hast mich davon überzeugt, dass ich falsch liege. Du hast kein schlechtes Gewissen, nein. Aber du bist unschuldig, du kannst nichts dafür, ein schlechtes Gewissen hat dir nie jemand beigebracht, hab ich Recht?“

Er blieb weiterhin stumm. Lilliann war ein durch und durch liebes Mädchen, aber in diesem Moment verspürte sie einfach nur die unbändige Lust, ihn fertig zu machen, ihn innerlich am besten völlig zu zerstören. Er sollte leiden!

Sie grinste eisig.

„Dein Vater hat auch nie ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn er dich mit einem Rohrstock verprügelt hat, oder? Wenn du nichts zu essen bekommen hast, tagelang eingesperrt in deiner kleinen, schmutzigen Kammer, wenn deine kleine Seele nach Sonnenlicht geschrien hat...“

Das Gesicht des Jungen wurde kreidebleich und die Jüngere freute sich diebisch über ihren Erfolg.

Das war nicht ihre Art, ganz und gar nicht. Aber wenn sie ihre unbändige Trauer und Wut nicht an ihm abließ, an wem dann?

„Jeder weiß, was du erlebt hast, jeder weiß es und alle schweigen es tot. Weil es niemanden interessiert, weil jeder weiß, dass aus Opfern irgendwann Täter werden, das hast du eindrucksvoll bewiesen.“

Das war zu viel.

„Ich bin nicht so wie mein Vater!“, schrie er ihr ungewollt schrill entgegen und sie zuckte unweigerlich etwas zusammen, „Denk noch nicht einmal daran, mich mit ihm zu vergleichen!“

Er keuchte und begann trotz der unbarmherzigen Hitze von oben zu zittern.

Sie hob beide Brauen.

„Hatte ich nie vor, ich wollte dein Verhalten bloß entschuldigen, hast du das nicht bemerkt? Du hast kein schlechtes Gewissen, weil du weißt, dass dein Vater auch keines gehabt hätte, wenn jemand wegen ihm tot wäre.. oh, ich vergaß!“

„Nein!“, unterbrach er sie, „Sprich es nicht aus, ich habe verstanden! Lilliann, es tut mir Leid, du musst mir nicht verzeihen, aber bitte sei still. Sei einfach still!“

Sie spuckte vor ihm auf den Boden, als er sie apathisch keuchend anstarrte.

„Nenne mir einen Grund, weshalb ich dir diesen Gefallen tuhen sollte.“, verlangte sie kalt und konnte sich einen Moment lang nicht erklären, weshalb sich seine verkrampften Gesichtszüge wieder etwas entspannten, dann bemerkte sie Naga, der plötzlich neben ihr aufgetaucht war und sie zärtlich in den Arm nahm.

„Weil er Chatgaias Neffe ist.“, antwortete er ungefragt, „Denk mal, was die dir antun könnten. Deinem Baby, zum Beispiel.“

Himmel, daran hatte sie ja gar nicht gedacht! Sie starrte ihn geschockt an und war nicht mehr fähig, ein Wort zu sagen. Sie durfte ihr Kind doch nicht in Gefahr bringen!

Der Schwarzhaarige schaute unterdessen schnaubend zu dem kreidebleichen Magier.

„Denk trotzdem mal über ihre Worte nach, Götterschande.“

Er nahm das Mädchen an der Hand und führte sie fort.
 

Götterschande. Immer nannten sie ihn Götterschande. Alle nannten ihn so.

„Ich werde euch noch zeigen, was eine Götterschande ist, damit ihr die Bedeutung dieses Wortes irgendwann richtig einzuschätzen wisst!“, schwor er laut, aber niemand reagierte darauf.

Dann seufzte er erschöpft.

Fast wäre er wirklich zusammengebrochen, das war gerade noch einmal gut gegangen, er konnte Naga eigentlich dankbar sein. Zu viel schlechtes zur falschen Zeit, das kam nicht gut.

Und vor allem, wo er doch wirklich im Fehler gewesen war. Er war Schuld an Jiros Tod, aber er hatte es einfach verdrängt und sich somit auch nicht um die arme Lilli gekümmert. Und das hätte er müssen. Sogar Imera hatte daran gedacht, verdammt...

Es schmerzte ihn, zusätzlich noch so etwas Dummes getan zu haben. Oder eher nicht getan...

Der Junge schloss verbittert die Augen.

Er konnte nichts, niemand mochte ihn und alles war dunkel. So dunkel wie in besagter Kammer, die lange Zeit sein Zimmer gewesen war. Der Raum mit dem lichtlosen Fenster.
 

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„Denkst du, ich sollte mich einmal mit ihr unterhalten?“

Chatgaia starrte in das Blätterdach des Kaliri-Baumes, unter dem sie mit ihrem Geliebten lag, und seufzte. Es war angenehm, so lange man im Schatten war...

„Mit wem über was?“, der junge Mann seufzte ebenfalls, „Soll ich Gedanken lesen?“

„Kannst du das?“, fragte die Frau scherzend zurück und kuschelte sich dichter an ihn.

Das konnte er natürlich nicht und so lachte er bloß blöd. War doch gar nicht lustig gewesen...

„Mit Choraly über Mayorachen. Vielleicht schreckt es sie ab, wenn sie etwas über ihn weiß...?“

Er gackerte weiter.

„Sei nicht so eifersüchtig!“, tadelte er sie amüsiert und sie setzte sich schnaubend auf.

Eifersüchtig, na der hatte eine Ahnung.

„Mit Eifersucht hat das nicht viel zu tun. Ich befürchte bloß, sie unterschätzt ihn.“

Sie ahnte bereits, dass er auch das nicht verstehen würde, bevor er dumm aus der Wäsche schaute. So wurde sie jedoch bestätigt.

„Ist er gefährlich oder so?“

Und wie. Nein, ernsthaft, das verstand er nicht. Dafür war er nicht reif genug.

„Eine tickende Zeitbombe.“, tat sie es ab und legte sich wieder hin, um sich an ihn zu schmusen, „Ich werde mich mit ihr unterhalten.“

Der Jüngere verstand nur Bahnhof, aber eigentlich war es ihm auch recht gleich, welche Probleme Mayora und Choraly oder sonst wer mit wem hatte, so lange sich das Dorfoberhaupt genügend Zeit für ihn nahm. Er war nun einmal ein Egoist.

„Ich bin eine Egoistin.“

Das kam ja gut. Er schaute die Frau besorgt an.

„Warum so plötzlich?“

„Das weißt du genau.“, war sie Antwort und sie vergrub ihr Gesicht schutzsuchend an seiner Brust.

„Du denkst zu viel, Chatgaiachen.“
 

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Choraly spülte angesäuert zu ende ab. Hatte sie ja müssen, die Missgeburt hatte sie ja einfach allein gelassen.

Sie errötete, als sie an ihn dachte.

Aus Mitleid geküsst, sie war echt gemein. Aber sie hatte nun einmal ausnahmsweise schneller gesprochen als gedacht, selbst ihr passierte das mal.

Sie hielt seufzend inne.

Hoffentlich war er ihr nicht mehr böse, sie mochte den Trottel doch. Aber wie sollte sie die Sache mit ihm klären?

Ach, die Sache mit Imera war einfacher gewesen. Klar, mit dem hatte sie ja Schluss machen müssen und das nur wegen seines nutzlosen kleinen Cousinen, wäre sie bei ihm geblieben, hätte sie dieses Problem nun weniger.

Aber Imera war auch ein vollkommen hohler, nutzloser Idiot, von daher hatte sie Recht getan. Wer wollte schon freiwillig mit dem zusammen sein? Man hatte sie ja gewarnt gehabt, sie hätte hören sollen...

Jetzt war es auch egal. Die Zeit mit dem Deppen war vorbei.

Warum hatte sie sich eigentlich so schnell auf den eingelassen? Damals war ihre Hoffnung, gefunden zu werden, doch noch viel größer gewesen und auf einen Kerl wie den Braunhaarigen hätte ihr Vater sicherlich nicht sonderlich viel besser reagiert wie auf Mayora.

Aber Mayora war ein Himmelsblüter. Da war das Problem. Er war Abschaum. In ihren Augen so wie in den Augen der Welt.

Egal wie nett er war, egal wie hübsch er war, sie konnte ihn nie als normalen Mann betrachten. Anders als er hatte sie auch noch keinen einzigen Gedanken an eine ernsthafte Beziehung zwischen ihnen verschwendet, es war einfach völlig absurd. Sie waren nicht das Selbe, sie konnten nicht zusammen sein. Basta.
 

Mit einem leisen Quietschen öffnete sich die Haustür und der Junge, dem so eben noch ihre Gedanken gehört hatten, betrat sein zuhause. Er sah gerändert und blass aus und schaute auch nicht auf, als sie ein paar Schritte auf ihn zu trat.

„Mayora...“, flüsterte das Mädchen leise seinen Namen, doch seine einzige Reaktion war, dass er seine roten Augen schloss.

„Hör mal, ich hab das vorhin nicht so gemeint, ich...“

„Halt den Mund!“

Sie zuckte zusammen, als er wieder aufsah und sie bedrohlich fixierte. Dann seufzte er.

„Tut mir Leid... reden wir später, ja? Mir geht es nicht so gut...“

Er ging zur Treppe, doch sie hielt ihn noch einmal auf.

„Du wirst doch nicht etwa wieder Fieber bekommen, oder? Das tust du mir doch nicht an!“

Sie hasste es, dass man ihn mit Samthandschuhen anfassen musste und noch mehr, dass sie immer vergaß, es zu tun. Verdammt, es war wirklich nervig!

„Ich hoffe nicht...“, erwiderte er nach einigem Zögern, „Das würde dir also wirklich etwas aus machen? Weil du dich dann schlecht fühlen würdest, weil du ja so mit mir leidest?“

Choraly schnaubte. Er ließ sie nicht erklären, weil es ihm ja ach so schlecht ging, aber auf den Missverständnissen herum reiten konnte er, na toll. Männer.

„Nein, das macht mir etwas aus, weil ich dich ziemlich lieb habe, du Blödmann, und weil ich dann natürlich besorgt bin, obwohl du Volldepp es eigentlich noch nicht einmal im Ansatz verdienen würdest!“

Wie unsozial, er trat ja mit Füßen nach ihr, dabei war sie doch der Mensch!

Wie gern hätte sie ihm das ins Gesicht gesagt, doch sie hütete sich davor, ihre verärgerten Gedanken kund zu tun, als seine Iriden wieder seltsam zu funkeln begannen.

Da war es wieder. Man konnte den Typen nicht einschätzen. Vielleicht war es gesünder, einfach den Mund zu halten?

Jedenfalls eine weit aus angenehmere Variante, als mit dem gruseligen Typen wieder über sein unlogisches Verhalten zu diskutieren. Mal ganz davon ab, dass da eh nie etwas bei herauskam...
 

Er drehte sich wieder ab und tappte langsam die hölzerne Treppe empor. Im Moment brauchte er einfach etwas Ruhe. Er wollte ja nicht gemein zu ihr sein – es geschah einfach. Chatgaia hätte ihre Leine kürzer halten müssen, dachte er sich, dann wäre er auch nicht so... außer Kontrolle.

Vielleicht hatte sie sogar Recht und seine Seele war wirklich böse, wer wusste es schon? Er seinerseits wusste überhaupt nichts mehr, als er sich einfach nur fertig auf sein Bett fallen ließ.

Er würde kein Fieber bekommen, nicht dieses Mal.
 

Choraly war sich da nicht so sicher und fand sein Verhalten mehr denn je besorgniserregend. Vielleicht sollte sie wirklich mal mit dem Dorfoberhaupt reden?

Chatgaia, dein Neffe ist unlogisch, mach mal was!

... die Idee war noch nicht ausgereift. Außerdem war die Frau ihr eh gruselig, ein Gespräch mit ihr war wirklich allerletzte Wahl. Manchmal musste man auch allein klar kommen.

Natürlich, sie hätte auch einfach alles so lassen können, wie es bisher gewesen war. Mayora hassen und ihn meiden, stattdessen den ganzen Tag bei Lilli oder auch Dafi herumlungern und nutzlos sein.

Aber zum einen hasste sie die Rolle der oberflächlichen Stadtgöre inzwischen und zum anderen gefiel ihr der Gedanke, ihren Mitbewohner zum Freund zu haben wesentlich besser, als ihn zu verabscheuen. Und vor allem, als von ihm verabscheut zu werden.

Der Tag, an dem sie sich um einen Menschen bemühen musste, schien gekommen zu sein. Und dabei war der Mensch noch nicht einmal ein Mensch...

„Atti... ich bräuchte dich jetzt.“

Ihr Blick schweifte aus dem Fenster. Draußen schien die Sonne, wie immer. Ob ihr Kindermädchen wohlbehalten im Himmelreich angekommen war? Sie hoffte es sehr.

Sie war so schlau gewesen und so lieb. Was hätte sie an ihrer Stelle gemacht?

Mayora ist einsam, fiel dem Mädchen plötzlich wieder ein und es blinzelte, als es sich an Worte erinnerte, die Atti vor vielen Jahren einmal zu ihr gesagt hatte.

Menschen lügen... Ein 'ja' ist oft ein 'nein', frag nicht wieso, dass weiß niemand, aber Menschen lügen. Wenn sie dich wegschicken, weil sie weinen, lügen sie, denn in Wahrheit wollen sie Gesellschaft.

Das hatte sie ihr kurz nach Semeras Tod gesagt. Damals hatte sich das kleine Mädchen in seinem Zimmer verbarrikadieren und niemanden sehen wollen, doch Atti war trotzdem zu ihr gekommen und hatte damit genau das getan, was sie sich gewünscht hatte, tief in ihrem Inneren.

Ob Himmelsblüter genau so tickten? Dann wäre es ja an dieser Stelle fast schon ihre Pflicht, sich um den Jungen zu kümmern! Wenn sie schon mal eine so helle Erkenntnis hatte...

Danke Atti.
 

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„Hab ich dir nicht gesagt, dass ich meine Ruhe haben möchte?“

Choraly schnaubte nur, als er sich in seinem Bett aufsetzte und böse zur Tür schaute. Nein, von seinem Blick ließ sie sich jetzt nicht abschrecken, sie wusste schließlich, dass er nicht der Wahrheit entsprach.

„Du willst gar nicht deine Ruhe haben, Missgeburt!“, fuhr sie ihn eiskalt an und er hob eine Braue, sie noch immer eiskalt fixierend.

War vielleicht nicht gerade perfekt, ihn mit diesem liebenswürdigen Kosenamen anzusprechen, aber er schaute ja auch unfreundlich, da durfte sie das ruhig. Ausnahmsweise, wäre vielleicht für ihr späteres Leben ganz vorteilhaft, sich diesen Ausdruck abzugewöhnen.

„Wenn ich nicht meine Ruhe haben wollte, würde ich nicht in meinem Bett liegen, oder?“, entgegnete er da grantig und sie musste bei seiner Einfältigkeit grinsen.

„Oder andersherum; wenn du wirklich deine Ruhe haben wolltest, würdest du dich irgendwo verkriechen, wo dich niemand findet und nicht hier, ein paar Räume von mir entfernt.“

Nun hob er beide Brauen und die Boshaftigkeit wich der Irritation. Das Mädchen grinste triumphierend und als er sie eine Weile stumm betrachtet hatte, entschloss sie sich, zu ihm zu gehen und sich zu ihm ans Bett zu setzen.

„Hör mal.“, begann sie, „Ich meine es schon eine ganze Weile nicht mehr böse mit dir, ja? Du bist ein ganz Lieber, das ist mir mittlerweile auch klar.“

Er senkte seinen Blick, als die Jüngere seine Hände zärtlich in ihre nahm. Wünschte er sich nicht schon seit Ewigkeiten solche Worte zu hören? Aber er konnte sich nicht darüber freuen, das war der falsche Augenblick...

„Lass mich in Ruhe...“, versuchte er also abermals und sie schüttelte nur verständnislos den hübschen Kopf.

„Ich bleibe bei dir.“

Sie rutschte etwas näher an ihn heran und lehnte dann den Kopf an seine Schulter, einzig um ihren Willen zu demonstrieren.

Schon etwas doof, wo sie doch keinen Grund für ihren Verbleib nennen konnte. Aber ihm jetzt auch noch zu erklären, dass sie ihn durchschaut habe, kam ihr doch unpassend und zu gemein vor. Irgendwo in ihr war am Ende doch noch ein guter Mensch...

„Wenn du jetzt bei mir bleibst, darfst du nie wieder von meiner Seite weichen.“, entgegnete er dann irgendwann und sie blinzelte.

„Wie meinst du das?“

Nie wieder? Wollte der Hund jetzt auch ein Haustier?

Der junge Mann fuhr sich seufzend durchs Haar.

„Wo soll ich anfangen?“, fragte er sich dann mehr selbst und starrte die Wand vor seinem Bett an.

Dann begann er.

„Du bist so ganz anders als alle anderen Leute hier. Und du hast dich nicht einfach den Tatsachen ergeben, du hast gekämpft, Choraly. Du hast so lange gekämpft und an der richtigen Stelle entschieden, aufzugeben und dein Schicksal anzunehmen. Und es tut mir im Herzen weh, dass du das verbunden mit so viel Schmerz tuhen musstest.“

Er machte eine kurze Pause. Wenn sie schon einmal bei ihm war, dann konnte er auch gerade eine der vielen Lasten, die er mit sich trug, los werden. Auch wenn es ihm, nach dem, was geschehen war, nicht so ganz leicht fiel. So wie so nicht.

Als er ihren Blick immer erwartende werden sah, sprach er weiter, sie von der Seite her anschielend.

„Du hast mich von Anfang an beeindruckt, Mädchen aus der großen Stadt. Einer Person, die auch nur ansatzweise mit dir vergleichbar ist, bin ich noch nie begegnet. Du scheinst perfekt zu sein, mit all deinen liebenswürdigen kleinen Macken, die du hast. Und als ich dich damals zum ersten Mal gesehen habe, ich war geschockt!“

Ihre Blicke trafen sich.

„Du warst so bildschön. Niemals hätte ich gedacht, dass du gerade mit einer Flugmaschine abgestürzt warst, du erschienst mir viel mehr wie ein hübsches Geistermädchen. Dass ich dich so geschockt habe, hat mir so Leid getan... aber ich kann nichts für das, was ich bin.“

Choraly errötete dank des lieben Komplimentes ein wenig und klammerte sich vor Rührung noch etwas mehr an seine Hände.

„Nein, kannst du nicht. Es gibt doch sicherlich auch etwas positives daran, kein Mensch zu sein?“

Mayora nickte.

„Bestimmt. Es ist schwer zu erklären, aber ja, natürlich. Sonst wäre es wirklich unsozial von der Natur, oder?“

Sie lächelte.

„Jedenfalls...“, vor dem, was jetzt gleich kam, gruselte es ihn ein wenig und so schaute er wieder weg, „Du hast mich beeindruckt. Du hast mich schwach und stark in einem gemacht und du hast mich zum Denken gebracht. Durch dich wurde ich erst zu so etwas ähnlichem wie einer Persönlichkeit, zum ersten Mal in meinem Leben. Deshalb verzeih, wenn ich in letzter Zeit komisch bin, das ist alles so neu für mich...“

Machte er wieder den selben Fehler?

„Übertreibe nicht, Mayora, das kommt dir sicher nur so vor. Ich bin doch eigentlich echt ätzend.“

Er schien völlig geblendet von ihr zu sein, aus welchen Gründen auch immer, doch er ließ es sich nicht sagen und schüttelte nur den Kopf.

„Du bist eine kleine Göttin, Choraly. Ich habe es zunächst auch nicht erkannt und war oft... verletzt, von dem, was du zu mir gesagt hast, aber im Nachhinein ergibt jedes Wort für mich einen Sinn. Vielleicht für dich nicht direkt, vertrau mir einfach.“

Ganz überzeugt war sie nicht, aber sie wollte ihm auch nicht mehr widersprechen und nickte einfach. Wie gütig von ihr.

„Ich bin dir so unendlich dankbar für das, was du für mich getan hast. Es war schmerzhaft, aber nur zu meinem Besten. Und zu meinem Besten handelt selten jemand. Du hast es getan, du kleine Göttin, hübsche, schlaue Prinzessin.“

Er schloss errötend seine Augen.

„Und dafür liebe ich dich.“
 

Sie zog die Hände weg und schnappte nach Luft. Bitte?

„Mayora!“, sie wusste nicht richtig, was sie sagen sollte, und er schielte abermals bloß schüchtern zu ihr herüber, „Was redest du da? Du weißt nicht, was du sagst!“

Der Junge sah auf.

„Ich liebe dich von ganzem Herzen.“, wiederholte er, „Aber keine Sorge, ich weiß, dass du unerreichbar für... etwas wie mich bist.“

Sein Blick war von tiefer Trauer gezeichnet und sie keuchte.

„A-aber...?!“

„Ja, damit kann ich leben.“, antwortete er, ehe sie fragen hatte können, „Natürlich würde ich dich gern an meiner Seite sehen... vielleicht mit einem... Baby, oder so... aber ich weiß, dass das völlig ausgeschlossen ist.“

Schweigen.

Jetzt war es endlich raus, eine Last weniger. Der junge Mann musste unwillkürlich etwas lächeln. Am Ende war er sogar noch mutig... oder so ähnlich.

„Lass mich... darüber nachdenken, Mayora.“, kam dann gepresst von dem Mädchen, dessen Augen mit einem Mal bedrohlich zu glänzen begonnen hatten. Er hob beide Brauen.

„Musst du jetzt weinen?“

Ein Nicken folgte nach kurzem Zögern ihrerseits.

„Ich bin jetzt ganz schlimm verwirrt.“, jammerte sie und schluchzte, „Das macht mir Angst.“

Er verstand sie besser, als sie es sich erträumen konnte. Wenn alles, woran man geglaubt hatte, plötzlich auf dem Kopf stand, kamen einem schon mal die Tränen.

Sie war so zart, seine kleine Prinzessin...

„Du musst nicht weinen, alles wird gut, alles ist in Ordnung.“, versicherte er ihr behutsam und legte einen Arm um ihren zierlichen Körper, sie dicht zu sich ziehend.

Er konnte ja nichts dafür, dass er so viel Nähe zu ihr wollte, wie nur möglich...

„Aber...?“

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Oder was sie denken sollte.

Sie hatte mit so vielem gerechnet, aber nicht damit. Und dabei hatten sie sich sogar schon geküsst... wo das doch ein eindeutiges Zeichen der Liebe zwischen zwei Menschen war.

Da war es wieder, Menschen, Mayora war kein Mensch.

Und deshalb liebte sie ihn auch nicht und würde es nie tun.

„Fass mich nicht an!“

Sie sprang mit einem Mal fauchend auf und er starrte sie aus großen Augen an.

„Ich will nicht von die geliebt werden, du Abschaum! Such dir gefälligst eine andere Missgeburt, du bist doch pervers!“

Dann verschwand sie aus seinem Zimmer.
 

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„Du musst vorsichtiger sein, Lilliann!“

Naga schlug auf den unschuldigen Tisch vor sich, die junge Frau saß ihm schweigend gegenüber, ihren Blick in ihren Schoß gerichtet. Oder eher auf ihren runden Bauch, der ihn überdeckte.

„Der Typ hat keinen Charakter, er ist völlig wahnsinnig! Komm ihm nicht dumm, ich würde es nicht aushalten, dich oder dein Kind auch noch sterben zu sehen, wo wir doch auch schon so lange befreundet sind!“

Sie nickte.

„Danke, dass du so auf uns aufpasst. Aber ich konnte nicht anders, es musste einfach raus.“

Er verstand sie, und wie. Sie war so herzensgut, die Sache mit Jiro hatte sie völlig verändert, auch wenn die Meisten nicht viel davon mitbekamen. Aber er kannte sie schon, seit sie noch klein gewesen waren, er merkte mit jedem Tag mehr, wie sie anders wurde.

„Ich weiß.“, der junge Mann seufzte, „Aber dann sag es jemand anderem, mir, Tai oder meinetwegen auch Choraly, aber doch nicht dem „Feind“ persönlich, das ist unvorteilhaft, Lilli.“

„Aber das ist doch nicht das Selbe!“

Er zuckte zusammen, als sie ihn mit einem Mal so anfuhr.

„Es geht mir doch nicht darum, mich abzureagieren, Naga! Ich will, dass er weiß, was er getan hat, ich will, dass er Schmerzen hat!“

Leid sollte er erfahren. Dabei kannte er es doch eigentlich schon, noch unverständlicher, wie er ausgerechnet ihr so Großes antun hatte können. Sie hatte ihm doch nie etwas getan. Das Mädchen aus der großen Stadt hatte wirklich Recht gehabt, er war eine Missgeburt, er musste einfach eine Missgeburt sein.

„Der leidet sicher.“, überlegte der Schwarzhaarige sich laut, „Auf seine eigene gestörte Art bestimmt...“

Für ihn war das, was geschehen war, genau so unbegreiflich wie für sein Gegenüber. Er kannte Mayora auch schon lange, nie hätte er ihm so etwas zugetraut. Bei anderen schon, aber doch nicht bei Leuten, die ihm nahe standen. Und Jiro war doch ehrlich nett gewesen.

„Ich weiß...“, wurde er da aus seinen Gedanken gerissen und blinzelte, als die junge Frau ihren Kopf plötzlich gesenkt hielt und er Tränen auf die Tischplatte tropfen sah, „Ich weiß es doch... aber ich vermisse meinen Jiro so...“

Das taten sie alle, aber das wollte das Mädchen nun ganz bestimmt nicht hören. Er musst sie aufheitern.

Eigentlich fiel es ihm leicht, Menschen aufzumuntern, aber in diesem Fall...

„Weißt du noch...“, begann er trotzdem zögernd, „Vor zwei Jahren oder so war das, da hat er sich einmal ganz übel mit Imera geprügelt.“

Sie sah auf und nickte. Er grinste.

„Weißt du auch, weshalb?“

„Das hat er mir nie gesagt.“, gestand sie und der Ältere grinste wissend.

„Er hat gedacht, er wollte dich ihm ausspannen, also hat er dich verteidigt.“

Sie lächelte gerührt. Das war ihr Jiro gewesen. Er hätte alles für sie getan.

„Fragt sich nur, warum Imera ihm nicht einfach gesagt hat, dass es nicht so ist.“, fragte sich Naga weiter, während Lilli unter einer plötzlichen Erinnerung kichern musste.

„Wenn man ihn geküsst hat, hatte man danach Sand zwischen den Zähnen, das knirscht so widerlich!“

Er war ein wirklicher Schmutzfink gewesen, immer schon.

„Ich weiß!“, bestätigte ihr Gegenüber darauf ebenfalls lachend und sie schaute ihn blöd an.

„Äh... dumm gelaufenes Flaschendrehen auf einem Geburtstag, war eklig.“

Einen Moment herrschte Schweigen, dann lachten beide.

Erinnerungen musste nicht immer schmerzhaft sein, man sollte an den Schönen festhalten.
 

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Als Chatgaia nach Hause kam, dämmerte es bereits. Um so überraschter war sie, Choraly mutterseelenallein vor der Tür im Dreck sitzend aufzufinden, wie sie mit einem Stöcken irgendetwas in den Sand malte.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte sie sich höflich und die Jüngere sah mit ihren verheulten Augen auf, ehe sie den Kopf schüttelte.

Hatte sie sich nicht ohnehin etwas mit ihr unterhalten wollen? Wie schrecklich, ausgerechnet mit dieser kleinen Bratze... was sein musste, musste sein, sie hatte ihre Pflichten.

So setzte sie sich unerwartet neben sie in den Staub und seufzte.

„Sprich, was bedrückt dich?“

Das Mädchen starrte auf die Straße vor sich.

„Mayora.“, war die zunächst knappe Antwort und das Dorfoberhaupt fragte sich einen Moment, ob es denn tatsächlich hellsehen konnte.

„Er spricht Unsinn.“, erklärte sie dann, „Meint, ich wäre so wunderbar und er würde mich lieben. Nichts bin ich! Und von ihm geliebt werden will ich schon zwei mal nicht! Können Männer und Frauen nicht auch ganz normal befreundet sein? Was bildet er sich ein?!“

Sie schluchzte verzweifelt und hätte die Magierin gerade ihren sozialen Tag gehabt, hätte sie vielleicht sogar tröstend einen Arm um ihre Schulter gelegt. Hatte sie aber nicht, von daher war es egal. Stattdessen hob sie bloß beunruhigt eine Braue.

Er liebte sie?

„Hör mal, anstatt zu trauern, solltest du lieber stolz sein.“, die Stimme der Frau klang streng, „Es gibt nicht all zu viele Leute, zu denen er sich bekennt, ja? Ich weiß zwar ehrlich nicht, was er an dir findet, aber verlass dich drauf, mit Mayora hättest du das große Los gezogen.“

Jetzt ermutigte sie sie auch noch, wie töricht. Aber ihren Neffen auch noch schlecht machen würde sie sicher nicht, der Junge war gestraft genug.

„Und warum?“, wollte Choraly da wissen und die Ältere seufzte.

„Mayora versucht seit vielen Jahren, das genaue Gegenteil seines Vaters zu sein – und das schafft er in vielen Bereichen sehr gut. Das heißt, du hättest einen liebevollen, fürsorglichen Ehemann, der dir und euren Kindern die Sterne vom Himmel holen würde.“

Was tat sie? Das hatte sie doch gar nicht sagen wollen!

„Aber wenn du ihn nicht liebst, nützt das natürlich alles nichts.“

Entgegen gewirkt. Das Mädchen malte weiter im Sand herum.

„War sein Vater denn so schlimm...?“, erkundigte sie sich nach einer Weile des Schweigens und Chatgaia sah sie von der Seite an.

„Pauschal kann man das nicht sagen. Je nach dem, von welchem Standpunkt du es betrachtest, ja. Aber das Grundgerüst, auf dem diese Familie aufgebaut war, war von Anfang an eine Fehlkonstruktion...“

Sie strich sich ein paar ihrer hell-grünen Strähnen aus dem Gesicht.

„Ich will dir etwas erzählen, vielleicht verstehst du es dann...“
 


 


 

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So, wie ihr seht, habe ich es noch geschafft, vor meinem Urlaub ein Kapitel hochzuladen ^^ (falls das jetzt nicht aus welchen Gründen auch immer zurückgestellt wird XD).

Also, das ist dann das Kappi für nächste Woche, dann kommt logischerweise keins.

Ach ja, hier gibt es ein Zitat, das habe ich mir ganz fresch aus meiner letzten Geschichte (SmeLn) kopiert, wer herausfindet, welches, bekommt 5KT (sobald ich wieder da bin).

Und hiermit verabschiedet sich die Izzy <3

Morikas Erben

Choraly schaute das Dorfoberhaupt neugierig an. Sie wollte ihr etwas erzählen? War ja interessant...

„Ich bin ganz Ohr.“

Der Blick der Älteren verdunkelte sich.

„Möglicherweise könntest du Dinge erfahren, die nicht jeden etwas angehen, also bitte ich dich, mich einfach nur still anzuhören und nie wieder darüber zu reden, okay?“

Das Mädchen nickte.

„Nun gut. Alles begann vor etwa 22 Jahren...“
 

„Das ist nicht euer Ernst, oder?“

Chatgaia, stolze 17 Jahre alt, starrte ihre Eltern über den Küchentisch hinweg entgeistert an. Ihre zwei Jahre jüngere Schwester Tagami,um die es eigentlich ging, saß bloß gleichgültig neben ihr und schien von der großen weiten Welt zu träumen, denn dem Gespräch hatte sie wirklich bloß mit einem Ohr gelauscht. Oder einem Halben, war ihr doch egal, worum es ging.

„Warum sollten wir euch beiden Trullas an unserem neuen, noch unbeschädigten Tisch versammeln, wenn wir bloß scherzen wollten? Das könnten wir doch auch im Garten...“

Fehro Magovi, Dorfoberhaupt des Wüstendorfes Thilia und Vater der Mädchen, verschränkte die Arme vor der Brust und musterte die Beiden streng, „Hör gefälligst zu, Tagami, du liebe Güte!“

„Es geht schließlich um deine Zukunft!“, stimmte seine rosahaarige Frau Karadia ihm zu und die Tochter machte ein erstauntes Gesicht.

„Zukunft? Ich hab Zukunft?!“, sie zupfte ihrer Schwester an den Haaren, „Hast du gehört, ich hab Zukunft!“

„Heul doch!“, schnappte die Ältere und schlug ihre Hand weg, sich wieder an ihre Eltern wendend, „Bei allem Respekt, das ist die mit Abstand dümmste, lächerlichste und idiotischste Idee, die meine armen Ohren in ihrem ganzen Leben zu hören bekommen haben!“

Sie schlug genervt auf die hübsche neue Tischplatte und ihre Mutter schnappte nach Luft.

„Nicht doch, du machst Macken rein!“

„Du verstehst das nicht, Chatgaia.“, begann der Mann da, seine Gemahlin ignorierend, und seufzte, „Als meine Töchter seid ihr auch Töchter unseres wundervollen Dorfes und das müsst ihr ehren. Du tust es, indem du meine Aufgabe übernimmst, nachdem ich von dieser Welt gegangen bin... es wird also Zeit, deiner gelangweilten Schwester auch mal etwas zu suchen, womit sie unsere Heimat ehrt. Und wir sollten uns glücklich schätzen, von Herrn Timaro ein solches Angebot bekommen zu haben.“

Tagami blinzelte, als sei sie gerade aufgewacht.

„Wer ist denn Herr Timaro?!“

„Über den reden wir doch schon die ganze Zeit, Kind!“, jammerte die Mutter und Chatgaia schnaubte.

„Ach was, Angebot! Der wird für seinen hässlichen, vermutlich vollkommen verblödeten Sohn bloß kein Weib finden!“

„Hässlicher Sohn?“, machte die kleine Schwester wieder blöd und Karadia gab es auf, sie zu tadeln.

Der Vater fuhr sich seufzend durch sein grünes Haar.

„Du kennst die Geschichte von Thilia und Morika, nehme ich an, meine Tochter?“, fragte er seine Ältere und sie nickte, „Immer wieder gab es kleine Kriege zwischen uns, wir sind zwei verschiedene Völker, das ist normal. Aber in einer Zeit wie dieser, sollten wir dem Frieden einen Namen geben, findest du nicht?“

Sie hob feindselig eine Braue.

„Timaro? Na meinetwegen, aber darum geht es mir doch gar nicht!“

Allgemeines Erstaunen. Sie deutete auf ihre Schwester.

„Ihr wollt ihr die Zukunft stehlen! Sie soll aus Liebe heiraten und Kinder bekommen und nicht, weil es schick ist, irgendeinen Deppen aus dem Feindesland zu nehmen, Himmel!“

Kurz wurde es still in der Küche. Die junge Frau wusste genau, dass sie Recht hatte, da sollte ihr niemand widersprechen.

„Es ist ja auch nur ein Vorschlag, sie muss es ja nicht machen.“, erklärte die Mutter da etwas verschüchtert.

Ja, verschüchtert, Chatgaia machte ihr schon seit vielen Jahren ziemliche Angst. Darauf konnte sie allerdings nichts mehr sagen, damit hatte Tagami ja ihre Freiheit. Und eben diese wurde nun von allen Seiten angeschaut.

„Was?“, fragte sie verwirrt, „Ich meine, klar mach ich das, ich bin ja voll ehrbar und sowas... aber ich schau mir den Knaben erst mal an, wenn er hässlich ist, will ich ihn nicht!“

Die Eltern atmeten erleichtert aus.

„Das ist mein Mädchen!“, machte Fehro Magovi und seine Frau klatschte in die Hände.

Die ältere Tochter war weniger begeistert und wandte sich brutal an ihre Schwester, in dem sie sie an den Haaren ein Stück zu sich zog.

„Na hör mal, spinnst du jetzt völlig?! Du kannst dich doch nicht freiwillig mit irgendeinem Idioten verheiraten lassen, das ist völliger Wahnsinn!“

Tagami quiekte.

„Lass mich los, du Schlampe!“, schimpfte sie, „Ich hab doch so wie so keine Lust, mir selbst einen zu suchen und die Deppen hier hab ich eh fast alle durch!“

Die Eltern taten so, als würden sie weghören.

„Außerdem ist dein toller Harata ein größerer Idiot, als der Typ aus Morika es physikalisch sein kann, ja? Du hast mir mal gar nichts zu sagen!“

Das war wahr.

„Na dann renne doch in dein Verderben!“
 

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Eine Woche später befand sich die Familie dann im sagenumwobenen Nachbardorf Morika. Obwohl es nicht sonderlich weit entfernt war, waren weder die Mädchen, noch die Mutter je dort gewesen und so staunten sie nicht schlecht, als sie die bunten Straßen passieren.

„Was ist das für ein Boden? Die haben Steine auf den Boden gelegt!“, wunderte sich Karadia und starrte dabei auf ihre Füße.

„Das nennt man gepflastert, ich habe auch ganz schön gestaunt, als ich es zum ersten Mal gesehen habe.“, gab ihr Mann, der neben ihr ging, zu, „Die Mienen sind hier ganz in der Nähe, daher haben die so viel gutes Gestein.“

„Sehr angenehmen Trittgefühl.“, musste auch Chatgaia gestehen und sah sich um, „Als wäre man in einer anderen Welt, seltsam.“

„Und hier würde ich dann wohnen?“, erkundigte sich Tagami derweil bei ihrem Vater und der nickte.

„Natürlich. Im prächtigsten Haus als Frau des Dorfoberhauptes. Auch nicht schlecht, oder?“

„Mit dem Gedanken kann ich mich anfreunden!“, war die gut gelaunte Antwort.
 

Das prächtigste Haus war wirklich prächtig. Anders als die Bewohner, dachte sich Chatgaia, als man sie willkommen hieß. Auch ihre anderen weiblichen Familienmitglieder schienen etwas aus der Bahn geworfen. Bloß Fehro Magovi hatte die regierende Familie Morikas bis dahin gekannt und war auf sie gefasst gewesen.

„Wie schön, dass ich Sie alle in meinem bescheidenen Heim willkommen heißen darf!“

Divo Timaro, so hieß das Dorfoberhaupt, schien beim Anblick der Gäste völlig auszuflippen, immerhin hüpfte er wie ein kleines Kind auf und ab.

Außerdem sah er wirklich unmöglich aus. In eine übertrieben edle Robe gehüllt, aber die rot-braunen Haare in alle Himmelsrichtungen abstehen und unrasiert war er auch noch. Sein Parfum war überdies auch ziemlich aufdringlich, wobei es das seiner Frau noch nicht toppen konnte.

Die alte Trulla war ebenfalls aufgebrezelt bis hinter beide Ohren, trug einen Ausschnitt bis auf den Bauchnabel und war... hässlich. So fand die 17-jährige Omola Timaro jedenfalls.

War aber auch egal, wie die Eltern aussahen, ankommen tat es ja auf Alhata, ihren Sohn, dessen Frau Tagami werden sollte.

Nein, besonders hübsch war er auch nicht, aber ganz ansehnlich und nicht so verdammt übertrieben aufgemacht wie sein Vater und seine Mutter, die sich höflich nacheinander vorstellten.

„Und der da?“, erkundigte sich Chatgaia, als auch ihre Familie sich gegenseitig präsentiert hatte, auf einen kleinen blonden Jungen deutend, der ebenfalls im Flur herum stand, ganz unscheinbar und ausgeschlossen.

„Den kann man ignorieren.“, antwortete Omola in ihrer arroganten Tonlage, „Sohn meines Mannes, bei einem kleinen Seitensprung entstanden. Leider leider ist seine Mutter bei seiner Geburt drauf gegangen, seit dem hängt er bei uns herum.“

Die Leute in Morika waren Heiden, so versuchte sich das Mädchen diese in ihren Augen unglaublich widerliche Art über den Tod der Mutter des Kleinen zu sprechen, zu erklären. Da kam es nicht so sehr auf die Windgeister an, wie dümmlich...
 

Das Essen in Morika schmeckte im Übrigen auch anders, merkten sie, als sie mit ihren Gastgebern aßen und sich die beiden Dorfoberhäupter über irgendeinen Unsinn unterhielten. Dabei fiel Chatgaia auf, wie ihre kleine Schwester Alhata tatsächlich, scheue, verknallte Blicke zuwarf. Sie fragte sich echt, womit sie das verdient hatte, das war so gestört...

Der junge Mann hingegen, und das ärgerte die Schwester besonders, schenkte seiner Fast-Verlobten keinerlei Aufmerksamkeit. Er schien nicht das geringste Interesse an ihr zu haben, dabei kam die dümmliche Idee doch von seiner Familie. Und Tagami war viel zu schön für den Idioten.

Da musste etwas passieren.

„Habe ich eigentlich das Recht auf ein 4-Augengespräch mit dem zukünftigem Bräutigam?“, wagte sie in die Runde zu fragen und Divo Timaro hob verwirrt beide Brauen.

„Die große Schwester?“, fragte er und Fehro Magovi fasste sich an die Stirn.

Ja, seine Chatgaia war ein sehr engagiertes Mädchen...

„Ich wüsste nichts, was dagegen spräche.“, überlegte das zauselige Dorfoberhaupt Morikas laut, „Alhata, führe unsren Gast ins Nebenzimmer.“

Der Junge tat, wie ihm geheißen.
 

Das Nebenzimmer musste der Einrichtung nach die Stube sein, edel und sauber, sicherlich nicht schlecht. Das Sofa schien bequem.

„Willst du mir keinen Platz anbieten?“

Der junge Mann verzog keine Miene.

„Wir sind in Morika, Prinzessin, wir haben andere Sitten und legen auf andere Dinge wert. Wenn du dich setzen möchtest, dann tu es doch einfach.“

Sie tat es, Alhata blieb stehen.

„Mir gefällt die Art, wie du mit mir sprichst, ganz und gar nicht.“, machte die junge Frau, „Ich bin immerhin älter als du, du solltest mir Respekt zollen.“

Dieser Kerl war so, wie Chatgaia es vermutet hatte. Und alle anderen waren so dumm.

Er grinste nur.

„Respekt?“, fragte er diabolisch, „Du bist nur ein Weib, vor dir muss ich keinen Respekt haben! Und schon gar nicht vor so einer... Blutschande!“

Sie senkte erzürnt ihre schmalen Brauen.

„Dafür wird mein Vater dich in Stücke reißen lassen!“

Sie hatte sich doch geirrt, dieser Mann war noch weitaus abartiger, als sie gedacht hatte! Er lachte.

„Kannst du auch nur ein einziges, von mir gesprochenes Wort beweisen?“, entgegnete er scheinbar belustigt und setzte sich ihr nun doch gegenüber, „Ich habe dich beobachtet, dich und deine Familie. Du bist anders als sie, hab ich Recht? Die würden dir nichts glauben, weil du schon schlecht über mich gesprochen hast, ehe du mich kanntest. Na, dumm gelaufen...“

Allerdings, das war wahr. Damit hätte sie aber auch nicht gerechnet.

Sie keuchte vor Wut.

„Was hast du mit meiner Schwester vor?“

Auch wenn sie oft miteinander stritten, sie liebte ihre kleine Schwester und nahm ihre Aufgabe, sie zu beschützen, sehr ernst.

Er tat irritiert.

„Was soll ich mit ihr vorhaben? Das, was man von mir erwartet!“

Das war ausreichend, Chatgaia erhob sich.

„Ich habe gehört, was nötig war.“, sagte sie, ihm den Rücken kehrend, „Aber ich bitte dich, tu ihr nicht weh. Tu ihr niemals weh!“

'Sonst werde ich dir weh tun.'
 

„Moment mal!“, ungebeten unterbrach Choraly doch, „Sie meinen, Ihre Schwester hat einfach blind irgendeinen Arsch geheiratet und hat nicht auf Ihre Warnungen gehört?!“

Das Dorfoberhaupt nickte langsam und seufzte.

„Sie hat es nur gut gemeint. Sie ist zwar immer das geliebte Nesthäkchen gewesen, aber ich war immer die, auf die man stolz hatte sein können. Und einmal in ihrem Leben wollte sie unsere Eltern auch stolz machen, sie war ein gutes Mädchen, glaub es mir. Deshalb war sie auch taub für meine Warnungen...“
 

„Tagami, ich schwöre dir, er ist nicht der richtige Mann für dich!“

Die Schwestern saßen am Abend gemeinsam in Zimmer der Jüngeren und machten sich bettfertig.

Letztere war ziemlich genervt.

„Ach, rede du nur! Ich finde, er sieht ganz nett aus, das ist ja wohl die Hauptsache!“

Chatgaia schlug sich die Hand vor die Stirn.

„Es kommt doch nicht nur auf das Aussehen an!“

„Doch, mir schon.“

Ihre Blicke trafen sich. Sie meinten es ernst, beide. Und in dem Moment wurde der Älteren auch klar, dass es ab nun sinnlos war, ihre Schwester von etwas anderem überzeugen zu wollen. Sie waren vom selben Blut, sie hielten bis zum Letzten an ihren Überzeugungen fest.

„Es tut mir im Herzen weh...“, meinte sie so nur und fuhr sich durch ihr langes grünes Haar.

Lange grüne Haare hatten beide, aber die 17-jährige fand ihre noch etwas schöner als die ihrer Schwester. Sie waren noch länger...

„Mach dir keine Sorgen, Häschen.“, entgegnete Tagami da und lächelte überraschend sanft, „Mutter und Vater wollen nur das Beste für mich, die wissen schon, was sie tun. Und ehrlich mal, denkst du, ich würde nicht mit irgendeinem Kerl fertig werden? Das entehrt mich!“

Ja, wo sie Recht hatte... wer wusste es schon, vielleicht ging es ja wirklich gut? Sie war entschlossen... außerdem war sie wirklich nicht ohne, sie konnte sich in der Tat wehren. Das hatte die große Schwester schon oft genug am eigenen Leib erfahren dürfen.

„Du hast vermutlich Recht.“, gestand sie so und die Jüngere lachte gut gelaunt.

Das hatte sie hören wollen.

„Ohne deinen Segen hätte ich unseren Eltern diesen Gefallen nicht tun können.“
 

Und diesen Segen hatte sie ihr damit gegeben. Da keiner der Angehörigen mehr etwas dagegen hatte, begann man so bald wie möglich in beiden Dörfern die freudige Nachricht zu verbreiten.

Darum ging es auch – um das Volk. Es sollte sich freuen, in einer solche friedlichen Zeit zu leben, wo eine solche Eheführung so befürwortet wurde. War natürlich wirklich toll für viele Liebende, hundert Jahre zuvor war man gevierteilt worden, wenn man etwas mit jemandem aus dem Nachbarort gehabt hatte.

Den Oberhäuptern ging es, und das wusste Chatgaia sehr wohl, auch wenn es nie jemand auszusprechen wagte, um die Sicherung ihrer Macht.

Mit ihrer simplen, aber effektiven Idee gingen sie als Friedensbewahrer in die Geschichte ein. Alle Menschen, egal ob sie erst 5 Jahre alt waren und noch nie einen Krieg miterlebt hatten oder nicht, waren ihnen so für eigentlich nichts und wieder nichts zum ewigen Dank verpflichtet und keiner würde es jemals wagen, die amtierende Dorfoberhaupt-Familie zu stürzen.

Für Fehro Magovi war das besonders wichtig, weil nach ihm seine Tochter diesen Platz in Thilia einnehmen würde, als erste Frau überhaupt. Natürlich nicht offiziell, das war gesetzlich nicht möglich, ihr bis dahin sicher Ehemann Harata musste zum Vorzeigen her halten. Aber er war sich sicher, dass Chatgaia keine Hand vor den Mund nehmen würde, wenn es darum ginge, Entscheidungen zu verkünden oder Ähnliches. Und dass darauf nicht alle Dorfbewohner, besonders die vom alten Schlag, ganz so positiv reagieren würden, war bereits abzusehen. Noch nicht einmal übel nehmen konnte der Mann ihnen das.

Nicht, dass er frauenfeindlich war, keineswegs, sonst hätte er das ja überhaupt nicht zugelassen, aber seine Tochter hatte sich von Kindesbeinen an nie sonderlich ehrbar verhalten.

Mit anderen Worten, sie war ein Flittchen.

Und Tagami auch. Er konnte froh sein, dass Herr Timaro in Morika davon nichts wusste und dass dieser dämliche Harata tatsächlich dumm genug war, sich mit Chatgaia einzulassen.

Was das betraf, konnte er diesem hohlen Idioten sogar dankbar sein, er hatte seiner Verlobten ganz konsequent verboten, sich je wieder mit anderen Männern einzulassen. Wie genau er das geschafft hatte, war dem Vater ein Rätsel, aber er hatte es gut gemacht. Das war die Hauptsache.
 

Chatgaia selbst waren die Hochzeitsvorbereitungen, die von einem Tag auf den anderen in vollem Gange waren, gruselig. Sie war schon viel länger verlobt als ihre kleine Schwester und trotzdem wurde sie als Erste zur Ehefrau. Wobei, die Verlobung war auch so eine Sache gewesen. Plötzlich hieß es einfach, das Paar sei verlobt, obwohl sie sich seit ihrem ersten Treffen in Morika nie wieder gesehen hatten. War aber auch egal. Chatgaia reichte es, wenn sie diesen Idioten von Alhata auf der Hochzeit wiedertreffen musste.

Und die Hochzeit würde auch etwas ungewöhnlich werden. Ein gemeinsames Fest beider Dörfer zusammen, so etwas hatte es noch nie gegeben und nun kam es dank dem sich nicht liebendem Brautpaar, das im Übrigen in der ganzen Hysterie zu Volkshelden mutiert war, zum ersten Mal dazu.

Welch Glück, welch Glück...
 

An das Glück glaubte die junge Frau wirklich nicht, so sehr sie sich auch bemühte, am wenigsten am Morgen der Hochzeit, als sie gemeinsam mit ihrer Mutter Tagami herrichtete.

„So eine schöne Braut hat es noch nie gegeben!“, freute sich Karadia und die Tochter lächelte stolz.

„Das will ich auch meinen, ich rette schließlich die Welt!“

Die Beiden lachten.

„Schau doch nicht so bedrückt, Chatgaia, freue dich mit deiner Schwester.“

Sie nickte nur stumm. Sie war besorgt und konnte nicht dagegen tun. Sie wollte ja an die guten Worte glauben, aber sie wusste, dass an den Ahnungen, die die Feuergötter ihr schickten, nicht zu zweifeln war.

Spürte es denn sonst niemand? War sie denn die Einzige, die Tagamis Zukunft interessierte? War sie als Dorfoberhaupt vielleicht überhaupt nicht geeignet, weil sie egoistisch handeln und diese Ehe im letzten Moment doch noch unterbinden wollte? Weil das zum Nachteil beider Dörfer und beider Völker gewesen wäre?

Und das nur, um ihre eigene Seele zu beruhigen?

Wie beschämend!

Es klopfte an der Tür.

„Chatgaiachen, kannst du mal kurz heraus kommen?“

Harata, ihr eigener Verlobter. Sie hatte überall verbreiten lassen, dass sie ihn nur heiraten wollte, um ihn zu benutzen, um ihrem Ego einen kleinen Kick zu geben, aber in Wahrheit wusste jeder, dass sie ihn aufrichtig liebte. Sie würde ihn zwar trotzdem benutzen, aber sie liebte ihn. Und das war die Hauptsache. Auch wenn sie ihr nicht passte.

„Ich hoffe, du hast einen verdammt guten Grund, mich jetzt von meiner Schwester weg zu nehmen!“

Sie trat zu dem jungen Mann hinaus und knallte grantig die Tür zu, ehe sich ihr genervter Gesichtsausdruck entspannte und sie ihr Gegenüber liebevoll auf den Mund küsste.

Jenes lächelte in den Kuss hinein.

„Immer noch das Selbe.“, kommentierte er, „Ja, ich habe einen verdammte guten Grund... glaub ich zumindest.“

Er fasste sich etwas verunsichert an den Kopf und sie lachte leise und strich ihm zärtlich über die Wange.

„Leiser... die da drin müssen ja nicht alles hören.“

Irgendwie ahnte sie, worum es gehen könnte. Oder sie wurde einfach paranoid, weil sie alles auf die Eheschließung Tagamis bezog.

Zunächst einmal stellte sie sich ein wenig auf die Zehenspitzen und rieb ihre Wange zärtlich, aber prüfend, gegen die ihres Liebsten, der darauf ungewollt dämlich kicherte.

„Test bestanden.“, kam dann und die kleine Frau entfernte sich wieder etwas von ihm, „Du hast dich tatsächlich mal rasiert.“

„Ja, ich bin gut, nicht?“, war die gegackerte Antwort und seine Verlobte verschränkte seufzend die Arme vor der Brust.

„Ich würde mich jetzt wirklich liebend gern mit dir in irgendeine Ecke verkriechen und schmusen, aber leider habe ich nicht viel Zeit. Also, schieße los.“

Er nickte.

„Meine Götter besorgen mich, ich glaube, es ist nicht gut, wenn Tagami diesen Typen aus Morika heiratet.“

Chatgaia weitete die Augen minimal. Und sie hatte doch Recht. Natürlich, sie hatte immer Recht. Sie hätte auf ihren Instinkt hören müssen! Aber es war schon fast zu spät, was sollte sie jetzt noch tun?

„Ich spüre es auch.“, entgegnete sie zunächst gedämpft und zupfte nervös an ihrer aufwendigen Hochsteckfrisur, „Ich habe es die ganze Zeit gespürt, aber ich war nicht energisch genug, meine Überzeugung zu verdeutlichen und durchzubringen. Nun ist es zu spät.“

Er nahm sie ungebeten zärtlich in den Arm und sie seufzte.

Sie hasste es, wenn er das irgendwo machte, wo es jemand sehen konnte. Sie waren zwar offiziell verlobt und ein geduldetes Paar, aber keiner sollte ihre zärtliche Seite kennen. Das würde sie als Dorfoberhaupt antiautoritär machen. Nein, das durfte nicht sein, niemand durfte diese Fassette an ihr kennen lernen. Außer ihrem geliebten Harata natürlich.

Angesichts des miesen Gefühls, das mehr und mehr Besitz von ihr ergriff und der regen Hetzerei, in der die Meisten im Moment waren, ließ sie es aber zu und schmiegte sich entgegen ihres sonstigen Verhaltens schutzsuchend an ihn.

„Soll ich diesen Unwürdigen abschlachten?“, fragte der junge Mann da naiv und die Grünhaarige lachte leise.

„Das wäre eine Katastrophe, damit würdest du einen Krieg auslösen. Nein, wir werden die Beiden einfach im Auge behalten, ja? Du musst mir beistehen!“

„Ich werde dir beistehen, meine Königin.“
 

Und das tat er. Er tat es bei der Zeremonie und der Feier, die im Übrigen in Morika statt fand und danach so oft wie es ihm nur möglich war.

In Morika feierte man übrigens ganz simpel dem Paar zu liebe, das schließlich auch seine Hochzeitsnacht hier verbrachte und dann zusammen hier lebte.

Während der Zeremonie noch hatte sich Chatgaia gefragt, wie sich ihre Schwester wohl an diesem Tag fühlen musste, hinter ihrer aufgesetzt fröhlichen Fassade. Sie war so stolz und schön und brachte ein solches Opfer für ihre Heimat, das hätte sie dem notgeilen kleinen Mädchen niemals zugetraut. Und doch wurde ihr übel, wenn sie sich nur im Entferntesten vorstellte, mit diesem Alhata ein Bett teilen zu müssen.

Natürlich hatte sie schon mit vielen Männern geschlafen, die sie nicht liebte, aber zumindest eine Sympathie für sie hatte sie noch immer empfunden und sie wusste auch nichts davon, dass es bei Tagami je anders gewesen war. Oder mochte die Jüngere diesen arroganten Idioten wirklich? Das war völlig unvorstellbar für die junge Frau, wobei ihre Schwester sie schon so einige Male ziemlich überrascht hatte.

Dieses leichte Zittern, das die Braut den ganzen Tag über beibehielt, bestätigten die Vermutung des künftigen Dorfoberhauptes jedoch. Aus welchem Gründen auch immer hatte sie sich dafür entschieden, zu einer ehrbaren Frau zu werden, nach all den Jahren als nutzloses kleines Mädchen.

Und da suchte sie sich ausgerechnete den schwersten und aufopferungsreichsten Weg aus.

Nein, sie hatte gemusst.

Hätte sie diese Ehe abgelehnt, wäre sie ihr Leben lang eine Schande auf zwei Beinen gewesen.

Chatgaia erschauderte.

Diese Entscheidungsfreiheit war geheuchelt, sie hatte nie welche gehabt und es noch vor ihrer älteren, angeblich klügeren Schwester bemerkt.

Musste sie sich jetzt schämen? Sie hatte ihren Fehler zu spät bemerkt. Sie war wirklich ungeeignet als Dorfoberhaupt, wie es schien.
 

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Tagami traf sie erst eine Woche nach ihrer Hochzeit wieder. Nicht, dass sie vorher weder Zeit noch Lust auf ein Treffen mit ihr gehabt hätte, aber ihre Eltern hatten sie immer wieder davon abgehalten, nach Morika zu gehen. Eines abends hatte sie sogar ein Gespräch belauscht, in dem es darum ging, dass die Beiden befürchteten, sie würde „Alles kaputt.“ machen.

'Ihr macht selbst alles kaputt!', hatte sie sich nur gedacht und es schweigend hingenommen.

So hatte sie sich nach 7 Tagen unter dem Vorwand, etwas mit Harata unternehmen zu wollen, weggeschlichen.

Unterwegs hatte sie noch befürchtet, gezwungener Maßen auf Alhata zu treffen, doch zu ihrer Freude fand sie ihre Schwester ganz allein im Hause ihres Mannes vor. Nein, das war nicht ganz richtig, Alhatas kleiner Bruder war noch da, aber wie Omola gesagt hatte, den konnte man ignorieren, also tat sie das auch.

Mit ihrer Schwester gab es schließlich genug zu besprechen.

„Du bist blass.“, war ihre erste Feststellung, als sie sich am Küchentisch niedergelassen hatten.

Bis dahin hatte die Jüngere außer einem „Hallo!“ noch kein Wort von sich gegeben.

„Ich fühle mich auch blass.“, gab die Jüngere zu, „Hier ist alles so verdammt anders! Besser einerseits... aber fremd...“

Das hatte Chatgaia sich gedacht. Aber das war natürlich und sicherlich nicht ihr Hauptproblem. Als sie sich nach Alhata erkundigen wollte, sprach ihr Gegenüber ungebeten weiter.

„Gestern meinte mein Mann so, wir müssten zum Markt einkaufen gehen, ich dachte mir okay, gehen wir zum Markt einkaufen und dann führt er mich so zu einem Gebäude und ich frage 'Und wo ist hier der Markt?' und er ist überrascht und sagt 'Das ist der Markt!' und ich sage 'Aber das kann doch nicht der Markt sein, ein Markt hat Stände und ganz viele Verkäufer!' und er meint, das sei hier nicht so und wir gehen rein und dann ist in diesem Gebäude alles, was man zum überleben braucht! Ich meine alles, Gemüse, Stoffe, Kleidung, Vieh, geschlachtetes Vieh... alles! Und ich bin geschockt und frage meinen Mann, welchem stink-reichen Bauern dieses Haus gehört und er lacht mich aus und erklärt mir, dass das jemandem gehört, der überhaupt gar nichts produziert! Das ist so ein Mann, der kauft alles Mögliche bei den Bauern und Handwerkern ein und sammelt es in diesem Gebäude und dann verkauft er es teurer als zuvor und ich denke mir, 'Das ist doch Betrug!', aber Alhata hat mir gezeigt, wie viel Zeit man spart, wenn man alles zusammen einkaufen kann und Zeit ist schließlich Geld, da spart man also doch etwas und es gibt Mengenrabatt! Und ich denke mir 'Das ist ja doch eine gute Idee!', jetzt bin ich also doch ziemlich begeistert, aber ich meine gewöhne dich mal daran! Es kommt mir suspekt vor, ein solches Leben! Und Geld, überhaupt, Geld, hast du schon mal welches gesehen? Himmel, es ist komplizierter als man denkt, man muss furchtbar viel rechnen, wenn man es nicht passend hat! Und ich weiß ja nicht, wer im Himmel der Geldgott ist, aber mit mir ist er wirklich nicht gnädig, ich habe es wirklich nie passend! Geld ist eine dumme Erfindung, einerseits, andererseits, ohne Geld gäbe es dieses tolle Markthaus ja nicht, aber irgendwie ist es trotzdem doof, oder? Außerdem...“

„Atme!“

Die Jüngere blinzelte.

„Was ist?“

Schön. Wer so labern konnte, dem ging es bestimmt nicht sonderlich schlecht, schloss die 17-jährige und lehnte sich seufzend in ihrem Stuhl zurück. Fast hätte sie ihre Sprechanfälle vermisst, fast...

„Was ich noch sagen wollte...“, wollte Tagami da weiter machen, stockte aber, als sich ihre Schwester mit einem Mal wieder kerzengerade aufsetzte und sie böse fixierte.

„Interessiert mich vermutlich nicht die Bohne, ich bin nicht zum tratschen extra bis hier her gekommen, sondern aus Sorge! Sag, wie kommst du mit deinem Mann aus?“

Sie zögerte mit der Antwort und starrte ihr Gegenüber zunächst einmal seltsam an, worauf dieses prüfend die Brauen senkte.

„Stimmt etwas nicht?“

Sie wäre bereit gewesen, auf der Stelle aufzuspringen und diesen Bastard bei lebendigem Leibe zu häuten, wenn es denn sein musste, die frisch gebackene Ehefrau begann zu ihrer Verwirrung jedoch darauf bloß leicht zu lächeln.

„Chatgaia.“, machte sie dann, „Mir geht es gut, es ist alles in Ordnung. Wenn etwas nicht stimmen würde, würde ich mich schon bei euch melden, ja? Alhata ist mir ein guter Mann.“

Ihr Lächeln wurde zu einem Grinsen.

„Auch des Nachts.“

Nein, so genau hatte sie das nicht wissen wollen. Aus ihrer Antisympathie heraus fand sie den jungen Mann nämlich mehr als nur abartig und wenn sie sich vorstellte.... nein.

„Tu mir den Gefallen und geh jetzt nicht ins Detail, ja?“
 

Sie unterhielten sich den ganzen Nachmittag weiter. Zwischendurch kam Omola Timaro nach Hause, die genau so schlimm aussah wie bei ihrem ersten Treffen und dem Tag der Hochzeit, sich ihrem Gast gegenüber zwar distanziert, aber sehr höflich verhielt und die beiden Schwestern so gut es ging unter sich ließ. Nicht, dass sie etwas interessantes verpasst hätte, Tagami erzählte die ganze Zeit nur von den Merkwürdigkeiten ihrer neuen Heimat und wenn sie über ihren Mann sprach, dann nur Gutes. Also uninteressant für die ältere Schwester.

Sie blieb aus Nettigkeit aber trotzdem bis kurz vor Sonnenuntergang, in der Dunkelheit wollte sie nicht nach Hause, auch wenn Tagami ihr das Gästezimmer angeboten hatte.

Auf dem Rückweg kam ihr sehr zu ihrem Leidwesen Alhata entgegen.

Er grinste seltsam, als er sie sah.

„Ich hätte früher mit dir gerechnet.“, war sein Kommentar und sie schnaubte.

„Ging nicht. Du scheinst ja noch einmal Glück gehabt zu haben, ich hatte mir schon ein paar unschöne Dinge für dich überlegt.“

Bei diesem Idioten konnte sie das ruhig zugeben. Sie konnte keines seiner Worte beweisen, umgekehrt genau so wenig.

„Hört, hört!“, lachte er auch nur, „Da kann ich mich ja glücklich schätzen. Sie hat sich bisher auch ganz nett angestellt, falls es dich interessiert. Aber ihr Himmelsblüter seid ja eh perfekt, wie konnte ich vergessen...“

Es wäre spannend gewesen, zu wissen, was dieser Junge für Probleme mit ihrer Rasse hatte. Auf so jemanden war Chatgaia noch nie getroffen.

„Spare dir die Energie deines Spottes und mache damit lieber meine Schwester glücklich, ich will, dass sie strahlt!“

Er hob eine Braue, dann kicherte er blöd.

„Tut sie jeden Abend.“

Da die junge Frau kein wirkliches Interesse an einem Gespräch dieser Art hatte, ließ sie ihren Schwager wenig später nach einer knappen Verabschiedung einfach stehen. Sollte der doch schauen, wo er blieb.
 

In den nächsten Wochen und Monaten statteten sich die Schwestern immer wieder Besuche ab und nie gab es für die Ältere etwas nennenswertes zu beanstanden, was sie fast schon ein wenig ärgerte.

Interessant wurde es erst nach etwa einem halben Jahr, als Tagami zu ihr kam und klagte, sie fühle sich schon wochenlang schlecht und ausgelaugt. Chatgaia hatte von ihrer Mutter das Heilen gelernt und weil ihrer jüngeren Schwester die Medizinmänner Morikas suspekt waren, wendete sie sich an sie. So richtig eingelebt hatte sie sich schließlich noch immer nicht.

Die Diagnose der darauf ernüchterten noch immer 17-jährigen war ziemlich eindeutig und versetzte die Dörfer abermals in rege Freude, so dass man sobald es verkündet wurde wieder ein großes Fest plante.

Wie zu erahnen, Tagami war schwanger. Und glücklich. Alhata war nicht glücklich, aber zufrieden, so kam jeder zu Seinem.

„Er hat sich nie wirklich ein Baby gewünscht.“, erklärte seine Frau irgendwann während der Feier am Tisch bei ihrer Familie, „Er hat es bloß aus Pflichtbewusstsein gezeugt, aber er hat mir versprochen, sich als Vater anzustrengen.“

Darauf hatte dieser Bastard auch noch von allen Beifall erhalten, weil er für sein Volk ja so etwas auf sich nahm. Nach Tagami fragte niemand, aber die freute sich ja auch auf ihr Kind.

„Ich hoffe bloß, dass es ein Junge wird.“, war der einzige Bedenken, den sie in der gesamten Schwangerschaft geäußert hatte, „Dann muss ich nicht nochmal schwanger werden. Nicht, dass ich mir nicht noch mehr Kinder wünschen würde, aber Alhata mag ja Babies nicht so gern...“
 

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Je mehr Zeit verging, desto mehr Ehrfurcht hatte Chatgaia vor ihrer kleinen Schwester und sie fragte sich, ob sie sich ihr Leben lang in diesem Mädchen geirrt hatte. Sie war zu der Vorzeigefrau Thilias geworden, und das, indem sie ihre Heimat verlassen hatte, um mit einem fremden Mann eine Familie zu gründen. Dabei fragte sich die ältere Schwester, wie es wohl für das Kind oder möglicherweise die noch ungeplanten Kinder sein würde, wenn die Eltern sich nicht liebten. Oder liebten sie sich inzwischen?

Tagami war ihre Schwester, als sie sich nach ein paar Monaten in Morika zum Tee trafen, fragte sie sie einfach danach.

„Ob wir uns lieben?“

Die werdende Mutter war überrascht, so etwas gefragt zu werden. Dann senkte sie lächelnd ihr Haupt und streichelte ihren runden Bauch.

„Sagen wir, auf unsere Art. Ich habe ihn sehr lieb gewonnen, ich kann nur hoffen, er mich auch... uns auch. Aber...“

Sie schaute grinsend auf.

„Immer reden wir von mir, was ist mit dir, große Schwester? Mir ist da so ein nettes kleines Gerücht zu Ohren gekommen, du wolltest demnächst auch zur Ehefrau werden, ja?“

Und sowas kam bis nach Morika? Die Magierin blinzelte empört und konnte nicht verhindern, leicht rosa im Gesicht zu werden. Sie hasste dieses Thema...

„Ja, sobald dein Kind auf der Welt ist, damit du mitfeiern kannst. Im kleinen Kreise, versteht sich...“

„Natürlich...“, war die lachende Antwort, „Und dann bekommst du auch ein Baby, damit es mit meinem spielen kann!“

Sie nickte.

Ja... sie kam sich in letzter Zeit seltsam und befremdlich vor, denn je runder Tagamis Bauch wurde, umso stärker wurde auch in ihr der Wunsch, ein Kind zu empfangen.

Seit dem Tod ihres Bruders vor nun mehr als sieben Jahren hatte sie kein besonderes Interesse mehr an Familie gehabt, aber jetzt wurde die Sehnsucht nach einer eigenen mit jedem Tag dringender. Sie fragte sich, ob sie sich einmal mit Harata darüber unterhalten sollte...

„Dein Idiot würde sich sicher freuen, wenn er ein Kind zu verziehen hätte!“, unterbrach ihre Schwester ihre Gedanken passend und grinste doof, „Ich wette, er wird es verziehen, er ist so inkonsequent!“

Chatgaia senkte die Brauen. Inkonsequent?

„Willst du damit etwa sagen, Harata sei als Vater weniger geeignet als Alhata?“

„So nicht direkt...“, auch Tagamis Grinsen verschwand, „Aber dir wird wohl klar sein, dass aus meinen Kindern mehr wird als aus deinen, oder?“
 

Und mit diesem Satz kehrten alle Befürchtungen, die die große Schwester in den vergangenen Monaten zu verdrängen versucht hatte, zurück. Dieser Mann war schlecht für die Kleine!

„Überlege dir mal, was du da sagst!“, schnappte sie so gefasst wie möglich, „Weshalb soll aus meinen Kindern denn bitte weniger werden als aus deinen?! Wie kommst du darauf?“

Sie wusste genau, wie sie darauf kam, sie wusste es haargenau. Aber sie wollte ihr die Chance lassen, selbst etwas dazu zu sagen. Bei jeder Anderen wäre sie bei diesen Worten aufgestanden und gegangen, das war unverschämt!

Und noch schlimmer, die junge Frau schien überhaupt keine Einsicht zu erlangen, wie sie da saß und sich eingebildet ein paar grüne Strähnen zurückstrich.

„Nun ja.“, setzte sie an und nahm noch einen Schluck Tee, „Harata wird sicher gut für dich und eure Kinder sorgen. Er wird den Kleinen Spielzeug bauen und Süßigkeiten schenken, er wird dir den Abwasch machen und dir morgens das Frühstück an dein Bett bringen. Das alles wird Alhata nicht tun. Dafür lehrt er unser Kind, oder Kinder, Disziplin und gutes Benehmen und was es heißt, der Sohn oder die Tochter eines ehrenwürdigen Dorfoberhauptes zu sein. Dazu ist Harata nicht in der Lage, dabei ist es doch viel wichtiger als dieser... Stuss.“

Schweigen.

Chatgaia senkte ihr Haupt tief, Tagami hielt ihres erhoben.

Sie hatte endlich die Einsicht erlangt, das war ihr in Thilia nie möglich gewesen. Sie war reif und würdevoll geworden und wusste jetzt, worauf es ankam.

Dachte sie.

„Diesen Stuss nennt man mit Fachbegriff Liebe, Tagami. Vielleicht sagt es dir etwas, du hast es einmal gekannt.“

Die Jüngere hielt im Tee schlürfen inne und blinzelte, als ihr Gegenüber wieder aufsah.

„Hältst du mich jetzt für dumm oder was?“

Sie schüttelte den Kopf leicht.

„Ich muss dich nicht mehr für dumm halten, du verblödest fast selbstständig. Mit zärtlicher Beihilfe deines gestörten Mannes, herzliche Grüße an ihn. Falls du irgendwann auf die Idee kommen solltest, wieder selbstständig zu denken, dann kannst du dich gern bei mir melden. Ansonsten sehen wir uns wieder in zwei Monaten, wenn du dein diszipliniertes Kind bekommst.“

Sie erhob sich und ging.
 

--
 

Tagami meldete sich nicht mehr, bis zum Tag ihrer Niederkunft sahen sich die beiden Schwestern nicht. Chatgaia hatte sogar fast nicht zu ihr gehen wollen, weil sie so enttäuscht von ihr gewesen war, aber ihre Mutter hatte darauf bestanden. Und das war dann auch die Gelegenheit, bei der sich die Jüngere zu einer Entschuldigung entschloss.

Und das schlauer Weise unter Umständen, bei denen selbst ihre in ihren Augen kaltherzige Schwester sie annehmen musste...

„Es tut mir Leid, was ich vor hundert Jahren über Harata gesagt habe, verzeih mir!“

„Halt den Mund und presse mal lieber!“

Die Jüngere tat wie ihr geheißen und schrie erstickt.

Geburten waren niemals einfach, besonders nicht, wenn es sich dabei um eine noch so junge Himmelsblüterin handelte. Mit ihren 16 Jahren hinkte sie menschlichen Altersgenossinnen noch immer etwas hinterher, was die Sache auch nicht so ganz ungefährlich machte.

Aber Tagami war stark, sie machte es gut.

Zur Sicherheit war auch Karadia mit im Raum.

Nicht, dass sie Chatgaia nicht zutraute, eine Geburt zu betreuen, sie hatte es schon mehrmals getan... aber es ging ja diesmal doch um ihre zweit-geborene Tochter, die war ihr wichtiger als irgendwelche Frauen aus dem Dorf. Das war unehrenhaft, aber so war sie als Mutter nun mal...

„Dauert es noch lange?!“

Jede Stunde fragte Tagami das einmal, schien aber zur positiven Überraschung der Älteren kaum zu ermüden. Sie hatte schon immer unglaubliche Energiereserven gehabt...

Ungeduldig wurde sie mit der Zeit verständlicherweise dennoch, so waren alle Beteiligten dann auch um so erleichterter, als es wirklich irgendwann bald soweit war.
 

Harata führte währenddessen ein paar Räume weiter ein seltsames Gespräch mit Alhata.

Da es in Morika ausgerechnet an diesem Tag irgendeine mega wichtige Versammlung gab, waren Divo und Omola Timaro nicht im Haus und Fehro Magovi musste in Thilia bleiben, weil er nun einmal das Dorfoberhaupt war. Bei ihnen war bloß noch Alhatas unwichtiger kleiner Bruder, der gelangweilt Fenster putzte.

„Aufgeregt?“, wollte Chatgaias Verlobter von dem werdenden Vater wissen und der schaute seinen ungebetenen Gast genervt an.

Ja, Karadia hatte tatsächlich gedacht, ihr Schwiegersohn bräuchte seelischen Beistand. Dass es nicht so war, wurmte Harata gerade etwas. Da kam er sich ja blöd vor...

„Sollte ich aufgeregt sein?“, fragte Alhata nur zurück und kratzte sich am Kopf, „Ich bin genervt. Können die sich nicht beeilen?“

Beeilen, na der war gut. Der Blauhaarige war empört.

„Na hallo? Das ist eine sehr anstrengende und schmerzhafte Sache für so eine Frau, ja? Da kannst du nicht verlangen, dass sie sich beeilen!“

„Ich hab aber noch anderes zu tun, als auf dieses dumme Kind zu warten, klar?“, der Jüngere erhob sich, „Ich werde schon sehr bald das Dorfoberhaupt Morikas sein und bloß wegen diesem dummen Mistkindes verpasse ich die wichtigste Versammlung des Jahres!“

Er ließ seinen Gast allein sitzen und schritt in Richtung des Zimmers, in dem gerade eben in diesem Moment sein Kind geboren wurde.
 

„Noch einmal, Tagamichen, gleich hast du es!“

Sie tat brav, wie verlangt und presste noch einmal mit aller Kraft (und gleichzeitig brach sie ihrer Mutter fast die Hand) und mit einem erstickten Schrei und der Hilfe ihrer Schwester brachte sie ein kleines Mädchen zur Welt.

Unmittelbar nachdem es seinen ersten Atemzug genommen hatte, begann es zu glucksen und anschließend im herzallerliebsten Ton der Welt zu schreien. Seine Tante trennte es unverzüglich von seiner Mutter und widmete sich dem angenehmeren Part ihrer Arbeit, den ersten Untersuchungen des Babies, während Karadia nun die frisch gebackene Mutter übernahm.

„Es schreit!“, war derer erster freudiger, nun aber doch ziemlich erschöpfter Kommentar, noch ehe sie ihre Tochter gesehen hatte und die neue Oma lachte ebenfalls fröhlich.
 

In dem Moment purer Freude und Erleichterung betrat Alhata den Raum.

„Glückwunsch zur gesunden Tochter.“, wurde er von seiner Schwägerin ausnahmsweise einmal grinsend begrüßt und er blinzelte einmal durch das dämmrige Zimmer.

An der rechten Wandseite lag seine Frau hundemüde, aber strahlend, neben ihr sammelte Karadia ein paar blutige Tücher zusammen und links an einer Kommode stand Chatgaia, die das jammernde Neugeborene provisorisch in ein (noch sauberes) Tuch wickelte.

„Ich hab unser Mädchen auch noch nicht gesehen, Häschen gibt sie mir ja nicht!“, quiekte die stolze Mama da und setzte sich trotz Schmerzen etwas auf, um ihren Mann besser ansehen zu können, „Komm, wir gucken sie gleich zusammen!“

Der frisch gebackene Vater hob eine Braue.

„Ein Mädchen?“, machte er und schaute wieder zu Chatgaia, die das noch immer plärrende Kind gerade zu seiner Mutter bringen wollte, „Ich sehe es doch, dazu muss ich nicht zu dir kommen, Weib. Schönes Kind, hast du gut gemacht.“

Er drehte sich um.

„Du weißt, heute läuft eine sehr wichtige Besprechung, du verstehst schon, dass ich hier keine Zeit mehr verschwenden kann, wenn ich doch weiß, dass alles in Ordnung ist? Wir sehen uns heute Abend.“

Und damit war er weg. Und die Frauen hielten in der Bewegung inne. Sogar das kleine Mädchen wurde still.
 

„Er ist weg gegangen...“, bemerkte Karadia als Erste perplex, dabei fiel ihr noch nicht einmal auf dass sie die Hälfte der schmutzigen Tücher aus der Hand verlor.

Ihre ältere Tochter mit ihrer kleinen Nichte auf dem Arm war da natürlich schon vorsichtiger.

„Der hat sich noch nicht einmal die Kleine angesehen...“, stellte auch sie fest und schaute automatisch auf das Kind in ihren Armen.

Es hatte einen zarten Flaum von hell-grünem Haar auf dem bildhübschen Köpfchen und schaute die Tante aus unschuldigen blauen Augen an. Tagami hatte ein wunderschönes Kind geboren.

„Gibst du mir sie endlich?“, fragte diese da auch und streckte die Arme nach dem Säugling aus. Sie wollte sich jetzt nicht um ihren Mann kümmern, dazu war sie zu glücklich. Wer nicht wollte, der hatte schon, ganz einfach.

So freute sie sich allein unter den verwirrten und wütenden Augen ihrer Mutter und ihrer Schwester über ihr erstes Kind.
 

--
 

Das kleine Mädchen hieß Rahlina.

Rahlina hatte das Himmelsblut ihrer Mutter geerbt, entwickelte sich dennoch außerordentlich schnell und gut und war Tagamis ganzer Stolz.

Nein, nicht nur Tagamis, auch Alhatas.

Denn auch die Nachricht von der Geburt des Kindes war wieder ein Grund zum Feiern gewesen. Und wenn sich das Volk über das Baby des (späteren) Dorfoberhauptes dermaßen freute, konnte das nur ein gutes Zeichen sein.

Ja, Rahlina stand in der Gunst ihres Vater, der sie ab und an sogar auf den Arm nahm, ganz von allein, was Chatgaia kaum glauben konnte und ihre kleine Schwester unsagbar glücklich machte.

Auch wenn es seltsam war, sie war in diesen Mann verliebt.

Und das, obwohl selbst ihre Mutter ihr nach der Geburt derer Enkelin ihr angeboten hatte, diese unheilvolle Ehe wieder auflösen zu lassen und auch ihr Vater dazu bereit gewesen wäre, sie wollte bei ihm bleiben. Aber sie war so wie so schon von Kindesbeinen an schnell verknallt gewesen...

So blieb ihrer Familie in Thilia nichts anderes übrig, als sich ihrem Willen zu beugen und Chatgaia erfreute sich dabei schon fast an den Zweifeln ihrer Eltern. Aber bringen tat das niemandem etwas, sie war ja schon etwas berechnend...

Aber so lange der Frieden bewahrt wurde und Tagami mit ihrem dummen Mann klar kam, war alles in Ordnung, so redete man es sich ein und lebte einfach weiter.
 

Irgendwann kam dann jedoch der Tag, an dem Divo Timaro in Pension ging. Sehr früh, er war nicht einmal 50 Jahre alt, aber Alhata drängte darauf.

„Er ist der Meinung, sein Vater würde das Dorf kaputt regieren.“, erklärte seine Schwiegertochter ihrer Schwester, während sie ihre mittlerweile 18 Monate alten Tochter auf dem Schoß wiegte.

Die Ältere hob verwirrt eine Braue und nahm einen Schluck Tee.

Ja, zum Tee trinken trafen sich die Beiden noch immer oft.

„Kaputt regieren? Morika blüht doch!“

„Dachte ich auch!“, empörte sich die junge Mutter und knuddelte dabei demonstrativ ihr Töchterchen, „Aber er meint nur, ich verstünde nichts davon! Und das, wo ich selbst das Kind eines Dorfoberhauptes bin, hah! Dein Papi hat wiedereinmal keine Ahnung, hab ich Recht, Prinzessin?“

Das kleine Mädchen schüttelte demonstrativ den Kopf und kicherte dann.

„Willst du deine Mami verkohlen?“

Sie gackerte weiter.

„Nein!“
 

Während sich Tagami mit ihrem Kind amüsiert, streichelte Chatgaia ihrerseits bloß gedankenverloren ihren eigenen gerundeten Bauch.

Ja, auch sie hatte es endlich geschafft, schwanger zu werden. Verheiratet war sie nun schon seit längerem, aber bisher hatte es noch nicht mit dem Kinder kriegen klappen wollen. Aber nun. Doch das war gerade nebensächlich.

Sie wollte es nicht aussprechen, wo ihre Schwester mittlerweile tatsächlich ziemlich an ihrem Mann hing, aber sie wagte es, zu bezweifeln, dass sich Alhata besser um das Dorf sorgen konnte als sein Vater. Divo Timaro war zwar ein absolut blöder Idiot, aber Morika war es all die Jahre unter ihm gut ergangen. Es interessierte sie sehr, ob hinter dem Vorwand, er würde den Ort kaputt machen, wirklich etwas Wahres steckte oder ob ihr Schwager letzten Endes einfach nur machthungrig war. Dabei wusste sie noch nicht einmal, ob sie auf ersteres oder letzteres hoffen sollte...
 

Letzten Endes war es aber auch egal, es veränderte sich nichts, weder für das eine, noch für das andere Dorf.

Seltsam war bloß, dass Divo und Omola Timaro wenige Wochen nach der Machtübernahme ihres Sohnes von der Bildfläche verschwunden waren und niemals wieder auftauchten. Niemand wollte das Paar gesehen haben und niemand suchte nach ihnen.

In Thilias Verantwortung stand das so wie so nicht, doch dass Alhata sich nicht darum kümmerte, war doch höchst verwunderlich. Oder verdächtig, wie eigentlich jeder dachte. Tagami äußerte sich nicht dazu. Und Chatgaia forschte auch nicht nach.

Vielleicht hätte sie das tun sollen, dann hätte sie ihrem Schwager möglicherweise eins auswischen können. Doch selbst im Leben der kühlsten Frau gab es Zeiten, in denen sie sich etwas anderem widmen musste.

In ihrem Fall war es die restliche Schwangerschaft und schließlich auch die Geburt ihres ersten Kindes.

Und sie freute sich allein schon diebisch darüber, ihrem geliebten Mann Harata direkt einen Sohn geschenkt zu haben und dass Alhata noch immer nur Rahlina hatte.

Nicht, dass Rahlina nicht gereicht hätte, sie war ein hübsches und schlaues kleines Mädchen, aber es ging ihr darum, dass sich dieser Idiot zwanghaft einen Sohn wünschte und Tagami bis dato nicht wieder schwanger geworden war, obwohl sie es krampfhaft zu werden versuchte.

Ihrer Meinung nach wussten die Beiden ihre bezaubernde Tochter nicht richtig zu würdigen, aber das konnte sie ihnen wohl schlecht austreiben. Und wollen tat sie das mit ihrem kleinen Taranii, so hieß ihr Junge, im Moment eh nicht, sie hatte Auszeit.
 

Diese Auszeit dauerte weit über ein Jahr. Später bereute sie es, sich so lange nicht um ihre Schwester geschert zu haben, aber was sollte sie ihr immer hinterher rennen? Bloß weil sie ihrem Mann gefallen wollte und sich von Thilia fern hielt, sah die ältere Schwester es noch lange nicht ein, ihrer Sehnsucht nachzugeben und nach Morika zu laufen. Erst recht nicht, wo man als junge Mutter selbst allerhand zu tun hatte. Und ihr kleiner Sohn lies sie mit der Zeit auch die Sorgen über die Ehe ihrer kleinen Schwester fast gänzlich vergessen.

Erst als Tagami nach fast zwei Jahren vor der Tür stand, kehrten ihre Gedanken daran zurück.
 

Ihre Eltern waren an jenem Tage nicht zu Hause, sie gönnten sich sehr viel Freizeit, seit ihre ältere Tochter immer mehr Aufgaben zur Verwaltung des Dorfes übernahm. Harata spielte mit dem kleinen Taranii im Garten, weil er ausnahmsweise auch nichts zu tun hatte und so empfing sie die jüngere Schwester allein in der Küche. Dabei schaute sie natürlich nicht schlecht, als sie so plötzlich einfach da war.
 

Sie hatte sich verändert, sie war ungesund blass und wirkte schwächlich. An ihrer rechten Hand hielt sie die mittlerweile vier Jahre alte Rahlina, die ihre Mama ebenso beunruhigt ansah wie ihre Tante, als die die Tür öffnete, die Linke lag auf ihrem kugelrunden Babybauch.

„Tagami...“, war Chatgaias perplexe Begrüßung, „Was verschafft mir die zweifelhafte Ehre?“

Die Jüngere ließ von ihrem Bauch ab und fuhr sich nervös durch ihr Gesicht.

„Ich würde dir gerne vieles erklären und mich entschuldigen und was auch immer, Chatgaia, aber ich brauche jetzt deine Hilfe!“, sie sah wieder auf und hatte nasse Augen, „Ich misstraue den Medizinmännern in Morika, die sind nicht sauber! Ich... ich bekomme gleich mein Baby und... ich hab Angst!“

Sie begann überraschend zu weinen und ihre kleine Tochter starrte sie geschockt an.

„Ich hab mir ja gedacht, dass das nicht mehr lange dauert...“, bemerkte die Ältere beiläufig, während sie die beiden einließ und dann direkt zur Hintertür deutete, „Rahlina, das ist dir jetzt sicher gruselig, aber geh da raus, ja? Da ist dein Onkel und dein Cousin, mit denen kannst du spielen!“

Das Mädchen nickte artig und verschwand sofort. Als sich ihre Tante wieder zu ihrer Schwester umdrehte, musste sie mit ansehen, wie sie den Boden mit Fruchtwasser besudelte.

„Ich habe heute morgen erst geputzt, du Sau.“, war ihr nicht ganz ernst gemeinter Kommentar darauf, Tagami schaute sie bloß verzweifelt an. Ohne auf Anweisungen zu warten, stolperte sie darauf zum Sofa und entledigte sich ihrer störenden Unterhose, ihren Rock behielt sie an.

„Äh... du schaffst es nicht mehr bis ins Schlafzimmer?“

Vermutlich war der weite Weg während ihrer Wehen keine ganz so gute Idee gewesen, sie war ja schon todmüde. Aber lange durchhalten würde sie dieses Mal nicht mehr müssen, wie es schien...

„Nein, mach schnell was, das kommt doch schon!“

Sie tat wie geheißen und musste fest stellen, dass ihre Schwester tatsächlich Recht hatte.

„Na gut, dann bekommen wir halt ein neues Sofa...“
 

Währenddessen hörten sich Harata und Taranii verwirrt von Rahlina an, wie ihre Mami plötzlich ganz doll schlimme Schmerzen bekommen hatte und sie plötzlich hier her gerannt waren.

„Dann ist deine Mama extra hier her gekommen, um dein Geschwisterchen zu bekommen, ja?“, erkundigte sich der Mann und das kleine Mädchen nickte verunsichert.

„Muss sie jetzt sterben?“, wollte sie wissen und ihr kleiner Cousin starrte seinen Vater gespannt an.

„Nicht doch, Frauen sterben doch nicht beim Baby-bekommen!“

Dass so etwas doch manchmal vorkam, musste er vor den kleinen Kindern ja nicht erwähnen, sonst wären sie ja noch beunruhigter gewesen als ohnehin schon, die Armen.

Er sah die kleine Rahlina überrascht Richtung Gartenzaun blinzeln, dann quiekte sie.

„Papi!“

Als Harata und sein Sohn ihrem Blick folgten, erblickten sie dort tatsächlich den verwirrten Alhata.

„Noch nicht einmal warten konntet ihr!“, begann er da auch schon zu schimpfen, „Warum ist deine Mutter weggerannt, unsere Mediziner sind mindestens genau so gut wie Chatgaia!“

„Das sei mal dahingestellt.“, machte der blauhaarige Mann ebenfalls perplex, „Aber erst einmal willkommen. Deine Frau bekommt gerade ein Baby, wie ich höre?“

Der Andere erbleichte.

„Das kann ich nicht verstehen, wie blöd bin ich denn?! Sie hat ihren siebten Monat doch gerade erst begonnen!“

„Ungünstig.“, war das einzige, was Harata darauf einfiel, als er dem Schwager seiner Frau das Gatter öffnete und ihn zum ersten Mal nervös erlebte.

„Sie war aber schon ziemlich rund, denkst du, das macht etwas?“

Der kleine Taranii klammerte sich unter der plötzlichen Anspannung überfordert an seine Cousine, die das gar nicht registrierte. Der ältere Mann hob beide Brauen.

„Hör mal, ich habe keine Ahnung von Medizin...“

Und obwohl er natürlich besorgt war, freute es ihn innerlich doch ein wenig, Alhata so nervös zu sehen. Bei Rahlina war es ihm so egal gewesen und nun war er so blass, dass man jeden Moment damit rechnen konnte, dass er rückwärts umfiel.

Er erfreute sich am Leiden eines andere, wurde er am Ende etwa noch zu einem Sadisten?
 

Chatgaia hatte gerade andere Probleme, während sie einen kleinen Jungen ins Licht der Welt zerrte und ihn sich perplex betrachtete.

Ärmchen, Beinchen, alles dran, der Kleine begann unverzüglich zu schreien. Und trotzdem...

„Dafür, dass deine Mama so rund war, bist du aber sehr klein...“

„Da stimmt etwas nicht!“, keuchte Tagami da und verzerrte vor Schmerz das Gesicht, „Schau bitte nach, da ist doch...“

Die Ältere hätte vor Schreck fast den Säugling fallen gelassen, als sie nochmal nachsah.

„Himmel, da ist noch einer!“, stellte sie geschockt fest und guckte dann blöd auf den plärrenden Jungen in ihrem Arm...

„Wohin mach ich den denn jetzt?!“, fragte sie sich verzweifelt selbst, sprang aber auch schon auf, wickelte ihn notdürftig in ein Handtuch und rannte mit ihm nach draußen, um ihn Harata, der als erst Bester da stand, in die Hand zu drücken.

„Da ist noch eins!“, erklärte sie kurz angebunden und rannte wieder zurück, um bloß wenige Minuten später einem weiteres kleinen Jungen ins Leben zu helfen.
 

--
 

Tagami war halbtot. So kam sie sich zumindest vor, als ihr Mann sie, frisch gewaschen und umgezogen, in das Bett ihrer Schwester legte.

Der Schock über die plötzliche und unerwartete Zwillingsgeburt saß allen tief in den Gliedern, aber zunächst einmal musste man sich um die kleinen Babies kümmern, die mittlerweile frisch gewaschen und in Strampelanzüge von Taranii gepackt auf einer Decke auf dem Küchentisch lagen und von Chatgaia nachdenklich gemustert wurden. Die Strampler waren ihnen viel zu groß, die beiden würden wohl zunächst Sonderanfertigungen brauchen.

„Und?“, wollte Alhata besorgt wissen, während er seiner Schwägerin über die Schulter lugte und diese seufzte.

„Die Beiden sind echt winzig, aber ich kann keine Beeinträchtigung feststellen, sie scheinen völlig in Ordnung zu sein...“

„Sehen sie gleich aus?“, erkundigte sich Harata im Hintergrund irgendwo doof und seine Frau verdrehte die Augen.

„Sie haben verschiedene Augenfarben!“

„Schade...“

Augenfarben waren dem frischen Dreifach-Vater herzlich egal, als er den etwas größeren Jungen auf den Arm nahm. Nur ganz vorsichtig, die Beiden waren so klein und zerbrechlich...

„Du bist der Ältere, hm?“, fragte er den Jungen lächelnd.

Er antwortete natürlich nicht, aber seine Tante nickte.

„Du wirst mal Morikas Dorfoberhaupt, freust du dich?“

Chatgaia und Harata warfen sich verwunderte Blicke über die Zärtlichkeit, mit der der Mann seinen kleinen Sohn behandelte, zu, entschlossen aber stumm, darauf nicht herum zu reiten. Das war definitiv der falsche Augenblick.

Die Frau entschloss sich, das Thema zu wechseln.

„Habt ihr denn überhaupt Namen für zwei Jungen?“

Er sah blinzelnd auf.

„Oh.. ja, haben wir. Also theoretisch, wie haben uns nicht einigen können, aber da wir jetzt eh zwei Namen brauchen.. .“

„Und wie heißen die jetzt?“, fragte die kleine Rahlina weiter, die neben dem Tisch stand und dem anderen kleinen Bruder zärtlich über seinen winzigen Bauch streichelte. Sie war jetzt große Schwester und sehr stolz...

„Also der da...“, Alhata deutete mit dem Kopf auf den Kleinen auf dem Tisch, „Der kann den komischen Namen haben, den deine Mutter so toll fand.“

„Mayora!“

Das kleine Mädchen strahlte und Chatgaia wunderte sich einmal mehr über den guten Geschmack ihrer kleinen Schwester. Jedenfalls würde der Andere sicher einen diskriminierenden Namen bekommen, wenn er von diesem Deppen stammte.

„Dann ist das da...“, riet Rahlina, die die Unterhaltungen ihrer Eltern wohl mitbekommen hatte, und zeigte dabei auf den kleinen Bruder, der ihr Vater hielt, „Das ist Imera!“
 

„WAS?!“

Chatgaia zuckte geschockt zusammen, als Choraly sie plötzlich während dem Erzählen an den Schultern rüttelte.

Moment- was erlaubte sich die Göre, sie zu rütteln, war die noch ganz dicht?!

„Hast du ein Problem, irgendeinen Anfall oder so?!“

Das Mädchen starrte sie aus großen Augen an, ließ sie dann los und setzte sich wieder ordentlich hin. Dann quiekte es.

„Warum hat mir keiner gesagt, dass die Brüder sind?! Warum sind die Brüder, warum machen die sowas?!“

Die Ältere zögerte einen Moment, dann musste sie grinsen.

„Erzähl mir nicht, das hättest du nicht gewusst, die beiden haben fast die selben Gesichter...“

Ja, wenn man es wusste, klar.

Was sollte das? Warum waren alle einfach davon ausgegangen, dass sie das wusste, das war unverschämt!

Das Mädchen rieb sich schnaubend die Schläfen, während Chatgaia neben ihr vor sich hin kicherte.
 


 


 


 

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Überraschung! XD

Langes Kappi ^^' Hoffentlich hat das mit dem ganzen Kursiven geklappt .__.' Ist hier ja wichtig... XD Das nächste wird noch länger...

Armut und Reichtum

„Ich höre das Dorfoberhaupt kichern?“

Wie bestellt lugte Imera um die Ecke, schien aber nichts von dem Gespräch gehört zu haben.

Choraly starrte ihn perplex an.

„Du bist Mayoras Bruder, du Missgeburt!“, wurde er dann von ihr begrüßt und Chatgaia grinste breit.

„Das ist wahr, na und? Hat sich noch keiner selbst gemacht...“, war seine trockene Antwort.

Missgeburt!, dachte er dabei innerlich schnaubend, er war doch nicht mit diesem Blödmann gleichzusetzen, auch wenn er sein Zwilling war. Also echt...

„Ich habe ihr gerade etwas über eure Mutter und euren Vater erzählt.“, erklärte ihm die grünhaarige Frau da und erhob sich, „Damit sie Mayorachen ein bisschen besser verstehen kann und seine Liebe auch zu schätzen weiß.“

Sie klopfte sich etwas Staub von ihrem Kleid und der junge Mann hob beide Brauen, als das Stadtmädchen den Kopf verlegen weg drehte. Hatte sie ihm das jetzt unbedingt sagen müssen? Das war ihr peinlich und wenn es jemanden gab, den das echt nichts anging, dann war es ja wohl ihr Ex-Freund...

„Na sieh mal einer an, endgültig über Shakki hinweg...“, kommentierte der da, „Aber ich kann es ja verstehen, du bist wirklich ein bezauberndes Mädchen.“

Chatgaia hustete und er seufzte.

„Nicht, für den Platz an meiner Seite geeignet, aber ganz bezaubernd, ich kann es dem Idioten nicht verübeln. Sei nett zu ihm.“

'Sei nett zu ihm'? Das war ihr dann doch wieder einen Blick wert. Der Magierin kam unterdessen eine Idee.

„Würdest du mir einen Gefallen tun?“, fragte sie ihren Neffen und der nickte.

Wie intelligent es doch war, schon zuzustimmen, bevor man die Bitte kannte, aber das war nun einmal Imera. Blindes Vertrauen...

„Ich will gerne nach deinem Bruder sehen, nicht dass er wieder fiebrig ist. Erzähle du an meiner Stelle weiter.“

Er nickte verwundert.

„Meinetwegen...- aber, alles?“

„Alles!“

Sie schauten sich einen längeren Moment lang tief in die Augen, dann wandte sich die Frau ab und trat in ihr Haus ein, die Türe hinter sich schließend.
 

„Nun ja.“, kam dann etwas verpeilt von dem Jungen, als er sich auf den Boden setzte, an den Platz, an dem zuvor auch Chatgaia gesessen hatte, „Ich kann dir natürlich nur noch von dem erzählen, woran ich mich auch ansatzweise erinnere. Und das wäre...“

Er dachte kurz nach, dann zuckte er zusammen und fasste nach seinem Kopf.

„Okay..“, kam dann gedehnt und er senkte den Blick.

Choraly hob skeptisch beide Brauen. Ob der so anständig erzählen konnte wie seine Tante? Jetzt wollte sie schließend wissen, wie die Geschichte, die ja Realität war, ausging.

Zu ihrer Überraschung kam aber zunächst etwas anderes.

„Versprich mir, dass du das, was ich dir gleich sage, niemals jemandem weiter erzählen wirst, ja? Niemals in deinem Leben, erst recht nicht Chatgaia, das wäre nämlich sehr sehr schlimm für Mayora und mich!“

Sie zuckte unter seinem ersten Blick zunächst einmal zusammen, dann nickte sie. Ja, zur Not konnte sie auch den Mund halten, wenn der denn endlich mal zur Sache kam...

Er tat ihr den Gefallen.

„Ich erinnere mich nur noch verschwommen, damals war ich etwas älter als zwei Jahre...“
 

„Und du pass schön auf die Jungs auf, damit das klar ist, ja, Rahlina?“

Tagami schaute ihre mittlerweile sechsjährige Tochter streng an und das Mädchen nickte lächelnd.

„Ich bin doch schon groß, Mami!“, machte es, „Ich kann schon für die Kinder sorgen!“

Gerührt von der Niedlichkeit der Kleinen lächelte die Frau und tätschelte ihr den Kopf. Nachdem ihre Mutter Karadia vor einem halben Jahr diese Welt verlassen hatte, war auch ihr Vater Fehro Magovi vor wenigen Tagen gefolgt. Nun mussten sich die beiden Töchter um ein paar Dinge bezüglich der Erbschaften kümmern und dazu musste die Jüngere natürlich in Thilia sein. Und da Alhata besseres zu tun hatte, als sich um seine Kinder zu kümmern, waren die natürlich dabei. War aber auch nicht tragisch, die konnten ja schön im Garten spielen, wenn sie zusammen waren lenkte das auch ein wenig von dem Verlust der Großeltern ab.

Besonders jetzt, wo auch Mayora endlich das Laufen gelernt hatte und mit den anderen tollen konnte. Dabei landete er zwar alle drei Minuten einmal auf dem Hintern, aber er hatte Spaß.

Er hatte seinem Bruder so lange sehnsüchtig hinterher sehen müssen...

„Aber ihr bleibt artig hier im Garten, ja?“, verlangte da auch Chatgaia und schaute dabei besonders ihren eigenen vierjährigen Sohn an. Taranii war nämlich dafür bekannt, gerne einmal auszubüchsen und dann mutterseelenallein durch den Ort zu geistern.

Er grinste schelmisch, sagte aber nichts.

Vor wenigen Tagen hatte er etwas tolles entdeckt, im Garten bleiben konnte sich Mama abschminken. Die hatte jetzt eh erst einmal genug zu tun...
 

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„Wegen dir wird mir Mami nicht mehr vertrauen!“

Rahlina schimpfte hemmungslos, während sie hinter ihrem jüngeren Cousin aus dem Dorf tappte, gefolgt von ihren eigenen kleinen Brüdern. Der Ältere der Beiden war im Übrigen damit beschäftigt, seinem kleineren Zwillingsbruder irgendwelche Lügengeschichten aufzutischen. Die Beiden waren noch sehr klein, lügen war das Einzige, was Imera konnte und Mayora konnte nichts anderes, als sich anlügen zu lassen. Und das den lieben langen Tag, es konnte nerven... normale zweijährige Jungen redeten doch nicht den ganzen Tag durch?

„Aber das ist sooo doll toll, das ist viiiel besser als mein blöder Sandkasten!“, antwortete Taranii da lachend. Ja, er mochte seinen Sandkasten nicht, irgendwie verklumpte der Sand darin immer seltsam, außerdem war er immer voller Unkraut. Aber sein Problem hatte sich gelöst, als er vor einigen Tagen eine Stelle etwas außerhalb des Dorfes entdeckt hatte, an der der Sand so schön wie in der Wüste selbst war. In der Wüste konnte man ja leider nicht spielen... galt es nur noch, irgendwann einmal heraus zu finden, weshalb. Vielleicht wusste Rahlina das ja, die war schließlich schon groß...?

„Warum darf man nicht in der Wüste spielen?“, erkundigte er sich einfach.

Das Mädchen wollte gerade zur Antwort ansetzen, da kam ihr Imera zuvor.

„Wegen dem kanzen Sand!“, er hatte die Angewohnheit, statt 'g' 'k' zu sagen, „Da ist kaaaanz viel mehr Sand als im Sandkasten, jaaaha! Und wenn da soo viel Sand ist, dann ist der auch überall, jaaaha! Und dann ist er in deiner Unterhose und in deinen Ohren, jaaaa!“

Der blauhaarige Junge hob bei der fragwürdigen Aussage beide Brauen und Mayora klatschte begeistert von der nicht vorhandenen Intelligenz seines Bruders in die Hände, worauf der sich toll vorkam. Rahlina war das kindische Gehabe der Jungen egal, sie tappte einfach genervt weiter.
 

--
 

„Chatgaia!“

Die Angesprochene und ihre Schwester sahen von einigen Dokumenten auf, als Harata entnervt die Küche betrat.

„Schatzi, ich weiß ja, dass du viel zu tun hast, aber das hab ich auch!“

„Was ist denn?“

Die Frau hob verwundert eine Braue und Tagami widmete sich wieder dem Papier.

„Ich war gerade bei Adali, du weißt schon, unser toller Kamelhändler, ich war bei ihm, um mir ein paar Kamele anzusehen, und der hat wirklich schöne Tiere, jedenfalls fragt er mich, was mit den Kindern los ist und ich ahne es schon...“

Er trampelte an den Frauen vorbei durch den Raum und zur Hintertür, um kurz nach draußen zu lugen.

„Ja. Weg sind sie.“

Der Mann seufzte und die Schwestern schenkten sich jeweils einen kurzen dummen Blick, ehe sie sich auch überzeugten. Harata seufzte.

„Liebste, ich hasse es, dich zurechtweisen zu müssen, aber du vernachlässigst gerne einmal deine Aufgaben als Mutter, das ist sicherlich nicht gut für deinen Ruf hier!“

Seine Gattin errötete, erwiderte jedoch nichts. Er hatte Recht. Aber...

„Ich sehe es nicht ein, sie suchen zu gehen.“, sie wandte sich wieder ab und schritt zu ihrem Platz zurück, „Sie kennen den Weg zurück und es ist noch nie etwas passiert, warum dieses Mal? Außerdem sind sie zu viert, das wird wohl schon klappen...“

Ihre Schwester nickte zustimmend.

„Rahlina ist ja auch dabei. Wir haben wirklich zu tun.“

Damit widmete sie sich auch wieder dem Schreibkram. Der Mann kratzte sich am Kopf. Na toll, aber er war besorgt um die Kleinen. Hoffentlich hatten die Beiden wirklich Recht, denn Zeit zum Suchen hatte er gewiss auch keine...

„Wie dem auch sei, ich geh mir jetzt ein Kamel besorgen...“
 

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„BOAH! Mayora kuck ma, jaaaha?!“, Imera und Mayora standen nebeneinander am Rand einer etwa acht Meter tiefen Klippe und starrten hinunter, „Das is ja soooo tief, jaaha! Wenn du da runter fällst, jaa, dann musst du kanz viel trinken weil du sonst verhungern tust während du fällst, jaaaha!“

Sein jüngerer Bruder mit den seltsamen grün-braunen Haaren starrte ihn geschockt aus großen Augen an. Das klang ja schrecklich!

Rahlina kratzte sich bloß irritiert am Kopf.

„Was wollen wir nochmal hier?“

Hier war alles einsam und verlassen, sicherlich kein Ort für Kinder. Ach, was würden sie Ärger bekommen...

Taranii deutete auf den Eimer mit Sandkastenspielzeug, den er mit sich herum schleppte.

„Spielen!“

Das war ein Stichwort für die Zwillinge, sie drehten sich zeitgleich um und kamen zu den Älteren getappst.

„Wir wollen auch spielen, jaaahaaa!“

Der Jüngste klatschte wieder zustimmend in die Hände. Imera hatte eine äußerst ausgeprägte Sprachbegabung, Mayora so gut wie überhaupt keine. Er sprach selten, aber man verstand ihn auch so. Chatgaia war der Meinung, er sei einfach nur ein Spätzünder und dass das in Ordnung ging und die hatte schließlich Ahnung.

Den Kindern ihrerseits war es so hoch wie breit, ob der Kleinste was sagte oder nicht, als sie sich auf dem in der Tat mit sehr feinem Sand bedecktem Boden niederließen und zu spielen begannen. Mit Ausnahme von Rahlina, die hatte ein neues Kleid.

„Ich will nicht im Sand spielen, das machen nur kleine Jungen!“, meckerte sie und verschränkte die Arme vor der Brust, sich ein wenig umsehend, „Ich gehe auf die Wiese Blumen suchen, seid artig!“

Sie waren über eine recht verdorrte Grasfläche zu den Klippen gekommen, dorthin wollte das Mädchen zurück. War ja nicht weit weg. Die würden eh bald streiten.
 

Und die Kleine sollte Recht behalten...

„Warum kriegen wir nur das kleine Schaufel, hääää?“

Die Zwillinge schauten blöd auf die Spielzeug-Schaufel, die ihr älterer Cousin ihnen hingelegt hatte und dieser schnaubte und wedelte theatralisch mit seiner eigenen, größeren Schaufel in der Luft herum.

„Weil das alles meine Spielsachen sind, du Doofi! Ihr seid doch noch Babies!“

Denen sein gutes Spielzeug zu geben sah Taranii ja gar nicht ein. Er hatte alles geschleppt, ihm gehörte alles, fertig. Er durfte bestimmen.

Seine Cousins waren anderer Meinung.

„Wir sind keine Babies, jahaa!“

Imera stand fauchend auf, sein Bruder und sein Gegenüber taten es ihm gleich.

„Gib!“, verlangte auch Mayora nun und streckte die Hand nach dem Spielzeug aus, aber Taranii zog sie weg.

„Meine, heult doch!“

„Ich verhau dich kleich, jaahaa!“

Das war dann gewohnheitsmäßig schon ernster, die beiden prügelten sich nämlich wirklich zwischendurch ganz gern einmal. Dabei war Imera keineswegs immer unterlegen.

Anders als seine Geschwister und sein Cousin hatte der brünette Junge nämlich kein Himmelsblut geerbt und war damit ein normaler Mensch. Und mit seinen etwas mehr als zwei Jahren fast genau so groß wie der vierjährige Taranii.

„Verhau mich doch, ich verhau dich zurück!“, erwiderte dieser da grantig und drückte seine geliebte Schaufel an sich.

Ein Mann kämpfte um sein Werkzeug... Mayora wusste das scheinbar auch, als er sich ebenfalls einschaltete.

„Mayo auch hauen!“

Er stürzte sich auf den Blauhaarigen und der stolperte erschrocken ein paar Schritte zurück.

Sein Bruder freute sich.

„Jaaaha, das muss man kenau so machen... neiiin, doch nicht, kuck, soooo!“

Der Junge tat es seinem Zwilling gleich, war aber stärker und brachte Taranii noch viel weiter zum stolpern und schließlich zum hinfallen.

„Aua!“, machte der und richtete sich empört und tapfer wieder auf, seine kichernden Cousins böse anschauend, „Ich seid so blöd! Ich hau zurück!“

Das war voll fies, zwei gegen einen! Die Jüngeren warfen sich gackernd irgendwelche undeutbaren mysteriösen „Wir-kommunizieren-über-Gedankenübertragung“-Blicke zu und stürzten sich abermals auf ihn, dieses Mal zu zweit, ehe er sich hatte wehren können.

Er schwankte abermals ein paar Schritte rückwärts und quiekte, als er plötzlich merkte, dass er am Rand der Klippe angekommen war.

„Nicht mehr weiter!“

Die Zwillinge hielten artig inne.

„Kibst du jetzt das Schaufel, jaaahaa?“, erkundigte sich Imera und Mayora legte sein Köpfchen schief.

Taranii schaute blöd.

„Äh – nö.“

Falsche Antwort. Er hatte es sich denken können, aber ein Mann kämpfte nun einmal um sein Werkzeug und fertig, das hatte ihm sein Papa beigebracht!

Sie stupsten ihn gemeinsam und erschreckten sich trotzdem, als er schreiend stürzte und mit einem dumpfen Knall auf dem steinigen Boden aufkam.
 

Rahlina fand ihre kleinen Brüder dämlich über die Klippe schauend vor, als sie wenige Sekunden später zurückkehrte. Thilia war ein hässlicher Ort, hier gab es keine Blumen. Zumindest keine, die sie auch hätte pflücken wollen. Sie war eine Erbin Morikas, sie hatte auch Ansprüche.

„Wo ist Taranii?“, erkundigte sie sich irritiert und ließ ihren Blick über den Platz schweifen, die Junge fuhren geschockt zu ihr herum.

„Dahaa...“, antwortete ihr Imera und deutete nach unten. Unten?

Das kleine Mädchen eilte alarmiert zu den Zwillingen an den Abgrund und erstarrte. Das konnte doch nicht... es schrie markerschütternd.

Unten, er war wirklich da unten!

„Taraniichen, lebst du noch?!“

Er bewegte sich stöhnend und die Sechsjährige oben keuchte.

„Ich gehe Tante Chatgaia holen!“, sagte sie dann zu ihren Brüdern, „Bleibt schön brav hier!“

Nein, wegrennen wollten sie jetzt nicht.
 

Die Reaktionen der Erwachsenen waren erschreckend für das Kind, als es sie zum Unfallort brachte.

„Ich hab gesagt, schau nach den Kindern!“, schimpfte Harata im Rennen mit seiner Frau, „Aber du dumme Kuh musstest ja deinen Schreibkram machen!“

„Ach!“, meckerte Chatgaia zurück, „Und wer wollte lieber Kamele haben als nach den Kindern zu suchen?! Ich habe wenigstens etwas nützliches gemacht!“

„Ihr seid jetzt beide still!“, mischte sich auch Tagami ein, „Ihr verängstigt Rahlina!“

Das wollte niemand, so gehorchten die Beiden auch. Streiten taten sie ohnehin bloß aus Sorge, weil es sie nervös und reizbar machte.

„Da unten!“, riss die Stimme der Sechsjährigen sie da aus den Gedanken, als sie sich plötzlich an den Klippen wieder fanden. Zum zusätzlichen Schock aller war auch von den Zwillingen keine Spur mehr und Tagami drehte sich einmal verunsichert um ihre eigene Achse.

„Jungs?“

„Die sind auch da unten, Schwester.“, bekam sie von Thilias Dorfoberhaupt geantwortet, während es zusammen mit seinem Gatten die felsige Wand herunter kletterte, „Keine Sorge, die sind wohl auf.“

Die kleinen Jungen musste wohl einen anderen Weg gefunden haben, denn sie saßen bereits unbeschadet neben ihrem Blut hustenden Cousin.

„Hustest du echtes Blut oda Tomatenpastä, hääää?“, war Imera gerade dämlich am fragen, als die Eltern ankamen und ihn, so wie seinen Bruder, etwas unsanft zur Seite schubsten, worauf der Brünette empört zu seiner eigenen Mutter sah, die ebenfalls gerade mit Rahlina im Schlepptau ankam.

„Die blöde Kuh hat mich wekkeschupst, jaaaha!“

Dank seines Vaters hatte der Kleine eine starke Neigung dazu, seine Tante zu beleidigen, wurde dieses Mal jedoch ignoriert. Ansonsten erntete er von Tagami einen Klapps, man sprach schließlich nicht so respektlos mit Erwachsenen.
 

„Taraniichen, Mami ist hier!“

Chatgaia beugte sich besorgt über ihr röchelndes Kind um seinen zitternden Körper prüfend zu beäugen. Hier konnte sie ihn nicht untersuchen, sie hatte in der Eile auch nichts mitgenommen, um ihn zu versorgen. Sie hatte ja auch nicht geahnt, dass er ausgerechnet hier herunter gefallen war!

„Papi ist auch hier!“, machte Harata unterdessen und fasste nach der kalten Hand seines Sohnes. Er kannte sich in der Medizin nicht aus, er konnte nichts für ihn tun außer für ihn da zu sein.

„Kann ich was machen?“, wollte da auch Tagami wissen und ihre Schwester schnaubte nur.

„Bring deine Kinder weg!“

Die kleinen Plagen nervten jetzt nur, überhaupt, alle nervten, sie musste sich konzentrieren.

„Taranii, sag Mami, wo es am meisten weh tut!“, forderte sie so sanft wie möglich und streichelte über seine verschwitzte Stirn.

Der Junge stöhnte.

„...überall!“

Sie hatte geahnt, dass er das antworten würde, das brachte nichts.

„Wir bringen ihn nach Hause!“, beschloss sie so kurz angebunden und nahm ihn in den Arm. Sie hoffte bloß, dass seine Wirbelsäule nicht verletzt war, das würde die Sache ziemlich schwierig machen.

Mit andern Worten, dann wäre das Kind nicht mehr zu retten gewesen.

Aber er war Taranii Setari, er war der Sohn des Dorfoberhauptes, es war nicht möglich, dass er starb. Seit vier Jahren schon zogen seine Eltern ihn mit aller Liebe und Hingabe auf, außerdem fielen so oft Kinder von irgendwo herunter, da würde es den kleinen Magier ja nicht direkt umhauen. Bestimmt nicht, ausgeschlossen.
 

Der Kleine schrie markerschütternd, als seine Mutter sich mit ihm erheben wollte, so sank sie rasch wieder auf die Knie zurück und schaute ihr Kind erbleichend an.

„Was hat er denn?!“, wollte Harata verwirrt wissen und beugte sich über sein kleines keuchendes Gesicht.

Seine Frau schüttelte ratlos den Kopf.

„Ich weiß es nicht... Taranii, sag uns, was wir tun sollen!“

Sie fragte sich, warum sie das von ihm verlangte. Normalerweise hätte sie auf sein Schreien keine Rücksicht nehmen dürfen und ihn einfach nach Hause tragen sollen, aber sie tat es nicht. Ihr Mann auch nicht.

„Mach, dass es aufhört...!“, jammerte der Kleine da und schaute seine Eltern flackernd an, „Ich bin müde...“

„Ach was, ist doch noch mitten am Tag!“, versuchte sein Vater ihn verzweifelt aufzumuntern, doch er röchelte nur und hustete ein weiteres Mal Blut. Dabei versaute er das ohnehin rote Kleid seiner Mutter, was dieser angesichts der Situation jedoch ziemlich egal war, es ließ sie bloß erschaudern.

Sie wollte etwas sagen, aber sie wusste nicht was und sie wollte etwas tun und hatte ebenso wenig Ahnung. Sie konnte nicht alles, sie war keine Göttin, aus welchen Gründen auch immer wurde ihr das in diesem Moment klar.

Ihr Sohn blinzelte sie schwach an, dann tat er etwas, womit die Eltern nicht gerechnet hätten.

Er lächelte.

„Ich hab euch lieb... Mama... Papa...“

Noch ehe sie etwas hätten erwidern können, schloss der kleine Junge zum letzten Mal in seinem Leben die Augen.
 

Imera würden den schrillen, eiskalten Schrei, den seine Tante wenige Sekunden darauf ausstieß, niemals in seinem Leben vergessen, eben so wenig wie sein Bruder, der eingefroren neben ihm stand. Beiläufig nahmen sie wahr, wie ihre eigene Mutter sich die Hände vor den Mund schlug und auf die Knie sank und Rahlinas Schluchzen, aber die Hauptaufmerksamkeit lag auf der so eben auseinander gerissenen Familie ein paar Meter entfernt.

Chatgaia schrie sich die Seele aus dem Leib und Harata sackte in sich zusammen, als auch er verstand, was gerade geschehen war.

Er hatte seinen einzigen Sohn für immer verloren, ohne Vorwarnung und von einer Sekunde auf die andere.
 

Choraly schaute ihren Nebenmann erbleicht an, er selbst hatte während dem Reden sein Haupt gesenkt gehalten.

„Ihr, du und Mayora, ihr habt euren Cousin auf dem Gewissen...?“

Er nickte, dann sah er sie an.

„Du darfst es niemals Chatgaia sagen, das ist sehr wichtig! Mein Bruder und ich haben sie sehr gern, wenn sie das wüsste, würden wir sie sicher verlieren!“

Das Mädchen nickte und musste zu seiner Überraschung lächeln.

„Du bist wirklich ein Idiot, Imera.“, sagte es dann, „Ihr wart keine drei Jahre alt, du kannst dich selbst noch kaum daran erinnern... denkst du wirklich, eure Tante könnte euch dafür verantwortlich machen? Sie ist doch nicht dumm...“

Er schaute blöd.

„Aber... es ist doch egal, wie alt wir waren, wir haben etwas Schlimmes getan! Und wir wurden mit dem schlechtesten Gewissen der Welt gestraft... es wird nicht besser, es wird schlimmer, mit jedem Tag, der vergeht, wird es schlimmer!“

Anfangs war ihnen noch nicht ganz klar gewesen, was sie gemacht hatten, aber je älter sie geworden waren und je mehr Verstand sie bekommen hatten, desto bewusster war ihnen auch ihre Tat geworden. Und es war schrecklich.

Der Junge raufte sich die Haare bei den Gedanken daran. Es bereitete ihm Schmerzen...

„Denk nicht mehr darüber nach, quäle dich nicht.“, lenkte Choraly wieder ihre Aufmerksamkeit auf sich, „Du wolltest mir noch weiter erzählen?“

Er nickte.
 

Taraniis Tod war für die gesamte Bevölkerung der Oase ein schwerer Schock gewesen. Kinder starben oft, aber auf Kinder von Dorfoberhäupter achtete man normalerweise besonders.

Und so machte sich auch das regierende Paar Thilias in seiner Trauer schwere Vorwürfe, bis es irgendwann einsah, dass sein geliebter Sohn davon auch nicht wieder lebendig wurde. Sie hatten ihn verloren, er ruhte friedlich im Himmelreich. Vermutlich war es gut so, die Götter hatten sicher einen Grund gehabt, ihn zu sich zu nehmen. Das Leben war nun einmal hart, aber Trauer hielt es nicht an, auch Chatgaia und Harata mussten weiter machen.

Und das taten sie.
 

Inzwischen waren seit dem Tod des kleinen Jungen über drei Jahre vergangen.

Die Zwillinge sprachen nicht darüber. Das taten sie nie und sie würden es auch nie tun. Sie lebten einfach ihr eigenes Leben in Morika.

„Hör auf, du Depp, eeey!“

Imera schupste seinen Bruder etwas unsanft von sich, aber der ließ sich davon nicht beirren und strahlte bloß weiter doof.

„Du hast mir einen Keks geschenkt, ich liebe dich!“, machte er, breitete die Arme aus und umarmte den Älteren abermals gegen seinen Willen. Manchmal bekam dieser nämlich von seinem Vater Süßigkeiten und wenn er es nicht schaffte, alle zu essen, gab er den Rest seinem kleinen Zwilling. Vielleicht sollte er sich das auch abgewöhnen, bevor Mayora ihn eines Tagen noch einmal zu Tode lieb hatte.

„Aber dann musst du mich doch nicht küssen, du ekliges Dings, jaaha...“, maulte der Ältere angewidert, ergab sich jedoch der liebevollen Umarmung und seufzte.

Alhata schenkte bloß Imera Kekse. Rahlina bekam seit sie zur Schule ging und bewies, wie intelligent sie war, manchmal Bonbons zur Belohnung und der Jüngste ging leer aus, weil der ja nichts tolles machte und nur Geld kostete. Aber seine Geschwister gaben ihm ja gelegentlich etwas ab, außerdem forderte Mayora so wie so nicht.

Er war ein simples Kind, er war einfach da und war der Welt für jeden Tag, an dem er auf ihr leben durfte, dankbar. Und seinem Bruder dafür, dass es ihn gab.

„Ich küss dich aber gerne!“, erwiderte er so unschuldig und wollte es für den verkrüppelten Keks abermals tun, da wurden die Kinder von ihrem Vater, der in diesem Moment die Küche betrat, unterbrochen.

„Benehme dich doch einmal wie ein Mann, Mayora!“, kommentierte er die Szene, während er sich ein Glas Kaliri-Saft eingoss, „Du kannst nicht den ganzen Tag an deinem Bruder hängen. Wenn er dich nervt, Imera, schlag ihm in die Fresse!“

„Ja, Papi!“, antworteten die Kinder artig und der kleine Himmelsblüter entschloss klug, den Älteren besser los zu lassen. Er wollte seinen Vater schließlich nicht verärgern.
 

„Könnt ihr bitte mal abhauen?!“, machte der Mann da, als er fertig getrunken hatte und schenkte seinen Söhnen einen befremdlichen Blick, „Ich muss etwas wichtiges mit Mama abklären, die kommt gleich.“

Die Kinder nickten artig. Zu widersprechen wagten sie eh nie, noch nicht einmal Imera, der doch eigentlich so ein Großmaul war. Ihr Vater war eine absolute Respektperson.
 

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„Hat Vatilein nicht gesagt, wir sollen weg gehen?“

Mayora schaute seinen großen Bruder ahnungslos an und der verdrehte die Augen.

„Du bist voll doof, jaahaa, du blödes Kind!“

Auch wenn er immer brav tat, bedeutete das nicht, dass Imera immer auf seine Eltern hörte. Besonders von seiner Mutter hielt er nicht viel, aber auch seinem Vater tanzte er manchmal ein wenig auf der Nase herum. Und sein naiver Zwilling gleich mit, der tat nämlich immer das, was er auch machte. Seine komische Tante Chatgaia meinte manchmal, er sei sein Schatten, aber er verstand nicht so ganz, was sie damit sagen wollte...

„Aber warum verstecken wir uns hinter der Tür?“

Mayora war ebenso nicht mit großer Intelligenz gesegnet. Thilias Dorfoberhaupt hatte bei beiden bereits festgestellt, dass sie in manchen Bereichen ziemlich nachhinkten, den kleinen Jungen war das aber recht egal. Dafür hatten sie andere Vorzüge, genau. Jaahaa.

„Damit wir zuhören können, jahaa, und damit Papa und Mama uns nicht bemerken, du Nase!“

Imera grinste, weil er sich gerade genial fand. Auf sowas musste man erst einmal kommen, sich verstecken und dann zuhören... Mann, war er gut. Sein Bruder fand das auch und klatschte in die Hände.

„Und jetzt sei leise, jahaa?“
 

In dem Moment betraten ihre Eltern vom Hintereingang aus die Küche. Ihre Mutter war nicht von selbst erschienen, ihr Vater hatte sie suchen müssen.

„Dass du nicht von selbst kommen kannst, hohle Nuss.“, kommentierte er das verärgert und sie neigte leicht den Kopf.

„Ich hatte zu tun, verzeih. Worum geht es?“

Sie setzten sich an den hölzernen Tisch und der Mann seufzte und fuhr sich entnervt durchs Haar.

„Alles ist mein Vater Schuld!“, begann er, „Er hat unser schönes Dorf zerstört!“

Tagami legte den Kopf etwas schief.

„Ich verstehe nicht.“, gab sie dann zu und ihr Gegenüber schnaubte.

Die beiden Jungen hinter der Tür warfen sich einen viel sagenden Blick zu. Immer, wenn ihr Vati damit begann, dass sein Papa alles Schuld sei, wurde es ein schlechtes Gespräch, das hatten selbst die etwas dümmlichen Zwillinge schon gemerkt.

„Morika ist wirtschaftlich am Ende!“, fauchte ihr Vater da laut und ihre Mutter zuckte etwas zusammen, „Jahrelang versuche ich, es wieder hinzubekommen, ich habe so viel Geld in die Erhaltung gesteckt und...“

Er hielt inne und verstummte. Die Kinder hinter der Tür verstanden im Übrigen nicht sonderlich viel von diesem Gespräch, die fanden es bloß toll, etwas verbotenes zu hören.

„Und was?“, erkundigte sich Tagami da und ihr Gatte lehnte sich im Stuhl zurück und schloss die Augen.

„Ich habe immer alles für meine Heimat getan, ich habe alles für sie gegeben.“, antwortete er leise und schaute seine Frau nicht an, „Weib... die Kassen sind leer.“

Leere Kassen? Bedeutete das etwa, dass man kein Geld mehr zählen konnte? Mayora war das egal, aber Imera war beunruhigt, er zählte doch so gern Geld!

Ihre Mutter ihrerseits war das Zählen herzlich egal, sie schlug sich nur geschockt die Hände vor den Mund.

„Die Kassen sind leer?!“, keuchte sie, „Du meinst, komplett leer?! Die Dorfkasse ist unsere Kasse, Alhata! Wir verwalten sie und leben davon, wenn sie leer ist haben wir nichts mehr zu essen! Und... die Kinder! Wir wollten doch endlich mal die Kammer schön machen, damit Mayora und Imera sich nicht mehr einen Raum teilen müssen!“

„Weiß ich doch!“, unterbrach er sie grob und sie strich sich nervös ein paar Strähnen aus dem Gesicht.

„Alhata... was hast du gemacht?“

Er antwortete nichts und starrte die Tischplatte an.
 

Und dieser Tag war es, der alles verändern sollte. Nahm man es genau, war dieser Tag der Anfang vom Ende. Oder so ähnlich.

Denn die Veränderungen kamen langsam.
 

„Mami, das ist mir sehr peinlich.“

Rahlina kniete neben ihrer Mutter im Garten und grub ein paar verkrüppelte Rüben aus dem schlechten Boden. In Thilia konnte man wesentlich besser anpflanzen, hatte Tagami bemerkt, dort gab es wenn man ein paar Zentimeter tief grub fruchtbaren Mutterboden. In Morika hingeben stieß man unter der Sandschicht auf pures Geröll, hatte sie das Gefühl, als sie ihre vom vielen Graben und Hacken blutigen Hände betrachtete. Blutig waren sie vor lauter Arbeit noch nie gewesen.

Aber das würden sie wohl in nächste Zeit bleiben. Sie hatten die Haushaltshilfen entlassen müssen und kauften so wenig auf dem Markt wie möglich, das hieß viel Schuften im Garten. Außerdem hatte Alhata seinen mittlerweile 17-jährigen Halbbruder vor die Tür gesetzt, weil er den ebenfalls für einen Geldfresser gehalten hatte. Seine Frau konnte diesen Schritt nicht ganz nachvollziehen, Rohama hatte immer sehr im Haushalt mitgewirkt, obwohl er das nach dem Verschwinden seines Vaters gar nicht mehr gemusst hatte, der hätte ihr sicher auch diese eklige Arbeit draußen abgenommen. So war er jetzt zu einem Mädchen aus Thilia gegangen, toll.

Ihr Heimatdorf musste aber auch ganz schön am verkommen sein, sie hatte die Freundin ihres Schwagers einmal zu Gesicht bekommen und war schockiert gewesen. Sie schien nicht viel älter als Rahlina gewesen zu sein... aber wenn ihre Eltern es denn zuließen, ihr egal.

„Hörst du mir zu?!“

Ihre kleine Tochter zupfte ihr mit den schmutzigen Fingern am Ärmel und sie nickte langsam.

Das war ihr peinlich... ja, das konnte sie verstehen.

„Du wirst immer eine Prinzessin bleiben, auch wenn du im Dreck wühlst, Tochter.“, antwortete sie nur betrübt und senkte den Blick.
 

Die Zwillinge saßen ein paar Meter weiter auf dem Boden und spielten mit Murmeln.

„Prinzessin Rahlina, Prinz Imera und... Doofi-Bruder.“, murmelte der Ältere der Beiden dabei vor sich hin und gluckste ein wenig, Mayora legte dabei sein Köpfchen schief.

„Warum bin ich Doofi-Bruder?“, wollte er lieb wissen und der Andere schaute ihn blöd an.

„Weil du hässlich bist.“

Dass die Antwort nicht ganz logisch war, war Imera recht egal. Davon abgesehen sahen sich die beiden Brüder bis auf ein paar Kleinigkeiten auch sehr ähnlich, aber wen scherte es schon...

Der Grünhaarige dachte allerdings ziemlich genau so, oder eben gar nicht, wie sein Zwilling und nickte einsichtig.

„Das wird es sein!“
 

„Dumm und hässlich sind nicht das Selbe, Sohn.“, mischte sich da Alhata ein, der gerade mit einem halb vollen Korb ankam. Er war einkaufen gewesen von dem wenigen Geld, dass er noch hatte.

Aber selbst, wenn die Familie noch reich gewesen wäre, das Dorf befand sich in einer Krise, es gab ohnehin nur noch halb so viele Nahrungsmittel wie zuvor. Und Tagami fragte sich noch immer, was ihr Mann eigentlich getan hatte, dass sie so pleite waren. Vielleicht hätte er das Regieren doch seinem Vater überlassen sollen...

Er seinerseits musterte seinen eigenen jüngsten Sohn ausgiebig.

„Wobei Mayora zufällig dumm und hässlich zugleich ist, meine Güte, man merkt wo du herkommst.“

Tagami im Dreck schnaubte.

Sie war nicht dumm und hässlich, sie hasste die Seitenhiebe dieses Idioten. Konnte der nicht einfach tot umfallen? Sie würde Morika sicher wieder in Schuss bringen...

Die Frau seufzte.

Einst hatte sie ihn geliebt, zu der Zeit, als sie ihm Babies geboren hatte. Aber je älter Alhata wurde, desto mehr schien er zu verblöden irgendwie. Oder lag es doch an ihr, dass sie irgendetwas gravierendes falsch machte? Sie wusste nicht, was.

Verdammt, sie wühlte für ihn uns seine Plagen im Dreck!
 

„Was kann ich dagegen tun, Vati?“, hörte sie Mayora da traurig fragen und der Mann lachte leise und ging weiter Richtung Haus.

„Weiß ich nicht.“, antwortete er noch, „Lebe damit... oder sterbe halt.“

Dass man so etwas nicht zu seinen Kindern sagte, nahm in der Familie keiner mehr wirklich wahr. Besonders im Bezug auf Mayora, der ohnehin nicht sonderlich erwünscht zu sein schien, aber der war ja auch kein intelligentes Wesen, der Meinung war Rahlina zumindest.

Sie war ein liebes Mädchen, das ihre beiden Brüder sehr gern hatte und sich hingebungsvoll um sie kümmerte, aber gerade deswegen fielen ihr „solche Sachen“ vielleicht auch auf.

'Mayorachen ist nicht normal.', hatte sie so ihrer Mutter eines Tages erklärt, 'Wenn man ihn beleidigt, dann lächelt er oder er versteht es nicht und wenn man es ihm klar macht, gibt er einem Recht. Und wenn man ihn verhaut, dann weint er nie. Ich glaube, er ist zu doof zum Fühlen, oder?'

Zu doof zum Fühlen, Tagami fragte sich, ob das ging. Dass Mayora anders als seine Geschwister war, war ihr allerdings auch schon aufgefallen.

War wohl seine Art, ließ sich nicht ändern. War ihr auch egal.
 

In den nächsten Monaten musste ihr so einiges egal werden. Ihre Kleidung und ihr Ansehen zum Beispiel.

Mittlerweile wurde das Paar in Morika gehasst, es war ein offenes Geheimnis, dass Alhata alles kaputt gemacht hatte. Und sie als seine Frau war natürlich automatisch mit Schuld, auch wenn alles hinter ihrem Rücken geschehen war und sie gar nicht verstand, was ihr Gatte da überhaupt gemacht hatte. Aber sie verfluchte ihn dafür. Und das zeigte sie ihm im Laufe der Zeit immer deutlicher.

Dafür verfluchte er wiederum auch sie und nahm damit kein Blatt vor den Mund, wie er eines Morgens beim Frühstück, das aus trockenen Kaliri-Brotscheiben und Wasser bestand, bewies.
 

„Hör gut zu, Sohn.“, sein Sohn war Imera und der sah kauend auf, als sein Vater sich zu ihm herüber beugte.

Er hatte etwas miese Laune, weil er Wasser und Brot essen musste und das eklig schmeckte, wie er fand.

„Du findest das widerlich.“, bemerkte der Vater da auch an seinem Blick, dann seufzte er, „Kann ich verstehen, ich auch. Also, pass auf, Tipp fürs Leben...“

„Ist das auch ein Tipp für mein Leben?“, mischte sich Mayora ein und funkelte seinen Vater aus großen, neugierigen roten Augen an. Der schnaubte nur.

„Halt den Rand. Also Imera...“

Er griff nach einer frischen Scheibe Brot und wedelte damit theatralisch in der Luft herum. Seine Frau warf ihm bloß einen missmutigen Blick zu, in einer solchen Situation mit Essen zu spielen...

„Wenn du erwachsen bist, ja? Wenn du erwachsen bist, dann suchst du dir ne Frau, machst ihr ein möglichst männliches Kind und lässt sie dann einfach links liegen. Und wenn du nicht mehr Dorfoberhaupt sein kannst, wird es dein Sohn, das ist viel bequemer als zu heiraten!“

Der Junge nickte einsichtig und sein kleine Bruder verstand. Er würde ja nicht Dorfoberhaupt werden, er musste das also gar nicht wissen. Aber interessant war es trotzdem. Falls sein lieber Bruder diesen Rat vergessen würde, würde er ihn daran erinnern, genau.

Er schüttelte erschreckt über seine Gedanken den Kopf.

Also wirklich, wie konnte er nur annehmen, dass Imera etwas vergaß?! Er war schlau, so etwas wichtiges merkte er sich sicher. Also echt, für so etwas Törichtes gehörte er bestraft...

„Und wenn du schlau bist, Rahlina...“, lenkte seine Mutter da die Aufmerksamkeit auf sich, als sie ihre hübsche Tochter ansprach, „Falls dein Vater dich jemals fragen sollte, ob du aus politischen Gründen irgendeinen Macker, den du nicht kennst, heiraten willst, antworte mit nein und sterbe zur Not lieber als Jungfrau, das ist immer noch besser, als das hier.“

Schweigen.

Die Kinder senkten auf Kommando ihre Häupter. Irgendetwas stimmte nicht...
 

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Dass etwas nicht stimmte erfuhr man im Laufe der nächsten Monate auch in Thilia, und so stand irgendwann das sehr viel beschäftigte Dorfoberhaupt des Nachbarortes persönlich vor der Tür.

Imera staunte nicht schlecht, als er seine Tante nach längerer Zeit zum ersten Mal wieder sah.

Seine Mutter war manchmal mit Rahlina zu ihr gegangen, als sie noch reich gewesen waren, aber er war mit Mayora lieber immer zuhause geblieben. Sein Bruder mochte „Tataya“ zwar sehr gern, aber der hatte nichts zu melden. Dem älteren Bruder war seine Tante gruselig, er wollte nichts von ihr wissen. Und ausgerechnet er öffnete ihr die Tür.
 

Chatgaia ihrerseits war ganz erfreut, von ihrem Neffen eingelassen zu werden. Zum Einen, weil sie ihn lang nicht mehr gesehen und zum Anderen, weil sie keine Lust auf Alhata hatte. Egal, was hier los war, er war ohnehin Schuld...

„Freut mich sehr, dich zu sehen, Imera.“, grüßte sie den Jungen so lächelnd und küsste ihn auf die Stirn, worauf er angewidert das Gesicht verzog.

Wie konnten dieses eklige Weib es wagen...?

„Was willst du, Tante, hää?“

Den Kuss wegzuwischen versuchend, gab er sich keinerlei Mühe, seine Abneigung zu verheimlichen. Sein Vater hatte ihm gesagt, sie sei eine Hexe und von Hexen wollte er Abstand...

Die Frau hatte so etwas in der Art bereits geahnt.

Imera würde einmal Morika regieren, sein Vater erzog ihn zu seinem Ebenbild und Alhata konnte sie nun einmal nicht leiden.

Nun gut, sie konnte ihm also nicht böse sein, der etwas dümmliche Junge war einfach das, was man aus ihm machte.

„Ich wollte euch besuchen, darf ich das nicht?“, antwortete sie so auch ruhig und der Kleine schnaubte.

„Bloß, wenn du einen Grund hast, jaahaa!“

Er versuchte möglichst ernst zu wirken und verschränkte die Arme vor der Brust. Zu seinem Ärgernis brachte das seine Tante bloß zum Schmunzeln.

„Bist du immer noch nicht von diesem 'jaahaa' los gekommen? Meine Güte...“

Das genügte, wie erwartet, um den Jungen aus dem Konzept zu bringen.

Er errötete und schnappte eine Weile nach Luft, letztendlich fiel ihm keine andere Antwort ein als „Jahaa.“, was sein Gegenüber wenig beeindruckte und es einfach grinsend an ihm vorbei das Haus betrat. Frechheit!
 

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„Ob alles in Ordnung ist?!“, Tagami zerbrach auf die simple Frage ihrer Schwester hin eine Vase.

Sie war eh wertlos gewesen, ein hässliches Überbleibsel von Omola, das konnte sie ruhig kaputt machen.

Chatgaia hob überrascht eine Braue. Sie hatte die Jüngere wohl zu lang sich selbst überlassen...

„Es ist nicht alles in Ordnung!“, begann diese da, „Ich könnte unsere Eltern verfluchen, wenn es nicht verboten wäre, dieser Mann ist das Letzte!“

Ihre Schwester verkniff es sich, sie darauf hinzuweisen, dass sie sie ausreichend gewarnt hatte und lauschte weiter.

„Ich habe ihn einst geliebt, aber er ist einfach nur ein Trottel!“

Die junge Frau setzte sich verzweifelt ihrem Gast gegenüber und fuhr sich durch ihr Gesicht. Sie sah schlimm aus...

„Seit über 1000 Jahren gibt es das ehrenwerte Dorf Morika, mein Idiot von Ehemann hat es geschafft, es innerhalb weniger Jahre in den Ruin zu treiben! Wir haben kein Geld mehr! Unser Garten hat kaum Ertrag, es ist nahezu unmöglich in der schlechten Erde im Ort etwas anzubauen! Wir haben nichts mehr und der Hälfte unserer Bürger geht es genau so! Der Rest hat das Geld und die Macht, auf Alhata hört doch keiner mehr, den armen Schlucker!“

Die Ältere seufzte besorgt.

Ja, auch das hatte sie geahnt. Aber eine Zeit lang nicht daran geglaubt, es nahm sie schon ziemlich mit...

Hoffentlich bekam dieser Idiot sein Kaff wieder in den Griff. Wenn in Morika die Lage angespannt war, übertrug sich das gern auch auf den Nachbarort und das konnte dessen Oberhaupt sicher nicht gebrauchen. Wobei man vor ihr als Frau mehr Respekt hatte als vor Alhata als Mann, wie jämmerlich.

Das ihrer Schwester auf die Nase zu binden brachte es jedoch auch nicht unbedingt, der ging es schlecht genug.

„Du hast adliges Blut, Tagami.“, begann sie so stattdessen, „Du musst nicht für deinen unfähigen Mann in dreckiger Erde wühlen. Dafür bist du viel zu wertvoll.“
 

Imera hinter der Tür wunderte sich. Wertvoll? Wie konnte seine Mutter von Wert sein, sie war doch nur ein Weib! Und dann noch nicht einmal ein menschliches, sie war zerbrechlich und das war nie gut... er würde sich hüten, sich auf Frauen wie Tagami oder ihre Schwester einzulassen, am Ende würden die ihm noch ein Kind wie Mayora gebären. Hatte ihm sein Vater gesagt, der wusste das.
 

„Zu wertvoll sagst du!“, machte die jüngere Frau da und riss somit wieder die volle Aufmerksamkeit auf sich, „Natürlich bin ich dafür zu wertvoll und ich selbst würde lieber verhungern, als Alhata diesen Gefallen zu tun, aber ich habe drei Kinder, für die ich sorgen muss!“

Da war etwas Wahres dran. Chatgaia senkte den Blick minimal.

Sie hatte vergessen, wie es war, für ein Kind da sein zu müssen...

Aber ihr kam eine Idee.

„Ich komme morgen wieder und bringe dir etwas zu Essen, ja? Wir haben genügend!“

Thilia ging es gut, sie würde ihrer kleinen Schwester gern aushelfen. Durfte nur niemand erfahren, es war nicht gern gesehen, Dinge vom einen Dorf in das Andere zu bringen. Lag an den verschieden Systemen, das brachte normalerweise bloß Durcheinander...
 

„Was machst du da, Imerachen?“

Der Junge hinter der Tür zuckte erschrocken zusammen, als sein kleiner Bruder plötzlich bei ihm stand und ihn doof anlächelte. Auf seine nicht gerade leise Frage hin wurden auch die Frauen in der Küche aufmerksam und Mayora blinzelte überrascht.

„Oh... Tataya!“

Aus welchen mysteriösen Gründen auch immer nannte der kleine Junge seine Tante seit jeher so und diese musste beim Anblick der Kinder lächeln.

„Na, habt ihr gelauscht?“

Klar, dummes Weib. Der ältere Zwilling verschränkte entnervt die Arme vor der Brust, während der Jüngere zu ihrem Gast eilte und ihn erfreut umarmte. Von so viel Dummheit umgeben zu sein tat weh. Das würde er Papa sagen...

„Was machst du hier, Tataya?“, erkundigte sich Mayora derweil, als sich sein Bruder abwandte und weg ging. Die Frau hob ihn sich auf den Schoß und Tagami wandte seufzend den Blick ab.

„Ich hab mich ein wenig um deine Mami gesorgt, Süßer.“, war die Antwort und der Kleine legte verständnislos sein Köpfchen schief.

Warum gesorgt?

Die Jüngere warf ihrer Schwester einen unmissverständlichen und von ihrem Sohn unbemerkten Blick zu. Nein, sie würde nicht zu viel sagen...

„Würdest du dich nicht um Imera und Rahlina sorgen, wenn du sie eine Weile nicht sehen würdest?“, stellte sie einfach eine Gegenfrage und der Junge machte große Augen.

„Natürlich, ich hab sie ganz viel lieb!“
 

Zeitgleich berichtete Tagamis älterer Sohn seinem Vater, was er mitgehört hatte.

Ausnahmsweise stand er selbst im Garten und kämpfte mit dem Boden... und als er hörte, was Imera ihm sagte, tat er dem Dreck weh. Zumindest, wenn Dreck hätte Schmerzen fühlen können, hätte es ihm weh getan.

„Deiner Mutter reichen Morikas Gaben nicht?!“, fragte er den Jungen empört, während er den Garten tot hackte, „Die spinnt wohl! Geh zu ihr und sag ihr, ich hätte mir was überlegt, von dem die Familie profitiert, vermeide, dass sie Essen aus Thilia annimmt, das wäre eine Schande!“

Der Kleine schaute blöd.

„Und was, Vati, hää?“

Er durfte es wagen, das Handeln seines Vaters in Frage zu stellen, er war der erst geborene Sohn.

So hielt der Mann auch inne und fuhr sich seufzend über das verschwitzte Gesicht.

„Etwas, wofür ich deine Hilfe brauche, Imera. Dann kannst du mir gleich beweisen, was für ein Mann du bist. Da unterhalten wir uns später in Ruhe drüber. Aber jetzt mach!“

Das Kind gehorchte und rannte unverzüglich zurück ins Haus.

Er war ziemlich gespannt, was er denn nützliches tuhen konnte. Hoffentlich war es nicht zu anstrengend...
 

--
 

Er hatte seine Mutter abhalten können. Sie war nicht begeistert gewesen, genau so wenig wie Tataya, wie er sie aus Spaß an der Freude auch manchmal nannte, aber sie hatte gehorcht. Vermutlich, weil es wirklich eine Schande für alle gewesen wäre, Nahrung anzunehmen. Aber Tagami hatte geschworen, es doch zu tun, wenn es sein musste. Sie war nicht weniger störrig als ihre Schwester, sie hatte sich bloß besser unter Kontrolle und das wusste ihr Mann auch.

Aber wie es auch war, Imera fragte sich abends vor dem Einschlafen, was sein Vater wohl von ihm wollte. Er hatte noch nicht mit ihm gesprochen...

„Woran denkst du, Imerachen?“

Er schielte zu seinem kleinen Bruder, mit dem er sich gezwungener Maßen ein Bett teilen musste. Eigentlich hätten die Beiden schon vor Ewigkeiten eigene Zimmer bekommen sollen, aber das schien im Moment unmöglich. Zumindest logisch gesehen, vielleicht ließ sich ja doch etwas machen, wenn man lange genug nervte. Es war nämlich ätzend, mit Mayora zusammen zu schlafen, entweder wollte er ständig kuscheln oder er klaute die Decke.

Diese Missgeburt.

„Geht dich gar nichts an, du Blödmann, das ist nur für Menschen, jaahaa.“

Sein Vater hatte ihm beigebracht, dass Menschen wichtiger waren als Himmelsblüter. Sie waren stärker, schlauer und robuster, allein deshalb war er schon viel mehr Wert als sein zurückgebliebener Bruder.

Manchmal fragte Imera sich, ob der Jüngere sich nicht unheimlich doof vorkommen musste, wenn sie mal im Ort auf Gleichaltrige trafen. Er selbst war ja schon recht zierlich, aber Mayora war so zurückgeblieben, der sah aus, als sei er erst drei Jahre alt! Seine Mutter hatte ihm mal etwas erklären wollen, warum das so war, aber irgendwie interessierte ihn der Grund nicht wirklich. Er fand es nämlich eigentlich sogar ganz gut so, so war er immer der Stärkere.

Was den Kleinen trotzdem nicht vom Schmusen abhalten konnte. Außerdem durften sie sowieso nicht oft ins Dorf...

„Lass mich los, du dummes Stück, eeey!“

Der Brünette verdrehte die Augen. Diese ignorante Klette...

„Ist es schön, wenn man ein Mensch ist?“

Imera verzog entnervt das Gesicht. Solche dämlichen Fragen waren schwer zu beantworten. Und sowas fragte der ihn abends...

„Das ist viel schöner, als wenn man so eine Missgeburt ist wie du, natürlich, jaahaa. Ich bin ja deshalb auch viel toller als du, jaaha.“

Er hoffte, dass das genügte, aber sein Zwilling tat ihm den Gefallen nicht.

„Und warum bist du toller?“, er legte sein Köpfchen schutzsuchend auf die Brust seines Bruders, „Ich will doch auch toll sein, damit du mich auch magst.“

Darauf fiel ihm nichts ein. Was hatte sein Vater gesagt? Der hatte vergessen zu erwähnen, warum...

aber dazu musste man doch nichts sagen, es war doch ohnehin klar. Nur ein Idiot wie Mayora fragte danach, weil er es nicht verstand.

„Ich bin halt toller, weil das so ist. Du kannst gar nicht so toll werden wie ich, jaahaa.“

Der Kleinere seufzte kaum hörbar.

„Du hast Recht.“, machte er dann, „Du bist der Beste...“

Kurz darauf schliefen sie ein.
 

--
 

In der selben Nacht wurde Imera von seinem Vater geweckt. Lautlos schüttelte er ihn leicht an der Schulter und half ihm beim Aufstehen, denn sein jüngerer Bruder hing noch immer halb auf ihm und der durfte nicht geweckt werden, unter keinen Umständen. Das hier war geheim und der braunhaarige Junge kam sich ziemlich toll vor, dass er in sowas hinein gezogen wurde. Er war ja so wie so der Tollste.

Sie setzten sich in der dunklen Küche an den Tisch und der Junge gähnte zunächst einmal ausgiebig, ehe er sein Gegenüber zu Wort kommen ließ. Er war schließlich noch klein und mitten in der Nacht aus dem Bett geholt werden tat ihm nicht sonderlich gut. Aber Alhata kannte sich ohnehin nicht so mit Kindern aus...

„So, hör gut zu, ich werde dir einiges erklären müssen.“, begann dieser da ernst, „Du weißt ja, wir haben nicht mehr genügend zu essen, nicht?“

Der Kleine nickte.

„Denkst du, unseren Nachbarn geht es auch so?“

Es war besser, erst einmal neutral anzufangen, was das Kind jedoch verwunderte.

Den Nachbarn? Über seine Nachbarn dachte Imera selten nach, er wusste bloß, dass es ein dürrer Mann und eine fette Frau waren. Unsympathisch und immer mit einem nicht ganz netten Kommentar über Himmelsblüter auf den Lippen.

„Ich weiß nicht, Papi...“, gestand er, „Warum nicht, hä?“

Das Dorfoberhaupt fuhr sich durch die kurzen braunen Haare und seufzte. Also etwas nachhelfen...

„Denk mal nach, wie viele Personen wohnen neben uns und wie groß ist unsere Familie?“

Der Junge strahlte. Das war eine leichte Zählaufgabe!

„Unsere Nachbarn sind zu zweit und wir zu fünft, jaaha!“

Er war wirklich toll, dachte er sich, als er glücklich anfing, die Beine unter dem Tisch baumeln zu lassen. Sein Vater nickte nur.

„Richtig. Es geht weiter, nehmen wir an, wir und sie bekommen jeweils ein Kaliri-Brot, was meinst du, wer hat länger daran?“

Wollte sein Papa ihn veräppeln? Das war doch Kinderkram, so klein war er dann auch nicht mehr!

„Unsere Nachbarn natürlich, die sind ja nur zwei, jahaa!“

Alhata nickte abermals und bedachte seinen Sohn mit einem seltsamen Blick, den dieser jedoch kaum wahrnahm; sein Gesicht war bloß schwach vom Mondlicht erhellt. Wie machte man in diesem Fall einem kleinen Jungen seine wichtige wie auch schreckliche Aufgabe klar...?

Na wenigstens zog er mit...

„Dir ist also klar, dass unser Hunger nicht an der Menge des Essens liegt, sondern bloß an der Anzahl der Esser?“

Das Kind nickte.

Davon sprachen sie ja die ganze Zeit, er war doch nicht doof...

Alhata seinerseits begann etwas unruhig an seinem Ärmel herum zu zupfen. Er musste auf den Punkt kommen.

Himmel, wie jämmerlich war er denn, dass ihm nichts besseres einfiel als das?

„Morika geht es schlecht, mein Sohn, es ist arm geworden. Das Essen wird nicht mehr, die Familie muss stattdessen kleiner werden und dafür zu sorgen ist deine Aufgabe, Imera.“, er beugte sich etwas nach vorne und über den Tisch zu dem nun verwunderten Kind, „Ich kann nicht dafür sorgen, weil man mich bestrafen würde.“
 

Imera war verwirrt. Jetzt kam er sich heimlich doch doof vor. Oder täuschte er sich nicht und sein Vater redete wirklich sinnloses Zeug...? Wie sollte er denn die Familie kleiner machen?!

„Mir ist klar, dass dich das verwirrt, Imera, ich will es dir erklären...“

Der Mann fuhr sich abermals durchs Haar. Schwierig.

„Dass deine Mutter und ich dazu gehören, ist klar, wir sind Mann und Frau. Du auch, du wirst das nächste Dorfoberhaupt und bist deshalb extrem wichtig. Rahlina ist nicht wichtig, aber vielleicht bekommen wir Geld, wenn wir sie mit irgendeinem Schwachkopf verloben. Bei Mayora ist das nicht so leicht, auf ihn können wir verzichten.“

Der Junge nickte, obwohl er bloß die Hälfte wirklich verstanden hatte. Er war doch noch klein...

Aber es ging um seinen Zwilling, das wusste er.

„Als deine Mutter zum zweiten Mal schwanger wurde, erwarteten wir nur dich, wir haben deinen Bruder nie gewollt. Sei ehrlich, er nimmt nur Platz weg! Im Bett zum Beispiel, du bist ja wirklich zu bemitleiden...“

Das war wahr, dieser Platz-Dieb! ... aber er verstand trotzdem nicht, was sein Vater jetzt genau von ihm wollte.

„Und was mach ich jetzt, hää?“, erkundigte er sich so und Alhata schenkte ihm einen seltsamen Blick.

„Irgendetwas.“

Auf die komische Antwort hin veränderte sich auch das Antlitz des Mannes ein wenig und der Junge legte den Kopf schief.

„Was?“

„Tu irgendetwas, stupse ihn in den See, schmeiße ihn irgendwo herunter oder schlag so lange mit dem Stock auf ihn ein, bis er sich nicht mehr regt, Hauptsache ist, wir werden ihn so schnell wie nur irgendwie möglich los! Es ist einfach nur ein Unfall dann, ja? Wie bei Taranii damals!“

Taranii war ein böser Name. Das Kind riss die Augen benommen auf. Mit Mayora sollte das Selbe passieren wie mit seinem Cousin?!

„Nein Vater, das kann ich nicht!“

„Du musst!“

Das Dorfoberhaupt baute sich bedrohlich vor dem Brünetten auf.

„Willst du, dass wir alle verhungern müssen, weil dieses nutzlose Balk uns alles weg isst? Möchtest du schlimme Rückenschmerzen haben, wenn du so alt bist wie ich, weil du ständig unbequem im Bett gelegen hast?! Sieh es ein, es ist die einzige Möglichkeit!“

Der Kleine erzitterte. Aber das mit Taranii war so schrecklich und tat ihm im Herzen so weh, wenn er das nochmal tun würde, würde es ja doppelt so weh tun!

„Es bleibt unter uns, niemand wird es erfahren, bloß mich machst du sehr stolz damit, Imera, bitte...“
 

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In den nächsten Tagen konnte es der Junge nicht vermeiden, sich seltsam zu benehmen.

Er musste seinen Vater doch stolz machen, aber wie sollte er Mayora denn bitte los werden? Wie Taranii, hatte er gesagt... ihn von den Klippen stupsen?

Sie fürchteten sich beide vor diesem Ort, da wollte er nicht hin. Und hauen tat er seinen Bruder ohnehin total oft, davon war er noch nie gestorben.

Und... und, wie stellte sein Vater sich das vor? Er wollte das nicht, außerdem ging er doch bald zur Schule und hatte ohnehin keine Zeit mehr dafür, jaaha!

Sein kleiner Zwilling würde, wie es für Kinder mit Himmelsblut üblich war, erst mit 8 eingeschult werden, so wurden sie zum ersten Mal in ihrem Leben getrennt.

Imera war das ganz recht, weil ihn der Kleine ohnehin nervte, aber die Vorstellung, dass er plötzlich ganz weg war, auch noch wegen ihm, war befremdlich. So verdrängte er die Bitte seines Vaters zunächst einmal und lebte einfach weiter.
 

Tagami wurde natürlich unruhig. Alhata hatte versprochen, dass sich etwas ändern würde, durch Imeras nichts-tuhen trat das natürlich nicht ein.

Am Morgen der Einschulung des ältesten Sohnes eskalierte es dann.

„Es ist doch furchtbar!“, schrie die Frau ihren Gatten an, als der mehr oder minder zurecht gemacht in der Küche erschien, „Ich kann unserem Sohn kein Pausenbrot machen!“

„Dann isst er halt kein Pausenbrot, er ist dick genug.“, antwortete der Mann bloß unbekümmert und goss sich ein Glas Wasser ein. Allein für diesen Satz hätte die Magierin ihn schon ohrfeigen können, Imera bestand, wie der Rest der Familie auch, nur noch aus Haut und Knochen!

Nein, langsam reichte es.

„Wir werden sterben, Alhata, wir regieren dieses Dorf und Zerfallen mit ihm!“, schrie sie, „Ich habe keine Kraft mehr! Warum darf ich nichts von Chatgaia annehmen? Bist du neidisch, weil sie Thilia regieren kann und du hoffnungslos überforderte bist?!“

Er schlug ihr ohne Vorwarnung ins Gesicht.

„Wage es nicht, mich in Frage zu stellen, Weib! Du tust, was ich dir sage, du hörst auf mich! Ich weiß, was wann zu tun ist und damit hat sich das!“

Er wusste es nicht und es versetzte ihm einen unangenehmen Stich, dass sie ihn genau durchschaut hatte.

Sie fasste nach ihrer Wange.

„Du bist so abscheulich, weißt du das?“, fragte sie leise und er grinste sie eisig an.

„Und du bist eine kleine Missgeburt und ein Flittchen, außerdem...“, er unterbrach sich und drehte den Kopf noch immer grinsend in Richtung Tür, „Guten Morgen, Imera.“
 

Der Junge stand da etwas bedeppert und hatte seinen Eltern beim Streiten zugesehen. Er hatte ohnehin ein Talent dafür, immer im falschen Moment am falschen Ort zu sein...

Tagami strich sich errötend eine Strähne aus dem Gesicht.

„Guten Morgen, Kleiner...“, begrüßte sie ihn darauf ebenfalls verhalten und lächelte aufgesetzt, „Ich werde dir leider nichts zu Essen mitgeben können, sei nicht böse, ja?“

Er nickte.

Er hatte ja gehört, was das Paar da 'besprochen' hatte, er wusste Bescheid.

Sie stritten sich, weil sie nichts zu essen hatten. Mutter und Vater waren deswegen böse aufeinander. Er war wichtig und hatte kein Pausenbrot. Das war wirklich schlimm...
 

Das war der Moment, in dem sich der kleine Junge dazu entschloss, der Bitte seines Vaters doch irgendwie nachzukommen.

Mayora war unwichtig und aß ihm alles weg, die Sau. Er war doof und hässlich und konnte nichts, er war völlig überflüssig, niemand brauchte jemanden wie ihn als Bruder. Und Imera erst recht nicht, er war toll für zwei Personen. Oder drei. Oder noch mehr, egal.
 

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Schule war im Übrigen doof, wie er feststellen musste. Mathematik war zu einfach und Sprache zu schwer, wobei alle anderen Kinder seltsamer Weise fanden, dass es genau umgekehrt war. Nein, nicht nur das, sie lachten ihn sogar aus, weil er der einzige war, der seinen Namen noch nicht schreiben konnte und das machte ihn sehr wütend. Am liebsten hätte er alle verhauen, aber er war ärgerlicher Weise der Kleinste und Schwächste und konnte sich das nicht erlauben. Übrigens war das auch Mayoras Schuld, sein Vater hatte ihm erklärt, dass er ihm in Mamas Bauch den Platz zum Wachsen weg genommen hatte, Frechheit...

Und so kam ihm, als er etwa eine Woche nach seiner Einschulung nach Hause ging, mit einer riesigen Wut im Bauch die Idee seines Lebens, wie er fand.

Vater wollte, dass er seinen Bruder aus Versehen kaputt machte. Und er war sehr böse und musste sich dringend abreagieren... vielleicht klappte das ja.

Der kleine Grünhaarige kam ihm so wie so jeden Mittag nach der Schule entgegen gerannt, um ihn zu begrüßen und zu knuddeln, was dem Älteren nebenbei bemerkt ziemlich peinlich war, aber da war der Jüngere stur.

Bloß heute war es nicht so.

'Vielleicht hat er wieder Fieber.', überlegte sich der große Bruder grimmig, als er die letzten Meter bis zu seinem Haus ging. Das war durchaus plausibel, Mayora war sehr oft krank. Er war noch schwächlicher als der Brünette, vielleicht starb er ja mit etwas Glück von selbst oder so...
 

Nein, er war gesund. Er war gesund und unterhielt sich mit der fetten Nachbarin, dabei hatte er glatt vergessen, seinem Zwilling entgegen zu rennen. Die Dame schien ihn zu belehren.

„... und wegen deiner giftigen Bakterien, halten du und deine Schwester sich von unserem Grundstück so weit wie möglich fern, ja? Sag das deiner Mutter auch! Und was hab ich dir noch gesagt?“

Der kleine Junge lächelte.

„Wir sehen so hässlich aus, deshalb sollten wir lieber im Haus bleiben, richtig?“

Sie nickte, da bemerkte sie Imera, der stirnrunzelnd ein paar Meter entfernt stand. Also so hässlich waren sie jetzt auch wieder nicht...

„Da ist ja der andere Schisser.“, grüßte sie ihn liebevoll und Mayora, der ihn nun auch sah, strahlte.

„Mein lieber großer Bruder!“

Er konnte sich beherrschen und hob sich das Kuscheln für später auf, als sich der Ältere verwirrt neben ihn stellte und zu der fetten Nachbarin aufsah.

„Stimmt etwas nicht, hää?“, fragte er höflich und die Frau lachte.

„Oh nein, alles in Ordnung! Du weißt nicht zufällig, was dein Vater so mit unseren Steuern anstellt?“

Die Zwillinge warfen sich verwirrte Blicke zu. Steuern? Sie waren noch klein, was wussten sie von Steuern...?

„Ich weiß es nicht, nein.“, gab der Braunhaarige so zu und das Gesicht der Dame verfinsterte sich bedrohlich.

„Niemand weiß hier etwas!“, schimpfte sie, „Wir haben kein Geld und das wenige, das wir haben, geben wir euch, was macht ihr damit?!“

Die Kinder hatten keine Antwort.
 

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„Was machen wir hier, großer Bruder?“

Nachdem sie dürftig zu Mittag gegessen hatten und ihre Mutter ebenfalls keine Antwort auf die Frage der Nachbarin gewusst hatte, waren die Kinder nach draußen zum Spielen gegangen. Zumindest hatten sie das Tagami erzählt, Imera hatte etwas anderes vor, auch wenn er sich irgendwo etwas komisch fühlte, als er mit einem kleinen Holzstöckchen in der Hand herum wedelte.

Sie befanden sich etwas außerhalb des Ortes auf einer Wiese in Richtung Thilia. Eigentlich durften sie nicht hier hin, aber keiner hatte es mitbekommen...

„Ich will dich bestrafen, jahaa.“, begann er da und der Kleinere blinzelte geschockt.

„Bestrafen?“, machte er, „Hab ich dich verärgert? Oh bitte verzeih, Imerachen!“

Er warf sich unterwürfig auf die Knie und der Ältere musste grinsen, ohne ganz zu verstehen, warum. Er kam sich so stark vor, in der Schule war er immer so schwach, das war jetzt richtig angenehm.

Er schlug mit dem Stock nach seinem Bruder und traf ihn an der Schulter, worauf er zusammen zuckte und den Kopf so weit wie möglich senkte.

„Was habe ich getan, großer Bruder?“, fragte er mit bebender Stimme und der Angesprochene freute sich diebisch über seine Reaktion. Sein Vater konnte wirklich stolz auf ihn sein!

„Du nimmst mir Platz und Essen weg, du Missgeburt, jaahaa!“

Er schlug abermals nach ihm und traf ihn am Hals. Ob er davon wohl schon kaputt ging, fragte sich Imera naiv und machte einfach weiter, weil es irgendwie spaßig war.

Er dachte an die dummen Kinder in der Schule und die blöde Nachbarin und seine unsympathische Tante und wurde immer wütender und ungehaltener, bis er irgendwann müde wurde und sich nach einem letzten heftigen Schlag keuchend, aber zufrieden ins Gras fallen ließ.

Mayora hatte während der ganzen Tortur weder aufgesehen, noch ein Laut von sich gegeben. Er hatte es einfach hingenommen, auch wenn er nicht verstand, was in seinen großen Bruder gefahren war. Aber Imerachen war schlau, er wusste, was Recht und Unrecht war.

Er schielte zu ihm, wie er jetzt erschöpft und zufrieden vor ihm auf dem Boden lag und glücklich in den Himmel starrte.

„Hast du mich noch lieb...?“

Der Älter lachte gut gelaunt.

„Öh... keine Ahnung, aber mir geht’s jetzt besser, jahaa!“

Scheinbar hatte es seinen Zwilling nicht tot gemacht, wie schade. Oder auch nicht, so konnte er ihm länger weh tun, wenn er es bei anderen nicht tun konnte. Verdammt, warum musste er auch so klein und schwach sein...?

Er schnaubte, als er merkte, wie Mayora vorsichtig auf ihn zu krabbelte und sich dann neben ihn legte, um ebenfalls in den Himmel zu sehen. Er hatte rote Striemen an Hals und Nacken.

„Das ist schön...“, entgegnete er auf die vorherige Aussage seines Bruders und lächelte leicht.

Er war nie böse, irgendwie hatte sich Imera das auch schon im Voraus gedacht. Manchmal hatte er ihn auch so gehauen, ohne ihn kaputt machen zu wollen, da hatte er sich auch nie beschwert.

Irgendwie lustig, einen so doofen Zwilling zu haben...
 

Am Abend führte der kleine Braunhaarige wieder ein Gespräch mit seinem Vater.

„Ich habe schon befürchtet, du wärst kein richtiger Mann...“, machte er, während er seinem Kind in der dunklen Küche etwas Kaliri-Saft eingoss. Zur Belohnung, weil es artig gewesen war...

„Aber ich habe mich getäuscht, du bist wahrhaft würdig, mein Nachfolger zu werden. Was du machst, würde nicht jeder für seine Familie tun, aber du weißt, was richtig ist!“

Nein, das wusste er nicht. Es tat bloß gut, seine Wut heraus lassen zu können. Aber wenn Papa sich daran erfreute, umso besser.

Er nahm den Becher gut gelaunt entgegen und trank ihn in einem Schluck aus.

„Aber Papi?“, er blinzelte den Mann verwirrt an, „Ich hab ganz doll zugehauen, aber er ist nicht tot gegangen, jaaha.“

Alhata lachte leise und setzte sich zu seinem Sohn, um ihm den Kopf zu tätscheln. Er tat in seiner Naivität tatsächlich, was er von ihm verlangte, da konnte er ja froh sein, einen so dummen Jungen gezeugt zu haben.

„Das ist ganz normal, von dem heute stirbt niemand.“, erklärte er ihm, „Versuch es weiter, du bekommst das sicher hin.“

Wenn die Kinder in seiner Klasse weiter so gemein zu ihm waren, bestimmt.

Er seufzte deprimiert.

„Niemand in der Schule mag mich, jahaa...“, gestand er leise und sein Gegenüber hob eine Braue, als der kleine Junge zu schluchzen begann.

Da konnte es noch so lustig sein, seinen gefühlskalten Bruder halbtot zu prügeln, es schmerzte ihn selbst tief in der Seele, nicht gemocht zu werden.

Und bloß, weil er es immer noch nicht schaffte, seinen Namen zu schreiben. Oder weil er besser rechnen konnte als alle anderen, wie auch immer.

Der Vater grinste wissend.

„Das war bei mir zu Beginn auch so.“, gestand er, „Aber da hat mein Papa mir einen guten Rat gegeben, merk ihn dir, er ist nicht schwer...“

Es war das Einzige, das nutzte, so hatte er die Erfahrung machen müssen. Imera schaute ihn aus großen Augen an und nickte.

„Gib an. Du kannst angeben, du bist der Sohn des Dorfoberhauptes! Du siehst gut aus und wenn dich jemand auslacht, weil du in Sprache nicht gut bist, demonstriere ihm deine Rechenkünste. Und zur Not, drohe damit, dass ich seine Eltern häuten lasse, das zieht immer...“

Das machte Sinn.

Der kleine Junge strahlte. Wenn er allen Kindern Angst machte, wollte sie sicher seine Freunde sein!
 

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Nicht ganz, Freunde wurden sie nicht, aber sie gaben sich aus Furcht vor seinem Vater mit ihm ab. Ungern zwar, aber sie taten es. Eigentlich war er nur nervig und dumm.

„Hast du nicht auch noch einen Bruder oder so?“, wollte ein Junge irgendwann von ihm wissen, als sie im Schatten eines verdorrten Kaliri-Baumes hockten.

Mayora und Rahlina durften das Haus nicht zu oft verlassen. Die Dorfbewohner gaben zum Teil nämlich Tagami die Schuld an ihrem Elend, sie war Himmelsblüterin, sie hatte sie sicher verhext, so glaubten sie. Magier waren gruselig.

Und die beiden Kinder waren es so auch. Und was taten die Leute, wenn sie etwas fürchteten?

... nein, es war nicht gut, die Geschwister nach draußen zu lassen.

So kannten Imeras Klassenkameraden seine Schwester bloß flüchtig aus der Schule und seinen Bruder größtenteils überhaupt nicht.

„Ihr habt nichts verpasst, wenn ihr Mayora nicht kennt, jaahaa.“

Der Brünette grinste. Irgendwie konnte er ihn so oft hauen, wie er wollte, der ging nicht tot. Sein Vater war auch schon ganz genervt, er verstand gar nicht, was er falsch machte...

„Ich will ihn aber mal kennen lernen!“, erwiderte ein Mädchen da trotzig und piekte ihn, worauf er sie böse anschielte.

Dann lächelte er aber doch.

Was sollte es schon, wenn er in letzter Zeit schon so gemein zu seinem Zwilling war, konnte er ihm doch wenigstens einmal den unausgesprochenen Wunsch, andere Kinder zu treffen, erfüllen, Das wurde sicher spaßig. Die Anderen hatten ja nach ihm gefragt, niemand sollte schimpfen, genau.

War nicht seine Idee gewesen.
 

Am nächsten Tag nahm er ihn mit und bereute es schon nachdem sie ihre Straße verlassen hatten.

„Wenn ich das Haus verlassen habe, bin ich nie diesen Weg gegangen.“, machte der Grünhaarige aufgeregt und schaute sich neugierig um. Nein, sie hatten meist bloß in der Straße oder in der etwas verlassenen Gegend zwischen Thilia und Morika gespielt, das konnte er wohl wirklich nicht kennen. Der Kleine strahlte.

„Ich freue mich sehr auf deine Freunde, großer Bruder, es erleichtert mich, dass sie dich jetzt doch mögen!“

Wobei er ihm jetzt nicht mehr so weh tun konnte, weil er nicht mehr so wütend war. Irgendwie... tat er ihm überhaupt nicht richtig weh, manchmal versuchte er es, aber nur um seinem Vater einen Gefallen zu tun, er wollte seinem Zwilling irgendwie gar nicht richtig schaden.

Auch wenn er ihm den Platz wegnahm und alles weg aß und doof und nutzlos war... er hatte kein Problem damit.

Er war noch klein, er hatte auch anderes im Kopf um sich um die wirtschaftliche Krise seiner Heimat zu kümmern und er kapierte gar nicht richtig, was denn so schlecht an Mayora war.
 

„Das ist doch gut!“

Choraly klatschte in die Hände und lächelte. Er schien ja doch so etwas wie ein Hirn zu besitzen.

Der Junge schielte sie nur düster von der Seite an.

„Warte erst einmal ab, ich bin ja noch nicht fertig.“

Aber überraschend, wie lang das Stadtmädchen den Mund halten und zuhören konnte, das hatte er ihr nicht zugetraut.

Sie blinzelte verwundert.

„Ach? Ich meine, du hast erkannt, dass es keinen Grund gibt, gemein zu deinem Bruder zu sein und hast dich deinem vollkommen gestörten Vater widersetzt, was denn?“

Im selben Moment noch kam ihr, dass das irgendwo nicht stimmen konnte, sonst würde Mayora ihm ja heute noch hinterher rennen, was er ganz bestimmt nicht tat.

Imera fauchte.

„Mein Vater war nicht gestört, er war ein guter Vater, klar?!“

Verblendet nannten sie ihn auch heute noch und deshalb mied man ihn und lachte ihn aus, hier, in diesem schrecklichen Ort Thilia. Aber die hatten ja keine Ahnung, niemals hatte er einen schlechten Papa gehabt, es gab keinen Grund, wütend auf ihn zu sein oder ihn gar zu hassen!

„Du hast ja eine echt Macke...“, bemerkte die Brünette da wie erwartet auch und ehe er etwas erwidern hätte können öffnete sich die Haustüre und Chatgaia erschien wieder bei ihnen.

Inzwischen war die Sonne untergegangen und es war etwas kühl geworden.

„Er sperrt sich ein.“, berichtete sie ungefragt und die beiden Jüngeren sahen zu ihr auf, „Ihr könnt auch gern herein kommen, ich mache euch Tee, wenn ihr kein Problem damit habt, wenn ich auch mittrinke.“

„Oh doch, ein riesiges, wir halten es in deiner Gegenwart nicht aus.“

Sie erhoben sich und Imera grinste ironisch.

„Erzählst du mir dann noch weiter?“
 


 


 

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Das bisher längste Kappi und ich hasse es O____o Es ist völlig dumm und unlogisch úû Linni hatte davon eine bessere Version gemacht, aber ich durfte sie nicht hochladen...

Brüder

Chatgaia hatte allen Tee gemacht, ausgenommen Mayora, der sich ja in seinem Zimmer versteckte.

„Und dieser respektlose Idiot hat dir nicht die Türe geöffnet?“, erkundigte sich Imera an seine Tante gewandt, während er mit Choraly am Küchentisch saß und sich die Ältere gerade dazu gesellte.

„Nein, aber es hat nichts mit respektlos zu tun.“, erklärte sie ihm ruhig und er hob misstrauig eine Braue, „ Unsere werte Prinzessin hier hat ihm gerade das Herz gebrochen, das muss er erst verarbeiten. Nein, ich glaube sogar, er verhält sich vernünftig, würden wir ihn jetzt noch stressen, bekäme er sicher wieder Fieber.“

Und sein Fieber verabscheuten alle Anwesenden mehr oder minder stark. Niemand wusste, wie lange sein verhältnismäßig zierlicher Körper diese ständige Belastung noch aushielt...

„Wie dem auch sei.“, lenkte Imera die Aufmerksamkeit da wieder auf sich und räusperte sich, „Ich war noch nicht fertig mit Erzählen.“
 

„Das ist dein Bruder?“

Mayora klammerte dich schüchtern an die Hand seines selbstbewussten Zwillings und lächelte scheu. Er freute sich ja so, Imeras Freunde kennen lernen zu dürfen!

Ironischer Weise war das Mädchen, das am Vortag nach dem kleinen Himmelsblüter verlangt hatte, nicht da, angeblich war sie krank, aber jeder wusste, dass ihre Eltern es ihr untersagten, jemand anderen zu treffen als einen Menschen. Vermutlich hatte sie sich verplappert, sie redete sehr viel. Das hatte sie nun davon.

„Jahaa, das ist Mayora.“, stellte das zukünftige Dorfoberhaupt sein Brüderchen da vor und alle Blicke legten sich neugierig auf den Kleinsten, der verlegen mit einem Füßchen auf dem Boden herumzuscharren begann. War das aufregend...

Der Ältere seinerseits war gespannt, wie seine Freunde auf ihn reagierten. Er war nicht so gut im Blicke deuten, so musste er warten, bis sie sprachen. Und das taten sie.

„Er sieht seltsam aus.“, meinte ein Blonder und rückte demonstrativ seine Brille zurecht, „Seine Haare und seine Augen... wenn ich deine komische Schwester nicht schon gesehen hätte, würde ich nicht glauben, dass es echt ist.“

Und das vom Klassenbesten. Davon abgesehen, dass es unmöglich war, die eigene Haar- und Augenfarbe zu verändern, gab es so etwas bei Himmelsblütern doch oft. Wobei Imera das selbstverständlicher sah als die anderen, kam ihm, weil er im Gegensatz zu denen dank seiner Mutter sehr viele Magier kannte. Na, auch egal, er war ja auch viel toller.

„Kannst du auch zaubern?“, wollte ein anderer Junge da wissen und der kleine Grünhaarige schaute scheu auf.

„Ein... ganz klein bisschen...“

Sein Bruder schnaubte verächtlich und ließ seine Hand los. Er hasste es, wenn er zauberte, er ach so toller Magier!

Normalerweise setzten diese Fähigkeiten erst in der Pubertät ein und ihre dumme Tante hatte bei Mayora sogar angenommen, dass es bei ihm noch länger dauerte, weil er so klein und zerbrechlich war, aber er schien was das betraf hochbegabt zu sein, denn er brachte jetzt bereits kleinere Wasserzauber zu Stande.

Und Imera konnte nichts Vergleichbares. Das war es eigentlich, was er so hasste.
 

Zwischen den Händen seines kleinen Zwillings erschien während er sich ärgerte ein kleiner Wasserstrudel und alle schauten ihm gespannt dabei zu, wie er ihn wachsen und wieder schrumpfen ließ. Viel mehr konnte er als kleines Kind auch noch nicht, aber das war durchaus beachtlich für sein Alter und Tagami machte es stolz.

Der ältere Bruder schnaubte.

„Das ist auch das Einzige, was er kann!“, machte er, „Er kann noch nicht einmal zählen, jahaa!“

Was tatsächlich der Wahrheit entsprach, weiter als bis drei war der Kleine nie gekommen. So wie Imera in Sprache schlecht war, haperte es bei ihm vermutlich mit der Mathematik. Das würde sich zeigen, wenn auch er irgendwann zur Schule ging.

„Dafür bist du zu hohl, deinen Namen zu schreiben.“, stellte ein dritter Junge da richtig fest und der Brünette errötete über und über.

Niemand verstand ihn! Er gab sich Mühe dabei, es ging nicht!

Er erzitterte und Mayora, der das bemerkte, ließ den kleinen Zauber vorsichtshalber wieder verschwinden. Man wusste ja nie...

„Na und?!“, schrie er, „Aber mein toller Bruder hat noch nicht einmal ein Herz, er ist zu dumm zum fühlen, wisst ihr das?!“

Die anderen Kinder schauten verwirrt. Sie mochten den Sohn des Dorfoberhauptes nicht, aber um ihrer Familien Willen gaben sie sich trotzdem mit ihm ab und waren seine Gemütsschwankungen gewohnt. Der kleine Bruder senkte verlegen den Blick so tief er konnte.

„Also ich finde ihn ganz sympathisch.“, bemerkte der blonde Junge nach einer Weile sich am Kopf kratzend und die Anderen nickten. Der Grünhaarige fühlte sich sehr geehrt, wagte aber nicht, sich zu bedanken; Imera stupste ihn bestätigend zu Boden.

„Der tut nur so!“, kreischte er schrill, „Hättet ihr ihn verprügelt, würde er sich nicht anders verhalten! Er kann noch nicht einmal weinen!“

Alle starrten ihn skeptisch an und keiner glaubte ihm, er hätte am liebsten laut aufgeschrien. Alles war Mayora Schuld! Wegen ihm hatte er nichts zu essen und keinen Platz und keine Freunde und keinen Respekt und überhaupt, er atmete ihm die Luft zum Leben weg!

„Wie kann man denn so tun, als sei man sympathisch?“, wollte da einer der Jungs blöd wissen und der Brünette schnaubte.

„Ich beweise es euch, jaahaa...“

Sein Vater hatte die ganze Zeit Recht gehabt und er war so blind gewesen. Wie hatte ihm das nur passieren können, er war doch so schlau!

Das würde er der kleinen Missgeburt heimzahlen!
 

Er grinste dreckig, als er mit dem Fuß ausholte und seinem noch immer am Boden kauernden Zwilling in den Bauch trat. Die Anderen fuhren bei seiner heftigen Reaktion zurück und der Kleinste keuchte auf, gab aber ansonsten keinen Laut von sich, auch nicht, als sein Bruder den Vorgang mehrmals wiederholte.

Imera wusste genau, dass er nicht weinen würde. Er hatte keine Gefühle und Leute ohne Gefühle musste man nicht ernst nehmen, weil es dann keine Menschen waren. Und dann nützte es dem Blödmann auch nichts, toll zaubern zu können, das verdiente er!

„Seht ihr!“, lachte er triumphierend, als sein Opfer auch nach unzähligen Tritten keinerlei Reaktion zeigte und die Anderen ihn mit großen Augen anstarrten. Er entschloss sich in seiner Wut dazu, noch eins drauf zu setzen, indem er den Kleinen an den feinen dunkelgrünen Haaren auf die Knie zog und ihm dann mit ganzer Kraft ins Gesicht schlug.

Er keuchte erstickt und hustete, blieb abermals aber ansonsten still. Dabei musste er grauenhafte Schmerzen haben, das zeigte doch, was er für ein stumpfsinniges Monster war!

„Meinst du nicht, das reicht langsam?“

Der Klassenbeste blinzelte irritiert vom Verhalten beider Zwillinge. Die waren ihm gruselig, aber seine Eltern wollten nun einmal nicht gehäutet werden, genau so wenig wie er selbst. Also war er artig.

„Habt ihr es denn kapiert, hää?“, stellte Imera ihm als Gegenfrage und er nickte.

Worum ging es dem Spinner noch mal? Darum, dass sein Bruder genau so gestört war wie er? Ja, aber das hatten sie zuvor schon geahnt...

„Vielleicht hält er bloß viel aus?“, überlegte da einer laut.

Der Sohn des Dorfoberhauptes funkelte ihn bösartig an. Dann kam ihm eine Idee und er grinste wieder.

„Du kannst dich gern selbst überzeugen, jaahaa...“

Genau, das war genial! Man musste diese Missgeburt bestrafen, so heftig wie möglich!

Er wusste, dass er noch nicht besonders stark war, aber die Anderen waren es, die konnten ihm schön helfen...
 

Und das taten sie. Egal, wie wenig sie Imera mochten und wie sympathisch ihnen Mayora zuvor gewesen war, Morikas Jungs nutzen die Macht, die man ihnen gab.

Und der kleine Himmelsblüter hielt still und blieb stumm.
 

„Warum hat er sich nicht gewehrt?!“

Choraly starrte ihr Gegenüber aus großen Augen an und dieses fuhr sich nur durchs Haar und seufzte. Wie sollte er das erklären...? Es war doch schon schwer genug, an solchen Stellen weiter zu erzählen!

Chatgaia ihrerseits nahm ruhig einen Schluck Tee und entschloss sich, ihrem Neffen zu helfen. Heute war ihm das schließlich sehr peinlich und rückgängig machen konnte er nichts.

„Aus Liebe.“, machte sie, „Er wollte seinen Bruder nicht verlieren und dachte, er würde sich von ihm abwenden, wenn er nicht vollkommen unterwürfig war. Außerdem kam ihm das normal vor, man hat ihm von klein auf beigebracht, dass er minderwertiger ist als...“

„Aufhören!“

Sie verstummte artig und der junge Mann nahm hastig einen Schluck Tee. Das Stadtmädchen wunderte sich unterdessen, dass sie ihn für diese Frechheit nicht vierteilte – sie hätte es an ihrer Stelle getan. Oder auch nicht, dieser Aufenthalt veränderte sie von Tag zu Tag...

„Ich spreche weiter...“, murmelte Imera da und fuhr fort.
 

„Ich will wissen, wie das passieren konnte!“

Tagami fauchte ihren älteren Sohn erbost an, während Rahlina, inzwischen fast 11 Jahre alt, ihrem jüngsten Bruder einen kalten Lappen auf die Stirn legte. Er hatte mal wieder Fieber bekommen, aber das war bloß das geringste Übel neben zwei gebrochenen Rippen, zahlreichen Prellungen, Blutergüssen und Schürfwunden. Der Junge war schlimm zugerichtet und als er nach Hause gekommen war, etwa eine halbe Stunde nach seinem Zwilling, war er auf der Türschwelle zusammengebrochen.

„Es waren die anderen Kinder!“, erklärte Imera gelangweilt und verschränkte seine Arme trotzig vor seiner Mutter, „Mayora hat unbedingt mitgewollt, ich habe ihn ja gewarnt, jaahaa. Aber er hat halt nicht hören wollen, das hat er nun davon.“

Ihm war völlig egal, was die Frau dachte, er war sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Warum war er nicht schon früher darauf gekommen, seine Freunde zu bitten, ihm dabei zu helfen, den kleinen Idioten wegzuschaffen? So konnte er endlich auch seinen lieben Vater stolz machen...

„Du mieser, intriganter Arsch...“

Er hob beide Brauen und blinzelte seine Mutter an. Ihr war klar, dass man so normalerweise nicht mit seinen Kindern sprach, aber was war hier noch normal? Imera wurde von Tag zu Tag mehr zu einem Ebenbild seines hirnlosen Vaters, wie sollte sie da gut zu ihm sein?

Sie konnte sich ohnehin nicht mehr richtig um die Kinder kümmern, sie musste für wenig Geld schwer schuften und am Ende ging ihnen doch das Essen aus.

Sie hätte damals auf ihre Schwester hören müssen...

„Hör gefälligst auf, meinen Sohn zu beleidigen, du Flittchen.“

Der Meinung war Alhata auch irgendwie. Eine Himmelsblüterin, was hatten sich seine verblödeten Eltern damals nur gedacht?

Imera war sein einziges richtiges Kind. Und er hatte ihn heute sehr stolz gemacht.

„Mein künftiger Nachfolger spricht immer die Wahrheit.“
 

--
 

Auf diese gewagte Aussage hin gab es noch viel Lob für den braunhaarigen Jungen. Er wusste jetzt, was zu tun war, um endlich der inzwischen ziemlich alten Bitte des Vaters nachzukommen.

Aber zunächst einmal äußerte er am Abend selbst einen Wunsch vor seinen Eltern.

„Mayora ist viel zu fett, der nimmt mir allen Platz weg, ich will, dass er aus meinem Zimmer verschwindet!“

Er war der Meinung, das hatte er sich verdient.

Tagami verkniff sich in Anwesenheit ihres Gatten eine Antwort, schnaubte aber verächtlich über die Bezeichnung 'fett' bei dem spindeldürren Kind. Ihr älterer Sohn schien wirklich ein Rad ab zu haben...

„Natürlich, ich kann verstehen, wenn er dich in deinem Bett nervt, aber wo sollen wir ihn sonst hinmachen?“, fragte Alhata da auch zurück und sein Sohn hob überfragt beide Brauen.

War ihm doch egal, Hauptsache weg. Er konnte doch niemanden umbringen, der sich nachts an ihn kuschelte!

„Ich bitte darum, auch etwas sagen zu dürfen.“, mischte sich der Grünhaarige da auch passend ein und sein Vater nickte, „Ich sollte doch ursprünglich irgendwann die Kammer bekommen, nicht? Nun, sie ist nie fertig geworden, aber das macht mir nichts, ich kann auch so darin schlafen, bis wir wieder genügend Geld haben.“

Er lächelte seinen Bruder zärtlich an und der erwiderte seinen Blick doof. Gute Idee, war die wirklich von dem gekommen?

War er am Ende etwa noch schlauer als er?!

„Aber die Kammer ist eklig, da kann er doch nicht darin schlafen!“, mischte sich auch Rahlina ungefragt ein und warf dem Jüngsten einen besorgten Blick zu, „Du bist doch noch verletzt, warum bist du überhaupt aufgestanden?“

„Ich kam mir dumm vor, den ganzen Nachmittag im Bett zu liegen.“

„Still jetzt!“

Alhata unterbrach die Kinder, indem er mit der flachen Hand auf den Tisch schlug.

Er fragte sich, ob Mayora wirklich so gutherzig oder doch einfach nur strohdoof war. Wohl von beidem ein wenig...

„Dann sei es so, wir nehmen Rohamas altes Bett und seine Kleiderkiste, viel mehr brauchst du für den Anfang ja nicht. Tagami, mach die Kammer zurecht!“

Tagami mach dies, Tagami mach das. Und was bekam Tagami dafür? Noch nicht einmal etwas zu Essen!

Die Frau erhob sich murrend und tat wie ihr geheißen, ihre Tochter lief ihr artig nach.
 

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„Bist du immer noch nicht tot?“

Imera zerrte den Kopf seines Zwillings genervt aus dem Teich und der Jüngere hustete und schnappte panisch nach Luft.

Seit dem Tag, an dem er seinen kleinen Bruder zum ersten Mal ernsthaft verletzt hatte, waren bereits ein paar Monate vergangen und seitdem hatte er immer wieder versucht, artig zu sein und seinem Vater einen Gefallen zu tun.

Dabei hatte er ein paar nützliche Dinge gelernt, zum Beispiel, dass er im Ertränken reichlich unbegabt war und auch nicht den Dreh zum tot schlagen heraus bekam. Und dass Mayora wirklich beschränkt sein musste, aber das hatte er schon länger geahnt.

„L-leider nicht, t-tut mir Leid...“, keuchte der Kleine da und versuchte, sich sein Gesicht mit dem Ärmel trocken zu wischen. Er hielt immer brav still und weinte nie.

Der Brünette ließ ihn los und seufzte.

„Du nervst!“, meckerte er, „Wieso kommst du überhaupt noch mit mir, du weißt doch eh, was ich mit dir mache, jahaa...“

Er könnte ja auch einfach abhauen oder so, sein Vater war schließlich auch nicht gerade nett zu ihm. Seit zwei Tagen hatte er ihm noch nicht einmal mehr etwas zum Abendessen gegeben. War aber auch wirklich nicht viel zum Geben da gewesen...

War ja auch egal.

„Du bist doch mein lieber großer Bruder.“, antwortete Mayora da, als er wieder normal atmen konnte, „Ich habe dich sicher irgendwie verärgert, also musst du mich bestrafen. Ich warte einfach auf den Tag, an dem du nicht mehr böse auf mich bist. Dann können wir wieder miteinander spielen wie früher!“

Er lächelte verträumt und schaute in den Himmel. Ja, der Tag kam sicher. Als er den merkwürdigen Blick seines Zwillings bemerkte, blinzelte er.

„Was denn?“

„Äh...“, setzte dieser zur Antwort an, „Du... ich hab schon mehrmals versucht dich zu ertränken, letztens wollte ich dich erstechen und tot hauen hab ich auch schon versucht... also...“

Er unterbrach sich selbst, als ihm bei dem unschuldigen Blick seines Gegenübers ein schlimmer Gedanke kam.

Der nahm ihn nicht ernst. Der glaubte gar nicht, dass er wirklich versuchte, ihn weg zu schaffen, der meinte ernsthaft, es sei eine Strafe für irgendetwas. Wie konnte er es wagen?!

Er wollte ihn dafür anschreien und tat schon den Mund auf, da fiel ihm etwas ein, was sein Vater ihm vor nicht all zu langer Zeit beigebracht hatte. Ein wahrer Mann war kein Mann der Worte, sondern einer der Tat. Dass das auf etwas ganz anderes bezogen gewesen war, war ihm in dem Moment, in dem er falsch zu lächeln begann, vollkommen egal.

„Du hast ja so Recht, jahaa.“, machte er und tätschelte dem Jüngeren den noch nassen Kopf, „Morgen ist wieder gut, ja?“

Mayora strahlte.
 

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Nichts war wieder gut. Der Kleine war so naiv und gutgläubig, er würde ihm endgültig zeigen, was los war. Er würde ihn das Fürchten lehren, wenn er es denn heute nicht schaffen sollte, es zu beenden. Er würde seinen Vater so stolz machen!

Sie würden wieder genügend zu essen haben. Eine Missgeburt weniger. Er tat der ganzen Welt einen Gefallen, jaahaa.

Diese Gedanken hatte der kleine Junge, als er im Garten, noch allein, nach irgendetwas weltbewegend Tollem suchte, was selbst seinem dämlichen Zwilling endlich klar machte, wie ernst es ihm war.

Er wollte ihn weinen sehen.

Das war auch so etwas, was ihn wurmte, Mayora weinte nie. Man konnte ihm weh tun und ihn beleidigen und demütigen, er lächelte immer zu. Dieses hirntote Kind.

Imera machte das nur noch wütender, er war nicht hirntot und hatte Gefühle, deshalb weinte er auch, wenn er traurig war. Und der kleine Grünhaarige war mehr Mann als er! Nein, das ließ er nicht auf sich sitzen, was sollten die Leute denn denken...?

Er stolperte über eine Metallstange. Aus welchen Gründen auch immer lag viel Schrott in ihrem verdorrten Garten. Das Kind hatte keine Ahnung, wie der dahin kam und wie lange er schon da lag, bloß Bekanntschaft mit der Stange hatte er schon einmal positiv gemacht, das hatte er sich eingeprägt. Er war erfreut darüber, sie wieder zu sehen.

Er hatte seinen Zwilling schon einmal damit verprügelt, fiel ihm ein, als er sie aufhob und eine Weile ansah. Er war damals wegen irgendetwas so wütend gewesen und es musste dem Kleinen auch unheimlich weh getan haben. Rahlina hatte ihn damals aufgehalten, aber es hatte ihm gut getan. Bei seinen sadistischen Gedanken kribbelten ihm die Finger. Ja, es gefiel ihm inzwischen richtig, seinen Bruder zu quälen. Er war in all dem Elend, in dem er lebte, das Einzige, worüber er Macht hatte.

Und er verstand es nicht. Diese Metallstange war gut, aber nicht gut genug, er musste noch eins draufsetzen. Scharf nachdenken.

Er war nicht besonders schlau, aber ihm fiel etwas auf. Er hatte schon sehr oft versucht, ihn zu ertränken und das hatte immer am schlechtesten geklappt.

Mayora war ein Kind des Wassers. Und was war das Gegenelement zu Wasser...?

Sein Vater hatte doch heute Dokumente verbrennen wollen! Wenn er Glück hatte, brannte das Feuer noch...
 

„Imerachen?“

Mayora rannte verwirrt durch den Garten. Sein Bruder hatte ihm gesagt, er solle ihm nach der Hausarbeit nach draußen folgen, aber irgendwie war er nirgends zu finden. Bisher.

„Hier, Mayorachen!“

Der Junge zuckte zusammen, als er den Brünetten mit der seltsam glühenden Stange sah. Sie war heiß, er hatte die Ärmel über seine Hände gezogen, obwohl er das kühlere Ende hielt. Warum...?

Er lächelte ihm scheu zu.

„Großer Bruder, ich habe dich bereits gesucht!“, meldete er lieb und neigte den Kopf ein wenig, „Wolltest du mit mir... spielen?“

Imera lachte und kam auf ihn zu.

„So ähnlich.“

Seine Hände brannten ihm, aber das war es ihm wert, als er ohne Vorwarnung ausnahm und den Kleineren von den Beinen schlug.

Der Grünhaarige konnte sich ausnahmsweise ein Quieken nicht verkneifen, es war so unangekündigt und so heiß an seinen nackten Beinen gewesen. Hatte er nicht gesagt, es sei wieder alles gut?!

„Warum haust du mich wieder?“, wagte er deshalb verzweifelt zu fragen und der Andere fauchte und begann wild auf ihn einzudräschen.

„Du widerliche Missgeburt!“, schrie er, „Du nutzloses, hässliches Etwas, du bist allen nur im Weg uns kostest nur Geld, merkst du das nicht?! Es war mir verdammt noch mal ernst, ich will der Welt einen Gefallen tun, jaaha!“

Er freute sich innerlich tierisch, dass sein Zwilling schrie. Zum ersten Mal hatte er zumindest das richtig geschafft. Schläge in Verbindung mit Hitze waren wohl doch eine gute Idee gewesen. Er war nun einmal schlau, da merkte man es.

„Schrei nur!“, lachte er, „Schrei, bis deine Mädchen-Stimme weg ist, jahaa!“

Und er hätte dank dem Schmerz an seinen Händen selbst gern geschrien, aber dafür war später genügend Zeit. Zuerst Mayora.

Er schlug ein paar Mal heftiger zu, hielt dann aber erschreckt inne, als auch die Reaktion des Kleinen größer wurde.

„Ich halte das nicht mehr aus!“, schrie er immer zu, „Lass das!“

Moment, was war das...?

„Hab ich mich da verhört, oder willst DU MIR etwas vorschreiben, du jämmerliche Missgeburt, hää?!“

Er nahm ein weiteres Mal aus und traf ihn mit voller Kraft an der Schulter, als er sich gerade etwas aufrichten hatte wollen. Der Kleine kippte wieder zur Seite und kreischte ein weitere Mal jämmerlich.

Imera erschauderte unwillkürlich bei dem Anblick der vielen leuchtend roten Stellen am Körper des Grünhaarigen. Das musste abartig schmerzen, aber er hatte es verdient.

„Hast du es jetzt kapiert?!“, fuhr er das keuchende Kind an und es nickte hastig, „Ich kann dich nicht hören, du minderwertige Missgeburt! Hast du es kapiert, hä?“

„Ich hab es kapiert!“, jammerte der Angesprochene gequält und wand sich vor Schmerz auf dem Boden wie ein Wurm, „Du hast Recht, großer Bruder, ich bin des Lebens nicht würdig und ich bin deiner Gnade dankbar... a-aber, bitte mach, dass es nicht mehr schmerzt! Bitte...!“

„Wie soll das denn gehen, du SOLLST ja jetzt leiden, jaaha!“

Törichtes Balg, dem ging es wohl noch immer zu gut! Wie konnte er es wagen, auch noch zu bitten?! Das bestrafte er mit einem weiteren Schlag, den seinen Bruder keuchend zusammenbrechen ließ.
 

Imera starrte blinzelnd auf ihn hinab, wie er leblos da lag.

Ihm war heiß und kalt zugleich, als ihm der Gedanke, es vielleicht endlich geschafft zu haben, mit einem Mal kam.

Dann wäre es vorbei. Dann hätte er seinen Vater stolz gemacht und alles wäre gut.

Und trotzdem wurde dem Kleinen speiübel.

Möglicherweise hatte er ja auch wieder versagt.

Er tippte Mayora mit dem noch immer heißen Stab leicht an und erschauderte, als er sich nicht regte.

Und mit einem Mal hatte er das Gefühl, in ihm würde etwas zerreißen, wenn er seinen Vater nicht verriet.

„Mamaaaaaaa!“
 

--
 

Imera kam sich schäbig vor, als er an dem heruntergekommenen Bett seines Bruders saß und ihm beim Schlafen zusah. Er hätte es fast getan.

Aber er war so feige!

Jahrelang schon war er so feige, sein Vater würde ausrasten! Und Mayora?

Er schnaubte. Jetzt hasste er ihn mehr denn je und das Schlimmste daran war, dass er genau wusste, dass es nicht die Schuld seines Zwillings war.

Unwillkürlich musste er sich Tränen weg blinzeln, als er den von Kopf bis Fuß verbundenen Jungen vor sich ansah und als dieser keuchend die Augen öffnete, wischte er sich hastig mit dem Ärmel über seine Eigenen.

Der Kleine lächelte, als er den Brünetten erkannte.

„Großer Bruder! Du hier?.... ich will dir keine Umstände machen... ohh...“

Er stöhnte bei dem Versuch, sich zu erheben gedämpft auf und entschied dann weise, doch lieber liegen zu bleiben, auch wenn es ihm unhöflich vorkam. Das tat ihm Leid...

„Ja, ich hier.... jaahaa.“

Imera errötete. Er wusste nicht genau, was er sagen sollte.

Sich zu entschuldigen war völlig unpassend, er bereute nichts. Aber trotzdem wachte er an der Seite seines Bruders, das war doch irgendwie gegensätzlich. Ach egal, er war ohnehin immer im Recht.

Er schreckte auf, als der Jüngere weitersprach.

„Hast du mich jetzt wieder lieb?“

Mayora starrte die verdreckte Decke an. Er hatte bereut, oder nicht? Mehr konnte er nicht mehr tun! Ihm fiel zumindest nichts mehr ein...

Imera zischte bei dieser in seinen Augen völlig unverschämten Frage.

„Ich hab dich nie lieb gehabt, du blöde Missgeburt! In meinem ganzen Leben nicht, du bist für mich bloß ein nerviges Anhängsel, das halt da ist, auf das ich aber genau so gut verzichten könnte, jaaha!“

Schweigen. Die Jungen rührten sich eine Weile nicht, weil jeder auf die Reaktion des Anderen wartete. Und die kam als erstes von Mayora, der etwas tat, womit der Ältere niemals im Leben gerechnet hätte.

Er begann zu weinen.
 

--
 

Alhata war wirklich etwas sauer auf seinen älteren Sohn gewesen, aber nicht so, dass er ernsthafte Konsequenzen zu erwarten gehabt hätte.

Stattdessen befreite er ihn von der unheilvollen Aufgabe, die der Kleine nun schon über Monate und Jahre hinweg zu erfüllen versuchte und versprach, es selbst irgendwie in die Hand zu nehmen.

Das war zwar nicht sehr ehrenhaft, aber Imera nahm es eine gewisse Last.

Was der etwas dümmliche Junge jedoch nicht verstand, wie wollte sein Papa das denn machen? Hatte er ihm vor Ewigkeiten nicht einmal erklärt, dass er als Erwachsener 'so etwas' nicht einfach übernehmen konnte...?
 

Die Erkenntnis kam ihm erst im Laufe der Zeit.

Sein Vater war ein genialer Mann, er brachte den Tod und damit sogleich den Erhalt des Lebens der Familie, wie das Kind dachte, schleichend und langsam.

Und irgendwann hatte das Ganze mit einem Wimpernschlag, so schien es, ganz seltsame Ausmaße angenommen.

Mayora bekam kaum noch etwas. Von Liebe und Aufmerksamkeit hin bis zu Kleidung und Nahrung. Getränke konnte dem kleinen Wassermagier natürlich niemand verwehren, aber so ziemlich alles andere auf der Welt.

So kam es, dass Imeras Schatten irgendwann bloß noch ein dürres kleines Gespenst war, das immer alles tapfer über sich ergehen ließ. Der Braunhaarige fragte sich bloß oft, wie sein kleiner Zwilling das so lange aushalten konnte, irgendwann musste doch selbst er einmal nachgeben.

Und auch das tat er im Laufe der Zeit, als er auf Knien seinen Vater um all das bat, was er nicht mehr bekam.

Doch das einzige Ergebnis dieser Erniedrigung war eine Tracht Prügel und auf unbestimmte Zeit in der kleinen Kammer eingesperrt werden. So gut wie ohne Nahrung, natürlich.
 

Und Tagami hatte auch keine Kraft mehr. Sie wollte ihrem, nebenbei erwähnt fast dauer-fieberkranken, Sohn helfen und ihren einst geliebten Mann in die Schranken weisen, doch er war stärker und bestrafte sie auf ähnliche Weise wie den kleinen Jungen. Und Rahlina, als er sie erwischte, wie sie Mayora etwas Brot bringen wollte, gleich mit.

Und ganz langsam breitete sich in dem kleinen Imera eine seltsame Furcht aus. Plötzlich war alles anders, sein Vater wollte die Familie beschützen, aber wo war die Familie hin?
 

Seine Schwester ging nicht mehr zur Schule, wenn sie artig war und nicht in ihr Zimmer gesperrt wurde, kümmerte sie sich um den Haushalt, weil sich ihre Mutter kaum noch blicken ließ. Ob sie auch festgehalten wurde oder sich einfach nur verkroch konnte niemand so genau sagen, das Einzige, was ihr braunhaariger Sohn wusste, war, dass er die Frau, vor der er nie Respekt gehabt hatte, plötzlich vermisste.

So lag er eines Abends im Bett und dachte sehnsüchtig an längst vergangene Zeiten, als sie in Thilia mit Taranii gespielt hatten und glücklich gewesen waren.

Taranii war schon lange nicht mehr... seine Mutter, die an andere Dinge glaubte als der Rest von Morika, hatte ihm und seinen Geschwistern vor einigen Jahren einmal von den Windgeistern erzählen, Seelen, die böse waren und deshalb das Himmelreich nicht erreichten. Falls sie Recht hatte, war sein Cousin sicher auch zu so einem geworden. Er und sein Bruder hatten ihn umgebracht, wenn das ihn nicht verärgerte...
 

Er zog scharf die Luft ein, als er hörte, wie sich seine Zimmertür einen Spalt öffnete und eine schmale Gestalt zu ihm ans Bett trat.

„Imera...“, machte sie und der Angesprochene erschauderte und brauchte erst einen Moment, um zu realisieren, dass es sich bei dem Kind um seinen Zwilling handelte. Vermutlich hatte Vater vergessen, abzusperren und das nutzt die kleine Nervensäge jetzt aus.

„Was willst du hier, hä?!“, erkundigte sich der Ältere so nur unfreundlich, während er bemerkte, dass sie schemenhafte Person leicht zitterte.

„Meine Götter erzählen mir vom Unheil.“

Die mysteriösen Götter, die der Ältere nicht ernst nahm?

Er schnappte empört nach Luft, als sich sein Bruder einfach neben ihm niederließ und vorsichtig an ihn kuschelte, wie er es auch früher oft gemacht hatte. Himmel, sie waren schon acht Jahre alt, so große Jungen kuschelten nicht mehr!

Er kam nicht dazu, sich zu beschweren, denn da sprach Mayora weiter.

„Ich fürchte mich, großer Bruder, morgen geschieht etwas! Ich weiß es und kann nichts tun, ich fürchte mich vor der Dunkelheit, bitte, lass mich bei dir bleiben und halt mich ganz fest!“

Der Größere erschreckte sich, als er auch noch zu wimmern begann wie ein Baby und atmete, als müsste er jeden Moment ersticken. Als er seine Hand auf die kleine Stirn legte, spürte er, dass sie glühte und einen Augenblick lang kam in ihm die Frage auf, ob sein kleiner Zwilling wohl den nächsten Sonnenaufgang noch erleben würde.

Aber tun wollte er nichts. Er tat ihm einzig den Gefallen, um den er ihn gebeten hatte und hielt den Jüngeren die ganze Nacht lang ganz fest.
 

--
 

Am Morgen wurde er von lauten Stimmen geweckt. Er blinzelte und sah seinen kleinen Bruder, augenscheinlich nicht tot, schüchtern durch den Türspalt lugen.

Er war so dürr und verwahrlost, es war beängstigend. Aber es war immer noch Mayora, kein Grund sich zu sorgen. Zumindest versuchte er sich das einzureden, als er aufstand und hinter den Kleinen trat.

Klein war er wirklich, fast einen Kopf kleiner als sein Bruder, aber das war bei Kindern wie ihm bekanntlich normal.

Außerdem hatte Imera kein Interesse daran, darüber nachzudenken, die lauten Stimmen, die ihn geweckt hatten, gehörten seinen Eltern und kamen aus der Küche.

„Streiten sie?“, fragte er blöd und der Grünhaarige nickte.

Irgendwie war es nostalgisch, gemeinsam hinter der Tür zu stehen zu lauschen.
 

„Wie kannst du es wagen, mich so hintergehen zu wollen, du dreckige Hure?!“, schrie Alhata und etwas schepperte.

„Und wie kannst du es wagen, mich anzuschreien?!“, kreischte Tagami darauf zurück und abermals schepperte etwas, „Du mieser Mistkerl, du abartige Ausgeburt der Wüste! Du willst ihn umbringen! Du willst dein eigenes Kind umbringen! Du willst MEIN Kind umbringen!“

Sie schluchzte herzerweichend und ihr Mann schnaubte.

„Bist du blind und taub?! Wir haben nichts mehr! Wir müssen auf die Überflüssigen zuerst verzichten! Es ist nur zu unserem Besten!“

Etwas rappelte erneut und die Frau weinte weiter.

„Mayora ist nicht überflüssig, er wird nicht dein Erbe und vielleicht kann er nicht viel, aber er ist lieb und wir sollten ihn auch lieb haben! Er ist doch kein Haustier, das nicht mehr gewollt wird!“

Damit hatte sie sich zu viel erlaubt und kassierte eine schallende Ohrfeige.

„Mayora ist viel WENIGER als ein Haustier, denn ein Haustier nimmt man aus welchen Gründen auch immer freiwillig bei sich auf und er kam einfach als Imeras lästige Nachgeburt, wir hätten ihn damals schon entsorgen sollen!“

Die Jüngere schrie auf.

„Er ist unser Kind!“, machte sie hysterisch, „Du musst ihn lieben! Und er kann verdammt nochmal nichts dafür, wenn du zu dumm bist, um mit unserem Geld umzugehen!“
 

Während die Eltern sich anschrien, erschreckten sich die Zwillinge gehörig, als die kreidebleiche Rahlina plötzlich durch die Tür zu ihnen schlüpfte.

Sie war inzwischen zwölf Jahre alt und bildschön. Wenn sie einmal das Haus verließ, was sehr selten vorkam, schauten ihr alle Jungen nach, obwohl sie eine verhasste Himmelsblüterin war. Ebenso wie ihre Mutter und ihre Tante ihrer Zeit war sie etwas frühreif veranlagt, fand das im Gegensatz zu ihnen damals jedoch nicht so toll und versuchte sich möglichst unauffällig zu kleiden, um diese gewissen Rundungen, die sich langsam begannen abzuzeichnen, zu verstecken. Gelang ihr nur leider meist nicht zufriedenstellend, aber den kleinen Brüdern war das ohnehin so hoch wie breit. Sie war ihre Schwester und für Mädchen waren die Beiden so wie so noch zu jung.

Außerdem gab es im Moment wichtigeres.

„Die streiten wegen mir!“, meldete Mayora schockiert und eigentlich völlig überflüssig und das Mädchen nickte.

„Ihr müsst mitkommen!“, bestimmte sie, „Das ist hart, ich fürchte, die kommen noch auf die Idee Dummheiten zu machen! Aber wenn wir alle zusehen schreckt das sie vielleicht ab!“

Die Kleinen nickten verständig und folgten der großen Schwester in die Küche.
 

Oder das, was davon noch übrig war. Das Ehepaar hatte wirklich ganz schön gewütet, die Jungen konnten Rahlinas Bedenken durchaus verstehen, soweit sie die Situation mit ihrer Niedrigen Intelligenz richtig erfassen konnten.

Tagami hockte vor dem Tisch auf dem Boden, den Kopf gesenkt. Ihre Haare fielen über ihr Gesicht, manche Strähnen waren von Blut verklebt.

Alhata lehnte sich leicht außer Atem an die Küchenzeile und starrte die Decke an.
 

Der Anfang vom Ende.
 

„Geht weg... das... müsst ihr nicht sehen...“, stammele die Frau mit leiser Stimme und ihr jüngster Sohn erschauderte und schnappte nach Luft.

„Mutter... Vater...“, begann er zitternd und die Angesprochenen wandten sich ihm langsam zu, „Ich... es tut mir so Leid, bitte verzeiht mir, ich tue alles, was ihr wollt!“

Der kleine Junge hatte niemals in seinem Leben etwas verbrochen, vom fahrlässigen Mord an seinem Cousin einmal abgesehen, aber das wussten die Eltern nicht.

Er war ein reiner kleiner Engel, das wurde ihnen klar, als er so dürr und zerbrechlich vor ihnen stand und sie wegen nichts und wieder nichts um Vergebung bat.

Aber es war bereits zu spät.

Alhata grummelte feindselig.

„Meine Entscheidung steht, Missgeburt. Du wirst den nächsten Neumond nicht mehr sehen.“

„Nein!“

Tagami senkte wieder wimmernd den Blick und Rahlina schlug sich die Hände vor den Mund. Das konnte er doch nicht machen! Ihre Mutter war so schwach, sie würde etwas tun!
 

Ein Schluchzen unterdrückend überwand sie die geringe Distanz zu dem Dorfoberhaupt und kuschelte sich an es, ihr hübsches Gesicht in seiner Brust vergrabend.

Der Mann stutzte nur.

„Papi!“, sprach das Mädchen da mutig und sah zu ihm auf, „Etwas ist mit dir geschehen, Papi, ich weiß es! Du bist nicht böse, du bist nett, als wir klein waren hattest du uns auch alle lieb!“

Der Rest der Familie beobachtete die Szene perplex.

Imera war etwas irritiert, er wusste nicht, was er denken sollte. Ja, früher war wirklich alles schöner gewesen. Aber vielleicht nicht besser, möglicherweise hatte sein Vater ja Recht und es war doch eine gute Idee, Mayora zu 'entsorgen'. Und wenn er das tatsächlich konnte, um so besser, der brünette Junge hatte es schließlich nie geschafft und das ärgerte ihn schon noch etwas.

Andererseits, vielleicht sprach auch seine Mutter die Wahrheit, ohne den Kleinen fehlte etwas. Ja, da war er sich sogar ganz sicher, vielleicht war es aber trotzdem besser, wenn er verschwand?

Ach, Imera war dumm, so viel denken am frühen Morgen war nicht gut für sein empfindliches Gehirn, er überließ das lieber den Großen.

Er konnte mit jeder Entscheidung leben.

„Früher war natürlich alles anders, jetzt ist es schwieriger, aber ich bin sicher, wir schaffen das auch!“, sprach Rahlina da plötzlich weiter und konnte nicht verhindern, dass sie schluchzen musste, „Als Familie, die füreinander da ist und sich lieb hat!“

„Du kannst deinen Sohn nicht einfach töten, er ist ein Teil von dir.“, bemerkte die Mutter da auch, vom Einsatz ihrer Tochter ermutigt und erhob sich.

In ihren hellroten Augen spiegelte sich ein Stolz wieder, den sonst einzig ihre Schwester auszustrahlen vermochte.

Und Alhata Timaro fürchtete Chatgaia Setari.

Aber für seine Frau galt das dennoch nicht, egal wie stark sie war und wie tapfer sie sich anstellte.

Er grinste bloß kalt.

„Zusammenhalten...? Ihr wisst nicht wovon ihr redet! Ich will diese Missgeburt nicht mehr sehen, ich hasse sie, ich verabscheue sie und ich bin sehr wohl in der Lage ein Kind von mir zu töten!“

Er befreite einen Arm aus dem Griff seiner Tochter und zog demonstrativ sein Kurzschwert.

„Wenn du es so machst, vergehst du ganz offiziell ein Verbrechen.“

Die Grünhaarige musterte ihn eisig und er lächelte grausam weiter. Dann senkte er amüsiert den Blick.

„Morika ist so gut wie tot. Gesetze scheren keinen mehr, alle beklauen und verprügeln sich gegenseitig. Es geht das Gerücht um, dass der alte Hühnerzüchter und seine Frau ein Nachbarskind gefangen und... gegessen haben, frag mich nicht, ob es stimmt, ich will es auch nicht wissen. Nenne mir also eine Person, die es auch nur im Ansatz scheren würde, wenn ich die kleine Missgeburt hier und jetzt weg schaffe?“

„Ich!“

Rahlina quiekte unangesprochen und klammerte sich fester an ihren Vater. War ihr doch egal, wer in diesem Kaff voller Wahnsinnigen wen verprügelte und wen auffraß, sie wollte bloß ihre Familie, sie liebte sie und wollte nicht, dass sie zerbrach, sie mussten zusammenhalten!

„Du kannst keines deiner Kinder töten, das geht nicht, so tief kannst du nicht sinken.“, stimmte auch Tagami wieder bebend ein und er blickte wieder auf. In seinen Augen stand ein so tiefer Hass, dass alle unverzüglich die Luft einzogen.

Er konnte.

„Es hat nichts mit Niveau zu tun, Tagami... ich beweise es dir.“
 

Rahlina suchte den Blick ihres Vaters und seine himmelblauen Augen sollten das letzte sein, was sie ihn ihrem jungen Leben zu sehen bekam.

Sie stand ihm am nächsten, weil sie ihn aus tiefer Liebe umarmte und keuchte vor Schreck gelähmt bloß schwach auf, als Alhatas Kurzschwert sich durch ihren Rücken und anschließend ihre komplette Brust bohrte und die Spitze, die auf ihrer Vorderseite schließlich wieder herausragte, den Mann fast selbst gepiekt hätte.
 

Einen Moment lang stand die Zeit still, Tagami und die Zwillinge starrten eingefroren auf die Szene vor sich, dann zog das Dorfoberhaupt die Klinge wieder aus dem Körper des zierlichen, hübschen Mädchens und mit dem Austreten eines Schwall Blutes sank es langsam in sich zusammen und an seinem Vater hinab.

„Papi...“, war alles, was sie leise von sich gab, ehe sie nach wenigen Sekunden der tödlichen Verletzung auf dem Küchenboden erlag.

Alles, was sie hinterließ war eine Blutlache und ihren niedlichen Körper. Mehr hatte sie nicht fertig gebracht.
 

Die Mutter schrie gellend auf, als sei der Bann damit gebrochen, sie schrie, bis sie keine Luft mehr bekam, atmete hastig ein und schrie dann weiter.

Imera stand weiterhin eingefroren da, Mayora torkelte ein paar Schritte rückwärts. Und das war alles wegen ihm passiert.

Nein, das konnte nicht passiert sein, warum seine liebe Schwester?!

Warum?!
 

„Was hast du getan?!“

Während die Jungen unfähig waren, sich zu rühren, stürzte Tagami hysterisch zu ihrer toten Tochter, rüttelte sie, umarmte sie und weinte aus tiefstem Herzen.

Wieso sie auf einmal? Mayora war schon schlimm genug, aber weshalb hatte er auch seine Tochter dem Tode geweiht?! Das ergab keinen Sinn!

Dieser Mann war einfach nur absolut krank...

„Das bisschen Profit, dass sie gebracht hätte, hätte uns wohl kaum geholfen.“, erklärte er ruhig, „War also nicht nur zur Demonstration, sondern auch für die Familie.“

Der Jüngste stolperte einige weitere Schritte rückwärts und die Grünhaarige sah zitternd auf.

Praktisch denken, logisch denken und so eine Dummheit!

„Und was geschieht mit der Familie, wenn du sie abschlachtest?!“

Natürlich, sie kosteten weniger Geld, wenn sie weniger waren, aber dann blieb doch zum Schluss bloß er übrig! So dumm konnte ein einzelner Mensch doch nicht sein!

Und er hatte dafür sein eigenes kleines Mädchen.... nein. Sie entschloss, die Tränen wegen dem Verlust ihrer Tochter für einen kurzen Moment herunterzuschlucken und sich dazu zu zwingen, klar zu denken. Sie hatte noch die Zwillinge, sie musste sie beschützen!
 

„Bloß die Wichtigen müssen überleben!“, antwortete er unverhofft und sie erhob sich, Rahlina schweren Herzens am Boden liegen lassend.

Sie hatte ihn so lieb gehabt...

„Wir sind alle gleich wichtig, wir haben alle das selbe Recht auf Leben, Alhata, du bist völlig paranoid!“, kreischte sie ihm ins Gesicht und stampfte wütend auf, dabei spritzte das Blut des Mädchens.

Mistkerl!

Er lachte widerwärtig auf und überwand die kurze Distanz zwischen ihnen um ihr bloß wenige Zentimeter voneinander entfernt in die roten Augen zu sehen.

Tagami wich bei der plötzlichen Nähe einen kleinen Schritt zurück; früher einmal war sie ihm gern nah gewesen...

„Unsinn.“, widersprach er und strich ihr seltsam verkrampft durchs Haar, „Du, Rahlina und Mayora, ihr seid absolut minderwertig, das weiß jeder. Wirst du jetzt artig sein?“

Artig sein? Sie war doch kein Hund!

Sie schlug grantig und bebend vor Hass seine Hand weg.

„Nichts werde ich, dich zur Hölle schicken, das werde ich!“

Als sie die Hände hob und einen beängstigenden Windwirbel entstehen ließ, weitete das Dorfoberhaupt alarmiert die Augen. Hexe!

Mayora, der inzwischen nicht mehr weiter zurückweichen konnte, presste sich panisch an den Türrahmen, Imera war noch immer versteinert.

„Ich bringe dich um, für all das, was du uns angetan hast, du Mistkerl!“, schrie sie hasserfüllt und er keuchte und packte sein Kurzschwert wieder etwas fester.

„Das kannst du nicht tun, ich bin dein Mann!“, bemerkte er blöd und sie richteten den Zauber auf ihn.

„Und wie ich das kann; du bist ein widerliches Ungeheuer!“

Auf diese Bemerkung hin grinste er überraschend und sie hob beide Brauen; noch mehr, als er einfach den von ihr eben zurückgewichenen Schritt wieder aufnahm, furchtlos vor der tödlichen Magie.

„Sieh dich an, und da nennst du mich ein Ungeheuer?!“, er lachte eisig auf, „Schwächliche, verzweifelte Hexe!“

So wie sie reagiert hatte, hatte ein Leben mit ihr keine Zukunft mehr.

Und ein weiteres Mal stach er zu, ehe sein Opfer Zeit hatte zu reagieren.
 

Der Zauber verschwand auf der Stelle und die Frau riss die Augen auf, während ihr Mann seine schloss.

Das... musste er jetzt nicht sehen.

Er hatte nahezu die selbe tödliche Stelle getroffen wie zuvor bei seiner Tochter Rahlina und das wussten beide.

„Bitte... tu den Jungen nichts...!“

Tagami sackte langsam in sich zusammen, keuchte leise und betrachtete sich den grünhaarigen Hinterkopf ihrer Tochter, während sie neben ihr am Boden lag und neben einem betäubenden Schmerz bloß noch das warme Blut an ihrem Oberkörper spüren konnte.
 

Sie hatte es versucht, einmal in ihrem Leben ihre Eltern stolz zu machen. Ob es ihr gelungen war, hatte sie nie erfahren. Und ob es sich gelohnt hatte, erst recht nicht.
 

Das waren ihre letzten Gedanken.
 

--
 

Alhata drehte sich langsam zu den Zwilligen, das blutige Schwert noch immer in der Hand. Er schaute an seinem versteinerten Sohn Imera vorbei zu seinem eigentlichen Ziel, Mayora, der sich mit weit aufgerissenen roten Augen panisch immer mehr an die Wand presste.

Im Blick seines Vaters lag der pure Wahnsinn, alle seine Götter warnten ihn, das Blut rauschte in seinem Kopf und das Schwindelgefühl und die Übelkeit, die wegen des abscheulichen Anblicks in ihm aufgekommen waren, ließen ihn fast ohnmächtig werden.

Bloß ein einziger, egoistischer, jedoch einzig richtiger Satz schwirrte ihm in den Gedanken: Weg von hier.

„Und jetzt zu dir, Missgeburt.“

Der Mann kam auf ihn zu, an dem unbeweglichen Imera vorbei, doch noch ehe er seinen Jüngsten erreichen konnte war der mit einem schrillen Schrei aus der Tür gerannt und gleich darauf auch aus dem Haus.
 

Der Vater unternahm überraschender Weise nichts weiteres.

„Ausgerechnet der kann jetzt laufen.“, bemerkte er nur glucksend, als er kurz aus der Küchentür lugte, „Na mir soll es Recht sein, Hauptsache, er ist weg und ich muss ihn nie wieder sehen, diese scheußliche Ausgeburt der Hölle, vermutlich würde er mich verfluchen, wenn ich versuchen würde, ihn zu entsorgen...“

Das übrig gebliebene Kind reagierte darauf nicht, erst, als sein Vater sich bester Laune lächelnd vor es kniete, begann es, seine Umwelt wieder wahr zu nehmen.

„Alles ist gut, Imerachen.“, versicherte ihm der wahnsinnige Mann, hinter ihm lagen die Leichen seiner Frau und seiner Tochter, „Jetzt haben wir es geschafft, der Familie wird es jetzt gut gehen. Hast du das verstanden?“

Er drang mit seinem irren Blick tief in die aus reinem Selbstschutz verschlossene Seele des Jungen und der nickte langsam, trat dann näher an sein Gegenüber und kuschelte sich vorsichtig an es.

Sein Papa hatte ihn lieb, sein Papa würde für ihn sorgen, er tat immer das Richtige.
 

Imera brach keuchend ab und hielt den Kopf tief gesenkt.

Choraly kam sich schäbig vor, sich so etwas von ihm erzählen gelassen zu haben und senkte ihr Haupt ebenfalls.

„Chatgaia...?“, fragte er da mit brüchiger Stimme nach seiner Tante und die schaute von ihrer Teetasse auf.

„Darüber... was ich dann erlebt habe, will ich nicht reden, bitte sei mir nicht böse....“

Die Frau nickte und das brünette Mädchen schaute blinzelnd wieder auf.

„Schon in Ordnung, du warst... sehr tapfer. Ich erzähle weiter, von dem, was ich so erlebt habe.“

Die Jüngeren nickten.

Das Stadtmädchen erschauderte etwas bei dem bloßen Gedanken daran, wie sich Imera gefühlt haben musste... sie erinnerte sich an den Absturz, das war ja schon schrecklich gewesen, aber immerhin bloß ein Unfall.

Das Dorfoberhaupt lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich.
 

„Hat es an der Tür geklopft?“

Harata Setari schaute überrascht von seinem Abendessen auf und zu seiner Frau, die mit den Schultern zuckte. Sie hatte auch etwas gehört.

„Schau lieber mal nach, vielleicht ist es wichtig.“

Er tat wie ihm geheißen und staunte nicht schlecht, als tatsächlich jemand da stand. Aber keiner, mit dem er ansatzweise gerechnet hätte.

„Herrje, Mayora... was...? Na, komm erst mal herein, du bist ja ganz außer Puste...“

Chatgaia hob interessiert den Kopf, als ihr Gatte zusammen mit ihrem zierlichen kleinen Neffen die Küche betrat und verschluckte sich beim Anblick des Kindes an ihrem Essen.

Himmel, er war so furchtbar dürr!

Und nicht nur das, er war völlig bleich und zitterte leicht.

Die Frau erhob sich alarmiert und eilte zu dem Kleinen, um ihm eine Hand auf die Stirn zu legen. Er hatte leicht erhöhte Temperatur, aber das hatte er meistens, daran schien es nicht zu hängen.

Er starrte seine Tante apathisch an.

„Was ist mit dir, mein Kleiner? Wo ist deine Mama?“

Er war ja wohl nicht allein gekommen. Oder doch?

Zur Überraschung des Paares begann der Junge zu schluchzen.

„Ich bin gekommen, um dich um eine Herberge zu bitten, geehrte Tante.“, begann er dennoch förmlich und presste die roten Augen krampfhaft zusammen. Er wollte nicht weinen und schwach sein!

Chatgaia strich ihm verwirrt durchs Haar.

„Warum um eine Herberge? Was ist passiert, Mayora?“

Die Götter hatten ihr und Harata in der vergangenen Nacht seltsame Dinge gesagt, das musste es jetzt wohl sein.

Das Kind erschauderte.

„Ich kann es... nicht sagen, Tante.... ich darf nicht mehr zu Hause sein... glaub mir das!“

Er schluchzte weiter und verlor den Kampf, als er ganz anfing zu weinen. Harata kratzte sich verunsichert am Kopf.

„Möchtest du später darüber reden?“, fragte er vorsichtig, „Willst du vielleicht vorher gern was essen? Mit vollem Bauch lässt es sich besser erzählen!“

Eigentlich war Mayora ja überhaupt nicht nach essen, aber er war so unsagbar hungrig...

So nickte er und verschlang darauf fast das komplette Abendessen allein.

Danach war ihm zwar etwas flau im Magen, aber er fühlte sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder richtig satt.

„Und was ist jetzt los?“, wollte seine Tante da wieder von ihm wissen und er senkte den Blick.

Dann fasste er sich ein Herz und wagte es auszusprechen.

„Mami und Rahlinachen sind tot... und ich soll auch sterben...“
 

--
 

„Ich hoffe, du weißt, was du tust.“

Chatgaia schaute ihren Gatten erst an, während er mit einer Gruppe von anderen Männern aus dem Dorf an der Straße nach Morika stand. Er nickte.

„Ich weiß es.“, antwortete er, „Wir werden nichts tun, so lange die auch nichts machen. Bloß reden. Was Mayora über den Stand der Himmelsblüter in Morika erzählt hat, ist es mir einfach zu gefährlich, allein dort hin zu gehen.“

Seine Frau seufzte.

„Ja. Pass gut auf dich auf, Liebster... ich kann dich nicht auch noch verlieren.“

Sie senkte ihr Haupt und er umarmte sie zärtlich.

Jetzt hatte sie auch noch ihre kleine Schwester verloren. Und ihre Nichte. Es war schlimmer für sie, als sie zugab und auch Harata war tief betroffen, aber er war froh, dass sie sich so gut im Griff hatte, Mayora brauchte jetzt jemand starkes. Das arme kleine Kind.

Er würde darum kämpfen, dass sein Vater eine gerechte Strafe bekam.
 

Und das tat er die ganze Nacht.

Es war eine schlaflose in Thilia, wie auch in Morika, alle waren auf der Straße, unterhielten sich gedämpft und warteten auf die Männer, die aber erst mit dem Morgengrauen wiederkehren sollten.

Chatgaia stand allein mit ihrem Neffen auf dem Arm.

„Werde ich jetzt bei dir bleiben können, liebe Tante?“, fragte er sie irgendwann, kurz bevor die Männer zurückkehrten und sie nickte.

„Selbstverständlich. Du wirst nie wieder um dein Leben fürchten müssen, das verspreche ich dir.“

Er kuschelte sich etwas an sie.

„Vielen Dank, liebe Tante.“

„Ehrenwertes Dorfoberhaupt?“

Die beiden sahen zu einem kleinen Mädchen, das zu ihnen gekommen war. Sie war etwa in Mayoras Alter und bildhübsch, aber der Junge fand ihre stechend violetten Augen und ihren monotonen Gesichtsausdruck beängstigend und wandte sich wieder ab.

„Ja, Shakki?“, sagte Chatgaia da und die Kleine strich sich eine lockige schwarze Haarsträhne hinters Ohr.

„Sie sind besorgt, aber es werden alle Männer zurückkehren und Thilia wird wachsen.“

Sie wartete keine Antwort ab und verschwand wieder. Der kleine Junge schaute verwirrt auf.

„Das war Shakki.“, erklärte im seine Tante, dem Kind nachsehend, „Sie ist eine Seherin, deshalb ist sie etwas seltsam.“

Sie hatte es auch nicht leicht, vielleicht konnte ihr Neffe ja etwas mit ihr anfangen, die anderen konnten es nicht. Aber daran zu denken, war jetzt keine Zeit.

In der Ferne konnte man die Gruppe Männer erkennen.
 

Sie waren müde und teilweise leicht verletzt, aber im Großen und Ganzen ging es allen gut. Es war an Harata, Bericht zu erstatten.

„Als wir ankamen, hielten die Männer Morikas in ihrem großen Versammlungssaal im ehemaligen Markt eine Besprechung. Und ratet mal worüber?“, er grinste, „Die bösen Leute in Thilia, die sie betrogen und die schlimmen Himmelsblüter, die ihr Dorf verflucht haben, die ganze Welt geht ja wegen uns unter.“

Allgemeine Empörung. Alhata hatte Morika zerstört, niemand anderes, warum hörten diese Idioten auf ihn?

„Als wir also genau im richtigen Augenblick ankamen, lagen viele böse Blicke auf uns. Und sie waren in der absoluten Überzahl. Ich habe versucht, mit Alhata Timaro zu reden, aber dieser Bastard ist völlig wahnsinnig er hat mich nicht angehört und hat Dinge gesagt, die ich hier in Anwesenheit von Kindern nicht wiederholen möchte im Bezug auf den Tod seiner Frau und seiner Tochter. Es hat dann damit geendet, dass er seine Armee aus Skelett-Rittern auf uns gehetzt hat.“

„Skelett-Ritter?“, machte Chatgaia erstaunt und er nickte.

„Wir waren in der absoluten Unterzahl, aber die Männer in Morika waren alle geschwächt. Die letzten Monate dort müssen wirklich... ganz, ganz furchtbar gewesen sein, und keiner weiß, wie es zu dieser Krise kam.“

Betretenes Schweigen. Ja, Morika war wahrhaftig nicht mehr so strahlend gewesen wie einst. Sehr schade, dass ein Jahrtausende alter Nomaden-Ort mit einem Schlag so zerfallen konnte.

„Die Männer haben tapfer für ihre Überzeugung gegen uns gekämpft, aber als wir die ersten paar Dutzend blutig niedergeschlagen haben, hielt ich es für besser, das Übel bei der Wurzel zu packen und damit für Frieden zu sorgen.“

Die Leute ahnten, worauf er hinaus wollte.

„Ich habe Alhata Timaro umgebracht. Wir alle haben in dieser Nacht entgegen unserer Natur viele Leben genommen und können nur hoffen, dass unsere Götter es uns verzeihen mögen, aber ich schwöre im Namen aller, wir haben es für den Frieden in unserer Oase getan. Als ihr Dorfoberhaupt tot war, wurden die Menschen drüben völlig friedlich, sie schienen fast schon erleichtert. In Morika ist ein Weiterleben nicht mehr möglich, ich habe ihnen angeboten, nach und nach alle nach Thilia zu kommen und sie haben mein Angebot angenommen.“

Kurzes Gemurmel, dann applaudierte man den Heimgekehrten.

Ihre Taten waren bitter, aber das einzig Richtige, sie konnten stolz sein.
 

Chatgaia merkte unterdessen, dass ihr Neffe auf ihrem Arm unruhig wurde. Vermutlich, weil ihn die Nachricht vom Tod seines Vaters auch traf, obwohl der so schrecklich zu ihm gewesen war, dachte sie sich, aber dem war nicht so.

„Lass mich bitte herunter!“, bat er, „Ich möchte zu meinem Bruder!“

Sie folgte seinem Blick und fand Rohama Timaro, an dessen Hand der kreidebleiche Imera stand und sich nicht regte.

„Natürlich, lauf!“

Sie setzte ihn ab und der Kleine schwankte zu seinem Zwilling und warf sich ihm in die Arme.

Der größte Teil der Anwesenden verfolgten das Tun der Kleinen gerührt... oder geschockt, denn anstatt die Umarmung zu erwidern, stieß der Ältere den Grünhaarigen von sich und schlug ihm ins Gesicht.

Mayora schaute ihn geschockt an.

„Du bist Schuld an Vaters Tod!“, machte er bebend und in sein bleiches Gesicht schlich sich ein ganz grauenhafter Blick, „Du bist ein Monster, alle hier sind Monster!“

„Was spricht dieses Kind?“, fragte eine Frau im Hintergrund empört, doch die Jungen reagierten nicht.

Der Jüngere schnappte nach Luft.

„Monster?“, fragte er erstaunlich selbstbewusst zurück, „Vater war ein Monster, er hat Mami und Rahlinachen getötet, vor unseren Augen! Onkel hat Recht getan!“
 

„Sollten wir dazwischen gehen?“, erkundigte sich Harata unterdessen bei seiner überraschten Frau und die schüttelte den Kopf.

„Nein, lass mal. Die können das allein. Mayora hat seine Äuglein geöffnet.“

Damit hatte sie in ihrem Leben nicht mehr gerechnet. Erstaunlich.
 

Imera schlug abermals nach seinem Bruder, doch der wich aus, was den Älteren vor Wut aufschreien ließ.

„Die sind mir egal, Vater war ein guter Mann, ihr habt ihn mir weggenommen!“

„Es ist gut dass er tot ist!“, schrie der Jüngere zurück und ihm kamen die Tränen, „Als ich... als ich gestern nach Thilia zu meiner lieben geehrten Tante gerannt bin, ist mir klar geworden, dass er daran Schuld ist, dass du mich nicht mehr lieb hast. Und dafür hasse ich ihn auch, so sehr!“

Er stampfte wütend auf und die Dorfbewohner warfen sich betroffene Blicke zu. Diese Kinder hatten es nicht leicht.

„Unsinn!“, kreischte Imera darauf zurück und trat einen Schritt auf den Kleineren zu, „Ich hasse dich so oder so, Vater hat da nichts zu getan. Ich will auch, dass du stirbst, niemand braucht dich, jetzt bist du zwar unserer Familie keine Last mehr, aber dafür Chatgaia, ist das denn besser?! Stirb doch einfach!“

Die Jungen starrten sich keuchend an und die grünhaarige Frau seufzte und wagte es, sich kurz einzumischen.

„Kein Kind der Welt könnte mir eine Last sein.“

Die Zwillinge ignorierten sie wie erwartet, aber Harata konnte ihre Worte deuten und nahm sie zärtlich in den Arm, obwohl sie das in der Öffentlichkeit noch immer nicht so wahnsinnig toll fand.

Ihr Sohn Taranii war bereits 5 Jahre lang tot und seit etwa 3 Jahren versuchte sie, wieder schwanger zu werden, denn nachdem das Paar der Verlust ihres Kindes verkraftet hatte, kam in ihm wieder der Wunsch nach einem kleinen Baby auf. Aber bislang waren sie erfolglos gewesen und der Gedanke daran, Mayora bei sich im Haus zu haben, freute den Mann deswegen heimlich enorm.
 

Der kleine Grünhaarige schnappte in dem Moment empört nach Luft und zögerte kurz, ehe er seine Gedanken aussprach.

„Wenn du mich wirklich aus ehrlichem Hass gehauen hast... und gedemütigt und weh getan... dann... dann hasse ich dich jetzt auch!“

Der Brünette lachte verzerrt, während ihm de Tränen über die Wangen rannen. Es tat so unsagbar weh...

„Na schön, ist mir gleich, du rennst mir ja trotzdem hinterher weil du nicht allein sein willst!“

Die Leute tuschelten betroffen und Chatgaia seufzte.

Mayora ballte seine Hände zu Fäusten.

„Das werde ich nicht! Du wirst mir sicher hinterher rennen, weil du mich vermisst, aber ich hasse dich jetzt und ich will nie, nie, nie mehr etwas mit dir zu tun haben, klar?! Und das ist deine eigene Schuld! Ich hab dich so lieb gehabt!“

Er weinte auch. Es war so verletzend, diese ganze Abneigung. Hatte er jemals jemandem etwas getan? Er konnte sich nicht erinnern...

„Unsinn!“, schrie Imera darauf, „Wenn ich möchte, dass du mit mir kommst, dann wirst du das auch tun! Du musst auf mich hören!“

Harata dachte sich nebenbei dass dieser Streit als der bewegendster Geschwister-Streit in die Geschichte eingehen würde, es war so traurig zu sehen, wie die Zwillinge sich gegenseitig ihren gesamten Frust an den Kopf knallten, aber seine Frau wollte nicht, dass man sich einmischte und die kannte sich sicher aus. Er vertraute darauf.

„Gar nichts werde ich, du bist widerlich, großer Bruder, ich habe mein ganzes Leben lang versucht, dir zu gefallen, du warst immer undankbar und nie nett zu mir, mir reicht es! Ich werde nie wieder bei dir sein!“

Sie schauten sich eine Weile stumm weinend an, dann schluchzte der Größere laut auf.

„A-aber ich will, dass du bei mir bleibst, ich verzeihe dir, kleiner Bruder, ich liebe dich, lass mich nicht allein!“

Und jetzt kam er so. Chatgaia fuhr sich mit der Hand ermüdet durchs Gesicht und Mayora fauchte.

„Es gibt nichts zu verzeihen, lieb mich, bis du schwarz wirst, ich falle nicht mehr auf dich herein, ich hasse dich!“

Er wandte sich ab und schritt schnellen Schrittes zu seiner Tante.

„I-ich möchte bitte ganz schnell nach Hause gehen!“

Die Frau schaute verunsichert zu Imera, der sich hysterisch heulend auf den Boden geworfen hatte. Sein Onkel Rohama räusperte sich.

„Ich könnte ihn mit zu mir nehmen, ehrenwertes Dorfoberhaupt, das wäre vielleicht besser...“

Sie nickte, ihm für sein Angebot dankbar.

Vorerst war es sicher keine gute Idee, die beiden Jungen zusammen zu tun.
 

Über eine wie lange Zeit sich dieses 'vorerst' erstreckte, hatte die Frau damals nicht geahnt.
 

„Das... tut mir so Leid für euch... für euch alle.“

Choraly strich sich betrübt durchs Haar und Imera lächelte ihr müde zu.

„Es ist schon lange her...“, sagte er, „Man gewöhnt sich an jeden Zustand.“

Das war allerdings wahr, wie sie selbst hatte erleben dürfen und Chatgaia räusperte sich plötzlich seltsam, als jemand die Treppe herunter kam.

„Mayora.“, begrüßte sie ihren Neffen knapp, „Wir haben gerade über dich gesprochen.“

Er antwortete nicht und warf ihr bloß einen entnervten Blick zu, während er an der Mannschaft vorbei Schritt und sich an der Küchenzeile ein Glas Kaliri-Saft eingoss.

„Na, ich hoffe, ihr hattet Spaß dabei, Weibsbilder.“, kommentierte er dann doch, als er ausgetrunken hatte und wandte sich wieder zum hoch gehen.

Seine Tante schnaubte und grinste seinen Rücken bösartig an.

„Hatten wir, Alhatachen, hatten wir.“

Er zuckte zusammen und Choraly blinzelte erschrocken über den doch sehr offensichtlichen Angriff. Imera streichelte beschwichtigend über den grünen Schopf des Dorfoberhauptes, dass darauf seufzte und es für nötig hielt, seine Worte zu rechtfertigen.

„Nicht in diesem Tonfall, Mayora. Zeige mehr Respekt, auch wenn es dir schlecht geht.“

Kurz hielt er inne, dann nickte er und ging ohne sich noch einmal umzudrehen weiter.

„Verzeihung, liebe Tante, werde ich, verehrte Tante.“
 


 


 

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So, die Vergangenheit ist durch ^^

Gift

Mayoras Geschichte lies Choraly nicht schlafen. Sie hatte gewiss viel schlimmes erlebt, aber so etwas furchtbar abartiges hätte sie sich noch nicht einmal in ihren schlimmsten Träumen ausgemalt. Und sie kam sich selbst so schäbig vor, die ganze Zeit so gemein zu ihm gewesen zu sein. Und zu Imera.

Wobei der ihr mit einem Mal noch viel suspekter war als ohnehin schon. Jetzt verstand sie aber auch die Abneigung der Dorfbewohner ihm gegenüber, der gestörte Depp liebte und vermisste seinen Vater nach allem was geschehen war noch immer. Das war... einfach nur krank.

Sie seufzte und blinzelte durch ihr bloß schwach erhelltes Zimmer.

Die Zeit verging so schnell. Inzwischen hatte sie sich an die ständige Sehnsucht nach ihrer Familie und ihrem zu Hause gewöhnt und lernte langsam, aber sicher, auch ihr neues Leben zu schätzen. Musste sie, das war am angenehmsten. Man sollte immer das Positive sehen, hatte Atti oft versucht ihr beizubringen, aber sie war zu verwöhnt gewesen, um auf diesen Rat zu hören.

Heute war das anders, sie würde sich bemühen.
 

Dennoch wand sie sich unruhig durch die Laken, als ihre Gedanken sie einfach keine Ruhe finden lassen wollten.

Warum hatten ihr Chatgaia und Imera noch so viel erzählt? Richtig, damit sie ihren Mitbewohner verstehen konnte. Und das tat sie nun.

Abfuhr hin oder her, sie musste lieber zu ihm sein. Sie musste sich bei ihm entschuldigen.

Jetzt sofort, sonst würde sie durchdrehen!

Vermutlich verdiente sie das, aber sie war nun einmal eine unhöfliche Egoistin.
 

Als sie in sein dämmriges Zimmer tappste, schlief er, wie sie an seinem leisen Schnarchen erkennen konnte. Er schnarchte nicht unangenehm, fiel ihr auf, es war ganz leise und irgendwie niedlich. Irgendwie.

Sie setzte sich vorsichtig zu ihm und seufzte. Er sah so unschuldig aus, niemals hätte sie so schlimme Dinge in seiner Vergangenheit vermutet.

Einen Moment zögerte sie, dann rüttelte sie ihn leicht an der Schulter. Er begann zu blinzeln.

„Wach bitte auf.“, machte sie leise und er kam ihrer Forderung mehr unbewusst als bewusst nach.

Er brauchte einen Moment, um klar zu denken, dann sah er sie müde, aber aufmerksam an.

„Was willst du denn?“, fragte er nicht ganz zärtlich, aber auch nicht böse. Es klang einfach nur verschlafen und sie musste leicht lächeln.

Dann senkte sie etwas verlegen den Blick.

„Tut mir Leid, dass ich dich wecke...“, begann sie zunächst und strich sich ein paar Strähnen hinter die Ohren. Sie war ja auch ganz zottelig...

Er setzte sich etwas auf und sah sie stirnrunzelnd an.

„Aber... ich habe die ganze Zeit nachgedacht, ich muss mich bei dir entschuldigen. Ich bin mal wieder ausgetickt, ich konnte einfach nicht anders, ich war halt...so überrumpelt. Tut mir sehr, sehr Leid.“

Sie senkte beschämt den Kopf noch tiefer und er nickte seufzend.

„Ist in Ordnung, ich verzeihe dir.“, kam zunächst wie erwartet, dann redete er jedoch weiter, „Es ist nur, das war... anders als bei den Malen, von denen ich heute Mittag gesprochen habe. Das hat... richtig weh getan. Ich habe ja damit gerechnet, dass du mich ablehnst, aber nicht... so. Ich liebe dich nun einmal, ich kann ja nichts dafür...“

Er errötete und seufzte deprimiert. Sie schielte ihn ebenfalls errötend an.

„Das ehrt mich im allerhöchsten Maße, Mayora Timaro.“, sagte sie dann und ihre Blicke fanden einander, „Ich habe heute erfahren dürfen, was für eine wahrlich erstaunliche Persönlichkeit du bist,

du hast meinen allergrößten Respekt.“

Das hatte er sich doch schon länger gewünscht, wenn sie sich recht entsann? Aber das war wohl nicht die gewollte Situation... na gut, wer konnte ihm das auch verübeln?

Er sah deprimiert zur Seite.

„Ich habe kein Recht, das zu sagen.“, kam dann leiser als zuvor, „Aber wenn ich deinen Respekt gegen deine Liebe tauschen könnte, würde ich es sofort tun.“

Respekt gegen Liebe, das klang nach einem sehr seltsamen Tausch.

Das Mädchen fasste vorsichtig nach seinen Händen.

Sie hatte zuvor niemals jemanden getroffen, der so auf Zuneigung versessen war wie der Grünhaarige.

Und vor allem nicht auf ihre.

„Fass mich nicht so an, wenn ich es nicht auch bei dir tun darf!“, jammerte er auf ihre Geste bloß verzweifelt, schaute sie verschüchtert wieder an und sie zögerte und überlegte kurz.

Sie war hier in einer neuen Welt, was sollte es?

Sie wollte es doch auch...
 

Choraly krabbelte zu ihm ins Bett und küsste ihn in zärtlichster und liebevollster Hingabe auf den Mund.

Zum ersten Mal gab sie ihm etwas, das er auch verdiente, dachte sie sich, als er aus seiner erschrockenen Starre erwachte und vorsichtig die Arme um sie legte.

Sie sanken gemeinsam in die Laken und schenkten sich jeweils einen verwirrten Blick, ehe sie die Lider einfach schlossen und die sanfte Berührung wiederholten.

Sie hatte ihn gern, verdammt. Es war ihr so unsagbar peinlich, plötzlich mit ihm zu schmusen; ewig war er doch bloß die Missgeburt gewesen!

Und jemand wie sie kuschelte nicht mit Missgeburten, das ging doch nicht, was dachte sie sich?

Gar nichts, kam ihr.

Und das wollte sie auch nicht, sie wollte einfach nur den Moment, in dem sie sich gerade befand und in dem er sie voller Zuneigung umarmte und küsste, genießen.

Mehr nicht.
 

--
 

„Was zum Geier machst du schon wieder hier?!“

Mayora, der am folgenden Morgen für seine Verhältnisse spät in der Küche erschien, sah seinen Bruder empört an.

Dieser saß friedlich auf einem Stuhl und aß gemütlich ein Kaliri-Brötchen.

„Essen.“, antwortete er doof und blinzelte den Jüngeren an, „Schmeckt gut.“

Essen, schmeckt gut, ja ja. Ernsthaft, was machte der immer hier? Er hasste ihn, es war sowas von gemein von seiner Tante, seine Anwesenheit hier so häufig zu dulden, da hatte er ja gar keine Möglichkeit, ihm auszuweichen!

Er hatte sogar schon gewagt, sich vorsichtig bei ihr zu beschweren, doch sie hatte giftiger reagiert, als geahnt.

'Imera besucht uns so oft und so lange er will, ja?', hatte sie geschnaubt, 'Er ist genau so mein Neffe wie du auch, außerdem arbeiten wir seit einiger Zeit zusammen, damit du es weißt, er ist kein nutzloses Mitglied unserer Gesellschaft mehr! Wenn du es in seiner Gegenwart absolut nicht aushältst, dann geh in den Garten und zeige der Göre, wie man Blumen gießt oder was auch immer. Aber belästige mich nicht mit diesen Flausen!'

Das hatte sie gesagt und keine Widerworte geduldet. Manchmal fragte er sich, ob sie ihn nicht doch absichtlich quälte...

Er wollte nicht weiter daran denken oder von Imera genervt sein, heute war er sehr gut gelaunt und diese Laune konnte ihm niemand rauben. Erst recht nicht, als auch Choraly, hübsch zurecht gemacht, die Treppe herunter schritt und die Mannschaft mit einem leisen „Guten Morgen“ und einem zärtlichen Blick, der nur ihm galt, begrüßte.
 

„Du auch hier?“, wunderte sie sich ebenfalls über den Brünetten, als sie sich an den Tisch setzte und Chatgaia frisch gemachte Kaliri-Paste servierte.

Wenn sein Bruder da war, machte immer sie das Essen, fiel Mayora seufzend auf, als er sich ebenfalls dazu gesellte.

„Ist das denn so schlimm?“, wunderte sich der Gast unterdessen und schaute seine Tante unschuldig an, die darauf seufzend mit den Augen rollte.

„Lasst ihn doch.“, machte sie nur und begann ebenfalls zu frühstücken.
 

Mayora musste sich jetzt doch eigentlich freuen, fast seine ganze, seltsame Familie saß gemeinsam beim Frühstück. Niemand war gemein zueinander, auch wenn sich nicht alle mochten, das war doch schön.

Und sie für ihren Teil mochte den Himmelsblüter nun sehr.

Sie errötete bei dem Gedanken daran.

Zu Beginn hatte sie ihn gehasst und gefürchtet, dann verspottet und darauf akzeptiert. Und dann hatte sie ihn bemitleidet und gern gehabt, weil sie begonnen hatte, ihn zu verstehen.

Nun hatte sie ihn lieber als gern und das war ihr noch immer peinlich. Es war einfach so über sie gekommen, seine Liebe hatte sie bewegt und tief im Inneren getroffen, sie konnte gar nicht anders, als sie plötzlich etwas zu erwidern. Es war so schön warm, viel wärmer als bei Imera damals.

Eigentlich hatte sie diese Wärme schon länger gespürt.

Aber sich einzugestehen, eine Missgeburt gern zu haben, war nicht so leicht, vor allem nicht für sie!

So ganz verstehen, was in sie gefahren war, tat sie auch immer noch nicht...

„Sollen wir... es erzählen?“

Sie schreckte aus ihren Gedanken und schaute den jungen Mann neben sich überrascht an, als er ihr ein liebevolles Lächeln schenkte. Ach ja, war ja wahr. Geheim halten war doof.

Sie errötete abermals, zu ihrer Erleichterung jedoch nahm das Dorfoberhaupt den Beiden das Reden schon ab. Normalerweise war es ersichtlich, was mit den Zweien war, aber man musste ja auch an den nicht ganz so hellen Imera denken.

„Wir haben also ein neues Paar in Thilia. Nun gut, ich enthalte mir eine Meinung darüber und beglückwünsche euch beiden herzlich. Auf dass ihr uns viele Nachkommen schenkt.“

Sie trank einen Schluck Kaliri-Saft und der Braunhaarige blinzelte das frische Pärchen überrascht an.

„Na sowas, auch meinen Glückwunsch.“, machte er und die Beiden neigten wohlerzogen den Kopf.

Der Ältere schien kurz zu überlegen, dann wandte er sich an Chatgaia.

„Du?“, fragte er und sie sah ihn an, „Sollen wir... es erzählen?“

Er ahmte Mayoras Tonfall perfekt nach und die perplexe Frau lief hochrot an und schnappte einen Moment lang nach Luft.

„Was sagst du?!“, fragte sie geschockt und als er zu grinsen begann, wurde sie noch röter, aber vor Wut, „Wie kannst du es wagen?!!“

Sie schnappte sich aus einer Schale auf dem Tisch eine große Erdbeere und warf sie ihm mit solcher Wucht ins Gesicht, dass sie kaputt ging und er ganz besudelt war damit. Blöd lachen konnte er aber trotzdem. Die Frau sah höchst verlegen und säuerlich in die entgegen gesetzte Richtung.

Choraly blinzelte ihren Freund fragend an und der zuckte mit den Schultern.

Seit Imera irgendetwas mysteriöses mit Chatgaia arbeitete, waren die Beiden etwas seltsam geworden. Seid wann bitte warf seine Tante mit Erdbeeren durch die Gegend?!
 

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„Und es ist wirklich in Ordnung, wenn ich dich allein lasse? Den ganzen Tag?“

Gemeinerweise hatte das Dorfoberhaupt die Schonfrist ihres Neffen ausgerechnet heute beendet und ihm jede Menge Aufgaben aufgetragen. Dabei wäre er doch viel lieber bei seiner Choraly geblieben.

Ja, seine. Nur seine und die gab er nicht mehr her. Nie mehr.

Das Mädchen lächelte etwas schüchtern.

„Ist in Ordnung, ich werde so lange mal zu Dafi gehen, ich habe sie schon ewig nicht mehr gesehen. Ich vermisse sie schon richtig.“

Er nickte verständig und Choraly kam sich etwas komisch vor. Von einem Tag auf den Anderen war das alles sowas von anders, da gruselte sie etwas an.

Aber es hatte sich ja nicht zum negativen hin verändert. Im Gegenteil.

„Dann gehe ich jetzt. Und pass gut auf dich auf, Prinzessin.“

„Versprochen.“

Sie teilten noch einen kurzen, aber sehr liebevollen Kuss, dann ging er und sie tat es ihm kurz darauf gleich.
 

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Der Weg, den sie aus der Oase nehmen musste, war der jungen Frau dabei allerdings nicht so ganz geheuer.

Wohnten denn nicht hier in der Nähe diese komischen Locken-Geschwister? Doch, sie war sich sicher. Aber wo genau, wusste sie nicht mehr.

„Was machst du denn hier?“

Als sie eine Stimme aus dem Nichts vernahm und hinter sich tatsächlich den Jungen vorfand, quiekte sie erschrocken. Moment, wie hieß er noch gleich, Kinai? Na, so lange der allein hier war, ging es ja noch, mit dem Halbstarken wurde sie leicht fertig.

„Kann dir doch egal sein, was ich hier mache, du Zwerg. Was willst du?“, war so die giftige Antwort der Brünetten darauf und wie erwartet errötete der Jüngere ein wenig. Er schluckte und keuchte leise.

„Ich? Nichts, ich meine, ich soll dich suchen...“

Sie ging nicht auf seine Worte ein und verschränkte prüfend die Arme vor der Brust, ihn musternd. Dann lachte sie spöttisch und er wechselte nervös von einem Fuß auf den Anderen. Worauf hatte er sich da nur eingelassen...?

„Entzugserscheinungen? Mayora redet viel, wenn der Tag lang ist.“

Nein, daran lag es nicht, vor fünf Minuten hatte er noch eine geraucht. Er kratzte sich verlegen am Kopf.

„Darf ich dich zu etwas zu trinken einladen?“

Für diese Kreativität musste man ihm einen Orden verleihen, wirklich. Aber dieses miese Weib fand schon wieder etwas zu meckern.

„Ja, klar, ich kann auch gut Leute einladen, wenn man überhaupt nichts bezahlen muss!“, sie schnaubte, „Außerdem trau ich dir eh nicht, sobald wir von der offenen Straße weg sind, haust du mir doch sicher was über! Wobei, hier ist außer uns ja auch keiner... aber so schlau bist du sicher nicht...“

Wie bitte?

Der Junge starrte auf einen Stein vor sich am Boden. Er war Erdmagier...
 

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„Zärtlicher her bringen ging auch nicht, oder?!“

Shakki schnaubte, während sie das bewusstlose Mädchen auf ihrem Sofa bösartig musterte.

„Verarbscheuungswürdiges Biest...“

Ihr Bruder seufzte.

„Theoretisch hätte ich ihr den Stein auch fester über die Rübe ziehen können, dann hätten wir uns so einiges gespart, glaube ich...“

„Das ist wahr.“, bestätigte die Schwarzhaarige, während sie zu einem kleinen Schrank schritt und eine Flasche und ein Glas heraus nahm, „Praktisch warst du aber zu feige. Aber das ist gut so, dein Auftrag lautete ja auch nur herbringen, ich habe mir schließlich selbst etwas schönes überlegt.“

Sie lächelte düster den dunkelroten Inhalt der Flasche an. Sie liebte alte Familienrezepte.

„Wecke sie auf, sonst verschütten wir noch was. Ich bin Überredenskünstlerin, pass auf.“

Oh ja, das wusste Kinai, sonst hätte er sich auch nicht auf diese Dummheiten seiner gestörten Schwester eingelassen. Was man nicht alles tat...

Er rüttelte das Mädchen an der Schulter, bis es stöhnend die Augen öffnete.
 

Der Raum, in dem Choraly war, war dämmrig und gruselig, sie wusste nicht wo sie sich befand. Zuvor hier gewesen war sie jedenfalls nicht.

Ihr Kopf pochte und sie erschauderte, als sie sah, wie sich eine schemenhafte Gestalt über sie beugte. Trotz ihrer Verwirrtheit erkannte sie sie dank des langen lockigen Haares und der übermäßig weiblichen Figur sofort. Oh nein, bitte nicht.

„Shakki...?“

Ihr Blick wurde klarer und sie erschreckte sich beinahe, als sie die Seherin lächeln sah. Nicht nett, aber auch nicht unbedingt bösartig. Irgendetwas passte hier nicht...

„Ja, ich bin es. Was machst du für Sachen? Einfach bei uns vor der Tür zusammenbrechen...“

Moment, war sie zusammengebrochen? Sie erinnerte sich nicht mehr daran, sie wusste bloß, dass sie zu Dafi gewollt hatte. Und sie hatte sich am Morgen sehr wohl gefühlt, also warum sollte sie zusammengebrochen sein?

„Mein Bruder hat dich gefunden.“, erklärte die Ältere da weiter, „Dein schwaches Gemüt ist vielleicht nicht unbedingt für die hohen Temperaturen hier, was?“

Unsinn, anfangs war es zwar sehr unangenehm gewesen, aber egal, wie verwöhnt man war, man gewöhnte sich an alles.

Sie kam nicht zum Erwidern, da reichte die Schwarzhaarige ihr ein Glas mit einer seltsamen roten Flüssigkeit darin.

„Was ist das denn?“, erkundigte sie sich angeekelt und ihr Gegenüber lächelte weiter.

„Medizin.“, war die Antwort, „Für den Kreislauf. Selbst hergestellt, Chatgaia hat mir einmal erklärt, wie das geht, weil meine Frau Mutter oft solche Probleme hatte.“

Theoretisch musste ihr niemand irgendetwas erklären, aber das klang besser und vertrauenswürdiger. Sie war allwissend, sie wusste, wie sie Personen überzeugen konnte. Auch wenn sie hartnäckig waren.

„Und woher weiß ich, dass ich dir vertrauen kann? Du bist doch völlig wahnsinnig!“

Choraly konnte bei manchen Leuten einfach kein Blatt vor den Mund nehmen, außerdem war Shakkis Verhalten teilweise doch... sehr offensichtlich gewesen. Sie hasste sie. Oder nicht?

„Ich bin eine verwirrte Frau, Mädchen aus der großen Stadt.“, machte die Magierin dahin jedoch scheinbar bedauernd, „Ich höre seltsame Stimmen, die mir noch seltsamere Dinge sagen, den ganzen Tag lang, manchmal ist es zu viel und ich komme nicht mehr mit. Dann bin ich leider sehr leicht reizbar. Deshalb sind mein Worte oft bloß Schall und Rauch, nicht ernst gemeint. Bitte glaube mir das. Heute ist ein guter Tag, die Stimmen sind leise und erzählen verständliche, schöne Dinge.“

Und was hatte das mit ihr zu tun, fragte sich das Stadtmädchen und ihm kam ein logischerer Gedanke. Die Hexe fand es schön, wenn sie auf der Straße zusammenbrach. Kinai war bestimmt nicht gerade zufällig über sie gestolpert...

„Wie dem auch sei, du solltest das trinken, es ist gut für dich. Vertrau mir.“

Ihr Lächeln verschwand und sie sah sie ganz normal an.

Na ja, vielleicht meinte sie es ja wirklich nur gut, wie war sie auch sonst hier her gekommen? Sie hätte sie ja auch einfach liegen lassen können. Außerdem hatte die Gute doch gar keinen richtigen Grund mehr, böse auf sie zu sein, sie fügte sich schließlich ganz artig den Dorfregeln und über Mayora war die Schwarzhaarige inzwischen sicher auch hinweg. Oder?

Ach, was sollte es, sie konnte nicht richtig denken, ihr Kopf schmerzte...
 

Choraly nahm das Glas wortlos entgegen und blinzelte den dunklen Inhalt prüfend an.

„Trinke es am Besten in einem Zug aus, es schmeckt wirklich abscheulich.“, riet die Ältere ihr nebenbei und dir Brünette nickte. Ja, das konnte sie sich denken, das roch auch bestialisch.

„Und das hilft auch?“, versicherte sie sich noch einmal und als Shakki nickte, überwand sie sich um der Gesundheit Willen und kippte es herunter.

Die Seherin überraschte ihre Tapferkeit etwas, obwohl sie gewusst hatte, dass sie artig trinken würde und nahm ihr das Glas gleich nach dem letzten Schluck wieder ab, um es mit einem Glas Wasser auszutauschen, welches von der nun bleichen jungen Frau ebenfalls in einem Zug getrunken wurde. Dann keuchte sie.

„Ih!“, war ihr erster Kommentar, „So eine abartige Medizin gibt es in Wakawariwa aber nicht! Das schmeckte ja so, wie Mayora riecht, bloß viel stärker und aufdringlich, mit einer gesunden Brise Metall oder so...!“

Sie war gar nicht einmal so schlecht im Inhaltsstoffe analysieren. Wobei selbst die Magierin sich nicht ganz erklären konnte, weshalb Mayora so roch, wenn auch nicht ganz so abartig wie das Getränk schmeckte. Seltsam, aber auch egal.

„Ich sollte dich jetzt vielleicht nach Hause bringen.“

Die Frauen sahen zu Kinai auf, der neben seiner Schwester erschienen war und die Älteste nickte.

„Sehr gute Idee. Du kannst jetzt nicht zu Dafi, du musst dich zuerst schonen.“

Choraly setzte sich auf und seufzte enttäuscht. Sie hatte sie so gern besuchen wollen...

„Denk an deine Gesundheit.“

Sie nickte, ja, war ja wahr. So ein Mist aber auch.
 

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Kinai war definitiv ein zu guter Junge. Und zu selbstlos. Shakki würde ihn killen, wenn sie erfuhr, und das würde sie tun, dass er zu Mayora gerannt war, um ihm zu sagen, dass seine Freundin halbtot vor seiner Haustür lag.

Vielleicht war es aber auch nicht so schlimm, er hatte ja auch nur gesagt, dass er sie zufällig da gesehen, nicht dass er sie dahin gebracht hatte. Himmel, was für ein Unsinn...

Er ging lieber mit einen Umweg nach Hause...
 

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„Ach du meine Güte!“

Mayora hob seine bewusstlose Freundin geschockt und vollkommen ahnungslos auf. Er war gerade von Maragi gekommen, da hatte der Bruder seiner Ex-Freundin ihn auf seine arme Prinzessin hingewiesen. Was war nur mit ihr passiert?

Er öffnete abrupt die Haustüre, um Choraly schnell auf dem Sofa abzulegen, damit sie am Ende nicht auch noch Rückenschmerzen bekam, seine arme Süße. Dabei traf er in der Stube überraschender Weise auf seine Tante und seinen Bruder, die doch eigentlich hätten arbeiten sollen.

Er war ihnen einen blöden Blick zu, ohne sie zu begrüßen, als er seine Freundin notdürftig abgelegt hatte.

Tja, er hatte die Beiden voll dabei erwischt wie... sie nicht arbeiteten. Aber was machten sie dann?

Ihm fiel eine Schale Erdbeeren auf dem Sofa-Tisch auf und Imera zeigte wichtigtuerisch darauf.

„Ich bin offizieller Erdbeeren-Tester, jaahaa!“

Moment – das war sein ominöser Beruf, den er mit Chatgaia ausführte? Sie testeten tagelang zusammen Erdbeeren?!

Die Frau seufzte errötend und strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.

„Ja. Aber nicht nur.“, sie trat an die Seite ihres jüngeren Neffen und räusperte sich, „Wie auch immer, was hast du mit ihr gemacht?!“

Es war mehr eine rhetorische Frage, ihr war natürlich klar, dass er seiner Freundin nichts antat und er schnaubte ungehalten.

„Dumme Frage, Tante, sie gefunden, das habe ich.“

Sie warf ihm einen schiefen Blick zu. Der wurde ja auch immer frecher, er kannte sie doch. Sie hätte sich gerade nicht um Choraly kümmern sollen, damit ihm mal wieder klar wurde, wer er war.

Aber das Mädchen konnte ja nichts dafür.

So beäugte sie sie geübt, fühlte ihre Stirn und untersuchte sie.

Imera stand währenddessen etwas unbeholfen daneben und aß seelenruhig Erdbeeren. Die schmeckten toll...

„Überarbeite dich nicht!“, kommentierte sein genervter Bruder das und er nickte ihm blöd grinsend zu.

„Sei froh, dass du das nicht machen musst!“, antwortete er doof lachend und sah dann zu seiner Tante, „Was hat sie denn? Sonnenstich?“

Normalerweise musste ein Kerl von seiner Ex-Freundin doch wissen, ob sie für so etwas anfällig war oder nicht, oder? Mayora verdrehte die Augen.

Seine Prinzessin vertrug die Hitze überraschend gut und wenig zuvor war sie noch bester Gesundheit gewesen, sie fiel doch nicht einfach um! Also echt!

„Nein... ähnliche Anzeichen, aber... nein. Ich untersuche ihr Blut, ich vermute etwas...“
 

Etwas später hatten die Jungen die Bewusstlose in ihr Bett gebracht, nachdem das Dorfoberhaupt ihr etwas Blut abgenommen und untersucht hatte.

So standen sie nun in der minimal eingesauten Küche und sahen Chatgaia mehr oder weniger interessiert dabei zu, wie sie dem Lebenselixier der jungen Frau verschiedene Substanzen beimischte und aus den Reaktionen Informationen erlangte.

„Ich hab die Vermutung...“, begann die Frau schließlich und roch an der Brühe in der kleinen Schüssel, „Dass... dass... da...“

Sie begann zu schwanken und wäre einfach so zusammengebrochen, wenn nicht Imera, der gerade neben ihr gestanden hatte, sie aufgefangen hätte. Die Schale ließ sie dabei fallen.

„Tante?“

Mayora fasste beunruhigt nach ihrer Wange und die Grünhaarige öffnete blinzelnd die Augen wieder. Dann hustete sie erst einmal ausgiebig und Imera befürchtete schon, sie würde ersticken, als er sie kaum noch festhalten konnte, weil sie sich so krümmte.

„Himmel!“, schnappte auch der Grünhaarige und klatschte ihr etwas Wasser ins Gesicht, damit sie sich wieder beruhigte. Die Frau keuchte atemlos.

„Höllenzeug!“, machte sie dann stimmlos, „Das ist pures Gift!“

Sie befreite sich aus dem Griff des Brünetten und stolperte, noch immer wackelig auf den Beinen, zu ihren Arbeitsmaterialien.

„Ich muss mich beeilen!“, erklärte sie, „Ihr habt ja gesehen, was da gerade mit mir passiert ist... ich muss mir ein Gegengift ausdenken... Himmel...“

„Geht es dir denn auch gut?“

Imera hob nicht ganz überzeugt eine Braue, während sein Bruder mit einem Lappen und möglichst ohne das Zeug zu berühren begann, der Boden und die Schüssel zu säubern.

„Besser als Choraly!“, schnappte sie, „Aber ich denke, ich weiß in etwa, was ich machen muss. Kannst du mir dafür einen Gefallen tun?“

Die Jungen nickten beide. Natürlich, alles – sie ahnten nicht, dass sie das Gleiche dachten.

Das ziemlich blasse Dorfoberhaupt wandte sich ihnen zu und räusperte sich.

„Nur Mayora, ich denke, du kannst das nicht, Imera. Also, nimm dir eine Öllampe und klettere bitte einmal auf den Dachboden, in einer Kiste müsste irgendwo ein uraltes rotes Buch über Flüche liegen, das brauche ich.“

Flüche? Moment, es war ein verfluchtes Gift? Wer war denn so kreativ?

„Ich kann das auch, Chatgaia.“, schnappte der ältere Junge da und die Frau musterte ihn stirnrunzelnd, als sich ein leichter Rotschimmer über seine Wangen legte.

Ach herrje... sie hatte ihn beschämt. Aber es war nun einmal eine Tatsache, dass er nicht lesen konnte, sie war Realistin.

„Imera...“

Sie seufzte und er schnappte empört nach Luft und griff nach einem Zettel, der neben ihm auf dem Tisch lag.

„Bi... bit... bitte... ma..., ach nein, bring... bring... die... Me-di-pudding?!“, er sah verwirrt auf, „Ich kann lesen! Aber du schreibst hier mitten im Satz was von Pudding!“

Mayora lugte ihm über die Schulter.

„Nein, sie kritzelt nur so hässlich, das soll Medikamente heißen...“, erklärte er, „Aber du hast Recht... es hat etwas Ähnlichkeit mit Pudding. Oder auch Poolring...?“

„Was ist ein Poolring?“
 

Die Grünhaarige fasste sich an die Stirn. Himmel.

„Euch ist schon klar, dass das Mädchen aus der großen Stadt in spätestens zwei Stunden tot ist, wenn nicht ganz schnell was geschieht?!“

Die Zwillinge verstummten. Nein, aber gut, dass sie das mal erwähnte.

„Wir gehen beide suchen!“, entschied Mayora einfach prompt und rannte vor.
 

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„Du hättest ruhig warten können! Und hier finden wir nichts! Wenn ich hier etwas nicht lesen kann, liegt es an der Dunkelheit, definitiv!“

Unter dem Dach war Imera dann durchgehend am meckern und dem ohnehin etwas gereiztem Jüngeren somit keine wirkliche Hilfe.

„Dann hättest du dir auch eine Öllampe mitnehmen müssen, du Idiot!“, schimpfte er nur zurück, während er in einer Kiste mit Büchern aller Art herum kramte. Leicht war es tatsächlich nicht, aber es musste gehen, er musste doch seine Choraly retten...

„Und woher soll ich bitte wissen, wo ihr die Öllampen habt?“, nervte der große Bruder da weiter und er verdrehte die Augen, als er etwas rumpeln hörte, „Au, Mist...“

„So oft wie du zum Arbeiten hier bist, müsstest du es eigentlich wissen...“

War doch wahr. Erdbeerentester, also echt, das war unter aller Sau, und ihn ließ Chatgaia so schuften...

„Wenn ich zum Arbeiten hier bin habe ich meistens weder Zeit noch Lust, mich nach Öllampen umzuschauen, Missgeburt.“

Er rollte mit den Augen. Fresse halten kannte der aber auch nicht? Wobei er es nie gekannt hatte...

Im fiel überraschend ein Lichtbild-Album in die Hände. Waren das andere Zeug nicht eher Koch- und Kosmetik-Bücher gewesen? Ach, auch egal...

Als er es aufschlug, flogen ihm allerhand Bilder entgegen, zusammen mit einer gehörigen Priese Staub und er musste zunächst erst einmal husten. Ja, war irgendwie typisch, dass sich die Frau Dorfoberhaupt zu fein war, alles einzukleben, war ja so eine schlimme und zeitaufwendige Arbeit, ach herrje.

Beim wieder Einräumen der Lichtbilder fiel ihm eines mit einem kleinen Jungen drauf in die Hände und er blinzelte überrascht.

„Ich habe irgendwie die Vermutung, unser Onkel Manaia hatte rosa Haar...“

Imera kam neugierig zu ihm und riss ihm das Bild in der Hand, um es nach ein paar Augenblicken auszulachen.

„Ach du meine Güte! Stell dir mal vor, du hättest rosa Haar!“

Er gackerte dämlich und Mayora nahm das Stück wieder zurück und legte es dorthin, wo es hingehörte. Er grinste doof.

„Das ist auch in unseren Genen, wenn wir irgendwann Kinder kriegen, kann es auch sein, dass wir rosahaarige Jungs dabei haben...“

Der Ältere hielt erschrocken inne. Dass es recht unwahrscheinlich war, behielt der Grünhaarige dabei für sich, sollte der Idiot doch Angst haben, rosahaarige Jungen zu zeugen, sein Pech. Außerdem hatte das ihren längst toten Onkel auch nicht hässlich gemacht...
 

Er griff seufzend nach dem nächsten Bild, um es wegzuräumen, erstarrte aber zunächst einmal, nachdem er es angesehen hatte.

Imera versuchte abermals neugierig einen Blick zu erhaschen.

„Was denn?“, fragte er ungeduldig und der Kleinere schnappte zunächst einmal nach Luft, dann quiekte er mädchenhaft.

„Ach du scheiße!“

Er erschauderte am ganzen Leib und vergaß dabei sogar kurzzeitig die arme kranke Choraly; was war das denn? Das konnte doch nicht das sein, wonach es aussah, oder? Immerhin... nein, das ging nicht!

„Gib doch mal!“, der Brünette riss seinem Bruder abermals das Lichtbild aus der Hand um es anzusehen und der kreischte wieder.

„Schau da nicht hin!“

Da war es natürlich schon zu spät und Imeras Augen wurden tellergroß. Dann begann er unsicher dämlich zu grinsen.

„Das ist nicht ernsthaft das, was ich denke, oder?!“

„Ich weiß nicht...“, murmelte der Jüngere verlegen und drehte den Kopf so weit wie möglich von dem Bild weg, der Größere betrachtete es sich gut gelaunt haargenau; „Ich meine, von wem hat Tante Chatgaia sich denn so fotografieren lassen?“

„Nicht von mir!“, war alles, was der Ältere erwidern konnte, der das Foto noch immer fasziniert ansah, „Von Harata vielleicht? Oder hat sie sich noch vor anderen Kerlen ausgezogen, von denen ich wissen sollte?“

Mayora schüttelte höchst verlegen den Kopf. Wie sollte er denn seine Tante respektieren und ehren, wenn er genau wusste, wie sie unter ihrer Kleidung aussah? Wie hatte sie sich so ablichten lassen können? Er war im allerhöchsten Maße empört.

„Sie ist schon eine bildhübsche Frau, nicht?“

Er wandte mit hochrotem Kopf den Blick wieder zu seinem Zwilling, der das Lichtbild in seiner Hand hielt und mit einem zart-rosanen Schimmer auf den Wangen leicht vor sich hin lächelte.

„Hast du eine Vollmeise?!“

Der Junge schreckte auf und wurde nun knallrot.

„Äh... ich meine, nein, nein, aber... ist doch wahr, oder nicht?“

Er kicherte dümmlich und der Jüngere erhob sich und sah sich lieber einen anderen Ort zum Suchen um. Imera war ihm gruselig.
 


 


 

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Uh, perverse Tante.... XDD

Verbundenheit

„Die Mitglieder der Kaera-Familie sind schon seit jeher Experten für Flüche und Gifte.“, erklärte die wieder fitte Chatgaia, während sie sich selbst einen recht langen Schnitt am linken Unterarm zufügte und das Blut in eine Schüssel mit von ihr hergestelltem Gegengift tropfen ließ. Dabei zuckte sie kein einziges Mal mit der Wimper.

„Dass Kinai sie zufällig hier gesehen haben soll, halte ich für äußerst unglaubwürdig. Und Shakki hasst Choraly.“

Sie drehte sich zu Mayora um, der deprimiert in der Küche herum stand. Er hatte das Buch schließlich doch noch gefunden, sein Bruder war ihm dabei allerdings keine sonderlich große Hilfe gewesen, weil er sich die ganze Zeit bloß dieses perverse Bild des Dorfoberhauptes angesehen und sich daran erfreut hatte. Der Grünhaarige konnte ihm nicht nachempfinden, er fand das eklig. Dass der ein Bild mit seiner nackten Tante drauf erotisch fand, zeigte doch, wie krank er war. Und nicht nur das, der hatte das ja auch noch mitgehen lassen und freute sich jetzt einen Keks...

'Aber nur, wenn du es niemandem zeigst!', hatte der jüngere Bruder perplex gemacht, als Imera das Lichtbild in seiner Hosentasche hatte verschwinden lassen und der hatte errötend den Blick etwas gesenkt.

'Nein, nur zum eigenen Vergnügen.'

Er schien nicht gelogen zu haben, wobei der Gedanke an eigenes Vergnügen ja eigentlich schon schlimm genug war...

Auch egal, für seinen notgeilen Zwilling hatte der Junge gerade überhaupt keine Nerven, seiner Choraly ging es schlechter denn je und seine perverse Tante erzählte ihm irgendwelche beunruhigenden Dinge über die Familie seiner Ex-Freundin.

„Du meinst also, die haben etwas damit zu tun?“

Er kannte die Antwort eigentlich schon. Er hatte es geahnt. Was war bloß aus Shakki geworden, dass sie so weit ging...? Oder zumindest hatte gehen wollen...

„Ich bin mir so gut wie sicher.“, antwortete die Grünhaarige da, „Aber dadurch fiel es mir auch leichter, zu analysieren, wozu sie da gegriffen hat, ich kenne sie schließlich. Deshalb wird deine Frau auch wieder gesund.“

Eben diese wurde im Moment auch von Imera bewacht. Man wusste ja nie und eine solche Aufgabe traute Chatgaia dem Brünetten durchaus zu. So dumm war er auch wieder nicht.

Mayora seufzte deprimiert.

„Und alles nur wegen mir. Im Übrigen sind wir auch noch nicht ganz soweit, dass ich sie als 'meine Frau' bezeichnen könnte.“

Sie waren noch nicht einmal einen ganzen Tag zusammen, Himmel. Seine Tante schenkte ihm einen seltsamen Blick.

„Sie wird aber deine Frau werden, Mayora, schon bald. Ich erwarte im nächsten Sommer euer erstes Kind.“

Moment, was?!

„Wie... Chatgaia!“

„Choraly ist absolut nutzlos, viel nutzloser als Imera inzwischen.“, erklärte die Ältere da weiter, „Wir tun viel für sie, doch sie tut kaum etwas für uns, oder? Wenn sie dir viele Nachkommen schenkt, würde sie dem Dorf damit jedoch auch einen Gefallen tun, das würde alles entschädigen.“

Entschädigen sagte sie, dafür, dass sie aus so reichem Haus kam und so viel erlebt hatte, hatte sich die junge Frau doch recht bescheiden verhalten, fand er.

Das Dorfoberhaupt jedoch nicht.

„Wenn ihr Bauch bis zu deinem 18. Geburtstag nicht gerundet ist, wird sie sterben. Dann kann ich sie hier nicht gebrauchen.“

Wie fast immer handelte sie richtig, dachte sie sich, doch ihr Neffe war anderer Meinung, als er sie empört und etwas verzweifelt anschaute.

„Das geht doch nicht!“, machte er, „Weißt du, was du das verlangst? Choraly kommt aus einer anderen Gesellschaft als wir, es ist sehr seltsam bei ihnen, so früh Kinder zu bekommen.“

Aus Respekt zu dem Jungen unterdrückte die Magierin es, ihm mitzuteilen, wie vollkommen egal ihr das war. Der Ort sollte Nutzen von der Göre haben, war das denn so schwer?

„Schau, dass du es hinbekommst und wir haben gar keine Probleme.“, entgegnete sie ruhig und ihr Gegenüber fuhr sich deprimiert durchs Haar.

„Bitte nicht, Mama...“, bat er leise und mit treuestem Hundeblick und die Frau senkte errötend das Haupt und war plötzlich ganz aus dem Konzept.

„Du weißt, dass ich nicht mehr nein sagen kann, wenn du mich so nennst...?“, stellte sie nur richtig fest und er entgegnete nichts.

Ja, genau. Er wusste, dass sie dann nur so dahin schmelzte. Von wegen, er war nur der treue Schoßhund...

„Versuch es zumindest.“, machte die Frau da wesentlich sanfter und lächelte unwillkürlich vor sich hin, „Bitte, gib dir Mühe, es ist für deine Heimat.“

Er nickte.

„Ich werde mich mit ihr unterhalten, okay?“
 

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„Ich bringe dich um! Ich reiße dir deine Innereien heraus, du bekiffter Hund, ich bringe dich um!“

Kinai wich knapp einem großen Messer aus, das seine Schwester nach ihm warf und das im Fensterrahmen stecken blieb, den es dabei ein Stück weit spaltete.

Der Junge keuchte.

„Schwester verzeih, aber...“

„Schweig!“

Sie baute sich bedrohlich vor ihm auf.

„Du hast gewusst, dass meine Sehenskraft nachgelassen hat, oder? Du hast es gewusst und du hast es genutzt um mich zu verraten, du dreckiges Schwein! Warum bist du auf ihrer Seite und nicht auf meiner?! Ich bin deine Schwester, mich solltest du lieben!“

Ehe er sich ducken konnte hatte sie ihm eine Vase an den Kopf geschmettert und er schrie auf und sank auf die Knie, als der heftige Schmerz ihn zusammenbrechen lies. Ein schmaler Blutfluss bahnte sich vom Haaransatz an über sein Gesicht, als er wieder zu der Älteren aufsah, die nun vor ihm stand.

„Du hast sie nicht nur wirklich nach Hause gebracht, wo Chatgaia sie mit Leichtigkeit wieder gesund machen konnte, nein, du hast auch noch Mayora, diesem elenden Mistkerl, Bescheid gesagt! Mögen die Seelen seiner Familie im Feuer der Unterwelt verbrennen!“

„Dann drücke dich nächstes Mal etwas deutlicher aus, Schwester!“, bat er empört und hielt sich die schmerzende Platzwunde, „Und solche bösen Dinge wünscht man Toten nicht, sonst kehren sie als böse Windgeister zurück!“

Es war nicht besonders klug, die allwissende Shakki Kaera zu belehren und das bekam der zierliche Junge mit einem Tritt ins Gesicht zu spüren, der ihn rückwärts umkippen lies. Dabei stieß es sich den Kopf an der Fensterbank an und keuchte.

„Du Unwürdiger, sprich niemals wieder in einem solchen Ton mit deiner älteren Schwester!“, schrie sie so laut sie konnte, „Du wertloses Stück Dreck, du solltest vor mir kriechen, jeden Tag mit deiner Dummheit konfrontiert zu werden bereitet mir heftige Kopfschmerzen, du Nichts!“

Kinai stöhnte und sah sein Gegenüber flackernd an, als es ihn an den Haaren auf die Knie zerrte, um ihm mit der anderen Hand besser ins Gesicht schlagen zu können.

„Ich habe längst verstanden, bitte, liebe Schwester, lass mich...“, bat er leise und erstaunlich gefasst.

Himmel, was war er für ein Mann, wie jämmerlich...

„Ich lasse dich nicht, ich hasse dich.“

Er hob schwach beide Brauen.

„Was?“

Sie verzog das Gesicht zu einem grausamen Grinsen.

„Ich war immer so eine brave, vorbildliche Tochter, ich habe alles getan, um unsere Eltern stolz zu machen und trotzdem lieben sie dich mehr als mich, sie fürchten mich, genau so wie alle anderen!“

Ja, sie war neidisch, das gab sie zu. Aber zu Recht, wie sie fand.

Ehe er zum Antworten kam, verfestigte sie den Griff in seinem Haar und schlug seinen Kopf ein weiteres Mal gegen die steinerne Fensterbank, worauf er das Bewusstsein verlor. Als sie direkt darauf den Vorgang wiederholen wollte, um in ihrer blinden Wut ihren eigenen Bruder an Stelle von Choraly Magafi zu töten, packte sie jemand von hinten an den Oberarmen und drehte sie gewaltsam um, worauf sie gezwungen war, von dem Jungen abzulassen.
 

„Vater!“

Sie schaute keuchend zu dem Mann auf, der streng auf sie hinab sah. Früher war er nie streng gewesen...

„Tochter, du bist des Wahnsinns, was hast du mit deinem Bruder gemacht?!“

Hinter ihm tauchte auch die Mutter auf, die besorgt zu ihrem Sohn eilte. Sie waren gerade heimgekehrt.

„Er hat es verdient, Vater, er hat mich verraten! Er hat es ausgenutzt, dass meine inneren Augen so schlecht geworden sind, ich musste ihn bestrafen!“

„Er ist 14!“, antworte Frau Kaera ungefragt, „Er macht Fehler, er ist nicht perfekt! Außerdem benutzt du ihn in letzter Zeit oft für seltsame Dinge, Mädchen!“

„Ihr versteht das nicht!“

Herr Kaera zog seine Tochter in seine Arme und seufzte.

„Nicht verzweifeln, Prinzessin, natürlich verstehen wir dich nicht. Aber wir wissen, dass du dir bei allem was du tust, etwas logisches denkst, keine Sorge. Doch in letzte Zeit...“

Er unterbrach sich, als sich das Mädchen schluchzend an seine Brust presste.

Shakki konnte nicht weinen, ihre Tränen waren nie echt.

Frau Kaera versuchte ihre Gedanken so weit wie möglich zu unterdrücken, als sie sich um ihren Sohn kümmerte.
 

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„Und du weißt echt nichts mehr?“

Imera schaute Choraly überrascht an. Das Mädchen war kurz, nachdem Chatgaia ihr das Gegengift-Blutgemisch eingeflößt hatte, aufgewacht. Sie würde wieder gesund werden, im Moment jedoch war sie noch sehr schwach und verwirrt.

„Ich... wollte doch bloß zu Dafi...“, murmelte sie, während ihr Blick ziellos durch den Raum huschte und schließlich an Mayora hängen blieb, der sie besorgt und liebevoll ansah.

Sie lächelte ihn sanft an.

„Komm zu mir.“, bat sie und er erfüllte ihr ihren Wunsch und setzte sich zu ihr an die Bettkante, wo er ihre zarten Hände liebevoll in seine nahm.

„Ist schon in Ordnung, stresse dich nicht, wir überlegen später, ja?“

Das Paar schenkte sich einen tiefen Blick und Chatgaia, die neben Imera stand, verstand und zog diesen an der Hand aus dem Zimmer.

„Lassen wir die Beiden.“, erklärte sie ihr Verhalten und der Junge schaute perplex, sagte aber nichts weiter und folgte brav.
 

„Ich habe so um dich gefürchtet.“, erklärte der Grünhaarige leise, als er mit seiner Freundin allein war und die blinzelte müde, „Ich liebe dich.“

Es war seltsam, jemandem so einfach zu sagen, dass man ihn liebte. Aber er würde sich sicher daran gewöhnen, denn es erleichterte ihn jedes Mal. Es tat gut, einfach seine Gefühle preis zu geben, das tat er nicht oft.

„Missgeburt...?“

„Hm?“

Sie zog etwas an seiner Hand.

„Ich möchte... bitte etwas... kuscheln... wie heute Nacht!“

Choraly war furchtbar müde und der junge Mann lächelte auf ihre Bitte hin gerührt und legte sich zu ihr, um sie zärtlich in den Arm zu nehmen.

In diesem Moment schwor er sich, nie wieder von der Seite seiner Prinzessin zu weichen, er musste sie immer beschützen, damit so etwas nie wieder geschah. Und mit Shakki hatte er noch ein Hühnchen zu rupfen, die war für ihn endgültig unten durch. Wie hatte sie nur können...?
 

--
 

Das fragte sich seine Tante auch, als sie sich in der folgenden Nacht mit ihrem Liebhaber das Bett teilte.

„Was soll ich mit ihr machen?“, fragte sie ihn und der junge Mann küsste sie zur Antwort nur zärtlich auf den Kopf. Wusste er doch nicht, Shakki war ihm auch recht egal.

„Danke, das hat mir sehr geholfen.“

Sie trat ihm unter der Decke ans Bein und er hob den Kopf und schnaubte.

„Aua! Das tut doch weh, verdammt!“

Er fand es immer etwas fies, wenn sie so schön zusammen lagen und sie dann mit irgendwelchen wichtigen Entscheidungen ankam, die sie zu treffen hatte und bei denen sie gaaanz dringend Hilfe brauchte. Und wenn er etwas sagte, war es immer falsch.

Dorfoberhaupt hin oder her, alle Frauen waren gleich! Obwohl er eigentlich noch gar nicht so viel Erfahrung hatte... ach egal, um das zu erkennen bedurfte es keinerlei Erfahrungen.

„Antworte mir anständig.“, verlangte die Grünhaarige da und drehte sich zu ihm um, „Wer sich mit mir einlässt, muss damit rechnen, dass ich ihn auch an meinem Leben teilhaben lasse.“

Der Jüngere lächelte.

„Ja... und darauf bin ich stolz, aber ich fürchte, ich bin nicht schlau genug, um dir wirklich eine Hilfe zu sein.“

Er beugte sich etwas vor und küsste sie sanft auf den Mund. Er war sehr stolz darauf, an ihrem Leben teilhaben zu dürfen und er wusste, 'wer sich mit mir einlässt' war schön daher gesagt, eine Frau wie sie war schließlich doch etwas ganz besonderes. Ja... und sie war sein.

„Du hast mir immer noch nicht geantwortet.“, stellte die Magierin dennoch fest, als sie sich voneinander lösten und kuschelte sich dichter an ihren Freund.

„Ja, ich weiß...“

Er grummelte. Na gut, irgendetwas intelligent klingendes, was sie beeindruckte...

„Hau ihr einen Stein auf den Kopf, damit sie tot ist. Oder sag zu deinem tollen Killer, er soll das erledigen. Geht ja wohl nicht, die arme Choraly...“

Ja, das war doch eine gute Idee, für die er allerdings kein Lob, sondern bloß eine Kopfnuss erntete.

„Dummkopf!“

Sie krabbelte schnaubend über ihn. Na toll, was fragte sie überhaupt?

„Kannst du dir nicht etwas Mühe geben?“

Sein Blick sprach Bände.

Na gut, dann nicht, er konnte ja nichts dafür. Sie beugte sich seufzend zu ihm, um ihn zu küssen.
 

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„Und dir geht es auch wirklich, wirklich gut und das sagst du jetzt auch nicht nur, damit ich mich nicht sorge? Denk dran, die Feuergötter erzählen mir, wenn du lügst...“

Pinita, die in ihrem Hotel in Fides wie so oft am Funkgerät hing, verdrehte entnervt die Augen.

„Du weißt doch instinktiv, wenn was mit mir nicht stimmt, oder? Dann musst du mich doch nicht jeden zweiten Tag anfunken, meine Güte, das ist doch peinlich!“

„Mir nicht, es beruhigt mich!“, quiekte das Mädchen am anderen Ende nur vergnügt mit seiner seltsamen Stimme und die Blonde schüttelte den Kopf.

„Mir aber, wenn ständig einer vom Personal vor meinem Zimmer steht und mich ans Funkgerät bittet, die duzen mich hier schon, weil ich mehr hinter der Rezeption sitze als manch Angestellter hier, meine Fresse...“

Dafi, viele hundert Kilometer entfernt, kicherte dämlich. Ja, was sollte sie auch darauf sagen? Sie konnte sich denken, dass es ihrer Cousine unangenehm war, wenn sie sich so oft meldete, aber sie hatte sie doch so lieb und vermisste sie so furchtbar und war ständig besorgt.

Sie wollte schon seit Ewigkeiten wieder einmal ins Dorf, aber sie traute sich kaum, weil sie immer befürchtete, Pinita könnte sich melden und sie wäre nicht da. Das war völlig paranoid, das wusste sie, aber... sie hatte sie doch so gern.

„Mal andersherum, wie geht es dir?“

Die Jüngere schaute das Funkgerät doof an. Am Ende vermisste ihre Cousine sie ja auch noch...

„Mir geht es... annehmbar. Ist jemand bei dir?“

Dann musste sie auch ehrlich antworten. Die Blonde sah sich unterdessen um.

„Hotelpersonal macht Mittag. Schieß los, was bedrückt dich?“

Dafi errötete, obwohl sie allein war und sich im Vertrauen mit ihrer einzigen lebenden Verwandten unterhielt. Sie war so eine Versagerin...

„Ich esse zu viel und ich glaube, mein Arsch ist fett geworden... nicht hauen!“

Pinita blinzelte doof. Wie bitte?

„Ich verhau dich jetzt durch das Funkgerät. Nein ernsthaft, vermisst du mich so doll?“

Schweigen.

„Keine Antwort ist auch eine Antwort.“, die 18-jährige zupfte an einer etwas längeren Haarsträhne, „Na gut, passt schon. Ich werde auch immer dicker, machen wir zusammen Diät?“

Das jüngere Mädchen kicherte. Ja, das musste sein, da hatte sie Recht.

„Gute Idee.“, stimmte sie so zu, „Pinitachen?“

„Ja?“

„Ich hab dich lieb.“
 

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„Nanu?“

Tainini blieb überrascht in der Küche stehen, als sie bemerkte, dass sie nicht allein war. Lilliann war da... und noch jemand, mit dem die leise bis dahin gesprochen hatte.

„Hallo, Kura ist hier.“, begrüßte die junge Frau die Schwester ihres verstorbenen Freundes in dem Moment und sie hob überrascht beide Brauen.

Dann lächelte sie.

„Hallo Kurachen. Was verschafft uns die Ehre?“

Das Mädchen schritt zielsicher zu einem Regal über der Küchenzeile, nahm sich einen Becher und füllte sich aus einem Krug Kaliri-Saft ein. Kura warf ihr einen verwunderten Blick zu, den seine Gastgeberin bemerkte und darauf ebenfalls lächeln musste.

„Wie stellen die Gegenstände immer an die selben Stellen, dann kommt Tai sehr gut allein zurecht.“, erklärte sie und wandte sich dann an die Jüngere, „Ich habe ihm angeboten, ihm Nachhilfeunterricht zu geben, damit er versetzt wird.“

Typisch Lilli.

„Du bist echt zu nett für diese Welt.“, kicherte die Blonde und der kleine Junge errötete, „Macht er denn wenigstens Fortschritte?“

Das Kind senkte beschämt den Blick und die werdende Mutter kratzte sich doof lachend am Kopf. Seit Jiros Tod lachte sie oft so, unbewusst ihren Verlobten nachahmend.

„Nun ja, in ein paar Wochen vielleicht... ich meine, es kann ja auch nicht jeder von großer Intelligenz sein, nicht? Er hat andere Talente!“

Sie tätschelte ihm tröstend sein Haupt und Tainini errötete, weil sie so unsensibel gefragt hatte. Himmel, es handelte sich hier um Imeras Cousin, was erwartete sie denn da groß?

„Aber schlauer als Imera ist er, schau wie schön er schreiben kann!“

Die 16-jährige wedelte mit einem Blatt in der Luft herum und Kura legte den Kopf schief.

Tai lachte.

„Ja, genau das hat Imera mir auch mal erzählt.“

Ohnehin, man erzählte ihr viel wenn der Tag lang war. Himmel...

Lilli ihrerseits lies das Papier beschämt sinken.

„Tut mir Leid, so langsam müsste ich mich aber wirklich mal dran gewöhnen.“, kommentierte sie ihr Versehen und errötete etwas, „Verzeihung.“

Sie wurde aber auch immer doofer. Das war ihr echt peinlich, wo sie sich schon so lange kannten... sie hatte damals sogar miterlebt, wie die Jüngere erblindet war, wie konnte sie das vergessen?

Vielleicht sollte sie sich einmal von Chatgaia, der alten Hexe, untersuchen lassen, das war doch nicht normal...

„Macht nichts.“, tat das Mädchen es jedoch bloß ab und trank sein Getränk aus, dann wandte es sich zum Gehen, „Kümmere dich lieber um deinen Schüler, als um mich.“
 

Das war allerdings eine gute Idee. Auch wenn man sie ganz übel ausgetrickst hatte, sie hatte nie vorgehabt, dem kleinen Stinker Nachhilfe zu geben. Irgendjemand, sie wusste nicht wer, hatte aber, obwohl man ihr es verschwieg, eine Ahnung, hatte es nämlich für nötig gehalten, zu ihrem Vater, dem Schulleiter, zu rennen und ihm zu erzählen, was für eine tolle, vorbildliche Tochter er hätte, dass sie sogar in ihrem momentanem Zustand so ehrenvoll handelte und schwächeren Schülern half. Das hatte den Vater so dermaßen gerührt, dass sie nicht anders gekonnt hatte, als sich einen Schüler zu suchen.

Ursprünglich war es ihr größtes Hobby gewesen, immer genau das zu tun, was ihre Eltern nicht wollten. In ihrer Jugend war es ihr völlig egal gewesen, ob sie es möglicherweise nur gut mit ihr gemeint hatten, sie hatte einfach nur provozieren wollen.

Inzwischen war sie keine Jugendliche mehr, auch wenn ihr Alter etwas anderes sagte. Sie wurde Mutter, sie schmiss einen Haushalt allein und hatte Bekanntschaft mit einem der schlimmsten Schmerzen der Welt machen dürfen, sie war längst zu einer erwachsenen Frau geworden. Und sie war stolz auf das, was sie war, obwohl sie sich vor wenigen Monaten noch ganz anders gesehen hatte. Sich alles ganz anders vorgestellt hatte. Eine Familie.

Aber es lief nicht immer so, wie man es sich erträumte.
 

„Hör mal Kura...“, machte die junge Frau nachdenklich, „Wenn du in ein paar Jahren ein Mädchen findest, dass du sehr liebst, dann musst du nicht nur auf sie aufpassen, sondern auch auf dich selbst ganz doll acht geben, ja? Und sag ihr dann, dass für sie das Selbe gilt, sie muss auch ganz viel auf sich aufpassen!“

Der Kleine errötete, nickte aber dennoch. Himmel, er war doch noch viel zu klein für Mädchen...

Und selbst, wenn er groß war, er traute sich doch gar nicht, eins anzusprechen.

Moment, hieß das, er musste für immer allein bleiben?

Er senkte deprimiert das blonde Köpfchen und begann zu schluchzen. Seine Lehrerin blinzelte erschrocken.

„Hab ich etwas falsches gesagt?“

Kura war ein schwieriges Kind, fand sie, und er erhob sich und kuschelte sich ohne zu antworten plötzlich an sie. Dabei legte er sein Haupt auf ihren gerundeten Bauch.

Lilli seufzte leise und strich ihm zärtlich durchs Haar.

„Ist schon gut. Ich bin für dich da und.. oh...“

Der kleine Junge schaute mit tränennassen Augen doof auf. Die junge Frau lachte.

„Mein Baby bewegt sich schon!“, erklärte sie ihm, „Das ist normal.“

Und faszinierend, dachte sich der Kleine dazu. Ein Kind, das noch nicht geboren war, konnte sich trotzdem schon bemerkbar machen, irgendwie war das rührend.

Er lächelte leicht und schmiegte sich, in der Hoffnung, das Ungeborene könnte sich noch einmal bewegen, wieder an den hübschen Bauch.
 

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Normalerweise wäre sich Mayora furchtbar vorgekommen, wenn er einfach so den ganzen Tag im Bett verbracht hätte, ohne einen Finger krumm zu machen, obwohl er das an sich ganz gern tat. Oder getan hätte, bisher war es nie passiert.

Bis zu diesem Tag, an dem er ganz egoistisch an der Seite der Frau, die er liebte, geblieben und einfach nur für sie da gewesen war, obwohl sie schon seit Stunden schlief.

Aber sie war sehr krank gewesen, er war einfach nur froh, sie nicht verloren zu haben und wollte sie nun am liebsten gar nicht mehr los lassen. Und er sah ihr so gern beim Schlafen zu, sie war so friedlich dann, seine temperamentvolle Prinzessin, die er so verehrte.

Konnte das denn wirklich sein? Er hatte es irgendwie geschafft, Choraly Magafi für sich zu gewinnen. Das Problem war nur, er wusste nicht wie.

Wie sollte er sie an sich binden, wenn er keine Ahnung hatte, was sie an ihm mochte?

Er seufzte leise und erschreckte sich, als seine Freundin plötzlich zuckte und begann, zu blinzeln. Hatte er sie etwa geweckt?

„Oh... Verzeihung!“

Sie schaute ihn aus ihren großen braunen Augen müde an und schien zunächst einen Moment lang überlegen zu müssen, was hier vor sich ging. Wenige Tage zuvor hätte sie schließlich einen Anfall erlitten, wenn sie in den Armen dieses Jungen aufgewacht wäre. Jetzt ging es in Ordnung, auch wenn es noch immer etwas komisch war.

„Bist du... die ganze Zeit bei mir geblieben?“, erkundigte sie sich leise und seufzte dann wohlig. Es war angenehm, sich in dem kühlen Raum an seinen warmen Körper zu kuscheln.

„Ja... selbstverständlich. Wie du es dir gewünscht hast. Ich erfülle dir jeden Wunsch, Liebste.“

Sie sahen sich einen Moment lang tief in die Augen. Mayoras waren ganz wunderschön rot, die junge Frau verstand überhaupt nicht, wie sie sich vor diesem schönen Anblick je hatte fürchten können. Die Gedanken daran ließen sie erröten und sie senkte den Blick etwas, verlegen lächelnd.

„Vielen Dank...“, war ihre genuschelte Antwort.

Seit sie zusammen waren, redete das Mädchen nicht mehr so viel mit ihm, er konnte sich nicht erklären weshalb. Und wenn, dann wurde sie ganz schnell verlegen. Der Grünhaarige verstand nicht, weshalb sie sich so verhielt, sie waren doch noch immer die selben Personen, oder nicht?

„Stimmt etwas nicht?“, fragte er sie so und strich ihr durchs Haar, „Überhaupt, wie geht es dir?“

Sie lächelte leicht, ohne ihn anzusehen.

„Mir geht es besser. Und... nein, alles in Ordnung. Ich muss mich erst an... die neue Situation gewöhnen, das ist alles.“

Sie schaute wieder auf und küsste ihn kurz, aber liebevoll auf die vom vorherigen Sprechen noch etwas geöffneten Lippen.

„Dann ist gut.“, war seine überraschend knappe Antwort, nach der er sie zurück küsste, dieses Mal länger und inniger.

Der Moment war schön und voller Liebe. Vielleicht wäre es eine gute Gelegenheit gewesen, mit dem Mädchen über so manch wichtiges Anliegen zu sprechen, kam dem jungen Mann, worauf er leise in den Kuss seufzte.

Seine Freundin löste sich kichernd von ihm.

„Stöhnst du?“

Er schnappte empört nach Luft.

„N-nein, so weit sind wir noch nicht ganz! A-aber..“

Nun war er es, der ihr fies grinsendes Antlitz mied. Gemein war sie noch immer, sie wusste genau, dass er nicht gestöhnt hatte, und das war für ihn als verliebten Kerl nicht gerade leicht, wo sie sich ohnehin anzüglich mit ihrem hübschen weiblichen Körper an ihn schmiegte. Wie fies und undankbar...

„Aber?“, machte sie amüsiert weiter und rieb sich etwas an ihm und er schnaubte verlegen.

„Sei lieb zu mir, zu Missgeburten muss man nett sein!“

Er glaubte das, was er sagte, zwar selbst nicht, aber vielleicht klappte das ja und sie brachte ihn nicht weiter in Verlegenheit. Er war eben naiv.

„Ich bin doch sehr, sehr lieb zu dir...“

Choraly begann vergnügt grinsend, seine Seiten zu streicheln und er hustete empört. Das ging aber wirklich nicht!

„Zu lieb!“, schnappte der Junge, „Ich meine, ich muss mit dir reden, genau!“

Sie hielt inne und legte brav lächelnd den Kopf etwas schief, zumindest soweit es ihr liegend möglich war. Ja, sie hatte ihn sehr lieb inzwischen und irgendwie war es ihr etwas peinlich...

Er seufzte abermals, aber sie verkniff es sich, ihn wieder damit aufzuziehen. So fies war

sie dann auch nicht.
 

„Also, es geht darum...“, begann er vorsichtig und kuschelte sich etwas dichter an sie heran, obwohl das kaum noch möglich war, „Kannst du dich erinnern, als ich letztens mal wieder Fieber hatte? Als du mich zum weiter kämpfen ermutigt hast?“

Sie nickte.

Natürlich, das war schrecklich gewesen. Sie hatte es ganz furchtbar gefunden, obwohl sie damals noch nicht in ihn verliebt gewesen war. Oder vielleicht doch schon und sie hatte es sich noch nicht eingestanden gehabt.

Wobei, verliebt... das klang so schrecklich nach... ja, wonach? Sie wusste es nicht, sie kam sich unartig vor. Sie hatte so lange die Rolle gespielt, die sie von zuhause aus hatte spielen müssen, und jetzt plötzlich entschied sie so dümmlich aus dem Bauch heraus. Ob das gesund war?

Ihr Freund riss sie aus ihren Gedanken.

„Nun ja, weißt du... ich wurde damals durch meinen... ähm, Kinderwunsch am Leben gehalten, erinnerst du dich?“

Die Jüngere blinzelte. Irgendwie wurde die Thematik gerade etwas gruselig, oder?

„Ja, natürlich, willst du mich jetzt schwängern oder was?“

Die Frage war nicht ernst gemeint und das wusste Mayora auch. Er schloss bedrückt die hübschen Augen.

Er selbst konnte gut noch eine Weile warten, bis sie Babies bekamen, das war sicherlich nicht das Problem, andererseits hätte er sich auch schon sehr gefreut, wenn sich sein Wunsch schon bald erfüllte, doch so eilig musste es nicht sein.

Er wollte bloß wegen Chatgaia sicher gehen. Auch wenn er sie mit ihrer heimlichen Wunsch-Anrede angesprochen hatte, eine Garantie für ihr Handeln gab ihm das leider nicht. Also musste er sich irgendetwas einfallen lassen.

Himmel, er kam sich schäbig vor...

„Na ja, eigentlich schon ganz gern...“, log er so und Choraly setzte sich verschreckt auf.

Ja, das war klar gewesen.

„Nicht erschrecken, ich meine, wir sollten vielleicht bloß...“

Er kratzte sich bei ihrem verschreckten Blick bloß ratlos am Kopf. Wie stellte sich das Dorfoberhaupt das denn bitte vor? Das war nicht so einfach, nicht jeder hatte einen solchen Kinderwunsch wie sie, seine Prinzessin vermutlich erst recht nicht.

Bestimmt verlangte sie das auch deshalb von ihnen. Frechheit.

Chatgaia war eben bekennende Sadistin...
 

„Missgeburt, ich kann das noch nicht...“, flüsterte die Brünette da zustimmend bedrückt mit gesenktem Haupt.

Ja, vielleicht kam es hier öfters vor, dass die Frauen schon sehr früh Kinder bekamen, aber in Wakawariwa, der großen Stadt, aus der sie kam, war so etwas verwerflich, auch wenn ein Mädchen aus gutem Stand wie sie sich so etwas locker jeder Zeit hätte leisten können.

Aber das war ja nicht nur eine Geldsache, sondern auch eine Sache des Geistes. Und sie fand sich noch nicht reif genug dafür.

Das hatte mit dem Alter nichts zu tun, das war einfach vor Person zu Person verschieden. Lilli zum Beispiel traute sie durchaus zu, eine sehr vorbildliche Mutter zu werden, obwohl die kaum älter war als Choraly. Das Stadtmädchen seinerseits beharrte darauf, Papas kleines Mädchen zu sein, da konnte sie Papa doch noch keinen Enkel schenken! Besonders nicht, wenn der gar keine Möglichkeit hatte davon zu erfahren...

Mayora seufzte leise.

„Ist okay, es war... nur so ein Gedanke.“

Ja, mehr war es nicht. Er konnte ihr bloß wegen der Launen seiner Tante doch nicht das ganze Leben versauen! Nein, das würde er schon noch klären... klären müssen.

Er erschreckte sich, als er seine Freundin leise schluchzen hörte.

„Bitte sei mir nicht böse, dass ich so unfähig bin!“, bat sie, „Hab noch etwas Geduld mit mir!“

Sie fand ihre Bitte töricht und ihr Gegenüber kam sich schäbig vor. Verdammt, er hätte es besser gar nicht erst angesprochen...

„Nein, ich könnte dir niemals lange böse sein, Prinzessin...“
 

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Das konnte er auch nicht. Das hätte er nie gekonnt. Und Choraly begann im Laufe der Zeit, sich an den Begriff „verliebt“ zu gewöhnen. Es war wahr, na und? Liebte sie eben eine Missgeburt. Sie war stolz darauf. Fertig, wusste zuhause ja niemand.

Zumindest in dem Zuhause, das sie mit jedem Tag mehr vergaß.

Dort, wo ihr Vater die Suche nach ihr irgendwann aufgab und begann, sich mit dem Gedanken, seine komplette Familie, bis auf seinen eigenen Vater, verloren zu haben, auseinanderzusetzen.

Der Krieg war in Vergessenheit geraten, als sich monatelang nichts getan hatte. Vorerst. Wobei mancher Nobokaer Politiker stolz behauptet hatte, die Ruhe läge daran, dass die anderen Kontinente Nobokas grandiose Übermacht erkannt hätten. Aber sie würden noch lernen.

Pinita verweilte nahezu nichts tuend ihre Zeit in Fides. Sie fühlte sich nicht wohl dort, doch es musste sein.

Dafi ihrerseits mochte ihre eigene Heimat die lange Zeit ohne ihre Cousine nicht. Sie vermisste sich halb tot.

Imera seinerseits interessierte das recht wenig, der hatte seine eigenen, ganz privaten Probleme.

Und so vom eigenen Leben eingenommen, verging die Zeit nahezu unbemerkt, In der Wüste, wie auch in den großen Städten der Welt.
 


 


 

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Ja, und im nächsten Kappi machen wir einen Zeitsprung =D

Nachwuchs

6 Monate später.
 

„Wo bleibt sie denn?“

Dafi rannte genervt in der Flughalle der Forschungsstation im Kreis herum. Ein halbes Jahr war vergangen, ein halbes Jahr hatte sie gewartet. Heute würde ihre Cousine wieder kommen. Endlich.

„Es kann sich nur noch um wenige Minuten handeln, die werden Sie ja jetzt wohl noch durchhalten, oder?“

Karna, ein einfacher Angestellter, sah seufzend zu dem Mädchen. Die war ja völlig wahnsinnig ohne die Frau Unteroffizierin, schlimm. Ohnehin, sie hatte sich völlig verändert ohne die Blonde, war die denn unfähig, allein zu leben? Sie war nicht mehr so fein wie zuvor, trug einfachere Klamotten und hatte ihre wieder etwas länger gewordenen Haare simpel zusammen gebunden, dabei war sie kaum geschminkt. Hässlich war sie auch so nicht...

„Trotzdem, ich habe keine Geduld mehr! Ich...!“

Ihre aufgeregte Stimme versagte. Der junge Mann hob eine Braue.

„Wird Ihr Hals denn irgendwann wieder?“

Die Frage war halbherzig gewesen und so hielt die junge Frau es auch nicht für nötig, darauf zu antworten. Ihr Hals ging den einen Dreck an, echt mal.

„Aber Ihre Frau Cousine ist im Anflug.“, sprach der Ältere weiter und sie zuckte zusammen, als sie die kleine Flugmaschine auf der nicht all zu weit entfernten Landebahn landen sah.

Sie war da.

Sie war da!

„Entschuldige mich!“, krächzte Dafi eilig und rannte los, um die Blonde gebührend zu empfangen.
 

Sie kam genau rechtzeitig, als sich die Türe öffnete und Pinita Ferras mit einem kleinen Korb in der Hand über die Verbindungstreppe zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Wüstenboden betrat.

Und sie sah so hübsch aus, war Dafis erster Gedanke.

Sie hatte etwas abgenommen, auch wenn sie die Figur ihrer besten Zeit nicht wieder erreicht hatte und ihre Haare waren ein wenig gewachsen, etwa schulterlang. Und sie strahlte so hell wie die Sonne.

Und mit ihrem ersten, rührenden, weltbewegendem Satz sprach sie Karna, der der kleinen Himmelsblüterin nachgerannt war, an.

„Hol mal mein Gepäck, du nutzloser Arsch!“

Ja, sie war wieder da. Und ihre zierliche Cousine war bei ihrem Anblick versteinert. So lange hatte sie ihr gefehlt, so lange hatte sie sie nicht ansehen können und jetzt war sie einfach ganz plötzlich wieder bei ihr. Das war... seltsam...

Pinita wandte sich ihr grinsend zu.

„Ich weiß, ich sehe gut aus.“, begrüßte sie sie breit grinsend und stellte sich direkt vor sie, „Ich fühle mich auch gut. Und du siehst seltsam aus und hast mich vermisst, nicht?“

Die Kleinere brachte nur ein Nicken fertig.

Natürlich.

Den Korb vorsichtig abgestellt schloss die Ältere sie in ihre Arme.

Sie hatte sie auch vermisst, sehr sogar. Manchmal war sie sehr einsam gewesen. Und ängstlich...
 

Dafi begann zu schluchzen, als sich in der Umarmung endlich ihre Starre löste.

„Oh Himmel, du bist wieder da!“, jammerte sie mit schwacher Stimme, „Tu mir das nie wieder an. Ich bin fast gestorben!“

„Ich auch.“, gab die Blonde ungewohnt leise zu, „Ich hab dich sehr vermisst.“

Sie schob die Jüngere ein Stück von sich weg und grinste dann seltsam.

„Schau in den Korb, da ist meine Überraschung drin.“

Während die Magierin dem Geflecht zum ersten Mal Aufmerksamkeit schenkte, trug Karna etwa eine Million Koffer und Taschen aus der Flugmaschine in die Station, in denen etwa genau so viele Souvenirs und Andenken waren, da konnte sich die Jüngere später auch noch freuen. Aber erst einmal die Hauptüberraschung, wegen der sie überhaupt so lange in Fides geblieben war.
 

In dem Körbchen waren Decken. Und irgendwo am Ende ragte ein kleines... Etwas heraus.

Das Mädchen hob den weichen Stoff neugierig hoch und blinzelte das Ding darunter einen Moment lang an, ehe sie sich ganz sicher war, richtig zu sehen. Dann schaute es erbleicht zu seiner Cousine auf, die stolz vor sich hin lächelte.

„Das ist ja...“, krächzte sie und Pinita errötete etwas und nickte.

„Sie heißt Kirima.“
 

In dem Korb lag ein scheinbar ziemlich müdes, aber bildhübsches kleines Baby. Es wackelte leicht mit dem rechten Füßchen und auf seinem kleinen Köpfchen fand man einen zarten Flaum von hellblondem Haar. Und obwohl es noch so winzig klein war, dachte Dafi, einen Hauch von Ähnlichkeit mit ihrer Cousine in dem runden Gesichtchen zu finden.

„Es ist... deins?!“, fragte sie ungläubig und die Ältere nickte leicht.

„Ja, sie ist mir. Ich hielt es für besser, sie nicht hier in der Wüste zu bekommen, die Stadt erschien mir für ihre Geburt einfach ein... geeigneterer Ort.“

Sie war verlegen, das merkte die kleine Himmelsblüterin sofort.

Himmel, ja, natürlich, wäre sie an ihrer Stelle auch!

„Warum hast du mir denn nicht gesagt, dass du schwanger bist?!“

Dass sie den Säugling zärtlich auf den Arm nahm, machte ihre eigentlich etwas erboste Frage nicht gerade glaubhafter. Aber verdammt, bei kleinen Kindern wurde sie schwach!

Und das war Pinitas Kind, folglich liebte sie es vom ersten Augenblick an, ob sie wollte, oder nicht.

Die Blonde räusperte sich darauf.

„Nun ja... ich meine, was hättest du von mir erwartet? Vermutlich, dass ich es weg mache, oder? Oder dass ich eine schlechte Mutter werde, nicht?“, sie seufzte, „Ich weiß, dass du mich lieb hast, aber ich weiß auch, was du von mir denkst... was alle von mir denken. Und das war mir recht! Ich weiß nicht, ich fand es weniger hart mit meiner kleinen Überraschung hier anzukommen, als zu gestehen, dass ich seit über einem Jahr einem Mann treu bin und die ganze Zeit mit anderen bloß Schein-Beziehungen geführt habe, damit man nicht auf die Idee kommt, ich sei plötzlich zähmbar geworden! Dass... nein, so ist es besser.“

Sie schüttelte sich und Dafi blinzelte sie noch immer etwas überrumpelt lächelnd an.

„Wer ist denn ihr Papa?“
 

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Ja, Kirima hatte einen Papa, dieses Privileg konnte nicht jedes Baby genießen. Zu diesen armen kleinen Wesen gehörte auch Genda, Lillianns inzwischen zwei Monate alter Sohn. Noch war ihm das aber recht egal.

„Wo ist der süße kleine Junge? Wo? Daaa!“

Choraly kitzelte das Kind am Bauch, worauf es zu glucksen und strampeln begann. Seit der Kleine da war, hing das Stadtmädchen, das eigentlich schon längst keines mehr war, andauernd bei Jiros Familie herum. Sie konnte nicht anders, dieses zuckersüße Geschöpf wirkte auf sie wie Licht für eine Motte, sie musste es einfach andauernd sehen und lieb haben.

Seine Mutter schien damit auch nicht wirklich Probleme zu haben.

'So lange dein Freund da bleibt, wo er ist, kannst du so viel hier sein, wie du magst.', hatte sie dazu gemeint, 'Ich bin froh, mich nicht ganz allein um Gendachen kümmern zu müssen.'

Und sie versuchte so viel zu helfen, wie sie nur konnte, auch wenn sie nicht wirklich ein Naturtalent darin war. Aber ihres Gastgeberin wusste ihre Hilfe und auch ihre Gesellschaft durchaus zu schätzen. Im Moment hatte sie nämlich auch das ganz große Bedürfnis, ganz viel über Tainini, das blinde Mädchen, das irgendwann mal fast ihre Schwägerin geworden wäre, zu lästern. Und die Brünette konnte sie durchaus verstehen.

Und so kam es auch an diesem schönen Mittag, an dem Pinita unbemerkt heimgekehrt war.
 

„Privatsphäre hin oder her, ich habe doch ein Recht darauf, es zu erfahren, nicht?!“

Die beiden jungen Frauen hockten zusammen mit dem Baby in der Stube auf einer Decke und unterhielten sich, wobei Choraly immer wieder zwischendurch den Kleinen Jungen lieb haben musste. Ging nicht anders, der guckte schon so auffordernd.

Im Moment lauschte sie jedoch dem Redeschwall ihrer Freundin.

„Sicherlich.“, war ihre knappe Zustimmung deshalb.

Ihr Gegenüber schnaubte aufgebracht.

„Ich meine, zu Beginn war ich völlig besorgt, ich meine, es hätte ja auch sein können, dass ihr ein Unheil geschehen ist und sie nicht mit mir darüber reden möchte, aber mittlerweile bin ich mir doch sicher, dass es nicht so ist, sie ist schließlich viel zu gut gelaunt!“

Das war wahr. Ohnehin, Lilli hatte in der Sache so wie so in allen Punkten Recht, so ging das doch wirklich nicht, fand sie.

Die Ältere strich sich entnervt eine Strähne aus dem Gesicht.

„Mal unter uns, ich gönne es ihr ja, ich gönne es ihr mehr als allen anderen Menschen dieser Welt, denn es macht sie so unsagbar glücklich und dann muss ich mir immer, wenn ich nach ihrem Freund frage anhören, es wäre nicht so und ich würde sie nicht verstehen und bla...“

Genda unterbrach seine Mutter, indem er beleidigt quiekte.

„Aww, bekommst du nicht genügend Aufmerksamkeit?“

Choraly kitzelte seinen Bauch, worauf er wieder mit Ärmchen und Beinchen wackelte und seine Mama weiter sprechen ließ.

„Weißt du, wenn ich es ihr nicht gönnen würde, dann hätte ich es ihr doch gar nicht erlaubt. Nach dem Tod ihrer Mutter habe ich jetzt die Verantwortung für sie, meine Güte, sie ist erst 14 und blind und dass Naga sie jetzt nicht mehr will ist ja wohl klar, Himmel. Hand aufs Herz, sie wird ihr Baby lieben, aber ich bin doch die, die mich um es kümmern muss, nicht? Da könnte die Kuh mir doch wenigstens sagen, wer sie geschwängert hat, meine Fresse, dann kann der Arsch sich auch um sein Kind sorgen!“

Die Braunhaarige senkte frustriert den Kopf.

Ja, irgendwann hatte Tainini begonnen, sich zu verändern und schließlich war Lilli dann aufgefallen, dass ihr Bauch begann, sich zu runden. Aus welchen Gründen auch immer weigerte sich die Kleine jedoch strickt zu verraten, wer der Vater ihres Babies war und die Mutter ihres Neffen war völlig ratlos, denn das blinde Mädchen hatte kaum allein das Haus verlassen und es war ihr nie ein männlicher Besucher aufgefallen. Aber irgendwo her musste das Kleine in ihr ja kommen, so war es ja nicht.
 

Die Schwangerschaft hatte so einige Nachteile mit sich gebracht, so hatte sich Naga einfach dezent geweigert, dem Versprechen, das er seinem besten Freund vor einiger Zeit gegeben hatte, nachzukommen.

'Mal ehrlich, wir wissen doch Beide, was geschehen wäre, wenn ich sie zu mir genommen hätte, oder?', hatte er bei Lilliann verlegen gemeint, 'Und es ist einfach unter meiner Würde, eine Frau zu nehmen, die bereits ein Kind hat. Erst recht nicht, wenn ich noch nicht einmal weiß, von welchem Bastard sie sich hat schänden lassen.'

Das waren harte Worte gewesen, mehr für die junge Mutter als für Tai. So konnte sie nicht zu ihren Eltern zurückkehren, sie konnte das jüngere Mädchen schließlich nicht einfach fallen lassen.

Von Naga hatte sie sich seit dem abgewendet, sie waren immer gute Freunde gewesen, aber dass er so altmodisch eingestellt war und deshalb die Solidarität zu Jiro vernachlässigte, verletzte die junge Frau sehr. Und das hatte wiederum ihn beleidigt, so dass er sich auch nicht mehr weiter um sie scherte. Ihre Freundschaft war daran zerbrochen. Choraly und Dafi kümmerten sich seit dem umso mehr um die beiden Mädchen, sie waren schließlich wirklich zu bemitleiden, das Leben hatte ihnen in höchsten Maße übel mitgespielt.

„Mal nebenbei.“, riss Lilli die Jüngere wieder aus ihren Gedanken, „Bist du nicht die allerbeste Freundin auf der ganzen weiten Welt von Dafilein?“

Die Angesprochene nickte. Worauf wollte sie hinaus?

„Irgendwie schon, ja. Warum?“

„Die tuschelt oft mit Tai, die weiß sicher was, was wir nicht wissen. Die Beiden kennen sich schon lange, sie haben schon miteinander gespielt, da konnten sie sich noch ansehen, weil Tainini mir nicht traut wäre es doch wahrscheinlich, dass sie es ihr erzählt hat, oder?“

Klang logisch.

„Und ich soll Dafi jetzt aushorchen oder was?“

Die Ältere nickte betrübt lächelnd.

„Ja, das wäre nett. Meine Güte, Jiro hatte Recht, ich bin definitiv zu neugierig!“

Irgendwie schon. Dennoch, Choraly interessierte es ja auch. Sie würde sich bei der Himmelsblüterin erkundigen.
 

--
 

Dafi hatte im Moment ganz andere Gedanken. Sie saß in einem kleinen Sessel in Pinitas Zimmer, das sie im Übrigen wenige Tage zuvor wunderschön hergerichtet hatte und starrte etwas geistesabwesend auf die Szene vor sich am Bett der Blonden.

Die Ältere hatte sie wenig zuvor geschickt, um den Vater ihrer Tochter in die Station zu beten, während sie sich wieder etwas einrichten konnte. Ihre Räumlichkeiten mussten schließlich provisorisch auf ein Kind ausgerichtet werden.

Und, sie hatte es kaum glauben können, der Gute hatte überhaupt nichts von seinem Glück gewusst und es gerade erst vor wenigen Sekunden erfahren.

Jetzt saß er da auf dem Bett und hielt zum ersten Mal sein Baby auf dem Arm, Pinita stand bleich und mit gesenktem Haupt daneben.

„Sprich doch.“, bat sie irgendwann, als sie fand, dass ihr heimlicher Freund lange genug apathisch gestarrt hatte und die kleine Himmelsblüterin begann nervös an ihrem Oberteil herum zu fummeln. Eigentlich wollte sie in diesem Moment gar nicht hier sein und eigentlich gehörte sie in diesem Moment auch sicher nicht hier her, so gern sie die 18-jährige auch hatte, das war nicht ihre Sache, aber man hatte sie ausdrücklich darum gebeten.

Die Ältere hatte Angst. Verständlich, wenn auch für eine Person wie sie sehr untypisch. Genau so sehr wie die ganze Sache an sich, sie war Mutter, Himmel...
 

Der junge Mann sah langsam zu ihr auf.

„Was soll ich sagen?“, machte er, „Ich bin... verwirrt und ehrlich gesagt... etwas enttäuscht von dir, ich meine... warum hast du mir nichts davon gesagt?“

Irgendwie erschien das Paar gerade bemitleidenswert. Die junge Frau ließ sich ebenfalls auf das Bett sinken und hielt verlegen das Gesicht gesenkt.

„Weißt du... ich habe gefürchtet, du würdest mich dann nicht mehr wollen. Ich dachte, wenn ich das Baby erst einmal habe, wirst du mich nicht so leicht fallen lassen können, weil... verdammt, sieh dir dieses bildhübsche Kind an!“

Weniger wegen ihrer Aufforderung als von selbst tat er, wie ihm geheißen und strich dem kleinen Mädchen sanft über sein Köpfchen. Es hielt die Augen geschlossen und schlummerte friedlich vor sich hin.

„Ich hätte dich niemals im Stich gelassen. Niemals im Leben. Wie wunderschön das Kleine wird, stand ja ohnehin außer Frage bei der Mutter.“

Die Blonde sah überrascht auf und er lächelte sie sanft an.

„Hey.“, grinste er da sogar, „Ich bin älter und reifer als du, Püppchen, eigentlich solltest du wissen, dass ich zu dir halte, nicht?“

Sie schnappte nach Luft und Dafi in ihrem Sessel erstrahlte. Das hatte sie sich jetzt so gewünscht!

„Ich war mir nicht sicher!“, schluchzte die junge Mutter verwirrt, „Du hast mir nie gesagt, dass... dass... dass du mich liebst, nie!“

Er errötete ebenfalls.

„Ich liebe dich.“
 

„Wie süß!“, die Cousine schlug sich die Hände vor den Mund, „Ich habe nichts gesagt, verzeiht!“

„Ja, klar....“

Vom frisch gebackenen Vater bekam sie kaum Aufmerksamkeit, aber das ging in Ordnung, denn stattdessen beugte er sich zu seiner Freundin und küsste sie zärtlich und tröstend auf den Mund, denn sie weinte.

„Bist du mir sehr böse?“, fragte diese darauf und er schüttelte leicht den Kopf.

„Ich bin zugegebener Maßen etwas... überrumpelt und wie gesagt, ich kann auch nicht ganz nachvollziehen, weshalb du mir oder jemand anderem nicht davon erzählt hast, das muss schließlich eine ziemliche Belastung für dich gewesen sein, aber... ich freue mich. Ich freue mich sehr über unser hübsches, süßes Mädchen!“

Seine blauen Augen begannen zu strahlen.

„Du glaubst ja gar nicht, was ich ihr schöne Sachen nähen werde, sie wird herum rennen wie eine kleine Prinzessin!“

Als er die Kleine vorsichtig an sich drückte, lächelte Pinita gerührt. Das hatte sie ihm nicht zugetraut, wirklich nicht. Aber sie war den Göttern sehr dankbar, an so einen guten Mann geraten zu sein. Und sie war glücklich.

„Ich liebe dich auch, Tafaye.“
 

--
 

„Du weißt, ich warte nicht mehr ewig.“

Mayora sah überrascht von seiner Arbeit auf. Er reparierte zum wiederholten Male die Dusche im Badezimmer und war gerade von Kopf bis Fuß nass, was ihm allerdings herzlich wenig ausmachte. Vorsorglich hatte er sich auch schon bis auf die Unterhose entkleidet. Wie schlau er doch war.

In der Tür stand nun im Übrigen seine Tante, die vermutlich aus Solidarität zu ihm bloß ein Hauch von nichts trug.

Nun gut, zugegebener Maßen war es äußerst unwahrscheinlich, dass sie wegen ihm in einem Mini-Kleid herum rannte, aber der Gedanke war doch einmal nett und lies den Jungen lächeln.

„Worauf warten, Tantchen?“

Sie verschränkte die Arme vor der recht dürftig bedeckten Brust und funkelte ihn aus ihren bösartigen orangenen Augen an. Er legte perplex den Kopf schief.

„Du bist inzwischen bereits 18 Jahre alt, Neffe, erinnerst du dich? Du bist ein Mann und deine Freundin ist eine Frau... kommt dir dabei was?“

Er schnappte nach Luft, doch ehe er sich empören konnte, senkte sie ihr Haupt ein wenig und sprach weiter.

„Ich... habe nachgedacht, ich will nicht zu viel von euch beiden verlangen, so weit seid ihr einfach nicht... jedoch, denkst du nicht, zumindest eine Verlobung wäre drin?“

Verlobung?

Der Junge errötete über und über. Heiraten sollte er, was dachte sie sich? Er war doch noch ein Kind oder fühlte sich zumindest so. Konnte sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen?

„Tante, ich will das nicht!“
 

Auf seine Antwort hin schloss Chatgaia einen Moment lang die Augen.

Ich will nicht, Tante, ich mag das jetzt nicht, hat das nicht Zeit bis später? Ich mache das nicht, ich kann das nicht, ich finde das nicht gut... wer war das und wo war Mayora Timaro, das kleine, treu-doofe Kind, das vor Jahren zu ihr gekommen war?

Einmal ließ sie sich das noch gefallen, zwei Mal auch, drei Mal vielleicht aber in letzter Zeit nahm es Überhand!

Sie atmete tief ein. Ruhig bleiben.

„Entweder, du tust einmal in deinem verfluchten Leben etwas sinnvolles, oder du kannst deine Sachen packen und ausziehen. Und Choraly wird hier bleiben, die werde ich mir dann schon so erziehen, wie ich sie brauche.“

Dieser Trottel brachte sie tatsächlich zum Zittern, das durfte doch nicht wahr sein.

Er seinerseits ließ sein Werkzeug fallen und erbleichte.

„Du möchtest mich... raus werfen?“

„Allerdings.“, sie öffnete ihre Augen wieder und verengte zu schmalen Schlitzen, „Ist ja nicht so, dass du noch nicht allein für dich sorgen könntest.“

Auch wenn das stimmte, er wollte nicht allein leben! Nicht ohne seine Tante und schon gar nicht ohne seine Prinzessin, das war doch nicht gerecht!

„Tante, aber... das geht doch nicht!“, er fuhr sich nervös durch das nasse Haar, „Ich meine, was... warum denn? Ich liebe euch!“

„Und wenn schon!“, die hübsche Frau stemmte die Hände in die Hüften und warf ihr Haar zurück, „Ich kann dich zu fast nichts mehr gebrauchen! Du hörst nicht auf mich, dann brauche ich dich auch nicht!“
 

... dann brauche ich dich auch nicht.
 

Er drängte sich mit gesenktem Haupt an ihr vorbei und in sein Zimmer, die Dusche und das Werkzeug sich selbst überlassend.

„Was soll das?!“

Während er sich mit einem einfachen Zauber abtrocknete, setzte ihm das Dorfoberhaupt nach und fand sich einen Augenblick später stirnrunzelnd in der Tür zum Raum des Jungen wieder. Er zog sich in Ermangelung seiner Kleider aus dem Badezimmer frische an und würdigte sie mit einem Mal keines Blickes mehr.

„Ich rede mit dir!“

Er ignorierte sie weiter und begann, nun angezogen, weiter Klamotten aus seinem Schrank zu räumen. Ehe die Frau wieder fragen konnte, gab er die aufklärende Antwort.

„Ich packe, damit du mich los wirst.“

Sie hob beide Brauen.

„Ach, daher weht der Wind, sprich doch. Dass du nicht vorhast, meiner Aufforderung nachzukommen, wundert mich nicht wirklich, dass du freiwillig gehst, jedoch schon.“, gab sie mit eingebildeter Miene zu und er wandte sich ihr zu und grinste abwertend.

„Ich brauche dich auch nicht, Chatgaia. Du hast Recht, ich bin längst ein Mann, ich sehe es nicht länger ein, mich von dir benutzen zu lassen wie ein Werkzeug. Ersetze mich doch durch Imera, den scheinst du in letzter Zeit ohnehin lieber zu haben als mich, nicht?“

Monatelang war dieser Depp dauernd im Haus gewesen und hatte genervt, es war zum Haare ausreißen.

Die Grünhaarige lachte schallend auf.

„Meine Güte!“, tat sie gespielt amüsiert, „Das ist nicht dein Ernst, oder? Ich bin deine Tante, ich habe dich freiwillig bei mir aufgenommen und aufgezogen, da werde ich doch etwas erwarten können, oder? Davon abgesehen ist Imera dein Bruder, er hat mir in der letzten Zeit bewiesen, dass ein kein Nichtsnutz ist und ich gebe zu, ich habe ihn tatsächlich etwas lieb gewonnen, welche Schande!“

Er zischte.

„Ja, klar. Und erwarten, natürlich. Wäre es nur eine kleine Gegenleistung, würdest du mich nicht sofort heraus werfen, wenn ich mal nicht nach deiner Pfeife tanze, oder? Dann... hättest du mich lieb und würdest das auch zeigen.“

All die Jahre lang war er so blind gewesen, er hätte auf seinen dümmlichen Zwilling hören sollen. Oder auf Choraly.

Oh Himmel.

Die konnte er doch nicht hier lassen! Das würde sie nicht aushalten, außerdem würde er vor Sehnsucht sterben. Jetzt waren sie schon ein halbes Jahr fast unzertrennlich, er wollte nicht, dass sich das ändert. Er liebte sie.

„Im Gegenteil, ich glaube, ich hatte dich sogar zu viel lieb, du bist ja verweichlicht wie ein Baby.“, riss seine Tante ihn da aus seinen Gedanken und er erschauderte bei ihrem spöttischen Ton, „Mal ernsthaft. Ich war dir eine gute Ersatz-Mutter, das wissen wir doch beide.“

Ja. Ob man es glaubte oder nicht, diese Frau konnte durchaus liebevoll sein. Aber wie lange war es her, dass sie zum letzten Mal miteinander gekuschelt hatten?

Natürlich war er jetzt viel zu alt für sowas, dafür gab es jetzt seine Prinzessin, aber mit der Zeit war ihre zärtliche Seite zumindest für ihn verschwunden und er vermisste sie.

Einmal ganz davon ab, sie verstand etwas falsch.

„Ich hatte bloß eine Mutter und die ist längst tot. Du bist meine Tante, nicht mehr.“

Er erwiderte ihren Blick ernst und sie zuckte mit den Brauen. Dann veränderte sich ihr Blick mit einem Mal.

„Du wolltest nie mein Sohn sein.“, stellte sie richtig fest und wandte sich zum Gehen, „Übel nehmen kann ich es dir nicht. Nur so viel, mit der Hoffnung ersterben auch die Bemühungen, Neffe.“

Dann ging sie und überließ es ihm selbst, ob er tatsächlich ausziehen wollte oder nicht.
 

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„Ja, ich weiß, wir hatten nie viel miteinander zu tun, aber hey, ich bin wieder da und wollte bloß hallo sagen! Und euch meine bezaubernde Tochter Kirima vorstellen.“

Nach der liebevollen Bestätigung ihres Freundes war Pinita wieder bester Laune und voller Elan und so hatte sie beschlossen, ihr Baby in seinen Korb zu packen und mit ihm ins Dorf zu rennen, um es allen möglichen Leuten, die es eh nicht interessierte, zu zeigen. Auf Dafis Drängen hin führte ihr Weg sie auch zu Lilli und damit auch zu Choraly und Tai.

Letztere berührte das Neugeborene vorsichtig, um sich ein Bild von ihm machen zu können.

„Es ist sehr hübsch!“, stellte sie fest und strahlte. Dabei streichelte sie gut gelaunt auch über ihren eigenen runden Bauch.

„All zu lange dauert das aber auch nicht mehr...“, fiel der Blonden darauf auf und das ansonsten zierliche Mädchen nickte gut gelaunt, „Und wer ist der glückliche Papa?“

Lilli antwortete für sie.

„Das ist das ganz große Geheimnis. Sie sagt es nicht.“

„Ist doch völlig egal!“, spielte die Schwangere die Worte der Älteren herunter, „Er wird jedenfalls der aller netteste, liebste Papi der Welt werden!“

Sie war bester Laune. Dafi zog die Stirn in Falten.

„Na ja, ob das so stimmt...“

„Hoffen wir es, sonst bekommt er was in die Fresse, sobald mir auffällt, wem das Kind ähnelt...“, stimmte auch Lilliann mit ein und Choraly begann mit Kirima zu kuscheln.

„Wie dem auch sei, ich wäre mal dafür, dass die werte Prinzessin selbst mal was Kleines bekommt, sie ist ja völlig Baby-fanatisch.“
 

Auf Pinitas Feststellung hin legten sich die Blicke auf das Stadtmädchen und das sah auf und errötete etwas.

„Bloß nicht!“, machte es, „Ich bin viel zu doof dazu! Das kann ich nicht...“

Die Gastgeberin widersprach ihr.

„Mit Genda kommst du doch prima zurecht, also warum denn nicht?“

Sie antwortete nicht und senkte den Blick.

Das war etwas völlig anderes. Genda konnte sie besuchen und wenn er sie nervte, was bisher allerdings noch nie geschehen war, konnte sie wieder gehen. Natürlich konnte sie sich um ihn kümmern, aber sie hatte keine wichtigen Entscheidungen zu treffen, bei denen sie falsch liegen konnte und somit auch keine große Verantwortung.

Davon abgesehen fand sie es auch seltsam, mit Mayora ein Baby zu bekommen. Er war doch die Missgeburt...

„Und wer ist Kirimachens Papi, wenn ich fragen darf, obwohl ich auch dir meine Antwort verwehre?“, fragte Tai da und die Blonde errötete etwas.

„Nun ja... es ist... ach, Dafi, sag du doch mal etwas!“

Die Cousine lachte.

„Tafaye Alhatfa, unser allseits beliebter Schneider und ihr heimlicher Freund.“

Allgemeine Überraschung. Die frisch gebackene Mutter nickte zustimmend.

„Im Ernst?“, gackerte Lilli darauf, „Da wäre ich jetzt nicht drauf gekommen, cool.“
 

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Tafaye fand das auch cool. Leider hatte er nicht länger bei seiner Familie bleiben können, die Arbeit wartete schließlich nicht, aber so hatte er auch die Gelegenheit, jedem, der vorbei kam, von seiner Tochter zu erzählen. Gerade war Imera an der Reihe.

„D-du bist Vater geworden?!“, machte der perplex, „Von Pinitas Kind?! Was hab ich denn da verpasst, Himmel?!“

Der Blonde grinste breit.

„Nichts. Es soll ja auch Leute geben, die es wirklich schaffen, ihre Beziehungen geheim zu halten, auch wenn es anders als bei anderen nicht nötig wäre.“

Der Kunde war doch schlauer als vermutet.

„Danke für den Seitenhieb.“, schnappte er, „Und jetzt habt ihr ein kleines Töchterchen oder wie?“

Wobei er doch etwas schwer von Begriff war, aber der Schneider kannte ihn ja seit Kindheitstagen. Nun gut, nochmal.

„Ja, genau so ist es, du hast es volle Kanne erfasst, meinen Glückwunsch. Und bitte, Seitenhiebe gebe ich gern.“

Und oft, überlegte sich der Brünette, behielt es jedoch für sich. Der wusste irgendwie mehr, als er sollte, so kam es ihm vor.

„Und wie macht ihr das jetzt?“, erkundigte er sich einfach weiter und sein Gegenüber lächelte wieder gutmütiger.

„Pinita ist eine Karriere-Frau.“, erklärte er, „Sie arbeitet seit sie 14 ist an einem geheimen Projekt, an dem zuvor ihr Vater und davor ihr Großvater gearbeitet haben, sie will es unbedingt zu Ende bringen. So lange wird sie mit meinem kleinen Mädchen noch in der Station bleiben, so sehr ich sie auch vermisse. Aber ich will mir ja nicht nachsagen lassen, ich würde jemandem seine Freiheit stehlen...“

Er spielte gedankenverloren an einem Stück Kaliri-Stoff vor sich auf der Theke herum. Oh ja, er vermisste sie unheimlich. Sie hatte ihn sehr glücklich gemacht.

„Und dann?“, erkundigte sich der Jüngere weiter.

Das konnte er natürlich nicht wissen.

„Na ja, wir haben noch nicht so genau darüber gesprochen, aber wenn sie das geschafft hat, habe ich vor, um ihre Hand anzuhalten und sie zu mir zu nehmen, damit wir zu einer richtigen Familie mit eventuell noch mehr Kinder werden. Mal sehen, was sie dazu meint, aber so habe ich mir das vorgestellt. Cool, oder?“

„Beneidenswert. Nun ja...“

Imera griff nach dem Stapel Kleider, der vor ihm auf der Theke lag und den Tafaye für ihn angefertigt hatte und wandte sich zum Gehen.

„So leicht hat es nicht jeder, wie du weißt. Ich meinerseits werde mir was anderes überlegen müssen...“

So sah es aus. Frau und Baby, so ein Angeber aber auch.
 

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Choraly guckte recht blöd, als sie am Abend in Mayoras Zimmer kam, um wie so oft bei ihm zu schlafen und ihm die Neuigkeiten zu erzählen. Der Junge saß auf gepackten Koffern und starrte verbiestert aus dem Fenster.

„Was... hab ich denn jetzt schon wieder verpasst...?“

Er schnaubte. Ja, was eigentlich? Er hatte seine verdammte Tante durchschaut. Mehr oder weniger.

Wofür sie eigentlich nichts konnte, seine geliebte Prinzessin.

So erhob er sich seufzend.

„Ich... werde wohl ausziehen müssen. Meine Tante und ich... wir... verstehen uns nicht mehr, weißt du? Aber du solltest vorerst hier bleiben.“

Er verschwieg, weshalb es so weit gekommen war, sie war auch so schon geschockt genug.
 

„Was, ausziehen?! Und mich allein hier lassen? Hackt es?!“

Wie zu erwarten verstand sie ihn so nicht und warf sich geschockt in seine Arme. Er konnte sie doch nicht zurücklassen!

„Ich werde selbstverständlich mit dir kommen, Liebster!“

Was diese alte Hexe wohl gemacht hatte, dass ihr Neffe von ihr weg wollte? Unglaublich!

„Ich liebe dich, lass mich nicht allein.“

Er erwiderte ihre Umarmung sanft. Es tat ihm ja so furchtbar Leid...

„Glaub mir, ich tu es nicht gern, aber es ist so, dass...“
 

„Ihr bleibt hier, alle beide, niemand zieht aus.“

Das Paar sah auf und zur Tür, wo das Dorfoberhaupt stand und die Arme abermals vor der Brust verschränkte. Die Frau sah irgendwie gerändert aus...

„Bitte?!“, machte ihr Neffe perplex und sie drehte sich um und wandte sich wieder zum Gehen.

„Du wirst hier bleiben. Tut mir Leid, ich... hab dich gern.“
 


 

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Juhuu, Babies! >////<

Aufmerksamkeit

Dafi hatte sich fast gedacht, dass sie Babysitterin spielen würde dürfen. Sie kannte ihre blonde Cousine nun einmal sehr gut. Und sie verstand sie auch, besonders jetzt erschien es ihr logisch, dass sie ihr Projekt so schnell wie möglich fertig stellen wollte, wo doch ein wundervolles Familienleben auf sie wartete. Eines, das die kleine Himmelsblüterin niemals haben können würde, ebenfalls dank ihrer Cousine. Aber sie hatte sich bereits damit abgefunden, es ging in Ordnung, wie so vieles in ihrem erbärmlichen Leben.

„Du sollst es besser haben, Kirimachen.“

Das kleine Mädchen lag wach, aber völlig ruhig und friedlich in ihren Armen und schaute sie aus großen, blauen Augen an. Wäre interessant gewesen, zu erfahren, was das Baby in so einem Moment dachte. Es vermisste sicher seine Mama... oder war es dafür noch zu klein?

„Du bist ein kleines Rätsel, du süße Maus...“
 

Es klopfte an der Tür und das Baby quiekte, wie es es nur bei seiner Mama tat.

„Pinita?“

Oder auch nicht. Aber auch nicht schlecht. Die junge Frau lächelte, als sie erkannte, wer den Raum strahlend betrat.

„Tafaye, wie schön!“

Er setzte sich gut gelaunt zu ihr auf ihr Bett und küsste zunächst einmal seine Tochter zur Begrüßung auf die Stirn, ehe er sich an das Mädchen wandte.

„Ja, freut mich auch, war gar nicht so leicht von zuhause weg zu kommen.“, er fuhr sich seufzend durch sein blondes Haar, „Mein Vater ist so ein Sack, spielt sich als großer toller Meister der Schneiderkunst auf und ist selbst nicht bereit, einen Finger krumm zu machen. Na ja, Pech, ich hatte jetzt Sehnsucht nach Kirima.“

Er errötete etwas und Dafi überreichte ihm wissend sein Kind.
 

Gerade vor ein paar Tagen erst hatte er erfahren, dass er ein Baby hatte und in dieser kurzen Zeit hatte er sich bereits als sehr liebevoller Vater bewiesen. Er besuchte das kleine Mädchen so oft er konnte und versuchte sich um es zu kümmern, auch wenn er kaum Ahnung von dem hatte, was er da so machen musste. Aber das wichtigste hatte er drauf; seinem Kleinen zu zeigen, wie lieb er es hatte.

Während der junge Mann gut gelaunt mit seinem Kindchen plapperte, erinnerte sich die Himmelsblüterin an ihren eigenen Vater zurück.

Neben ihrem Onkel hatte er immer bloß wie ein Schatten gewirkt, er war als Himmelsblüter kleiner und zierlicher gewesen, kaum größer als seine Tochter jetzt, und seine Arbeiten waren nie derart gewürdigt worden wie die von Herrn Ferras.

Anders als seine Frau und deren Familie war er auch sehr ruhig und eher distanziert gewesen und hatte auf andere oft sogar unfreundlich gewirkt, aber er war ein ganz toller Vater gewesen. Natürlich auch mit Macken, aber seine kleinen Zwillinge hatte er über alles andere auf der Welt geliebt.

Das Mädchen dachte gern an ihn zurück. War lange her, dass sie ihn zum letzten Mal umarmt hatte.

Sie vermisste ihn.
 

„Stimmt etwas nicht, Dafilein?“

Sie schreckte aus ihren Gedanken.

„Was? Nein, alles okay.“

Schrecklich, dass man ihr ihre Gedanken immer so ansah. Oder anmerkte, selbst Tai bekam sofort mit, wenn sie etwas hatte und die konnte es wohl kaum mit den Augen erkennen.

Tafaye für seinen Teil schien es zu tun-

„Du schaust so traurig.“, stellte er etwas besorgt fest, dann lächelte er, „Hör mal, ich habe den ganzen Nachmittag Zeit und den Abend so wie so, ich denke, ich komme allein zurecht. Entspann dich mal, hab Spaß!“

Der Schneider war ein wirklich guter Kerl, das hatte die Jüngere schon lange gewusst. Sie seufzte lächelnd.

„Das ist es nicht, aber ich nehme dein Angebot dennoch dankend an.“, sie erhob sich, „Ich vermisse meine Freunde im Dorf und Kirima weiß ich bei dir ja gut aufgehoben, nicht?“

Er lachte. Ja, er würde das kleine Mädchen mit seinem Leben beschützen, wenn es sein musste.

Er war mit einem Schlag zum stolzesten Papa der Welt geworden, berechtigt, wie er fand, er hatte schließlich auch die mit Abstand hübscheste Tochter der Welt.

Er dachte kurz an Genda, Lillis Baby, der war zwar ein Junge und älter und deshalb etwas anders als sein Kind, aber wenn der Blonde ehrlich war, fand er den kleinen etwas hässlich. Irgendwie seltsam, Lilliann war ziemlich hübsch und Jiro war vielleicht nicht der ultimative Frauenschwarm gewesen, aber äußerlich gefehlt hatte ihm sicher auch nichts.

Aber Genda war definitiv kein schönes Kind, da war er sich sicher, der guckte immer so, als hätte er auf Kinai Kaeras Arbeitstisch gespielt. Wobei der unschuldige kleine Knirps ja nichts dafür konnte und er sich davor hüten würde, seiner Mutter das ins Gesicht zu sagen. Himmel, er war doch nicht gemein, auch wenn er Recht hatte...
 

Kirimachen kam jedenfalls ganz nach ihrer hübschen Mama. Ihrer hübschen, sehr viel beschäftigten Mama.

Pinita war sicherlich eine genau so liebevolle Mutter wie Tafaye ein Vater war, aber sie arbeitete nun fast 24 Stunden durch, um möglichst schnell ihr Projekt zu Ende bringen zu können, so nahmen alle an.

Ihr Freund konnte sich denken, dass sie es eigentlich bloß tat, um bald mit ihm in Ruhe leben zu können, aber im Moment verhinderte es jegliches Familienleben. Ab und an kam sie einmal kurz vorbei, um ihr Baby zu stillen, aber mehr war im Moment nicht. Und nicht nur das, Kirima war noch ein Säugling, es war kaum einen Monat her, dass sie geboren wurde, ihre Mutter war noch lange nicht wieder ganz fit. Sie war sogar schon einmal bei der Arbeit zusammen gebrochen, aber Frau Ferras war ja unbelehrbar. Furchtbar, dabei waren doch bloß alle besorgt...
 

--
 

„Imera, du Trottel, ich hab dir doch gesagt, dass ich... oh, Dafi.“

Lilli hatte leicht entnervt ihre Haustür geöffnet und ihr Gast kicherte etwas verpeilt.

„Ja, mich gibt’s auch noch.“, machte sie, „Ich wollte mal nach euch sehen, ich hab viel nachzuholen, denke ich.“

„Das ist wahr.“, bestätigte die jetzige Hausherrin und ließ sie ein, „Allerdings ist Choraly ausnahmsweise nicht hier, die wollte heute was mit ihrem Freund machen. Und Genda ist krank, ich hab also auch zu tun, aber Tai ist in ihrem Zimmer und noch hat sie ja Zeit. Oh glaub mir, alle Aufgaben, die sie bei der Erziehung ihres Kleinen halbwegs selbst übernehmen kann, wird sie auch machen! ...“

Die junge Mutter war ziemlich sauer auf die Schwester ihres Kindsvaters. Sie fand es einfach unverschämt, dass man ihr vorenthielt, um wen es sich dabei handelte. Und das Schlimme war, sie ahnte, dass Dafi es wusste. Und wenn sie sie darauf ansprechen würde, würde die Welt untergehen, denn in einer so direkten Konfrontation war sie eine schlechte Lügnerin. Aber sie konnte nicht verraten, wer es war, das wäre sehr unvorteilhaft für alle Beteiligten... so ein Mist aber auch. Aber sich deswegen von ihren Freunden fern halten wollte sie natürlich auch nicht.

„Was ist eigentlich mit Imera?“, versuchte sie so vom eigentlichen Thema abzulenken, während die Gleichaltrige sie durch ihr Haus führte, was an sich nicht wirklich nötig war, weil sie sich darin sehr gut auskannte.

Sie hielt seufzend inne.

„Er ist ein Idiot, das ist alles. Ein aufdringlicher, strohdoofer Volltrottel, genau.“

Und er war nervig und verwirrte sie, dieser Arsch.

Dafi verstand das natürlich nicht, fragte aber lieber auch nicht weiter nach, zur eigenen Sicherheit. Lilliann konnte manchmal ziemlich giftig sein, das wusste sie. Sie würde Tainini fragen.
 

„Komische Sache.“, meinte diese, während sie versonnen ihren runden Bauch streichelte.

Sie liebte ihren Bauch und das Baby darin. Und dessen Vater, auch wenn sie es noch nicht gewagt hatte, ihm das zu sagen.

„Sie scheint etwas gegen ihn zu haben. Viele haben etwas gegen ihn, nicht? Bloß weil er seltsam und dumm ist. Ich habe nichts gegen ihn, er kann sicher nichts dafür. Und er gibt sich sehr große Mühe, er will Lilli und mir immer helfen, sie meint aber bloß, er wolle sich Nagas Platz irgendwie ergaunern, damit er auch einmal Freunde hat und nicht immer mit seinem hohlen kleinen Cousin herum hängen muss.“

Die Himmelsblüterin lachte etwas verpeilt. Tai bezeichnete ein süßes Kind als hohl?

„Na hör mal!“, empörte sie sich gespielt und ihr Gegenüber öffnete die trüben, grün-blauen Augen, als wollte sie sie ansehen. Die Ältere fürchtete die blinden Iriden ihrer Freundin ein wenig wenn sie offen waren, sie waren tot, ein nicht mehr lebendiger Teil ihres Körpers und Tod bedeutete Unheil.

Natürlich ging sie nicht davon aus, dass das Mädchen auf irgendeine Weise böse war, aber ihre toten Augen jagten dem Gast immer wieder eine kalte Schauer über den Rücken. Sie hütete sich jedoch davor, es der Kleinen zu sagen, sie konnte ja nichts dafür und dachte am Ende noch, sie sei hässlich oder so. Sie war da ja ziemlich empfindlich, davon abgesehen war sie bildhübsch.

„Lilli gibt Kura Nachhilfe, glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich ihn als hohl bezeichne, echt, mit dem, was man schon alles mit dem angestellt hat, könnte selbst ich lesen und das mag was heißen! Er ist wirklich, wirklich dumm, aber sehr liebenswert, immerhin.“

Zu Dafis Freuden schloss sie ihre Augen wieder. Na gut, wenn sie es sagte. Lag vermutlich einfach in der Familie, auch Mayora war neben Imera nicht sonderlich helle, konnte es aber vermutlich besser verbergen. Wobei es ein offenes Geheimnis war, dass sein Rekord im Zählen bei 57 lag. Wie konnte man sich bis 57 hervor kämpfen und dann nicht mehr peilen, wie es weiter ging, hatte der 57 Mal geraten oder was?

Ach egal, scherte sie eigentlich nicht wirklich. So lange es ihre beste Freundin nicht störte, dass ihr Freund eine Niete in Mathematik war, war ja alles in Ordnung.

„Jedenfalls.“, riss sie ihre Gastgeberin da wieder aus ihren Gedanken, „Na ja, ich denke nicht, dass es Imera darum geht, Naga zu ersetzen.“

Sie lächelte leicht und Dafi wunderte sich.

„Worum dann?“

„Das solltest du eigentlich auch mitbekommen haben, nicht?“, sie kicherte, „Blindfisch! Imera ist doch seit er ganz klein ist immer schon etwas verliebt in sie gewesen, das hat jeder gemerkt, insbesondere mein Bruder, bloß sie selbst nicht, versteht sich. Deshalb hat er sich auch so oft mit ihm geprügelt, aber Lilli hatte so oder so nur Augen für Jiro. Jetzt ist Jiro aber weg und Imera war schlau genug zu bemerken, dass seine Chance wieder gekommen ist, deshalb versucht er jetzt alles, um ihr zu gefallen, er schenkt ihr sogar manchmal heimlich Blumen, Himmel. Und so dämmert es ihr jetzt auch langsam und das scheint ihr ziemlich unangenehm zu sein...“

Das Mädchen kicherte süß und ihr Gegenüber hob verwundert beide Brauen. Das war eine komische Sache, Imera war wirklich ein komischer Vogel.

Sie kratzte sich etwas verwirrt am Kopf.

„Aber hat er nicht eine Affäre mit...“

„Sprich es lieber nicht aus!“

Tai wedelte empört mit den Händen in der Luft herum. Ja, sie hatte Recht, so schreckliche Gerüchte sollte man lieber nicht aussprechen, schon gar nicht als Himmelsblüterin. Wenn sie nämlich nicht stimmten, konnte das die Götter zornig stimmen, das wollte die Feuermagierin nicht. Feuer, wie sie es hasste...

„Na ja, falls es stimmt, was die Leute so sagen, wäre es doch möglich, dass er gemerkt hat, dass er etwas falsches tut und will damit aufhören... oder so. Ich hoffe es jedenfalls. Ich fände es auch ganz niedlich, wenn Lilliann sich auf ihn einlassen würde, ich meine, er würde bestimmt gut für sie und Genda sorgen!“

Imera war nicht von hoher Intelligenz, sicher nicht, aber er hatte das zierliche Mädchen schwer mit seiner hingebungsvollen Art, sich gegen den Willen der Hausherrin um die Familie zu kümmern, beeindruckt.

Und auch wenn sie bloß die kleine blinde Schwester gewesen war, in einigen Dingen hatte Tainini Jiro besser gekannt als dessen Verlobte. Und sie wusste, dass er sich nichts anderes gewünscht hätte, als dass seine Familie in guten Händen war. Und wenn es Imeras Hände, die Hände seines Rivalen waren, dann sei es so gewesen.

Lilli schien das jedoch anders zu sehen. Sie hatte einmal gemeint, sie sei nicht bereit, jemals wieder einen Mann zu lieben und das, obwohl sie noch keine 17 Jahre alt war und ihr Leben trotz Baby doch eigentlich noch vor sich hatte. Und von ihrem Verehrer war sie seit jeher ohnehin abgeneigt, von daher...sehr schade. Aber wen scherte schon ihre Meinung?

„Ich bin ganz deiner Meinung, wenn der Depp es denn wirklich ernst meint, sollte sie ihm vielleicht eine Chance geben!“

Aber auf Dafi war Verlass. Die Jüngere lächelte leicht. Sie waren oft einer Meinung, fiel ihr auf, das fand sie toll. Sie waren eben auf einer Wellenlänge. Schade, dass sie ihre Behinderung trotzdem nutzlos machte...

„Und wie geht es dir?“

Ihr Gast lenkte sie ab. Sie konnte sein liebes Lächeln quasi spüren, das machte sie sehr glücklich. Sie war leicht glücklich zu machen.

„Mir könnte es glaub ich nicht besser gehen, auch wenn Baby mich nachts oft tritt und ich ständig auf Toilette rennen muss.“, sie lachte, „Aber das macht nichts, ich freue mich so sehr! Du dich auch?“

Die Ältere lächelte. Das Verhalten ihrer Freundin rührte sie irgendwie.

„Ja, ich freue mich sehr. Ich werde dir helfen, wo ich nur kann.“

Das versprach sie ihr ständig, aber es war ihr wichtig, das klar zu stellen. Auch wenn sie glaubte, dass die werdende Mutter das auch gewusst hätte, wenn sie es kein einziges Mal erwähnt gehabt hätte... aber es stimmte sie immer noch fröhlicher, als sie ohnehin schon war und die Ältere mochte ihr Strahlen.

„Danke!“, quiekte sie, „Was meinst du, wird es ein Junge oder ein Mädchen? Und... meinst du, es kommt noch diese Woche, ich meine, ich bin im neunten Monat, es kann jeden Moment soweit sein und mein Bauch ist schon so rund und so... hm?“
 

--
 

Während viele sich mit süßen kleinen Babies beschäftigten, hatte Pinita anderes zu tun.

Sie saß in ihrem kleinen Büro und durchblätterte ihre Akten, kicherte dabei zwischendurch dümmlich. Sie war so gut. Ihre Familie konnte wahrlich sehr stolz auf sie sein. Natürlich hatte sie Hilfe gehabt, aber sie hatte dieses Projekt verwirklicht, nur sie. Und Dafi, wenn man es genau nahm, Dafi war ihr eine große Hilfe gewesen. Aber das konnte sie ihr nicht sagen. Nicht mehr...

Sie seufzte.

Egal, sie brachte es zu Ende, das war die Hauptsache. Wie die anderen wohl darauf reagieren würden, wenn sie alles präsentierte? Wenn sie es öffentlich machte?

Einigen würde es sicher nicht passen, aber es war ohnehin zu spät, um ihren gut durchdachten Plan zu stoppen. Und Tafaye hielt sicher zu ihr.
 

Sie legte das Papier aus den Händen und lehnte sich im Stuhl zurück. Was hatte dieser Mann mit ihr gemacht?

Sie dachte an den Tag zurück, an dem sie gemerkt hatte, dass sie schwanger gewesen war. Himmel, war sie dämlich gewesen, sie war doch immer rundlicher geworden und auch reizbarer als ohnehin schon, noch nicht einmal dass ihre Regel so gut wie komplett ausgeblieben war hatte sie stutzig gemacht. Zu Beginn zumindest, irgendwann war ihr aufgefallen, dass ihr Bauch kaum schwabbelig, sondern eher sehr prall wurde. Und dennoch hatte es sie von den Socken gehauen.

Zunächst hatte sie direkt zu Chatgaia rennen wollen, um sie zu bitten, das neue Leben zu entfernen, aber irgendetwas hatte sie dann doch davon abgehalten. Davon abgesehen war es zu diesem Zeitpunkt ja auch gar nicht mehr so klein gewesen, dass wäre sicher nicht so leicht geworden.

Außerdem hatte sie mit der Zeit begonnen, den Gedanken, ein Kind von Tafaye im Bauch zu tragen, zu mögen. Sie hatte nie wirklich geglaubt, sie könne eine gute Mutter werden und im Moment vernachlässigte sie ihr armes Baby, genau so wie auch ihren Freund ziemlich, doch sie würde alles so richten, dass es ihnen am Ende gut ging. Besser als allen anderen, wenn möglich. Sie hatte zum ersten Mal eine Familie, die sie wirklich ganz ungezwungen liebte, für die würde sie fast alles tun.

Und bald war es soweit...
 

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Und so kam es, dass sie in dieser Nacht zur letzten Besprechung ging. Ohne das Wissen ihrer Cousine oder ihres Freundes, es war ihre Sache, es war geheim. Eine Überraschungsparty wurde ja auch nicht angekündigt. Ja, Überraschungsparty war ein sehr hübscher Vergleich...

„Es wird eine nette kleine Feier werden.“, erzählte sie so grinsend Karna, den sie als einzigen ihrer Bekannten als Assistenten mitnahm.

Er hatte nicht viel zu tun, ein paar Akten reichen, ihr ein paar Mal zur Hand zur gehen, nichts weiter. Und er wusste von nichts, alles was er gezwungener Maßen erfuhr würde komplett neu für ihn sein. Das sollte verhindern, dass er sich zu früh all zu viel dazu denken konnte. Dass sich Pinita da aber einen Mann mit außergewöhnlich hohem IQ und einer gesegneten Auffassungsgabe ausgesucht hatte, hatte niemand gewusst und so ging der junge Mann um einiges mehr mit Wissen bereichert, als geplant, aus dem Konferenzsaal.

Und all zu viel Wissen war nicht angenehm, Shakki konnte ein Lied davon singen. Ob die wohl auch etwas mitbekommen hatte?
 

Karna dachte nicht an die schöne junge Frau, die er kaum kannte. Viel mehr hielt ihn die Neugierde wach und brachte ihn dazu, seinen Job zu riskieren und sich etwas schlau zu machen.

Und am nächsten Morgen war er übermüdet, verunsichert und stolz zugleich.
 

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Shakki ging es ebenso. Bloß dass sich ihr Stolz nicht auf ihr Wissen bezog, sondern auf ihre Erscheinung und immer vorhanden war. Die Übermüdung und Verunsicherung hingegen machten sie jedoch gereizt, gereizter als ohnehin schon, und auf Grund ihrer ständig beschäftigten Eltern bekam einmal mehr ihr armer kleiner Bruder alles ab.

„Was ist nur los mit dir?“, wagte er es, sie am Frühstückstisch zu fragen, „Du bist so blass...“

Ja, obwohl sie eine eher ungewöhnliche ältere Schwester war, war der Junge manchmal sogar etwas besorgt um sie. Aber nur manchmal, sie war schließlich ziemlich gemein, gestört und pervers...

„Was ist nur los mit dir?“, ahmte sie ihn mit verstellter Stimme nach, „Du zitterst ja so?“

Er errötete und starrte auf seinen Teller.

„Ich muss warten, bis die Kräuter aufgegangen sind, das dauert noch zwei Tage, bis dahin... das weißt du doch...“

„Ja, das weiß ich sehr wohl.“, entgegnete die Seherin düster, „Deshalb verbitte ich es mir, mich von einem solchen Schwächling wie dir nach meinem Befinden fragen zu lassen.“

Der Junge sagte nichts und sah sie auch nicht an.

Langsam sollte er es eigentlich gewohnt sein. Aber es war anders und tat weh, besonders wenn er nicht seine kleinen Wundermittelchen hatte. Dann war die Welt viel grausamer und düsterer als sonst. Und einen großen Teil seiner Welt gehörte Shakki.

Sie war schon immer die Seherin gewesen. Und seit ihrem dritten Lebensjahr seine große Schwester.

Durch ihr Wissen war sie ein seltsames Kind gewesen, zur Schule hatte man sie nur wegen der sozialen Kontakte geschickt, wobei sie in ihrer Einzelbank in der letzten Ecke des Klassenraumes kaum welche geknüpft hatte. Aber sie war trotzdem eine liebe Person gewesen, auch wenn sie an manchen Tagen etwas seltsam gewesen war. Sie hatte ihrem kleinen Bruder versucht, die Welt beizubringen, sie hatte ihm viel erklärt und vorgelesen und auf ihn aufgepasst, beschützt, wenn jemand ihn geärgert hatte, denn vor ihr hatten sich die anderen Kinder gefürchtet.

Sie war eine wahrlich bewundernswerte Person für den kleinen Jungen gewesen und weil er gefürchtet hatte, in ihren Augen nicht gut genug zu sein, weil er doch so dumm war, hatte er sie anders dazu bringen wollen, ihn ganz viel lieb zu haben. Zum Beispiel, indem er ihr jegliche Arbeiten einfach abgenommen hatte und wie ein dressierter Hund nur so auf Anweisungen gewartet hatte.

Zu Beginn hatte er ihr damit nur ein schlechtes Gewissen gemacht, aber da er sich nicht hatte abhalten lassen, hatte sie es irgendwann einfach dankend hingenommen. Und irgendwann hatte sie begonnen, zusätzliche Anforderungen zu stellen...

Vor langer Zeit hatte er eine liebenswürdige große Schwester gehabt, mittlerweile war diese große Schwester keine mehr, denn ihr einstiger Bruder war zu ihrem rechtlosen Sklaven geworden. Sie hatte sich so verändert, es war richtig schmerzhaft, wenn man richtig darüber nachdachte.
 

Ihm war gar nicht aufgefallen, dass sein Gegenüber alle seine Gedanken mitbekam und erschreckte sich etwas, als es sein Besteck leicht klirrend bei Seite legte. Als er aufsah, hatte es seinen Kopf auf die Hände und die Ellbogen auf den Tisch gestützt und musterte ihn aufmerksam.

„Sensibelchen.“, machte es ungewohnt zahm und sah ihn weiter an, „Bin ich tatsächlich so schrecklich geworden?“

Er erwiderte nichts und errötete ertappt. Dass er einfach nicht weit genug denken konnte... Wobei sie es ja auch mitbekommen hätte, wenn er so weit gedacht hätte, nicht so weit zu denken...

Die junge Frau lehnte sich seufzend im Stuhl zurück und schloss die Augen.

„Ich weiß, ich habe mich sehr verändert...“, gab sie zu, „Tut mir Leid... es wird sicher mit jedem Tag schlimmer, dieser Wahnsinn, aber ich kann nichts dagegen tun. Du bist und bleibst mein kleiner Bruder, egal, was ich zu dir sage oder wozu ich dich zwinge, Kinai, ja?“

Sie öffnete ihre hübschen violetten Augen wieder und der Junge nickte. Was hätte er auch ansonsten erwidern sollen? Er hatte ohnehin keine Chance, etwas gegen sie zu tun, er hoffte bloß, dass sie ihn nicht irgendwann in ihrer blinden Wut einmal umbrachte...

„Kinai...“

„Hm...?“

Sie schauten sich eine Weile schweigend an.

„Ich hab dich sehr lieb, glaube weiter an mich. Gib mich nicht auf, bitte. Ich brauche dich.“

Sie lächelte ein eigenartiges Lächelnd und der Jüngere blinzelte überrascht.

„Bitte?“

„Das meine ich ernst.“, seufzte sie. „Bleib mein Bruder, auch wenn ich endgültig nicht mehr deine Schwester bin, ja? Ich wünsche es mir so.“

Wünsche konnte er ihr einfach keine abschlagen. Eigentlich konnte er ihr überhaupt nichts abschlagen, weil er sich vor ihr fürchtete, aber da meldete sich auch sein Gewissen wieder. Besonders, wenn sie Wünsche auch so direkt äußerte.

„Ich will dein kleiner Bruder bleiben, okay?“
 

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„Deine Tante ist schon komisch.“

Choraly und Mayora saßen an diesem wie immer wunderschönen Morgen im Schatten eines Kaliri-Baumes und frühstückten dort. Chatgaia war beschäftigt, also hatte sie nichts im Haus gehalten. Es war Ende Januar und da sie sich auf der Süd-Halbkugel des Planeten befanden Hochsommer, das Mädchen aus der großen Stadt hätte nach ihrer Ankunft niemals geglaubt, dass man hier einen Unterschied zwischen den Jahreszeiten spüren würde, aber sie war eines besseren belehrt worden. Im Winter war es furchtbar heiß und im Sommer war es noch viel heißer.

Mittags wurden alle Arbeiten komplett eingestellt und alles verkroch sich in den Häusern, das Dorf war wie ausgestorben dann. Anfangs hatte das Mädchen das gruselig gefunden, mittlerweile hatte sie sich wie an so vieles daran gewöhnt.

Früher hatte sie die verregneten Tage im Winter in Wakawariwa gehasst, hatte sich von der grauen Wolken erdrückt gefühlt, heute wusste sie noch nicht einmal mehr so richtig, wie diese flauschigen Dinger ausgesehen hatten. Sie hatte vergessen, wie es sich anfühlte, Regen auf der Haut zu spüren oder wie es war, wenn ein kalter Wind sie erschaudern lies. Irgendwie vermisste sie diese Erinnerungen. Ob Mayora wohl wusste, wie Wolken aussahen?

„Findest du?“, riss dieser da ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich und schaute in den wolkenlosen Himmel.

Er war letzte Woche stolze 18 Jahre alt geworden, wobei sie ihn vom Äußeren her noch immer auf höchstens 15 geschätzt hätte. Geistig wurde er seinem Alter jedoch durchaus gerecht und das war die Hauptsache. Und ein hübscher Kerl war er, auch wenn er sehr jung wirkte. Ja, sie war inzwischen sehr stolz, dass er ihr Freund war. Und er fand die Bezeichnung 'Missgeburt' inzwischen sehr süß, zumindest, wenn seine Prinzessin ihn so nannte.

Diese seufzte.

„Na ja, ich hab zu Beginn gedacht, sie würde dich nur ausnutzen, aber irgendwie scheinst du ihr ja auch wichtig zu sein, aber ich bin mir auch nicht sicher, genau so wenig, wie ich richtig weiß, was sie mittlerweile von mir hält.“

Sie lehnte sich zärtlich an ihn und steckte sich einen Happen belegtes Kaliri-Brot in den Mund.

Er antwortete nicht direkt.

Ja, seine Tante war gelegentlich schon ganz schön seltsam. Früher war sie einfacher gewesen, als Harata noch da gewesen war. Wenn er es genau nahm, waren die ersten beiden Jahre, die er bei ihr gelebt hatte, die Schönsten gewesen.

Sie war schon immer eine strenge Frau, seit er sich erinnerte, aber zu dieser Zeit war das nicht eine ihrer Hauptcharaktereigenschaften. Sie war nett gewesen, auf ihre eigene, vergleichsweise eher bescheidene Art auch fröhlich. Sie hatte eine angenehme Persönlichkeit gehabt.

Geändert hatte sich das, als der junge Mann 10 Jahre alt geworden war. Da war sie wieder schwanger geworden, was sie zunächst bloß zum positiven beeinflusst hatte. Je runder ihr Bauch geworden war, desto glücklicher war auch die Frau geworden.

Als das kleine Mädchen jedoch viel zu früh zur Welt gekommen und wenige Stunden nach seiner Geburt seiner Schwäche erlegen war, war das stolze, schöne Dorfoberhaupt daran fast zerbrochen. Danach hatte ihre einzige Zuneigung für ihn, die er identifizieren hatte können, aus purem Klammern bestanden, zumindest in der ersten Zeit nach dem Tod ihrer Tochter. Und was danach mit ihnen passiert war, wusste er auch nicht so ganz...

„Sie hatte es nicht leicht.“, entgegnete er so bloß knapp und strich ihr sanft durchs Haar, „Aber ich denke, auf ihre eigene Art akzeptiert und mag sie dich jetzt auch. Ganz bestimmt.“

Hoffte er zumindest, er wollte schließlich eine möglichst heile Familie, wenn Imera schon nicht dazu gehörte...

„Ich wünsche es mir.“, erwiderte seine Freundin da leise und lächelte leicht.

Wenn sie schon hier bleiben würde, und so schien es ihr ja, dann wollte sie wenigstens in einer friedlichen Umgebung wohnen. Ganz davon einmal abgesehen, musste sie sich in nächster Zeit auch einmal im Vertrauen mit Chatgaia unterhalten, da konnte sie sich Unstimmigkeiten mit ihr nicht erlauben. Ja... war doch viel schöner, wenn alle sich gern hatten.

So hatte Atti auch gedacht.

Atti war ein sehr guter Mensch gewesen und sie wurde ihr immer ähnlicher, so schien es ihr, das machte sie sehr stolz. Sie wollte schließlich ein möglichst guter Mensch sein...
 

Sie wurde abrupt aus den Gedanken gerissen, als man sie umwarf und auf den Rücken drehte, worauf sie geschockt quiekte.

„Mayora! Was soll das?!“

Er beugte sich fröhlich grinsend dicht über sie und sie errötete geschockt.

„Ich will dich jetzt richtig lieb haben!“

Wollte er, würde er aber natürlich nicht tun, sie waren von der offenen Straße aus zu sehen, Himmel bewahre. Aber ein bisschen Spaß musste sein.

Choraly begann zu zappeln.

„Spinnst du, das geht doch nicht! Geh weg... du Missgeburt!“

Er musste lachen, als sie unter ihm so zeterte. Sie war eine ganz herrliche Person.

„Aww... ja, gib's mir, Prinzessin...!“, raunte er ihr zu und begrapschte sie gut gelaunt, worauf sie nur noch mehr herum gackerte wie ein tollwütiges Huhn und ihn weg schlagen wollte.

„Das geht doch nicht...!“, jammerte sie weiter, „Mayorachen, Kräuterheini, bitte! Was ist denn, wenn....“

Er küsste sie einfach, worauf sie das Zappeln mit einem Mal aufgab und wie gewohnt sofort erwiderte. Sie lies sich gern küssen und das wusste er. Und er ahnte, was sie sagen würde, wenn er jetzt aufhörte.

„Nicht aufhören!“

Sie machte ein weinerliches Gesicht und er musste lachen.

„Meinung geändert?“, er küsste sie kurz auf die Wange und lies dann von ihr ab, „Doch nicht hier!“

Das Mädchen erhob sich schnaubend.

„Du Missgeburt!“
 

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„Und du bist sicher, dass du das hinbekommst?“

Dafi musterte Tafaye prüfend, wie er mit zwei Körben grinsend vor ihr stand. In dem einen war die kleine Kirima, in dem anderen allerlei Babyzeug. Pinita hatte angekündigt, dass sie in den nächsten zwei Tagen noch mehr zu tun haben würde als ohnehin schon und so hatte der stolze Vater beschlossen, seine Tochter für diese Zeit mit sich zu nehmen.

„Natürlich!“, lachte er, „Meine Liebe hat mir alles gezeigt, mit Flasche füttern dürfte auch nicht das Problem sein...“

Er seufzte und schaute in den Korb mit dem hellblonden kleinen Baby, das gerade schlief.

„Ich fürchte bloß, sie wird ihre Mami vermissen...“

Wenn sie nicht schon denkt, ich sei ihre Mami..., überlegte die Jüngere sich, verkniff sich vor dem Schneider jedoch den Kommentar. Er liebte seine Freundin schließlich mit all ihren Macken und würde Kritik jeglicher Art an ihr sicher nur ungern zu hören bekommen, sicherlich besonders von ihr.

„Das wird sich nicht vermeiden lassen...“, erwiderte sie so nur, „Wobei, sie ist ja noch sehr sehr klein, vielleicht merkt sie das noch gar nicht so...?“

War für das arme kleine Mädchen zumindest zu hoffen, es hatte es nicht leicht. Und dabei hing es doch so sehr an seiner Mama, wenn die sich denn einmal Zeit für es nahm.

Schade. Pinita war schon immer eine undankbare Nuss gewesen, Dafi hätte so einiges getan, um mit ihr tauschen zu dürfen...

„Ich hoffe zumindest, dass sie zwei Tage ohne Mama und nur mit Papa übersteht...“, seufzte der junge Mann da lächelnd und seinem Gegenüber fiel etwas ein.

„Und was wird aus dem Laden?“, erkundigte es sich, „Macht dein Vater den dann wieder?“

Tafayes Vater war zwar der Erbe einer alten Schneider-Familie und verstand sein Handwerk auch sehr gut, manch böse Zunge meinte sogar besser als sein Sohn, war jedoch mit dem Tod seiner Frau extrem menschenscheu geworden und sobald der Junge halbwegs tauglich in seiner Kunst gewesen war, hatte er ihm den Laden so viel wie möglich überlassen, mittlerweile arbeitete er fast hauptsächlich auf den Kaliriplantagen bei der Garnherstellung.

Der Ältere schüttelte den Kopf.

„Wo denkst du hin? Kirima wird ihrem Papa auch bei der Arbeit zusehen müssen...“, er grinste, „Sie hätte es wohl leichter, wenn jemand wie Imera ihr Vater wäre...“

Diese Meinung teilte die Himmelsblüterin bloß bedingt und hüstelte gekünstelt.

„Nun ja, wenn man bedenkt, wer dann ihre Mutter wäre...“

Sie schenkten sich einen unmissverständlichen Blick. Der Blonde musste darauf glucksen...

„Nun ja, vermutlich auch eine ziemlich viel beschäftigte, nehme ich an...“

„Definitiv.“, bestätigte die Kleinere errötend, „Aber wer weiß, vielleicht würde die sich ja Zeit nehmen, könnte sie sicher, wenn sie wollte...“

Er nickte, dann seufzte er.

„Mag sein. Aber ich hab leider nicht genügend Macht, um einfach mal einen Tag frei zu machen, ich muss jetzt gehen... mach's gut!“
 

So verabschiedeten sie sich vorerst und Dafi wollte die Baby-freie Zeit nutzen, um auch selbst wieder zu arbeiten, das kam dank ihrer lieben Nichte in letzter Zeit nämlich leider etwas zu kurz. Und dabei war sie noch nicht einmal ihre Nichte... ach, machte für sie keinen Unterschied.

Kirima konnte ja nichts dafür, dass sie eben etwas Aufmerksamkeit brauchte, sie war ja noch so klein und konnte sich noch nicht selbst helfen, die süße Maus. Ihre Tante, die nicht ihre Tante war, hatte sie sehr lieb gewonnen in der kurzen Zeit...
 

So in Gedanken versunken schrie sie gellend auf, als sie ihr Zimmer betrat und urplötzlich ohne Vorwarnung jemand vor ihr stand.

„Meine Fresse, Karna, du Arsch, was geht denn in dir vor?!“

Der Angestellte seufzte bedeppert und schloss gerändert die Augen, was die Jüngere nicht einfach so hin nahm. Was bildete der sich denn ein?

„Geht's noch, ich habe mich zu Tode erschreckt! Was willst du überhaupt in meinem Zimmer?“

„Mich mit Ihnen unterhalten...“, murmelte er todmüde und deutet schwach auf den Schreibtisch, auf dem einige, dem Mädchen unbekannte, Akten lagen, „Es ist sehr wichtig, ich nehme es in Kauf, dass Sie dafür für meine fristlose Entlassung sorgen...“

Die Jüngere sah ihm verwirrt nach, als er zu dem Papierkram schritt und darin zu blättern begann.

„Entlassung? Weshalb?“

„Ich habe heimlich über dieses... 'geheime Projekt' ihrer Cousine recherchiert.“
 


 


 

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So, jetzt wirds langsam lustig XD

Wahrheit

Dafi sah Karna skeptisch dabei zu, wie er ein paar Blätter heraus kramte, die er ihr schließlich überreichte.

„Wissen Sie, was das für ein Projekt ist?“

Sie hob verwirrt beide Brauen und ließ ihren Blick skeptisch über die Notizen schweifen.

„Ein Projekt, um die Sicherheit unseres wunderbaren Kontinents Mon'dany zu sichern. Von Notfallplänen bis hin...“

„... zur Rüstung. Neuartige Waffen.“

Der junge Mann trat wieder zum Schreibtisch und wühlte weiter in den Akten herum. Das Mädchen wunderte sich.

„Na und? Das gehört doch dazu, sonst können wir uns schließlich nicht verteidigen. Im Ernstfall nutzen gute Worte nun einmal nichts.“

Sie sah ihm dabei zu, wie er nervöser wurde, je länger er herum suchte. Er musste die ganze Nacht durchgemacht haben, so wie er aussah. Wie kam der überhaupt so plötzlich auf Pinitas Projekt?

„Ich war heute Nacht als Assistent auf einer Besprechung diese Angelegenheit betreffend...“, erklärte er, ohne aufzusehen, als hätte er ihre Gedanken gelesen, „Ich habe ziemlich irritierende Dinge gehört.“

Irritierend war gut. Man hatte der Jüngeren nichts von dieser Besprechung gesagt, das machte sie stutzig.

„Und Pinita war da?“

„In der Tat. Sie war quasi Hauptrednerin.“

Das war verwirrend. Warum hatte sie ihr nichts erzählt?

Das dauerte ihr jetzt zu lange.

„Ich brauche zunächst einmal keine Beweise, Karna!“

Er sah überrascht auf und sie verschränkte die Arme vor der Brust. Sie wollte wissen, was man ihr verschwieg.

„Komm auf den Punkt.“

Das tat er. Leider hatte er keine Möglichkeit mehr gehabt, seine Notizen zu sortieren, wie schade. Er war einfach zu müde und durch den Wind... vielleicht bildete er sich da auch einfach zu viel ein. Und setzte umsonst seinen Beruf aufs Spiel... Verdammt, wenn man ihn wirklich feuerte, was würde dann aus seiner Frau und seinem Sohn werden? Seine Liebe hatte Recht, er dachte wirklich zu wenig nach, außerdem konnte er doch vermutlich ohnehin nichts ausrichten.

Na ja, so musste er wenigstens kein schlechtes Gewissen haben.

„Wir haben es nicht mit Verteidigungswaffen zu tun.“, seufzte er, „Nehme ich zumindest an und meine Recherchen bestätigen mich darin auch weitgehend. Man hat eine ganze Reihe von neuartigen Waffen entwickelt und diese Pläne beinhalten sicherlich nicht viel, was unseren Kontinent schützen kann.“

Dafi schien nicht überzeugt, wie er erwartet hatte.

„Ich kann irren, oder du scheinst mir hier erzählen zu wollen, dass meine Familie seit Generationen irgendeinen Krieg vorbereitet. In diesen Zeiten? Und ausgerechnet Pinita treibt das jetzt voran?“, sie hob ungläubig eine Braue, „Entschuldigung, ich weiß ja nicht, was du dir da die ganze Nacht mühevoll zusammengesucht hast, aber ich kenne meine Cousine und die ist doch nicht gestört. Ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber ich habe mir selten so einen Unsinn anhören müssen, Frechheit“

Wie konnte er einfach in ihr Zimmer eindringen und dann versuchen, sie gegen die Blonde aufzuhetzen, was hatte dieser Trottel davon?

Er seufzte resigniert.

„Bitte schauen Sie sich die Akten an.“, bat er dennoch, „Ich will Ihnen nichts einreden oder so, ich wollte Sie bloß auf diese gewisse Möglichkeit hinweisen... ich meine...“, er räusperte sich, „Denken Sie darüber nach, was das bedeuten würde. Mon'dany ist groß und machthungrig.“

Damit stolperte er aus dem Raum. Schlaf, er brauchte einfach nur noch Schlaf, danach würde er weiter sehen...
 

Die Magierin sah ihm schnaubend nach. Na der war ja drauf, als ob sie nicht genug zu tun hätte. Sie glaubte Pinita, sie hatte es nicht nötig, ihr hinterher zu spionieren. Andererseits, wenn die Dokumente jetzt schon hier herum lagen, konnte sie ja auch einmal darüber schauen. Vertrauen war gut, aber Kontrolle gefiel ihr besonders in so ernsten Angelegenheiten etwas besser...
 

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„Wie oft zum Geier muss ich dir noch sagen, dass ich dich hier nicht sehen will, du Arschloch?!“

Lilliann hielt sich nicht zurück, als sie die Haustüre öffnete und der grinsende Imera davor stand.

Immer grinste die Sau, dieser gestörte Volltrottel!

„Guten Tag, Lilli.“, begrüßte er sie und trat gegen ihren Willen ein, ihre Beleidigung gekonnt ignorierend. Er hatte inzwischen genügend Übung darin, so viel, wie sie fluchte, konnte sie es gar nicht ernst meinen. Und sie schloss ja auch die Tür hinter ihm, also war er willkommen, so einfach war das...

„Ja ja, guten Tag!“, schnappte sie und stemmte die Hände in die Hüften, „Was willst du schon wieder? Ich habe genug zu Essen im Haus, nichts mehr in der Schneiderei bestellt und benötige auch keine Medizin von deiner lieben Chatgaia, du hast also absolut keinen Grund um hier zu sein! Aber ich höre, du aufmerksamkeitsgeiler Sack.“

Er lächelte weiter und errötete leicht.

„Ich hatte Sehnsucht nach dir.“

Der junge Mann war eigentlich schon von Kindesbeinen an etwas in das Mädchen verschossen, jetzt wo Jiro tot war, war das seine Gelegenheit. Auch wenn er sich etwas geschmacklos vorkam, als habe er nur darauf gewartet, dass der Jüngere irgendwie drauf geht. Hatte er natürlich nicht...
 

Einen Moment lang hatte er sie aus dem Konzept gerissen, dann wandte sie sich schnaubend ab.

„Nach mir oder meinen Kochkünsten? Du hast doch ein Gespür dafür, Essen steht auf dem Herd.“

Er machte sie verlegen, dieser Arsch. Wie konnte er es wagen, einfach so... sie wusste es nicht, er regte sie auf mit seiner dämlichen Art. Sie hatte keine Interesse mehr an einer Beziehung, schon gar nicht an einer mit einem Typen, der kaum mehr als seinen Namen schreiben konnte, wer war sie denn? Sie hatte auch ihren Stolz.

„Ich esse dein Essen gerne.“, gestand er da und schritt um sie herum, um ihr wieder ins Gesicht lächeln zu können, „Aber ich würde auch zu dir kommen, wenn du nicht kochen könntest.“

Sie wurde rot und das machte sie wütend. Nebenbei kam ihr, dass es doch ziemlich dämlich aussehen musste, wenn sie jetzt böse schaute, aber an sich war es ihr recht gleich, es war schließlich nur Imera, mit dem sie sprach.

„Hör auf zu schleimen!“, fuhr sie ihn an, „Ich kann das genau so wenig leiden wie dich!“

Sein Lächeln verschwand. Sie sagte ihm oft und gern, dass sie ihn nicht mochte, das wischte ihm immer sein blödes Grinsen aus dem an sich ansehnlichen Gesicht. Ihr war aber gleich, wie hübsch er aussah, es machte ihn auch nicht schlauer.

„Ich mag dich sehr gern.“, legte er jedoch wie gewohnt nach, als sie an ihm vorbei in die Küche schritt und er ihr folgte, „Das duftet hier aber herrlich. Kaliri-Suppe?“

„Richtig.“

Sie seufzte und deutete wortlos auf einen Stuhl, worauf er sich artig und wieder lächelnd niederließ, sie selbst lehnte sich an die Küchenzeile und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich will dich nicht mehr sehen, Imera.“

Der Junge senkte den Blick.

„Dann schlag mir das nächste Mal die Tür vor der Nase zu, Lilli. So lange du das nicht tust, werde ich immer wieder kommen. Du kannst auch gerne zu mir kommen, wenn du magst, es würde mich sehr ehren.“

„Warum sollte ich das wollen?“, sie schnappte empört nach Luft, „Ich habe keinerlei Interesse an dir, Imera Timaro, du bist mir völlig egal! Ich verstehe nicht, warum du dich in letzter Zeit so an mich klammerst, hast du kein anderes Opfer?!“

Sie wandte sich kurz ab, um ihre Suppe zu rühren und der Ältere senkte den Blick ein wenig.

„In diesem Sinne, nein. Ich begehre dich.“

Auf seine Offenheit zuckte sie zusammen und keuchte kurz. Sie wollte das nicht! Sie hatte vor einigen Monaten noch gedacht, bald würde ihr Name Lilliann Raatati lauten, ein anderer Nachname kam für sie auch nicht in Frage!

Die junge Frau wandte sich nervös grinsend um.

„Du begehrst mich?“, sie hob ihr Oberteil ein wenig hoch, sodass ihr Bauch zum Vorschein kam, der etwas wabbelig ein wenig über den Bund ihres Rockes hing und lachte doof, „Geschmacksverirrung?“

Er musterte sie.

„Du hast vor kurzem ein Baby bekommen.“, stellte er richtig fest und sah wieder ganz auf, „Dafür hast du einen sehr hübschen Bauch, falls er dich stören sollte. Alles an dir ist hübsch.“

Sie wurde hochrot und rückte ihre Kleidung wieder zurecht. Darauf wusste sie nichts mehr zu erwidern. Und er lächelte bloß.
 

Innerlich machte die junge Mutter Freudensprünge, als sich die Küchentür öffnete und Tainini eintrat.

„Imera?“

Sein Lächeln wurde breiter.

„Ja, ich bin hier. Hallo Tai, was macht dein Kleines?“

Er wusste, dass sie gern über ihr noch ungeborenes Baby sprach, sie freute sich wirklich sehr darauf. Wobei er sich fragte, wie sie das machen wollte, so blind musste das doch ganz schön schwierig sein, oder nicht? Sie würde bestimmt viel Hilfe brauchen, bemitleidenswert. Sie würde ihr eigenes Kind niemals ansehen können...

Und trotzdem war sie sehr glücklich.

„Es wächst und gedeiht!“, erzählte sie, „Es bewegt sich und ich bin schon so gespannt, was es wird und es tritt mich auch und ich denke es kommt sicher bald! Weil... mein Bauch ist enorm groß, nicht?“

„Das ist wahr.“, bestätigte der junge Mann und streichelte über den Babybauch, als sich das Mädchen neben ihn setzte, „Du bist sicher sehr aufgeregt, nicht? Also ich wäre es!“

„Oh jaaa!“, sie strampelte wild mit den Beinen und quiekte.

Niedlich war sie, aber Lilli fragte sich, ganz von ihrer Behinderung abgesehen, ob sie wirklich schon bereit für ein Kind war.

In Thilia bekamen die Frauen häufig sehr jung ihr erstes Kind, das Durchschnittsalter schätzte die Hausherrin jedoch auf zwischen 16-20 Jahre, ausgerechnet Tai war übermäßig früh an. Und sie war ziemlich kindisch in ihren Augen, wobei sich das mit der Geburt des Kleinen noch ändern konnte. Ändern musste, auch wenn viele Dinge an ihr hängen bleiben würden, letztendlich war immer noch die 14-jährige die Mutter und es gab nun einmal Sachen, die sie ihr nicht abnehmen würde können. Das arme Baby...

„Freut sich der Papa denn auch?“, fragte Imera da weiter und die Jüngere nickte. Wie alle anderen auch versuchte auch der Brünette, aus ihr heraus zu kitzeln, wer sie denn da geschwängert hatte. Und wie alle anderen auch erfolglos.

„Er freut sich sehr.“, erklärte sie, „Er ist etwas überfordert, denke ich, seine Situation ist nicht so ganz einfach und erlaubt ihm an sich noch weniger ein Kind als mir, aber er ist ein Held, er bekommt alles hin. Auch wenn er nicht daran glaubt.“

„Jiro hat auch nicht an sich geglaubt.“, fiel Lilli da ein und seufzte, „Er wäre aber sicher ein guter Vater geworden, Genda hätte es viel leichter gehabt...“

Betretenes Schweigen.

„Ich würde dir sehr gern mit Genda helfen, Lilliann.“, erwiderte der Älteste irgendwann leise, ohne aufzusehen.

„Mach dir ein eigenes Kind.“

Die junge Frau nahm die Suppe vom Herd, Tai nahm wissend die Teller aus dem Schrank.

„Oder kümmere dich um Kura.“
 

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Kura hatte zu tun.

Er hatte nachgedacht, und war zu dem Schluss gekommen, dass es strohdoof war. Und nicht nur das, er war ein hoffnungsloser Fall. Und deshalb musste er auch nicht mehr zur Schule gehen, genau. Er war schließlich schon 8 und so gut wie ein Mann, also ging er jetzt arbeiten.

Auch wenn seine Kollegen ihn etwas perplex betrachteten, als er ankam und mitmachen wollte.

Ein Mann räusperte sich und hielt ihn in seinem Elan auf.

„Hör mal, Junge.“, machte er, „Das ist eine Baustelle, wir bauen hier ein Haus, du kannst hier nicht spielen, das ist gefährlich.“

Das hatte er erwartet. Und wenn man etwas erwartete, konnte man sich auch vorbereiten und das hatte er getan. Lange hatte er sich überlegt, wie er sein Problem mit dem Sprechen umgehen konnte und war letzten Endes der Meinung, dass es keine Ideallösung gab, aber dass eine kleine Notiz es für den Anfang tun würde.
 

So hielt er ihm möglichst cool schauend einen Zettel hin, auf dem, mit reichlich Fehlern, aber lesbar stand, dass er jetzt groß war und dass er jetzt hier arbeiten wollte. Und dass er nicht sprechen wollte. Ehrlich sein musste man schließlich.

Der Mann gluckste und winkte ein paar andere Arbeiter zu sich.

„Schaut euch das mal an!“, machte er und erntete auf Kuras Zettel hin schallendes Gelächter.

Der kleine Junge verschränkte ärgerlich die Arme vor der Brust. Was war denn da bitte so witzig?!

Er wollte arbeiten, er wollte sich nützlich machen! Dann konnte auch keiner mehr sagen, er würde nach Imera kommen, obwohl er doof war...

„Weißt du...“, gackerte der Mann, der ihn aufhalten wollte, als er sich wieder halbwegs beruhigt hatte, „Wir... nehmen hier keinen, der nicht hallo sagen kann, wenn er morgens ankommt.“

Die Anderen grinsten und das Kind errötete. Nein, er ließ sich jetzt nicht abwimmeln! Er war ein Mann!

„... ha-hallo!“, er schnappte nach Luft und eine kalte Schauer rann ihm über den Rücken, als er sich zu dem einfachen Wort durch gerungen hatte. Reden war so schrecklich!

„Beeindruckend!“, lachte ein anderer Typ, „Aber mehr geht auch nicht mehr! Verschwinde, spiele im Sandkasten, du Depp!“

Er war kein Depp, er war ein Mann und wollte arbeiten! Warum gaben die ihm keine Chance?

Er wollte sie anschreien und verprügeln, aber er konnte nicht schreien und jemanden schlagen erst recht nicht.
 

Genau mit diesem Gedanken schlug ihn jemand zu Boden und der Pöbel verstummte.

„Was zum Geier machst du Nichtsnutz hier?!“

Genau das hätte er gerne zurück gefragt, was machte sein Vater hier? Er wagte sich jedoch nicht, sich zu bewegen. Er wagte sich nie, sich zu bewegen, wenn sein Vater da war. Er hielt die Luft nach Möglichkeit sogar an...

„Rohama, das ist deiner?“, fragte einer der Männer und der blonde Mann schnaubte.

„Leider. Was wollte er von euch?“

Der Arbeiter gab ihm den Zettel.

Das war so unfair, er hatte seinen Papa überraschen wollen, weil er sich so toll nützlich machte und jetzt das! Das Pech klebte aber auch an ihm...

Er erschreckte sich, als sein Vormund zu lachen begann und seinen Sohn kurz mit dem Fuß anstupste.

„So. Arbeiten willst du?“, er schnaubte, „Na gut, du wolltest es so. Arbeite dir die Finger wund, du sollst dich nicht mehr in der Schule quälen, armes Kind, für Imera war das so auch besser. Dumm bleibt dumm, da helfen keine Pillen, was?“

Die Männer vom Bau warfen sich verwirrte Blicke zu.

„Rohama, das ist nicht meine Sache, aber... hier kann er nicht bleiben, das ist viel zu gefährlich für das Kind!“

Der Angesprochene wandte sich zum Gehen.

„Zu gefährlich, pah, ist doch nicht mein Problem. Nehmt bloß keine Rücksicht auf den Dummkopf.“

Damit verschwand er wieder und ließ sein Kind im Dreck liegend zurück.
 

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„Entschuldigung?“

Karna öffnete blinzelnd Dafis Zimmertür. Er hatte ein paar Stunden geschlafen und sich danach schon einmal nach einer neuen Arbeit umgesehen, nun hatte er es nicht mehr ausgehalten.

Ausgeschlossen, dass die Magierin ihm Glauben schenken würde. Er hatte die Recherchen nicht sonderlich gut angeordnet und verständlich notiert, vermutlich trug das auch zu seinem Scheitern bei. Vielleicht war das sogar gut, möglicherweise hatte er einfach zu viel hinein interpretiert? Er war immerhin sehr übermüdet gewesen... und so ein Mist, und dafür riskierte er alles!

„Hallo?“

Und da zu sein schien das komische Mädchen auch nicht, dachte er, als er hinein lugte und alles dunkel war. Um so überraschter war er, als er schließlich doch noch eine Stimme vernahm.

„Am Schreibtisch.“

Die Himmelsblüterin war da, saß unbeweglich auf dem Stuhl und starrte ein paar Blätter vor sich an. Ja, sie war wahrlich komisch, warum hockte sie in Finsternis?

„In meinen Augen ist Feuer.“, erriet sie seine Gedanken und wandte sich ihm dann zu. Soweit er erkennen konnte war ihr Gesicht fahl und müde, ähnlich wie seines vor ein paar Stunden. Sie hatte sich also seine Akten angesehen, immerhin. Jetzt war er gespannt.

„Danke.“, war das erste, was ihr einfiel und erhob sich, „Ich muss wohl wirklich einmal mit meiner Cousine reden, du weißt nicht zufällig, wo sie ist?“

Er schüttelte den Kopf. Moment, hieß das, sie glaubte ihm?

Zumindest schien sie ihn ernst zu nehmen, das war beruhigend.

„Wenn Sie mir versprechen, mich nicht zu verraten, dann suche ich sie Ihnen gerne!“

Sie schüttelte den Kopf und rieb sich die Schläfen.

„Keine Sorge, aber ich suche selbst. Danke für das Angebot, ich... bin tatsächlich etwas verwirrt, aber ich bin mir sicher, es handelt sich hier um ein Missverständnis.“

„Das hoffe ich.“, versetzte der Ältere und verbeugte sich einmal tief, „Ich habe zu Danken!“
 

Karnas Recherchen waren beängstigend logisch, das hatte sie dem seltsamen Typen überhaupt nicht zugetraut. Aber vielleicht war es ganz gut so, überlegte sie sich, als sie durch die langen Korridore der Station rannte. Dafür gab es eine Erklärung, ganz sicher, es konnte nicht sein, dass man sie nicht eingeweiht hätte, wenn wirklich so etwas geplant gewesen wäre. Klar, geheim war geheim, aber sie war doch Pinitas Cousine! Das wäre Vertrauensbruch!

Eines stand fest, sie ließ sich sehr, sehr viel gefallen, aber irgendwo hörte es auf. Wenn sie ihr das tatsächlich verschwiegen hatte, dann würde sie zurückschlagen. Irgendwie, und wenn sie Kirima vergiftete.

Nein, das würde sie nicht machen. Nicht, weil sie dazu nicht in der Lage gewesen wäre, wohl eher, weil diese grausame Frau ihr Baby sicherlich nicht liebte, genau.

Aber noch war es zu früh, den Teufel an die Wand zu malen. Erst einmal nachschauen und dann entscheiden.
 

Suchen musste sie nicht lange, als sich eine Tür öffnete und Pinita ihr kurzerhand über den Weg rannte.

„Oh.“, machte die gut gelaunt, „Kirima bei Papa?“

Die Jüngere stoppte überrascht, nickte aber geistesgegenwärtig. Die Blonde wirkte gut gelaunt, keineswegs übermüdet oder aufgeregt, nichts dergleichen. Eben so wie immer.

Aber wenn sie ihr schon so lange Dinge verschwieg, war es klar, dass sie auch jetzt nicht anders schien als sonst...

Nein, nur der Ruhe. Nichts überstürzen.

„Ich muss mich mit dir unterhalten.“, schnappte die Magierin möglichst gefasst und versuchte, in der Mimik ihres Gegenübers auf ihre ernste Aufforderung hin irgendeine Veränderung erkennen zu können. Irgendeine Kleinigkeit. Ein kurzes Zucken, ein überflüssiges Blinzeln.

Nichts.

Sie lächelte bloß.

„Meine Güte, das klingt aber. Na meinetwegen, in meinem Zimmer?“
 

--
 

Imera war kaum zuhause angekommen, da hatte es an der Tür geklopft und im ersten Moment hatte er geglaubt, seine Tante sei wegen ihm gekommen, doch wie er unmittelbar nach ihrem Auftauchen zu seiner Enttäuschung feststellen musste, war das nicht der Fall.

„Wo ist dein Onkel?“, fragte sie ihn erstaunlich kaltherzig, als er sie einließ und er schaute erst einmal eine Weile perplex, was sie nicht so toll fand, „Wo ist er, Imera?!“

„Äh... in der Küche, denke ich, oder in der Werkstatt...“

Sie hastete an ihm vorbei durch das Haus, das ihr eigentlich fremd sein sollte und er keuchte verwirrt.

„Warum?“
 

Sie hatte keine Zeit für ihren Neffen, sie musste sich einmal ganz dringend mit dem Bruder ihres Schwagers unterhalten, wie es schien. Wie konnte er es wagen, sein Kind auf einer Baustelle arbeiten zu lassen?

Sie hatte als Dorfoberhaupt sicherlich besseres zu tun, als sich in die einzelnen Erziehungsmethoden der Dorfbewohner einzumischen, aber was zu weit ging, ging zu weit! Himmel sei Dank, war sie zufällig zuhause gewesen, als der Arbeiter vorbei gekommen war und sie informiert hatte, hätte sie es erst am Abend erfahren, hätte sie den Mann schlecht belästigen können und dann wäre sie vor Wut sicher geplatzt. In den Händen der Kinder lag die Zukunft des Dorfes, sie sollten spielen und sich vergnügen, bis sie einmal in dem Alter waren, wo es Zeit wurde, sich anderen Dingen zu widmen. Aber ein 8-jähriger auf einer Baustelle? Wo waren sie denn?!

„Rohama Timaro!“, fauchte sie so durch das Haus und rannte nebenbei Kahana mit einem Wäschekorb um, was sie sichtlich wenig scherte, obwohl die jüngere Frau unsanft auf dem Hintern und das Geflecht mitsamt Inhalt auf ihrem Kopf landete.

„Tante?“, machte Imera perplex und sprach damit Kuras Mutter an, die blöd auf dem Boden hockte, als er versuchte, Chatgaia zu verfolgen, um zu erfahren, was sie für ein Problem hatte.

„Was für ein graziöses und elegantes Dorfoberhaupt wir doch haben.“, wunderte die sich auf dem Boden ironisch und der Junge zuckte mit der Schulter und hetzte der Himmelsblüterin nach, die durch die leere Küche in Richtung Werkstatt rannte.

„Rohama!“, fauchte sie wieder, als sie die Tür öffnete und der blonde Mann versägte sich vor lauter Schreck doch glatt und ruinierte so einen Stuhl, was ihn empörte.

„Also echt!“, schimpfte er, „Da gibt man sich so eine Mühe...“

Ja, er war ein ganz großartiger Schreiner, das war wahr, aber er war ein absolut abartiger Mensch! Neben seinem Bruder hatte er immer so harmlos gewirkt, jetzt, wo der tot war, kam erst heraus, wer dieser Idiot wirklich war. Oder eher, wie.

„Was geht in dir vor, dass du deinen kleinen Jungen irgendwelchen Bauarbeitern überlässt?!“

Sie war gerade nicht in der Stimmung, lange um den heißen Brei herum zu reden, außerdem hatte sie noch genügend zu tun. Davon abgesehen hatte sie Choraly noch etwas versprochen.

Der Mann wischte sich unbeeindruckt den Schweiß von der Stirn.

„Und was geht in dir vor, dass du mich dazu bringst, Imeras Stuhl zu ruinieren?“

Eben dieser kam gerade entsetzt in der Werkstatt an und sah zu seinem Onkel, dann zu seiner Tante und zum Schluss zu dem zersägten Möbelstück.

„Oh Himmel!“, schrie er darauf, „Mein Baby!“

Die Frau blinzelte auf die seltsame Reaktion etwas überrumpelt und zeigte dann auf den Blonden.

„Warum arbeitest du an einem Stuhl von Imera?“

„Letzter Feinschliff.“, war die Antwort und der Junge rannte den Tränen nahe zu seinem zerstörten Werk.

„Ihr habt mein Kind getötet, ihr Asozialen!“

„Übertreibe mal nicht...“

Der Mann trat etwas befremdet von seinem Neffen, der den kaputten Stuhl umarmte zurück und das Dorfoberhaupt seufzte.

„Tut mir sehr Leid, ich werde dich dafür entsprechend entschädigen, ja?“

Er sah auf und grinste sie doof an.

„Das will ich aber auch hoffen!“

Sie überhörten das gegrummelte „Widerlich...“ von Rohama gekonnt. Wobei er Recht hatte, dafür hatten sie später genügend Zeit, dachte sich Chatgaia und wandte sich wieder an den Hausherren. Sie war schließlich nicht ohne Grund hier und hatte noch etwas zu klären.

„Um mal wieder auf den eigentlichen Grund meines Erscheinens zurückzukommen...“, begann sie und räusperte sich, „Wie kannst du zulassen, dass Kura arbeiten geht? Mit 8!“

„Was ist?“, schreckte Imera auf und sein Onkel zischte.

„Mach, dass du weg kommst, du Spinner! Schmuse später mit deinem hässlichen Stuhl!“

Auf die aggressive Ansage hin verzog sich der Jüngere sichtlich verwirrt. Kura ging arbeiten? Was?!
 

„Er hat es selber so gewollt!“, schnappte der Schreiner von Thilia sichtlich empört über Chatgaias Besuch und verschränkte die Arme vor der Brust, „Ich hab ihn nicht gezwungen, ich hab es ihm einfach nur erlaubt. Weißt du, er ist nun einmal sehr dumm, er kommt in der Schule einfach nicht zurecht, genau so wie auch Imera. Je früher er sich also etwas sinnvollem widmet, desto besser. Ich bin fast schon stolz auf ihn, dass er so entschieden hat!“

Stolz, ja klar. Wenn er arbeitete war er ihn nur länger los, dieser Mistkerl.

„Hast du dir deinen Sohn vielleicht schon einmal angesehen?“, fragte sie gezwungen gefasst und strich sich eine Strähne zurecht.

Kura war seinem Alter entsprechend noch ziemlich klein, absolut nicht geeignet für irgendwelche körperlichen Arbeiten, das musste der Kerl doch einsehen. Und er verstand auch, worauf sie hinaus wollte und zischte.

„Ich habe ihm nicht empfohlen, ausgerechnet auf einer Baustelle nach Arbeit zu fragen, wenn das sein Traumberuf ist, lass ihn doch versuchen.“

„Aber es ist gefährlich!“, widersprach die Frau, „Auf dem Bau geschehen Unfälle, Dinge, die Erwachsene verletzen sind für Kura vielleicht tödlich!“

Rohamas Reaktion ließ sie, die sie eine wahrlich kaltherzige Frau sein konnte, erschaudern. Dabei war es bloß ein einfaches Schulterzucken.

Aber das war es ja gerade, was so schrecklich war.

Sie ballte ihre Hände zitternd zu Fäusten und der Gastgeber lehnte sich unbeeindruckt an seinen Arbeitstisch, der darauf nervig quietschte.

„Kommt noch was?“, fragte er spöttisch und die Frau verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen.

Sie funkelte ihn mit einem Hass an, mit dem sie vor einigen Jahren bloß Alhata angesehen hatte und der Jüngere fragte sich einen Moment, ob er stolz darauf sein sollte, das Dorfoberhaupt so aus der Fassung bringen zu können. Wobei ohnehin allgemein bekannt war, dass sie was das Thema Kinder anging so wie so etwas sensibel war. Geschah ihr Recht, der Hexe.

„Für ein Kind wie Kura würde ich mir die Haare raspelkurz schneiden, du undankbarer Bastard.“, zischte sie, und wandte sich von ihm ab, „Denke nicht, ich würde dein Verhalten so einfach dulden, ich werde entsprechend reagieren.“

Er lachte.

„Dein Wort in den Ohren der Götter!“

Von einem Weib ließ er sich sicher nicht einschüchtern, wo käme er denn da hin? Lächerlich!

„Deines auch, Rohama.“, erwiderte sie nur und ging.
 

--
 

„Du bist nervös.“

Pinita saß ruhig auf ihrem kleinen Sessel und aß einen Keks, während sie ihr Gegenüber musterte. Sie schien keine Ahnung zu haben, dachte sich Dafi, die mit angezogenen Knien auf dem Sofa hockte und sich nicht traute, aufzusehen.

„Komm bitte rasch auf den Punkt, ich habe noch viel zu tun.“

Das war wahr, wenn Karnas Recherchen stimmten. So entschied sich die Jüngere, sie direkt zu fragen.

„Belügst du mich?“

Die Blonde schien tatsächlich überrascht. Zumindest fiel ihr der Keks wieder aus dem Mund und sie verschluckte sich.

„Dich belügen? Ich?! Warum sollte ich das tun?“

Vielleicht irrte sie sich ja wirklich? Ach, was sollte es, jetzt wo sie hier war, musste sie es auch durchziehen, falls Karna ihr da Müll gezeigt hatte, würde sie sicher Verständnis für ihre Besorgnis haben. Oder sie würde sie auslachen. Oder beides.

Alles besser als das, was sie da vermutete, mit Spott konnte sie leben.

War sie gewöhnt, sie verspottete sich jeden Morgen selbst, wenn sie in den Spiegel sah.

„Ich will wissen, ob du mir etwas verheimlichst. Über unser Projekt, von dem ich in den letzten Jahren wenig zu hören bekommen habe.“

Sie errötete. Eigentlich waren die letzten wirklichen Informationen darüber von ihrem Vater gekommen und den hatte sie ja schon lange nicht mehr. Oder immerhin vier Jahre. Wie auch immer, seit sie hier richtig aktiv mitwirkte hatte sie sich immer nur mit oberflächlichen Dingen beschäftigt. Dabei war sie eigentlich zu viel mehr bestimmt gewesen...

„Ich verheimliche dir nichts, was du wissen müsstest.“, antwortete Pinita da und ihr Blick verhärtete sich etwas, als sie die Keksreste vom Boden aufsammelte und sich unhygienischer Weise in den Rachen kippte.

Diese Antwort klang eindeutig zweideutig.

„Ansichtssache.“, schnappte die Magiern so säuerlich, „Ein Vögelchen hat mir interessante Dinge zugezwitschert, falls es ein ehrliches Tierchen war, hast du mir sehr wohl etwas verheimlicht, was mich doch sehr interessiert.“

Sie sahen sich einen Moment lang wortlos an. Und je mehr Sekunden vergingen, desto sicherer wurde sich Dafi Karnas Ehrlichkeit, denn so kannte sie ihre Cousine nicht. Wäre nichts faul, würde sie nun scherzen und lachen, aber das war ihr ernst.

Und das fand das Mädchen überhaupt nicht gut.
 

„Was willst du?!“, zischte die Ältere da und verengte die Augen zu schmalen Schlitzen, „Was willst du von mir hören? Dass ich dich erbärmliches Kind nicht in alles eingeweiht habe, wie du es dir gewünscht hättest? Ja, das ist wahr. Ich habe dir nicht alles gesagt. Aber wenn du auch nur eine Sekunde nachdenkst, wirst du verstehen, dass ich jemandem wie dir niemals von einem Projekt, dessen Geheimhaltung von solcher Priorität ist und dessen Gelingen mir so am Herzen liegt, erzählen könnte.“

Die Jüngere sprang auf und warf dabei den kleinen Sofa-Tisch mit den Keksen um, die daraufhin krümelig auf dem Boden landeten.

„Also doch!“, fauchte sie, „Wie konntest du nur?! Warum misstraust du mir, habe ich dich etwa jemals in deinem Leben verraten? Oder enttäuscht? Habe ich nicht alles für dein Glück gegeben, Pinita?! Einmal ganz von der Geschmacklosigkeit deines tollen Projektes abgesehen ist das die bodenloseste Frechheit, die ich mir jemals in meinem Leben habe bieten lassen müssen!“

Sie war zunächst in erster Linie verletzt. So viel hatte sie für ihre Cousine getan, so viel für sie gegeben und die war noch nicht einmal ehrlich zu ihr, das war so diskriminierend!

Und dann kam da dieser Schock, diese grausame Gewissheit, dass sie unwissend jahrelang an einem einzigen Verbrechen mitgewirkt hatte. Sie wollte das nicht!

Ehe sie noch etwas hätte sagen können, hatte sich auch die Ältere erhoben und sie unsanft am Kragen gepackt.

„Nun hör mal zu, du widerliches Ding, sei mir nicht böse, aber ich traue dir nicht zu, dass du bei all deinen Freunden, die du in diesem primitiven Kaff hast, dein Maul anständig hättest halten können, oder? Du bist und bleibst ein Verräter, ich erinnere mich da mit Unmut an die Aktion mit dem Funkgerät zurück...“

Die Kleinere zappelte. Was sollte das? Verstand sie sie denn nicht? Hatte sie gar kein Herz?!

„Und was willst du jetzt machen?!“, fragte sie gequält, „Willst du die Weltherrschaft an dich reißen wie die Bösen in den Kinder-Illustrierten?“

Das hatte sie ihr niemals zugetraut, sie war so enttäuscht.

Immerhin ließ die Ältere sie jetzt wieder los, aber vor lauter Verzweiflung und Trauer konnte sie sich nicht auf den Beinen halten und sank vor der Blonden auf den Boden.

„Rede keinen Unsinn in einer solchen Situation!“, forderte die höhnisch lächelnd, „Ich will meinem Kontinent bloß zu der Macht und der Ehre verhelfen, die er nie hatte, die er aber verdient, dummes Kind. Entweder du stehst mir jetzt bei oder du hältst dein dummes Maul und verkriechst dich in dein Zimmer.“

Sie wandte Dafi den Rücken zu und schritt zur Tür.

„Ich habe jetzt eine Besprechung, auf die freue ich mich schon den ganzen Tag. Wir haben ganz bezaubernde Schusswaffen entwickelt und nun verhandeln wir darüber, wo wir sie testen wollen. Rate mal, welches wunderschöne Ziel im Gespräch ist...“
 


 


 

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Boah, das kann sich jetzt keiner denken... XDD

Geständnis

Dafi hastete geschockt aus der Station. Frische Luft, das war alles, was sie im Moment brauchte, auch wenn die Wüstensonne eher den Effekt eines Nudelholzes auf dem Kopf hatte. Aber alles war besser als sich jetzt in ihrem stickigem Zimmer zu verschanzen.

Pinita hatte da doch nicht etwa auf Thilia angespielt? War das nicht unlogisch, wo doch ihr Freund und ihre Tochter da waren?

Oder am Ende gerade deshalb wahrscheinlich?! Wollte sie sie vielleicht los werden? Wer wusste es schon, bei dieser Intrigantin war sich die kleine Magierin bei nichts mehr sicher.

Es war so ernüchternd, wenn sie bedachte, dass sie ihr komplettes Leben für so einen Menschen weggeworfen hatte. Einfach so aus blinder Liebe. Dabei hätte es ihr damals doch komisch vorkommen müssen, als sie sie so unmittelbar nach dem Tod ihrer Familien, noch im Angesicht der Flammen um diese furchtbare Sache gebeten hatte. Und sie hatte einfach so zugestimmt... verdammt, wie hatte sie so dämlich sein können?!
 

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In Thilia ahnte man im Moment noch nichts von Dafis Sorgen. Was natürlich nicht hieß, dass alle gut gelaunt, durch die Gegend hüpften.

Nein, Choraly zum Beispiel ging es ziemlich schlecht, als sie am Küchentisch saß und ein mit Blut gefülltes Glas anstarrte. Genauer, ein mit ihrem Blut gefülltes Glas, Chatgaia hatte es ihr auf ihre Bitte hin abgenommen.

„Und was passiert jetzt?“, fragte sie beunruhigt und das Dorfoberhaupt setzte sich zu ihr und schenkte beiden jeweils eine Tasse Tee ein.

Chatgaia seufzte leicht und hob das Glas an, um es gegen das Licht zu halten.

Sie war aufgeregt, aber das zeigte sie der Freundin ihres Neffen im Moment lieber nicht, wo die schon nervös für zwei war.

Im Laufe der letzten Monate hatte sich das Stadtmädchen tatsächlich verändert, sie hatte ihren Charakter zwar behalten, aber hatte sich angepasst und präsentierte sich dem Dorfoberhaupt immer wieder, meist sogar ungewollt, in gutem Licht. Und mehr verlangte dieses mittlerweile auch nicht mehr. Ja, sie hatte die Kleine fast schon ein wenig lieb gewonnen. Vor allen Dingen, sie machte Mayora sehr glücklich. Und vielleicht bald auch sie.

Ihr Blut würde es verraten.

„Wenn sich nichts tut, war es falscher Alarm, wenn es dunkler wird, bekommst du ein Baby, ganz einfach. Meine Großmutter hat dieses Verfahren erfunden, sie war eine wahrlich weise Frau.“

Sicherlich, aber das war dem Mädchen jetzt recht egal.

In den letzten Wochen war ihr ständig übel gewesen, sie hatte sich komisch gefühlt und ihre Regel war mehrmals ausgeblieben, Himmel, dabei konnte sie doch noch nicht einmal für einen Hund sorgen! Sie wollte zu Atti...

„Ich fürchte mich!“, gab sie weinerlich zu und vergrub die Hände im Gesicht. Die Ältere stellte das Glas wieder ab und hob eine Braue.

„Nun weine doch nicht schon im Voraus.“, machte sie erstaunlich mütterlich und schob ihr die für sie gedachte Teetasse auffordernd etwas näher.

Sie verstand sie und verstand sie auch nicht. Ja, sie konnte sich gut vorstellen, dass ein solch verwöhntes Mädchen wie Choraly sich vor einer solchen Verantwortung fürchtete, das war sicher nicht besonders leicht. Zumindest würde ihr Charakter es schwerer haben als Lilli, wobei sie zum Ausgleich einen Mann an ihrer Seite hatte. Und Mayora würde ein guter Vater sein, das wusste sie einfach. Jetzt galt es bloß noch, wenn es denn wirklich so war, wie es schien, ihr klar zu machen, welch ein Glück ein Kind bedeutete. Natürlich auch viel Stress und Sorgen, aber in erster Linie machte so ein kleines Baby Freude. So war es der Magierin zumindest selbst gegangen. Genauer genommen bloß bei Taranii, ihre Tochter war zu schnell tot gewesen, als dass sie sie hätte glücklich machen können, ihr ganzes Leben hatte quasi aus sterben bestanden...

„Ich habe aber solche Angst!“, schluchzte die Jüngere da und sah sie aus geröteten Augen wieder an, „Ich komme nicht von hier, ich bin zu jung für ein Kind! Ich kann das nicht, ich komme ja noch nicht einmal alleine klar, ich brauche immer Hilfe! Und ich habe Angst vor der Geburt, hier gibt es ja noch nicht einmal Krankenhäuser und richtige Ärzte, nichts für Ungut...“

Ansichtssache, nach der Meinung des Dorfoberhauptes, das jetzt genüsslich selbst Tee trank. Vielleicht lag ihre Heulerei zu einem gewissen Teil auch einfach an den Stimmungsschwankungen, die so eine Schwangerschaft gelegentlich mit sich brachte? An sich hatte sich die Kleine doch sonst verhältnismäßig gut unter Kontrolle...

„Du bist nicht zu jung für ein Kind.“, versuchte sie ihr dennoch Mut zu machen und legte tatsächlich einen Arm um sie. Dabei war sie doch eigentlich so distanziert...

„Niemand verlangt von dir, dass du das alles allein schaffst. Mayora ist da. Ich bin da. Deine Freunde sind da. Wir helfen dir doch und...“, sie schielte zum Glas, „Freue dich jetzt lieber, ich freue mich!“

Statt sich zu freuen begann das Mädchen nur herzergreifend weiter zu weinen.

„Ich hab solche Angst!“, jammerte sie immer zu und die Ältere zog sie dichter zu sich heran. Ja, hatte sie. Aber es würde in Ordnung gehen, das spürte sie, die Kleine war bloß geschockt. Sie hatte ein gutes Herz, das hatten ihr die Götter des Feuers oft genug zugeflüstert, wenn sie wieder einmal wütend auf sie gewesen war, was besonders zu Beginn ihres Aufenthaltes in ihrem Haus sehr häufig vorgekommen war. Jetzt eher selten und dann nie lange. Und nun hatte sie sie mit einem Mal noch lieber gewonnen, sie schenkte ihrem Neffen ein Kind!

„Und wie soll ich das... wie soll ich...“, sie schluckte schwer und sah zitternd in das Gesicht der Grünhaarigen, „Wie soll ich das denn Mayorachen sagen?“

Die Frau lachte. Das war das Leichteste!
 

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Dafi hatte den Entschluss gefasst, eine Verräterin zu werden. Theoretisch konnte man sie dafür töten, man musste sie dafür erst einmal in die Finger bekommen und so leicht würde sie sich nicht fangen lassen.

Ihr Grundsatz galt noch immer; ihre Freunde waren wichtiger als ihre Arbeit. Und so würde es auch bleiben.

So ging sie nun, nachdem sie sich vom ersten Schock erholt hatte, nach Thilia. Ursprünglich wollte sie direkt zu Chatgaia, entschloss sich dann jedoch sich zuerst irgendwo ausheulen und da ihr Haus ohnehin auf dem Weg lag, kamen ihr Lilliann und Tainini ganz Recht.

Letztere war wirklich kugelrund, als sie die Tür öffnete und sie mit einem fragenden „Hallo?“ begrüßte. Sie sah unheimlich hübsch aus, die Schwangerschaft stand ihr ungemein. Fast schon schade, dass es jetzt bald schon vorbei war.

„Ich bin es, Dafi, hallo!“

Und damit wurde sie ausgiebig geknuddelt, was ihr bei dem Schmerz, den ihre Cousine ihr bereitet hatte, plötzlich unheimlich gut tat...
 

Und den gewünschten Trost fand sie bei ihren Gastgeberinnen schließlich auch, als sie ihnen alles erzählt hatte und diese sie erbleichend musterten, sofern sie es konnten.

„Wie furchtbar!“

Tai, als kleines Sensibelchen, schluchzte. Lilli seufzte auch. Sie war gerade dabei, den kleinen Genda zu stillen, der mittlerweile immerhin wieder völlig gesund war. So lag er als einziger gut gelaunt in Mamas Arm und trank genüsslich, ab und an schielte er auch zu ihrem Gast, aber seine Hauptaufmerksamkeit lag bei seiner Mutter. Wobei von ihm auch niemand Anteilname erwartete.
 

„Wein doch nicht gleich, so schlimm ist es nun auch wieder nicht.“

Die Magierin kratzte sich aufgesetzt lächelnd am Kopf. Sie hatte sich doch die Seele leicht reden wollen und nicht ihre Freundin derart bekümmern, das ging doch nicht.

„Und was machst du jetzt?“, erkundigte sich Lilli jedoch ebenfalls besorgt und ihr Gegenüber senkte den Blick.

„Ich dachte daran, Chatgaia zu warnen, ich meine, wenn ich mich nicht sehr irre, könnte das Dorf in großer Gefahr sein...“

Sie war immerhin das Dorfoberhaupt und eine sehr mächtige Magierin des Feuers. Wie Dafi, eigentlich.

Ja, eigentlich war sie auch eine Magierin, eigentlich sprachen auch die Götter zu ihr, aber sie hasste das Feuer. Die Flammen hatten ihr die Familie gestohlen. Sie verabscheute sie dafür und versuchte, ihre Ohren für die sanften Stimmen zu verschließen, dabei konnte sie der Versuchung, den lieben, Mut machenden Worten zu lauschen, nicht immer widerstehen. Und dafür schämte sie sich ziemlich, aber das war eine andere Geschichte...

Ihr Gegenüber riss sie aus ihren Gedanken.

„Und was soll die machen?“

„Wie, was soll die machen?“, wunderte sich Tai und Dafi sah wieder auf, als die Gastgeberin sie ernst musterte und ihr Baby von der Brust nahm, um es so zu legen, dass sie ihm behilflich auf den Rücken klopfen konnte. Musste ja sein...

„Nun ja, Chatgaia ist zwar unsere Chefin, eine Magierin ohne gleichen und eine weise und meiner Meinung nach etwas pervers angehauchte Frau... aber was soll sie tun?“, sie rückte Genda zurecht und ihr Gast hob verwirrt beide Brauen, „Wenn die Thilia wollen, geht es ihnen um... lebende Ziele, um es dezent auszudrücken. Evakuiert werden können wir nur nach Morika und dann kommen sie meinem halbwegs logischen Denken nach eben einfach dahin, oder? Und was gibt es sonst? Die Himmelsblüter sind nicht mehr das, was sie einmal waren, die kommen doch nicht gegen Schusswaffen oder so etwas an!“

Betretenes Schweigen. Ja, selig waren die, die weiter als bis zum Mittagessen denken konnten. Himmel sei Dank war sie nicht sofort zum Dorfoberhaupt gerannt, am Ende hätte sie sich noch blamiert... wobei sie das ja ohnehin jeden Tag tat.

Sie lehnte sich seufzend im Stuhl zurück und schloss die Augen. Sie fühlte sich einfach nur mies und leer, alles war unwirklich. Sie vermisste ihre Cousine, obwohl sie sie auch hasste. Es war seltsam...
 

Ein Klopfen an der Haustüre riss die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich und ließ die Gastgeberin seufzen, als sie ihren Sohn seiner runden Tante übergab und in den Flur zum Öffnen eilte.

„Was hat sie?“, machte Dafi und setzte sich wieder anständig hin, damit sie ihr nachsehen konnte. Tainini lachte leise und wiegte ihren kleinen Neffen sanft hin und her.

„Das ist Imera.“, antwortete sie, „Er kommt jeden und jeden Tag und sie ist von seiner und ihrer Verliebtheit reichlich genervt.“

Ihrer Verliebtheit?

„Ach, sie ist auch...?“, weiter kam sie nicht, da betrat die Gastgeberin, tatsächlich gefolgt von dem brünetten jungen Mann, den Raum.

„Hi!“, machte der gut gelaunt und kam sich reichlich bescheuert vor, als ihm niemand antwortete, „Na gut, dann setze ich mich halt und schau euch beim Schweigen zu, mir Wurst.“

Er tat, was er ankündigte und Lilli wandte sich wieder an Dafi.

„Die wissen aber noch nicht, dass du sie verraten hast, nicht? Dann kannst du dich doch theoretisch noch frei in der Station bewegen, oder?“

Ja, das war wahr. Sie nickte.

Ihr Gegenüber nahm die Teekanne und schenkte sich noch ein, trank jedoch nicht selbst, sondern schob ihre benutzte Tasse über den alten Tisch zu Imera, der sie kommentarlos annahm und trank, obwohl zu erkennen gewesen war, dass sie das Geschirr zuvor benutzt hatte. Auf den perplexen Blick der Magierin hin lächelte der Ältere nur errötend.

„Nun gut.“, sprach die junge Mutter da weiter, „Soweit ich weiß hat der Kontinent, von dem unsere liebe Choraly stammt, die meiste Macht auf unserem kleinen Planeten. Du könntest doch heimlich versuchen, dahin zu funken? Dann könnten die uns helfen und die Prinzessin könnte wieder nach Hause, wäre doch ideal.“

Imera trank sein ohnehin erkaltetes Getränk aus und mischte sich dann verwirrt ein.

„Lilli, Liebes, Moment mal! Ich habe zwar keinerlei Ahnung, wovon ihr hier redet, aber... Noboka anfunken? Hackts?! Die würden uns umbringen! Mal ganz davon ab, dass mir diese Anfunk-Pläne etwas suspekt sind, ich denke, wir wissen alle, was beim letzten Mal passiert ist...“

Er sprach lieber nicht weiter, als Tai geschockt die Luft einzog und den kleinen Genda etwas dichter an sich drückte. Sie hatte ihn ziemlich lieb. Ob das Dorfoberhaupt ihren Neffen auch so lieb hatte?

„Wir sind nicht alle Himmelsblüter!“, widersprach die Jüngere da und sah ihn empört an. Wie konnte er es wagen, ihre Worte in Frage zu stellen, der Mistkerl?! Immerhin schaute er schuldbewusst. Oder blöd. Oder beides.

„Klar, es besteht ein gewisses... großes... Risiko... aber! Das große Aber, überlegt mal, was mit uns passiert, wenn diese Deppen, und danach sieht es momentan ziemlich aus, uns tatsächlich mit irgendwelchen gruseligen Wunderwaffen beballern?! Und dieses Mal, mein liebster Imera...“, ihre Tonlage klang nicht wirklich liebenswürdig, als sie ihn finster anvisierte, „Werden wir Chatgaia oder Mayora um ihr Einverständnis bitten, es geht schließlich um das Wohl des Dorfes. Wenn die uns ihr okay geben, denke ich nicht, dass jemand zu Schaden kommt.“

„Und wenn nicht...?“, fragte die von Lillianns Initiative überwältigte Dafi und ihre Gegenüber senkte den Blick.

„Dann wird es etwas komplizierter...“

„Soll ich mal meinen Bruder oder meine Tante hier her zitieren?“, lenkte Imera die Aufmerksamkeit wieder auf sich, „Ich meine, ich weiß immer noch nicht, wovon ihr hier richtig redet, ich kann das nicht weiter geben, mal ganz davon ab, dass ich die Hälfte bereits wieder vergessen habe und von dir als Mutter eines kleinen Kindes wird wohl keiner verlangen, dass du quer durch das Dorf rennst...“

Die Jüngere nickte, ehe sie sich erhob und begann, den Tisch abzuräumen. Es war altes Geschirr, dass Jiros Mutter irgendwann einmal besorgt hatte, als sie noch Kinder gewesen waren. Sie wusste nicht, warum sie plötzlich daran denken musste, wie sie zum ersten Mal aus einer solchen Tasse getrunken hatte. Damals hatte sie auch den Tisch abgeräumt. Aber das war jetzt nebensächlich.

„Ich hasse Mayora...“, fiel ihr plötzlich ein und ihr Verehrer erhob sich.

„Soll ich ihn trotzdem herbringen, wenn Chatgaia nicht da ist?“

Sie nickte. Für Dafi und das Dorf.
 

--
 

„Moment mal, du... du kannst ihn mir jetzt nicht wegnehmen, ich muss ihm doch etwas wichtiges sagen!“

Wegnehmen hielt Imera für übertrieben ausgedrückt, als er eine halbe Stunde später in der Küche seiner... Tante stand und seinen kleinen Bruder gerade gebeten hatte, ihn zu Lilli zu begleiten, was Prinzessin Choraly scheinbar nicht so besonders gefiel. So zeterte sie ihn auf die einfache Bitte hin schon circa fünf Minuten lang an, ohne ihren Freund auch nur ein einziges Mal zu Wort kommen zu lassen. Dabei hätte er eigentlich gleich lieber das Dorfoberhaupt persönlich mitgenommen, aber das war ja leider außer Hause. War er an sich bedauerlicherweise ja gewohnt...

„Wenn ich mich kurz einmischen dürfte...“

„Du bist still!“

Das brünette Mädchen riss ihn aus seinen Gedanken, als es seine Arme entnervt vor der Brust verschränkte. Apropos Brust, war er jetzt ganz blöd oder waren ihre Brüste fülliger geworden? Na ja, musste ihn nicht scheren, er hatte ja eh nichts davon...

„Konnten Lilli oder Dafi nicht schnell hier her kommen und das klären? Warum soll er zu ihnen, am Ende haben sie sich noch gegen ihn verschworen und wollen ihn umbringen oder so!“

Die Zwillinge warfen sich einen gleichermaßen doofen, wie auch verwirrten Blick zu, als sie ohne Vorwarnung zu weinen begann.

„Ich dachte, ihr seid Freunde, warum verdächtigst du sie dann so schlimm?“, wagte der Grünhaarige den Mund aufzutun und sein Bruder fuhr sich entnervt durchs Haar.

Irgendetwas war hier falsch, oder kam ihm das nur so vor? Er kannte die Prinzessin doch, seit wann war sie so krankhaft besorgt? Und ließ etwas über Lilli oder Dafi kommen? Moment, war das überhaupt Choraly?!

„Aber Lilliann hasst dich, Mayorachen, sie haut dir bestimmt die Pfanne auf den Kopf, sobald du ihr Haus betrittst!“

Sie flennte herzerweichend und ihr Freund nahm sie verwirrt in den Arm und drückte sie zärtlich an sich.

„Aber Süße...“

„Nicht doch!“, empörte sich auch Imera und schnaubte etwas beleidigt darüber, dass sie seiner Liebsten solche Schandtaten zutraute, „Es geht um Leben und Tod, um das Schicksal dieses Dorfes, ja, vielleicht... wenn man es genau nimmt sogar um das Schicksal dieser Welt...!“

Der Junge schauderte, als ihm mit einem Mal das Ausmaß der Katastrophe bewusst wurde. Thilias Zerstörung wäre sicherlich bloß ein harmloser Anfang. Er dachte an die vielen Menschen in großen Städten wie Wakawariwa und Fides, wenn man es genau nahm hing in diesem Moment möglicherweise ausgerechnet von ihm deren Schicksal ab. Wie gruselig...

Choraly scherte das wenig, sie heulte hemmungslos weiter.

„Mir geht es nicht gut, verstehst du das nicht, du Rüpel?! Ich will jetzt nicht alleine hier sein!“

Sie drückte sich erzitternd an Mayoras Brust und der zuckte bloß mit den Schultern, als er sich einen perplexen Blick von seinem Bruder fing.

Der seufzte darauf.

„Lilli hat ein kleines Baby und Dafi geht es im Moment nicht gut, es wäre schon toll, wenn Missgeburt mitkommen könnte!“

Man hatte ihn, ehe er losgegangen war, noch einmal in alles eingewiehen, von daher war ihm auch klar, wie wichtig das jetzt war und da durfte er sich von einer flennenden Göre nicht ewig aufhalten lassen, bei seiner Liebsten wartete man schließlich ungeduldig.

„Ich will aber, das er hier bleibt, du Arschloch, geh und stirb!“

Und etwas Stolz hatte er dann auch. Chatgaia hatte ihm einmal gesagt, wenn er etwas stolzer war, würde man ihn auch ernster nehmen, das musste er mal testen. Ganz davon ab, dass er tatsächlich etwas genervt von ihrem zickigen Gehabe war und etwas impulsiver reagierte, als eigentlich geplant.

So riss er seinen Bruder grob am Arm zu sich, dass er gezwungen war, seine unglückliche Freundin los zu lassen und diese schrie empört auf. Dass das nicht so viel mit Stolz zu tun hatte, scherte ihn nicht sonderlich...

„Hallo?!“, fuhr auch der Grünhaarige ihn an und versuchte, ihn abzuwimmeln, was sich leider als schwieriger erwies, als gedacht, weil der Depp irgendwie ziemlich stark war. Nun gut, körperlich war er ihm schon immer überlegen gewesen.

„Seid ihr beiden echt so hohl?! Wie oft komme ich denn bitte an und sage, es geht um Leben und Tod, dass ihr mich nicht ernst nehmt? Es ist wichtig, verdammt!“

Der Jüngere zappelte weiter.

„Ist mir so hoch wie breit, es muss warten, ich kümmere mich jetzt zuerst um meine Freundin... und verdammt, fasse mich nicht an!“

Statt los zu lassen, hielt er ihn nur noch fester. Warum konnte er nicht einfach ja sagen und ihm folgen? War das denn SO viel verlangt?! Also bei Choraly war doch wirklich eine Sicherung durchgebrannt...

Langsam wurde er echt sauer.

„Oh, musst du weinen?!“, blaffte der Junge seinen Zwilling deshalb an und zog ihn ein Stück Richtung Tür, „Früher hast du doch immer so gern kuscheln wollen!“

Mayora errötete.

„Ja, kuscheln, aber doch nicht Arm ausreißen lassen, du Spast!“

Er schaffte es mit einem Ruck, sich zu befreien, landete aber unsanft auf dem Hintern und ehe er sich wieder hätte erheben können, hatte der Ältere ihn wieder gefasst und hob ihn mit einiger Bemühung zu seiner Empörung einfach hoch wie ein kleines Kind und warf ihn sich über die Schulter. Das Mädchen hörte perplex auf zu weinen.

„Boah, bist du sauschwer geworden, dir geht’s wohl zu gut?!“

Der Brünette schwankte etwas hin und her, der Magier war zu geschockt, um irgendeine Regung von sich zu geben. Das glich ja annähernd einer Entführung, aber zur Not eben mit Gewalt, ihm sollte es Recht sein. Auch wenn er körperlich leider wirklich nicht der Stärkste war, das würde nicht so ganz leicht werden, aber was sein musste, musste sein und so drehte er sich wieder gut gelaunt um und trampelte zur Haustüre, Choraly rannte ihm blöd schauend nach.

Erst als er die Klinke schon in der Hand hatte, begann Mayora herum zu zappeln.

„Bist du noch ganz beisammen?! Lass mich runter oder ich zieh dir das leere Hirn aus der Nase, du Wichser!“

Er zappelte und sein Bruder hatte einige Mühe, ihn festzuhalten. Vom Lachen hielt es ihn jedoch nicht ab.

„Bist du aber schnell!“, lobte er ihn ironisch und knuddelte seine Beine aus Spaß an der Freude, „Wenn du artig mitkommst, darfst du auch selbst gehen!“

Er schenkte dem erbleichten Mädchen neben sich einen amüsierten Blick. Jetzt war sie gänzlich außer Fassung...

„Die Prinzessin darf auch mitkommen, okay? Ich denke nicht, dass da einer ein Problem mit hat.“

Da hätte er auch schon früher drauf kommen können, aber gut, besser spät als nie. Choraly nickte sprachlos und ihr Freund seufzte und begann genervt, Imeras Hintern zu versohlen, worauf der empört schnaubte.

„Geht es noch? Hör auf, du schwuler Pseudo-Sadist!“

„Dann lass mich endlich runter! Ich komm ja mit, aber erst muss ich mich übergeben, glaube ich...“

Der Himmelsblüter hatte wirklich eine bedenkliche Gesichtsfarbe angenommen, Kopf-über hängen bekam ihm wohl nicht so... Heute Abend hatte er sicher wieder Fieber, ganz toll.

„Artiges Hündchen!“

Der Ältere war sichtlich zufrieden mit sich, als er den Grünhaarigen losließ und der unsanft den Boden grüßen durfte. Ja, er war schon gut, das hatte er fein gemacht.

So wartete er auch geduldig, bis sein kleiner Zwilling wieder etwas kränklich aus dem Badezimmer gestolpert kam und beschwerte sich auch nicht, als Choraly ohne ersichtlichen Grund plötzlich wieder anfing, zu heulen.
 

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Lilliann war etwas genervt, weil es so lange gedauert hatte, begrüßte aber das aus unerfindlichen Gründen völlig aufgelöste Stadtmädchen mit einer liebevollen Umarmung, Dafi und Tai machten es ihr nach. Letztere hätte das aber lieber gelassen, denn als die Brünette ihren runden Babybauch sah, auf den die werdende Mutter doch eigentlich so stolz war, kamen ihr erneut die Tränen.

„Entschuldigung!“, schluchzte sie, „Ich... ich kann nicht anders, verzeiht mir!“

Ihr Freund zuckte nur mit den Schultern, als die Gastgeberin ihm einen vernichtenden Blick zuwarf. Er war eh Schuld. War er wirklich...

Sie zwang sich, ihre betrübte Freundin zu ignorieren und sich an den verhassten Magier zu wenden. Sie hätte lieber mit Chatgaia gesprochen, aber die war wohl nicht da, wie es schien. Imera hätte ansonsten sicherlich lieber die mitgebracht, glaubte sie.

„Dafi hat uns interessante Dinge über ein geheimes Projekt der Station erzählt.“, begann sie, dabei im Raum auf und ab gehend. Zwischendurch hielt sie bei Genda, der in einem kleinen Korb auf der Fensterbank lag und schlief.

„Kurz gefasst geht es darum, dass sie, wenn ich das richtig verstanden habe, sich auf einen Krieg vorbereitet haben, mit vielen komplizierten Strategien und neuen Schusswaffen. Und eben die wollen sie jetzt testen, an einem bewohnten Ort, um den sich aber möglichst niemand schert.“

Sie hielt an und machte eine Spannungspause. Choraly, die sie als erste verstand, begann gleich wieder zu weinen und klärte ihren Freund auf, während sie sich zitternd auf einen der bequemen alten Stühle sinken ließ.

„Oh nein!“, machte sie, „Die wollen Thilia opfern...!“

Der Himmelsblüter keuchte und starrte fragend zu Lilli, die düster nickte. Thilia opfern?

„Nicht im Ernst!“, war alles, was er zunächst heraus brachte und ließ sich, vom Schrecken weiter geschwächt, geschockt auf dem letzten freien Platz fallen und nahm ihn damit ungewollt seinem Bruder weg, der sich gerade hatte setzen wollen und nun verärgert die Arme vor der Brust verschränkte und sich an die nächste Wand lehnte, um nicht sinnlos im Weg herum zu stehen.

„Wir haben schon etwas geplant.“, erzählte die Gastgeberin da ernst weiter und begann auch wieder mit dem hin und her Gerenne , „Dafi funkt nach Wakawariwa, das birgt ein gewisses Risiko für uns, aber ich halte es für sinnvoller, als sich mit Mistgabeln auf Granaten zu stürzen. Möglicherweise wird uns von denen geholfen, wenn wir ihnen berichten, dass Choraly bei uns lebt, die könnte dann natürlich auch wieder zu ihrem Vater, wenn sie wollte.“

Angesprochene hörte auf zu weinen.

„Damit könnten wir unter Umständen sogar einen Krieg verhindern und die Welt retten, wenn man so will, und darum fragen wir dich stellvertretend für deine Tante, die ehrenwerte Chatgaia, um Erlaubnis.“

Alle Blicke ruhten auf Mayora, der nachdenklich die Augen kurz schloss. Hieß das, dass er unter Umständen seine Prinzessin verlor?

Wie auch immer, wenn das Dorf wirklich in Gefahr war, musste er das in Kauf nehmen.

„Ist das alles genau so, wie Lilliann das gesagt hat, wahr?“, erkundigte er sich sicherheitshalber noch einmal bei Dafi und öffnete die blutroten Augen wieder. Die nickte bestätigend.

„Genau so ist es. Leider. Meine Cousine hat mich hintergangen.“, sie senkte ihr Haupt und Tai legte tröstend einen Arm um sie. Lilli für ihren Teil schnaubte leise, weil sie sich verarscht vorkam. War sie nicht glaubwürdig genug?

Er erhob sich und räusperte sich etwas wichtigtuerisch, so kam es ihr vor.

„Nun gut, das klingt logisch.“, gab er zu und warf einen skeptischen Blick in die Runde, „Aber das Risiko erscheint mir wirklich enorm. Ich stimme vorerst zu... auch im Namen meiner Tante.“

Er fuhr sich gestresst durch sein grünes Haar und überlegte wieder kurz.

„Sie lässt sich vermutlich nicht so schnell überzeugen, weil sie nicht so viel Vertrauen zu euch hat, wie ich. Ganz ehrlich, ich habe auch keine Ahnung, was da auf uns zukommen würde und was gut oder schlecht ist, aber es klingt mir ungemütlich ernst. Und ich denke Choraly hätte uns auf einen möglichen Denkfehler hingewiesen, neben Dafi hat sie vermutlich die meiste Ahnung von solchem Zeug.“

Er schenkte ihr einen ersten Blick und sie erschauderte, als sie sich vorstellte, was geschehen würde, wenn man das arme Dorf mit diesen gruseligen Waffen angreifen würde. Als Kind hatte ihr Vater ihr mal welche gezeigt, die Noboka auf Vorrat hatte und ihr erklärt, was welche machte, das hatte ihr gereicht. Das waren Höllen-Dinger, und dabei waren die von damals schon völlig veraltet gewesen, wenn das jetzt etwas ganz neues war... schrecklich! Sie wollte nicht daran denken, der Gedanke, ihren Vater wieder zu sehen, gefiel ihr viel besser... nach so langer Zeit. Ob er sich wohl verändert hatte...?

„Also ich würde mal sagen, macht, was ihr da geplant habt. Imeras Drängen vorhin hat schon etwas angedeutet, dass es wohl dringend ist, also sollten wir wohl keine Zeit verschwenden, was? Ich kümmere mich schon um meine Tante.“

Und das würde vermutlich nicht sonderlich leicht werden. Aber was Lilli gesagt hatte klang logisch, die Menschen aus den großen Städten hatten ganz fürchterliche Waffen, gegen die der beste Magier der Welt nicht ankommen konnte. Das grenzte schon fast an künstliche Magie...
 

Die junge Mutter seufzte und schenkte dem, in ihren Augen, Mörder ihres Verlobten tatsächlich ein leichtes Lächeln.

„Ich bin nicht viel schlauer als du, was das betrifft.“, gab sie zu, „Aber das war in meinen Augen eine ziemlich kluge Entscheidung, hätte nicht gedacht, dass du dich darauf einlässt, wo deine Tante doch so darauf achtet, dass niemand uns verrät.“

„Es erscheint mir als einzig logischen Weg... Angst macht es mir dennoch.“

Ja, er hatte ziemlich schnell zugestimmt, aber ihm fiel nichts ein, was dagegen spräche. Und auch kein anderer Weg, was war ihm da anderes übrig geblieben? Er wollte das Dorf in Sicherheit wissen! Hoffentlich verstand Chatgaia das...
 

Dafi räusperte sich, und errötete, als sie die gewünschte Aufmerksamkeit bekam. Sie hatte die ganze Zeit überlegt, ob sie es sagen sollte...

„So viel Zeit muss jetzt sein.“, machte sie, ohne aufzusehen, „Ich will euch von dem Tag erzählen, an dem ich meine Familie in den Flammen verlor. Es gibt etwas, das wisst ihr nicht, jetzt, wo ich nicht mehr für die Station arbeite, kann ich es endlich sagen. Und ich will es endlich los werden.“

Tainini riss die blinden Augen weit auf.

„W-willst du das wirklich?!“

Sie nickte und wieder einmal fiel Lilli auf, wie viel Vertrauen die Beiden doch zueinander haben mussten, wenn die Tante ihres Sohnes sogar etwas relevantes für den Berufsweg der Himmelsblüterin wusste.

„Leg los.“, forderte Imera da halbherzig gespannt und die Jüngere atmete einmal tief ein.

„Wir drei Kinder sind an dem Morgen ganz normal zum Spielen gegangen, wie wir es oft getan haben, wenn wir keinen Unterricht hatten.“, begann sie und senkte ihr Haupt noch tiefer, „Aber etwas war anders, die Götter waren unruhig und... Pinita auch, wir haben am Rand der Oase gespielt, aber sie ist ständig zurück nach Hause gerannt, um etwas zu holen oder nachzusehen, wie auch immer...“
 

Die Familie von Dafi und Maigi Tebettra und Pinita Ferras war etwas privilegiert. Sie hatten ein eigenes Gebäude, außerhalb der Sichtweite des Dorfes Thilia und auch dem Hauptgebäude der Station. Sie hatten eigene Arbeitsräume, so dass die Eltern die meiste Zeit zuhause waren, was eigentlich dem Familienleben dienen sollte, denn sie waren die einzigen Angestellten an der Militärischen Forschungsstation, die Kinder mitgebracht hatten. Pinitas Vater war Unteroffizier, aber gehörte so ziemlich zu den wichtigsten Persönlichkeiten der Wüste, denn er trieb ein hoch geheimes Projekt voran. Der Vater der Zwillinge war nicht ganz so wichtig, sein Schwager hatte ihm den Job als Koordinator verschafft, er war aber mehr dessen Handlanger und arbeitete ziemlich schwer. Und so war es auch an diesem Tag, denn da auch die beiden Frauen als Assistentinnen beschäftigt waren, hatten sie nur wenig Zeit für ihre Kleinen und warfen sie gerne einfach mal raus, um ihre Ruhe zu haben. Im Dorf warf man ihnen schon vor, sie seien nicht gut zu ihren Kindern, was vorrangig an Maigi lag, dessen Haar zeitweise fast so lang war, wie das seiner Schwester, weil Mami ständig vergaß, ihn zum Friseur zu schicken und er selbst meistens einfach zu strudelig im Kopf war, um von selbst so weit zu denken. Ihm waren seine Haare auch reichlich egal und das was die Leute in Thilia meinten schon zwei Mal, die ging das gar nichts an, sagte sein Vater immer. Und da hatte er Recht. Er hatte seinen Vater im übrigen sehr lieb.
 

An diesem Morgen war es aber anders, weil die Älteste der Dreien, Pinita, ständig weg rannte und die Geschwister allein ließ.

„Was hat die denn?!“, empörte sich Maigi darüber auch irgendwann, als er mit seiner Schwester unter einem Kaliri-Baum saß und auf die Blonde wartete. Nebenbei strich er sein mal wieder recht lang gewachsenes Haar genervt hinter seine Ohren. Was wuchs das denn so schnell?!

„Durchfall vielleicht?“, war die nicht ganz ernst gemeinte Antwort des Mädchens, das sich darauf erhob, als seine Cousine sich kreidebleich durch irgendwelche Hecken kämpfte.

Die Beiden warfen sich einen Moment lang einen seltsamen Blick zu und der Junge rappelte sich ahnungslos ebenfalls auf, als die Älteste ihnen wieder den Rücken kehrte.

„Ihr müsst ganz schnell mitkommen.“, machte sie und Dafi erzitterte bei ihrer ungewohnt eisigen Stimme und nahm erschrocken die Hand ihres Bruders in ihre.

Der Jüngste verstand nicht, was die beiden Mädchen so erschreckte, ließ sich aber bereitwillig von seinem Zwilling mitziehen.

„Spürst du es, dieses komische Pochen?“, fragte sie ihn und er wusste zwar, was sie meinte, aber nicht, dass es so schrecklich war, dass es sie so erbleichen ließ.

„Was ist los?“, wollte er wissen, bekam aber keine Antwort.
 

Als sie zwei Minuten durch die Morgenhitze gerannt waren, erkannte er Rauch.

„Dein Vater hat nicht zufällig wieder das Labor gesprengt?“, erkundigte sich seine große Schwester und ihre Cousine zuckte während dem Rennen mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht, es erschien mir nach etwas zu viel Rauch dafür, ich habe mich nicht gewagt, herein zu gehen, denn ich befürchte... Flammen!“

Sie rannte schneller und Dafi schnappte immer mehr nach Luft, Maigi schien nicht recht zu verstehen, was das bedeuten konnte. Er war nicht ganz so begabt darin, die Worte seiner Götter zu deuten, aber im großen und ganzen bekam er dann auch mit, was geschehen war, als sie vor ihrem zuhause ankamen.

„Es brennt!“
 

Sie standen versteinert da. Was war mit ihren Eltern, wo waren sie? Und warum kam niemand?

Es war ein wahrlich seltsamer Morgen.

Und Dafi begann als Erste, zu weinen.

„Warum hast du nichts getan?“, machte sie und schluchzte, ohne die grünen Augen von den Flammen abzuwenden, „Pinita, vorhin... warum hast du nichts gemacht, du wusstest, dass sie... da drin... warum hast du keine Hilfe geholt, warum hast du uns... warum?“

Die Blonde antwortete nicht und der kleine Junge keuchte verzweifelt. Klein war gut gesagt, er war schon zwölf.

„Mach doch etwas!“, forderte er dennoch von seiner älteren Cousine, doch die rührte sich nicht.

Stattdessen brach seine Zwillingsschwester zusammen.

„Ich kann das nicht!“, keuchte sie zitternd, „Ich kann nicht zusehen!“

Das blonde Mädchen war noch immer versteinert. Es blinzelte noch nicht einmal, als ihr Funken das Gesicht zu verbrennen drohten.

Dafi erhob sich derweil stauchelnd wieder. Ihr Bruder warf ihr einen besorgten Blick zu, den sie jedoch ignorierte. Sie ignorierte alles um sich herum.

„Ich kann das nicht.“, keuchte sie wieder und erst als sie begann, los zu rennen, löste sich Pinitas Starre.

„Dafi, was machst du?! Komm zurück!“

Sie schrie ihr ohne Vorwarnung aus Leibeskräften nach, wagte aber nicht, ihr nachzusetzen, weil sie sich vor der Hitze fürchtete. Das Mädchen rannte, es rannte, ohne sich noch einmal umzusehen und verschwand plötzlich in den Flammen.
 

Ihr Bruder schlug sich keuchend die Hände vor den Mund, ehe auch seine Knie nachgaben.

Was zum Teufel war hier los, Himmel!

„Du blöde Kuh, du miese Schlampe!“, kreischte Pinita weiter und ihr vom Ruß verschmiertes Gesicht verzog sich zu einer wütenden Grimasse, „Wie konntest du das tun, Dafi?!“

Sie atmete schwer, dann warf sie ihrem kleinen Cousin am Boden neben ihr einen tödlichen Blick zu.

Er zitterte und schaute der Ohnmacht nahe zu ihr auf, auf seinen Fingernägeln kauend.

„Nun hör zu!“, befahl die Ältere barsch und er nickte apathisch, „Deine wahnsinnige Schwester wollte mit unseren Eltern gehen, das hast du gesehen, nicht?“

Er reagiert nicht, aber sie wusste, dass er ihr lauschte. Sie fuhr sich leicht zitternd durchs Haar.

„Wir werden jetzt zur Station rennen und Hilfe holen! Aber davor habe ich eine Bitte, ja?“

Sie wandte sich ab, weil sie ihm dabei nicht in die Augen sehen konnte.

„Deine Schwester war mir wichtiger als du!“, machte sie offen und klang fast schon etwas empört. Die Flammen verschlangen das Gebäude in ihrem Angesicht noch immer. Es war der pure Tod.

Und Maigi wusste nicht, wie ihm geschah, es passierte einfach zu schnell.

„Ich will in die Fußstapfen meines Vaters treten und ich will nicht, dass du das tust, bloß weil du ein Junge bist, weil du bist ein Idiot. Ich will das, klar?“, sie blinzelte eisig über ihre Schultern hinweg, „Ich bitte dich, kannst du solange, bis diese Narren erkannt haben, wie genial ich bin, so tun, als seist du deine Schwester? Dann liebe ich dich für immer!“

Sie liebte ihn für immer? Er begann, Rotz und Wasser zu heulen.

„Aber ich sehe doch ganz anders aus!“, jammerte er hilflos, „Und ich weiß nicht wie man meine Schwester ist... wo ist sie hin?“

Die Cousine drehte sich schnaubend wieder um und verschränkte die schmutzigen Arme vor der Brust.

„Die ist längst gar, du Depp! Und du siehst genau so aus wie deine Schwester, bis auf eine bestimmte Stelle, glaub es mir. Bitte! Bitte, für mich, nur so lange, bis ich den Job meines Papis mache, bitte! Ich will ihn so gern stolz machen!“

Sie faltete flehend die Hände und der Jüngere sah vernebelt zu ihr auf.

„Damit du mich immer lieb hast... dann mach ich das dafür...“

Dann wurde er ohnmächtig.
 

In Lillis Küche herrschte eisernes Schweigen.
 


 


 

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Jetzt sind alle überrascht! XDDD

Zärtlichkeiten

Maigi senkte den Kopf so tief, dass es mit der Nase fast die Tischplatte berührte und klammerte sich darunter verkrampft an Taininis Hand. Das war definitiv einer der peinlichsten Momente in seinem ganzen Leben! Aber er hatte es gesagt, er hatte es hinter sich... Himmel sei Dank.

„Wie jetzt...?“, kam dann die erste Reaktion von Imera, der sich von der Wand abstieß und nun doch blöd im Raum herum stand. Blöd schauen tat gerade ohnehin jeder, da war er ausnahmsweise mal nicht allein.

„Ich denke, du hast es verstanden.“, murmelte der Junge, der doch eigentlich ein Mädchen war, aber irgendwie auch nicht... oder so.

„Ja, aber... das ist fast fünf Jahre her, Pinita hat wenige Monate nach dem Tod eurer Familie schon den Posten ihres Vaters übernommen, soweit ich weiß, warum warst du denn bis heute...? Ich meine, gefällt dir das etwa?!“

Mayora legte verständnislos den Kopf schief und der Angesprochene fuhr geschockt auf.

„Was?! Niemals, nein, igitt, ich hasse es, hörst du? Mir gefallen, soweit kommt es noch...“, er schüttelte sich, dann senkte er sein Haupt wieder, „Sie hat mich betrogen, damals schon. Sie hat später gemeint, sie hätte es nicht gewusst, aber ich bin mir sicher, es war Absicht...“

Er machte eine Pause und schenkte Tai neben sich ein leichtes Lächeln, weil sie so ein besorgtes Gesicht machte. Auch wenn sie es nicht sah...

„Wenn man sich beim Militär von Mon'dany als eine andere Person ausgibt, ist das, wie so vieles dort, Hochverrat und das kann man mit dem Leben büßen. Auch mit 12 schon, also blieb mir keine andere Wahl, als dieses eklige Spiel weiter zu spielen und meine Schwester jahrelang zu entehren.“

Wieder Schweigen.

Imera überlegte sich, dass das doch eigentlich ein Grund war, den kleinen Magier schallend bis ans Ende seiner Tage auszulachen, unterließ es dann jedoch, weil er seine Lilli beeindrucken wollte und es auch sonst keiner tat. War ja schon eine komische Sache, er konnte es gar nicht so recht glauben.

Wie konnte man, wenn man halbwegs normal in der Birne war, über vier Jahre mit Mädchenklamotten herum rennen und mit dem Hintern wackeln? Nun gut, für letzteres konnte er wohl nichts, für einen Jungen hatte er eine außergewöhnlich breite Hüfte... aber, Moment, woher wusste er das?!

Der Brünette errötete. Ja, er konnte sich eingestehen, 'ihr' schon einmal nachgesehen zu haben, was junge Männer bei jungen Frauen halt öfters taten. Oder bei älteren Frauen.

Aber das erschien ihm jetzt ekelhaft... als ihn ein Gedanke zum nächsten führte, konnte er sich das Lachen doch nicht mehr verkneifen.

„Bei allen Göttern!“, gackerte er und die Runde starrte ihn empört an, als er sich wieder an die Wand anlehnen musste, um vor lachen nicht umzufallen.

Maigi errötete weiter. Er hätte besser gewartet, bis dieser Idiot weg gewesen war, dann wäre ihm das blöde Verhalten vielleicht erspart geblieben...

Er wedelte mit den Händen in der Luft herum und rang nach Atem, als er zur Erklärung ansetzte.

„Ich lache dich nicht aus!“, erklärte er an den jüngeren Magier gewandt, „Mir ist nur gerade eingefallen, Naga steht doch auf dich...?! Oh Himmel, wie geil... darf ich ihn suchen und ihm das erzählen, bitte?“

Imera amüsierte sich weiter und der Kopf des 16-jährigen grüßte die Tischplatte endgültig.

„Ja!“, stimmte er dann überraschend enthusiastisch zu, „Dieser Trottel stand mal mit einem Strauß Rosen vor der Tür, wisst ihr, wie ich mich gefühlt habe?! Ich habe keine Interesse an Männern, auch wenn ich so aussehe, Himmel...“

Oh ja, dass ihn das in prekäre Situationen gebracht hatte, glaubte ihm die vollkommen erbleichte Choraly sofort. Sie hatte mal mit ihm in einem Bett geschlafen...

Und er hatte sie befummelt, da war sie sich jetzt beinahe sicher! Als sie gedacht hatte, Dafi sei Dafi, waren die leichten Berührungen in der Nacht natürlich bloß als Versehen zu verstehen gewesen, aber da Männer ausnahmslos Schweine waren, war das nun nicht mehr denkbar. Sie hütete sich aber, vor Mayora ihren Verdacht zu äußern...

„Wie hast du... das so lange ausgehalten, ich meine, du bist doch im Kopf ganz anders... oder nicht?“, wagte sie bloß mit unnatürlich hoher Stimme zu fragen und blinzelte verwirrt vor sich hin.

Maigi sah darauf wieder auf und kratzte sich am Kopf.

„Nun ja...“, begann er verlegen lächelnd, „Zu Beginn war es zugegebener Maßen sehr ungewohnt und schwierig...“
 

„Lass den Kopf nicht so hängen, Kleiner!“

Pinita hüpfte gut gelaunt durch ihr neues Zimmer. Es war nicht so schön und groß wie ihr altes in dem abgebrannten Haus, aber sie fand es ganz klasse. Das Mädchen hatte schon befürchtet, man würde sie mit ihrem Cousin in irgendein Waisenhaus in Fides abgeben oder gar nach Bateyda zu ihrer gruseligen Oma schicken, doch dem war nicht so gewesen. Sie hatte die einstigen Arbeitgeber ihrer Eltern und ihrer Tante und dessen Mannes von ihrer Genialität überzeugen können. Sie war schlau, wirklich schlau, da konnte niemand was gegen sagen. Und das hatte sie eben bewiesen und war so ihrem Ziel schon einmal ein entscheidendes Stück näher gekommen – Maigi nicht.

Der saß in einem violetten Kleid und mit geflochtenem Haar auf ihrem Bett und war, wie immer in letzter Zeit, deprimiert.

„Ich fühle mich so unwohl, Pinitachen.“, klagte er, „Ich mag Kleider nicht.“

Ja, immer die selbe Klagerei. Sie konnte seine Vorlieben ja schlecht ändern, oder? Er musste damit leben, sie hatte ihm schließlich genauestens erklärt, warum das nun nötig war.

So seufzte sie entnervt.

„Du siehst ganz bezaubernd aus, jammere nicht!“

Als ob der Junge gern bezaubernd aussehen würde, echt mal. Er versuchte es weiter.

„Ja, aber ganz anders als Dafi, die Leute von der Station haben ganz seltsam geschaut! In ein paar Monaten wird das sicher auffallen, meine Schwester hatte doch schon Brüste! Und... ich nicht, natürlich.“

Er blickte verlegen zur Seite und die Ältere setzte sich schnaubend zu ihm. Ja, Dafi war ein hübsches, sehr weibliches Mädchen gewesen. Und er war ein Junge mit etwas weiblichen Zügen, aber noch immer ein Junge! Das würde doch nicht gut gehen, wie sollte das klappen?!

„Du machst jetzt Diät.“, bestimmte Pinita da überraschend und der Jüngere stürzte endgültig aus allen Wolken.

Was war nur mit ihr los, hatte sie noch alles beisammen? Er war von Natur aus schon recht schmal und hatte in den letzten Wochen vor Trauer noch mal einige Kilos eingebüßt, was sollte er jetzt auch noch diäten? Das ergab doch keinen Sinn! Oder doch?

„Hast du schon einmal ein dürres Mädchen mit großen Titten gesehen?!“, fragte die Blonde ihn mürrisch und ihm wurde schmerzlich bewusst, worauf sie hinaus wollte.

Er schüttelte traurig den Kopf. Nun gut, seine Cousine war an sich auch ziemlich schmal und trotzdem sehr feminin, aber es nutzte sicher nicht viel, ihr jetzt zu widersprechen. Würde er halt hungern, wenn es sie so freute...
 

„... was ich damit sagen will, man gewöhnt sich an alles. An echt alles.“

Er zupfte an seinem Oberteil herum und Lilli seufzte. Ja, musste wohl so sein. Das beste Beispiel war doch wohl Choraly selbst, ohne, dass sie es mitbekommen hatte. Sie war zu Beginn so eine verzogene Prinzessin gewesen, durch das Dorf war ihr wahrer Charakter hervor gekommen und das war ein Glück, denn sie war ein wirklich liebes Mädchen. Allein, wie süß sie mit Genda spielte, zeigte das doch. Oder wie sie von ihrem Freund schwärmte, im Anschluss aber immer bat, das für sich zu behalten, da sie befürchtete, er würde denken, er sei keine Missgeburt mehr. Das war niedlich, so ähnlich war es mit Jiro auch gewesen. Bloß nicht zu viel loben, weil der Idiot ansonsten auf abertolle Ideen gekommen wäre – aber das war lange her.

„Magst du vielleicht andere Klamotten?“, fragte sie Maigi einfach und verdrängte die schmerzhaften Gedanken an ihren längst verstorbenen Verlobten. Sie hatte nichts von ihm weggeworfen, bloß alles zusammen geräumt und in einer großen Kiste verschlossen. Sie hing an seinen Besitztümern, doch ständig ansehen wollte sie sie nicht, das... wäre nicht gut gewesen. Dennoch, das war eine besondere Ausnahme, einmal davon ab, dass sie für den zierlichen Jungen ohnehin etwas sehr, sehr altes suchen musste, dass er halbwegs hinein passte. Aber wirklich nur halbwegs, Jiro war nie so dürr gewesen, aber das hatte die junge Mutter auch gar nicht gewollt. Er war genau so, wie er gewesen war, perfekt gewesen.

Himmel, sie dachte ja schon wieder an ihn...

„Nein danke.“, lehnte Maigi ihr Angebot da dankbar lächelnd ab, „Ich darf in der Station ja nicht zeigen, dass ich ein Verräter bin und was ich vorhabe. Aber in ein paar Tagen könnte es durchaus sein, dass ich auf das Angebot zurückkomme.“

Er seufzte erleichtert. Keiner hatte ihn wirklich ausgelacht, vielleicht lag es auch am ersten Schock, schließlich waren alle recht sprachlos, aber das Schlimmste hatte er eindeutig hinter sich. Und er fühlte sich so gut wie sehr lange nicht mehr. Jetzt würde alles leichter werden.
 

Die Hausherrin nickte darauf verständig und hob eine Braue, als Tainini lächelnd ihren Kopf an seine Schulter lehnte. Es war nichts weiter, die anderen Anwesen bemerkten die einfache Geste noch nicht einmal, weil Choraly plötzlich wieder begann zu weinen und Mayora versuchte, sie zu trösten; Imera hatte den Blick woanders.

Und Lilli kam ein beängstigend einleuchtender Gedanke, der sie grinsen ließ und sie zeitgleich ungemein erleichterte. Wenn sie denn richtig lag. Sie entschied sich, es einfach darauf ankommen zu lassen.

„Himmel sei Dank ist das jetzt so gekommen und du hast uns das erzählen können, Maigi.“, grinste sie und Tai öffnete kurz ihre blinden Augen, „Ansonsten wären die nächsten Jahre ziemlich kompliziert geworden nicht? Wie hätte euer Baby dich nennen sollen, Mama 2?“

Sie kicherte und das augenscheinliche Paar lief wie auf Kommando hochrot an.

War das jetzt so offensichtlich gewesen? Wie peinlich!

„Wie... Maigi ist der Papa von... Tais Baby?“, schluchzte das brünette Mädchen darauf überrascht und Mayora fuhr sich gestresst durch sein grünes Haar. Ja, das war ihm auch etwas neues, aber dafür hatte er gerade einfach keinen Kopf, wie man deutlich sah war doch irgendetwas mit seiner Freundin nicht in Ordnung. Warum weinte sie die ganze Zeit? Er hätte sich doch nicht einfach entführen lassen dürfen, es lag sicher daran, dass sie ihm so dringend etwas hatte sagen wollen und nicht können, obwohl es sehr wichtig war. Das mussten sie unbedingt gleich einmal nachholen.

„Bist du es nun, oder nicht?“, fragte Imera da fast schon säuerlich an den Jüngeren gewandt und der nickte schließlich, vor Verlegenheit der Ohnmacht nahe.

„Himmel!“, kicherte Lilli auf die eindeutige Reaktion, „Das ist kein Grund zum Verlegen werden, so etwas passiert halt, Gendachen war schließlich auch nur ein Versehen! Ich bin nur froh, dass ich endlich weiß, wer der Vater ist... und dass es ein anständiger Kerl ist. Ich gehe einfach mal davon aus, dass du dich liebevoll um dein Kind kümmern wirst, nicht?“

Er nickte ein weiteres Mal, fast schon apathisch. Ja, das war wirklich ein Versehen gewesen und lange hatte er es schwer bereut, weil er gedacht hatte, er würde sich nicht normal um sein Kind kümmern können, aber jetzt in diesem Moment fiel ihm auf, dass er diese Sorge nun nicht mehr haben musste. Das Baby würde eine Mama und einen Papa haben, ganz normal!

In seinem Inneren kribbelte etwas nach dieser Erkenntnis, etwas, das ihm plötzlich neue Kraft gab und ihn mit einem Schlag unglaublich glücklich machte.

Er hatte die Hoffnung auf eine eigene Familie aufgegeben gehabt und jetzt das! Das war ein Geschenk der Götter und ließ ihn plötzlich strahlen.

„Natürlich werde ich mich liebevoll um mein Kind kümmern!“, antwortete er, „Ich will alles tun, um ein guter Vater zu werden und ich...“

Er sah errötend zu Tai, die ihr hübsches Gesicht in seine Richtung gedreht hatte, als würde sie ihn ansehen wollen.

Mit ihren vor Verlegenheit leicht geröteten Wangen und ihren glasigen Augen wirkte sie wie eine schöne, aber sehr zerbrechliche Porzellan-Puppe. Sie war so süß, sie hatte es absolut drauf, ihn mit ihrer bloßen Anwesenheit außer Fassung zu bringen. Wie hatte er sich in seiner Lage bloß so dermaßen verlieben können...?

„.. und ich...“, versuchte er seinen Satz zu beenden, „... u-und ich will... ich will um die Hand meiner... meiner lieben Tanini anhalten.“

Er überlegte einen Moment, ob der Antrag im Moment seiner Euphorie wirklich richtig gewesen war, aber als er sah, wie das Gesicht des Mädchens mit einem Mal zu strahlen begann, war er sich sicher, das Richtige getan zu haben.

Sie war blind, sicher würde es mit ihr nicht besonders leicht werden, aber sie war nun einmal die Person, mit der er sich wünschte, sein Leben zu verbringen. Und sie würde ihn sicher niemals hintergehen, da war er sich sicher. Noch einmal würde er das nämlich nicht überstehen.

„I-ist das dein Ernst?“, fiebte das Mädchen da mit noch höherer Stimme als es ohnehin schon hatte und er nickte schüchtern, dabei vollkommen vergessend, dass sie ihn nicht sehen konnte. War aber auch egal, denn sie reckte ohne eine Antwort abzuwarten ihr Gesicht in seine Richtung und er verstand und küsste sie liebevoll auf die Lippen.

„Iih...“, war Imeras unpassender Kommentar und verzog seine Miene, sein Antlitz von dem Paar abwendend, „Das sieht aus, als würden sich zwei Weiber knutschen, bäh...“

Er fing sich von Lilli einen tödlichen Blick und Choraly schluchzte gerührt, während ihr Freund nun auch leicht lächeln musste.

„Wie schön!“, seufzte sie, „Ich freue mich sehr für euch!“

Und sie weinte weiter. Nein, das ging echt nicht, da musste sich der Grünhaarige unbedingt gleich einmal darum kümmern.

„Glückwunsch.“, gratulierte er dem Paar auch noch, als sie sich voneinander lösten und beide bis hinter beide Ohren strahlten, „Also, ich geh mal kurz mit Choraly raus, die will mir noch etwas sagen, also...“

Er verneigte sich kurz vor den Anwesenden, um sich zu entschuldigen und das brünette Mädchen fuhr zusammen und erhob sich apathisch, ihrem Freund aus der Tür folgend.

„Seltsam.“, kommentierte die Hausherrin das Verhalten der Beiden.
 

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„Was ist nur mit dir los, warum weinst du in einem fort?!“, fragte der Junge die Jüngere fast schon vorwurfsvoll, als sie die kleine Stube betreten hatten. Ihre Heulerei nervte und besorgte ihn gleichermaßen, irgendetwas war da doch faul.

Sie senkte ihr Haupt untypisch tief.

„Ich bin verwirrt und ängstlich...“, begann sie mit zittriger Stimme, „Ich schäme mich ja selbst, dass ich die ganze Zeit weinen muss, aber ich kann nichts dafür, ehrlich!“

Sie schaute wieder auf und hatte einen Moment das Bedürfnis, sich einfach in seine Arme zu stürzen und sich an ihn zu schmiegen, sie wollte am liebsten einfach nur festgehalten und beschützt werden. Dabei war es ihre eigene Schuld, sie hatte nicht genügend auf die Zeit im Monat geachtet... ach verdammt, sie war jung und verliebt und hatte dafür manchmal eben keine Gedanken gehabt! Genau das Selbe wie bei Lilli und Tai...

„Was ist los?“, erkundigte sich Mayora da behutsamer und kam näher, um ihr sanft über die Wange zu streicheln. Er machte sich doch Sorgen...
 

Sie wusste das und musste gleich noch mehr schluchzen. Er sollte nicht wegen ihr besorgt sein! Sie musste es ihm einfach sagen, vielleicht fiel dann die erste Last von ihr ab...?

„Missgeburt!“, begann sie mutig, zitterte dabei aber wie Espenlaub, die Augen verkrampft zusammengepresst und die Hände zu Fäusten geballt und der Magier hob erschrocken beide Brauen, weil es der Frau, die er liebte, augenscheinlich so schlecht ging, „Ich... weißt du... du wirst Papa!“

Und damit war es raus. Dieser einfache, aber bedeutende Satz. Sie kam sich etwas komisch vor, weil sie es ihm einfach so gesagt hatte, als sei es nichts besonderes. Aber kreativ war sie in dieser Situation bestimmt nicht...

Es war so jedoch leichter gewesen als gedacht und unmittelbar danach schon entkrampfte sie sich und sah ihrem Gegenüber aufgeregt und etwas schwer atmend ins erbleichende Gesicht.

„Mayora?“, fragte sie leiser und er erschauderte und starrte sie aus großen Augen an.

„Wie bitte?“, kam dann und er fasste sich an die Stirn.

Was hatte sie gesagt? Er wurde Papa?! Von wem? Wie meinte sie das?

„Ich... bekomme ein Baby!“, machte sie auf sein perplexes Gesicht etwas nüchterner. Hatte er sich nicht ein Kind gewünscht, diese Missgeburt?! Warum starrte er sie dann so doof an? Das machte ihr Angst und ihr kamen wieder die Tränen.

Chatgaia hatte gesagt, er würde sich freuen, sie hatte sich geirrt! Er war einfach nur schockiert, er wollte sicher noch gar nicht Vater werden! Vielleicht würde er sogar böse werden, weil sie nicht vorsichtig genug gewesen war?

Sie biss sich auf die Oberlippe und senkte ihr Haupt tief, als sie spürte, wie ihr wieder Tränen über die Wangen rannen.

Wie schrecklich...
 

Er strich mit der Hand abermals über ihre Wange und brachte sie so wieder zum Aufsehen.

„Hey.“, machte er und lächelte zu ihrer Erleichterung, „Also, noch einmal zum Mitschreiben, du bekommst von mir ein Baby? Eine süße kleine Missgeburt, ja?“

Das Mädchen nickte und zitterte vor Anspannung wieder leicht. Richtig, ihr Baby würde mit großer Wahrscheinlichkeit eine Missgeburt werden... wie süß....

Sein Lächeln wurde breiter.

„Nicht... ernsthaft jetzt, oder?“, fragte ihr Gegenüber weiter und begann dabei doof zu kichern, „Ich meine... also echt, wir beide... also WIR bekommen ein kleines Kindchen, jetzt echt? Also... ich... wirklich?!“

Choralys erster Gedanke darauf war, dass er es wohl nicht glauben wollte, aber als sie dann dieses unglaubliche Strahlen in den blutroten Augen wahrnahm, vergaß sie alle Zweifel. So hatte er auch geschaut, als er sie zum ersten Mal nackt gesehen hatte, er freute sich, es musste so sein. Es konnte nur so sein, das war Mayora Timaro!

„Wir beiden bekommen ein Baby, meine liebste Missgeburt!“, wiederholte sie deshalb mit größter Zuneigung und lächelte ihn leicht und hoffnungsvoll an und sein eigenes Lächeln wurde noch breiter und nahm kurzer Hand ihre zierlichen kleinen Hände in seine.

„Prinzessin!“, nannte er andächtig den Titel, den er ihr kurzerhand selbst verpasst hatte, zunächst noch nur in Gedanken, zu einer Zeit, in der sie noch nicht zusammen gewesen waren, „Das ist zusammen mit „Ich liebe dich“ das schönste, was du mir jemals in meinem Leben gesagt hast! Ich... ich danke dir.“

Sie kam nicht mehr dazu, ihn zu fragen, weshalb er ihr dafür dankte, denn er beugte sich zu ihr küsste sie zärtlich.
 

Er dankte ihr dafür, dass es sie gab. Er dankte ihr dafür, dass sie sich tatsächlich dazu entschieden hatte, für immer bei ihm zu bleiben und mit ihm eine Familie zu gründen. Eine Familie, die er nie

gehabt hatte, als er selbst noch klein gewesen war.

Er würde seine Frau verwöhnen und mit seinen Kindern spielen, mit allen gleich viel. Er würde sie alle lieben, so lange er lebte und er würde dafür sorgen, dass es allen gleich gut ging. Und er würde darauf achten, dass sich seine Kleinen untereinander niemals so sehr zerstritten, dass sie sich gegenseitig nicht mehr als Geschwister sehen konnten...

Für die Chance, die sie ihm gab, dankte er ihr. Er würde sie nicht enttäuschen.
 

--
 

„Ich denke, Imera und ich lassen euch mal etwas allein, nicht, Hohlkopf?“

Nachdem Lilliann eine Weile schmunzelnd zugesehen hatte, wie das frisch verlobte Paar schüchtern miteinander geflüstert und sich nicht getraut hatte, sich vor den anderen Beiden noch näher zu kommen, hatte sie sich dazu entschlossen, die beiden etwas allein zu lassen, damit sie ihre Zweisamkeit genießen konnten (der schlafende Genda auf der Fensterbank zählte nicht). Und ihr verstrahlter Verehrer hatte ihr zu folgen, auch wenn sie der Gedanke annervte, mit ihm ganz allein zu sein. Vermutlich war Missgeburt mit seiner Prinzessin in die Stube verschwunden, dann blieb nur der Flur, das Badezimmer oder ihr Schlafzimmer, na super.

„Wohin gehen wir denn?“, fragte der Braunhaarige sie da auch schon doof, als sie aus der Tür schritt. Maigi sah den Beiden dankbar nach.

Ja, er wollte jetzt einfach nur ein bisschen mit Tainini allein sein und dieses gute Gefühl genießen.
 

Und Lilli überlegte sich, dass sie dafür bei den Beiden Süßen ganz schön etwas gut hatte.

„Wir könnten vielleicht etwas schönes unternehmen?“

Ihr unerwünschter Gast folgte ihr in das Schlafzimmer, das sie sich lange Zeit mit Jiro geteilt hatte und sah sich einen Moment in dem Raum um. Er war schlicht eingerichtet, ein alter, ziemlich mitgenommener Schrank stand an der einen Wand, daneben eine Kiste und gegenüber ein recht großes Bett, das allerdings auch schon bessere Zeiten gesehen haben musste. Auf einem kleinen, anscheinend vor nicht all zu langer Zeit selbst gebauten Nachttisch lag ein Buch, daneben stand ein Lichtbild, das seine Süße mit ihrem toten Verlobten zeigte. Es war wohl kurz vor seinem Ableben aufgenommen worden...

Die junge Frau stolzierte gelangweilt über die knarrenden alten Dielen zum Bett, um sich zu setzen.

Als sie seinem Blick folgte, bestätigte sie seine Vermutung.

„Wir haben es einen Abend, bevor er zur Station gehen wollte, aufgenommen. Mein Bauch war schon rund, wenn du genau hinsiehst.“

Ja, richtig. In diesem Raum, angesichts dieses Bildes fühlte es sich falsch an, die junge Frau zu begehren. Er hatte das Gefühl, als würde Jiro gleich die Tür öffnen und ihm kräftig eine über die Rübe ziehen. Er war stärker gewesen als Imera. Ärgerlicherweise. Aber Imera lebte und auch wenn es so erschien, Jiro würde nie wieder durch diese Tür treten.

Leider, denn für Lilli tat es dem Jungen Leid. Da hätte er lieber auf seine Chance verzichtet, wenn er nur sicher hätte sein können, dass es dem Mädchen gut ging. Und das wäre es ihr bei ihrem früheren Verlobten mit sehr großer Wahrscheinlichkeit. Er würde ihm niemals das Wasser reichen können...

„Huh, du hältst ja mal den Rand, was ist denn los?“

Sie riss ihn kichernd aus den Gedanken und er kratzte sich verlegen am Kopf.

Verdammt, aber sie war so ein hübsches Mädchen und irgendwie bekam er Lust... nein, so eine Sauerei. Echt mal, da konnte er so hohl sein, wie er wollte, so viel Anstand musste sein.

„Ich habe nur nachgedacht, das ist alles.“

Die Jüngere grinste.

„Du kannst denken? Wow!“

Es machte ihm nichts aus, wenn sie versuchte, ihm einen Seitenhieb zu geben. Sie wussten beide, dass er nicht von hoher Intelligenz war, da konnte sie ruhig darauf herumreiten, es war ihm recht gleich. Irgendwann fand man sich mit allem ab.

„Ja, ein bisschen, wenn ich einen guten Tag habe und mich viel anstrenge.“, erwiderte er deshalb gelassen und wagte sich, sich neben sie auf das Bett zu setzen, sie ließ es zu.

„Beeindruckend.“

So saßen sie da.
 

„Und jetzt?“, wagte der Junge irgendwann zu fragen, als sie ein paar Minuten schweigend da gehockt hatten und die Jüngere zuckte mit den Schultern.

„Willst du mich ausziehen und über mich herfallen?“, entgegnete sie ironisch und er kicherte doof.

„Wenn ich darf...?“

„Wage es nicht!“

Wieder eine Weile Schweigen.

Imera kam sich noch doofer vor, als er ohnehin schon war, als er einfach nur dumm da hockte. Sie machte es ihm aber auch wirklich nicht leicht. Was hatte er ihr eigentlich je getan, dass sie so zu ihm war? Das war doch eigentlich gemein. Klar, er war mittlerweile immun gegen sämtliche Frechheiten, aber irgendwie störte es ihn dennoch. Er wollte sich gerade wagen, sie danach zu fragen, dabei ohne Hoffnung auf eine ernsthafte Antwort, als sie überraschend den Mund auftat.

„... zumindest nicht auf diesem Bett...“

Das Mädchen senkte den Blick tief und mit seiner nicht sonderlich stark ausgeprägten Auffassungsgabe musste ihr Nebenmann erst einmal eine Weile überlegen, um zu verstehen, dass sie sich auf das vorherige Gespräch bezog. Und dann musste er es erst einmal glauben.

„Was?!“

Er gluckste und sie errötete.

„Nun ja, ich will zuerst ein neues Bett, das hier gehört Jiro, es wäre nicht richtig, wenn wir hier...“

Richtig, das ergab natürlich Sinn. Aber nicht, dass sie das echt sagte. Verarschte sie ihn?!

Das Mädchen fuhr sich seufzend durchs Haar, als es seinen Blick bemerkte.

„Ach, keine Ahnung, das war nur so daher gesagt, denk dir nichts dabei... ist ohnehin nicht gut für dich, sonst überhitzt du noch.“

Sie war verwirrt. Imera war kein schlechter Mensch, wie sie zunächst gedacht hatte, das hatte er ihr in den letzten Wochen und Monaten bewiesen.

Er war seltsam, er liebte seinen Vater und hing noch immer an ihn. So schien es zumindest, das war es, was die Menschen in Thilia von im abgeschreckt hatte. Sie hielten ihn für verrückt.

„Wie meinst du das denn jetzt?“

Ja, vielleicht war er das auch. Aber nicht weniger als sein Bruder. Aber ernsthaft, welches Kind überlebte das, was die Zwillinge erlebt hatten, ohne irgendwelche Schäden davon zu tragen?

Irgendwie stieß es ihr übel auf, wenn sie bedachte, dass die beiden Jungen seit jeher wegen ihres seltsamen Verhaltens gemieden und hinterrücks schlecht gemacht worden waren. Und sie hatte, naiv wie sie gewesen war, einfach mitgemacht. Wie peinlich.

Sie antwortete ihm nicht und ließ sich in die weichen Decken sinken. Er schaute perplex auf sie hinab.

„Imera...“, begann sie dann und sprach seinen Namen ungewohnt andächtig aus, mit einer Stimmlage, die er nicht zu deuten wusste. Er erschauderte und blickte stirnrunzelnd auf sie hinab.

Sie war ein sehr hübsches Mädchen, fiel ihm dabei wieder auf. Sie war zierlich, aber nicht so sehr wie Tai, oder so dürr. Aber das störte ihn keineswegs, im Gegenteil, er mochte das bisschen Speck, das sie ihrem Baby zu verdanken hatte, sehr gern. Genau so wie ihren Busen, der zwar nicht besonders groß, aber hübsch geformt war. Wobei das im Moment nicht so ganz stimmte, weil sie ja den kleinen Genda noch stillte. Angefasst hätte er sie trotzdem gern dort. Ob ihr das wohl genau so gut gefiel, wie manch anderer Frau...?

„Weißt du...“, lenkte die Jüngere seine Aufmerksamkeit wieder auf ihr hübsches Gesicht, „Du nervst schon enorm, aber ich denke, das ist dir aufgefallen, so dumm wirst du nicht sein.“

Er nickte etwas errötend. Dessen war er sich wirklich bewusst, aber es hatte bloß Aufgeben und Nerven zur Auswahl gestanden, da hatte er nicht lange nachdenken müssen. Er wollte sie nun einmal.

Sie sprach weiter.

„Ich nehme dir das nicht übel, auch wenn es so scheint, ja? Denke das bitte nicht, ich halte vielleicht mehr von dir, als du dir erträumst. Du bist ein feiner Kerl, ich weiß das und ich schätze dich und deine Anwesenheit sehr, sonst würde ich dir nicht die Haustür öffnen. Der Punkt ist jedoch...“

Sie setzte sich wieder auf und strich sich durch ihr rot-blondes Haar. Es war recht lang geworden in den letzten Monaten, dem Jungen gefiel das. Lange Haare bei Mädchen waren sehr schön und Lillis gefielen im ganz besonders gut, weil es durch seine Farbe im Licht so glänzte wie die Sonne selbst.

„Was meinst du?“, wagte er leise zu fragen, als er sich von dem hübschen Anblick losgerissen hatte und sie seufzte leise und mied seinen Blick.

„Ich weiß ja, was du willst. Und du weißt, dass ich es weiß. Und, Himmel bewahre, ich gebe zu, ich bin nicht abgeneigt!“

Imera schnappte nach Luft und sie zuckte merklich zusammen bei seiner Reaktion. Ein Menschenkenner war er wohl nicht... nun gut, sie konnte es ihm nicht übel nehmen. Sie entschloss sich, einfach tapfer weiter zu sprechen.

„Im Gegenteil, dein Interesse ehrt mich sehr. Aber so schnell geht das nicht, okay? Erwarte das nicht von mir! Jiros Tod liegt für dich schon eine ganze Weile zurück, für mich ist es aber so, als sei es erst ein paar Tage her... ich hänge noch sehr an ihm... gib mir Zeit.“

Sie fühlte sich mit einem Mal seltsam und schäbig, beiden Jungen gegenüber. Jiro, weil sie zugab, Zuneigung für einen Anderen zu empfinden und Imera, weil sie ihn warten lassen wollte. Das war eine verdammt schwierige Sache. Hatte sie sich nicht geschworen, allein zu bleiben? Aber dieser Idiot verdiente ihre Zuneigung doch! Es war wirklich nicht leicht...

Sie zuckte zusammen, als er es plötzlich wagte, zärtlich einen Arm um sie zu legen. Und diese einfache Berührung fühlte sich so verboten gut an...

„Ist schon in Ordnung, ich meine, ich kann nicht so weit denken, Verzeihung!“, er lachte blöd und wirkte plötzlich völlig überdreht, „Ich meine, das ist okay, du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich gerade gefreut habe! Ich dachte, ich bemühe mich völlig vergebens um dich! Danke, dass du mich vom Gegenteil überzeugt hast.“

Er schenkte ihr ein zärtliches Lächeln und sie erschauderte und merkte, wie ihr plötzlich die Tränen kamen. Sie hasste es normalerweise, vor anderen Leuten zu weinen, sie wollte stark sein. Viel zu oft hatte sie sich anhören müssen, dass man ihr, als angeblich verwöhnte Tochter einer der wohlhabendsten Familien des Ortes, nicht zutraute, ein Kind aufzuziehen, erst recht nicht alleine. Sie musste darauf achten, dass niemand erfuhr, dass sie an manchen Abenden am liebsten von der nächsten Klippe springen würde, sie hasste diesen Spott und dieses Unverständnis. Hier hatte doch niemand eine Ahnung, alle machten sich zu viele falsche Gedanken über Dinge, die niemanden etwas scheren sollten, es war furchtbar.

Vielleicht war es genau das, was sie tief in ihrem Inneren an Imera bewunderte. Er hatte keinen Kopf dafür, über alle angeblichen Probleme eines jeden Dorfbewohners nachzudenken, noch nicht einmal für seine Eigenen interessierte er sich richtig, aber dafür für die der Leute, die ihm wichtig waren. Das war niedlich.

Im Übrigen dachte sie das schon länger, aber davor, es zuzugeben, hütete sie sich. Das fiel ihr schwer, da beleidigte und ärgerte sie ihn lieber den ganzen Tag.

Weinen musste sie an dieser Stelle dennoch. Sie war verwirrt und fühlte sich seltsam und wusste nicht, was sie tun sollte.

„Ist schon gut.“, flüsterte der Ältere behutsam und zog sie dichter zu sich.

Er hatte Geduld, er würde warten. An sich brauchte er selbst noch ein wenig Zeit, um sich... umzustellen, so war das gar nicht schlecht. Er würde daran festhalten, sie oft zu besuchen, um ihr zu beweisen, wie gut er für sie und Genda sorgen konnte oder um ihr einfach etwas Gesellschaft zu leisten. Er hatte sie wirklich gern.
 


 

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„Ich denke, wir fragen Maigi jetzt noch, wie er vorhat, weiter vorzugehen, dann gehen wir heim, hm?“

Mayora strich seiner Freundin, die sich gut gelaunt an ihn schmiegte, liebevoll über die Wange.

Er freute sich, er freute sich so sehr, dass ihm die Bedrohung des Dorfes beinahe egal war. Da er jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit das nächste Dorfoberhaupt sein würde, konnte er sich Unvorsicht nicht leisten, es war seine Pflicht, sein gerade auflebendes Familienleben etwas hinten an zu stellen. Aber Imera erzählen, dass er Onkel wurde, musste er noch unbedingt, dieser Verlierer war sicher noch immer Jungfrau...

„Ja, machen wir das.“, stimmte ihm Choraly da wieder sichtlich besser gelaunt zu. Jetzt, wo sie wusste, dass ihr Liebster hinter ihr stand, fühlte sie sich besser und stärker und zum ersten Mal in ihrer Schwangerschaft freute sie sich auf ihr kleines Kind. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Was wurde es, Junge oder Mädchen? Himmelsblüter oder Mensch? Welche Haar- und Augenfarbe würde es haben? Und sie brauchte noch einen Namen!

Plötzlich verging die Zeit gar nicht schnell genug, so wahnsinnig aufgeregt war sie mit einem Mal.
 

Sie ließen sich seufzend los, ließen es sich aber nicht nehmen, Hand in Hand wieder in die Küche zu gehen, wo Maigi saß, seine Verlobte auf dem Schoß haltend uns sich an sie kuschelnd.

„Stören wir?“

Der Junge lächelte errötend und Tai sprang erschrocken auf und auf ihren alten Stuhl zurück.

Der Grünhaarige in der Tür lachte.

„Ähm... alles okay, wir beiden machen das auch manchmal, also...“

Ja, das wusste sie, aber er hatte sie erschreckt, verdammt. Der kleine Magier tätschelte seiner schmollenden Freundin lächelnd den Kopf, dann wandte er sich den anderen Beiden zu.

„Nein, keineswegs. Alles in Ordnung?“

Choraly nickte voller Elan. Sie fühlte sich himmlisch, sie musste jetzt unbedingt jedem von ihrem Umstand erzählen.

„Ich bekomme ein Baby!“

Mayora grinste auf ihre Worte stolz und die Beiden am Tisch erstrahlten. Es war so schön, sein Glück mit den Freunden zu teilen!

„Ehrlich?“

Maigi schenkte glücklich seinem eigenen Mädchen einen kurzen Blick, das voller Elan quiekte.

„Oh wie schön! Dann können unsere Kleinen zusammen spielen, nicht? Die sind nur ein paar Monate auseinander!“
 

Das glückliche Paar wartete noch auf Imera und Lilliann, um alles abzuklären. Und natürlich um mit der Schwangerschaft des Stadtmädchens anzugeben, aber das gaben sie nicht zu. Außerdem konnten sie es ohnehin nicht vermeiden, sie freuten sich einfach zu sehr.

Und es war gut, dass sie diese Freude noch auskosteten.
 


 


 

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Ultimatives Schmuse-Flauschi-Bauschi-Filler-Kappi zu Ente! XDD

Unrecht

Sie hatten beschlossen, dass Maigi am Abend ganz normal als Dafi zur Station zurückkehren würde, um sich bei Pinita zu „entschuldigen“. Das war ihm zwar zuwider, aber wenn er sich nicht gut stellte mit seiner Cousine, bekam er auch keine Informationen mehr vor ihr und das wäre möglicherweise fatal gewesen, denn wann und ob überhaupt eine Gefahr für das Dorf bestand, wusste er schließlich noch nicht.

Mayora sollte seinerseits dafür sorgen, dass seine Tante den Notfallplan absegnete. Auf ein Treffen mit ihrem personifiziertem Windgeist hatte nämlich niemand so wirkliche Lust.

Lilliann hatte ihn dringendst darum gebeten, denn sie wollte hier keine illegale Aktion ins Leben gerufen haben.

Die möglichen Schwierigkeiten bereitete ihr am Abend auch so einiges Kopfzerbrechen.
 

„Denkst du, mein Plan war zu voreilig?“

Sie lag in ihrem Bett und starrte die dunkle Zimmerdecke an. Neben ihr auf dem Boden schlief Genda in einem alten Korb, eingekuschelt in viele Decken. Er hatte keine richtige Wiege, aber sobald er alt genug war, würde er zumindest Tais altes Kinderbettchen bekommen. Eine Familie wie ihre, die dem Dorf absolut keinen Nutzen brachte, hatte nicht das Recht, Ansprüche auf neue Möbel zu stellen, wenn es nicht absolut nötig war. Und dem kleinen Jungen ging es in dem Einkaufkorb auch ziemlich gut, so hatte sich seine Mutter auch noch nicht gewagt, nach einer Wiege zu fragen. Dabei könnte Imera ihr sicherlich eine besorgen, immerhin war sein asozialer Onkel Schreiner. Aber... nein, sie wollte sich nicht aufdrängen.

Auf Jiros Bettseite schlief seit ein paar Wochen Tainini. Sie war schließlich hochschwanger und durch ihre Behinderung wollte die Ältere sie nur ungern allein schlafen lassen. Davon abgesehen hatte sie das jüngere Mädchen gern, sie waren aufgewachsen wie Schwestern und die junge Mutter fühlte sich einfach verantwortlich für sie. Und umgekehrt war es genau so, doch das wusste sie nicht.

„Ich fand deinen Plan toll.“, antwortete die Kleinere da und streichelte versonnen über ihren runden Bauch, „Ich will nicht, dass das Dorf angegriffen wird, ich fürchte mich davor. Dann will ich lieber, dass die Menschen aus der großen Stadt wissen, dass es uns gibt. Du hast völlig Recht.“

Ja, so oft sie den Ablauf auch gedanklich durchging, sie konnte keinen Fehler entdecken. Mayora hatte auch sofort zugestimmt, aber irgendwie war das zu einfach und das beunruhigte die junge Frau.

„Da geht sicher irgendetwas wahnsinnig schief, ich sage es dir.“

Sie wandte den Kopf in Taininis Richtung. Sie war nervös, es ließ sich nicht verbergen.

„Warum bist du dir da so sicher?“, wollte das andere Mädchen darauf wissen und sie seufzte.

„Ich habe so ein Gefühl...“, sie schloss die Augen, „Ich hatte es schon einmal, aber damals dachte ich, es käme von der Schwangerschaft. Ich habe gespürt, dass Jiro sterben würde. Aber ich habe mir selbst nicht genügend vertraut... ich hätte ihn aufhalten müssen.“

Ja, sie hatte gespürt, dass etwas nicht richtig war. Sie war absolut beunruhigt gewesen und trotzdem hatte sie nichts gesagt. Und dafür hasste sie sich heute.

Ihr Verlobter hätte möglicherweise noch leben können, vielleicht wäre er bereits ihr Ehemann gewesen, wenn sie ihn bloß vorgewarnt hätte.

Natürlich war die Wahrscheinlichkeit gering, dass es sich davon hätte aufhalten lassen, aber... es war nicht ausgeschlossen. Sie machte sich solche Vorwürfe...

Und die Jüngere ahnte es.

„Und wenn schon. Wenn etwas passieren soll, dann soll es passieren. Wäre Jiro nicht so getötet worden, dann wäre ihm am nächsten Tag eine Dachziegel auf den Kopf gefallen oder so ähnlich, glaube es mir. Und wenn dieses Mal etwas passieren soll, dann passiert es auch, du kannst es nicht verhindern, Lilli. Was du dir da ausgedacht hast, ist gut, glaube es mir einfach. Und glaube an dich, vor allen Dingen.“

Darauf fiel der Älteren nichts mehr ein.
 

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„Glaube mir, ich danke dem Himmel dafür, dass du noch einmal zur Besinnung gekommen bist! Ich dachte ernsthaft, du würdest auf dumme Gedanken kommen!“

Maigi war übel, als er schön brav bei seiner Cousine auf dem Bett saß und den Kopf weit gesenkt hielt, während die Ältere vor ihm auf und ab rannte und ihm eine Predigt hielt. Konnte die ihm denn nicht einfach sagen, was er wissen wollte, bei allen Göttern?

„Ich würde dich doch niemals hintergehen.“, versuchte er es abermals seufzend, „So viele Jahre halten wir beiden schon zusammen, da müsste ich ja wirklich sehr dumm sein. Ich war bloß etwas verletzt, weil du mir so etwas wichtiges verheimlicht hast.“

Sie kam vor ihm zum Stehen und er schaute fragend auf, als sie seltsam vor sich hin lächelte.

Pinita war eine wirklich sehr seltsame Person, er vermochte sie nach all den Jahren noch nicht einzuschätzen. Und er misstraute ihr. Er hoffte bloß inständig, dass sie ihn noch nicht durchschaut hatte...

„Du warst doch im Dorf, nicht?“, er nickte, „Du hast dich doch sicher ausgeheult, weil ich so gemein gewesen war und dir so etwas wichtiges verheimlicht habe, nicht?“

Sie ahnte es.

„Ich habe nichts genaues gesagt, glaube es mir! Ich war traurig, aber ich würde dich niemals verraten!“

Ihre Blicke trafen sich. Sie musste ihm unbedingt glauben, nur noch ein klein wenig, dann war es ja egal, aber er brauchte noch Informationen!

Er erschauderte, als ihr Ausdruck sich veränderte, nahezu eisig wurde.

„Ich beobachte dich.“, machte sie düster, „Wenn ich auch nur im Ansatz den Eindruck habe, dass du mich verraten willst, dann drehe ich sofort den Spieß um und verrate dich. Für mich steht mein Traum auf dem Spiel, für dich dein Leben, vergiss das nicht.“

Der Junge hielt ihrem starren Blick stand. Sie kannte ihn zu gut, hätte er nun weggesehen, hätte sie sofort gewusst, dass er sie hintergangen hatte oder es im Begriff war zu tun.

Nein, er wirkte dem Drang sich abzuwenden entgegen und die Blonde hob beide Brauen.

„Nun gut, ich denke, das hast du verstanden.“

Innerlich atmete Maigi laut aus, gab sich aber weiterhin große Mühe, sich äußerlich nichts anmerken zu lassen. Wenn er das richtig sah, hatte er das vorerst Schlimmste hinter sich, sie hatte ihm abgekauft, den Mund gehalten zu haben. Jetzt wollte er aber auch wissen, was Sache war.

Pinita tat ihm den Gefallen, und begann zu berichten, während sie auch ihr hin und her laufen fortsetzte.

„Thilia ist das einzige Ziel, dass uns reale Bedingungen ermöglicht. Wir haben eine Zeit lang an die menschenleeren Ruinen Morikas gedacht, aber da hätten wir eben nicht alles ausprobieren können...“

„Moment!“, unterbrach der Magier sie, „Heißt das, ihr habt da nicht nur Kriegswaffen, sondern auch welche, die auf Zivilisten abgerichtet sind?“

Ihm wurde übel bei dem Gedanken, Krieg war scheußlich, es hatte ihm nie gepasst, beim Militär beschäftigt zu sein...

„Natürlich haben wir das!“, die Blonde lachte darüber nur kurz und fuhr fort, „In drei Tagen ist es soweit, in der Abenddämmerung kommen wir von Süd-Osten. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, wir müssen alles miteinkalkulieren.“

Sie ließ sich glücklich zu ihrem Cousin aufs Bett sinken und lächelte.

„Ich freue mich so!“
 

Der Jüngere tat es ihr definitiv nicht gleich. Er fragte sich bloß, wie er es geschafft hatte, all die Jahre sein Leben für eine solch abartige Person zu geben. Wie konnte sie sich nur an dem Gedanken erfreuen, den Menschen und Himmelsblütern, bei denen sie aufgewachsen waren, das Dorf, in dem sie als Kinder immer gespielt hatten, qualvoll zu zerstören, nur um zu sehen, wie toll ihre Waffen waren, um sich dann kaum später absolut größenwahnsinnig auf den Rest der Welt, der so lange in Frieden gelebt hatte, zu stürzen? Pinita war krank und brauchte Hilfe...

Ihr fiel etwas ein.

„Und was ist mit Tafaye und Kirima, willst du die mitopfern? Ich dachte, du liebst die Beiden!“

Wenn jetzt etwas kam nach dem Motto, sie musste auch etwas opfern, wusste Maigi nicht, in wie weit er sich noch unter Kontrolle hatte. Das wäre abartig gewesen.

Ganz so hart war die Blonde dann aber doch nicht.

„Ich habe Karna beauftragt, die Beiden kurz bevor es los geht unter einem Vorwand aus dem Dorf zu locken. Ich hoffe bloß, mein Liebster kann mir verzeihen, dass ich seine Heimat zerstöre, es wird unsere Liebe auf eine harte Probe stellen. Aber falls sie sie übersteht, bin ich mir wirklich sicher, dass wir beiden füreinander geschaffen sind und es unsere Bestimmung ist, den Rest unseres Lebens zusammen zu verbringen.“

Oh ja, dessen war ihr Cousin sich auch sicher, aber gönnen tat er es ihr nicht. Am liebsten hätte er gesehen, dass der blonde Schneider ihr alles vor die Füße warf, sein kleines Mädchen nahm und ging. Sie schien tatsächlich an ihrer eigenen Familie zu hängen, wenn sie zerbrach, würde sie vielleicht endlich einmal merken, wie es war, wenn man jemanden verlor, dem man wirklich liebte. Aber das war Traumdenken, dafür hatte er gerade keine Zeit. Er wagte, weiter zu fragen.

„Und was ist mit den anderen Leuten im Ort? Mit Shakki zum Beispiel, die weiß das doch garantiert!“

Es kribbelte ihm in der Faust, als sie ihn schallend auslachte. Ja, klar, so viel Selbstbewusstsein musste man erst einmal haben, Himmel.

Die Ältere strich sich amüsiert durchs Gesicht.

„Keine einzige Person in ganz Thilia hat eine Chance gegen uns, ist mir egal, wie viele davon wissen, sie können ja nicht weg, zumindest weit kommen sie nicht!“

Er hob scheinbar irritiert eine Braue, während die Ältere noch immer kicherte.

„Aber warum würde es dich dann so stören, wenn ich denen im Dorf erzählt hätte, was ihr vorhabt?“

Ihr Grinsen verschwand. Hoffentlich hatte er sich mit dieser Frage nicht verraten, aber das hatte jetzt einfach sein müssen. Wenn ihr das doch so egal war...

„Maigi, es ist ganz simpel.“, antwortete Pinita da, „Es geht ganz einfach nur um das Prinzip.“
 

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„Wir werden sterben, Kinai...!“

Kinai Kaeara hatte es nicht leicht und er verfluchte seine Eltern mehr denn je dafür, dass sie nie Zeit für ihre Kinder hatten. Jetzt hockte er auf dem Bett seiner Schwester und jene hing ihrerseits am Ende ihrer Kräfte an ihm und jammerte in der alten Sprache. Ab und an kam auch mal ein normales „Wir werden sterben!“, im Großen und Ganzen hing die Frau aber wieder an der Klippe zur Schlucht namens Wahnsinn und er schien ihr letzte Halt zu sein, wie sie mit den Löchern andeutete, die sie ihm mit den Fingern beim Festkrallen in die Haut drückte.

Sie tat ihm in solchen Momenten einfach nur unsagbar Leid, er wusste nicht, was er für sie tun konnte, geschweige denn, was sie überhaupt meinte und was sie so schlimm beunruhigte; das Einzige, was er wusste, war, dass sie nun schon stundenlang so apathisch war und das war wirklich beängstigend. So hart war es normalerweise bloß im Windmond, doch der war längst vorbei. Am nächsten Morgen musste er unbedingt zu Chatgaia.

Ein schriller Schrei riss ihn aus seinen Gedanken und er zog scharf die Luft ein, als sie in seinen Armen zusammensackte.

„Schwester...?“

Sie zitterte. Er fragte sich, wie lange sie das noch überstehen konnte. Immer öfter geschah so etwas. Es machte sie seelisch und körperlich fertig.

Und gefährlich, er bekam mit jedem Tag, der verging, mehr Angst vor ihr. Sie war mächtig, wenn sie außer Kontrolle geriet, konnte das schlimme Folgen haben. Da musste er auch noch einmal dringend mit dem Dorfoberhaupt drüber sprechen, seine Eltern spielten ihren Wahnsinn ja immer, wenn er es ansprach, dezent herunter. War ihnen wohl egal, dass er darunter litt...

„Kinai...“, wimmerte sie da und sah zu ihm auf.

Ihre Augen waren wieder klarer, sie zitterte zwar, doch sie schien bei sich zu sein.

„Kinai, du musst etwas tun!“, bat sie, „Es wird etwas geschehen, aber ich weiß nicht, was! Mayora, dieser verfluchte, widerliche Arsch, hat mir einen Tee gegeben, der mich schwächt, der mich nicht mehr richtig deuten und sehen lässt! Geh zu ihm, rasch, ich brauche ein Gegenmittel!“

Sie ließ von ihrem Bruder ab und setzte sich schwer atmend neben ihn, ihre Beine anziehend und sie mit ihren Armen umklammernd.

Sie hörte Stimmen, doch sie verstand sie nicht. Sie wusste, dass es sehr wichtig war, aber sie hatte keine Ahnung, worum es ging, es war zum verrückt werden. Und alles war dieser furchtbare Kerl Schuld, der sie nicht mehr wollte, obwohl sie so schön aussah! Viel schöner als Choraly im übrigen, fand sie zumindest...

„Aber... meinst du, ich soll da jetzt...?“

Und sie wäre ihrem kleinen Bruder fast an die Kehle gesprungen, weil er einfach so unnütz da saß und nicht das tat, was sie von ihm verlangte. Sah er denn nicht, wie wichtig es war? War er denn SO naiv?!

„Kinai, geh, SOFORT!“

Ihre violetten Augen funkelten ihn bösartig an und er sprang aus Selbstschutz sofort auf und ein paar Schritte vom Bett weg. Sie konnte ganz schnell sehr gefährlich werden, dass er noch lebte, grenzte fast an ein Wunder, dachte sich der Junge gelegentlich...

„Ich gehe, ich bin ganz brav, bleib ganz ruhig! Entspann dich einfach!“

Er rannte los.
 

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„Wann willst du deiner Tante von unserem Plan erzählen?“

Es war schon reichlich spät, die meisten Menschen schliefen wohl schon, doch Mayora und seine nun schwangere Freundin Choraly saßen bei Kerzenlicht in der ansonsten dunklen Küche und aßen zu Abend. Es gab auch Öllampen, aber so war es romantischer, fand das Paar.

Im Übrigen wollte der Magier nicht zu Bett gehen, wenn seine Tante noch nicht zuhause war, dann sorgte er sich zu sehr und tat kein Auge zu. Und weil die junge Frau nicht allein schlafen wollte, konnten die Beiden die Zeit ja auch nutzen, um ihren Hunger zu stillen.

„Morgen, denke ich. Nachdem Maigi uns erzählt hat, wie das jetzt abläuft. Ansonsten wäre es voreilig, finde ich.“

Er aß ruhig vor sich hin. Sein Gegenüber musste lächeln, sie wusste trotzdem, dass ihn das nervös machte, sie kannte ihn mittlerweile zu gut. Irgendwie war er einfach nur süß.

„Meinst du, deine Tante wird zustimmen?“, wagte sie, weiter zu fragen und widmete sich ebenfalls wieder ihrem Essen. Er legte das Besteck bei Seite und senkte seufzend den Blick.

„Ich weiß es nicht.“, gab er zu, „So, wie ich sie kenne, eher nicht. Aber ich kann sie in letzter Zeit auch nur schlecht einschätzen, kann auch sein, dass sie recht schnell einsichtig ist.“

Irgendwie war es peinlich, dass er nur noch so wenig Ahnung von ihren Launen hatte. Er trank einen Schluck und seine Freundin schaute besorgt.

„Vielleicht sollten wir einmal Imera fragen, der war doch in den letzten Monaten so innig mit ihr, der kennt sie sicher in und auswendig jetzt.“, fügte er dann noch hinzu und speiste weiter, während Choraly sich bei der unabsichtlichen Zweideutigkeit des Satzes schwer verschluckte.

„Alles in Ordnung?“

Das Mädchen trank hastig ihr Glas aus und schnappte nach Luft. Hatte er es etwa auch mal mitbekommen?

„Denken wir beiden das Selbe?“, erkundigte sie sich hoffend, bekam aber schon eine Antwort, als sie seinen naiven Blick sah.

Nein, er war zu gutmütig und doof, um das mitzubekommen und das wirklich als einziger im Dorf. Vermutlich wussten es sogar die Schulkinder, was für eine peinliche Sache...

„Ich... weiß leider nicht, was du denkst, Prinzessin, deshalb kann ich vermutlich nicht wahrheitsgemäß antworten, befürchte ich.“

Sie seufzte lächelnd und er wollte ihr gerade sagen, dass sie ihn verwirrte, da Klopfte es an der Tür, ziemlich kräftig. Vermutlich befürchtete die Person, sie würden bereits schlafen und könnten sie nicht hören.
 

„Deine Tante?“, fragte Choraly überrascht, als ihr Freund sich erhob, um zu öffnen. Er musste nicht antworten, sie wusste von selbst, wie unwahrscheinlich das war, warum sollte Chatgaia bei sich selbst zuhause anklopfen? War ihr halt so herausgerutscht, das waren sicher die doofen Missgeburten-Gene, die sie gerade in sich trug. Sie streichelte unwillkürlich über ihren noch flachen Bauch...

Mayora kam inzwischen Kinai entgegen gestolpert, der bei seinem Geklopfe glatt das Gleichgewicht verloren hatte, als der Ältere ihn eingelassen hatte. Letzterer sah nun ziemlich überrumpelt aus der Wäsche und auch seine Liebste hob verwirrt den Kopf.

„Was machst du denn so spät noch hier?“

Der Schwarzhaarige schnappte nach Luft. Er war so schnell gerannt, wie er gekonnt hatte. Echt wahnsinnig...

„Ich.... ich bin ziemlich... wütend auf dich, Timaro!“

Er lehnte sich keuchend an den Türrahmen und schloss einen Moment die gelben Augen. Es war spät und er war dank seiner Schwester völlig übermüdet, verdammt...

„Auf mich? Ach, warum nur?“

Mayora hatte wenig Mitleid mit ihm. Er hatte den Kaera-Geschwistern nicht vergessen, dass sie seine Liebste tatsächlich hatten töten wollen, wobei Kinai sie letztendlich dann doch noch gerettet hatte, indem er sie vor ihrem Haus abgelegt hatte. Aber er hatte seiner bescheuerten Schwester auch geholfen, also war er Abschaum für ihn. Für Choraly auch, die den Gast nun einfach ignorierte und weiter aß, natürlich trotzdem aufmerksam lauschend.

„Nein, nicht wegen dem Üblichen!“, entgegnete er da, als er wieder zu Atem gekommen war, „Du hast Shakki irgendwann mal irgendetwas zu trinken gegeben, was sie geschwächt hat oder so und jetzt dreht sie noch viel mehr am Rad als so wie so schon, sie will ein Gegenmittel! Sofort!“

„Stecke dir dein „sofort“ sonst wohin, ich lasse mich nicht herumkommandieren, von dir schon gar nicht!“

Der Ältere schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust. Was bildete der sich denn ein? Sollte die blöde Kuh doch durchdrehen, war ihm doch egal...

Dass das theoretisch schlecht für das Dorf sein konnte, ignorierte er dabei einfach gekonnt...

Seine Freundin am Tisch wurde nebenbei noch hellhöriger als sie ohnehin schon war. Wann hatte er der Hexe etwas zu trinken gegeben, davon wusste sie ja gar nichts...

Kinai seinerseits schnaubte innerlich. Er ließ sich nicht herumkommandieren, sollte er jetzt lachen? Er war noch immer Chatgaias Hund! Na gut, mittlerweile mehr der von Choraly... okay, vermutlich war er einfach das Haustier in diesem Haus. Wie armselig... nun gut, sein Leben war auch nicht viel besser, aber egal.

„Meine Schwester dreht völlig ab!“, versuchte er es erneut, „Sie meinte, sie würde irgendeine Gefahr sehen, aber sie kann nicht deuten, was es ist!“

Er war doch so auf das Wohlergehen seines Dorfes bedacht, dann konnte er ihm wohl auch diesen Gefallen tun. Ja, ihm, er musste Shakki ja schließlich ertragen...

Seine Hoffnung war jedoch vergebens.

„Danke für die nutzlose Information.“, schnappte der Grünhaarige nur und klag dabei seltsam sachlich, „Wir kennen die Gefahr bereits und wissen schon, wie wir dagegen vorgehen.“

Choraly sah wieder auf und musste unwillkürlich glucksen, als sie im schwachen Licht Kinais unsagbar doofes Gesicht erblickte.

Damit hatte er offensichtlich nicht gerechnet...

„Ja, aber... trotzdem, meine Schwester leidet so sehr!“

Er konnte nicht aufgeben, ansonsten musste er bald leiden. Himmel, er hatte es wirklich nicht leicht.

Kannte dieser Kerl denn überhaupt kein Mitgefühl? Er wusste doch genau, wie Shakki sein konnte!

Der Junge senkte zitternd den Blick. Er hatte Angst, verdammt, niemand half ihm, er war ganz allein in diesem Dorf, niemanden scherte, was aus ihm wurde, es war so gemein...

„Mir ist völlig egal, wie sehr deine Schwester leidet und nun lass uns in Ruhe essen. Geh heim, Kinder in deinem Alter sollten schon längst im Bett liegen...“

Damit wandte sich Mayora ab. Er wollte einfach weiter speisen, dieser Nerven-Zwerg sollte verschwinden. Er zerstörte die ganze Romantik!

„Verdammte Scheiße noch mal!“

Er hielt inne, als der unerwünschte Gast laut aufschrie und ihn dann gewaltsam wieder zu sich umdrehte. Choraly sprang alarmiert auf. Der sollte es wagen und ihrem Liebsten auch nur ein einziges seiner wunderschönen matsch-grünen Haare zu krümmen, dann war er des Todes!

Kinai fauchte.

„Wer bist du? Bist du nicht das vertretende Dorfoberhaupt? Hast du nicht dafür zu sorgen, dass es allen im Dorf gut geht?! Himmel, ich kann verstehen, dass du meine Schwester hasst, aber ich habe dir von mir aus nichts getan! Niemals!“

Er ließ den Älteren los und trat zitternd ein paar Schritte zurück. Er konnte nicht mehr, er schaffte es nicht mehr! Mayora hatte völlig Recht, er war an sich noch fast ein Kind und er gehörte zu dieser Zeit ins Bett, aber das war ihm nicht vergönnt und niemand kümmerte sich darum! Shakki hatte ihn gebeten, für sie stark zu sein, aber er war doch selbst noch so jung, wie sollte er das schaffen?!

„Ich will nichts schlechtes mehr tun!“, der böse Blick des Älteren verschwand, als der Junge vor ihm zu weinen begann, „Ich will einfach ganz normal leben, mit einer Schwester, die nicht völlig wahnsinnig ist und mich zu schrecklichen Dingen zwingt! Und mit Eltern, die nicht Tag und Nacht arbeiten, denen ich nicht völlig egal bin!“

Es war ein herzerweichender Anblick, wie er da stand, völlig zottelig und übermüdet und am Ende seiner Kräfte weinend. Die junge Frau seufzte mitleidig und trat zu ihrem Freund, den das etwas überrumpelte.

„Wenn ihr mir schon nicht helft, von zuhause weg zu kommen, irgendwohin, wo ich nicht tagtäglich um mein Leben fürchten muss, dann gebt mir doch bitte wenigstens dieses blöde Gegenmittel, damit ich zumindest heute Nacht meine Ruhe habe!“

Er bemühte sich, sich wieder etwas zu fassen und wischte sich mit seinem Ärmel übers Gesicht. Seine Augen brannten und ihm war übel. Er hasste es, über sein Leben nachzudenken...

„Hör mal...“, antwortete sein Gegenüber da endlich, jedoch zum Bedauern aller Anwesenden nicht das, was er gern gehabt hätte, „Ich entwickle dieses Mittel, um das Himmelsblut unwiderruflich zu deaktivieren. Ich habe nie versucht, ein Gegenmittel herzustellen, das wäre ja dann eine Substanz, die einen Menschen zum Magier macht, und ich fürchte, das ist noch komplizierter als umgekehrt. Ich kann es natürlich versuchen, aber heute Abend wird das ganz sicher nichts mehr. Vermutlich noch nicht einmal in den nächsten Monaten...“
 

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Choraly hielt Kinai für eines der bemitleidenswertesten Lebewesen ihres Planeten und es machte sie traurig, ihn einfach seinem Schicksal überlassen zu müssen. Es machte ihr irgendwo ein schlechtes Gewissen und raubte ihr den Schlaf. Gab es denn wirklich keine Möglichkeit, dem Jungen zu helfen? Und wo waren seine Eltern?

Ihre Unruhe übertrug sich auch auf ihren Freund, der sie trotz seiner liebevollen Nähe nicht zum Schlafen bringen konnte. Er verstand sie und war ihrer Meinung, aber im Moment konnte er nichts machen. Dass sein Mittel so gut gewirkt hatte, überraschte ihn im Übrigen sehr, er hatte sich damals bloß kurzzeitig verändert und war nach wenigen Stunden wieder ganz der Alter gewesen. Bei Shakki war er eher der Meinung gewesen, es würde noch weniger lang wirken als bei ihm, sie war schließlich eine ganz bemerkenswert mächtige Magiern. Da hatte er sich wohl geirrt.
 

In der Nacht träumte er von einem riesigen schwarz-violetten Wüstendämonen in Form einer Schlange, die das komplette Dorf zu verschlingen drohte. Sie kam aus der Schwärze der Nacht direkt auf ihn, der am Rand der Oase stand zu und in dem Moment, in dem sie ihr riesiges Maul aufriss, um ihn zu fressen, wachte er auf.
 

Der Morgen war noch jung und etwas sagte ihm, dass seine Tante noch schlief, ebenso wie Choraly, die allerdings wohl erst vor kurzer Zeit eingeschlafen war.

Er entschloss weise, sie nicht zu wecken, stand aber selbst auf, denn ein solcher Traum wollte etwas heißen. Er war im Deuten nie sonderlich gut gewesen, aber mit Wüstendämonen war sicherlich nicht zu spaßen, da gehörte nicht viel dazu.

Er hoffte, dass ihn sein laues Gefühl nicht täuschte, irgendwo im Ort auf Maigi zu treffen, um zu erfahren, was los war. Wie genau er darauf kam, dass er den zierlichen Jungen suchen musste, wusste er nicht, aber er war sich sicher, es hatte einen Sinn.
 

Und noch eine ganze Weile, bevor sich die ersten Sonnenstrahlen hinter den Dünen hervor geschlichen hatten, hatte er den Jüngeren auf der Hauptstraße gefunden.

Es war ein seltsames Gefühl, das ihn überkam, als sie sich plötzlich so unabgesprochen gegenüberstanden und dem Feuermagier schien es nicht anders zu gehen, denn sie schauten mindestens gleich doof.

„Nun ja...“, begann der Junge aus der Station auch perplex, „Seltsame Sache, ich denke, das war wohl Wille der Götter, nicht?“

Mayora zuckte mit den Schultern. Ja, so war es wohl. Beängstigend.

„Ich nehme an, du sollst mir möglichst früh sagen, was los ist, damit ich meiner Tante so schnell wie möglich etwas konkretes erzählen kann.“

Ja, es war so wahnsinnig früh, es hatte sicherlich etwas mit der Zeit zu tun. Zeit... Zeitnot war etwas ätzendes, es stresste ungemein, wenn man nicht wusste, wie man hin kam.

Maigi nickte.

„Dann komme ich schnell zur Sache. In drei Tagen in der Abenddämmerung wollen sie von Süd-Osten kommen. Und sie haben es auf die Menschen abgesehen, nicht auf die Gebäude, ganz grauenhaft. Viel mehr weiß ich aber leider auch nicht. Soll ich denn nach Wakawariwa funken?“

Der Grünhaarige seufzte. Ja, das war wohl das Beste. Aber es war ein grauenhafter Gedanke, Thilia zu verraten.

Sie brauchten Hilfe, das war Fakt. Sie konnten nicht allein gegen solche modernen Waffen ankommen.

Aber niemand konnte sicher gehen, dass sie diese besagte, überlebensnotwendige Hilfe auch bekamen, etwas musste ja dran sein am Hass der Menschen von Außerhalb den Magiern gegenüber. Allein, wenn er daran dachte, wie Choraly zu Beginn gewesen war; wenn die alle auch nur halb so schlimm tickten, war das Dorf schneller weg, als sie schauen konnten.

„Es gibt nur diese Möglichkeit, Mayora.“, erinnerte der Jüngere ihn wieder, als er nach dem langen Schweigen des Wassermagiers unruhig wurde, „Ansonsten werdet ihr platt gemacht.“

Ja, das war wahr. Er musste dieses Risiko einfach eingehen. Es war kein Fehler. Es konnte kein Fehler sein. Nichts zu tun war falsch, nichts anderes.

„Funke. Mache es, du hast Recht, ich kümmere mich nachher um meine Tante.“

Maigi nickte. Dann war es das? Es war verwirrend, warum wollten die Götter, dass sie das so unnötig früh am Morgen regelten?

Er hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache.

„Dann mache du deines und ich meines. Treffen wir uns heute Abend bei Lilli? Wir sollten schließlich darüber reden, wie es geklappt hat.“

Na hoffentlich gut.

„Ja, dann sehen wir uns da. Viel Glück.“

Der Kleinere wandte sich noch immer etwas verwirrt ab. Dumme Sache, warum musste auch immer irgendwer Probleme machen?

„Dir auch viel Glück...“
 

Als Mayora vor seinem Haus ankam, öffnete Chatgaia überraschend die Tür. Nun gut, es war nicht direkt ungewöhnlich, sie ging oft zu dieser Zeit „arbeiten“, aber in seinen Gedanken versunken, hätte der junge Mann nicht damit gerechnet, dass sie ihm entgegen kam.

„Himmel.“, begrüßte seine Tante ihn immerhin nicht minder überrascht, „So früh schon auf den Beinen? Das überrascht mich. Trifft sich aber gut, gestern Abend kam ich überhaupt nicht mehr dazu, dich zu fragen, ob Choraly es dir schon erzählt hat.“

Ein glückliches Lächeln stahl sich in ihr hübsches Gesicht und der Neffe erwiderte es bei dem Gedanken an das Baby, dass seine Freundin unter ihrem Herzen trug. Sein Baby.

„Guten Morgen, Tante. Ja, sie hat es mir erzählt, ich bin wirklich sehr glücklich.“

Das Dorfoberhaupt musste sich auch sehr freuen. Sie wünschte sich schon seit so vielen Jahren ein Kind und mit ihrem Mann war die letzte Hoffnung für sie, noch einmal Mutter zu werden, gestorben, wenn Choraly jetzt ein Kind bekam, war das eine sehr willkommene Alternative für sie. Das Stadtmädchen war verwöhnt und hatte keine Erfahrungen, sie brauchte auf jeden Fall Hilfe, außerdem war der Säugling dann auch mit der Grünhaarigen verwandt, das war ideal, er konnte ihre Freude durchaus verstehen.

„Das habe ich mir gedacht.“, grinste sie da, „Wir... ich meine, ihr werdet eine schöne Familie werden. Ich bin sehr stolz auf euch Beiden.“

Sie errötete vor Freude und der Junge konnte es sich nicht verkneifen, die Frau liebevoll in die Arme zu schließen.

„Wir werden eine schöne Familie, du gehörst dazu und das wirst du auch immer tun, versprochen.“

Er hatte sie nie als seine Mutter anerkannt, wie sie es sich immer gewünscht hatte, aber trotzdem liebte er sie nicht weniger stark. Sie und Harata hatten ihn in den schwierigsten Momenten seines Lebens begleitet und beigestanden, er würde es niemals übers Herz bringen, diese Frau von irgendetwas auszuschließen. Dazu war sie zu gut zu ihm gewesen.

„Danke, mein Süßer.“, machte sie da und löste sich aus der Umarmung, „Ich muss jetzt arbeiten, mache dir einen schönen Tag mit deiner Liebsten, ich habe keine Aufgabe für dich.“

Es war irgendwie gerade verdammt dumm, sie aus ihrer guten Laune reißen zu müssen. Ach, wie gern wäre er ihrer Anweisung doch nachgekommen...

Dennoch, er hatte seine Verpflichtungen.

Er seufzte.

„Tantchen, es gibt da noch etwas, worüber ich mit dir reden muss.“

Sie hob gut gelaunt beide Brauen. Nanu, er klang so ernst?

„Nun gut, sprich.“
 

Mayora hatte ja die Hoffnung, dass sie es bei ihrer guten Laune gut aufnehmen würde, von daher wäre es einfach nur dumm gewesen, diese Chance vorüberziehen zu lassen. Aber trotzdem, das war nicht leicht...

„Weißt du...“, begann er unsicher, „Die Forschungsstation hat ein geheimes Projekt ausgearbeitet, bei dem es darum geht, bessere Waffen und Kriegsstrategien und... ach keine Ahnung, ich kenne mich damit nicht aus, es ist kompliziert. Aber es ist etwas gefährliches, womit sie Krieg machen wollen und das viele Leben kosten könnte...“

Er hörte verunsichert auf, als sich das hübsche Gesicht seines zierlichen Gegenübers verfinsterte und es unbeeindruckt eine Braue hob.

Und wieder einmal bewies das Dorfoberhaupt, dass es durchaus sehr kaltherzig sein konnte.

„Was interessieren mich die Leben von irgendwelchen unwürdigen Menschen? Das ist nicht unsere Sache, denke über so etwas am Besten überhaupt nicht erst nach, Neffe.“

Und damit hatte sich für sie diese Sache. Ihr Vater hatte seiner Zeit einen Vertrag mit dem obersten Offizier der Station unterschrieben, dass ihnen ein friedliches Miteinander versicherte, solange sich die eine Partei nicht in Dinge der anderen einmischte und dieser Vertrag war der Frau heilig, denn diese komischen Leute aus Mon'dany konnten sie unter Umständen verraten und das wäre der Untergang gewesen...

Als sie sich abwenden wollte, sprach der Junge etwas verunsichert weiter.

„Da will ich mich auch gar nicht einmischen, du hast Recht, diese Menschen am anderen Ende der Welt scheren mich einen Dreck, was soll es schon, wenn da ein paar verschwinden...?“, an sich dachte er keineswegs so grausam, aber etwas besseres war ihm gerade nicht eingefallen, „Aber diese Idioten aus der Station wollen diese grausamen Waffen an unseren Dorf testen, in drei Tagen schon, da haben wir absolut keine Chance gegen!“

Jetzt wusste sie zumindest, worum es ging. Er erschauderte, als er daran dachte, dass nun ihr Plan kam... Lillis Plan, wenn man es genau nahm. Er würde sich demnächst im Übrigen wagen, sich bei ihr zu entschuldigen. Dass sie ihm verzieh, erwartete er nicht, aber er wollte es von der Seele haben, Lilliann war ein gutes Mädchen.

„Das halte ich für unglaubwürdig, wer erzählt so etwas?“, empörte Chatgaia sich da und verschränkte die Arme vor ihren üppigen Brüsten, „Wir haben ein Abkommen mit denen, das kann nicht sein.“

In diesem Augenblick dachte sich der junge Mann zum ersten Mal in seinem Leben, dass die Magierin alt war. Sicherlich nicht körperlich, aber geistig. Sie war so intelligent und dennoch glaubte sie dermaßen an diese zweifelhafte Loyalität von diesem idiotischen Volk jenseits der Dünen, es war kaum zu glauben.

„Es ist aber so, Pinita Ferras treibt das voran und ihr Cousin Maigi...“

„Ach, er hat es endlich erzählt?“

„... ja, ihr Cousin Maigi hat uns gewarnt. Ich habe ihm die Erlaubnis gegeben, nach Wakawariwa zu funken, damit die uns helfen, ich bin mir bewusst, dass es ein gewisses Risiko - ...“

Er fing sich eine schallende Ohrfeige.

„Wie bitte?!“
 


 


 

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Lalala... nächstes Kappi wird lustig <3

Wunden

Mayora starrte seine Tante entsetzt an. Sie hatte ihn geohrfeigt. Richtig fest. Das hatte sie zuvor noch nie getan, oder?

Er war wie eingefroren, als er automatisch nach seiner pochenden Wange fasste und sein Gegenüber anstarrte.

„Wie, bei allem, was heilig ist, bist du darauf gekommen, so etwas wichtiges ohne meine Zustimmung zu entscheiden, Mayora Timaro?! Antworte!“

Er wich einen Schritt zurück, als ihre orangenen Augen ihn bösartig anfunkelten. Ihr Blick war gefährlich, begabte Magier konnten mit ihren Iriden unvorstellbare Dinge tun. Shakki konnte es, ob Chatgaia es konnte, wusste der junge Mann nicht, aber ihrem magischen Talent nach, war es ihr zuzutrauen. Nein, daran wollte er jetzt nicht unbedingt denken.

„Es ist unsere einzige Möglichkeit!“, versuchte er tapfer, seine Entscheidung zu rechtfertigen und trat wieder einen Schritt auf sie zu. Und wenn schon, sie war seine Tante, sie würde ihm schon nicht die Seele aus dem Leibe saugen. Einmal davon ab, dass sie an sich etwas mehr Respekt vor ihm hätte zeigen müssen, er war schließlich ein Mann...

„Wir kommen nicht allein gegen eine solche Technik an, wir brauchen Hilfe! Und wenn Maigi denen sagt, dass wir uns die ganze Zeit um Choraly gekümmert haben, dann...“

„Dann ist das unser Ende!“

Er zuckte zusammen, als sie ihn hysterisch anschrie. Abermals. Es war beängstigend, hysterisch geschrien hatte sie zum letzten Mal, als ihr zu früh geborenes kleines Mädchen in ihren Armen gestorben war und das war doch bedeutend schlimmer gewesen, als das, was er hier getan hatte. Einmal davon abgesehen, dass er doch absolut im Recht war, dass musste er ihr nur noch irgendwie beibringen...

„Mayora, du bist ein Vollidiot!“, fauchte sie da weiter und ballte die Hände verkrampft zu Fäusten, so dass man ihre Knöchel noch stärker sah, „Es ist Unsinn, egal wer dir das erzählt hat! Hast du denn überhaupt nachgedacht? Das hast du nicht, oder? Das kannst du überhaupt nicht so kurzfristig! Erinnerst du dich denn nicht an den Vertrag mit der Station, den wir geschlossen haben?! Die tun uns nichts, du hast dich hereinlegen lassen!“

Hereinlegen? Warum sollte Maigi völlig geschockt ankommen und dann lügen? Das ergab doch keinen Sinn! Er war ein guter Junge, allein schon, weil Tainini ihm vertraute und das tat sie wie ihm seine Erinnerungen sagten normalerweise nicht leichtsinnig.

Nein, an das, was seine Tante da sagte, glaubte er nicht.

„Ich vertraue Maigi!“, schnaubte er daher entrüstet und noch immer überrumpelt von ihrer heftigen Reaktion, „Warum sollte der uns so verarschen? Er ist ein guter Junge!“

Die Ältere unterbrach ihn.

„Er wollte uns 4 Jahre lange Glauben machen, er sei seine eigene Schwester! Er hat sämtliche Götter entehrt und Dafis Geist Schande gebracht!“

Das war wahr, aber auch das hatte seine Gründe. Diese Frau dachte unheimlich einseitig. Er fuhr sich entnervt durchs Gesicht.

„Aber doch bloß, um Pinita zu helfen, weil er sie liebte! Er hing sehr an ihr und hat uns das erzählt, weil sie ihm das bis vor kurzem komplett verschwiegen hat und ihn das sehr verletzte! Ich habe sehr wohl darüber nachgedacht und fand die Idee gut, deshalb habe ich zugestimmt!“

Chatgaia warf wütend ihr Haar zurück und schenkte ihm einen Mörder-Blick. Sie wollte ihn zusammen stauchen, diesen naiven Volltrottel...

Er ließ sie vorerst nicht dazu kommen, als er weiter sprach.

„Einmal ernsthaft; angenommen, du würdest mir glauben und die Station benutzt uns wirklich als Testobjekt, was willst du dann bitte tun?!“

Das war eine berechtigte Frage und dessen war sich das Dorfoberhaupt auch durchaus bewusst, genau so sehr, wie dass ihre Antwort den Jüngeren keineswegs zufrieden stellen würde.

„Ich würde das Dorf lieber opfern, als Hilfe aus der großen Stadt anzunehmen.“
 

Sie liebte ihre Heimat und alle Menschen und Magier, mit denen sie sich sie teilen musste. Aber sie hasste alle Menschen jenseits der Wüste und sie fand, das sollten ihre Brüder und Schwestern hier ebenfalls. Wenn Thilia sich nicht mehr selbst verteidigen konnte, dann sollte es würdevoll sterben und nicht ewig in der Schuld dieser Monster stehen, die diese Situation sicherlich schamlos ausnutzen würden.

„Eure Leben liegen in meinen Händen, ich entscheide, was damit geschieht!“

Sie sah die Gesichtszüge ihres Gegenübers zunächst entgleisen, dann sich verdunkeln. Eines musste sie ihm lassen, er versuchte sich stärker durchzusetzen, als sie es gedacht hätte. Irgendwo beeindruckte es sie, aber im Moment war es einfach nur nervig. Noch hatte sie das Sagen hier, er sollte nicht an seiner idiotischen Entscheidung festhalten, sondern sie so schnell wie möglich widerrufen!

„Du bist wahnsinnig.“, stellte er da fest und riss die Frau damit aus ihren Gedanken, „Du bist völlig zerfressen von dem Hass, der uns Magier überhaupt erst in unsere jetzige Lage gebracht hat, die daran Schuld ist, dass wir unser gesamtes Leben in der Wüstenhitze fristen müssen!“

Er ballte seine Hände selbst kurz zu Fäusten, als er darüber nachdachte.

„Du bist Feuermagierin, dir gefällt es hier! Aber hast du einmal an alle gedacht, die nicht so sind wie du?! Ich würde sonst etwas dafür geben, einmal in meinem Leben das Meer sehen zu können! Aber wegen Leuten wie dir geht es uns heute allen so dreckig...“

„Zügle deine freche Zunge!“

Es erschreckte ihn zunächst etwas, als sie ihre Hilarayjma erscheinen ließ, eine Waffe, die ihr Vater ihr vererbt hatte. Theoretisch trug sie sie immer bei sich, aber irgendwie wieder nicht, der Neffe wusste nicht, wie das mit dem Beschwören funktionierte. Er seinerseits hatte die Enatiri immer im Gürtel, hielt es nun aber nicht für nötig, sie zu ziehen.

Nein, im Gegenteil, er lachte sich eher ins Fäustchen, weil sie ihn einschüchtern wollte. Ob das gut oder schlecht für ihn war, sei dahingestellt gewesen, aber er hatte es immerhin geschafft, sie aus der Reserve zu locken. Sie hatte Respekt vor ihm. Oder auch nicht.
 

Sie begann, seltsam zu grinsen.

„Wusstest du, dass Morika seit seiner Gründung ein durch und durch ehrenvolles Dorf war? So lange, bis dein Erzeuger an die Macht gekommen ist, und es gerichtet hat! Vielleicht wäre der Ort nicht mit ihm gestorben, wenn er seinen eigenen, mehr oder minder vernünftigen Vater länger Oberhaupt hätte sein lassen...?“

Er verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und ihr Grinsen wurde breiter. Nicht nur sein Gesicht hatte er von Alhata Timaro, dachte sie sich. Er war ein guter Kerl, aber trotzdem hatte er auch charakterlich Ähnlichkeiten mit seinem Vater, die er selbst nicht bemerkte und so auch nicht vermeiden konnte. Und sie wusste, dass er sich dafür hasste.

Und dass er es sich nicht eingestand.

„Nein, du hast keine Ahnung! Ich will dich doch nicht wegschaffen, ich will dich bloß vor einem großen Fehler bewahren, verstehe das doch, Tante!“

Wie konnte sie ihren persönlichen Stolz über das Leben der Dorfbewohner stellen? Einen Moment lang dachte er sich, es sei vielleicht wirklich besser, wenn sie ihr Amt ablegte, dann schämte er sich für diesen Gedanken. Chatgaia war eine weise Frau, sie hatte bloß gelegentlich ihre Hänger...

„Vor einem großen Fehler bewahren!“, spöttelte sie da und verdrehte die Augen, „Du hältst mich doch für alt und nicht mehr zurechnungsfähig, nicht? Du kannst mir nichts verheimlichen, Mayora, ich kenne alle deine Gedanken!“

Sie richtete ihre lange Waffe auf ihn und er erschauderte und kniff kurzzeitig erschrocken die Augen zusammen, als ein leichter Wind aufkam und etwas Sand von der Straße aufwirbelte. Zeitgleich schickte die Sonne ihre ersten, angenehm warmen Strahlen über die Dünen und hüllte das Dorf in ein unwirkliches rötliches Licht. Es war noch immer sehr früh, sie waren allein, niemand hörte ihnen zu.

Er verdrängte die Gedanken an die seltsame Situation und schnaubte.

„Du kennst nicht alle meine Gedanken, Chatgaia, niemand kennt sie, noch nicht einmal Shakki. Ich bin lange nicht so einfach, wie ihr alle denkt und ich bin sicherlich alles andere, als leicht zu durchschauen, zumindest was das betrifft.“

Sicherheitshalber zog er seine Enatiri nun doch.

„Du denkst vermutlich, dass ich vor dir kuschen werde, Tante, du irrst dich. Ich werde dafür sorgen, dass dieses Dorf eine Chance bekommt und wenn ich es gewaltsam tun muss!“

Ja, das schwor er sich. Und er merkte, wie sich sein Entsetzen in Wut verwandelte, als sie ihn kurz schallend auslachte.

„Trottel!“, kicherte sie dann, „Natürlich bist du nicht so simpel, wie viele denken, vielleicht bist du sogar zu komplex für unsere Seherin, aber ich kenne dich. Ich weiß, was du denkst, ich weiß, was du fühlst und ich weiß, was du willst; Mütter spüren das instinktiv...“

Sie lächelte triumphierend und er wandte sein Gesicht einen Moment schnaubend ab, ehe er ihr einen tödlichen Blick schenkte.

„Meine Mutter hieß Tagami Timaro, wage es niemals wieder, über Maigi zu sagen, er würde seine Schwester entehren, weil er sich in ihre Rolle gezwängt hat, denn du versucht doch schon seit Jahren das Selbe! Bloß dass er es aus Liebe zu seiner Cousine getan hat und du es aus bloßem Egoismus, weil du es selbst nicht geschafft hast, noch ein Kind zu bekommen!“

Die Worte sprudelten nur so aus seinem Mund und mit einem Mal war es ihm vollkommen egal, ob er sie damit verletzte, auch als sie erbleichte und vor Entsetzen zu zittern begann.

„Du bist doch gar nicht in der Lage, dich um ein Kind zu kümmern, weil du selbst vollkommen kindisch bist, du willst immer nur haben und am liebsten hast du, wenn alles nach deiner Pfeife tanzt und denke nicht, dass ich nicht wüsste, dass dein Mann genau so gewesen ist! Was denkst du, wie ich mir vorkam, wenn ich euch zufällig habe reden hören, über mich, über „euren Kleinen“, über „dein Baby“?! Ich habe euch gemocht, aber denkst du, das war angenehm für mich? Ich hatte nicht die besten Eltern, bestimmt nicht, aber meine Mutter ist Tagami und mein Vater, so sehr ich es bedaure, Alhata, sie haben mich die ersten acht Jahre meines Lebens aufgezogen, es ist diese gewisse Verbindung, die ich zu ihnen hatte und zu euch nicht!“

Sie unterbrach ihn hysterisch.

„Harata und ich waren dir viel bessere Eltern als meine Schwester und ihr Mann, du solltest uns viel mehr lieben als sie! Blut ist nicht immer dicker als Wasser, du hattest bei uns immer zu essen, du hattest eine schöne Zeit bei uns und wir haben dir alle Zuneigung gegeben, die wir hatten, du undankbare Bestie! Ich hätte dich verbrennen sollen, als du noch wehrlos warst!“

Er wusste, dass sie den letzten Satz nicht so gemeint wie er geklungen hatte. Seine Worte hatten einen wunden Punkt in ihr getroffen, aber es musste jetzt raus, er hielt es nicht mehr länger aus! Einmal davon ab, dass sie selbst damit angefangen hatte...

„Hätte Taranii noch gelebt, hättet ihr mich so geliebt, wie ihr mich auch so hättet lieben sollen, nämlich wie einen Neffen! Ich wollte nach dem Tod meiner Eltern keine Ersatzeltern, ich wollte bei meiner Tante und meinem Onkel leben, mehr nicht, aber ihr egoistisches Pack habt mich als euren Ersatzsohn missbraucht, weil ihr selbst es nicht hinbekommen habt, auf euren eigenen genügend zu achten und dazu hattet ihr nicht das Recht, das macht mich richtig sauer, wenn ich so darüber nachdenke...!“

Er unterbrach sich selbst, als er einer Stichflamme ausweichen musste; sie hatte ihn nicht treffen wollen, sie wollte bloß nichts mehr hören.

Und er wusste es und sprach dennoch weiter.

„Und als du gemerkt hast, dass du nicht an mich heran kommst, hast du mich ganz einfach für deine Zwecke umfunktioniert... ich sollte nicht mehr dein Sohn sein, nicht dein Neffe, bloß noch dein kleiner Hund, der alles tut, was du befiehlst, ohne darüber nachzudenken, ganz blind vor Liebe, denn du wusstest, dass ich dich als Tante mehr als nur schätze, habe ich Recht?“

Nach seinem Redeschwall erwiderte er ihren bösartigen Blick, ohne etwas weiteres zu tun.

Sie umklammerte den Stab ihrer Waffe fester.

Was sagte er da bitte, wovon wagte er zu sprechen? Es gab Dinge, die sprach man nicht aus, die konnte man sich denken, aber doch nicht dem Anderen ins Gesicht knallen! War es ihm denn egal, wie sie sich dabei fühlte?

Einmal ganz davon abgesehen...
 

Ein diabolisches Grinsen schlich sich auf ihre dunkel-geschminkten Lippen.

„Zur Kenntnis genommen. Hast du jetzt genug geweint, oder soll ich dich noch in den Arm nehmen, damit alles wieder gut ist?“

Er hob eine Braue und ihre zarten Gesichtszüge verfinsterten sich schlagartig, ehe sie ihn anfauchte wie eine Schlange.

„Du Bengel hast genügend abgelenkt, findest du nicht? Und jetzt suche verdammt noch einmal diesen Trottel Maigi und halte ihn davon ab, uns zu verraten, ansonsten schwöre ich dir, wird dein Kind genau so ein Halb-Waise wie Lillianns kleiner Genda!“

Sie schockte ihn damit nicht halb so sehr, wie sie es sich erhofft hatte; an sich hatte sie sich das jedoch gedacht. Er umfasste seine Enatiri bloß fester und senkte seine Brauen noch tiefer, wirklich gruselig machte ihn das in ihren Augen aber auch nicht...

„Das werde ich nicht tun. Ich gebe unserem Dorf eine Chance, mit oder ohne dein Einverständnis!“

Vielleicht würde es nicht klappen, aber verdammt, ein Versuch war es doch wert!

Auch wenn seine Tante definitiv anderer Meinung war.

„Du wirst dieses Dorf nicht retten, du wirst es richten, Alhata!“

Sie wollte ihn da treffen, wo er sie zuvor getroffen hatte und grinste giftig, als er zusammen zuckte.

„Nenne mich nie wieder so!“, forderte er und sie zischte abermals.

„Dann hole Maigi zurück, Alhata. Es wäre auch besser für deine Gesundheit, denn wenn du es nicht tust, ist mir mein Versprechen nichts mehr wert, dann mache ich dich jetzt sofort eigenhändig fertig, wie ich es mit dir als Nachkomme deines Vaters schon längst hätte tun sollen; und Maigi gleich mit, diesen kleinen Lügner!“

Und sie stand zu ihrem Wort, das konnte er spüren. Die Schlange sprach die Wahrheit. Und er hasste es.

„Das wirst du nicht schaffen, Weib, du hast Recht, ich denke wirklich, du bist alt.“, schnaubte er darauf nur. Er wusste nicht genau, worauf er sich da einließ; Chatgaia war sicherlich eine Magierin ohne gleichen, aber konnte sie kämpfen? Und dabei gegen einen jüngeren Mann ankommen?!

Musste sie wohl, Mayora ging nicht davon aus, dass sie ihn friedlich töten konnte, er würde sich natürlich wehren!
 

Und das wusste sie. Sie würde ihn nicht verschonen, nicht bei dem, was er sich hier erlaubte.

„Denke, was du willst, du Nichtsnutz!“

Sie preschte hervor und schlug mit der Hilarayjma nach ihm. So leicht würde sie ihn wohl nicht bekommen, aber einen Versuch war es wert. Besonders intelligent war er schließlich nicht.

Er wich jedoch wie eigentlich erwartet aus, indem er sich einfach unter dem langen Stab hindurch duckte. Um ihn tot zu schlagen war er zu schnell, außerdem hatte Imera das auch nie geschafft, warum also seine kranke Tante?

„Du bist bemitleidenswert, Weib!“, schnaubte er und versuchte ihr die Waffe mit einem Schlag Wasser aus der Hand zu schleudern.

Aber auch das Dorfoberhaupt war flink, trotz des angesprochenen Alters. Himmelsblüter waren anfällig für alle möglichen Krankheiten und starben oft schon früh. Allerdings gab es auch solche Ausnahmen wie Chatgaia, die gesund blieben und deren Körper so kaum alterten. Bei solchen Helden war es an sich egal, wie viele Jahre sie schon auf dem Buckel hatten, weil sie Jüngeren ganz simpel in kaum etwas nachstanden. Leider.

„Muss wohl in der Familie liegen!“

Sie setzte die drei Spitzen der Hilarayjma in Flammen und schlug abermals nach ihm. Auch wenn es mit dem Gewicht schwer war, erhöhte sie ihre Geschwindigkeit und ihm blieb nichts anderes übrig, als zurückzuweichen.

Ihre Flammen waren gefährlich, sie entschied schließlich selbst, wie heiß sie waren. Und wenn sie wirklich beabsichtigte, ihn zu töten...

Löschen war eine gute Idee.

„Theoretisch bin ich dein natürlicher Feind, nicht?“

Er warf einen Schwall Wasser über die Waffe seiner Tante. Letztere grinste bloß, als es mit einem Zischen und jeder Menge Dampf siedete. Ihr Feuer war zu mächtig für ihn.

„Praktisch aber nicht!“, erwiderte sie deshalb gelassen und nahm ein weiteres Mal aus, um nach ihm zu schlagen.

Mayora hatte das auf die vorangegangene Aktion erwartet und schnaubte nur ärgerlich. Na, so schnell hatte sie ihn nicht.

Er steckte die Enatiri kurzzeitig wieder in seinen Gürtel, um seine Hände falten zu können und wenige Worte in alter Sprache zu murmeln.

„Deine Wasserflüche dauern zu lange, Idiot!“

Die Frau schlug zu und hätte ihn beinahe voll erwischt, hätte er die brennenden Stabspitzen nicht mit bloßen Händen abgefangen.

Er keuchte, denn es war abartig heiß, aber ein Film von grünlichem Nass schützte ihn vor schlimmeren Verletzungen. Er war wissbegierig, das hatte ihn nun gerettet. Er kannte mehr Zauber und Flüche, als dem Dorfoberhaupt lieb sein konnte. Und er beherrschte sie, ziemlich gut sogar. Er war talentiert.

Aber das war sie auch. Sie grinste, während sie einen Moment so verharrte, während er ihre Hilarayjma festhielt.

„An sich wäre ich ja jetzt stolz auf dich...“, seufzte sie, „Du kannst mir aber trotzdem nichts vormachen.“

Der Junge verzog unwillkürlich das Gesicht, als die Hitze weiter zunahm. Sie hatte es in seinem Leben noch nie für nötig gehalten, selbst irgendwen für irgendetwas zu bestrafen, er hatte keine Ahnung, was sie eigentlich konnte. Wenn er so darüber nachdachte, sie hatte dieses ganze verdammte Dorf unter sich, irgendetwas hatte sie sicher drauf...

„Du hältst ja noch immer fest!“, wunderte sie sich da belustigt, „Jetzt nicht mehr.“

Er ließ tatsächlich kurz aufschreiend ab, als die Hitze mit einem Mal unerträglich wurde, trotz seines Wasserfluches. Nein, so leicht ließ er sich nicht unterkriegen, sein Wasser war nicht weniger mächtig als ihr Feuer!

Er richtete seine verbrannten Hände keuchend auf seine Tante.

„Na, warte ab!“

Der Junge zwang sich zu einem Grinsen und sie erwiderte es belustigt. An sich hatte sie ja noch andere Dinge zu arbeiten, überlegte sie sich, sie sollte es kurz machen. Aber irgendwie machte es Spaß, mit ihrem Neffen zu spielen; ihm einmal zu zeigen, wozu sie als „Weib“ fähig war. Alhatachen... sie hatte mit seinem Vater ohnehin noch eine Rechnung offen.

An sich hatte es ihr nicht gepasst, dass ihr Mann Harata diesen Bastard ins Jenseits befördert hatte, sie hätte es nur zu gern selbst getan...

Er riss sie aus ihren Gedanken, als er ein weiteres Mal begann, einen Fluch zu murmeln. Dieses Mal würde er die Flammen direkt dort ersticken, wo sie herkamen und dann... er zögerte gedanklich kurz.

Konnte er ihr denn wirklich etwas antun? Sie war seine Tante!

Es geht um das Wohle des Dorfes, Mayora!

Ja, das war ihm klar. Es musste sein, aber irgendwie fühlte es sich falsch an, er liebte sie doch...

„Worauf wartest du?“, schallte ihre Stimme da wieder spöttisch, „Versuche es doch mit deinem tollen Fluch!“

Aber sie liebte ihn nicht. Sie hatte ihn nur ausgenutzt, all die Jahre, diese miese...

„Dann verabschiede dich von deinem tollen kleinen Flämmchen!“

Er kreuzte die Arme vor seiner Brust, worauf sich abermals ein Film von grünlichem Wasser bildete, dieses Mal an den Spitzen der Hilarayjma. Oder zumindest bilden wollte, es war nicht leicht, denn je mehr Mühe sich der junge Mann gab, desto mehr Mühe gab sich auch Chatgaia.

„Wenn du so weiter machst, stehen wir noch hier, wenn das Dorf schon längst dem Erdboden gleich gemacht wurde!“, stellte die Frau nach einigen Sekunden des erfolglosen Versuchens abermals amüsiert fest.

Na, das wollten sie doch nicht. Er breitete die Arme kurzzeitig wieder aus, dann zog er seine Enatiri abermals und preschte überraschend auf sein Gegenüber zu, das darauf tatsächlich nicht vorbereitet war.

Die Frau keuchte, als ihren Neffen noch gerade so mit dem Stab der Hilarayjma abblocken konnte, allerdings ohne dabei die Kraft aufbringen zu können, das Feuer am Leben zu erhalten.

Mayora grinste breit, als er die Klinge gegen das Holz drückte und so eine kleine Kerbe entstand. Nein, er würde sie sicher nicht verschonen.

„Anfängerglück!“

Sie zischte und drehte den Spieß unverzüglich wieder um, als sie ihre Waffe drehte und ihm damit unbarmherzig dorthin schlug, wo es bei einem Mann am gemeinsten war.

Er schrie gellend auf, ließ den Dolch fallen und krümmte sich. Einen Moment lang fragte sich das Dorfoberhaupt, ob das nicht zu gemein gewesen war, dann entschied es, dass es an sich völlig gleich war, weil sie es eh nicht rückgängig machen konnte.

So lachte sie bloß auf und legte dem Jüngeren ihre rechte Hand an dem Hals.

„Du bist so jämmerlich.“

Der Junge blickte sie einen Moment verletzt an, dann schrie er ein weiteres Mal auf, als sie zusätzlich seinen Hals verbrannte. Ja, für seine Dummheiten sollte er leiden, er musste lernen, dass niemand ihr auf der Nase herumtanzen konnte. Sie war die Königin, sie hatte die Macht, niemand sonst!
 

Ihr Gegenüber versuchte derweil in seinem Meer von Schmerzen wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Es war so unsagbar heiß!

Mehr reflexartig zwang er sich dazu, seine Kraft zu mobilisieren und seiner Tante in dem Magen zu boxen, die in ihrer geistigen Selbstbestätigung damit nicht mehr gerechnet hätte und keuchend von ihm ablassen musste, um sich den eigenen Bauch zu halten.

Als ob das auch nur ansatzweise so sehr schmerzen würde, wie das, was sie ihm gerade angetan hatte, körperlich wie auch geistig.

Er legte sich selbst schwer atmend die Hände an den verbrannten Hals, um auch diesen mit einem kühlenden Wasserfluch zu belegen, der allerdings nicht halb so viel Erleichterung brachte, wie er es sich erhofft hatte. Einmal davon abgesehen, dass das Kind, das im Moment unter Choralys Herzen heranwuchs, vermutlich sein einziges bleiben würde... Himmel, diese Frau war wirklich grausam.

Sie blickte schwer atmend, aber grinsend wieder auf.

„Du hältst mehr aus, als ich erwartet hätte.“, stellte sie fest, „Wobei... Imera hat es dir in eurer Kindheit ja auch nicht leicht gemacht, nicht? Na ja, bei mir wirst du Trottel es gleich noch schwerer haben!“

Sie hob die Hilarayjma, die sie fallen gelassen hatte, als ihr Neffe sie geschlagen hatte, wieder auf und konzentrierte ihre Kraft wieder auf die drei Spitzen, die sie wieder in Flammen aufgehen ließ.

Mayora griff zeitgleich die Enatiri wieder auf und tat es ihr auf seine Weise gleich, wobei sein Wasser seinen gesamten Unterarm einhüllte, weil der kleine Dolch für eine solche Art von Kampf etwas weniger geeignet war. An sich war es aber auch gleich, denn er ahnte, was nun kommen würde.

Sie verzog ihr schönes Gesicht zu einer wütenden Grimasse, ehe sie mit ihrer Waffe ausnahm und einen Schwall von Feuer auf ihr Gegenüber schleuderte, der diesen mit einem Schwall Wasser seinerseits abwerte.

Ihm war klar, dass sie gewusst haben musste, dass das geschehen würde und so war es ihm ein leichtes, sie abzuwehren, als sie aus den letzten Flammen plötzlich vor ihm auftauchte und mit dem langen Stab nach ihm schlug.

„Eine Enatiri ist keine Gegnerin für eine Hilarayjma.“, lachte die Ältere darauf, und entfachte einen flinken Schlagabtausch, dem der Jüngere mit der kleinen Klinge tatsächlich kaum abwehren konnte und so gezwungener Maßen zurückweichen musste, bis er an die Außenwand ihres Hauses stieß und nicht mehr weiter konnte.

Ein letztes Mal blockte er den langen Stab, dann musste er sich seinen kleinen Dolch gewaltsam aus der Hand reißen lassen und hilflos mit ansehen, wie seine Tante ihn weg warf und ihm anschließend die geschärften Spitzen ihrer Waffe an den verbrannten Hals presste, sodass er schmerzerfüllt keuchte.

Nein, so schnell gab er nicht auf.

Er versuchte, seinem Gegenüber wieder in den Bauch zu schlagen, scheiterte jedoch, weil es seine Hände nacheinander mit seiner eigenen freien abblockte und verbrannte.

„Deine Flüche nützen nichts, Alhatachen, ich bin nicht umsonst die Herrscherin dieses Dorfes!“, sie grinste breit und ihre orangenen Augen blitzten ihn giftig an, als sie das heiße Metall fester gegen sein verbranntes Fleisch presste, „Niemand kann mir das Wasser reichen! Du bist eine nutzlose Schande, du hättest meine Liebe haben können, doch du hast sie mit Füßen getreten und noch nicht einmal den Respekt, mir zu dienen hattest du! Ich werde es beenden, hier und jetzt und danach werde ich einfach in diese verdammte Station rennen und sie abfackeln, mitsamt aller angeblichen Waffen und diesem Trottel Maigi, bin ich nicht zu gütig?“

Er schnaubte und schloss seine Augen ob des brennenden und ziehenden Schmerzes. Und dennoch widersprach er ihr.

„Und furchtbar dumm, wenn plötzlich einfach eine Forschungsstation verschwindet, findet man uns doch erst recht, einmal davon abgesehen, dass du es eh nicht schaffen würdest, da heil herein zu kommen...“

Das klang abartig logisch und Chatgaia ärgerte es, dass sie in ihrer Wut nicht weit genug gedacht hatte, wo sie doch ansonsten so gut war. Gut, aber nicht unfehlbar, dachte sie sich dann und tat es damit ab. Sie war schließlich nur eine Königin, keine Göttin.

„Dann stirbt dieses Dorf eben, dann ist es sein Schicksal! ICH bestimmte das Schicksal!“

Sie hob ein Bein und rammte ihm ihr Knie in den Bauch, sodass er seine roten Augen kurzzeitig wieder aufriss und Blut hustete. Dabei beschmutzte er die Hilarayjma und das Kleid ihrer Besitzerin, aber das war ihm recht gleich.

„Du bestimmst nicht das Schicksal, du Schlampe!“, stöhnte er nur und wollte ihr nachmachen, doch sie blockte sein Bein mit ihrer freien Hand genau so ab wie zuvor seine Hände und ließ in ein weiteres Mal keuchen.

„Ich bestimme das Schicksal, an meiner Laune liegt es, was geschieht! Ich bin die Königin und wenn ich sage, mein Volk soll sterben, dann soll es sterben, klar?!“

Sie lachte wahnsinnig und er schnappte nach Luft. Hatte er etwa wirklich seine gesamte Jugend bei dieser Bekloppten verbracht?!

„Du bist nichts wert, Mayora!“, machte sie weiter, „Dein Vater hatte absolut Recht, du bringst einem überhaupt nichts außer Ärger! Du bist dumm, du bist ungehorsam und deine Haarfarbe tut in den Augen weh; weißt du was? Du bist wahrlich eine Götterschande, Mayora Timaro.“
 

Eine Götterschande...
 

Stille. Während sie so inne hielten, tauchte die Sonne gerade als Feuerball hinter den Dünen auf und weckte die Bewohner des bedrohten Ortes Thilia. Ihre kleine Meinungsverschiedenheit würde nicht mehr lange unentdeckt bleiben, wenn sie es nicht schnell zu Ende brachte, dachte sich Chatgaia, bewegte sich aber keinen Millimeter.

Der Blick aus den weit aufgerissenen, blutroten Augen ihres Neffen hatten sie gebannt. Seine Iriden leuchteten wie die aufgehende Sonne in diesem Moment selbst und es war fast schon schmerzhaft, sie anzusehen.

In dem Moment, in dem er begann zu sprechen, wurde der Frau erst klar, wie begabt dieser Junge wirklich war.

„Die einzige Götterschande in diesem Dorf... bist du, Chatgaia Setari.“

Seine Worte klangen monoton, seine Stimme kalt und fremdartig, nicht von dieser Welt.

Und mit einem Mal wusste sie, wie er es geschafft hatte, die Peinigungen seiner Kindheit zu überleben.
 

Sie war unfähig, sich zu rühren, als er die verbrannten Hände hob und die Hilarayjma zuerst von seinem Hals drückte und sie ihr dann entriss, sie genau so wegwerfend wie das Dorfoberhaupt es zuvor mit der Enatiri getan hatte.

Sie wich einen Schritt zurück, als er einen auf sie zutrat und konnte trotzdem nicht verhindern, dass er sie plötzlich an den Schultern packte und sich mit ihr umdrehte, sie nun gegen die Wand drückend.

„Ich werde diese Wüste von deiner Existens befreien, Weib, und nicht nur das Dorf, sondern die ganze Welt vom Wahnsinn der Menschen aus Mon'dany bewahren.“

Er nahm die Hände von ihren Schultern und fasste stattdessen in ihr Haar und sie keuchte leise, ihn starr ansehend.

Brenne!, hallte sie innerlich immer wieder, Brenne, du Nichtsnutz!

Ihre Augen waren mächtig, aber seine waren mächtiger, sie hatte keine Chance und an sich wusste sie das auch, denn sie hatte erkannt, mit wem, oder eher was sie es ihr zu tun hatte. Aber das Wort „aufgeben“ befand sich nicht in ihrem Wortschatz!
 

Ihre Gedanken wurden schmerzlich unterbrochen, als sie gellend aufschrie, weil er ihren Kopf mit ganzer Kraft gegen die Mauer schmetterte und sie merkte, dass irgendetwas in ihr nachgab. Ihr schwindelte es stark und ihr kamen die Tränen, aber ihre Ehre würde sie sich bewahren, so hob sie zitternd beide Hände an um ihn wieder zu verbrennen, doch er bemerkte es rechtzeitig, fasste sie wieder an den schmalen Schultern und warf sie zu Boden. Sie schrie abermals, als ihr bereits pochender Schädel auf dem sandigen Boden aufschlug und wimmerte, als sie seinen widerlichen Blick fing, der von keinem Normalsterblichen stammte. Verdammt, wie hatte sie das all die Jahre nicht bemerken können?!

„Du wirst nie wieder jemanden verbrennen.“, stellte er sachlich fest und murmelte abermals einen Wasserfluch, worauf um seine Hände eine schwarz glänzende Flüssigkeit erschien.

Die Frau ahnte, was er vorhatte und drehte ihr schmerzendes Haupt in die entgegengesetzte Richtung, als er den gefährlichen Zauber gegen ihren rechten Oberarm presste, dessen Knochen darauf zerberstete.

Ihr Schrei darauf hätte Tote wecken können und mit diesem Gedanken beschloss der Jüngere sie nicht mehr weiter zu quälen, sondern endlich zu erlösen.

Einen Moment zögerte er, dann drehte er ihr Gesicht vorsichtig wieder so, dass sie sich ansehen konnten, ohne den Fluch anzuwenden.
 

Chatgaia weinte. Aber nicht wegen des abartigen Schmerzes, denn ihre Ehre wollte sie sich bis zuletzt bewahren.

„Mayora.“, wimmerte sie, „Ich habe mir... von ganzem Herzen ein Kind gewünscht, so sehr. Und ich habe dich so geliebt, immer, zu jeder Sekunde, auch, als ich es dir nicht mehr gezeigt habe. Ich war gekränkt, dass du meine Liebe nicht... so erwidert hast, wie ich es mir gewünscht habe... und ich habe mir zuletzt eingeredet, ich könnte dich hassen...“

Er lauschte ihr, ohne eine Miene zu verziehen und während sie leise zu ihm sprach, war sie sich noch nicht einmal sicher, ob der Teil von ihm, mit dem sie sprach, sie überhaupt hörte. Aber immerhin ließ er sie aussprechen...

„Ich habe dich nicht... gehasst, ich war verletzt, weil du mich so in Frage gestellt hast... und jetzt habe ich nur noch Angst vor dir, Mayora... mein Leben ist verloren, aber ich fürchte, deines auch, denn diese Seite an dir, diese grausame Seite, die... die ich schon länger vermutet habe, sie ist mächtiger, als ich geglaubt habe und... wir beide wissen auch warum! Denkst... denkst du ernsthaft, wenn du den Ort jetzt rettest, kannst du ihm... ein gutes Oberhaupt sein?“

Ein leichter Wind wehte durch die Straße, als sie ihm diese Frage stellte. Ein paar Häuserblocks weiter konnte man Stimmen hören, Thilia erwachte zum Leben, während es dem Oberhaupt entschwand...

„Ich habe mich unter Kontrolle.“, erwiderte der Neffe da eisig, „Ich werde mich gut um diesen Ort kümmern, sorge dich da nicht. Gehe friedlich, sonst wird aus dir ein unruhiger Geist des Windes... und das wollen wir doch nicht, oder?“
 

An einem anderen Tag, an einem anderen Ort, in einer anderen Situation hätte sie ihm diese Worte niemals geglaubt, aber jetzt, in diesem Augenblick, tat sie es einfach, mit dem Gedanken daran, dass es das Letzte war, an das sie in ihrem Leben glauben konnte.
 

Chatgaia Setari lächelte einfach und schloss die Augen, als er ihr eine Hand auf die Stirn legte und sie den bösartigen Fluch wie flüssiges Feuer spürte, das ihren Körper langsam zu verbrennen begann.
 

Dann war es das wohl... Harata... Tagami... Rahlina... Taranii... Mutter... Vater... Manaia...
 

...
 

Das Feuer verschwand. Um sie herum war es schwarz, sie hörte dumpf eine Stimme. Eine, die sie zumindest innerlich abermals zum Lächeln brachte.

Choraly Magafi.
 

„Was, um alles auf der Welt, tust du da, bist du wahnsinnig geworden?!“

Das Mädchen rüttelt geschockt ihren bleichen Freund, der nun neben dem bewusstlosen Dorfoberhaupt kniete und bis vor wenigen Sekunden versucht hatte, es zu töten.

„Das kann ja wohl nicht wahr sein!“, schimpfte sie empört, „Dass sie nicht erfreut sein würde, habe ich mir ja gedacht, vielleicht auch, dass ihr streiten würdet, aber bloß weil sie nicht einverstanden ist, musst du sie doch nicht gleich umbringen! Ich meine, hast du sie noch alle?! Das ist deine Tante, verdammt, ich dachte, du liebst sie!“

Er unterbrach sie schnaubend.

„Ich hasse sie!“

Ja, das war ihm klar geworden. Er hasste diese Frau, die ihn jahrelang nur benutzt hatte, er würde ihr niemals verzeihen!

„Meinetwegen.“, seufzte seine nun etwas blasse Freundin und strich sich durchs Haar, „Aber... ich meine, ich hasse sie nicht mehr.“

Sie sah besorgt zu der schwach atmenden Magierin. Sie war von ihren grausamen Schreien erwacht und hatte sich darauf so schnell wie möglich fertig gemacht, noch gerade rechtzeitig, um das Schlimmste zu verhindern, wie es schien.

Wie schrecklich, was war nur in ihre Missgeburt gefahren?

„Damit meine ich...“, fuhr sie bestürzt fort, „Ich mag sie, ich will nicht, dass sie stirbt! Tu etwas, bitte, du bist doch auch ein Heiler, mach sie wieder gesund! Sie wird sicher nicht mehr versuchen, zu verhindern, dass wir nach Wakawariwa funken, nachdem, was du hier gerade mit ihr gemacht hast, aber bitte rette sie, für mich!“

Ihr kamen dir Tränen und sie gab sich auch keine Mühe, sie zurückzuhalten, weil sie hoffte, den Älteren damit irgendwie berühren zu können.

Nein, einen weiteren Todesfall überstand sie nicht, vor allem nicht, wenn ihr Liebster daran Schuld war! Sie hatte diese Frau im Laufe der letzten Monate zu schätzen gelernt, sie hatte ein gutes Herz, sie sollte leben!
 

Ihre Gedanken wurden von einem dumpfen Knall am anderen Ende des Dorfes und entfernten Schreien unterbrochen.
 


 


 

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Das war mein erster Kampf .__.'

Entscheidung

„Was war das?“

Choraly sah ihren Freund aus nassen Augen an. Dieser starrte selbst in die Richtung, aus der die unheilvollen Geräusche gekommen waren und zog scharf die Luft ein.

„Du warst doch sicher schon bei Maigi, was hat er gesagt?“

Sie sollten in drei Tagen zur Abenddämmerung von Süd-Osten kommen... sie kamen schon heute in der Morgendämmerung von Nord-Westen... er hatte sich anlügen lassen.
 

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Die Station war beunruhigend leer, als Maigi sie betrat, zielsicher auf den Funkraum zusteuernd. Er hatte ein ungutes Gefühl im Nacken und beeilte sich, um die ganze Sache schnell über die Bühne zu bringen. Irgendetwas gefiel ihm hier überhaupt nicht...

Schneller, Maigi!

Er blinzelte. Sein Kopf schmerzte kurz bei der ungewöhnlichen Stimme, er schenkte ihr jedoch keine weitere Beachtung, sondern bemühte sich einfach, ihrem Befehl nachzukommen. Recht hatte sie schließlich, besser zu früh, als zu spät...

Dabei hatte er an den Funkraum überhaupt keine guten Erinnerung, als er das letzte Mal versucht hatte, nach Wakawariwa zu funken, war Jiro Raatati gestorben. Jiro... das war jetzt schon ziemlich lange her.

Der junge Mann versuchte den Gedanken an den längst Toten zu verdrängen und rannte schneller. Er musste sich jetzt konzentrieren, irgendetwas lief hier schief, das sagten ihm die Stimmen in seinem Kopf und er ahnte auch bereits, was es war.
 

Als er den gesuchten Raum betrat, war er zu seinem Leidwesen und trotz der offensichtlichen Unterbesetzung der Station bewacht. Zuerst zögerte er, als sich der unschuldige Idiot zu ihm drehte und nichts ahnend ein Wurstbrot aß, dann erinnerten ihn seine Götter wieder an die Eile, in der er sich doch befand.

Verzeiht mir mein Handeln...

„Fräulein Tebettra, guten Mor...“

Weiter kam der Mann nicht. Maigi war etwas entsetzt darüber, dass er ohne schlechtes Gewissen den Kerl erschlagen, ihm einfach seine schwere Teganby über den Schädel gezogen hatte, obwohl er ihm nie etwas getan hatte. Ja... vielleicht hatte Choraly irgendwo Recht, Himmelsblüter waren wirklich tief im Inneren grausame Monster... na ja, es musste ihm im Moment gleich sein, Zeit sich darum zu sorgen, hatte er später...

Er trampelte mit seinen Absätzen, die er gezwungenermaßen noch tragen musste, unbarmherzig über den leblosen Körper und verteilte daraufhin das Blut, dass aus der Platzwunde am Kopf austrat, mit seinen Schuhen quer durch den Raum bis hin zum Funkgerät.

Jetzt wurde es ernst.

Einen Moment zögerte er. Sollte er wirklich seine Cousine verraten? Sie war jahrelang sein ganzes Leben gewesen! Aber sie war eine ganz miese Intrigantin...

Der Junge fasste auf den Gedanken hin schnaubend das Sprechgerät und wählte die verheißungsvolle Nummer. Er hatte sie auswendig gelernt, extra für diesen Anlass... schon vor Monaten.

Hoffentlich brachte das etwas.
 

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„Wohin willst du? Mayora, wo willst du hin? Warte doch, Missgeburt!“

Choraly setzte ihrem Freund entsetzt nach, als der einfach aufstand und in die Richtung rannte, aus der die seltsamen Geräusche kamen.

„Nachsehen, was sonst?“, war seine entnervte Antwort darauf und das Mädchen schnaubte entrüstet.

Moment – was sagte er? Er wollte jetzt einfach so weg gehen und schauen, was da los war? Na ja, klar, er war vertretendes Dorfoberhaupt und vermutlich war das eine gute Idee, aber...

„Deine Tante liegt sterbend auf der Straße, du Arsch!“

Er hielt inne und schenkte der Jüngeren einen grantigen Blick. Ja, sollte sie doch, na und? Das hatte er eigentlich auch beabsichtigt!

„Das weiß ich.“, entgegnete er deshalb auch simpel und das Mädchen starrte ihn aus immer größer werdenden Augen an. Das war nicht sein Ernst...

„Mach sie wieder gesund!“, verlangte sie mit mehr Elan weiter und ballte die Hände zu Fäusten, „Tu es für mich, ich hab sie inzwischen gern, bitte!“

Sie wunderte sich selbst etwas darüber, dass ihr Herz im Moment so dermaßen schmerzte, wenn sie an den Verlust der Frau dachte, empfand es aber als in Ordnung, denn in den letzten Monaten hatte sie die Ehre gehabt, sie kennen zu lernen; sowohl die negativen, als auch die positiven Seiten an ihr. Und sie hatte sie sehr zu schätzen gelernt. Etwas erinnerte sie sie an ihre Mutter Naputi Magafi, die zwar nach außen hin eine tüchtige, kühle Frau gewesen war, die für ihre Familie (die am Ende eigentlich nur noch aus ihrer Tochter bestanden hatte...) aber alles gegeben hätte. Ja, Chatgaia hatte ihre Fehler, vielleicht sogar jede Menge, aber genau so hatte sie auch ihre Qualitäten, die man unbedingt würdigen musste! Und sie hatte sie gern, verdammt, sie sollte nicht sterben!

Mayora sah das zu ihrem Leidwesen ja plötzlich völlig anders.

Er schnaubte.

„Ich möchte dich sicherlich nicht bekümmern, aber ich wünsche mir, dass dir Hexe stirbt. Tut mir Leid.“

Und damit hatte sich die Sache für ihn, er hatte jetzt bedeutend wichtigere Dinge zu tun, als sich um seine gestörte Tante zu kümmern.

Und als ein weiteres Mal ein seltsamer Knall ertönte, fuhr er zusammen, weil zeitgleich auch seine Freundin hysterisch aufschrie.
 

Sie hatte es satt, dass alles um sie herum verging! Sie kam sich vor, wie ein Kaktus, inmitten von verdorrenden Blumen, sie wollte nicht mehr! Und erst recht nicht, wenn der Vater ihres Kindes daran Mitschuld war!

„Mach sie gesund!“, forderte sie abermals heulend, „Mach sie gesund, oder ich bringe mich und mein Baby auch um und dann bist du Trottel völlig allein auf der Welt! Nicht, dass du das nicht verdienen würdest, aber... verdammt, mach sie gesund!“

Auf ihr Weinen zog sich in ihm irgendetwas schmerzhaft zusammen. Ja, er hatte eigentlich zu seiner Freude auch bemerkt, dass sich seine Prinzessin und seine Tante in den letzten Wochen gut verstanden hatten. Er hatte es schön gefunden und so gern er Chatgaia tot gesehen hätte, er brachte es nicht über sich, seine Liebste derart zu verletzen. Nein, am Ende erlitt sie tatsächlich noch eine Fehlgeburt oder dergleichen, dieses Risiko konnte er nicht eingehen, auf keinen Fall! Er wollte dieses Baby, es würde ihn und Choraly verbinden und sie zu einer eigenen, kleinen Familie machen, die er für nichts auf der Welt eintauschen wollte.

So vergaß er kurzzeitig die Sorge um das Dorf und unterdrückte den Hass auf dessen Oberhaupt, als er kehrt machte und sich wieder neben der älteren Frau niederließ. Ja, er war Heiler und seine Ausbildung war beinahe abgeschlossen, aber Brüche konnte er auf die Schnelle nicht heilen. Das Einzige, was er tun konnte, war den tödlichen Fluch von ihr zu nehmen und dann (für seine Freundin) zu hoffen, dass alles gut ging. Kaum zu glauben, dass er das wirklich getan hatte...
 

Choraly konnte ihrerseits gar nicht ausdrücken, wie sie sich fühlte, als ihr Liebster ihrer Bitte endlich nachkam. Sie hatte solche Angst gehabt...

„Ich tu es nur für dich.“, machte der junge Mann da auch, „Nur für dich, hörst du? Ich will nichts mehr mit ihr zu tun haben, nie wieder.“

Er murmelte ein paar Worte in alter Sprache um so einen Film von blau leuchtendem Wasser um seine Hand erscheinen zu lassen, den er Chatgaia an die Stirn hielt. Es war nicht schwer, es tat ihm bloß irgendwie Leid um die vergeudete Kraft zuvor...

„Vielen Dank...“, schnappte seine Freundin im Hintergrund darauf nur und fuhr zusammen, als ein weiterer, dumpfer Knall ertönte und darauf weit entfernte Schreie folgten. Gruselig...
 

Die Magierin am Boden begann nach wenigen Sekunden, Blut zu husten, worauf ihr Neffe von ihr abließ und sich erhob. Sie war so schwach, es wäre gerade so furchtbar einfach gewesen, sie doch noch zu töten, ihr einfach die Enatiri in die Brust zu rammen, aber er tat es nicht, einzig für seine Prinzessin riss er sich zusammen. Und das, obwohl es in ihm nur so kochte, wenn er in das massakrierte, aber dennoch hübsche Gesicht der Frau sah.

„Mehr kann ich nicht tun im Moment.“

Er zwang sich, zu Choraly zu sehen, die nervös von einem Fuß auf den anderen wechselte. Bei dem Anblick seiner Tante wurde ihm schlecht...

„Ihre gebrochenen Knochen lassen sich auf die Schnelle und ohne irgendwelche Mittel nicht heilen, wenn sie dir ja so wichtig ist, würde ich dir raten, sie irgendwie ins Haus zu bekommen – ich fasse sie sicher nicht noch einmal an und außerdem muss ich jetzt endlich einmal schauen, was dahinten los ist. Pass auf dich auf.“

Es tat ihm irgendwo weh, seine Freundin einfach so allein zu lassen, aber er hatte seine Pflichten und die musste er über seine eigenen Interessen stellen, anders als es Chatgaia getan hatte, diese Hexe.

Er wandte sich unmerklich seufzend ab.

„Mayora, ich... liebe dich!“

Ja, das wusste er. Und das hatte ihn furchtbar stark gemacht. Er liebte sie auch...
 

--
 

Maigi lehnte sich keuchend gegen die Tür des Funkraumes. Himmel, er hatte es wirklich getan.

Er hatte sie alle verraten, einfach so. Er hatte genau so gleichgültig geklungen wie die Frau am anderen Ende der Leitung. Er hatte sich mit Maigi Tebettra gemeldet, zum ersten Mal seit Jahren nicht mit dem Namen seiner Schwester, Dafi. Und verdammt, es hatte sich gut angefühlt.

Ihm fiel ein, dass er doch eigentlich jetzt ein Problem hatte, wegen des toten Funkmannes, es würde schließlich schon ein paar Stunden dauern, bis die Leute aus Wakawariwa hier sein würden, mindestens. Wenn sie denn überhaupt kamen... ach, er hatte alles, was ihm möglich war, getan. Einmal davon abgesehen, dass seine Götter ihm schon längst gesagt hatten, dass es an sich egal war, ob herauskam, dass er ein Verräter war, weil seine Cousine ihn eh belogen hatte und es im Dorf bereits drunter und drüber ging. Hoffentlich war da überhaupt noch etwas zu retten... ansonsten hatte er immerhin dem Rest der Welt einen Dienst geleistet. Ja... und dabei hatte er der Dame aus der großen Stadt doch schon erzählt, dass er Choraly Magafi kannte, hoffentlich geschah seiner besten Freundin nichts...
 

Mit einem Mal fuhr er abermals keuchend zusammen, als es ihn wie ein Blitz traf.

Tainini, Tainini war im Dorf! Und sein Baby, verdammt, er war im Begriff ein zweites Mal seine Familie zu verlieren, dieses Mal sogar, bevor er sie überhaupt richtig hatte, das konnte er nicht zulassen!

Der Junge schnappte noch einmal nach Luft, dann stieß er sich von der Wand ab und rannte aus dem Raum.

Ins Dorf, er musste nach seinem Mädchen sehen!
 

Oder wollte es zumindest, denn als er um die nächste Ecke bog, hielt er abrupt inne.

Moment – das ergab keinen Sinn. Das tolle Projekt wurde gerade zum ersten Mal getestet, warum war Pinita dann hier? Und guckte ihn blöd an?

Als ob er die jetzt hätte gebrauchen können...

„Was denn, du bist nicht im Dorf?“

Er versuchte, möglichst hart zu klingen, denn wenn sie bemerkte, wie nervös er war, hatte sie leichtes Spiel mit ihm. So wie so – sie hatte schon grausames mit ihm angestellt...
 

Die junge Frau ihrerseits stand einfach nur da und starrte ihn doof an. Sie trug ihre Uniform und zeigte dabei eindrucksvoll, dass sie tatsächlich wieder auf dem besten Weg war, ihre alte Figur zu bekommen. Ja, sie war eng und sah gut aus, aber ein Kompliment wollte der Junge ihr dafür trotzdem nicht machen. Nein, er würde nie wieder etwas nettes zu ihr sagen!

„Was denn, hat es dir die Sprache verschlagen?“

Er ärgerte sich darüber, dass seine Stimme zu zittern begann und sie so wohl doch bemerkte, dass sie ihn nervös machte, gerade, weil sie nichts sagte. Warum war sie still, sonst war sie doch immer am reden!

Und dennoch erschreckte er sich, als sie plötzlich etwas erwiderte.

„Warum sollte ich in Thilia sein?“, sie strich sich durch ihr etwas länger gewordenes blondes Haar, dann begann sie wissend zu grinsen, „Ja, ich habe dich angelogen, aber bloß, weil du es auch getan hast. Du hast dich bei deinen Freunden ausgeheult, das habe ich dir sofort angesehen! Also war ich auch nicht ganz ehrlich.“

Sie klang erstaunlich gefasst und ruhig, überhaupt nicht wütend. Maigi hob unsicher eine Braue. Und wieder musste er sich verarschen lassen,... oder?
 

Pinita war eine normale Menschenfrau, ihr fehlte die Intuition, die ihr Cousin hatte. Aber sie war doch scharfsinnig... irgendetwas war hier falsch.

„Wir sind quitt.“, erklärte sie weiter, „Und ich habe dich gesucht, damit wir zusammen zum Dorf gehen können. Du hast schließlich die ganze Zeit an meinem Projekt mitgearbeitet, wenn auch unwissentlich, wir sollten diesen Tag zusammen feiern und nicht in einem fort wütend aufeinander sein. Ich hab dich doch lieb...“

Sie lächelte und brachte ihn zum Erschaudern. Die Ältere konnte einen ganz leicht um den Finger wickeln, es war schrecklich! Und gefährlich in diesem Falle...

Tainini erinnert ihn wieder an den Ernst der Lage.

„Nein!“, schnappte er kopfschüttelnd, „Meine Verlobte hat mich lieb, du nicht! Und ich werde auch ganz sicher nicht mitkommen und zuschauen, wie du meine Heimat zerstören lässt, nur, um zu sehen, dass dein doofes Projekt, dass der Welt nur Leid bringen wird, funktioniert!“

Innerlich freute er sich kurz, als er bemerkte, dass seine Worte sie etwas aus der Fassung brachten. Ja, seine Verlobte, er hatte eine.

Apropos, wo war eigentlich ihr Freund mit seiner Tochter? An sich hatte sie ihn ja vorwarnen lassen, aber wohin hatte sich der Kerl versteckt? Beziehungsweise, hatte er ihr Angebot überhaupt angenommen? Hatte er seine Familie und seine Freunde wirklich im Stich gelassen?

Tafaye war ein guter Kerl, wenn, dann nur aus Vaterinstinkt...

„Und...“, riss die Blonde ihn da aus seinen Gedanken, „Was willst du stattdessen machen? Mit deiner Verlobten...? Wer zum Geier ist das überhaupt?!“

Das würde er ihr ganz sicher nicht verraten. Am Ende sorgte sie noch dafür, dass ihr absichtlich etwas geschah, nein, dieses Risiko ging er ganz sicher nicht ein!

So schnaubte er nur und schritt ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen an ihr vorbei. Er war ein Mann, verdammt, er wurde bald Vater, er war erwachsen und er ließ sich nicht mehr von irgendeinem dummen Weib unterbuttern! Die würde bald Augen machen...

„Geht dich nichts an!“, schnappte er noch, „Kümmere dich lieber um deinen eigenen Kerl.“

Dann ging er und ließ sie einfach stehen. Und zum ersten Mal in seinem Leben hatte er das Gefühl, stark gewesen zu sein...
 

Pinita schaute ihm empört schnaubend nach. Was bildete der sich denn bitte ein? Dabei war sie immer so gut zu ihm gewesen, na toll, schöner Dank. Und die Versöhnung war von ihr ausgegangen, wie frech von ihm!

Na gut, das war sein Pech. Da er ja sein dummes Maul nicht hatte halten können und es anscheinend, wie seine angebliche Verlobte vermuten ließ, ein paar Leute gab, die über ihn Bescheid wussten, würde sie ihn nach ihrem Triumph einfach verraten und dann würde er seine gerechte Strafe bekommen, so einfach war das. Sie brauchte ihn nicht mehr, sie hatte alles, was sie brauchte. Bloß wegen ihres durch und durch guten Charakters hatte sie sich noch einmal mit ihm versöhnen wollen, aber wer nicht wollte, der hatte schon. Pech für seine Verlobte.
 

In einem hatte er allerdings durchaus recht; bevor sie sich gleich erfreut das Spektakel im Ort ansah, musste sich sich um Tafaye kümmern. Oder besser um Karna, der hatte den Auftrag gehabt, dafür zu sorgen, dass ihm und Kirima nichts geschah. Sie musste ihn fragen, wie das jetzt überhaupt gelaufen war und wo sich ihre Familie befand. Sie bekam nämlich langsam Sehnsucht...

Am besten machte sie sich gleich auf, um nach dem Deppen zu suchen.
 

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Schmerzen und Dunkelheit. Das war alles, was Chatgaia im ersten Moment wahrnahm, als sie langsam begann zu erwachen, diese seltsame Welt zwischen Leben und Tod zu verlassen, in der Götter und Dämonen gleichermaßen zu ihr gesprochen hatten.

Ja... sie kam wieder... so leicht war sie nicht bereit, aufzugeben. Zumindest nicht, ehe sie sich bei Choraly bedankt hatte.

Was sie betraf hatte Mayora immer Recht gehabt, all die Monate lang. Das Mädchen aus der großen Stadt hatte ein gutes Herz. Sie hatte sie gerettet, auch wenn die Magierin nicht verstand, weshalb. Warum hatte sie nicht gewollt, dass sie griesgrämige Kuh einfach starb? War sie denn jemals wirklich gut zu ihr gewesen?
 

Schmerzen und Licht, das nahm sie dann als nächstes wahr, denn es war mit einem Mal unsagbar grell, als besonders ihr Arm schlagartig schlimmer geworden war und sie laut aufstöhnen ließ.

„Tut mir Leid!“, vernahm sie dumpf eine nervöse Stimme, die sie als die des brünetten Mädchens ausmachte, „I-ich versuche, dir irgendeinen... stützenden Verband umzulegen... damit dein Arm nicht so ungeschützt ist! Ich... will dir nicht weh tun...!“
 

Sie schluchzte, weil sie annahm, nicht vorsichtig genug gewesen zu sein, aber Himmel, sie kannte sich doch wirklich überhaupt gar nicht in der Medizin aus! Und dabei wollte sie doch nur helfen...

Und irgendwie war sie abgrundtief enttäuscht von ihrem Freund, er war so kaltherzig gewesen, dieser Mistkerl! Natürlich hatte sie Verständnis dafür, dass er nachsehen musste, was da geschehen war, aber hatte er Chatgaia nicht zuvor ordentlich versorgen können? So lange hätte das sicher auch nicht gedauert! Oder immerhin nicht so lang, wie bei ihr jetzt und er hätte es auch ordentlich hinbekommen, so nützte das sicherlich nicht viel, bei allen gut gemeinten Versuchen...

„... wein... doch nicht...“

Sie schnappte leicht nach Luft, als die brüchige Stimme des Dorfoberhauptes sie aus ihren Gedanken riss.

Die stolze, schöne Königin klang so schwach... aber dennoch ehrwürdig, fand sie. Sie hatte einfach so etwas an sich, dass einem direkt zeigte, dass man ihr Respekt zollen musste. Sie verdiente ihn einfach. Und es tat der Jüngeren weh, mit ansehen zu müssen, wie sie sich in einer solch unwürdigen Lage befand. Das... war nicht gerecht.

„Ich mag aber weinen, ich mache mir Sorgen!“, entgegnete sie so unglücklich und die Frau ließ ihren vernebelten, starren Blick zu ihrem Gesicht schweifen.

Dabei bemerkte sie, dass sie sich im Haus befand, auf ihrem Sofa, wie es schien. Sie hatte sie also allein herein geschleppt, dabei musste sie sich doch schonen... dieses Baby war ja wohl wichtiger, als irgendeine alte Frau!

Sie wollte sicher gehen, dass die Freundin ihres Neffen das auch wusste...

„Hör zu...“, bat sie deshalb und versuchte, die grausamen Schmerzen, die sie nun mehr in ihrem Kopf spürte, als sie ihn zu der Braunhaarigen wandte, zu ignorieren, „... sei... sei Mayorachen nicht böse, ja? Er hatte seine Gründe...“

Sie hatte verstanden, was er gemeint hatte und er hatte völlig Recht. Auch wenn es ganz nett gewesen wäre, wenn er sich auch die Mühe gemacht hätte, auf sie einzugehen und sie zu verstehen. Er wusste ja gar nicht, wie grausam der Kinderwunsch sein konnte, wenn es einfach nicht klappen wollte und wie sehr man sich dann freute, wenn plötzlich der kleine, gerade einmal acht Jahre alte Neffe ins Haus kam...!

Wie auch immer, das musste sie unbedingt noch mit ihm klären. Und das würde sie auch noch.

Zumindest entschuldigen musste sie sich auf jeden Fall, nicht nur für seine unfreiwillige Umfunktionierung zum Ersatzsohn, sondern auch für das, was danach war, die Zeit, in der sie ihn aus Trotz einfach als Werkzeug benutzt hatte. Trotz... wie peinlich, sie war doch kein kleines Mädchen mehr.

Choraly hatte sich derweil mit einiger Mühe wieder fassen können.

„Na ja, das hoffe ich auch schwer für ihn.“, erwiderte sie etwas säuerlich, „Aber ich werde trotzdem mit ihm schimpfen, ich meine... das geht doch nicht!“

Sie schnaubte, dann senkte sie den Blick.

„Er war so anders, ich habe ihm überhaupt nicht wiedererkannt.“
 

Chatgaia schloss die Augen wieder. Ja, sie auch nicht. Sie hatte schon seit einiger Zeit gespürt, dass da etwas in ihm war, etwas, das nicht normal war, aber mit dem, was sie letztendlich in ihm erkannt hatte, hätte sie nicht gerechnet. Niemals in ihrem Leben, sie hatte noch nicht einmal geglaubt, dass so etwas in der heutigen Zeit überhaupt noch möglich wahr.

Vielleicht war ihr Neffe der einzige Magier auf der ganzen Welt, der so wahr...?
 

Sie sprach ihre Gedanken angesichts des aufgelösten Mädchens nicht aus. Nachher wurde sie noch so besorgt, dass dem Baby tatsächlich etwas geschah und das hätte sich die Frau niemals verzeihen können.

Einmal davon abgesehen, dass der dumpfe Schmerz sie fast lähmte und sie im Moment einfach unsagbar müde war. Sie musste ihre bloß in geringem Maße vorhandene Kraft jetzt für etwas anderes verwenden.

„Irgendetwas stimmt... hier doch nicht, oder?“, sie öffnete die Augen wieder. Irgendetwas hatte sie mitbekommen und die Stimmen in ihrem Inneren waren beunruhigt. Ja, irgendetwas hatte Mayora doch auch gemeint... aber sollte das nicht erst in ein paar Tagen sein?

Er hatte sich doch anlügen lassen! Wenn auch anders, als sie gedacht hatte, aber immerhin. Vermutete sie zumindest spontan, soweit es ihre trägen Gedankengänge zuließen.

„Ich weiß es nicht so genau.“, entgegnete die Jüngere darauf und erschauderte vor Beunruhigung, als sie an die Schreie dachte, „Ja, ich glaube schon. Ich denke, die haben das Dorf früher angegriffen, als geplant. Oder als man uns gesagt hat...“

Oder besser Maigi, denn sie traute ihm nicht zu, sie absichtlich belogen zu haben. Schließlich lebte hier alle seine Freunde, einschließlich seiner schwangeren Verlobten, da hätte er sicher dafür gesorgt, dass zumindest die in absoluter Sicherheit ist.

Dachte sie sich zumindest.
 

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Als Pinita um die nächste Ecke bog, stellte sie erfreut fest, dass Karna da gerade herumstand. Prima, der kam ja wie gerufen.

„Hey du!“, machte sie so auch entsprechend gut gelaunt und war etwas irritiert, als er nicht reagierte und bloß verstrahlt in den Funkraum starrte, dessen Tür anscheinend offen stand. Moment, war diese blöde Kammer interessanter als sie? Sie sah viel besser aus, echt mal...

Ja, sie war gut gelaunt, denn sie würde gleich mit eigenen Augen mitansehen können, wofür sie sich jahrelang eingesetzt hatte und das war eine gute Vorstellung. Genau so wie die, ihre dümmlichen Cousin demnächst einfach entsorgen zu können. Sie brauchte ihn nicht mehr, demnächst würde er gemeinsam mit den baldigen Kriegsgefangenen auf seine Hinrichtung warten könne. Geschah ihm Recht! Dabei war sie doch immer so gut zu ihm gewesen...

„Karna, du Hornochse, ich rede mit dir!“

Der junge Mann schreckte endlich aus seiner Starre und schaute die Blonde erschrocken an, als diese mit verschränkten Armen auf ihn zutrat.

„Ich wollte mit dir reden, du Träumer. Was ist denn jetzt eigentlich mit...“

Sie hielt inne, als sein Blick wieder in das Zimmer mit dem Funkgerät abschweifte und sie ihm unwillkürlich folgen musste und ebenfalls kurzzeitig einfror.

WAS zum Geier war das?!
 

Da war Blut. Blut neben diesem toten Mann, der für das Funkgerät verantwortlich gewesen war. Blut, dass sein halbes Wurstbrot beschmutzt hatte. Und Blut, dass ihren größten Traum, für den sie so viel geopfert hatte, den sie seit ihrer frühen Kindheit geträumt hatte, mit einem Mal zerstört hatte.
 

Warum war ihr nicht aufgefallen, in welchem Gang sie auf Maigi getroffen war?

Diesen elenden, schmierigen, abartigen Verräter?!

Diesen Hundsarsch, der ihr Leben mit einem Mal zerstört hatte und dafür augenscheinlich sogar über Leichen (oder eine Leiche) gegangen war?!!

„... ich... habe ihre Cousine vorhin hier in der Nähe beobachtet...“, ahnte auch der Angestellte anscheinend richtig und die Jüngere schlug sich zitternd die Hand vor den Mund.

Wie hatte er ihr das nur antun können, dieses miese Schwein?! Warum nur?!

„Es ist... alles vorbei...“, stammelte sie aufgelöst und ließ sich vor dem perplexen Mann auf die Knie sinken, weil ihr schwarz vor Augen wurde. Ja, sie hatte alles verloren, alles, wofür sie gekämpft hatte, ihr Leben lang! Alles, wofür ihre Vorfahren gekämpft hatten, durch einen einfachen Funkspruch vernichtet!
 

Sie versuchte sich einen Moment lang zusammen zu reißen, schaffte es aber nicht und ließ ihrer Verzweiflung mit einem hysterischen Aufschrei einfach freien Lauf, worauf Karna erschrocken einen Schritt zurück sprang. Jetzt war ihm die Tussi gruseliger denn je...

Sie schenkte ihm einen vernichtendem Blick und er hob eine Braue.

„Schau nicht so dumm!“, fuhr sie ihn lauernd an und atmete schwer, „Weißt du, was das heißt? Wir werden nicht nur unsere Berufe, nein, sondern auch unsere Freiheit und möglicherweise sogar unser Leben verlieren! Verstehst du das? Unser gesamter Kontinent kommt wegen unseres aufgeflogenen Plans in riesige Schwierigkeiten, er wird nie wieder, verstehst du, NIE WIEDER die Chance haben, zu dem Rum zu kommen, den er auch verdient! Vermutlich wird der Rest der Welt uns zeitlebens unterdrücken oder was auch immer, uns schlimmer behandeln, als mancher Orts die Himmelsblüter! Und das alle bloß, weil mein Cousin, der nicht meine Cousine ist, uns verraten hat, für irgendwelche primitiven Dorfdeppen und für den armen Rest der Welt, um ja diesen nutzlosen Frieden zu wahren, der niemanden voran bringt! Ich hasse ihn!“
 

Nach ihrem Redeschwall stützte sie sich schwer atmend an der Wand neben der offen stehenden Türe ab, um sich wieder hinzustellen. Sie war diesem Idioten schließlich nicht unterwürfig oder gar unterlegen, so etwas wollte sie gar nicht demonstrieren, auch wenn sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand und sich kaum aufrecht halten konnte.

Und vor lauter Wut schlug sie auch Karnas Hände weg, als sie nach ihren Schultern griffen, um sie irgendwie fest zu halten. Nein, das schaffte sie noch alleine...

„Um ehrlich zu sein, bin ich gerade ziemlich überrumpelt...“, machte der Mann bleich, wie er geworden war und kratzte sich stattdessen am Kopf.

Na toll, jetzt verlor er doch seinen Beruf, dass er aber auch nicht so weit hatte denken können...

„Also... sie denken, ihre Cousine... die ein Kerl ist... hat uns da gerade verraten? Und dabei diesem armen Kollegen erschlagen?! Und dabei sieht sie so lieb aus...“

Pinita schlug ihm ins Gesicht.

„Nenne den kleinen Wichser gefälligst nie, NIE wieder in deinem Leben „lieb“!“

Ja, okay, diesem Befehl würde er artig gehorchen. Und er wagte es auch nicht, sich über ihre grobe Reaktion zu beschweren, als er sich über seine schmerzende Wange rieb und seufzend weiter sprach.

„Und... was machen wir jetzt? Dem Chef Bescheid sagen?“
 

Ja, das war auch der erste Gedanke der jungen Frau gewesen. Aber was würde der dann tun? Zunächst einmal nach Maigi suchen lassen, dann die ganze Aktion abblasen und sich schließlich bei den Idioten in Wakawariwa einschleimen. Zumindest ging sie stark davon aus, dass ihr Cousin sie in Noboka angeschwärzt hatte, die waren schließlich am einflussreichsten. Und dass er sie überhaupt verraten hatte... na ja, das lag angesichts der Tatsachen außer Frage, fand sie.

„Nein.“, entschied sie dann gezwungen gefasst und versuchte, ihre Atmung etwas zu regulieren, „Unser Chef wird alle Arbeit zunichte machen, noch mehr, als Maigi es getan hat. Willst du in Ehre sterben oder lieber den Rest deines Lebens in Schande verbringen, Karna?!“

Er ersparte sich eine Antwort, denn vermutlich würde er sich dafür eh bloß wieder eine fangen. So zuckte er nur mit den Schultern, was die Jüngere getrost ignorierte.
 

Nein, sie würde sich an ihrem Cousin rächen, sie hasste ihn! Sie würde dieses Dorf zerfetzen, nein, diese ganze verfluchte Oase mit jedem einzelnen Lebewesen, welches sie bevölkerte, er sollte zusehen, wie alle seine Freunde starben, jämmerlich verbrannten oder einfach von irgendwelchen Trümmern erschlagen wurden! Und sie würde herausbekommen, welche kleine Hure seine Verlobte war, sie würde ihr das Herz aus dem Leibe reißen und es ihrem Cousin vor die Füße werfen und ihn schallend auslachen, denn das konnte und wollte sie sich nicht gefallen lassen!

Sie hatte ihren Stolz!
 

„Und... was machen wir stattdessen?“, fragte der Angestellte da weiter und riss sie damit aus ihren wahnsinnigen Gedanken. Dabei ließ er seinen Blick wieder zu dem toten Kollegen im Funkraum schweifen. Das war ein guter Kerl gewesen, verdammt. Warum hatte diese Ziege das nur getan, was hatte sie davon? Beziehungsweise er... Maigi?!

„Wir... wir machen weiter! Ich sorge dafür, dass wir alle Reste aus dem Waffenlager nehmen, alles, was einem Menschen oder einem Magier auch nur den ansatzweise Schmerzen zufügen kann, werden wir benutzen und wir heben diese bekloppte Beschränkung auf den dünn besiedelten Dorfrand auf, ich will ganz Thilia brennen sehen! Unsere Strategien lasse ich auch streichen, einfach alles, was jetzt sinnlos geworden ist, ich will bloß Rache an diesem Kaff voller Vollidioten!“
 

Sie keuchte wieder schwer und als sie zu schwanken begann, ließ sie sich doch in die Arme des Älteren sinken, der sie skeptisch musterte, als sie sich zitternd und kraftlos an ihn lehnte. Ja, das waren wohl klare Worte gewesen.

Und wegen solcher klaren Worte hasste er dieses Weib. Na ja, vielleicht hasste er sie nicht ganz, aber er fand sie abartig.

Wie konnte man aus reiner Machtgier, oder jetzt, weil der persönliche Stolz verletzt worden war, bloß kaltherzig Leute töten lassen? Familien zerstören? Obdachlos machen? Das war echt grausam!
 

Und deshalb hatte er sich schweren Herzens auch dazu entschlossen, grausam zu sein.

Sie hatte ihn gebeten, nach ihrem Freund Tafaye Alhatfa und ihrer Tochter Kirima zu sehen und ihnen Bescheid zu geben, damit sie sich rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten.

Er hatte es nicht getan.

Und ja, er hatte ein schlechtes Gewissen, der Schneider war ein guter Kerl und das kleine Mädchen gewiss zuckersüß, aber in Thilia gab es sicherlich noch viel mehr gute Kerle und zuckersüße kleine Mädchen, warum sollten ausgerechnet diese beiden eine Chance bekommen, bloß weil Pinita sie mochte?

Nein, das sah er nicht ein. Tat ihm zwar Leid, aber die Blonde konnte ruhig am eigenen Leib spüren, wie es war, wenn man jemanden verlor, den man wirklich liebte.

Davon, dass sie ihre Eltern geliebt hatte, ging er nicht wirklich aus...
 

„Ich werde sie alle vernichten...“, stammelte die Frau da wieder wie wahnsinnig und stieß sich von ihm ab, ein paar Schritte den Gang hinauf torkelnd.

„Sie sollen bluten, für das, was sie mir angetan haben...! Und Maigi werde ich zerfetzen, in der Luft und dann werde ich ihn auslachen...!“

Karna seufzte. Und da erzählte man sich, Shakki Kaera sei nicht ganz dicht...
 


 


 


 

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Ja, ihr habts wohl gemerkt, letzte Woche kam kein Kapitel. Liegt daran, dass ich nur welche hochlade, wenn ich mit dem aktuellen Kappi fertig geworden bin oder zumindest fast fertig bin und das war letzte Woche einfach nicht der Fall, sorry úû War ein sehr schweres Kapitel...

Na ja, jetzt habt ihr eins. So just for Info, ich schreibe jetzt an Kapitel 43, es werden vermutlich 45 werden. Ich habs also bald <3

Feuer

„Was bist denn du schon wieder für ein Bastard?!“

Uda Magafi schaute entnervt einem kleinen Jungen nach, der völlig aufgeregt wie ein aufgescheuchtes Huhn durch sein Büro stolperte, alle zwei Atemzüge zum Erzählen ansetzte und sich dann irgendwie doch wieder selbst unterbrechen musste, weil er vom wilden hin-und herrennen außer Puste war.

„Hallo, du hässlicher Bengel, ich rede mit dir!“

Der Mann raufte sich die braunen Haare. Hallo?

„Ich.... ich soll... ich... oh... schöner Teppich... ich...“

Über die Kante von eben diesem schönen Fußabtreters stolperte das Kind nun und lag zur Erleichterung des Mannes so lang, wie es war vor seinem Schreibtisch, zu kraftlos, um sich sofort wieder aufzurappeln. Was hatte man dem denn ins Frühstück gemischt?

„Jetzt mal ganz ruhig.“, seufzte der Senator und strich sich erschöpft durchs Gesicht, „Zuerst mal, wo ist denn dein Vorgänger, der war blond und nicht ganz so unansehnlich wie du, ich weiß es doch... sag nicht, er ist zusammengeklappt, ich habe ihn doch ernährt!“

Echt einmal, langsam reichte es ihm hier mit dem Personalpfusch. Warum konnten diese Leute nicht einfach das machen, was man von ihnen verlangte, die bekamen doch Geld dafür, verdammt!

Er erhob sich und trat neben den Jungen, der jetzt doof zu ihm aufsah.

„Ich weiß nicht so genau, ich weiß nur, dass ich Ihnen etwas wichtiges sagen sollte, aber ich habe vergessen, was es war...“

Dem Kleinen gefiel der Gesichtsausdruck des Mannes nicht. Ja, klar, er konnte ja verstehen, dass er jetzt sauer war und so... ach, da fiel ihm doch etwas ein!

„Nicht böse gucken!“

Er erhob sich wieder gut gelaunt und Uda Magafi hätte ihm beinahe eine gescheuert, weil er sich angemaßt hatte, ihm etwas zu befehlen. Er ließ es dann aber doch, schließlich war er ein Herr von Rang und Ehre und es lag unter seiner Würde, einen kleinen Halbstarken zu verprügeln. Außerdem kannte er irgendwo auch so etwas wie Mitleid, auch wenn er sich das in seiner Position lieber nicht anmerken ließ. Er war kein schlechter Mensch...

Einmal davon abgesehen zog das hässliche Kind jetzt einen interessant aussehenden Umschlag aus der Hosentasche und überreichte ihn seinem Gegenüber.

„Hier!“, lachte es gut gelaunt, „Den hat man mir auch für Sie gegeben, da steht bestimmt auch was wichtiges drin!“

Na ja, der Mann hoffte es, als er die Eilmeldung etwas genervt öffnete. Eilmeldungen waren eigentlich meistens nicht positiv, dabei war er im Moment wirklich nicht in der Stimmung für Probleme...

Er las und verdrehte darauf entnervt die Augen.

„Ja, okay, toll, macht Mon'dany doch Ärger, als ob ich es nicht geahnt hätte.“

Wäre auch zu schön gewesen, einmal davon abgesehen, dass sein Vater in solchen Dingen selten Recht hatte. Er wusste gar nicht mehr, wie der das in seiner Zeit als aktiver Politiker hinbekommen hatte...

Er faltete das Papier wieder zusammen und legte es auf dem Schreibtisch ab, um es gegen eine Tasse Kaffee zu tauschen, die dort gestanden hatte, um diese zu leeren.

„Schicken die neuerdings jedem Idioten solche Zettel? Das hätten wir doch auch in einer Sitzung klären können...“

Das war ein gutes Stichwort gewesen, das dem Gedächtnis des kleinen Laufburschen wieder etwas auf die Sprünge geholfen hatte. Und so begann er hyperaktiv auf und ab zu hopsen, worauf er sich einen verwirrten Blick fing.

„Ich weiß wieder, was ich Ihnen noch sagen sollte!“, freute er sich, „Eben so eine... äh... Versammlung gibt es, genau! Und, ach ja, man hat mir gesagt, diese Leute da, in diesem Dorf da, die... die haben ihre Tochter!“
 

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Am Dorfrand war die Hölle los. Mayora hielt keuchend inne, als er um eine Ecke bog und das schaurige Schauspiel zum ersten Mal sah.

Es regnete Feuer aus dem Himmel, der selbst eine blutige Farbe durch das Aufgehen der Sonne angenommen hatte und die hysterischen Schreie der Leute, die hier lebten, oder zumindest gelebt hatten, ließen ihn erschaudern. Während die Magier allesamt versuchten, die Flammen zu bändigen, versuchten die Menschen, den Verletzten zu helfen und dann so schnell wie möglich ins Oaseninnere zu flüchten.

Soweit es ihnen möglich war, denn die Trümmer versperrten ihnen bereits viele Wege – von den Gebäuden hier war ohnehin nicht mehr viel übrig.

Eine blutüberströmte Frau riss den jungen Mann aus seiner Starre, als sie plötzlich direkt vor ihm auftauchte und ihn an den Schultern rüttelte.

„Meine Jungs!“, schrie sie ihm ins Gesicht, „Meine Jungs waren noch im Haus, hol sie da heraus, du musst sie da heraus nehmen!“

Er blinzelte verzweifelt. Welche Jungs denn, wer zum Geier war das?

„Welches Haus denn?“, hörte er sich dann selbst verwirrt fragen und sein Gegenüber keuchte und begann zu taumeln.

„Da hinten!“, machte es und deutete schwach auf einen brennenden Schutthaufen, „Hol sie... da heraus!“

Dann brach sie Blut hustend zusammen und blieb regungslos am Boden liegen.

Es tat ihm zwar Leid, aber er würde gar nicht erst versuchen, ihrer Bitte nachzukommen, denn er spürte, dass ihre Jungs genau so tot waren wie ihre Mutter jetzt.

Eine weitere Explosion etwas weiter südlich riss ihn von den Beinen.

Die Menschen aus der großen Stadt hatten ein Bündnis mit dem Herrn der Unterwelt geschlossen, es musste so sein, denn das war nicht menschlich! Was war aus den Kindern dieser Welt geworden?!

Und verdammt noch einmal, wie konnte er sie aufhalten?
 

„Wasser!“, schrie jemand weiter hinten völlig aphatisch und als der Junge sich aufraffte, sah er, dass es von einem Mann kam, der lichterloh brennend im Kreis herum rannte. Dieser seltsame Feuerregen zündete alles an, wirklich alles, sogar Steine, da war es kein Wunder, dass auch der Kerl sofort Feuer gefangen hatte, als er getroffen wurde. Zumindest war es nahe liegend, dass er so ein Ding abbekommen hatte.

Nein, ihm konnte er natürlich keine Hilfe verwehren, also rannte er auf ihn zu und ließ einen Schwall Wasser auf ihm nieder, was zu seinem Unverständnis aber überhaupt nichts half, der arme Depp bemerkte noch nicht einmal den Löschversuch.

„Verfluchtes Höllenfeuer!“, empörte sich Mayora dann laut, wobei seine Stimme in dem Trubel um ihn herum dennoch sofort unterging. Wie konnten diese Flammen es wagen, sich seinem Wasser nicht zu beugen?!

Er richtete intuitiv die Hände auf den brennenden Kerl, der mittlerweile nur noch kreischend auf dem Boden kauerte und nach eigenen eigentlich reichlich unverständlichen Worten schon die Windgeister sehen konnte.

„Kja wqio fico deka... diewe fáh!“

Der Ersterbende leuchtete blau auf, dann erlöschte das Feuer.

Der Grünhaarige keuchte. Was zum Geier machte er plötzlich für Dinge? Nun gut, unwichtig in dem Moment, zunächst sollte er diesen armen Kerl heilen... soweit es ihm im Moment möglich war. Hier gab es schließlich noch wesentlich mehr Leute, die seine Hilfe brauchen konnten.

Er kniete sich neben den verletzten Kerl und drehte ihn auf den Rücken, worauf er schmerzlich aufstöhnte. Er hatte Verbrennungen am gesamten Körper, besonders seine rechte Seite war extrem betroffen. Das war hart, aber zumindest von seinem Kopf war recht viel verschont geblieben, das war sehr wichtig und fast schon ein Glück im Unglück, lediglich ein Teil seiner rechten Wange war betroffen.

Wobei den Magier dann ein gewaltiger Schock traf, denn er erkannte das schmerzverzerrte Antlitz.

Das war hart...

„Naga...?“, fragte er vorsichtig, „Hörst du mich...? Ich heile dich, okay?“

Er schüttelte ungeahnt heftig den Kopf.

„Tu das nicht!“, schrie er dann, „Tu das nicht, ich will so nicht leben, tu es nicht! Bring mich einfach um, ich will so nicht leben! Bring mich um!“

Er atmete heftig und zitterte und der Jüngere hielt ihm einfach eine Hand auf die Stirn.

Er konnte hier nichts für ihn tun, dafür waren seine Verletzungen beim genaueren Hinsehen doch so heftig, aber töten würde er ihn dafür sicher nicht. Der Junge sprach im Schmerz, er meinte es bestimmt nicht so, wie er es sagte, später würde er sich weiter um ihn sorgen, jetzt wollte er ihn vorerst einmal von seinen Qualen befreien.

Seine Hand leuchtete orange auf, dann verlor der Ältere sein Bewusstsein. Besser so für ihn.
 

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„Chatgaia, das ist der reine Wahnsinn!“

Nachdem diese gestörte Frau wenige Minuten gedöst hatte, war sie nach ihrem Erwachen der festen Überzeugung gewesen, sie müsste sich um ihr Dorf kümmern, nach eigenen Worten auch, wenn es sie selbst umbrachte.

„Ich bin das Dorfoberhaupt!“, hatte sie gesagt, „Ich lasse das nicht alleine Mayora machen, dieses verplante Kind, ich werde versuchen, mit den Leuten von der Station zu reden, das kann so nicht angehen!“

Vielleicht hatte sie ja sogar Recht, aber Choraly wurde ganz mulmig bei dem Gedanken, was der ohnehin sehr stark angeschlagenen Magierin alles geschehen konnte. Es war gefährlich und sie hatte Angst, verdammt! Sie musste ihr doch noch mit dem Baby helfen...

„Du hast mich doch gut versorgt...“, riss die Ältere das Stadtmädchen da aus seinen besorgten Gedanken und zupfte an dem allerdings sehr liebevoll verbundenen und gestützten Arm, „Ich muss das jetzt einfach tun, meine Götter befehlen es mir, ich kann und will mich dem nicht widersetzen. Kannst du mir jetzt bitte die Haare machen, das geht mit einem Arm so schlecht...“

Die Jüngere seufzte und band das schöne, grüne Haar der Tante ihres Freundes zusammen. Ja, natürlich, sie verstand sie. Aber trotzdem, das war doch so gefährlich. Selbst wenn sie es bis zu einem der Verantwortlichen schaffte, wer wusste schon, was der dann mit ihr tat?

In ihrem Zustand konnte sie sicher nicht mehr zaubern, geschweige denn körperlich kämpfen, es barg ein gewaltiges Risiko, wenn sie da allein hin ging, zu diesem Oberoffizier in der komischen Forschungsstation der Spasten von Mon'dany. Er konnte sie erschlagen, gefangen nehmen, foltern oder gar vergewaltigen, solche machthungrigen Männer konnten ganz grausam sein, dass hatte die junge Frau schon durch die Kontakte ihres Vaters erfahren dürfen... leider. Nicht, dass ihr jemals etwas geschehen wäre, aber... ach egal, lange her.

„Äußerst ordentlich, vielen Dank.“

Es fiel Chatgaia nicht gerade leicht, ihr ständiges Schwanken im Zaum zu halten, aber sie wollte der Kleinen so wenig Sorgen wie möglich bereiten, das war nicht gut für das Kind. So wie so, sie musste sich unbedingt in Sicherheit bringen.

Sie räusperte sich und schenkte ihr dann einen ernsten Blick aus dem kränklichen orangenen Augen.

„Höre mir jetzt gut zu, Prinzessin Choraly Magafi aus der großen Stadt jenseits des Sandes; mein Neffe hat mich in den letzten Wochen und Monaten gelehrt, dich zu schätzen und das habe ich zum Glück auch getan. Du hast eine gute Seele – wäre sie nicht wesentlich besser als meine, hätte ich fast den Eindruck, wir beide wären uns in versteckten Ansätzen sogar ähnlich. Doch, du erinnerst mich an mich selbst als junges Ding... ist lange her und jetzt auch nicht relevant.“

Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und ihr Gegenüber lächelte leicht. Das hatte sie aber schön gesagt...

„Mit anderen Worten...“, fuhr sie dann ernst wie eh und je fort, „Ich mag dich inzwischen sehr gern und ich möchte nicht, dass dir und meinem Enkel in deinem Bauch etwas zustößt, darum bitte ich dich, so schnell wie möglich in Richtung See zu flüchten, falls dir aus dieser Richtung jemand entgegen kommt, kannst du ihm ja auch Bescheid sagen, aber begib dich nicht in unnötige Gefahr, das würde mich sehr traurig stimmen!“

Ihre Worte waren vollkommen ehrlich gewesen. In den letzten Stunden waren ihr viele Dinge klar geworden, besonders, die wirklich wichtigen, die sie bisher nicht so ganz erkannt hatte. Den Göttern sei Dank rechtzeitig, wer wusste schon, wie lange ihr Körper das noch durchhielt?

„Wenn dich das wirklich so sehr beruhigt, dann kann ich das tun, ja. Nicht, dass du noch einen Herzschlag erleidest, ehe du bei diesen Spinnern ankommst.“, nicht, dass sie ihr das wirklich zugetraut hätte, aber hatte Imera nicht einmal gemeint, Himmelsblüter im Allgemeinen seien sehr kränklich und das Dorfoberhaupt sei für eine Magierin schon sehr alt? Ihr fiel etwas auf und sie wagte weiter zu sprechen.

„Außerdem... mein Baby ist doch noch nicht einmal dein Enkel...“

Vielleicht war das etwas unsensibel gewesen, aber wollte Mayora nicht, dass sie aus ihrer Traumwelt heraus fand? Nein... nicht mehr. Wie dumm...

Die Grünhaarige stimmte ihr jedoch leise zu.

„Das ist wahr, es ist nicht mein Enkel, Mayora ist nicht mein Sohn. Ich werde nie einen Enkel haben. Verzeihung, dass mir solche Ausrutscher noch immer passieren. Ich will es mir abgewöhnen.“

Sie verneigte sich leicht, wobei in ihr ein heftiges Schwindelgefühl aufkam und sie ein leichtes Staucheln nicht unterdrücken konnte. Als sie sich nach kaum einer Sekunde wieder gefangen hatte, errötete sie angesichts ihrer Schwäche etwas und hielt es für besser, sich abzuwenden und zur Tür zu gehen, um ihrer Aufgabe als Oberhaupt dieses Dorfes nachzukommen. Sie war noch immer eine Königin.

Choraly lächelte bedauernd.

„Chatgaia?“, fragte sie noch einmal und die ältere Frau hielt kurz inne, die Hand schon an der Klinke, „Du bekommst deinen Enkel... Mama.“

Einen Moment lang geschah überhaupt nichts, dann stürmte die Magierin heraus und ließ das Mädchen allein zurück. Sie wollte keine Tränen mehr zeigen.
 

Nein, sie würde sich keine Tränen mehr leisten, weder jetzt noch den Rest ihres Lebens. Sie war in einer Zwischenwelt gewesen, sie hatte so viele Dinge erfahren, mehr als jede Seherin sehen konnte, zumindest für einen kurzen Zeitraum und in bestimmten Bereichen, das musste sie irgendwie nutzen.
 

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Mayora rannte planlos durch sein brennendes Dorf und hasste sich selbst dafür, dass er keine Ahnung hatte, was er gegen diese Idioten tun konnte. Sie waren einfach da, irgendwo hinter den Trümmern, er konnte sie noch nicht einmal richtig ausmachen, auch wenn seine Götter versuchten, ihm Hinweise zu geben. Ihre sanften Stimmen gingen einfach in dem wilden Trubel der flüchtenden Dorfbewohner unter. Einmal davon abgesehen, dass er als einzelner Mann kaum eine Chance gegen diese gruseligen Maschinen hatte, Magier hin oder her. Dachte er zumindest, klang logisch für ihn.

Vielleicht war es auch bloß eine Art Ausrede dafür, dass er es gar nicht erst versuchte, aber diese ganzen, zum Teil schlimm verletzten Leute um ihn herum brauchten doch alle Versorgung, außer ihm gab es hier nicht all zu viele, die sich etwas in der Medizin auskannten und er und seine Tante waren mit Abstand die besten Heiler hier.

Ja, zuerst einmal mussten diese ganzen Menschen (und Magier) irgendwie in Sicherheit und das möglichst heil, dann konnte er sich vielleicht ein paar seiner Blutbrüder zusammensuchen und mit denen diesen abartigen Schweinen von der Station die Hölle heiß machen. Aber das später, in diesem Durcheinander erkannte man ja seine eigene Mutter nicht. Nicht, dass er eine gehabt hätte...
 

Er heilte gerade eine Fleischwunde am Bein eines etwa gleichaltrigen Mannes, der nervös herumstand und das plärrende kleine Kind auf seinem Arm nicht wirklich beruhigend auf und ab wippte, als er in nicht all zu weiter Entfernung einen weiteres Hilferuf hörte.

Nun ja, viele Leute riefen um Hilfe, aber dieser eine bestimmte, verzweifelte Ruf bekam seine besondere Aufmerksamkeit.

Er hatte die Stimme schon einmal gehört; wirklich kennen tat er sie dafür aber nicht, er hatte sie sicherlich nicht öfter als einmal in seinem Leben vernommen.

„Ist das jetzt recht so...?“, wollte der Typ mit dem schreienden Kleinen etwas genervt wissen, als der Grünhaarige seinen Kopf abrupt in die Richtung gedreht hatte, aus der der Schrei gekommen war (den der Kerl mit seinen menschlichen Ohren im Übrigen noch nicht einmal bemerkt hatte).

Er nickte und schaute überrumpelt wieder zu dem nun Geheilten, sich erhebend.

„Ja... bringt euch in Sicherheit...“

Das ließen sie sich nicht zwei Mal sagen, so war Mayora inmitten der flüchtenden Leuten und der fortschreitenden Angriffe plötzlich allein. Dieses Rufen, von wo genau war es gekommen?

Er schloss die roten Augen wieder, um sich darauf zu konzentrieren.

Nicht in direkter Nähe, aber auch nicht besonders weit weg.

„Hilfe... bitte, Hilfe!“

Ja, er wusste es.
 

In dem Moment, in dem er die Lider wieder öffnete, schlug direkt vor ihm eine dieser seltsamen Feuerkugeln ein, sprengte einen Teil des Bodens weg und steckte alles in der Nähe des Kraters in Brand, dabei warf sie den jungen Mann durch den Druck glatt von den Beinen. Er landete auf dem Hintern und guckte zunächst einen Moment doof auf die Flammen, dann musste er vor Schreck husten.

Himmel! Na so schnell konnte es gehen, er machte lieber, dass er schnell von hier wegkam...
 

Nicht lange an einem Ort bleiben, gute Idee. Sein Weg führte ihn durch eine vollkommen zerstörte Siedlung, die schon erstaunlich weit im Dorfinnern lag. Sie wurde nicht mehr angegriffen, hier war alles kaputt. Es gab nur noch Trümmer, Feuer und Tote. Und jemand, der mittlerweile absolut hysterisch nach Hilfe schrie.

Mayora erschauderte und musste ein weiteres mal husten, als er durch einen abartig stinkenden Rauch rennen musste. Er wollte gar nicht so genau wissen, was da gerade verbrannte... okay, eigentlich konnte er es sich denken. Als die Luft wieder besser wurde, schüttelte er sich ein weiteres Mal vor Ekel, so viele Tote in dem ohnehin vom Aussterben bedrohten Dorf, das konnte einem echt die Tränen in die Augen treiben. Sie lagen einfach auf der durch den vielen Schutt eng gewordenen Straße herum, er musste zum Teil über sie drüber steigen, um weiter zu kommen. Vermutlich waren das die gewesen, die schwer verletzt noch versucht hatten, sich oder die, die ihnen wichtig waren, zu retten und dann auf der Flucht ihren schweren Verletzungen erlegen waren. Von anderen sah man bloß ein paar Körperteile aus den Resten ihrer Häuser schauen, sie waren wahrscheinlich erschlagen worden. An sich war es aber gleich, tot waren sie alle, keiner mehr oder weniger als der Andere, ging ja gar nicht.

Er zwang sich, den Brechreiz zu unterdrücken und rannte stattdessen los, soweit es der komplizierte Weg zuließ, als die verzweifelte Stimme an Heiserkeit zu ersterben drohte, bis er an dem Ort war, von der sie der Lautstärke nach direkt kommen musste.

Auf Anhieb erkannte der Grünhaarige zu seinem übertriebenen Entsetzen niemanden und drehte sich verwirrt im Kreis herum.

Wo genau war er hier eigentlich? Er kannte dieses Dorf wie seine Westentasche, aber hier standen keine Häuser mehr, hier lag nur noch Gestein, Holz und was man sonst noch so zum Bauen brauchte, zum Teil waren noch nicht einmal mehr Grundmauern zu erkennen.

„Hallo?! Wo bist du?“

Er erschreckte sich trotz seiner Frage, als sich hinter einem umgestürzten Kaliri-Baum etwas bewegte und ihm nach kurzem Zögern antwortete.

„Hier.“

Die Person war plötzlich unheimlich leise geworden und erst jetzt bemerkte der Magier, dass die hohe, zarte Stimme nur von einem kleinen Kind stammen konnte, was sich auch bestätigte, als er mit etwas Mühe über die todgeweihte Pflanze kletterte. Dabei spürte er zum ersten Mal seit dem Kampf mit seiner Tante seine erstaunlich schnell verheilenden Verbrennungen wieder, ignorierte sie aber gekonnt, denn hier gab es augenscheinlich wesentlich wichtigeres und als er den kleinen, am Boden knienden Jungen erkannte, vergaß er sie zeitweilig komplett.

„Kura, du bist das ja...?“

Wäre er den Anblick von total ausgezehrten Menschen mittlerweile nicht gewohnt gewesen, hätte er seinen kleinen Cousin sicherlich überhaupt nicht erkannt.

Sein blondes Haar war von Staub und Asche eher bräunlich und stand wirr von seinem Kopf ab, der genau so wie der Rest seines zierlichen kleinen Körpers mit Schürfwunden übersät war. Seine Kleidung war zerrissen und voller Blut, das aus seiner Nase und seinem Mund rann, im Großen und Ganzen schien er aber zumindest halbwegs in Ordnung zu sein und aus Erfahrung wusste der Grünhaarige, dass der kleine Junge wegen so etwas sicher nicht um Hilfe geschrien hätte. Da war etwas anderes.

„Was ist los?“, fragte er deshalb weiter und war plötzlich irgendwie außer Puste. Na ja, er war ja auch ziemlich gerannt gerade, aber trotzdem...

Das Kind sah ihn zitternd an.

„Hilf mir...“, begann es bebend, „Ich schaffe es... nicht, ich bin nicht... ich habe nicht genug Kraft!“

Erst als es auf ein schwer atmendes kleines Mädchen neben sich deutete, bemerkte Mayora die Schwerverletzte. Bloß ihr Oberkörper bis knapp unter ihren Brustkorb ragte aus den Trümmern, aber auch am Kopf hatte sie eine schwere Wunde. Kura hatte sie wohl herausziehen wollen und es nicht geschafft, seine Schulkameradin war es ihm wohl wert gewesen, seine zurückgebliebenen Stimmbänder zu benutzen. Er war ein guter Junge, eindeutig.
 

Mayora kniete sich neben das Mädchen und streichelte ihm sanft über die Wange, worauf es die Augen müde öffnete. Es sah schlimm aus, wesentlich schlimmer als ihr kleiner Retter, aber um sie stand es ja auch ernster. Ihr Gesicht war aschfahl wie das einer Leiche, ihr Haar hatte durch den Staub, die Asche und ihr eigenes Blut eine undefinierbare Farbe angenommen und bei jedem Atemzug rasselte ihre Lunge bedrohlich. Und trotzdem tat es etwas dem jungen Mann unbegreifliches, es lächelte ihn an.

„Du bist das ja...“

Sie keuchte und aus dem Lächeln wurde ein Strahlen. Ein bekanntes Strahlen, dass ihn einen Moment erstarren ließ – nein, bitte nicht!

„Du meine Güte, Maragi...“

Sie nickte mit erstaunlich viel Elan und der Ältere hatte mit einem Mal das Bedürfnis, sich einfach irgendwohin zu stellen und so laut und so lang er konnte zu schreien. Warum musste das alles geschehen?! Was hatten sie verbrochen? Waren sie nicht die Bewohner dieser Welt, die sie in den letzten Jahrhunderten am wenigsten zerstört hatten? Warum dann sie?!

„Hilf ihr...“

Kura riss ihn aus seinen verzweifelten Gedanken, als er plötzlich neben ihm stand oder es zumindest versuchte. Erst jetzt bemerkte der junge Mann, dass der linke Fuß seines Cousins geschwollen und voller Blutergüssen war, den dazugehörigen Schuh hatte er wohl ausgezogen, weil er vermutlich zu eng für das verletzte Körperteil geworden war. Der Arme...

„Ich helfe ihr!“, rang er sich mit ungeahnt viel Überwindung dann zu einer Antwort hindurch und erhob sich ebenfalls wieder, den Blick von dem aller Wahrscheinlichkeit nach gebrochenen kleinen Fuß abwendend, „Hör zu, knie dich hinter sie, ja? Ich hebe gleich diese... Wand hoch, oder was auch immer das einmal war, und du greifst ihr unter die Arme und ziehst sie sofort raus, auch wenn sie schreit, weil es weh tut, das ist sehr wichtig! Dieser Schrott ist schwer und ich bin angeschlagen, ich schaffe es vermutlich nicht lang und wenn ich dieses Gestein aus einer gewissen Höhe auf sie fallen lassen müsste, weil mich meine letzte Kraft verlässt, wäre das sicherlich noch viel schmerzhafter.“

Der Kleine nickte und die Magierin behauptete leise, aber trotziger denn je, dass sie doch nicht schreien würde, sie war schließlich tapfer.
 

Als Mayora die Hände an das Gestein legte, bemerkte er zum ersten Mal, wie müde und schlapp er tatsächlich war. Aber er musste ihr helfen, nur ihr, auch wenn er für den Rest des Dorfes dann endgültig zu erschöpft war, sie war besonders wichtig!

Bitte... habt Gnade, helft mir...!

Seine Götter gehorchten ihm aufs Wort, denn in dem Moment, indem er die schwere Last anzuheben versuchte, erschien sie ihm nicht schwerer wie ein Obstkorb und Kura hatte genügend Zeit, das verletzte Mädchen herauszuziehen, das darauf dann doch keuchte.

Und die Jungen auch, denn so ziemlich jeder Knochen unterhalb ihres Brustkorbes war mindestens einmal gebrochen, so schien es.

„Ich spüre das gar nicht, ich bin voll gelähmt...“, stellte die einst Violetthaarige fest und hustete heftig Blut. Dass sie gelähmt war hielt der junge Mann angesichts der sicherlich vorhandenen Wirbelsäulenfraktur leider sogar für äußerst wahrscheinlich. Leider, aber Hauptsache, sie lebte.

Er kniete sich wieder zu ihr und nahm sie Kura ab, so dass sie in seinen Armen lag und ihn nach ihrem Hustenanfall schwach ins Gesicht lächeln konnte.

„Ich freue mich so, dass ich dich noch einmal habe sehen dürfen, mein Liebster.“, erklärte sie darauf leise, was den etwas ausgeschlossenen Jüngsten sichtlich verwirrte, „Ich habe es mir so gewünscht.“

Was redete sie da für einen Müll? Was erlaubte sie sich?! Er schnaubte.

„Was heißt denn bitte „noch einmal“, du wirst wieder gesund, klar?“

Sie antwortete nicht, sondern lächelte nur wissend weiter.

„Ich liebe dich.“

Sie war so offen, so offen war sie noch nie gewesen, verdammt! Er schrie gellend auf, als sie erschöpft ihre Augen schloss und presste sie automatisch wieder fester an sich heran. Nein, das ging nicht, das durfte sie nicht!

Nein, sie würde es nicht wagen.

„Wolltest du nicht meine Frau werden?“, fuhr er das kleine Mädchen an, das darauf zu seiner Erleichterung die Lider wieder etwas öffnete, „Wolltest du mir nicht ein paar süße kleine Kinder gebären? Wie soll das gehen, wenn du mich im Stich lässt?!“

Sein Blick war empört und wäre sie nicht so erschöpft gewesen, dann hätte sie über ihn lachen müssen. Er war so furchtbar hübsch...

„Ich bin aber... sehr müde...“, versuchte sie es dennoch ein weiteres Mal und brachte ihn kurzzeitig zum Nachdenken.

Er hatte sie schon einmal am Leben gehalten, damals hatte er sich mit ihr „verlobt“. Er musste sie wieder irgendwie abhalten, in die andere Welt zu wechseln!

Als sie wieder die Augen schließen und sich der Schwäche hingeben wollte, kam ihm eine Idee und anders als sonst zögerte er kaum, beugte sich einfach über sie und küsste sie, wenn auch nur flüchtig, auf den Mund. Anzüglich ging beim besten Willen nicht, denn das schaffte er bloß bei Frauen, die er begehrte, aber es war ja auch nur ein Versuch, die Kleine wach zu halten.

Mayora hoffte, dass Choraly ebenso dachte, wenn er ihr hiervon erzählen würde, schließlich hatte er fremd geküsst, wenn man es so... doof sehen wollte. Nun ja, er musste es anders gesehen auch gar nicht erst erzählen, seine Freundin hatte die Violetthaarige noch nie leiden können...

Als er sich wieder von ihr löste, waren ihre hübschen, aber ermüdeten Augen tellergroß. Kura neben ihnen machte ein sehr interessantes Gesicht, das die Beiden in dem Moment aber herzlich wenig interessierte.

„So, und jetzt denk gar nicht mehr erst daran!“

Peinlicher Weise errötete der Grünhaarige etwas, was seinen Gesichtsausdruck leider nicht mehr so ernst wirken ließ, wie er gedacht war; er hoffte, sie verstand auch so, das Aufgeben keine Option war.

Er kannte dieses Mädchen seit kurz nach seiner Geburt, es war ihm sehr wichtig. Nein, er liebte es, wenn auch nicht auf eine solche Weise, wie sie ihn seit Ewigkeiten schon liebte, eher wie die kleine Schwester, die er nie gehabt hatte, um die er sich kümmern konnte und die er beschützen musste. Nein, Maragi sollte leben.

„E-es würde... sehr... nicht dankbar sein, wenn du... jetzt nicht mehr willst... gesund sein!“, pflichtete auch sein kleiner Cousin überraschend bei und die kleine Magierin drückte sich seufzend an ihren Schwarm.

„Eben.“, sprach der da auch weiter, „Wir haben dich doch nicht extra darunter heraus geholt, damit du...“

Er brach ab und sie lächelte selig. Frauen waren im Allgemeinen ziemlich kompliziert, man sah es immer wieder. Sie hatte Schmerzen und empfand ihre Worte obendrein sicherlich als nervig und trotzdem zeigt sie ein Lächeln...

... das verschwand, als sie wieder heftig Blut husten musste. Sie erwischte Mayora, der sie hielt und auch Kura, der neben ihr stand und darauf erbleichte.

Sie war schwach, sie hatte verdammt nochmal ihr gesamtes Haus abbekommen, was verlangten sie da von ihr?

„Es... tut mir Leid!“, stammelt sie, während sie nach Luft rang, „Ich... will nicht... undankbar sein, aber...“

Sie krallte sich verkrampft an das Oberteil des Älteren und ihr Schulkamerad schlug sich beide Hände vor den Mund und erschauderte. Wie schrecklich! Verdammt, er hätte viel früher Hilfe holen müssen! Immer machte er alles falsch, er hasste sich so!

„Ich... kann nicht mehr! Ich... danke euch... und... ich liebe dich... aber...“

Ihr Anfall ging vorbei und sie schnappte rasselnd nach Luft.

Ihr wurde warm, sie fühlte sich so, als würde man sie noch einmal küssen, dieses Mal wie eine Frau, aber Mayora hielt sie bloß fest und starrte sie entsetzt an. Die Götter sprachen zärtlich mit ihr, sie spürte den sanften Wind, der ihre Seele zärtlich umgab und dann mit sich trug, in die Lüfte.

Er brachte sie dorthin, wo es keine zerstörten Dörfer gab, kein Blut und keine Schmerzen, leider auch nicht den Jungen, den sie liebte, aber dafür seit kurzer Zeit ihre Eltern und viele andere Verwandte und Freunde.

Sie lernte den Ort kennen, in dem es keinen Hass mehr gab.
 

„Himmel, Maragi, mach keinen Unsinn, wach auf!“

Der Grünhaarige schüttelte das kleine Mädchen wild, als es sich nicht mehr regte. Er wusste, dass es bereits zu spät war, dass es keinen Sinn mehr hatte, aber er hatte sie doch so lieb gehabt!

Seine Kleine, so lange hatte er sie behandelt, so lange hatte er sich um sie gekümmert und dann starb sie so?! Was sollte das? Was dachten sich die Götter dabei, sie so von dieser Welt zu nehmen, es war nicht gerecht, sie war doch noch so klein gewesen!

Kura neben ihm begann bitterlich zu weinen.

Warum war er auch so ein Schwächling? Nein, er hatte es nicht geschafft sie herauszuziehen, er war zu schwach gewesen, wie immer; kein Wunder, dass seine Eltern ihn nicht leiden konnten, er konnte sich auch nicht leiden, niemand konnte ihn leiden und das war Recht so! Wegen ihm war sie jetzt tot, dabei war sie doch immer die Einzige gewesen, die ihn in der Schule nicht ausgelacht hatte, sie war so lieb gewesen. Er wollte das nicht, es war nicht gerecht!
 

Mayora schenkte seinem Cousin bloß einen flüchtigen Blick. Er konnte ihn verstehen, ja, es ging ihm nicht anders...

Du Nichtsnutz!, empörte sich eine Stimme in seinem Inneren da, Solltest du nicht langsam an solche Dinge gewöhnt sein? So etwas geschieht, du Spinner, das Leben ist kein Kaliri-Quark! Es geht weiter, deine Heimat ist noch immer in Gefahr, rette sie!“

Da war allerdings etwas Wahres dran, er musste noch anderen Leuten helfen und sehen, was er tun konnte, damit diese abartigen Dreckschweine aufhörten, das Dorf sinnlos zu zerstören. Oh ja, er würde sich rächen, sich, Maragi und all die anderen Dorfbewohner, die ihr Leben, das ihrer Angehörigen oder einfach ihr Haus verloren hatten! Und es würde grausam sein, denn er war nicht schwach, das würde er beweisen, verdammt!
 

Er legte den leblosen kleinen Körper am Boden ab und erlangte so wieder die Aufmerksamkeit des aufgelösten Kuras.

Es zerriss ihm fast das Herz, sein kleines Mädchen einfach so hier liegen lassen zu müssen, sie verdiente eine würdevolle Bestattung, aber die konnte ihr im Moment niemand geben, einmal davon abgesehen, dass diese letzte Ehre an sich jeder, der hier so herum lag, auf der Straße, verschüttet oder verbrennend oder wie auch sonst, verdiente. Es war schlimm, dass sie vorerst sicher keinem zuteil werden würde, aber zu diesem Zeitpunkt war es einfach nicht machbar.

Es tat ihm Leid...
 

Der junge Mann erhob sich leicht zitternd, dann schaute er seinen kleinen, weinenden Cousin bitter an.

„Dir ist sicher etwas auf den Fuß gefallen.“, stellte er fest und erhielt darauf ein bestätigendes Nicken. Der Kleine würde vorerst sicher nicht richtig laufen können und da er ihn auch ganz bestimmt nicht hier lassen würde, drehte er sich um und bückte sich, sodass er auf seinen Rücken klettern konnte.

„Steig auf.“, bat er ihn und der Junge tat artig, wie ihm geheißen. Dabei merkte der Ältere, dass auch er wie Espenlaub zitterte, welch Überraschung...

Er wollte jetzt nicht mehr an Maragi denken, ansonsten schaffte er es sicher nicht, seiner Pflicht nachzukommen, deshalb zwang er sich einfach los zu gehen, um dem Baum herum, durch die völlig zertrümmerte Siedlung, an den ganzen anderen Toten vorbei, irgendwohin, wo man ihn brauchte.
 


 


 

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Lol, Maragi ist tot. Ja, Yuufa haut mich jetzt sicher. Darf sie.

Trümmer

Es war gar nicht so einfach, aus dem Dorf zu kommen, ohne sich irgendwie in unnötige Gefahr zu begeben. An sich waren Chatgaia gewisse Risiken egal, besonders, wenn es um ihr Dorf ging, aber an diesem Tag gab sie besonders auf sich acht. Selbst die leichteste Verletzung konnte sie jetzt umhauen, das wusste sie und dann war das ganze Unterfangen sinnlos gewesen. Außerdem... wollte sie nicht, dass Choraly traurig war. Nein... niemals.

Sie hatte sich in ihr getäuscht, wie peinlich. Dabei war sie so ein erstaunlich gutes Mädchen, es machte ihr fast schon ein schlechtes Gewissen...
 

Bloß fast. Sie war eine Königin, sie musste sich wegen nichts schämen, denn ihre Worte waren das Recht. Meistens, zumindest.

Und nun würde sie den Verantwortlichen für diese Sauerei finden und ihn zur Rechenschaft ziehen, nur mit Worten, denn zu mehr war sie im Moment ja leider nicht in der Lage.

Aber sie schaffte das auch so.

So trat sie durch eine verlassene Straße, deren Bewohner schon längst in Richtung See geflüchtet waren und traf an deren Ende auf eine bestimmte Person.
 

--
 

„Du hast... wo... Imera?“

Mayora war eine Weile gegangen, ohne, dass er ein Wort mit seinem kleinen Cousin gewechselt hatte. Dafür hatte er keine Gedanken gehabt.

Er war in diesem Dorf aufgewachsen... zumindest so gut wie. Er hatte es gekannt, jede Ecke, er hatte gewusst, wie jedes einzelne Haus ausgesehen hatte. Und jetzt war alles weg, nur noch Trümmer. Er wollte den kleinen Jungen aus dem Dorf bringen, aber mit einem Mal fiel es ihm unsagbar schwer, sich in diesem einzigen, großen Schutthaufen zu orientieren. Auf die dumpfen Worte seiner Götter konnte er kaum hören, seine Sinne waren vor Schmerz vernebelt.

Er tat einfach nur einen Schritt nach dem nächsten, über Steine und Tote hinweg und hoffte, irgendwann dort anzukommen, wo er auch hin wollte. Alles andere registrierte er nicht.

„Mayora!“, versuchte Kura es abermals und der Ältere blinzelte sich aus seiner verschwommenen Weltanschauung, um die seltene Chance zu nutzen, den kleinen Jungen reden zu hören, „Imera! Wo?“

Imera? Einen Moment lang musste der Grünhaarige tatsächlich nachdenken, von wem er sprach. Imera... sein Bruder, sein Zwilling, seine andere Hälfte, wie ihre gemeinsame Mutter vor vielen Jahren manchmal gesagt hatte. Richtig, wo war er? Irgendwo unter den Trümmern, starr und tot? Er hasste ihn und trotzdem schmerzte der Gedanke daran einen Moment lang.

„Wir suchen ihn.“, versprach er dem Kind darauf und seufzte.

Er musste einen klaren Gedanken fassen, die Trauer um sein Dorf und besonders den Verlust der kleinen Maragi zumindest kurz unterdrücken, damit er die Stimmen in seinem Inneren verstand.
 

Er hielt mitten auf der leeren Straße inne und schloss die Augen. Die sanften Stimmen sprachen lauter und deutlicher und sein verletztes Herz machte einen kleinen Sprung, als sie ihm mitteilten, dass sein Bruder lebte. Er lebte, er war nicht weit weg. Alles war gut.

Nun ja, das war übertrieben. Aber sein Zwilling war in Ordnung.
 

Er setzte seinen Weg seufzend fort. Diese Straße musste er komplett durchgehen, dann nach links und dann wieder nach rechts, gerade aus und dann kam er an das Ende des Dorfes. Ob da noch alles in Ordnung war? Er wusste nicht, was er glauben sollte.
 

Nach ein paar Schritten hielt der junge Mann dann abermals inne, aber nicht, weil er nachdenken wollte, sondern vor Empörung, denn sein süßer Cousin mit den Engelshaaren hatte ihm eine über die Rübe gezogen.

„Imera!“, fauchte dieser nun, „Ich will... Imera! Wo Imera?!“

Er begann zu strampeln und zwang den Älteren, ihn herunter zu lassen, worauf er zunächst einmal scharf die Luft einzog, als er unsanft auf seinem verletzten Fuß landete. Der hatte ihm gar nicht geantwortet, Unverschämtheit!

Gleichermaßen schmerzhaft bekam der kleine Junge in diesem Moment auch zu spüren, wie schlimm es sein konnte, einfach keine Antwort zu bekommen. Es tat weh, wenn man etwas ganz dringend wissen wollte.

Ihm fiel ein, dass Chatgaia ihn einmal nach Imera gefragt hatte, vor wenigen Wochen erst. Er war sich nicht sicher, aber sie schien etwas traurig darüber gewesen zu sein, dass sie ihn nicht hatte finden können, auf jeden Fall jedoch war sie in großer Eile gewesen und er hatte gewusst, dass er diesen Vormittag mit Lilli verbracht hatte und es ihr nicht gesagt. Er kannte sie schließlich nicht besonders gut und vertraute ihr nicht, also hatte er sie einfach ihrem Schicksal überlassen.

Und jetzt hatte er ein ganz schlechtes Gewissen, weil er dachte, dass das die Frau sicher sehr verletzt hatte.

„Ich kann dich nicht zu Imera bringen.“, antwortete Mayora ihm da, „Er ist irgendwo mitten im Dorf, das ist gefährlich, ich bringe dich zum See, da bist du vorerst sicher.“
 

Er war im Moment der einzige Verwandte des Kleinen, der auf ihn aufpassen konnte und dieser inoffiziellen Pflicht würde er auch auf jeden Fall nachkommen. Er wusste nicht, wie es in den anderen Teilen des Ortes aussah, ob es sie noch gab oder ob überhaupt welche verschont worden waren.

Er konnte das Risiko, dass er zusammen mit Imera in einem Angriff umkommen würde, nicht eingehen, das wäre unverantwortlich gewesen.

Wo sie schon bei Verantwortung waren, fiel ihm noch etwas ein.

„Wo sind eigentlich deine Eltern, Kura?“

Er hob verwirrt beide Brauen. Ja, er war ganz allein gewesen, weder Kahana, noch Rohama waren bei ihm, das war mehr als nur seltsam angesichts der momentanen Situation. Welcher normale Mensch ließ sein einziges Kind mutterseelenallein durch das Dorf rennen, wenn Krieg herrschte? Das ergab keinen Sinn, zumindest nicht in den Augen des Magiers. Vielleicht dachte er auch zu einseitig, aber für ihn würde das nie in Frage kommen.
 

Auf seine Frage hin wandte der kleine Junge errötend den Blick ab. Eltern, ja, wo waren sie?

Er schnaubte.

„Ich brauche nicht!“

Er kam sehr gut alleine klar! Er konnte sich alleine Brote schmieren und er war bereits berufstätig, er war so gut wie erwachsen, Himmel!
 

Er dachte an seinen „Beruf“. Nachdem das Dorfoberhaupt entschieden hatte, dass es zu gefährlich für ihn war, auf einer Baustelle zu arbeiten, sein Vater ihn aber gut gelaunt von der Schule abgemeldet hatte, half er einigen Frauen bei der Kaliriernte. Er kam sich immer dumm vor, weil die Damen ihn immer nur die Babyarbeit machen ließen, die überhaupt nicht anstrengend war, obwohl er doch eigentlich ein Mann war. Das war doch doof... ob es die Kaliri-Plantagen wohl noch gab?

„Du brauchst deine Eltern nicht?“, wunderte sich sein Cousin derweil stirnrunzelnd und er schnaubte. Das hatte er gut erfasst, bravo!
 

„Jedes Kind braucht seine Eltern.“, widersprach er da zur Ärgernis des Blonden allerdings doch noch, „Ich genau so wie du. Wo sind sie? Du wärst doch jetzt sicher lieber bei ihnen als bei mir, oder?“

Kuras Gesichtsfarbe wurde um noch einige Nuancen dunkler. Warum wollte er das jetzt so genau wissen, das brachte ihm doch nichts! Er sollte ihn einfach zu Imera bringen, das reichte doch völlig aus!

„Antworte mir, sonst bringe ich dich nie mehr zu meinem Bruder!“
 

Es war dem Älteren durchaus bewusst, dass er den Kleinen damit ziemlich empörte, aber verdammt, wo war sein verdammter Onkel mit seiner genauso verdammten Frau? Waren sie etwa tot?

Der kleine Junge ballte unterdessen die Hände zu Fäusten und senkte den Blick aus den treuen braunen Augen tief. Er fand Mayora jetzt gemein, so.

„Nicht da... woanders!“

Was erwartete er von ihm? Dass er jetzt ganz genau erzählte, was wie wo geschehen war?

Er fragte sich, warum es dem Älteren nicht reichte, dass seine Eltern nicht da waren. Es nützte ihm doch nichts, zu wissen, wo sie waren, oder besser, warum.

„Aber warum sind sie nicht bei dir, Kurachen?“

Der Magier bückte sich zu dem kleinen Jungen und legte ihm seufzend beide Hände auf die Schultern. Der Arme. Er glaubte es, zu ahnen. Ob er seine Gedanken aussprechen sollte? Er versuchte es vorsichtig.

„Sie haben... dich zurückgelassen, oder?“
 

Rohama und Kahana liebten ihren Sohn nicht, er war bloß mehrmals Mittel zum Zweck gewesen. An sich hatte es der kleine Junge kaum besser als Mayora in seiner Kindheit, im Gegenteil, eher noch schlechter, denn Tagami hatte ihre Kinder gemocht.

Kuras Eltern hatten wohl keine Verwendung mehr für ihr Kind und der Angriff hatte sich vermutlich als Gelegenheit angeboten, den Kleinen los zu werden... ach, was dachte er!? Unverschämtheit von ihm, derart schlecht über seinen Onkel und dessen Frau zu denken, ohne einen ernst zu nehmenden Hinweis dafür; das, was er sich da zusammen spann, konnte so ja wirklich nicht angehen, schämen sollte er sich!

... oder auch nicht.

Sein kleiner Cousin begann zu weinen.
 

--
 

„Die Verantwortlichen sind nicht in der Station, nicht in der Wüste, noch nicht einmal auf diesem Kontinent. Die bekommst du nicht,... ehrenwertes Dorfoberhaupt Chatgaia.“

Die Frau hatte am Ende der Straße inne gehalten. Es war heiß, nicht weit vor ihr befanden sich die spiegelnden Dünen und die unbarmherzig scheinende Sonne setzte besonders ihrem verletzten Kopf ziemlich zu, obwohl sie Feuermagierin war.

„Danke für die Information.“, entgegnete sie dennoch sachlich und bemühte sich, sich ihren Schwindel nicht anmerken zu lassen, was eigentlich völlig unmöglich war, „Aber ich will trotzdem schauen, was sich da richten lässt. Das ist meine Pflicht und ich denke, meine Götter sagen mir, was ich zu tun habe.“

Sie bewegte sich nicht weiter, starrte einfach gerade aus und nahm trotzdem wahr, wie aus einer kleinen Gasse ein paar Meter von ihr entfernt die Seherin trat, schön wie eh und je, unbeschadet und scheinbar bester Laune.

Es irritierte die Ältere heimlich, war Shakki das Dorf denn nicht furchtbar wichtig gewesen? Wahnsinn war wahrlich wie eine böse Krankheit, die einen Stück für Stück immer ein wenig mehr tötete, bis man irgendwann als seelenloser Dämon durch die Welt wandelte und keine menschlichen (oder himmelsblütigen) Dinge mehr tat, sondern ohne Willen den Windgeistern gehorchte. Das arme Mädchen war vermutlich genau davor.

Sehr schade.
 

Das Dorfoberhaupt kannte sie seit ihrer Geburt, sie war ein seltsames Baby gewesen, hatte immerzu geschrien und als sie älter geworden war komische Dinge in den Sand gemalt und statt „Mama“ und „Papa“ zu sagen immer zu vom Unheil gesprochen, bis die Grünhaarige nachgerechnet hatte und zu dem Schluss gekommen war, dass sie eine kleine Seherin war.

Das war eine grausame Diagnose gewesen, zunächst noch mehr für die befremdeten Eltern als für das kleine Mädchen.

Trotzdem hatten sie sich viel Mühe mit ihr gegeben und versucht, sie so normal aufwachsen zu lassen, wie es nur irgendwie möglich war – aber viel war da nicht gegangen.

Sie hatte nie mit gleichaltrigen spielen können, sie war zu intelligent dafür gewesen. Sie hatte überhaupt kaum gespielt, bloß mit ihrem Bruder gelegentlich etwas und das nicht, weil sie das Spielen an sich mochte, sondern bloß, um dem kleinen Jungen eine Freude zu machen.

Shakki war immer allein gewesen, sie war eine einsame Frau mit gebrochenem Herz, die sich ihrem Wahnsinn seit Choraly mit Mayora zusammen war endgültig hingegeben hatte. Sie hatte den grünhaarigen Trottel geliebt und begehrt, möglicherweise als einzige Person in ihrem Leben. Und er hatte sie enttäuscht. Nachdem sie ihn enttäuscht hatte, aber das tat für sie nichts zur Sache.

Sie war intelligent und wahnsinnig schön, man durfte sie nicht enttäuschen.

Ihre Schönheit hatte sie einmal von ihrer Gabe abgesehen ebenfalls immer von allen anderen abgegrenzt. Noch nicht einmal, weil die anderen Mädchen neidisch auf sie gewesen wären, sie war als kleines Kind bloß schon so unsagbar hübsch gewesen, dass es absolut unnatürlich und gruselig erschienen war, aber das lag einfach an der Familie. Chatgaia kannte niemandem, der gebürtig den Nachnamen Kaera getragen hatte und nicht bildschön gewesen war. Kinai war an sich nicht weniger hübsch als seine Schwester, aber er war normal, nicht so intelligent oder begabt wie sie und hatte es bei den Anderen deshalb leichter gehabt.

Bei Shakki waren einfach unheimlich viele dumme Tatsachen zusammengetroffen, die ihr das Leben von Anfang an schwer gemacht hatten, sie war an sich bloß ein Opfer ihrer selbst und anders als die meisten anderen Dorfbewohner fürchtete die Grünhaarige sie nicht im Geringsten, noch nicht einmal jetzt, wo sie so stark angeschlagen war.

Sie hatte das Mädchen unter Kontrolle, da konnte es noch so allwissend sein, sie wusste, wie man es im Zaum hielt.
 

„Deine Pflicht, so so.“, machte die Jüngere da und trat langsam auf sie zu, ehe sie ein paar Schritte auf das Dorfoberhaupt zutrat, einen Moment verharrte und dann ein aufwendig verziertes, goldenes Schwert aus einer unpassend schäbigen Kordel um ihre Hüften löste, es vor sich hielt und ihr eigenes, durch den vielen Schmuck etwas schwer zu erkennendes Spiegelbild eine Weile betrachtete.

Die Grünhaarige kämpfte einen Moment lang wieder mit dem Schwindel und schloss ihre Augen kurz, öffnete sie aber kurz darauf sofort wieder, weil seltsame bunte Lichte sie etwas befremdeten.

Ihr Gegenüber hatte ihre Waffe wieder sinken lassen und musterte nun sie mit ihren außergewöhnlichen violetten Augen mit den schmalen Pupillen, die kein menschliches Wesen haben konnte und auch unter dem magischen Volke eher selten vorkamen.

Sie wusste, dass die Ältere geschwächt war und komische Dinge zu wissen glaubte, an sich war es ihr jedoch gleich. Sie wollte ihr bloß ein durch und durch großzügiges Angebot machen, mehr nicht.

„Ich biete mich an, so wie ich es schon seit Jahren oft tue.“

Die Stimmen in ihrem Kopf befahlen es ihr. Sie befahlen es ihr ständig und sie gehorchte ihnen gern.

Und Chatgaia wusste das.

„Ich danke dir, aber das werde ich alleine tun. Es gibt Dinge, die kann nur ich regeln, da wärst du fehl am Platz.“

Sie ahnte, dass sie sich damit nicht zufrieden geben würde. Sie war kein „nein“ gewohnt, deshalb hatte ihre Ablehnung von Mayora sie auch so irre gemacht.

Aber das wusste sie ja.

„Du redest Unsinn, alte Frau!“, schnaubte die Schwarzhaarige darauf tatsächlich angesäuert und strich sich ein paar lockige Strähnen aus dem Gesicht, „Geh, ruh dich aus, dir geht es nicht gut! Und dann schau nach den Verletzten und heile sie, dein Neffe und die anderen Pseudo-Mediziner schaffen das nicht allein! Du hast mich für solche Angelegenheiten, warum willst du mich meiner Berufung berauben? Habe ich dich je enttäuscht, Chatgaia?“

Sie deutete mit der Waffe auf die Andere, die darauf keine wirklich Reaktion zeigte, bis auf ein kleines Blinzeln, weil sich die Sonne auf dem blanken Stahl spiegelte und sie einen Moment geblendet hatte. Ja, der heiße Stern erhitzte das halb-tote Dorf unbarmherzig.

Es war gespenstisch ruhig, vermutlich pausierten diese Mistkerle gerade. Leisten konnten sie es sich, sie hatten schließlich keine Feinde. Vermutlich wagte keiner der geschockten Dorfbewohner in den ersten Stunden nach dem Angriff, sich irgendwie zu rächen; zu tief saß die Ernüchterung über die verlorene Familie, Freunde oder Heimat. Die Frau konnte es keinem verdenken, es war furchtbar. Sie wollte gar nicht wissen, wie es in den anderen, angegriffenen Teilen des Dorfes aussah, auch wenn sie sie vor ihrem inneren Auge schon schemenhaft hatte sehen dürfen. Müssen.

Nein, das sollte sie jetzt nicht schmerzen.

„Du hast mich tatsächlich noch nie enttäuscht, Shakki Kaera, das ist wahr.“, bestätigte sie das Mädchen stattdessen, „Aber egal wie loyal du bist, das ist meine Aufgabe als Dorfoberhaupt und nicht deine als Seherin.“

Sie wollte sich abwenden und weiter gehen, doch die Jüngere zischte ärgerlich. So leicht ließ sie sich nicht abspeisen. Als wäre es verwunderlich gewesen.

„Ich bin NICHT nur die Seherin, Chatgaia! Ich verlange den Respekt, der mir gebührt! Es ist mein Recht...!“

„... ist es nicht.“, sie wagte es, die angeblich allwissende junge Frau zu unterbrechen, die, vor der sich alle fürchteten. Aber sie stand in den Rangordnung ein ganzes Stück über ihr, sie musste sich von ihr nichts sagen lassen. Würde sie auch nicht, hatte sie nie vor.

„Es ist nicht dein Recht, andere Menschen zu töten. Das ist das Recht von niemandem, das habe ich mittlerweile ebenfalls begriffen und ich werde es auch nie wieder zulassen, so lange es nicht absolut nötig ist.“

Die Frau ignorierte den entsetzten, bitterbösen Blick der Anderen und ging erhobenen Hauptes weiter, die Straße entlang. Auch den Schwindel und die Schmerzen versuchte sie zu vergessen, sie musste jetzt zu ihren Worten stehen. Das war am wichtigsten.
 

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Manchmal musste man unvernünftig sein, das hatte Mayora inzwischen gelernt. Und die Stimmen in seinem Inneren hatten ihm gerade jetzt, in dieser unheilvollen Situation, dazu geraten. Normalerweise hätte er seinen kleinen Cousin jetzt zu den anderen Überlebenden gebracht, die sich vermutlich alle in der Nähe des Sees oder den Ruinen von Morika befanden, dort ein paar Verletzte geheilt und dann ein paar Freiwillige zusammengetrommelt, um mit ihnen irgendeinen spontanen Notfallplan sporadisch zu planen. Aber sein Herz verlangte etwas anderes.

Er würde Imera suchen. Nicht, weil er selbst so große Sehnsucht nach seinem verhassten älteren Bruder gehabt hätte, aber weil der kleine Kura, der schwach auf seinem Rücken hing, seelisch gerade am sterben war.

Wie hatte er auch so unsensibel nach seinen Eltern fragen können? Er hatte ein schlechtes Gewissen.

Gerade er hätte es doch wissen müssen, er hasste es auch, wenn man ihn nach seinem Vater oder seiner Mutter fragte. Es war peinlich und tat furchtbar weh und dieser abartige Schmerz konnte bloß mit furchtbar viel Liebe bekämpft werden. Und dennoch - obwohl seine Prinzessin ihn begehrte und ihm zeigte, dass sie ihn gern hatte und brauchte, es schmerzte ihn noch immer und das würde es vermutlich auch den Rest seines Lebens lang tun. Elterliche Liebe konnte nicht ersetzt werden... aber man konnte von seinen Wunden abgelenkt werden und dazu brauchte er jetzt seinen Zwilling.
 

Imera war vermutlich auch nicht die netteste Person der Welt und soweit er das mitbekommen hatte, hatte sich sein kleiner Cousin von ihm auch des öfteren die ein oder andere gefangen, aber das konnte man dem Älteren unmöglich so anrechnen wie Rohama. Anders als er wusste er es einfach nicht besser und war der Meinung, es wäre einfach eine gute Methode zur Erziehung; vermutlich hätte der Grünhaarige auch so gedacht, wenn seine Tante ihm nicht schon sehr früh erklärt hätte, dass das Schwachsinn war und dass man auch Kinder unbedingt respektieren musste. Er hatte diese Sichtweise angesichts seiner Kindheit zunächst für unwirklich uns befremdlich gehalten, nach und nach aber durchaus Gefallen an ihr gefunden und war mittlerweile ebenfalls dieser Meinung, obwohl es in seinem Inneren bei den Gedanken an das Dorfoberhaupt brodelte.

Sein Bruder jedoch war nach dem Tod ihrer Eltern bei seinem Onkel gelandet, der fast ein genau so großer Trottel war, wie der Vater der Zwillinge und auch meinte, seinen Sohn für jeden Unsinn halb tot prügeln zu müssen. So hatte er eben nie etwas anderes gelernt und meinte es an sich bloß gut mit dem kleinen Jungen. Er war kein schlechter Mensch.

Und deshalb wollte der Magier seinem Cousin auch den Wunsch erfüllen und ihn zu ihm bringen. Er war mit ihm aufgewachsen, er war immer für ihn da gewesen, wenn er vor Einsamkeit fast wahnsinnig geworden wäre; natürlich liebte er ihn uns sehnte sich besonders in dieser Situation gerade nach ihm.
 

Mayora machte sich zwar irgendwo Vorwürfe, weil es ihm so vorkam, als würde er als stellvertretendes Dorfoberhaupt seine Pflichten vernachlässigen, aber seine Götter versichertem ihm, dass er das Richtige tat – an sich konnte er es auch spüren.

Jetzt musste er bloß seinen dummen Bruder finden. Wobei ausgerechnet er kein Recht dazu hatte, jemanden als dumm zu bezeichnen...

„Ich... müde...“

Er seufzte und streichelte dem blonden Kind zärtlich über die kleinen Hände, die es über seine Schultern gelegt hatte.

Der Kleine war wohl doch schlimmer verletzt, als er zunächst gedacht hatte, er blutete in einem fort aus Mund und Nase und hing furchtbar schlapp an ihm. Er würde danach sehen, sobald sie Imera gefunden hatten und in Sicherheit waren. Hier war es ihm im Moment einfach zu gefährlich; bloß, weil niemand zu sehen war, hieß das ja nicht, dass niemand da war, der sie erschießen, in Brand stecken oder aus einem Hinterhalt erschlagen konnte. Wie er sich schon gedacht hatte, es war unvorteilhaft, länger als unbedingt nötig an ein und dem selben Ort zu bleiben.

Es ist Recht so, du bist bald da.

Er vertraute der sanften Stimme und versuchte, sich etwas zu beeilen.

„Versuche, wach zu bleiben.“, riet er Kura unterdessen, „Ich will hier nicht vom Unheil sprechen, aber... du willst nicht, dass es so schnell geht, wie mit Maragi?“

Den Schockeffekt, den er damit erreichte, hatte er auch bezweckt und nicht das damit verbundene Unwohlsein. Nein, so schlimm wie bei dem kleinen Mädchen war es sicher nicht... hoffte er zumindest. Er blutete die ganze Zeit, vielleicht war er irgendwie innerlich verletzt worden? Er hoffte es nicht, er wollte nicht, dass es dem Jungen schlecht ging. Wer wollte das schon? Noch nicht einmal seine Eltern, denen war er ja egal...
 

Sie fanden Imera, und zwar vor Lillis Haus, zusammen mit ein paar anderen Männern, die Meisten älter als er, mindestens zwei aber auch augenscheinlich jünger. Unter den Älteren erkannte Mayora Herrn Kaera, Shakkis und Kinais Vater, wieder. Und die Meute erkannte ihn, gerade rechtzeitig noch, denn er hatte als er unschuldig und wie er sich verärgert eingestehen musste, etwas zu sehr in Gedanken versunken um die Ecke gekommen war, mit einem Mal mehrere Schwerte, Dolche und Messer an sämtlichen empfindlichen Körperteilen.

„Ich... bin es.“

Die Männer wichen irritiert wieder zurück, allen voran stehen blieb natürlich Imera, der zunächst nichts sagte, und dann sein Gesicht abwandte. Kura schien er auf Anhieb gar nicht bemerkt zu haben und der Magier ließ es sich nicht nehmen, zu zeigen, dass ihn die Versammlung hier etwas verwirrte.

„Verzeih.“, begann Herr Kaera zu sprechen, „Es ist ganz simpel, ich denke, du verstehst, dass sich nicht alle hier so eine Schmach von den Städtern gefallen lassen!“

Der Mann fuhr sich durch das zottelige, schwarze Haar und seufzte etwas ermüdet.

Moment – Widerstandskämpfer? Und Imera war dabei? Erstaunlich!

Er war beeindruckt von den Männern, die er hier vor sich hatte und verneigte sich kurzerhand vor ihnen, soweit es ihm mit seinem kleinen Cousin auf dem Rücken möglich war.

„Ich danke für die Loyalität. Allen von euch. Stellvertretend für meine Tante, versteht sich.“

Die Männer neigten leicht die Köpfe und sein Bruder fuhr sich kurz mit dem Ärmel über das Gesicht und schaute dann wieder zu ihm. Seine Augen waren dunkel unterlaufen und er schien furchtbar müde, aber er schien in Ordnung zu sein, wie alle anderen auch – nicht, dass es ihn interessiert hätte, aber für den schwachen kleinen Jungen, den er noch immer auf dem Rücken trug, war es wichtig.

„Verdammt, ich war besorgt!“, schnaubte der Braunhaarige ihn da an, warf aber sofort ein, „Um Kurachen, versteht sich.“

Er nahm dem Jüngeren das verletzte Kind ab und musterte es besorgt, während die Anderen geistesgegenwärtig die Umgebung wieder genau beobachteten. Die waren für eine solche Situation aber erstaunlich gut organisiert...

„Hast du einen Plan, Mayora?“, erkundigte sich Herr Kaera nebenbei trotzdem weiter, „Irgendeine Anweisung von deiner Tante?“

Tante, na wenn der wüsste. Innerlich schnaubte er. Tante hatte ihm gar nichts zu sagen, er hatte einen viel besseren Überblick über das Geschehen in diesem Dorf. Gerne hätte er diesen auch mit Chatgaia teilen können, aber sie hatte ja gemeint, ihn zusammenstauchen zu müssen und hatte dabei auf Granit gebissen, ihr Pech. Vorerst lag Thilia in seinen Händen.

Nicht, dass er je besonders scharf auf solche Verantwortung gewesen wäre, aber er sah sich einfach verantwortlich in einer solchen Situation und würde sich die größte Mühe geben, alles gut zu machen. Wer sollte es auch sonst tun, seine dumme Tante einmal ausgenommen; Imera? Wie lächerlich! Nein, an ihm lag es jetzt, er musste sich um diese Angelegenheit kümmern.

„Missgeburt!“

Sein Bruder, der inzwischen mit dem kleinen Jungen auf dem Boden kniete, riss ihn aus seinen Gedanken. Ja, natürlich.

„Lass mich schauen...“
 

Offensichtlich war Kura tatsächlich innerlich irgendwie verletzt, aber dank seiner Gehorsamkeit noch bei vollem Bewusstsein. Gut, dass Mayora kein gewöhnlicher Heiler, sondern Magier dazu war, sonst hätte er gar nicht so schnell herausfinden können, woran es lag und die Wunden notdürftig darauf heilen können. Bloß soweit, dass nicht die Gefahr den Verblutens bestand, mehr war auch für ihn ohne entsprechendes Werkzeug und Medikamente nicht möglich. Erstaunlich, dass der Kleine überhaupt so lange stehen, vor sich hin humpeln und versuchen, Maragi zu retten hatte können, er musste wahnsinnige Schmerzen gehabt haben. Wobei, wie hieß es so schön? Menschen wuchsen in bestimmten Situationen über sich selbst hinaus, das schien wirklich zu stimmen.

Obgleich es den Grünhaarigen ziemlich faszinierte, blieb ihm keine Zeit, sich weitere Gedanken darüber zu machen, denn als Imera ihren Cousin nach seiner provisorischen Behandlung hochhob und anstatt aus der Oase hinaus in Lillis Haus trug, forderte er ihn auf, ihm zu folgen.
 

„Ich glaube, meine Liebste kann dich gerade gut gebrauchen.“, schnaubte der Ältere etwas komisch darauf, als er den kleinen Jungen auf dem alten Sofa in der leeren Stube ablegte. Hier hatte einmal Jiro mit seiner Familie gelebt – heute gab es nur noch die kleine Tainini ohne Augenlicht. Bedauerlich. Der Raum wirkte unbewohnt, auf den für die arme Familie ungewöhnlich edlen Möbeln lag Staub. Ja, richtig, man hielt sich eher in der Küche auf. Ach was, es war egal.

„Lilli?“, hörte er sich da selbst fragen, „Wozu braucht sie mich denn bitte? Ich kann mir leider nicht wirklich vorstellen, dass sie sich über meinen Besuch wirklich freut, außerdem habe ich noch viel zu tun – davon abgesehen, wie kommst du in diese Gruppe ehrenwerter Kämpfer?“
 

Imera wusste, was sein Bruder von ihm hielt und wunderte sich nicht weiter über die doch ziemlich direkt formulierte Frage, auch wenn sie ihn etwas ärgerte. Wobei das wohl beabsichtigt

gewesen war; so genau wusste er es aber auch nicht, er war schließlich ziemlich dumm...

„Ich bin nicht zu denen gekommen, die kamen zu mir. Nach und nach, irgendwie.“

Er setzte sich zu dem blonden Jungen an die Sofakannte und senkte seufzend den Blick. Er hatte sich einzig mit seinem Schwert vor das Haus gestellt, um die Bewohner zu beschützen und nicht, um gegen diese Spinner Widerstand zu leisten, was die anderen, genervten, aber anscheinend ziemlich motivierten Herren wohl falsch verstanden hatten. Jedenfalls hatten sich innerhalb kürzester Zeit ganz viele bei ihm versammelt und ihm erzählt, wie gut sie es fanden, dass er etwas gegen diese widerlichen Städter unternahm und dass sie sofort dabei waren – und das waren sie gewesen. Und er hatte es einfach ausgenutzt, um das Haus noch sicherer zu machen. Sicher genug konnte es im Moment schließlich auch wirklich nicht sein...

„Und warum?“, erkundigte sich der Jüngere da weiter und lehnte sich gegen den Türrahmen. Der große Bruder schnaubte etwas genervt.

„Ist doch egal; komm, hilf lieber Lilli und Tai, die brauchen deine Hilfe ziemlich nötig!“

Hatte er bereits angedeutet. Mayora rümpfte nur die Nase, als sein Zwilling sich erhob und dann an ihm vorbei aus dem Raum schritt.
 

Er sollte ihm wohl folgen, schlussfolgerte er recht schnell und ließ sich von ihm zu einem kleinen Raum führen, der soweit er das mitbekommen hatte irgendwann einmal Jiros Eltern gehört hatte. Und als Imera ihm die Tür öffnete und sofort weg sah, wusste er, worum es ging und weshalb die beiden Mädchen nicht einfach ins Innere der Oase geflüchtet waren – Tai hatte Wehen.

„Wer ist da?“, quiekte sie hysterisch, als sie das unschöne Knarren des Holzes vernahm und hob den Kopf etwas von dem Bett, auf dem sie lag, was ihr natürlich nicht viel brachte.

Himmel, wer auch immer das war, hatte gerade einen perfekten Blick auf ihre Intimzone und sie konnte die Beine nicht schützend anziehen, weil sie dann das Gefühl hatte, ihr Baby würde dann nicht so richtig herauskommen können oder so. Lilli war bei ihr und sah mindestens genau so müde aus wie ihr Freund oder auch nicht, der Magier hatte keine Ahnung, wie das Mädchen und sein Bruder jetzt wirklich zueinander standen. War ihm an sich auch recht gleich, er bemerkte nur, dass die Jüngere laut seufzte, als er den Raum betrat. Wer konnte es ihr auch verübeln, sie war keine Heilerin und schien mit der Geburt vollkommen überfordert zu sein, obgleich in einem kleinen Korb auf dem Fensterbrett ihr eigenes Kind vollkommen unzufrieden herum jammerte.
 

„Ich bin es, Mayora Timaro, hallo!“, stellte sich der Himmelsblüter dennoch artig vor und die werdende Mutter begann apathisch zu schreien und zu zappeln. Eine besonders starke Wehe?

Nein, wohl kaum.

„Guck da nicht hin! Lilli, da ist ein Perverser, sag ihm, er soll da nicht hingucken!“

Sie wandte sich, soweit es ihr möglich war und die Ältere schüttelte nur verständnislos den hübschen Kopf bei ihrem in ihren Augen bescheuerten Verhalten. Himmel, das gehörte doch dazu! Sie hatte schließlich auch für Maigi die Beine breit machen können und der hatte ganz bestimmt nicht weggeschaut als ihr Freund. Oder war er erst danach ihr Freund geworden...?

Sie wusste es nicht, sie hatte es ja sehr seltsam erfahren oder eher selbst irgendwie herausgefunden als sonst etwas, so genau kannte sie sich mit der Beziehung der Beiden zueinander auch nicht aus. Das jüngere Mädchen war was diese Themen betraf ohnehin etwas seltsam...
 

Der Grünhaarige räusperte sich unterdessen etwas perplex. Perverser? Frechheit! Imera wusste wohl, weshalb er gleich wieder abgehauen war, den hatte man sicherlich auch schon als pervers oder sonst etwas betitelt... konnte ihm an sich aber egal sein. Die Kleine hatte Schmerzen, sie meinte es sicherlich nicht so, wie sie es sagte, wenn sie jetzt gerade irgendwen beleidigte. Was das betraf war der Magier wirklich glücklich, ein Mann zu sein, so etwas schreckliches würde er nie über sich ergehen lassen müssen.

Apropos Mann, Maigi war doch hoffentlich in Ordnung?

„Schau da nicht hin, ich steche dich ab, wenn du da jetzt hinschaust, du darfst das nicht, hörst du? Nicht hinschauen!“

Die werdende Mutter strampelte unglücklich herum und riss ihn so wieder in das Hier und Jetzt zurück. Na die war gut, das ging doch nicht!

„Hör zu, Taichen.“, übernahm Lilli freundlicherweise das Reden, obwohl sie selbst völlig geschafft war, „Mayora hilft dir, dein Baby zu bekommen und ich passe auf, dass er dich nicht unsittlich anschaut, okay? Dein Verlobter wird keinen Grund haben, sich zu ärgern, ich verspreche es dir!“

Sie schenkte dem eigentlich verhassten Jungen einen verzweifelten Blick.
 

Irgendwie war es ihr klar gewesen, dass Tainini ihr Kind heute hatte bekommen müssen.

Die Götter waren nie mit ihnen, es war ihnen nicht vergönnt gewesen, dass die Wehen an einem ganz normalen Tag eintraten und ein normaler Heiler ankam und bei der Geburt half, nein, es musste das Ende der Welt und Mayora, der erst nach 3 Stunden Schmerz angekommen war, sein. Gut, er hatte bestimmt viel zu tun gehabt, wenn das Dorf, dessen stellvertretendes Oberhaupt er war, halb dem Erdboden gleich gemacht worden war, ihm konnte sie das natürlich nicht übel nehmen, aber diesen ganzen verfluchten anderen Ärschen, die sich mit der Medizin auskannten schon. Wie eine bescheuerte war sie durch die flüchtenden Menschenmengen gerannt und kein einziger hatte ihr und Tai helfen wollen, es war so deprimierend gewesen!

Gut, das hatte sich jetzt, vermutlich dank Imera, erledigt. Imera...

„Öffnest du bitte das Fenster etwas Lilli? Hier ist es ja furchtbar stickig...“

Sie nickte wieder geistesgegenwärtig, während der Ältere sich um ihre Fast-Schwägerin kümmerte.

„Leg dich wieder so hin wie vorhin, als ich die Tür geöffnet habe, das war gut.“, erklärte er ihr ruhig und das Mädchen nickte und erschauderte vor Schmerz unter einer weiteren Wehe. Wie fies, wo war ihr Schatz?, „Und dann einfach pressen, wenn du das Gefühl hast, du müsstest es tun... mehr kann ich dir leider nicht helfen, verzeih. Geht es mit den Schmerzen noch?“

Sie keuchte und nickte abermals.

„Geht noch gerade so.“

Lilliann, die das Fenster geöffnet hatte und sich nun um ihren eigenen Sohn kümmerte, war im Stillen recht beeindruckt von der Jüngeren, sie war wirklich tapfer, das hätte sie nicht gedacht.
 

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Während Tainini Raatati tapfer ihr Baby zur Welt brachte, hatte Pinita ihres längst vergessen. Sie war damit beschäftigt, dafür zu sorgen, dass möglichst hoch aufgerüstet wurde, damit die ganze Oase in ihrem Hass zerstört wurde. Niemand hier verdiente das Leben, wenn diese Spinner aus Wakawariwa eintrafen, würden sie nur noch Trümmer finden und sie würde sie dabei auslachen!
 


 


 

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Um ehrlich zu sein weiß ich gar nicht mehr, worum es in dem Kapitel geht oô Jedenfalls schreibe ich im Moment an Kapitel 45, dem letzten also, just for info <3

Btw. manche von euch sind ziemlich kommifaul geworden -__- Muss ich mal gerade sagen, auch wenn ich sonst eher ungern sowas zu Wort bringe, aber wenn euch die Geschichte nicht mehr gefällt, dann tut mir doch den Gefallen und sagt mir, warum Oo

Ausdauer

Sie tat etwas falsches. Sie wusste, dass sie etwas falsches tat und tat es dennoch. Aber sie hatte in den letzten Monaten so viel richtig gemacht, das durfte sie sich jetzt eigentlich erlauben.

Obwohl sie mit ihrem Egoismus sich und ihr Kind gefährdete...?
 

Choraly war ja zunächst artig gewesen und dahin gegangen, wo sich auch alle anderen Überlebenden befanden; in der Nähe des Sees. Aber es war nicht gut gewesen...

Wenn man sie danach gefragt hätte, weshalb sie dieser Meinung war, hätte sie es niemandem erklären können; sie spürte es einfach. Lag vielleicht daran, dass sie noch immer „sensibel“ war... würde sie wohl auch den Rest ihres Lebens bleiben. Sollte ihr an sich gleich sein, aber mehr zu wissen als Andere und kein Himmelsblüter zu sein war doch etwas seltsam und sie fühlte sich bei den Gedanken daran etwas unwohl.

Dabei ging dieses kleine Unwohlsein in ihrer riesigen Sorge beinahe komplett unter.
 

Am See waren viele Leute, darunter aber, soweit sie das hatte einschätzen können, kaum jemand, den sie näher kannte und das konnte nur heißen, dass ihre Freunde noch im Ort waren... oder tot. Nein, daran wollte sie nicht denken, genau aus diesem Grund sah sie ja nach ihnen, sie wollte wissen, wo sie waren und vor allen Dingen warum. Gewissheit, das war es, was sie brauchte. Sie bekam noch einen Herzschlag, wenn sie nicht mit Sicherheit sagen konnte, was los war.

Das hatte den Absturz und das Erwachen in Thilia für sie ja so grausam gemacht. Jiro hatte sie damals gerettet...
 

Andererseits machte sie es sich selbst ziemlich schwer, denn sie konnte seit jeher keine Leichen mehr sehen, ohne das Bedürfnis zu haben, sich von der nächsten Klippe zu stürzen und im Moment lagen hier gerade ziemlich viele herum. Einmal davon abgesehen bedurfte es schon ein paar Blicke, um herausfinden zu können, ob unter den Opfern jemand war, den sie gern hatte. Irgendwie wollte sie es doch nicht so genau wissen... sie brauchte Gewissheit!

Das Mädchen hielt auf der staubigen Straße inne und raufte sich das Haar. Himmel, was war das alles für ein Mist!? Sie hasste es! Sie hasste es, nicht zu wissen, was sie wollte und sie hasste es, dass alles zerstört werden musste, wo sie ihre neue Heimat gerade erst zu schätzen gelernt hatte! Es machte sie wahnsinnig!

„Was tut ihr mir an, ihr Allmächtigen?!“

Sie starrte in den wolkenlosen Himmel. Die Sonne lachte... die Sonne lachte immer und verspottete alle vergossenen Tränen in dieser Wüste, trocknete sie, ehe die Wunden, die für sie verantwortlich waren, verheilen konnten. Die Sonne brachte hier nicht das Leben wie in dem verregneten Wakawariwa... sie brachte den Tod und erfreute sich an ihm.
 

Als Choraly auf ihre Frage eine Antwort erhielt, wäre sie in ihrer Wut tatsächlich fast in Ohnmacht gefallen, denn wer erwartete so etwas in einem halb zerstörten, scheinbar leer stehenden Dorf? Dabei war er noch nicht einmal wirklich eine Antwort, sondern eher eine Erwiederung.

„... das habe ich mich auch schon öfter gefragt.“
 

Sie schlug sich beide Hände auf die Brust, unter der ihr Herz plötzlich in ungesundem Tempo pochte, und sah sich verwirrt um; auf dieser Straße war niemand.

Oh nein... jetzt hatten sie sie... sie wurde verrückt.

„... ha-hallo?“, fragte sie dennoch rieb sich kurz die Schläfen. Ruhig bleiben, alles war gut, ganz ruhig...
 

Ein zweites Mal sagte die mysteriöse, ziemlich brüchige Stimme nichts mehr, aber es raschelte in einer kleinen, halb verschütteten Gasse neben ihr etwas und sie hörte eine andere Stimme leise wimmern. Sie war zart und hell und... klein...
 

Von ihrer Feststellung irritiert, wagte sich die junge Frau einige Schritte auf den kleinen Pfad zwischen den zwei halb eingestürzten Häusern zu und entschloss sich, auch den kleinen Trümmerhaufen zu erklimmen, der ihr im Moment noch die Sicht versperrte – von dahinter kamen die seltsamen Geräusche.

Ihr würde nichts geschehen, sie konnte es spüren. Wie sie so vieles spüren konnte...
 

„Hallo?“, erkundigte sie sich wieder und rutschte auf einem losen Stein aus, so dass sie unsanft auf dem Hintern landete und das direkt vor den Personen, die sie gehört hatte.

Etwas peinlicher Auftritt, aber angesichts der Situation störte das wohl keinen; Hauptsache, sie wurde nicht verrückt. Da hatte sie aber noch einmal Glück gehabt, so langsam rechnete sie wirklich damit. Wobei diese „Sensibilität“ auch nicht so ganz normal war...

Sie beschloss, dass es angebrachter war, sich später den Kopf über die eigene genaue psychische Verfassung zu zerbrechen und ratsamer, sich zunächst einmal um die zusammengekauerte Person vor ihr zu kümmern.

Es war ein junger Mann, viel mehr erkannte sie in der düsteren, staubigen Gasse nicht. Bloß viel Blut noch und dass er ein kleines, jammerndes Baby schützend an seine Brust drückte. Dabei schien der traumatisierte Kerl dem Kleinen noch nicht einmal Beachtung zu schenken, geschweige denn überhaupt Notiz von ihm zu nehmen oder überhaupt zu wissen, dass es noch da war, denn er war absolut neben sich, drückte sich selbst mit dem Rücken an den Rest einer Hauswand und starrte versteinert die Mauer gegenüber an. Choraly war sich noch nicht einmal sicher, ob er die klaffende, selbst in der Halb-Finsternis der Trümmerlandschaft auffällige Fleischwunde am rechten Oberarm bisher bemerkt hatte. Wie gruselig.
 

Sie setzte sich anständig vor ihn, wie es sich für eine Dame gehörte und strich sich dann einmal über das verschwitzte Gesicht. An die pralle Sonne gewöhnte man sich, aber in dieser Höhle war es stickig und schwül, das machte es noch viel schlimmer. Ihr armes Baby...

„Hey...“, begann sie dennoch zaghaft und bemerkte gar nicht, wie tapfer sie doch eigentlich war, „Es... wäre dumm, wenn ich dich nach deiner Verfassung fragen würde, aber ich glaube, es wäre besser, wenn du hier heraus kommen würdest und dich an den See begeben würdest, da gibt es Heiler, die deinen Arm heilen können. Hörst du mir zu...?“

Er zeigte keinerlei Reaktion, keine Regung, noch nicht einmal ein Blinzeln, wenn sie das in der Dunkelheit richtig erkennen konnte. Und so schaffte er es, ihr abermals einen gehörigen Schrecken einzujagen, als er ihr nach ein paar Sekunden doch noch antwortete, einen Atemzug, bevor sie hatte anfangen wollen, weiter auf ihn einzureden.

„Du bist falsch...“, machte er seltsam und das Mädchen meinte zu erkennen, dass er zu grinsen begann. Wenn auch nicht ehrlich...

„Siehst du nicht, dass alles kaputt ist? Ich kann dir jetzt nichts nähen... mein Haus ist kaputt...“

Er begann, das kleine Kind etwas hin und her zu wiegen, worauf sein Jammern weniger wurde.

Choraly schnappte geschockt nach Luft.

„Tafaye? Du? Hier?!“

Sie hatte nicht glauben können, dass Pinita ihren Freund und ihre Tochter, die sie vor nicht all zu langer Zeit noch stolz jedem Dorfbewohner präsentiert hatte, einfach dieser Gefahr aussetzte, ohne sie auch nur vorzuwarnen. War ihr dieser unsinnige Mist denn tatsächlich so wichtig, wichtiger, als ihre Familie?

Wie konnte ein Mensch so grausam sein, zu den Leuten, die er doch eigentlich lieben sollte?!

Zu dem kleinen, unschuldigen Mädchen Kirima, das in seinem kurzem Leben bisher vermutlich noch kaum etwas von seiner Mutter gehabt hatte und zu Tafaye, Thilias Schneider, diesen durch und durch guten Kerl, der jetzt hier saß, im Dreck, in der Dunkelheit und verletzt und das Letzte, was ihm geblieben war, an sich drückend, ohne wirklich wahr zu nehmen, dass es noch existiert.

Wie konnte man nur so undankbar sein?
 

Ohne auch nur einen einzigen dieser Gedanken ausgesprochen zu haben, begann die junge Frau zu schluchzen und überwand schließlich einfach die kurze Überwindung, um den Älteren vorsichtig zu umarmen. Bekam er das überhaupt richtig mit?

„Es tut mir so Leid!“, jammerte sie auch ohne dieses Wissen unter Tränen und streichelte durch sein staubiges, weiß-blondes Haar, „Das... das hast du nicht verdient, es muss so schrecklich sein, ich meine... ich meine... komm weg hier, wir mögen dich alle, ich kann es nicht ertragen, dich so zu sehen!“

Er war doch immer so freundlich gewesen, so sympathisch, selbst, wenn er schlechte Laune gehabt und rumgemosert hatte. Sie hatte diesen Kerl gern, genau so wie die meisten anderen Dorfbewohner, warum musste ihm das geschehen, sie verstand es nicht! Es war einfach nicht gerecht und tat ihr weh! Hatte sie nicht genügend Schmerzen erleiden müssen?

Himmel, sie war noch immer eine Egoistin...

Er hustete leise.

„Ich will nicht mehr.“, gestand er dann und schaute seinem Gegenüber zum ersten Mal seit es hier war ins Gesicht. Dabei merkte es, wie schrecklich der junge Mann wirklich aussah... wie bedauerlich ihn die dunkel unterlaufenen Augen wirken ließen.

„Ich kann nicht mehr, Choraly, ich will nur noch hier sitzen und auf meinen Tod warten! Ich schaffe es nicht mehr, aufzustehen! Hier...“

Er hielt ihr die jammernde kleine Kirima hin und sie verstand zunächst gar nicht, worum es ging, so nahm sie das Kind auch nicht an.

„Was soll das?“, fragte sie bloß doof zurück und das Baby jammerte wieder unglücklicher denn je.

Ihr kam schnell die einleuchtende Erkenntnis, die sie jedoch bloß schwach zum Schnauben brachte. Der hatte sie doch nicht mehr alle...

Sie fuhr ihn säuerlich an.

„Deine Verletzung ist sehr leicht zu heilen, an ihr zu sterben ist schwieriger, als sie zu überleben! Also steh auf und komm mit. Und behalte gefälligst deine Tochter, sie braucht ihren Vater im Moment mehr denn je...“

Das war wahr. Pinita schien sich ja nicht im Geringsten für das hübsche kleine Kind zu interessieren, also brauchte es um so mehr Liebe und Wärme von Papa und die Brünette wusste, dass Tafaye an sich keinerlei Probleme damit haben dürfte, sich gut und zur Not auch allein um das Kleine zu kümmern.

Er war wirklich nicht mehr ganz beisammen, der arme Kerl, aber wer konnte es ihm auch verdenken? Bemitleidenswert...
 

Er sah sie überraschend böse an.

„Meine Wunde ist mir egal!“, schnarrte er, „Mein... Inneres schmerzt mich viel schlimmer, es ist doch immer der selbe Scheiß, seit ich auf der Welt bin, ich habe es satt!“

Seine Tochter wieder an sich drückend, wandte er den Blick wieder ab. Kirima wurde wie auf Kommando wieder etwas ruhiger... sie vertraute ihrem Papa eben, weil sie doch eigentlich einen sehr guten Papa hatte...

„Heul nicht!“, fuhr Choraly ihm wieder über den Mund und er schnaubte, noch ehe sie weiter sprach, „Du kannst jeden in diesem Ort fragen, jeder hat schon Mist erlebt und das heute war nun einmal sehr großer Mist und es tut verdammt weh, aber ich bitte dich, du musst da drüber stehen! Du bist doch ein intelligenter, reifer Mann, nicht?“

Er erwiderte darauf nichts, hatte sie auch nicht erwartet, er war nicht der Typ, der Lob von anderen annahm. Schon gar nicht in einer solchen Situation.
 

Von irgendwo aus der Ferne hallte ein dumpfer Knall, der allerdings nicht nach der Fortsetzung des Angriffs klang, sondern viel mehr nach einem einstürzenden Gebäude. Das Mädchen keuchte. Ja, es war gefährlich in den zerstörten Teilen des Dorfes, sie mussten schnell hier weg. Sonderlich stabil sah das, was von den zwei Häusern, zwischen denen sie sich gerade befanden, übrig war nämlich auch nicht aus...

Tafaye seinerseits mied ihr Antlitz und ignorierte das Geräusch.

„Du sprichst Unsinn...“, stellte er fest und schenkte ihr dann doch einen giftigen Blick, „Hör auf, deine Umwelt zu deine rosa Traumwelt umzugestalten, das schaffst du eh nicht! Ich will nicht mehr!“

Das Mädchen schloss seine Augen kurz. Er war verwirrt und traurig, er wusste nicht, was er sagte, sie konnte es ihm nicht übel nehmen. Aber selbst in einem solchen Moment musste man für gewisse Dinge einen kühlen Kopf bewahren!

Ach, manches Wissen hatten Frauen dem anderen Geschlecht einfach voraus...

„Was ist mit deiner Tochter? Du hast jetzt die komplette Verantwortung für sie, nehme ich an, sie braucht dich!“

Als sie ihn ansah, wiegte er eben dieses kleine Baby wieder sanft in den Armen. Er liebte es doch, das musste er also verstehen können...

„Du hast ja keine Ahnung.“, widersprach er ihr zu ihrer Überraschung dann dennoch wieder, „Meine Mutter hatte auch einen kleinen Sohn, für den sie Verantwortung hatte und der sie gebraucht hätte... ich will genau so feige abhauen dürfen.“

Er schaffte es gerade so, ein Schluchzen zu unterdrücken. Er hatte diese Frau geliebt, er hatte zu ihr aufgesehen und hätte alles für sie getan. Und dann bekam sie Probleme in ihrer Ehe und rannte in den Tod. Einfach so. Wenn sie ihm wenigstens eine Nachricht hinterlassen hätte, oder ihm vorher noch ein paar liebe Worte gesagt hätte... sie hatte nichts getan. Sie hatte ihn einfach allein gelassen und dafür verabscheute er sie. Er wollte es sich auch so leicht machen dürfen.

Als er weiter sprechen wollte, fing er sich eine Ohrfeige.

„Du absolut dummer Spinner!“
 

Choraly keuchte. Wie konnte ein einzelne Mann nur so dämlich sein? Und sie hatte Mayora schon für behindert gehalten!

„Gerade deswegen solltest du doch wissen, wie schrecklich es sich anfühlt, von einem Elternteil verlassen zu werden. Kirima muss das schon bei ihrer Mutter ertragen, sei tapfer und sei ihr zum Ausgleich ein um so besserer Vater!“

Sie schwieg. Und er auch.

Sie hatte Recht, das wussten sie beide. Sein Herz tat weh, er war traurig und enttäuscht und fühlte sich vom ganzen Leben hintergangen, aber er hatte nun einmal Verantwortung und musste trotzdem weiter machen. Das Stadtmädchen hatte keine gehabt und hatte es dennoch geschafft; zum Glück, wie sie heute dachte. Sie hatte sich verliebt und erwartete ein Kind, sie hatte viele Dinge erlernt und ihre übertriebene Eitelkeit abgelegt, alles, was sie erlebt hatte, hatte sie zu einem besseren Menschen gemacht. Tafaye war schon so ein netter Typ, er konnte kaum noch besser werden, aber die junge Frau war sich sicher, er würde schon bald erkennen, dass das Leben sich lohnt, allein schon, um seiner Tochter beim erwachsen werden zusehen zu können. Außerdem brauchte das Dorf doch seinen besten Schneider.
 

Es krachte. Die Älteren weiteten erschrocken die Augen und sahen nach oben, wo sich irgendwelche Balken bewegten, das kleine Mädchen begann vor Schreck zu weinen. Natürlich, das hatten sie ja kommen sehen.

Choraly sprang auf.

„Komm hier raus, schnell!“, forderte sie und nahm ihm seine Tochter aus den Armen, weil sie befürchtete, er könne sie mit seiner Verletzung nicht richtig halten. Am Ende hätte er sie noch fallen lassen, das arme Kind...

Er erwiderte ihren Blick bloß verzweifelt.

„Prinzessin... ich...“

„Denk an Kirima!“

Sie trat ihm ans Bein und kehrte ihm den Rücken, versuchend, aus der halb verschütteten kleinen Gasse heraus zu kommen. Sie würde ihn nicht weiter überreden; er wusste, was richtig und was falsch war. Entweder würde er sich retten oder sterben und dann nichts ins Himmelreich finden, weil seine Seele unzufrieden war und sich Vorwürfe machte. Wie auch immer, sie würde das Baby jedenfalls nicht im Stich lassen, so viel stand fest.
 

Als sie wieder auf den offenen Straße war, krachte hinter ihr alles zusammen. Sie schrie laut auf; Moment, hatte sie da schon wieder einfach jemanden sterben lassen? Wie hatte sie das nur zulassen können?! Lernte sie denn nie?

„Keine Sorge... ich lasse mein Mädchen nicht allein.“

Als Tafaye aus einem kleinen Spalt gekrochen kam, wurde ihr begann sie zu weinen.
 

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„Noch einmal, du hast es gleich!“

Tainini versuchte tapfer zu sein und nicht zu schreien, aber verdammt, es tat ja dermaßen weh! Das war sicher ein Fehler der Natur, dieser Schmerz konnte doch nicht ernst gemeint sein, oder? Wie auch immer, es war abartig und das fand das Mädchen dumm, während sie sich verzweifelt an Lillianns Hand fest klammerte. Letztere musterte das jüngere Mädchen bedauernd. Sie war noch so jung, viel zu jung für eine solche Belastung. Sie hätte besser auf sie aufpassen müssen...

„Noch einmal mit aller Kraft und ich kann das Köpfchen greifen, dann hast du es hinter dir!“, versuchte Mayora, sie weiter zu motivieren und sie tat ihr bestes und presste mit aller verbliebenen Kraft; ausreichend, denn kurz darauf konnte der Magier tatsächlich nach dem Kind greifen und es an das grelle, grausame Licht der Welt zerren.

Noch ehe Tai mitbekam, dass sie das Schlimmste hinter sich hatte, schenkten sich der Grünhaarige und Lilli, die eigentlich zumindest von Letzterer ausgehend nicht wirklich gut aufeinander zu sprechen waren, ein glückliches Lächeln. Eine Geburt war zwar anstrengend, aber ein unglaublich schönes Ereignis, das Schönste, was es auf dieser Welt gab und in diesem kleinen Augenblick war alles andere egal; völlig gleich, ob das Dorf halb zerstört war und vielleicht bald weiter angegriffen wurde, sie hatten hier einen neuen Menschen! Oder, was etwas wahrscheinlicher war, einen neuen Himmelsblüter, da Maigis Gene vermutlich dominant gewesen waren bei dem augenscheinlichen kleinen Jungen war.

Hoffentlich kam er nach Onkel Jiro oder so, denn wenn er nach Papa kam... ach, egal, Mayora verdrängte den Gedanken, Hauptsache, der Kleine war gesund.

Er durchtrennte mit einem Hauch von Wassermagie die Nabelschnur und übergab das Neugeborene Lilli, die ihm beim ersten Atemzug half, während er die frisch gebackene Mutter dazu animierte, auch noch die komplette Nachgeburt auszuscheiden, das war sehr wichtig.
 

Tainini atmete schwer, als sie in ihrer Dunkelheit, die vor Erschöpfung noch dunkler schien als sonst, nach den Stimmen der Anderen lauschte. Sie machte, was der Heiler verlangte und hörte wie er sie lobte, sie hörte ihre Freundin glücklich berichten, dass der kleine Junge gesund schien und dann hörte sie zum ersten Mal das herzallerliebste Babyschreien der Welt. In diesem Moment war sie sich sicher, dass kein anderes Neugeborenes so schön schreien konnte wie ihres, denn ihres war perfekt, sie hatte es noch nicht einmal berühren können und wusste schon, dass es das Schönste Kleine überhaupt war. Sie vergötterte es.

„Gib mir mein Kind! Gib es mir sofort, Lilli!“, hörte sie sich darauf mit überraschendem Elan und neuer Kraft schreien. Sie wollte jetzt ihr Kind!

„Ganz ruhig!“, lachte die Ältere und legte eine Decke um den schreienden kleinen Jungen, „Ich wickele es noch ein... so hier, bitte. Freue dich, er ist sowas von süß!“

Das tat sie, und wie. Es war der mit Abstand wunderschönste, berauschendste und herzerwärmenste Moment in ihrem Leben, als sie das zierliche kleine Wesen zum ersten Mal in ihren Armen spüren konnte.

„Es wäre vermutlich schöner gewesen, wenn du den Jungen nicht zuerst eingemummelt wie einen Eiszeitmenschen hättest.“, wagte der Grünhaarige blinzelt, seine Helferin zu kritisieren. So eine Mama wollte ihr kleines doch spüren, besonders wenn sie blind war und es schon nicht ansehen konnte...

Lilliann schnaubte.

„Aber er hatte voll kalt, ich möchte nicht, dass er friert!“
 

Tainini hörte ihrem Gezeter nicht zu. Sie tastete ungläubig über das winzige Gesicht und machte sich innerlich ein Bild von dem niedlichen Kind. Es war ihres, ein Teil von ihr und sie hatte es ausgetragen, neun Monate lang... sie war absolut stolz. Sie war Mama, es war ihr Baby. Wobei... nein, es war nicht nur ihr, es gab doch noch einen Papa. Ja, genau, wo zum Himmel war Maigi, er war gerade Vater geworden, der Trottel sollte seinen fetten Arsch hier her bewegen und sie alle betüdeln! Okay, das mit dem fetten Arsch war fies, das nahm sie in Gedanken wieder zurück, aber es war doch wahr, er musste doch sein Kindchen in der Welt willkommen heißen!

„Kann mir bitte jemand meinen Verlobten bringen?“
 

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Sehr weit weg saß Uda Magafi zu diesem Zeitpunkt in einer sehr wichtigen Besprechung. Alle waren da, alle Senatoren und wichtige politische Persönlichkeiten, einschließlich die Hoheit persönlich.

An sich kümmerte sich das Königshaus nicht wirklich um die moderne Politik, das war ihm wohl zu hoch; nicht umsonst hatte man den Kontinent in verschiedene Länder aufgeteilt und jedes in die Hand eines Vertreters übergeben, um zeitgemäß regieren zu können. Die Monarchen kümmerten sich lieber um die Einhaltung von alten Regeln, Gesetzen und Bräuchen, aber man hatte der guten Frau mitgeteilt, dass es sich heute um eine äußert wichtige Sache handelte und so hatte sie ihr Erscheinen kaum vermeiden können. Nun saß die Dame etwas verpeilt und überhaupt nicht königlich zwischen all den diskutierenden Leuten und verstand gar nichts mehr, weil jeder etwas anderes sagte. Ungezügelte Kleinkinder.

Herr Magafi, der ihr Unwohlsein bemerkte, schlug mit der Hand auf den Tisch; wohl auch in eigenem Interesse.

„Könnten sich die Herrschaften einmal um zivilisiertes Verhalten benehmen?! Danke!“

Niemand verstand ihn hier, hätte er heulen können. Es ging um seine Tochter, verflucht, und die lebte! Sie lebte schon lange Zeit weit fort in der Wüste und niemand hatte sie gefunden, das arme Ding, seine süße kleine Prinzessin, die er mehr liebte als alles andere auf der Welt.

Und jetzt erfuhr er von ihr – und dass sie, und die Leute, die sie freundlicherweise aufgenommen hatten, sich in großer Gefahr befanden.

So übernahm er auch selbstverständlich ungebeten den Part des Vorredners und leitete die Versammlung, weil die eigentlich demokratisch veranlagten Senatoren kein Benehmen hatten und die Monarchin noch nicht einmal versuchte, sich durchzusetzen.

„Also, was ist jetzt los?“, fragte er so in den Raum, als sich die Versammlung auf seine vorwurfsvolle Aufforderung etwas beruhigt hatte. Einige räusperten sich beschämt, andere schauten beleidigt in eine andere Richtung; war dem Mann aber reichlich gleich, er war ein Magafi, er durfte das.

„Wir haben eine kleine Flugmaschinenstaffel dorthin geschickt, um das ganze zu überprüfen.“, meldete eine Frau dann etwas kleinlaut und ein älterer Mann fügte hinzu:

„Wie halten diesen Funkspruch für äußerst glaubhaft, aber das wäre eigentlich Sache von Kamake, da die geschilderten Koordinaten an der Grenze nach dort liegen. Die paar Flugmaschinen haben wir mit der Bergung ihrer Tochter gleich in Palbuflor gerechtfertigt, um alles Weitere kümmern die sich dann.“

Er nickte. Na, das klang doch schon einmal in Ordnung, warum nicht gleich so?

Die Hoheit meldete sich zu Wort.

„Aus reinem Interesse, es geht mich nichts an, wie ich meine, jedoch... wann werden unsere Leute dort ankommen? Unsere Welt ist reichlich klein, das ist praktisch, aber es ist doch äußerste Eile geboten, beim Wohle von dem kleinen Fräulein Magafi!“

Uda Magafi schenkte ihr einen leicht verwunderten Blick. Ihn überraschte nicht nur ihre plötzliche Anteilname, nein, viel mehr, dass sie unter den Blicken der Ratsmitglieder tatsächlich errötete.

Hallo, war sie nicht die Königin, die, die über allen anderen stand und die am Ende immer das letzte Wort hatte? Haben sollte?

Sie war im selben Alter wie Choralys Vater, edel gekleidet und wirkte an sich schon wie eine absolute Respektperson, allerdings bloß so lange, bis sie den Mund öffnete oder wenn man überhaupt eine Weile mit ihr in einem Raum gewesen war. Komische Tante.

Ein jüngerer Senator räusperte sich, ehe er ihr antwortete und so etwas die von ihr unfreiwillig aufgebaute Spannung in der Luft zerstörte.

„Nun ja, natürlich beeilen sich unsere Leute, das ist doch selbstverständlich.“

Das Gesicht der Frau nahm unter ihrem edlen Puder die Farbe einer überreifen Tomate an. Wie dümmlich, das hätte ihr doch klar sein müssen!

Herr Magafi verdrehte die Augen genervt.

„Na so selbstverständlich ist das bei dem heutigen Personal nicht mehr, wenn ich da an meine unfähigen Laufburschen denke... na egal.“

Manche klappten einfach zusammen, andere vergaßen, was sie ausrichten sollten, wieder andere waren potthässlich... und dann gab es noch die von der schlimmsten Sorte, die ankamen, vergessen hatten, was sie sagen sollten, umkippten und dazu noch aussahen, als sei ihr Vater eine Mülltonne gewesen. Schlimm, die Jugend von heute. Wenn er da an sich dachte... er war gewissenhaft und stark gewesen... und gut aussehend!

Nun ja, an sich war er das auch heute noch. Letzteres bestätigtem ihm gewisse Damen immer wieder, ob er wollte oder nicht, im Übrigen, aber was sollte ihn das stören?

Ein älterer Senator mit grauem Schnurrbart lenkte seine Aufmerksamkeit mit einem empörten Schnauben auf sich.

„Ich verbitte es mir, mir anhören zu müssen, dass unsere ehrenwerten Angestellten in der Luftwache, diese tapferen Leute, die jeden Tag bereit wären, für ihre Heimat ihr Leben zu lassen, derart in den Dreck gezogen werden! Wenn Ihre „Laufburschen“ Ihnen zu schlecht sind, dann geizen Sie nicht so herum und stellen sich anständige Leute ein, bei allen Göttern!“

Die Königin errötete weiter und Uda Magafi hatte das leichte Bedürfnis, seinen Kopf auf die edle Tischplatte zu hauen; das hatte er doch nur erwähnt, um die Hoheit aus ihrer Verlegenheit zu erretten, dieser stumpfsinnige Idiot, damit hatte er doch nur das Gegenteil erreicht!

„Wie auch immer.“, seufzte er so und ein anderer Kollege schüttelte den Kopf resigniert, „Ich nehme an, wir werden auf dem Laufenden gehalten?“
 

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„Soll ich mich jetzt vor dir fürchten?“

Chatgaia hatte in ihrem Leben gelernt, Schmerzen zu verdrängen, ob es nun körperliche oder geistige waren, war für den entscheidenden Moment egal. Ihre Götter waren mit ihr, immer und zu jeder Zeit, das wusste sie.

Und sie wusste auch, dass sie keine Angst haben musste, als die Seherin hinter ihr stand und ihr ihr goldenes Schwert an den Hals hielt, sie mit nur einem gezielten Schlag hätte enthaupten können oder wahlweise auch mit einer winzigen Bewegung ihre Halsschlagader verletzen.

Sie würde es nicht tun, sie konnte es nicht. Das Dorfoberhaupt war und blieb das Dorfoberhaupt, die Seherin würde ihren Stand nicht mit Gewalt erhöhen können und damit etwas erzwingen konnte sie erst recht nicht.

Wie jämmerlich, die ältere Frau hätte eigentlich gedacht, dass Shakki weise genug war, soweit zu denken. Das zeigte doch bloß, wie wahnsinnig das arme Ding bereits war...

„Du solltest um dein Leben fürchten, dummes Weib! Ich weiß alles, du solltest mich ehren, jeder sollte mich ehren, oh ja! Ich bin eine Göttin, Chatgaia Setari...“

Die Grünhaarige gluckste amüsiert bei dem Übermut des Mädchens.

„Du bist ein kleines Kind, das verdammt viel Pech in seinem Leben hatte, meine Liebe... Mayora hat dir da einiges voraus.“

Sie hatte beinahe geahnt, dass sich der Druck an ihrem Hals bei dieser gewagten Aussage erhöhen würde. Wenn man es genau nahm, war ihr Neffe sogar etwas Schuld an Shakkis Irrsinn, er hatte sie abblitzen lassen – dabei hätte seine Tante ihn eine Zeit lang wirklich wahnsinnig gern mit ihr gesehen. Heute wusste sie es besser, Choraly gehörte zu ihm, er hatte es von Anfang an gespürt und sie freute sich, sich schließlich doch noch davon überzeugen lassen zu haben. Oh ja, sie war ein wirklich gutes Mädchen, ihre... Tochter...

„Sprich nicht von ihm, ich hasse ihn, er verdient das Leben nicht!“

„Er verdient es mehr als alle anderen, meine Kleine.“

Die Stimme der Schwarzhaarigen zitterte. Es war heiß, sie war verwirrt und nichts war so, wie es sein sollte, Chatgaia wusste, dass sie genau diesen Moment nutzen konnte, um die Waffe einfach so, als wäre nichts weiter dabei, mit ihrem gesunden Arm von ihrem Hals zu schieben und sich wieder zu der jüngeren Frau umzudrehen, die sie wütend und zitternd anschaute.

Ihr violetten Iriden zuckten seltsam, als hätte sie etwas genommen – ja, hatte sie vermutlich auch. Sie hatte es bei ihrem Bruder nicht sonderlich schwer, an die entsprechenden Stoffe heran zu kommen und an solchen Tagen, an denen ihr der Kopf zu platzen drohte, griff sie sicherlich gern darauf zurück, wer konnte es ihr verdenken?

Das Dorfoberhaupt zündete sich gelegentlich auch eine Zigarette an, wenn der Stress ihr über den Kopf zu wachsen begann, allerdings beruhigte die nur ein wenig und machte nicht völlig kirre im Kopf. Himmel sei Dank, denn wie ihr Gegenüber wollte die Feuermagiern nicht unbedingt herum rennen.

„Warum tust du mir das an?!“

Die Grünhaarige fühlte sich bei den verzweifelten Flüstern nicht wirklich angesprochen. Shakki fühlte sich von der ganzen Welt hintergangen, das spürte sie. Und von Mayora am Meisten...

„Du liebst meinen Neffen wirklich, nicht? Du willst ihn nicht nur aus Pflichtbewusstsein als dein haben... und du bekommst ihn nicht, du wirst ihn nie bekommen und stattdessen klammerst du dich an deinen Bruder, weil er der Einzige ist, den du hast? Ist es nicht so?“

Das verletzte Dorfoberhaupt legte die heile Hand auf die freie Schulter der hübschen Schwarzhaarigen und diese lies es zu, schloss bloß die Augen und erzitterte. Ja, sie hatte Recht, außer den abartigen Stimmen und ihrem Kinai hatte sie doch keinen... und Kinai war was soziale Kontakte betraf die wesentlich angenehmere Variante. Er war nett und unterwürfig, anders als die Götter und Dämonen, die sie nur ausnutzten und verwirrten... sie hasste sie!

Als sie die Augen wieder öffnete, war sie überrascht – und sie wusste mit einem Mal, warum Chatgaia mehr zu sagen hatte als sie, als sie ihr mit einem derart erhabenen, ehrwürdigen Blick ins Gesicht sah, dass sie einen Moment lang glatt vergaß, wer sie war; dass sie Shakki war, die Seherin, Thilias fleischgewordener Windgeist.

„Löse dich!“, befahl die Ältere und ihr Gegenüber riss die Augen weit auf, „Versuche dich zu lösen von deinem Wahnsinn und deinem Schmerz, von den Dämonen und von Mayora!“

Die Grünhaarige wusste, was sie tat, im Gegensatz zu der Jüngeren, die sprach, ohne es wirklich zu wollen.

„Ich versuche es!“

Ihre Verzweiflung lag in der stickigen Luft, man konnte sie fast schon sehen, gar greifen und dennoch beschloss das Dorfoberhaupt noch einen gewaltigen Schritt weiter zu gehen.

Sie musste es tun, ihre Götter rieten es ihr und es war Recht so, und was war ihre Aufgabe wenn es nicht Recht sprechen war?

„Und du sollst bestraft werden, dafür, dass du das Töten genossen hast.“

Eigentlich verdienten sie beide eine Strafe dafür, aber davon abgesehen, dass sie sich nur schlecht selbst zurecht weisen konnte, war Chatgaia der Meinung, dass sie ihre Strafe bereits auf Raten bekommen hatte. Ja, so war es, so musste es sein...

Und so beschloss sie, ein weiteres Mal an diesem Tag ihrer Unbarmherzigkeit freien Lauf zu lassen und dem Mädchen ein für alle Mal das Böse auszutreiben – falls das überhaupt möglich war, aber sie wollte das Beste versuchen, schließlich war auch sie ein fruchtbares, starkes Kind ihres geliebten Dorfes Thilia, von dem allerdings leider nicht mehr all zu viel übrig war. Wie auch immer...

Es tat ihr Leid... es tat ihr Leid, was sie nun tun musste... warum hatte es ihr zu Beginn bei Mayora nicht Leid getan?

Es war egal.

Shakki ihrerseits wusste, was ihr blühte, und obwohl sie sich wehren wollte, zwang etwas in ihrem Inneren sie, still zu halten, abzuwarten, bis es vorbei war und die erste Regung, die sie wieder von sich geben konnte, was der schrille Schrei, als sie den Schmerz ihrer verbrennenden Schulter in aller Macht spürte. Oder noch stärker, die Götter schienen eh gegen sie zu sein seit einiger Zeit... Mayoras komischer Tee vor einigen Monaten hatte sie innerlich sicherlich nicht so blind gemacht, wie sie heute war, Himmel, was ein Irrglaube!

Sie musste wirklich verrückt sein.

Ihr Denken setzte aus, als der Schmerz, der sie laut Chatgaia ja als Strafe verdiente, einen Höhepunkt fand, sie ihre schmelzende Haut riechen konnte und sie das Bedürfnis bekam, sich bei all den Qualen, die sie ohnehin schon erleiden musste, zu übergeben. Dazu kam sie leider nicht, denn in diesem Moment zog die Ältere die Hand zurück und das Mädchen sank in sich zusammen, keuchend, zitternd und nicht wagend, die verbrannte, blutige Wunde auch nur anzuschielen.

Es würde sie nicht töten, das verdiente dieses verwirrte Kind nicht, nein; aber sie hatte Schmerzen und war entstellt. Schade, um diese annähernd perfekte Frau, aber sobald sie ihre Gedanken wieder sortiert und zu einem guten Mädchen geworden war, würde sie sicherlich trotzdem noch einen Mann finden. Es gab mehr als nur Schultern...

„Ich verfluche dich, Hexe!“, jammerte Shakki dennoch noch immer weiter, weinte aber keine einzige Träne, dazu war sie nicht der Typ.

Vielleicht war es auch gut so.

„Verzeih es mir.“, bat die Grünhaarige nur und war bis zu dem Moment, an dem das Mädchen zu ihr aufsah, wahnsinniger und bösartiger denn je, der Meinung, etwas Gutes getan zu haben.
 


 


 

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Cool, liest echt keiner mehr oô Danke.

Wüstenblut

Chatgaia hatte ein mulmiges Gefühl, als sie ihr halb zerstörtes Dorf verließ und ihrer Intuition folgte, die sie etwa Richtung Süd-Westen trieb, zur Forschungsstation. Sie hatte Shakki allein zurückgelassen, sie hatte geschrien und sie beschimpft und das, obwohl ihre Strafe verhältnismäßig mild gewesen war und die Seherin eigentlich über so etwas stehen sollte. Sollte – dieses Wort war böse...

Sie hatte gehofft, die Dämonen mit dem Schmerz und der Demütigung der Verbrennung aus ihrer Seele vertreiben zu können, denn diesen Wahnsinn hatte das hübsche Mädchen niemals im Leben verdient, ... sie hatte es nicht geschafft.

Ob es daran lag, dass sie selbst sehr geschwächt war oder weil sie einfach insgesamt zu unfähig war, vermochte die grünhaarige Magierin nicht zu sagen, zufrieden war sie jedenfalls nicht, sie würde sich der Jüngeren auf jeden Fall noch einmal zuwenden und alles mögliche tun, um sie irgendwie zu erretten. Sie war doch wertvoll...
 

Dass dachte sich Shakki eben auch, die jetzt verzweifelt heulend in ihrem fast leeren heimatlichen Dorfteil an irgendeiner halb zerstörten Mauer am Boden hockte und ihre Fingernägel in den sandigen Boden bohrte. Sie hatte Schmerzen – auch sie konnte sich eigentlich gut genug kontrollieren, um gewisse Leiden kurzzeitig auszuschalten, aber warum sollte sie es jetzt tun? Aus welchem Grund? Niemand brauchte sie, niemand wollte sie, niemand verstand sie!

Als Seherin hatte man sie nie geschätzt, als lebendiger Windgeist verabscheut, was sie auch tat, es war falsch und sie lag nie in der Gunst der unterbelichteten Anderen, sie hasste sie! Und sie wurde gehasst, das wusste sie. Sie würde für den Rest ihres Lebens gehasst werden, egal, was sie tat, am liebsten wollte sie alle zerfetzen, häuten, verbrennen und verwesen lassen.

Tu es, Tochter!

Du darfst das, du bist im Recht!

Räche dich!

Oh ja, sie wollte den Stimmen gehorchen, sie hielten immer zu ihr, auf sie war Verlass! Auf sie und auf...

„Schwester!“
 

Sie schaute zitternd auf und erblickte ihren kleinen Bruder Kinai, gesund und munter, der auf sie zugerannt kam und sich schließlich zu ihr hockte, sie besorgt musternd.

„Du bist da ja verbrannt, oh nein, ich meine, ich habe gerade keine Salbe... tut mir Leid, ich bin nutzlos!“

Er war verbraust und seine Wangen waren gerötet, er kam von irgendwo anders – auch egal. Er machte sich Gedanken um sie... in ihrem Inneren regte sich etwas.

„Liebst du mich?“

Der Junge nickte irritiert. Ja, das fragte sie immer einmal wieder, vermutlich, um ganz sicher zu gehen, weil sie wusste, wie furchtbar sie doch eigentlich zu ihm war.

Und er log sie an... er hasste sie, er verabscheute sie. Er konnte sie schon lange nicht mehr lieben und sie war die Seherin und wusste es genau so gut wie er. Und dennoch ignorierte sie es und glaubte seinen gelogenen Worten und Gesten. Sie brauchte das.

Und er hatte nach ihrem nächsten Satz das Bedürfnis, mit dem Kopf gegen die erste Wand zu rennen, die halbwegs stabil hier herum stand.

„Kannst du mir bitte einen Gefallen tun?“

Ihr Blick bohrte sich tief in seinen und er erschauderte. Gefallen hier, Gefallen da, er hasste es, das, was sie von ihm verlangte war noch immer gestört gewesen, wie er es verabscheute!

„Was auch immer du möchtest.“, hörte er sich da jedoch schon erwidern und zu der Lust gegen eine Wand zu rennen kam jetzt auch noch das Bedürfnis, sich über seine eigene Schwäche zu übergeben. Das war so peinlich! Er war ein Mann, sie eine Frau, sie hatte auf ihn zu hören und nicht umgekehrt, verdammt! Warum ließ er das mit sich machen? Warum ließen seine Götter überhaupt zu, dass solche Schande über ihn kam, war er ihnen eine solche Last?

Ach, was brachte das ganze Nachdenken schon...?
 

Shakki hob ihr in der Sonne fast schon leuchtendes, goldenes Schwert, das neben ihr lag, auf und betrachtete es einen Moment, hielt es sanft wie ein neugeborenes in den Händen und verlor sich in ihrem eigenen Spiegelbild.

Sie liebte sie, diese Waffe. Sie hatte ihr schon so unsagbar treue Dienste erwiesen... ähnlich wie Kinai. Ja, genau, die beiden waren sich ähnlich und auf ihre eigenen Weisen sehr wichtig für sie und das, was sie in ihrem bisherigen Leben bislang erreicht hatte.

Beide waren allein schon... gut, was waren dann beide zusammen...?
 

Sie sah wieder auf und ihr Bruder zuckte unter dem plötzlich gespenstigen Ausdruck in den violetten Iriden zusammen.

„Nimm mein Schwert.“, forderte sie ihn dann auf und erklärte ihr seltsames Verhalten somit selbst mehr oder weniger. Eher weniger. Ihr Schwert war ihr Heiligtum, weshalb wollte sie es hergeben? Und vor allen Dingen, was sollte er denn bitte damit? Sie hatte sicherlich irgendetwas an den Kopf bekommen, Wahnsinn hin oder her, ihre Prinzipien hatte sie und an die hielt sie sich normalerweise auch.

So rückte er unsicher ein Stück zurück.

„Schwester, was soll ich bitte damit?“

An sich war es bei ihr am vorteilhaftesten, wenn man gleich das machte, was sie wollte, ohne sie in Frage zu stellen; manchmal musste es aber doch sein, fand der Jüngere. Er kannte sie ja inzwischen und wusste, was geschehen konnte, wenn sie sich aufregte, aber dieses Risiko ging er wissend ein. Was wollte er mit einem überdimensionalem Brotmesser...?

Ihre Antwort war gleichermaßen blöd wie sein vorangehender Gedankengang .

„Mir einen Gefallen tun!“

Sie erhob sich zitternd und lehnte sich keuchend an die Mauer. Nein, sie würde dieser Verbrennung stand halten, sie brauchte keine Hilfe! Zumindest keine ihrer Götter, die sie nur verwirrten und im Stich ließen... diese Schrecklichen!

Als wollten sie sie für ihr Denken bestrafen, flammte der Schmerz in ihrer Schulter ein weiteres Mal auf, heftiger denn je unter der unbarmherzig scheinenden Sonne über Thilia und sie keuchte kurz, ehe sie sich zwang, sich zusammen zu reißen und ihrem Gegenüber wieder ins Gesicht zu sehen. Sie sah schlecht aus...

„Nimm mein Schwert!“, forderte sie abermals und hielt es ihm auffordernd entgegen, brachte ihn zum blinzeln, weil sich das Licht abermals grell darin spiegelte, „Folge Chatgaia in den Süd-Westen! Sie ist schwach im Moment... töte sie!“
 

Ein leichter Wind kam auf und ließ etwas Sand über die tote Straße wehen.

Sie war verrückt. Sie war einfach verrückt.

Das, was sie da wollte... wusste sie eigentlich, wovon sie sprach?

„Shakki!“

Der Junge schnappte verzweifelt nach Luft und strich sich ein paar widerspenstige Locken aus der Stirn. Warum hatte er solche geisteskranken Haare? Die waren ja wohl sowas von schwer zu pflegen...

Egal, sein Aussehen war momentan absolut nebensächlich.

„Weißt du überhaupt, was du da sprichst, Schwester? Du verlangst von MIR, dass ich unser ehrenwertes Dorfoberhaupt töte, bloß weil es gerade geschwächt ist? Das... nein, das tu ich nicht!“

Er schnaubte, trat aber dennoch unwillkürlich einen Schritt zurück, als die Frau sich, den Schmerz nun doch unterdrückend, von der Wand abstieß und einen Schritt auf ihn zukam.

Sie grinste ihn grauenhaft an.

„Siehst du das?“, fragte sie und deutete auf ihre frische Brandnarbe, „Das war sie! Räche mich, Kinai!“

Er kam gegen sie zwar nicht an, aber er war auch alles andere als blöd,er war so gut wie Klassenbester, ey! Und er war sehr wohl in der Lage, sich zu denken, dass die Feuermagierin für die Verletzung seiner Schwester verantwortlich war... und auch warum.

Sie hatte vermutlich gehofft, sie heilen zu können, oder sie hatte sie einfach nur bestrafen wollen... wie auch immer, beides hatte sie verdient. Er gab Chatgaia absolut Recht, da wollte er die Situation doch nicht ausnutzen und der Armen schaden... na ja, arm war übertrieben, aber ging in die richtige Richtung.

„Ich kann dich nicht rächen, das wäre falsch!“

Er erschauderte, als er bedachte, wie sehr er sich gerade dem ungewollt bösartigen Mädchen widersetzte und was das für ihn bedeuten konnte, ehe es ihm mit einem Mal wie Schuppen von den Augen fiel. Was konnte es bedeuten? Dass sie ihn schlug. Dass sie ihn tötete. Und wenn er es tat, wenn er auf sie hörte? Er tat etwas gegen seinen Willen, seinen Glauben. Und er wurde weiter gedemütigt.

Nein, das wollte er nicht mehr, er würde stark bleiben. Seine Götter hatten ihm vor längerer Zeit bereits mitgeteilt, dass dieser Tag irgendwann kommen würde, er hatte sich darauf vorbereitet, soweit es möglich gewesen war.

Sie hingegen schnappte zunächst einmal nach Luft und ehe sie etwas erwiderte, griff sie nach seiner linken Hand und zwang ihn mit Gewalt dazu, ihre Waffe entgegen zu nehmen.

„Nimm es!“, machte sie dann eindringlicher denn je, „Tu mir den Gefallen, bitte! Tu mir den Gefallen, mein Bruder!“

Sie wusste, dass sie es ihm schwer machte, aber verdammt, das beabsichtigte sie doch auch! Sie brauchte seine Hilfe, sie wollte seine Hilfe und er musste er sie geben, so wie er es auch sonst immer getan hatte, sie war seine ältere Schwester!

Nein, sie war mehr, sie war sein Leben und sein Leben musste er beschützen, verdammt.

Das Mädchen grinste unwillkürlich, als es merkte, wie er das Schwert von selbst festhielt, ließ ihre schlanke Hand aber dort, wo sie war, in der Hoffnung, mit ihrer sanften Berührung ihre Dankbarkeit irgendwie andeuten zu können

Sie irrte sich aber.

„Ich kann das nicht, Shakki.“, machte der Junge ernst, „Ich töte doch nicht unser Dorfoberhaupt, niemals!“
 

Sie sahen sich eine Weile stumm an. Einen Moment lang erkannte Kinai in den violetten Augen seine Schwester wieder das ruhige, vernünftige Mädchen von vor einigen Jahren, das er geliebt und verehrt hatte. Und mit einem Mal war er von einer so unsagbaren Traurigkeit gepackt, dass er erzitterte und nach Luft schnappte.

„Shakki...“
 

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Chatgaia hatte die Gedanken an die Seherin längst verdrängt, als sie schwach durch die Wüste stolperte. Wie peinlich, dass ihr als Dorfoberhaupt so etwas geschah, dabei war der Weg bis zu der unheilvollen Forschungsstation doch wirklich weder weit noch schwer!

Sie schnaubte über sich selbst empört, als sie an einem toten Kaliri-Baum halt machte und unter den verdorrten Überresten kurz rastete. Ihr Kopf pochte und ihr Arm brachte sie fast um, aber sie hatte Pflichten und die würde sie auch erfüllen.

Sie dachte an ihre Neffen, Mayora und Imera. Sie lebten. Zumindest auf ihre Götter war noch Verlass. Wobei die sie auch nicht so genau wissen ließen, was die beiden Jungen im Moment taten.

Egal.

Viel wichtiger im Moment war doch, dass sie jemanden fand, irgendeinen, der Ahnung hatte, der ihr helfen konnte. Wobei, was war helfen in diesem Moment? Angriffe stoppen war schön und gut, aber dass diese Spinner auch für die Schäden aufkommen würden, war mehr als nur unwahrscheinlich, einmal davon abgesehen, dass die verlorenen Seelen von niemandem mehr zurückgebracht werden konnten...

Die Gedanken darüber musste sie sich allerdings für später aufsparen, zunächst war sie schon zufrieden, wenn sie das, was von ihrer Heimat noch übrig war, in Sicherheit wusste. Über ihre Zukunft musste sie sich allerdings ernsthaft noch den Kopf zerbrechen; mittlerweile war bereits der gesamte Ort irgendwie miteinander verwandt und der Kreis wurde immer kleiner, dadurch, dass etwa ein Drittel der Bürger an diesem Morgen verstorben waren, würde sich dieser unheilvolle Prozess gewaltig beschleunigen und schon in wenigen Generationen wären alle „überzüchtet“ und krank. Und schließlich würde ihr geliebtes Dorf, das vor mehreren Hundert Jahren von ihren Vorfahren gegründet worden war, aussterben, ihre Kultur verschwinden und alle Magier aus der Wüste in Vergessenheit geraten.

Einen Moment lang fragte sich die Frau, ob sie vielleicht wirklich die Letzten ihrer Art waren, dann verneinte sie innerlich jedoch. Ceyma Tebettra, Maigis und Dafis Vater, war ebenfalls ein Himmelsblüter gewesen. Er hatte aus dem Hahim-Gebirge, das irgendwo in Mon'dany lag, gestammt; aus einem Dorf, ähnlich Thilia, in einem versteckten Tal weit oben. Wenn sie das richtig mitbekommen hatte, hatte er sich als kleiner Abenteurer in die Öffentlichkeit begeben, aus reiner Neugierde und weil er keine besonders auffällige Haar- und Augenfarbe gehabt hatte, hatte er sich auch gut zurecht gefunden und niemandem war direkt aufgefallen, wer oder was er gewesen war. Eine seltsame Geschichte, vor der Familie seiner Frau hatte er natürlich ehrlich sein müssen, und als die ihn so angenommen hatten, wie er gewesen war und er Vater geworden war, war sein Geheimnis mehr und mehr durchgesickert, was ihm das Leben sehr schwer gemacht hatte. Schließlich hatte er keine andere Wahl gehabt, die unwürdige Arbeit, die sein Schwager ihm verschafft hatte anzunehmen und in die Wüste zu kommen – ach, was dachte sie darüber nach, das war mittlerweile eh völlig egal. Für diese Dinge war später Zeit, etwas ändern konnte sie ja ohnehin nicht.

Leider.
 

Aufmerksamkeit war im Übrigen ebenfalls eine Gabe, die sich verlor, wenn man zu tief in seiner Gedankenwelt versunken war und so erschreckte sich dir Grünhaarige Frau gehörig, als vor ihr plötzlich Ceymas Sohn Maigi stand und sie tatsächlich etwas besorgt musterte.

„Frau Setari...“, sprach er sie förmlich an und und blinzelte unter dem bösartigen Blick, den er sich darauf fing, „Was... tun Sie hier? Wollten Sie zur Station? Das ist sinnlos, alles, was auch nur ein kleines bisschen Verantwortung dort getragen hat ist geflüchtet oder gerade dabei... ich hab mich vor einer Weile schon an Noboka gewendet.“

Sich nicht mehr weiter blamieren wollend stieß sie sich mit dem gesunden Arm wieder von dem toten Baum ab und stellte sich so stolz wie nur irgendwie möglich vor den Jüngeren und schnappte noch einmal möglichst unauffällig nach Luft, ehe sie etwas erwiderte. Es war nicht leicht...

„Ich werde schon jemanden finden, der mir da weiterhelfen kann, lass das mein Problem sein; viel interessanter ist doch, was tust du?“

Er zog beide Brauen hoch, dann seufzte er.

„Ich habe zunächst nach dem Dorf sehen wollen... nun ja, viel mehr nach meiner Tai, um ehrlich zu sein, aber da haben mir die Götter... ja, ich habe ihnen gelauscht, ich geben es zu, da haben sie mir gesagt, dass ich im Dorf nichts tun kann, ich hab zwar dennoch kurz nachgesehen, aber ich spürte, dass es meiner Verlobten gut ging, also bin ich wieder zurück gerannt, in der Hoffnung, jemanden zu finden, dem ich ins Gewissen reden kann, ähnlich wie Sie, aber vergebens. Jetzt wollte ich doch nach meinen Liebsten sehen...“

Der Junge errötete. Tainini... er hätte weiter nach irgendeinem hohen Tier suchen können, auch wenn seine Erfolgschancen gering waren, es hätte noch eine gewisse Möglichkeit gegeben, dass es doch noch jemanden zu erreichen gab.

Aber sein Herz hatte mit einem Mal so gezuckt, er hatte gespürt, dass seine Liebste Schmerzen hatte, er hatte sofort zu ihr gewollt, er musste jetzt wissen, was mit ihr los war! Wenn ihr etwas Ernstes zugestoßen war..? Nein!

„Verständlich, natürlich.“, antwortete sein augenscheinlich schwer angeschlagenes Gegenüber da und einen Moment lang fragte er sich, ob es wohl ratsam war, sich über das, was ihr zugestoßen war zu informieren, hielt es dann aber doch für angebrachter, den Mund zu halten. Bei der wusste man ja nie...

„Und deine Cousine?“, wurde er da weiter gefragt und er zuckte zusammen und strich sich verlegen durchs Haar.

Ja, seine Cousine, seine geliebte, tolle Pinita, diese eiskalte, widerliche Hure, was war mit der?

Er seufzte deprimiert.
 

„Verräter! Du elender, dreckiger Verräter!“

Die Blonde traf ihn nicht, als sie nach ihrem Cousin, mittlerweile in Jungenklamotten, schlug. Wie hatte er es nur wagen können, dieser Gestörte, was hatte sie nicht alles für ihn gegeben?!

„Ja, ich habe dich verraten, ich gebe es zu!“, erwiderte Maigi angewidert und trat einen Schritt zurück, schnaubend, „Ich schaue mich gerade nach einem vernünftigen Menschen hier um, um ihm zu erzählen, was du hier tust! Der Frieden unserer schönen Welt ist bereits gewahrt, dein Plan gescheitert; alles, was du hier tust, ist unseren gestörten Kontinent um sein wertvolles Geld zu bringen, dass er in die Herstellung der Waffen gesteckt hat, mit denen du aus blinder Wut gerade das völlig unschuldige Dorf Thilia zerstörst! Wobei... bald werden wir eh komplett abrüsten müssen und das nur wegen solchen Spinnern wie euch!“

Er lachte giftig und die Ältere schrie grell auf und schlug ein weiteres Mal nach dem flinken Jungen. Irgendetwas in ihrem Unterleib zog gerade unangenehm, verdammt, was hatte sie auch schwanger werden müssen?! Und was musste dieses widerliche Ding, ein Himmelsblüter , ihr momentan körperlich überlegen sein?! Sie hasste es!

„Es ist mir egal!“, kreischte sie ihn an, dass sich ihre Stimme überschlug, „Ich räche mich für diese Schmach! Ich hasse diese Wüstenratten, sie sollen bluten, Maigi!“

Er verstand sie nicht. Was hatten die Menschen in Thilia mit ihrem Wahnsinn zu tun? Ja, wegen ihnen hatte er sie verraten, aber es war recht so gewesen,womöglich hätte er es auch getan, wenn er überhaupt nichts mit dem Dorf zu tun gehabt hätte, einfach, weil er es moralisch nicht mit sich vereinbaren konnte. Dort starben Leute, Männer, Frauen und Kinder, wegen so eines Unsinns. Und bald darauf wären noch viel mehr Unschuldige ums Leben gekommen – nein. Es war gut gewesen, dass er es nicht zugelassen hatte.

„Und was willst du jetzt tun?“, erkundigte er sich so angewidert und sie ballte ihre Hände zu Fäusten.

„Ich werde dafür sorgen, dass an unserer... kleinen Front so schnell wie möglich Nachschub ankommt! Wir werden so lange weiter machen, bis der ganze Ort dem Erdboden gleich gemacht ist und dann nehmen wir uns die Sturmgewehre, gehen zum See oder nach Morika, wo auch immer die restlichen Maden sein mögen, und dann knallen wir sie alle einen nach dem anderen ab, mir völlig gleich, ob die Idioten aus Noboka bis dahin hier sind oder auf einem Pfefferfeld in Fokua, völlig gleich!“

Sie lachte wahnsinnig auf und schnellte einen Schritt nach vorn, packte ihren überraschten Cousin am Kragen und zog ihn zu ihrem Gesicht.

„Du kannst nichts tun. Es ist vorbei.“

Darauf lies sie ihn los und wandte sich ab.

„Wir sehen uns...“

Damit verschwand sie.
 

„Und das heißt...?“

Chatgaia strich sich sichtlich erschöpft eine Strähne aus dem Gesicht und keuchte leise. Sie konnte nicht mehr, verdammt, aber sie durfte sich der Versuchung der Wüste nicht hingeben und dahinscheiden, sie musste zunächst noch sicher gehen, dass in ihrer geliebten Heimat alles in Ordnung ging. Und dass es ihren Neffen gut ging, natürlich, und ihrer Prinzessin. Aber dazu später.

„Nun ja, wie ich sagte, sie wird so lange weiter machen, bis nichts mehr übrig ist... und da sie gesagt hat, wir würden uns später sehen, nehme ich einmal stark an, dass sie auch noch einmal ins Dorf will... oder was davon übrig ist, eben.“

Er seufzte, dann ging er doch einen Schritt auf sie zu und stützte die schwankende Frau. Egal, wer das war und wie er über sie dachte, da konnte er doch nicht zusehen, da konnte sie noch so empört schauen.

„Ich bringe Sie zurück ins Dorf, zu den Anderen... Sie können nichts machen, nur auf die Hilfe aus der großen Stadt hoffen, ansonsten ist alles Zeitverschwendung. Beten Sie vielleicht zu den Göttern, ich würde es auch tun, hätte ich einen besseren Draht zu ihnen.“

Sie erwiderte nichts. Er hatte Recht, das wusste sie. Sie war keine Göttin, sie war eine Sterbliche und verletzt, sie konnte jetzt nichts tun, so gern sie auch wollte. Dass es kaum etwas für sie auszurichten gab, war da beinahe tröstlich.

Und der Junge war beruhigt darüber, dass sie ihn nicht geköpft hatte; so machten sie sich weniger oder noch weniger guter Dinge aus den Weg zurück ins Dorf.
 

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„Vielen Dank für eure Hilfe, ihr Beiden.“

Lilliann verneigte sich tief vor zwei Jungen, beide etwas jünger als sie und die lächelten nur und erwiderten ihre Geste jeweils mit einer leichten Kopfneigung.

Im Dorf war es zu gefährlich, sie mussten alle heraus, der Waffenstillstand würde schließlich nicht mehr lange anhalten, das war beinahe sicher. So waren die beiden jüngsten Mitglieder von Imeras kleiner Widerstandsgruppe auserkoren worden, Tainini und Kura zum See zu tragen, Lilli trug in einem Korb ihren kleinen Sohn Genda und das Neugeborene ihrer Fast-Schwägerin, das den Namen Semiry verpasst bekommen hatte und trotz des ganzen Trubels und seinem strampelnden Cousin friedlich schlief. Tai war der lange Weg quer durch das zertrümmerte Thilia im Moment einfach noch nicht zuzumuten und Kuras Fuß war noch immer verletzt, so waren sie einfach auf Hilfe angewiesen gewesen. Und Imera war darüber auch recht glücklich; die beiden Burschen waren noch nicht einmal so alt wie Kinai, die gehörten, ihren Mut in aller Ehre, nicht hier her. Nebenbei fragte er sich selbst, weshalb er sich nicht auch in Sicherheit brachte, aber wenn er sich die Männer, die zu ihm gekommen waren ansah, meldete sich tief in seinem Inneren tatsächlich so etwas wie Pflichtbewusstsein. Er hatte eigentlich nur Lilli beschützen wollen, aber aus einem Missverständnis heraus hatte er plötzlich Verantwortung, bekam aber zugleich zum ersten Mal den Respekt, den er in diesem Dorf zuvor noch nie erfahren hatte. Und in diesem Sinne auch noch nicht in Morika, dort hatte man ihn schließlich auch bloß angenommen, weil man sonst mit dem Tode bestraft worden wäre, hinter seinem Rücken hatten sie schließlich doch immer geredet. Er hatte es mitbekommen, immer schon, aber er hatte es ignoriert, er war stolz gewesen, der Sohn des Dorfoberhauptes dieses Dreckskaffs gewesen zu sein. Ja, mittlerweile war ihm klar, dass Morika nicht besser als Thilia gewesen war. Das Einzige, was er dort geschätzt hatte, war seinen Vater, den er trotz des Unverständnisses aller noch immer ehrte und vermisste. Er fragte, warum die Anderen das nicht einfach hinnehmen konnten, es war doch seine Sache, wie er über seine Familienmitglieder dachte, einmal davon abgesehen, dass es wesentlich angenehmer war, einen Menschen in guter Erinnerung zu behalten, als ihn bis ans Ende der Zeit zu hassen und zu verabscheuen. Fand er mit seiner angeblich nicht vorhandenen Intelligenz zumindest.

„Beeilt euch jetzt.“, forderte Vembaci Kaera, Shakkis und Kinais Vater die Jungen da auf und sie machten sich mit den jungen Müttern, deren Babies und dem vermutlich traurigsten Kind der Welt auf den Weg.

Der schwarzhaarige Mann sah ihnen stirnrunzelnd nach.

„Es geht bald weiter.“

Imera blinzelte zu seinem Bruder, der darauf nickte.

„Ja, die Götter warnen uns... außerdem spüre ich es deutlich, aber ich denke, wir sollten uns nicht zu sehr stressen.“

Er erntete ungläubige Blicke und sah sich gezwungen, weiter zu reden. Die anderen Magier konnten seine Gedankengänge nicht nachvollziehen, wie es schien...

„Nun ja, ich glaube, man wird uns bald helfen. Dennoch sollten wir auf der Hut sein, unbedingt, versteht mich nicht falsch.“

Mayora seufzte. Er fühlte sich seltsam. Seit der Auseinandersetzung mit seiner Tante hatte er sich verändert... irgendetwas in ihm war anders geworden. Er sah mehr, er hörte mehr und er spürte mehr, es war so, als hätte man ihn irgendwie verbessert. Wobei dieser Ausdruck nur mäßig richtig war, es war mehr als verbessert, sein gesamter Geist hatte sich verändert, er fühlte sich mit einem Mal ganz anders, noch nie in seinem Leben hatte er dieses Gefühl verspürt. Es war weder angenehm, noch unangenehm, irgendwie war es einfach da und gehörte zu ihm, ohne, dass er wusste, weshalb und was es bedeutete, geschweige denn, ob es von Dauer war oder nur eine kurze Phase, eine Laune seiner Götter. Er bedauerte es, dass er es auf später verschieben musste, in sich zu gehen, um diese seltsame Tatsache irgendwie zu ergründen.

„Wie auch immer...“, meinte Herr Kaera etwas irritiert darauf und wandte sich wieder an Imera, „Die kommen wieder von der Station. Was meinst du, gehen wir ihnen entgegen?“

Angesprochener nickte.

„Wir sollten das, was noch übrig ist, so gut wie möglich beschützen. Ich bin Himmel bewahre kein Stratege, aber es wäre sicherlich sinnvoll, wenn wir diese Monster irgendwie überraschen könnten...“

„Mit uns rechnen tut ohnehin niemand.“, stellte ein anderer junger Mann fest und der Brünette nickte.

„Um diese Feuerkugeln abzuschießen, benötigen sie sicher irgendwelche Maschinen, vielleicht schaffen wir es ja, diese zu zerstören, ich meine... so schwer wird das doch nicht sein?“, überlegte auch der Grünhaarige und sein Zwilling nickte.

„Klingt doch nicht schlecht. Je mehr wir versuchen, desto besser.“
 

Als die Männer alle gemeinsam durch die zerstörten äußeren Dorfteile zogen, schlug Imeras Herz bis zum Hals. Sie hörten auf ihn. Sie respektierten ihn. Sie waren seiner Meinung. Das war... gut. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich nützlich, obwohl er dumm war und so genoss es die schlimme Situation tatsächlich tief in seinem Inneren heimlich zutiefst.
 

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„Ich bin so unsagbar froh!“

Choraly weinte noch immer leise, während sie mit Tafaye irgendwo im Dorf herum rannte und gar nicht wusste, wo sie sich befanden. Sie hatte wirklich geglaubt, es sei zu Ende mit ihm, mit diesem lieben Kerl, der so viel Pech doch überhaupt nicht verdient hatte. Aber er war stark gewesen, er hatte sich trotz aller körperlichen und vor allen Dingen seelischen Schmerzen noch einmal zusammengerissen und aufgerafft, um zu leben und seiner Tochter ein Vater zu sein. Er liebte dieses kleine Mädchen, er musste es doch beschützen! Er war selbst froh, dass ihm das noch rechtzeitig eingefallen war. Aber sein Arm tat weh und er war tief im Inneren schwer verwundet, einmal davon abgesehen, dass er keine Ahnung hatte, wie es nun weitergehen sollte.

„Sag mal...“, wandte er sich so an das brünette Mädchen, das seine Tochter liebevoll in den armen trug und während des Gehens leicht wiegte, was das Baby ungemein beruhigte, „Ich bin... echt durcheinander, es ist mir sehr peinlich, dich derart zu belästigen Prinzessin, aber... ich weiß sonst nicht, mit wem ich noch reden könnte.“

Die Jüngere schenkte ihm ein leichtes Lächeln. Männer waren allesamt Spinner, fand sie, während sie durch einen durch Trümmer unkenntlich gemachten Dorfteil ging und durch die staubige, heiße Luft kaum atmen konnte. Tafaye bildete leider keine Ausnahme.

„Du musst dich um Himmels Willen doch nicht bei mir entschuldigen, wenn du mit mir reden möchtest, wenn es dir schlecht geht! Wir sind doch längst Freunde, nicht? Und die sind füreinander da!“

Er hielt an und sie tat es ihm darauf gezwungenermaßen gleich, ihn erwartend ansehend, als er sich mit dem Ärmel über die nassen Augen wischte und ihr dann ein trauriges Lächeln schenkte.

„Danke!“, schnappte er, „Ich... du hast gemeint, ich müsste mich sehr gut um Kirima kümmern, um ihre Mutter zu ersetzen, oder so ähnlich... denkst du, es gibt keine Chance mehr für Pinita?“

Er hatte Angst, wenn er ehrlich sein sollte. Er wollte ein guter Vater sein... aber er wollte auch, dass seine Freundin eine gute Mutter war. Er wollte sein Kind nicht allein groß ziehen und er wollte auch keine neue Frau, er liebte Pinita Ferras, auch wenn er ihr am liebsten eine verpassen würde für das, was sie mit seiner Heimat gemacht hatte. Er kam sich krank vor, noch immer an ihr zu hängen... aber er hatte sich ja nicht gerade eben in sie verliebt, sondern zu einer Zeit, in der sie sich als normale, temperamentvolle junge Frau gegeben hatte und dieses Gefühl ließ sich nun einmal nicht von einer auf die andere Minute abstellen. Unmöglich, nein.

Choraly seufzte unterdessen und blickte zu dem kleinen Mädchen, das wunderlicher Weise damit begonnen hatte, in der Höhe ihrer Brust an ihrem Kleid zu lutschen und sie somit voll zu sabbern. War sie etwa hungrig?

„... na ja, ich glaube... okay, sagen wir so, ich an deiner Stelle könnte ihr nicht verzeihen. Und ich denke nicht, dass sie nach dem, was sie getan hat, einfach zu dir ins Dorf ziehen wird, weißt du?“

Sie schaute wieder zu ihm auf und er lächelte unwirklich.

„Das ist alles?“, machte er, „Ich meine, hey, dann verlasse ich Thilia eben, keine Ahnung, gehen wir nach Fides oder so, mir soll es recht sein!“

Er war nicht so darauf angesprungen, wie sie gehofft hatte. Wenn es so einfach gewesen wäre... Freunde waren ehrlich, verdammt.

„Hör mal...“, sprach sie bedrückt weiter, „Das ist natürlich möglich, theoretisch zumindest... aber wir werden bald Hilfe aus Noboka bekommen, wenn Pinita nicht ohnehin ins Gefängnis muss dann...“

Sie hielt inne und schloss die Augen. Das tat doch weh...

„Ich meine... sie hat zugelassen, dass das Dorf angegriffen wird, obwohl sie wusste, dass ihr beiden hier seid, ich schätze.... ich schätze, sie hat nicht wirklich Interesse daran, mit euch beiden friedlich eine Familie zu gründen, Tafaye... es tut mir Leid.“

Die Wahrheit konnte manchmal furchtbar schmerzhaft sein...
 

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„Warum kannst du mir diesen Gefallen nicht einfach tun, Kinai, es wäre dir doch so ein leichtes im Moment. Du bist begabt in der Erdmagie und mein Schwert ist ein magisches Artefakt, es tötet nahezu von selbst... Kinai, ich bitte dich, tu es für deine Schwester... in aller Liebe, bitte.“

Obwohl ihre Worte den puren Wahnsinn widerspiegelten, klang ihre Stimme ruhig und vernünftig, in diesem Ton konnte man sich genau so gut über niedliche kleine Kamelbabies unterhalten.

Der kleine Bruder starrte das Schwert in seiner Hand stumm an.

Vielleicht war es doch von Vorteil, auf sie zu hören? Wenn sie immer so sprechen, immer so vernünftig mit ihm umgehen würde, dann wäre ihr Wahnsinn doch erträglich nicht? Das wäre gut für ihn, das würde sein Leben enorm erleichtern...

„Denkst du darüber nach, ob du deiner Schwester helfen willst?“, fragte sie ihn unterdessen und als er zu ihr aufsah, grinste sie ihn geisterhaft an, „Ich wäre dir für immer dankbar, Kinai.“

Er schloss einen Moment die Augen. Sollte er? Einen Versuch war es doch wert, aber... was konnte denn Chatgaia für sein Leid...?

„Okay...“, hörte er sich da selbst sprechen, „Aber beantworte mir eine Frage, Shakki...“

Seine gelben Iriden wieder öffnend, musterte er die schöne junge Frau einen Moment lang, ehe er weiter sprach.

„Nenne mir den Grund, weshalb ich unser Dorfoberhaupt töten soll. Einen ernsthaften, ich werde es nicht tun, um die kleine Brandwunde zu rächen, die hast du dir schließlich verdient...“

Sie hob beide Brauen und er gab sich alle Mühe, vor ihr standhaft zu bleiben. Er war ein Mann, verdammt, und sie nur eine verrückte Frau, eine arme verwirrte Seele, die dringend Hilfe brauchte, er musste sich nichts von ihr sagen lassen.

„Einen Grund?“, fragte sie da verwundert zurück und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, „Du brauchst tatsächlich Gründe, um jemanden zu töten, wo es doch so viele dümmliche Lebewesen auf diesem Planeten gibt? Ich bitte dich...“

Sie lächelte ihn an, als hätte sie ihm gerade von Babykamelen erzählt und... ach, was hatte er denn mit Babykamelen? Der Junge schnaubte empört.

„Ich soll sie also einfach töten, weil du dich daran erfreuen kannst? Und dafür bettelst du mich derart an, du krankes Weib? Vergiss es!“

Als er schnaubend ein paar Schritte zurück trat, riss sie geschockt ihre Augen weit auf. Er widersetzte sich? Kinai Kaera widersetzte sich?!

Das würde er bereuen!

„Wie kannst du es wagen?!“, der Wahnsinn kehrte wieder in ihre Stimme zurück und sie schritt empört wieder ein Stück auf ihn zu, „Du bist es mir schuldig!“

„Ich bin dir überhaupt nichts schuldig, du demütigst mich doch seit Jahren, im Gegenteil, DU bist MIR sehr viel schuldig! Und ich werde das nicht für dich tun, vergiss es!“

Sie schrie schrill auf und er wich noch ein paar Schritte zurück. Sie drehte durch, er kannte es ja...

„Du musst es tun, Kinai, du musst! Du bist es mir schuldig! Ich ziehe dir die Haut ab und esse sie auf, die Götter sagen, es sei richtig, Kinai, du musst es tun! Du bist es mir schuldig!“

Das, was zu ihr sprach, waren keine Götter, da war sich der Junge sicher. Seherin hin oder her, seine Schwester war von irgendwelchen Dämonen besessen und auf Dämonen würde er nicht hören. Nicht mehr, er hatte es ja jahrelang aus Feigheit getan und damit die Erdgötter beschämt. Aber angesichts der Situation war er es einfach Leid, er musste einmal das sein, was er sein sollte, ein junger Mann und nicht der Sklave seiner Schwester.

„Wie kommst du darauf, ich sei dir etwas schuldig, du bescheuertes Kamel?“

Kamele, das musste an seiner neuen Zigarette liegen...

Sein Gegenüber erzitterte.

„Du hast mir versprochen, immer zu mir zu halten, egal, was geschieht! Du hast es immer getan, Kinai! Und im Moment brauche ich besonders viel Schutz und... Zuwendung, Bruder, ich trage seit kurzem Leben in mir.“

Der Junge wollte nach Luft schnappen, aber er war zu benebelt von ihren Worten und den lustigen Kamelen in seinem Kopf, dass er nicht konnte. Zusammenreißen!, hallten dann dumpfe Stimmen der Erdgötter und er tat es, denn es war Zeit, das Richtige zu tun. Ein einziges Mal.

„So ist das...?“, keuchte er nun ebenfalls zitternd, „Wahnsinnige Frau, von den Dämonen zerfressen... du willst... tatsächlich... ein Kind...“

Er brach ab und atmete einmal tief ein. Ihm war schlecht.

„Kein Kind möchte von dir geboren... kein Mensch mehr von dir ermordet werden. Ich glaube, du bist nicht mehr zu retten bei deiner Unvernunft, die du da gerade bewiesen hast.... verzeihe mir, große Schwester.“

Vom Schmerz ihrer Wunde abgelenkt verstand sie das warnende Rufen in ihrem Kopf nicht und wich noch nicht einmal aus, als ihr Gegenüber sie mit ihrer eigenen Waffe, die sich bereits durch so viele Leiber gebohrt hatte, erstach.
 


 


 


 

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Auch wenn eh niemand mehr liest...

Schicksal

„Wohin denn? Ins Dorf?“

Chatgaia und Maigi hielten beide gleichermaßen erschrocken kurz vor dem nahezu komplett zerstörten Außenrings Thilia inne und wandten sich um, in Richtung der grenzenlosen Wüste, wo ihnen nicht weit entfernt eine bekannte Frau gegenüber stand.

Ja, natürlich.

„Als ob dich das etwas anginge!“, schnaubte ihr Cousin empört und ließ die Grünhaarige los, die er zuvor gestützt hatte. Letztere blinzelte bloß, hielt sich zunächst jedoch heraus. Familienangelegenheiten hatten höchste Priorität, das sollten sie zuerst klären, der Rest musste warten. Kurz, zumindest. So trat sie etwas zurück, während Pinita auf sie zukam.

Dem Dorfoberhaupt fiel auf, dass sie das blonde Mädchen schon eine ziemliche Weile nicht mehr gesehen hatte, sie hatte sich verändert. Äußerlich zum Positiven, und innerlich... das vermochte sie nicht zu vermuten. Wahrscheinlich das Gegenteil. Traurig...

„Ich frage aus purer Besorgnis, mein süßer kleiner Cousin...“

Sie schenkte dem Jungen ein aufgesetzt zuckersüßes Lächeln und dieser spuckte ihr vor die Füße. Oh, er verachtete sie, sie widerte ihn an, diese dreckige Hure!

„Besorgnis, dass ich nicht lache!“, fauchte er, „Du kanntest dieses Gefühl doch noch nicht einmal bei deinem Freund und deiner Tochter, nicht?“

Die beiden Feuermagier beobachteten nebenbei unbemerkt besorgt, wie immer mehr Soldaten hinter der Hexe auftauchten, unter ihnen auch Karna, ganz in ihrer Nähe. Oh, um Karnas Existens konnte man allen Göttern dankbar sein, ohne ihn wäre alles anders gekommen, noch schlimmer, wenn das überhaupt noch möglich war. Weshalb er wohl trotzdem so artig gefolgt war?

Pinita hob unterdessen belustigt eine Braue.

„Oh doch, war ich. Ich liebe meine Familie von ganzem Herzen, ich würde nie zulassen, dass ihr etwas passiert. Ich habe dem Kerl dahinten aufgetragen, die Beiden aus dem Ort zu bringen, lange, bevor etwas passiert ist. Ihnen geht es gut, auch wenn ich im Moment nicht ganz genau weiß, wo sie sich befinden.“

Eben Karna war es, auf den sie auch gedeutet hatte und der antwortete ihr nun überraschend, ohne, dass er angesprochen gewesen wäre und auch nichts, womit irgendein weiterer Anwesender gerechnet hätte.

„Tafaye Alhatfa und die kleine Kirima sind im Dorf. Oder haben sich ins Oaseninnere retten können, wie auch immer.“
 

Ihre Familie war ihr wirklich wichtig. Der junge Mann hatte damit gerechnet, dass ihr die Feuermagier mit seinen Worten auf einen Schlag egal werden würden und genau so war es auch gewesen. Ihr Blick, den sie ihm schenkte, als sie ihr Gesicht abrupt zu ihm wandte, würde er nie im Leben vergessen. Bleich war sie und ihre Augen tellergroß. Ja, das verdiente diese abscheuliche Frau. Es tat ihm Leid um den Mann und das Kind, aber er war sich sicher, das Richtige getan zu haben.

„Was?“, machte die Jüngere fast stimmlos und vor ihr wurde auch Maigi ungewollt blass.

Karna trat ein paar Schritte auf sie zu.

„Ich verabscheue Menschen wie dich, Pinita. Ich finde dich absolut eklig. Deine Familie hat seit vielen Jahren an diesem Projekt gearbeitet, es sollte eine perfekte Verteidigung werden, gegen menschliche und natürliche Gewalten und man wollte die Technik auch befreundeten Kontinenten wie Kamake zur Verfügung stellen, deine Ahnen haben Frieden sichern wollen! Und was tust du?“, er verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen, „Du tust das Gegenteil, machst alles kaputt, wofür deine Vorfahren gekämpft haben und willst damit die ganze Welt aus ihrem Gleichgewicht bringen, aus purer Machtgier. Das ist einfach... mir fehlen die Worte dafür!“

Sie wandte sich ihm komplett zu und schüttelte verständnislos den Kopf, ihr leichtes Zittern entging ihm dabei nicht. Ja, sie sollte sich ruhig fürchten.

„Dann denke das doch! Denke, was du willst, halte mich für das abscheulichste Wesen aller Zeiten, aber was haben Tafaye und Kirima damit zu tun? Warum hast du sie nicht gerettet, sprich!“

Er zischte nur.

„Damit du am eigenen Leibe spürst, wie sich das anfühlt, was du den Leuten in diesem Dorf antust und was du im Begriff bist, mit der ganzen Welt zu machen.“

Schweigen.

Einige Männer in der Nähe warfen sich verwirrte Blicke zu, als die junge Frau sich wieder in Richtung des zertrümmerten Ortes drehte und sich schließlich vor ihrem Cousin und dem verletzten Dorfoberhaupt auf die Knie sinken ließ.

Sie trug ihre Uniform und so einen Rock, der ihre Knie nicht bedeckte, so wurde sie von dem heißen Wüstensand verbrannt. Und es war ihr völlig egal.
 

Ihr Baby. Und Tafaye. In ihr zog sich etwas schmerzhaft zusammen, wo waren die Beiden? Lebten sie? WO WAREN SIE?!

Sie wollte schreien, sie wollte aufspringen und ins Dorf rennen, jeden einzelnen Quadratzentimeter nach ihnen absuchen, aber sie hatte ihre Pflichten, verdammt. Sie konnte nicht alles aufgeben, wegen... so etwas.

„Hast du Schmerzen?“

Sie erschauderte, als sie überraschend Chatgaia vernahm. Sie sprach leise und zum ersten Mal bemerkte die Blonde, was für eine Elfenstimme sie doch hatte. Und doch hatten alle Respekt vor ihr, komische Sache.

„Was heißt Schmerzen?“, fragte sie gezwungen gefasst zurück und starrte die hellbraunen Sandkörner vor sich an, „Es ist... eine erdrückende Ungewissheit, nicht mehr und nicht weniger.“

Sie hatte Schmerzen, aber das ging niemanden etwas an. Sie würde weiter machen, so oder so.

Und vor allen Dingen, sie würde sich nicht erniedrigen. Nicht länger knien.

Sie erhob sich wieder und bemerkte erst nun, wie furchtbar ihre Beine schmerzen, aber sie ignorierte es soweit es ihr möglich war, genau so wie das feuerrotes Leuchten der verbrannten Haut.

„Es ist egal, anderes hat Vorrang.“

Die Frau wünschte sich tatsächlich so sicher zu sein, wie sie klang. Selbst ihr erschien das irgendwie abartig, das wollte etwas heißen.

Chatgaia nicht weit von ihr entfernt weitete darauf ihre orangen Augen minimal.

'Es ist egal, anderes hat Vorrang.', was?

Es gab für dieses Biest tatsächlich etwas, das über dem Leben ihres fast noch neugeborenen Kindes und und dem ihres Freundes stand? Und das war ausgerechnet das Bestreben danach, Unschuldige zu verletzen und zu töten?

Wie hatte sie Shakki für krank halten können? Himmel, um die musste sie sich auch noch kümmern...

„War mir irgendwie klar.“, erwiderte Maigi da überraschend nüchtern, seufzte dann aber, „Die haben ein Leben mit dir auch nicht wirklich verdient... da ist der Tod vermutlich wirklich angenehmer.“

Darauf konnte sich die Blonde ein spöttisches Lächeln tatsächlich nicht verkneifen. Das war ein so genanntes Eigentor gewesen...zumindest interpretierte sie es als solches.

„Du meinst, ein Leben wie deines? Ach... ich finde deine Einstellung wirklich bedauerlich, du sahst so bezaubernd aus in deinen Kleidchen, lila ist doch deine Farbe!“

Sie hatte ihn für sein Leben gezeichnet, diesen unterschwelligen Spott würde er nie wieder loswerden, ganz sicher. Er errötete. Und sie wusste es.

„Lustig, Cousine, lustig. Kann ja nicht jeder tragen.“

Etwas besseres fiel ihm nicht ein, wirklich schlagfertig gewesen war er noch nie. Aber Recht hatte er, violett stand Pinita nicht. Boah, war er gut. Er bemerkte nicht, wie Chatgaia mit den Augen rollte, weil sie merkte, dass er sich dabei wirklich intelligent vorkam.

Dabei hatte sie dazu doch kein Recht. Er war ein guter, mutiger Junge und sie schämte sich, ihn vor kurzer Zeit noch als Lügner bezeichnet zu haben. Er wollte ihnen nichts schlechtes, das spürte sie.

Und dennoch war sie vor wenigen Stunden noch völlig davon überzeugt gewesen, war sicher gewesen, dass dieser irrsinnige Vertrag glaubhaft war. Weil sie sich seit ihrer Kindheit hatte auf die Station verlassen können, war sie auch heute noch davon überzeugt gewesen. Die Zeiten änderten sich, das hatte sie vergessen. Vermutlich hatte dieser Kerl, Karna, Recht Pinita war es gewesen, die alles verändert hatte. Die alles zerstört hatte.

Einen Moment lang verspürte sie das Verlangen, einfach all ihren Schmerz zu ignorieren und die Hexe in Brand zu stecken, sie bei lebendigem Leibe lichterloh verbrennen zu lassen, dann erinnerte sie sich an ihre eigenen Gedanken kurz zuvor. Familienangelegenheiten hatten immer höchste Priorität. Maigi zuerst. So lange sollte sie sich erholen, das war ohnehin nötiger. Zumindest, wenn sie noch aktiv werden wollte...
 

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„Sag mal, Missgeburt, wenn Dafi... also Maigi doch heute morgen nach Noboka gefunkt hat, müssten diese Penner dann nicht langsam einmal hier ankommen?“

Mayora ging an der Spitze der kleinen Widerstandsgruppe neben seinem Bruder her und musste sich eingestehen, dass es ihm tatsächlich so vorkam, als dass diese Männer momentan mehr Respekt vor Imera hätten als vor ihm, weshalb auch immer. Auf den Punkt interessierte es auch nicht, der Ältere hatte Recht mit seiner Frage. Wobei dem Grünhaarigen das „Missgeburt“ nicht passte, das hörte er einzig von seiner Prinzessin gern... als ob er von seinem Zwilling mehr zu erwarten gehabt hätte. Seit der ständig bei ihrer Tante herumlungerte, verhielt er sich jedoch erstaunlich ruhig...

Ach, wen scherte das schon?

„Das mag wohl sein.“, erwiderte er schließlich einfach, starr geradeaus sehend, „Wenn die überhaupt hier auftauchen. Wer weiß, vielleicht haben die sich auch einfach nur über die nützliche Information gefreut und es gar nicht für nötig gehalten, einem kleinen, unbedeutendem Ort wie Thilia zu helfen. Äußerst wahrscheinlich, nicht?“

Er erntete einen blöden Blick und konnte sich ein ganz leichtes Grinsen nicht verkneifen. Nein, er war nicht schlauer als sein Bruder, das war er nie gewesen. Seine Götter hatten ihn darauf gebracht, nicht mehr und nicht weniger. Imeras Götter sprachen nicht zu ihm, er fühlte sich vermutlich gerade ziemlich vor den Kopf gestoßen, wo er doch der tolle Anführer einer Gruppe wütender Handwerker war, deren ganze Arbeiten man zerstört hatte.

„Tja, dumm bleibt dumm.“

Er lächelte fies in sich hinein und der errötende Brünette schnaubte nur. Das hatte er nicht nötig...

„Ich steh da drüber.“, behauptete er dann und hielt abrupt inne, als er wieder aufsah, worauf ein blonder Junge in seinem Alter in ihn herein rannte und ihn zu Boden stieß. Er tat sich nicht wirklich weh, aber keuchte dennoch geschockt auf.
 

„Dummkopf!“, gackerte der Grünhaarige, während sein Bruder sich von dem verlegenen Gleichaltrigen aufhelfen lies, selbst völlig peinlich berührt von den ganzes unheimlich dummen Blicken, die auf ihm ruhten, als die ganze Gruppe gezwungen wegen des Vorfalls anhalten musste. Sie konnte ja schlecht ohne ihren Anführer weiter gehen...

So trampelte Imera, der ihr Warten völlig missverstand, einfach weiter, lies es sich aber nicht nehmen, den Grünhaarigen zurecht zu weisen.

„Dummkopf, ja! Selbst bist du einer, lausche mal, dieses Surren, das könnten doch die Städter sein?“

Wo er Recht hatte, hatte er Recht; die Männer starrten geschlossen in den Himmel, obwohl dort noch lange nichts zu sehen war. Aber zu hören.

Ihr habt so gut wie gewonnen.

Mayora schielte zu seinen Blutsbrüdern, von denen scheinbar niemand die bedeutende Botschaft wahrgenommen hatte.

Es war seltsam, irgendetwas war doch anders an ihm und es ärgerte ihn, dass er nicht wusste, was es war. Er hörte Stimmen, wenn es niemand anderes tat; sie sagten ihm wichtige Sachen, die außer ihm vermutlich nur Shakki hörte. Er wusste Dinge, sogar ohne, dass man sie ihm irgendwie mitteilte und er hatte das Gefühl, sie mit einem Mal beeinflussen zu können, mehr als alle anderen und vor allen Dingen mehr als je zuvor, aber am gruseligsten war, dass es ihn noch nicht einmal verängstigte. Es fühlte sich richtig an, völlig normal, eher erschien es ihm so, als sei sein ganzes Leben zuvor falsch gewesen. Und er wusste nicht, weshalb.

Es war in dem Moment geschehen, in dem seine Tante ihn Götterschande genannt hatte. Etwas in ihm war zerbrochen, hatte einen bisher unbekannten Teil seiner Seele frei gelassen und nun war er nicht mehr Missgeburt, jetzt war er... etwas anderes, etwas höheres. Etwas besseres. Oder so ähnlich...

„Ich schlage vor, wir kämpfen uns jetzt aus dem Ort in Richtung... komisches Surren. Diese Leute abfangen, wenn ich mich nicht sehr irre, kommen auch die Schweine aus der Station da herüber...“

Er schielte zu Vembaci Kaera, der sich an den von seinem Sturz etwas schmutzigen Imera gewandt hatte. Ja, gute Idee...
 

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„Ich denke, es hat keinen Sinn mehr.“

Karna grinste amüsiert gen Himmel, als Pinita verstört auffuhr und wie so oft erschauderte, obwohl es unbarmherzig heiß war.

Flugmaschinen. Sie kamen, sie waren nah, bald würden sie hier landen. Sie würden sie aufhalten, sie würden nicht nur ihren gesamten Plan zerstören, womit sie sich inzwischen fast schon abgefunden hatte, nein, sie würden auch verhindern, dass sie sich an diesem Dorf ausreichend rächen konnte. Dabei hatten diese Maden das Leben nicht verdient! Sie hatte so hart gearbeitet, es war einfach nicht gerecht!

Nein, das konnte sie sich nicht gefallen lassen, das hielt sie nicht aus. Es zerriss sie!
 

Sie drehte ihrem Cousin und der grünhaarigen Magierin, die ebenso erleichtert, wie auch überrascht nach oben starrten, den Rücken zu und atmete einmal tief die heiße, staubige Luft ein, ehe sie zu ihren Männern sprach. Sie standen über die nahen Dünen verteilt, bereits wieder leicht bewaffnet vor ihr, manche schenkten ihr schon Aufmerksamkeit, andere lauschten ebenfalls dem seltsamen Geräusch.

„Hört mich an!“, forderte sie ehrerbietender, als sie es eigentlich war und ignorierte eine gewisse Nervosität, die in ihr aufstieg, als sie alle Blicke auf sich ruhen spürte.

Als ob sie schüchtern wäre, wie lachhaft.

„Wir müssen uns eingestehen, dass wir unser Ziel nicht erreicht haben und auch nicht mehr erreichen können, aber nun befindet sich das Schicksal eines jeden Einzelnen hier in größter Gefahr! Es ist die Schuld meines Cousins, der uns verraten hat!“

Sie lachte höhnisch auf und Maigi hinter ihr schnappte empört nach Luft. Bitte?!

„Er ist ein völliger Psychopath, er hat sich beinahe fünf Jahr lang als seine eigene Schwester ausgegeben, fragt nicht, weshalb, vermutlich gefiel es ihm einfach so gut, dem Perversen.“
 

Perversen.

Hätte Chatgaia ihn nicht nach Möglichkeit festgehalten, wäre er in diesem Augenblick an sie gegangen. Alle sahen nun blöd zu ihm, alle wussten es mit einem Mal und dann erzählte sie es auch noch absichtlich so falsch.

„Ich habe es für dich getan, du Schlampe!“

Er vermied es eigentlich weitgehend, eine Frau als so etwas zu betiteln, aber einmal davon abgesehen, dass es auf Pinita wirklich zutraf, hatte er auf seine malträtierte Stimme in diesem Moment keinen Einfluss mehr, sie machte sich dank seiner verletzten Seele quasi selbstständig.

„Du weißt, dass ich es gehasst habe!“, schrie er weiter und die Magierin hatte es mit ihrem einen gesunden Arm denkbar schwer, den Jungen zurück zu halten.

„Ruhig!“, forderte sie, wurde aber ignoriert. Die Blonde kicherte leise, während die Männer vor ihr verwirrt tuschelten.

„Wie auch immer!“, sprach sie dann laut weiter, „Eure Leben sind vorbei, entweder, ihr sterbt, oder ihr dürft den Rest eurer Zeit unter Arrest verbringen. Ich sage, setzt ein Zeichen, damit man euch nicht vergisst! Zerstört dieses Dorf voller Blutschanden, ihr tut der Welt damit an sich nur einen Gefallen, niemand wird es euch übel nehmen, im Gegenteil! Seid tapfer und kämpft, kämpft ein letztes Mal!“

Als sie kaum ein überzeugtes Gesicht vorfand, setzte sie ein weiteres Mal an. Sie würden sich fügen, sie wusste, dass sie sich fügen würden...

„Wenn ihr es tut, dann verspreche ich euch, ihr werdet in die Geschichte eingehen! Zuhause wird man euch ehren! Tut es, euch bleibt nicht mehr viel Zeit!“

Am Horizont konnte man mehrere Punkte erkennen. Die junge Frau keuchte nur, atmete noch einmal tief ein und wandte sich zum letzten Mal an die Soldaten.

„Sie kommen! Nun geht, tut Recht, die Welt wird es euch danken, lasst diesen Tag nicht sinnlos gewesen sein! Rennt!“
 

Das Surren der Flugmaschinen legte sich erdrückend über ihre aufgeregte Seele und in dem unendlichen Augenblick, nach ihrer letzten Aufforderung zum Rennen, war sie sich beinahe sicher, dass sie alles verloren hatte; niemand würde auf sie hören. Sie wusste es.

Und lag falsch.

So kam es, dass sie aufgrund ihres Hochgefühls in dem Moment, in dem die Menge an ihr vorbei preschte, grölend gen Dorf, anfing, laut auf zu lachen. Sie ignorierte die beiden vollkommen geschockten Feuermagier hinter sich, ebenso wie das Nobokaer Militär vor sich, sie hatte nicht vollkommen versagt, das war alles, was zählte, mehr brauchte sie nicht. Irgendwo in ihrem Hinterkopf dachte sie an ihren Freund und ihre Tochter, doch das war weit weg, Familie, die brauchte sie in dieser Sekunde nicht!
 

„Halt! Was macht ihr, bleibt doch stehen!“

Maigis Stimme überschlug sich in einer Welle von Panik, als die Soldaten an ihm vorbei stürmten; er griff nach vereinzelten, doch alle rissen sich los, rannten in ihr Verderben, so dachte er. Was brachte es ihnen, jetzt noch auf seine Cousine zu hören? Was hatten sie davon, jetzt noch zu töten?! Noch unnötiger als ohnehin schon!

Es ist die Verzweiflung und Auswegslosigkeit, Maigi. Sie sehen keine Alternative.

Der Junge kreischte grell auf und raufte sich die Haare.

„Ich will das nicht!“

Chatgaia schnaubte.

„Beruhige dich! Denkst du, ich würde da gern zuschauen?!“

Ganz im Gegenteil. Der Frau war schlecht und das sicher nicht nur, weil ihr die Sonne unbarmherzig auf den verletzten Schädel schien. Sie war das verdammte Oberhaupt dieses Dorfes und musste mitansehen, wie es bis auf die Grundmauern zerstört, die wertvollen Leben seiner Bewohner geraubt und die Ehrenmäler der Götter entwürdigt wurden. Oder auch nicht, denn sie wandte dem Horror-Szenario den Rücken zu, blickte stattdessen ungewollt sehnsüchtig den Flugmaschinen entgegen, die bald da sein würden. Ja, sie brauchte deren Hilfe. Auch wenn es bereits etwas spät war, wie sie fand.

Aber sie hatte keinerlei Recht, sich zu beschweren, wo sie in ihrer Naivität anfangs so gegen die Hilfe von außen gewesen war. Ihre Strafe hatte sie allerdings bereits in doppelter bis dreifacher Ausführung bekommen, so kam es ihr zumindest vor.
 

--
 

„Ach du... nein!“

Auf Imeras äußerst intelligenten Ausruf hielt die gesamte Gruppe inne, starrte gleichermaßen geschockt wie auch wütend in Richtung Horizont, von wo eine Horde Soldaten mit gruseligen Schusswaffen auf sie zugerannt kamen.

Schusswaffen waren äußerst unpraktisch, gegen so etwas konnten sie nur schwer ankommen. Wenn man es genau nahm, hatten nur die Magier eine Chance. Eine kleine...

„Und was jetzt?“

Vembaci Kaera hustete, als ein Windstoß ihnen Sand aus der angrenzenden Wüste ins Gesicht wehte. Er hatte die Wüstenluft noch nie sonderlich gut ertragen...

Ihr mehr oder weniger Anführer überlegte kurz, ohne den skeptischen Blick seines kleinen Bruders zu bemerken. Oder ihn ignorierend, denn für irgendwelche dummen Kleinigkeiten mit dem Blödmann hatte er sicherlich keine Zeit. Er hatte hier Verantwortung, oder so.

In ihm kam die Frage auf, weshalb überhaupt.

„Also, hört zu.“

Er erhielt die geschlossene Aufmerksamkeit aller Anwesenden.

„Wie sieht es bei den Miss... den Himmelsblütern hier aus? Denkt ihr, ihr könnt diese komischen... Schuss-Dinger irgendwie abwehren?“

Die Angesprochen warfen sich kurz fragende Blicke zu, ehe sie bestätigend nickten.

Also gut, das war wunderbar.

„Nun, also, mein Plan, aber ich übernehme keine Haftung, denkt daran, ich bin nur ich.“

Auf sein Grinsen erwiderte man selbiges und abermals wollte er gerne wissen, weshalb die sich ausgerechnet ihn ausgesucht hatten. Ihn, den Nichtskönner vom Dienst, der den ganzen Tag lang nur sinnlos herumgelungert hatte, der sein Leben gehasst hatte, mehr als das, was er erlebt hatte selbst und der dieses Vertrauen doch gar nicht verdiente. Meinten die Geister es gut mit ihm?

Er räusperte sich.

„Ihr geht zu zweit los, immer ein Magier und ein Mensch. Geht das auf? ... scheint so. Okay, Ziel ist es, so viele wie möglich von denen aufzuhalten, bis diese komischen Stadt-Menschen hier ankommen. Das wird sich scheinbar nur noch um Minuten handeln, deshalb bin ich ahnungsloser Trottel jetzt einfach einmal guter Dinge, dass wir das schaffen. Ach ja, und heile bleiben, wichtig. Heute sind genügend Thilianer gestorben, finde ich.“

Er erntete einstimmiges Nicken, während er in seinem Rücken schon das Trampeln der Soldaten hören konnte. Okay, schneller.

„Also, ich denke mir, die Himmelsblüter bilden die Abwehr, sie sollen die Menschen und selbstverständlich auch sich selbst vor den Geschossen schützen... wie auch immer ihr das macht, ich verlasse mich einfach einmal darauf, dass ihr das könnt. Und denkt daran, haltet so viele auf, wie es nur geht, aber tötet so wenig, wie nur möglich, ganz wichtig! Und jetzt nur noch eine Sache...“

„Beeile dich mal.“

Er schielte zu seinem schnaubenden Zwilling und nickte. Ja, er hatte ja Recht, aber das musste er jetzt noch wissen, vermutlich würde er diese Gruppe im Nachhinein nie wieder vollständig antreffen können. Leider.

„Aus welchem Grund hört ihr so plötzlich auf mich?“

Beinahe hatte er geahnt, dass Vembaci Kaera vertretend für die Gruppe sprechen würde. Oder nicht ganz, er hatte auch über die Möglichkeit nachgedacht, dass er überhaupt keine Antwort bekommen würde, was ihn aber sehr geärgert hätte. So war es gut.

„Es hat mich persönlich ziemlich beeindruckt, ausgerechnet dich, den ich all die Jahre lang nie wirklich zu schätzen gewusst habe, vor Lillianns Haus zu sehen. Weshalb ich dich nie geschätzt habe, muss ich dir wohl nicht erklären, Imera. Aber gerade darum war dein plötzlicher Eifer ziemlich imponierend.“

„Außerdem...“, erklärte ein anderer Mann da weiter, „Auch du verdienst eine Chance.“

Mayora lächelte, als er den Älteren erröten sah. Ja, er pflichtete den anderen stumm bei... aber nur stumm, am Ende dachte sich der Idiot noch irgendetwas dabei, wenn er seine Gedanken aussprach. Stattdessen besann er sich darauf, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

„So, dann geht’s jetzt los, würde ich sagen. Imera, ich komme mit dir, schon allein, weil ich dir mal wieder zeigen muss, wie viel toller ich bin als du und so, nicht?“

Der Junge grinste blöd und Angesprochener hob dumm eine Braue. Was wollte der?

„Na meinetwegen, los jetzt!“

So machte sich die Gruppe, angeführt von den Zwillingen, auf, um ihre Heimat mit letzter Kraft zu beschützen und befand sich schon wenige Sekunden später in tödlichem Feuer aus den modernen, gottverachtenden Waffen.
 

--
 

Nicht weit entfernt im nahezu komplett zerstörten Ort konnte man darauf Krach hören. Schüsse, Schreie, dumpfe Knälle; alles, was Choraly irgendwie verängstigte.

Tafaye neben ihr blieb gezwungenermaßen stehen, als sie ebenfalls inne hielt und in Richtung der Geräusche starrte.

„Ich nehme an, wir sind die ganze Zeit in die falsche Richtung gerannt.“, kommentierte der Mann darauf, ihrem Blick folgend, „Wir wollten doch in die Oase und nicht heraus. Na, schöner Mist, drehen wir halt wieder um.“

Er wollte seiner Ankündigung gerecht werden, kam aber nicht weit, weil das Mädchen mit seiner maulenden Tochter im Arm anscheinend versteinert war. Er hob irritiert beide Brauen, als sie zu sprechen begann.

„Diese Schreie... sie könnten auch von Mayora sein. Von Chatgaia... Lilli, Tai, Imera... Maigi.“

Als er sie heftig erschaudern sah, seufzte er leise und zog sie mit dem gesunden Arm zu sich, sie tröstend an sich pressend. Er verstand sie doch, er verstand sie so verdammt gut.

„Ich... fürchte mich auch. Hey, denk an das, was du zu mir gesagt hast. Vielleicht wird ja alles gut!“

Er erzwang sich ein Lächeln, als der Jüngeren die Tränen kamen. Kirima quengelte derweil völlig unzufrieden vor sich hin. Ja, sie brauchte ihre Mutter, sie war sehr hungrig.

„Denkst du, die in Noboka haben unseren Hilferuf ernst genommen?“

Das Mädchen schluchzte und schmiegte sich plötzlich von eisiger Angst gepackt an den jungen Vater, der sich bei ihrem Anblick selbst bloß schwer das Weinen verkneifen konnte. Obwohl... was sagte sie da?

„Wovon sprichst du?“

Er hatte bisher noch nichts von Lillianns Plan gewusst, so weihte Choraly ihn grob ein. Sie berichtete, was Pinita von Anfang an vorgehabt hatte, was mit ihr und ihrem Cousin geschehen war und wie eben dieser sie letzten Endes deswegen in Wakawariwa verraten hatte.

Tafaye hüstelte, als sie ihre Erzählungen abgeschlossen hatte.

„Das heißt, ich habe die ganze Zeit einem Jungen Mädchenklamotten geschneidert? Wie konnte mir das nie auffallen?!“

Er musste trotz der Lage unwillkürlich etwas grinsen und die Brünette seufzte. Das war doch schlimm...

„Na ja, er ist ja nicht besonders männlich und so... bloß die Unterwäsche hätte dich doch irritieren müssen, nicht?“

Er gackerte weiter.

„Er wollte immer welche, die „ihr“ an sich etwas zu groß gewesen wären, jetzt weiß ich auch, warum!“

Ja, und möglichst keine verspielten Farben bitte, ganz wichtig. Jetzt war das plötzlich alles einleuchtend, na so etwas aber auch!

Choraly schüttelte nur den Kopf und lies zu, dass ein kleines Lächeln über ihre Lippen huschte. Und das in so einer Situation, ausgerechnet über den armen Maigi! Als ob der es nicht schwer genug gehabt hätte...

„Wie auch immer...“, seufzte sie dann, „Ich... würde gerne einmal nach ihnen sehen. Nach allen, ich weiß nicht genau, wer noch da draußen ist, oder wer sich in Sicherheit gebracht hat. Meinst du, du kannst Kirima tragen?“

Der Blonde blinzelte und brauchte erst einen Moment, um zu verstehen, was sie ihm gesagt hatte.

„Wie? Ich... ja, denke schon, aber ich lasse dich da doch nicht alleine hin!“

Baby hin oder her, er konnte doch nicht zulassen, dass sich dieses Mädchen in unnötige Gefahr begab, das brachte er einfach nicht über sich!

„Zur Not komme ich mit, und wir gehen beide nicht weiter, wenn wir nicht wissen, was uns hinter der nächsten Straßenecke erwartet, klar?“

Einen Augenblick lang sah er sie einfach nur streng an, ehe sie ergeben seufzte und den Blick abwandte. Ja, er hatte ja recht. Aber sie fürchtete doch so, dass den Anderen etwas geschehen war, sie brauchte einfach Gewissheit!

Hoffentlich bekam sie die auch, ohne sich in Gefahr bringen zu müssen...

„Okay... dann behalte ich Kirimachen aber vorerst, nicht?“

Ja, logisch.

„Ich denke, das wäre...“

Ein lautes surrendes Geräusch unterbrach die Beiden und der Blonde blinzelte etwas verängstigt zunächst in Richtung Dorfrand und dann zu Choraly, die wunderlicher Weise zu strahlen begann.

„Flugmaschinen!“
 

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Pinita keuchte. Sie waren angekommen, irgendwo in der Nähe waren sie gelandet. Mit etwas Glück waren die Maschinen ja in Flammen aufgegangen und explodiert oder so, eine Landung auf Wüstensand war schließlich recht risikoreich. Mangelnde Rauchfahnen aus der näheren Umgebung minimierten diese Hoffnung jedoch sehr schnell und gerade, als sich die Blonde ebenfalls ins Dorf aufmachen wollte, hielt sie ihr jüngerer Cousin noch einmal auf.

Ja, sie wollte ihn mit der grünhaarigen Tante hier stehen lassen, na und? Die hatten ihr doch ohnehin nichts gescheites mehr zu sagen.

Sie musste ihre Männer jetzt noch etwas antreiben, damit sie noch möglichst viel Zerstörung herausnehmen konnte. Ja, am besten ignorierten sie den Ort an sich und rannten einfach durch, zum Oaseninneren, wo sich die Überlebenden befanden und sorgten dann dafür, dass diese Überlebenden nicht mehr länger welche waren. Ja, sie sollten bluten, vor ihrem Fall musste sie unbedingt noch einmal demonstrieren, wer sie war, wofür sie verdammt noch einmal gekämpft hatte.

Sie musste ein Zeichen setzen, ein Zeichen, das niemand vergaß und sie war sich sicher, früher oder später würde sie doch noch gewinnen.

Noboka konnte sie nicht dauerhaft gefangen halten oder bestrafen, das würde einen Krieg mit Mon'dany verursachen. Nicht, dass dieser Umstand der jungen Frau nicht recht gewesen wäre, aber ihr war klar, dass das nicht das Ziel der Weltmacht sein konnte. Nein, sie würden sie gezwungenermaßen an ihre Heimat übergeben müssen, wo man sie vor ein Kriegsgericht stellen würde.

Ihr Glück, dass ihr Kontinent so altmodisch war und die hohen Ränge wie Richter bloß mit Männern besetzte, da würde sie keine Schwierigkeiten haben, sich aus der Affäre zu ziehen. Und spätestens dann würde sie wieder von vorn anfangen. Es würde viel Arbeit werden und sie verfluchte ihren Cousin dafür, sie verraten zu haben, aber es lag nun einmal nicht in ihrer Natur, einfach aufzugeben. Nein, sie setzte ein Zeichen als Vorwarnung für das, was noch kommen würde. Sie war einfach zu gütig.

„Wo willst du hin? Ins Dorf? Du törichte Schlampe, es ist vorbei, verstehst du das nicht?! Hör auf, unschuldige Leute umzubringen, um dich abzureagieren!“

Sie grinste ihn eisig an und sah amüsiert zu, wie seine Gesichtsfarbe sich veränderte, von weiß zu rot. Rot vor Wut.

„Dass ich dich einmal so erleben darf, hätte ich nicht gedacht. Du sahst immer so süß aus...“
 

Chatgaia musste sich ehrlich eingestehen, dass sie sich etwas über die Reaktion des Jungen auf ihr darauf folgendes Kichern wunderte. So hatte sie ihn wohl ebenfalls nicht eingeschätzt und alles erzählten ihr ihre Götter sicherlich nicht, sie war ja keine Seherin. Und froh darum.

„Hör auf mit deinem scheiß süß und allem anderen, was mich verarschen will, ob es dir passt oder nicht, ich bin ein Mann und nicht dein kleiner Sklave, du Hure! Ich bin verlobt, ich werde Vater und ich werde für meine Familie sorgen, ich bin vieles, aber NICHT süß! Kapiere das endlich, hohles Ding!“

Durch sein Theater, dass er jahrelang durchgezogen hatte, ohne, dass es jemals jemandem auch nur im Ansatz verdächtig vorgekommen wäre, war er für sein Leben gezeichnet, das war ihm klar. Aber ihn bei jedem zweiten Satz damit irgendwie aufzuziehen, war erbärmlich. Es war nun einmal eine Tatsache, dass er nicht so war, wie er sich ewig gegeben hatte. Gezwungenermaßen, blind vor Liebe. Jetzt hätte er sich für die verschwendete Zeit die Haare ausreißen können.

An Stelle der bedingungslosen Liebe befand sich nun nur noch blanker, grenzenloser Hass für diese Frau und alles, was sie ihm angetan hatte. Und den ganzen unschuldigen Dorfbewohnern natürlich.

„Ist ja gut, reg dich nicht so auf, ich wollte mich nur nett ausdrücken.“, Pinita hob derweil nur unbeeindruckt eine Braue, „Okay, ich kann auch sagen, du sahst immer aus wie ein unschuldiges Kind, Neutrum bitte, das die Welt nicht verstanden hat und sie vermutlich auch nie verstehen wird, aber süß ist einfach kürzer irgendwie, verstehst du? Ich habe doch nicht viel Zeit; deshalb kann ich dir jetzt auch nicht erklären, weshalb es mir wichtig ist, dass so viele, Maden, Verzeihung, Dorfbewohner und was sonst noch in diesem Loch herum kriecht, zu eliminieren. Entschuldigt mich bitte, mein verehrter nicht süßer Cousin, Frau Setari, die ich nicht mehr mit Dorfoberhaupt anreden werden, weil sie kein Dorf mehr hat...“

Sie verneigt sich spöttisch grinsend und während Maigi vor Wut zu zittern begann, wandte sich die grünhaarige Magierin um, um mit Schrecken festzustellen, dass der Krach, der vom Dorf kam, nicht an den Angriffen lag, sondern daran, dass eben diese gerade in diesem Moment von tapferen Männern aus dem Dorf verhindert wurden.
 

„Die Zwillinge...“

Sie wandte den anderen Beiden den Rücken zu und stolperte ein paar Schritte den Jungen entgegen, die zusammen mit viel Mühe versuchten, Soldaten irgendwie außer Gefecht zu setzen. Bei manchen reichte ein gezielter Tritt, teilweise mussten die Beiden sich allerdings dazu durchringen, brutaler zu werden. Für ihr Dorf.

Chatgaias Blick klebte gebannt an ihren Neffen, ohne, dass sie sich irgendetwas dabei dachte. Oder zumindest einen Gedanken wahrnahm, die Überraschtheit und der Schock glichen sich vermutlich aus. Oder so ähnlich.

Sie wollte etwas unternehmen, wie die ganze Zeit schon, aber ihr fehlte schlicht und ergreifend die Kraft dazu. Alles, was sie zustande brachte, war ein erschrockenes Keuchen, als einer von Pinitas Leuten mit seiner seltsamen Schusswaffe auf Imera schoss und ihn fast getroffen hätte, wenn Mayora die Kugel nicht in letzter Sekunde mit einem Wasserstrahl abgeblockt hätte. Der Ältere nickte ihm dankend zu und die beiden setzen ihre mutige Tätigkeit tapfer fort.
 

Tapfer, na schön, tapfer für das Dorf, wunderbar, aber das war gefährlich!

„Mayora! Imera! Kommt her, sofort!“

Die Frau keuchte und merkte, wie der Schwindel wieder in ihr aufstieg, zusammen mit einem widerlichen Brechreiz und dem abermals zunehmenden Pochen in dem gebrochenen Arm. Sie sah, wie die Jungen einen Moment aufsahen, wie der Ältere dem kleinen Bruder kurz etwas sagte und sie dann beide auf sie zu rannten, zwischendurch noch ein paar schwer bewaffnete Nachzügler möglichst elegant aufhaltend, was irgendwie nicht so ganz klappen wollte. Ihre Tante wurde derweil von einer seltsamen Panik erfasst. Ja, sie hatte die Beiden zu sich gerufen, um sie in Sicherheit zu bringen, aber besonders Mayora würde das sicher nicht passen. Sie würden wieder zurück rennen, um ihre Heimat zu beschützen. Das sollten sie nicht.

Sie musste sich etwas einfallen lassen.

Während Maigi irgendetwas zu seiner Cousine schrie, fasste Chatgaia an ihre Stirn. Sie glühte, das war nicht vorteilhaft, vor allem nicht in dieser Situation. Sie konnte nicht klar denken, aber das musste sie, sie war das Oberhaupt dieses sterbenden Dorfes. Wobei es eine gute Ausrede für das war, war sie gerade falsch machte.

Sie stellte ihr eigenes Wohlbefinden, genauer das ihrer Familie, über das des Ortes, für den sie eigentlich sorgen musste. Sie hatte versagt.
 

Maigi seinerseits wollte im Moment wenig von den privaten Problemen der grünhaarigen Frau wissen, er hatte selbst genügend. Diese dumme Gans konnte doch nicht einfach abhauen!

„Warte du Schlange!“

Sie hielt noch einmal inne, weiterhin grinsend. Nicht mehr eisig, viel mehr giftig. Sie war widerlich...

„Ich hab dir doch bereits gesagt, ich habe keine Zeit mehr. Was ist denn noch?“, sie schielte kurz in Chatgaias Richtung, „Jetzt kommen diese Deppen hoch zwei auch noch, wunderbar...“

Sie seufzte aufgesetzt und wandte sich wieder an ihren kleineren Cousin, der missmutig knurrte. War ihm doch gleich, wer da noch kam, das musste er jetzt klären.

„Sag Pinita...“, setzte er an und konnte nicht verhindern, dass er vor Wut zitterte, „Was ist mit dir geschehen, dass du so bist, wie du bist? Warum willst du nur für Macht über so viele Leichen gehen? Reicht dir dein Leben nicht? Du hast einen wunderbaren Freund und eine süße Tochter, einen tollen Beruf und bist hübsch, warum gefährdest du das alles für diesen Quatsch? Das, was du da versuchst, haben zuvor schon so unsagbar viele versucht, wieso lernst du nicht aus den Fehlern unserer Ahnen? Warum lässt du es wieder darauf ankommen? WARUM?!“

Von seiner eigenen Impulsivität etwas geplättet kam der Junge kurz ins Staucheln, konnte sich aber noch einmal fassen, als sein Hass einen weiteren Höhepunkt erreichte, denn alles, was sein Gegenüber zunächst erwiderte, war spöttisches Gekicher. Sie lachte ihn aus, immerzu lachte sie ihn nur aus, nie nahm man ihn ernst!

„Schau nicht so böse, auf so eine blöde Frage muss ich nun einmal lachen!“, erwiderte sie dann und Maigi keuchte, „Warum ich so bin, wie ich bin, willst du wissen? Warum ich das ganze, was deiner Meinung nach schon so oft schief gegangen ist, wieder versuche? Ich will einmal so fair sein und mir die Zeit nehmen, dir zu antworten, meine Idioten brauchen ohnehin noch etwas Zeit, bis sie an den Dorfdeppen vorbei sind. Zeit, die wir dank den Nobokaer Spacken nicht haben, aber ich kann es im Moment nicht ändern, dumm gelaufen.“

Sie lies ihren Blick kurz zu ihren Soldaten schweifen, die sich nach und nach wieder aufrappelten und die Thilianer zum Teil in Zweikämpfe verwickelten.

„Also gut.“, machte sie dann wieder und ihr Grinsen verschwand. Einen Augenblick lang schaute sie den Jüngeren einfach nur an, ohne jegliche Emotion und er hatte diesen Moment lang das Gefühl, wieder die normale, vernünftige junge Frau, die er geglaubt hatte, jahrelang gekannt zu haben, vor sich zu sehen. Aber bloß diese wenigen Sekunden lang, danach war es für immer vorbei.

„Ich war schon immer so, wie ich es jetzt bin, Maigi, schon seit meiner Geburt. Du weißt, dass man mich Wunderkind nannte? Ich war intelligenter als die Anderen, ich war weiter entwickelt. Ich habe die Arbeit meines Vaters seit ich denken kann genauestens beobachtet, ich habe mich immer nachdem, was er getan hat erkundigt und war immer auf dem neuesten Stand. Zeitgleich hat mir mein Großvater, mit dem du nicht verwandt bist, der Vater meiner Mutter, immer von dem erzählt, was er einst alles für unseren wunderbaren Kontinenten Mon'dany getan hat. Von seinen Kollegen und von dem, was sie geopfert haben und weshalb. Mir war früh bewusst, dass unsere Heimat weit weniger angesehen wurde, als sie es verdiente. Was sind wir denn für den Rest der Welt? Der Wüstenkontinent, na toll, versteckt im Schatten der großen Nationen Noboka und Kamake. Wunderbar, du wirst wohl mit mir einer Meinung sein, wenn ich sage, dass wir weit aus mehr zu bieten haben, als die anderen denken, nicht?“

Der Junge verkniff sich ein Nicken.

„Jedenfalls stellte sich heraus, dass sich dieses Projekt einzig um die Friedenssicherung drehte und ich fragte mich mehr und mehr, was das bringen sollte? Wir hatten es nicht nötig, den Frieden zu sichern, die beiden großen Mächte ruhten sich in ihrem Ruhm aus, Fokua ist bekanntlich militärisch

ohnehin nicht vorhanden und Takama ist eine kleine Fliege auf der großen Weltkarte, außerdem hat man uns ohnehin nicht beachtet; diese Sache war schlicht und ergreifend eine riesige Geldverschwendung. Und da habe ich nicht zusehen können. Ich konnte nicht einsehen, dass sich so viele Leute um so einen Unsinn bemühten, es wollte nicht in meinen Schädel gehen, wie man sich so hatte blenden lassen können! Also habe ich begonnen, an meinem Projekt zu arbeiten. Schon vor langer Zeit. Vor sehr langer Zeit. Ich war vielleicht sieben Jahre alt, als ich mich zum ersten Mal in die Archive geschlichen habe. Und ich habe mit der Zeit mein eigenes, komplexes Projekt entwickelt. Alles, was seit etwa 10 Jahren wichtiges in deinem Leben geschehen ist, war von mir genau so oder zumindest so ähnlich von mir geplant, Maigi Tebettra.“

Während die Zwillinge bei ihrer Tante ankamen, sah die junge Frau ihren Cousin angesichts der Ernsthaftigkeit, mit der sie ihm diese Tatsache mitteilte, erbleichen. Ja, damit hätte er nicht gerechnet. Und noch weniger würde er mit dem rechnen, was als nächstes kam.

„Aber egal, wie intelligent man ist und wie sehr man sich anstrengt, wenn man ein Kind ist, ist man ein Kind, allein schafft man es nicht, weder körperlich noch seelisch. Ich habe für mein Projekt gelebt und hätte ich nicht schon bald einen „Komplizen“ bekommen, wenn man es denn so ausdrücken möchte, dann wäre ich bereits mit ihm gestorben. Oder besser Komplizin, die, die mir in meinem Leben bei so vielen Dingen geholfen hat, war niemand anderes als deine Zwillingsschwester Dafi.“
 

„Chatgaiachen, was machst du denn hier? Du bist blass...“

Imera kam keuchend bei dem Dorfoberhaupt an, dicht gefolgt von seinem Bruder, der allerdings auf Abstand blieb und skeptisch zu Maigi und Pinita schielte, die einige Meter von ihm entfernt standen. Durch den Krach der Kämpfe konnte er kaum etwas verstehen, und dennoch ahnte er ungefähr, worum es ging. Nein, er wusste es. Er wusste es einfach. Und diese unnatürliche Gewissheit machte ihm noch nicht einmal Angst. Verdammt, irgendetwas lief hier doch falsch...

„Ja, ich weiß, mir geht es auch nicht so gut, aber keine Sorge...“, entgegnete die Tante da und keuchte leise, sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht streichend, „Ich habe euch gesehen und gedacht, ich rufe euch lieber einmal, denn ich fürchte...“

Sie blinzelte zu Maigi, der seine Cousine fassungslos anstarrte. Sie hatte den beiden gar nicht mehr zugehört und hatte, wenn sie ehrlich war, auch keine Ahnung, um was es gerade ging. Und ihre Götter schwiegen im Moment ohnehin eisig, sie stand völlig allein da. Was für ein ungewohntes Gefühl. Allein war sie öfter, aber anders als in diesem Moment nie verlassen. Wie lächerlich, ausgerechnet jetzt. Alhata Timaro hatte Recht gehabt, sie war für diesen Beruf wirklich nie geeignet gewesen.

„Was fürchtest du?“, riss eben dessen ältester Sohn sie da aus ihren verhangenen Gedanken und sie keuchte, weil es ihr peinlich war.

„Ich fürchte, diese Beiden da, kommen auf dumme Ideen, ich meine... ich will ein Unglück verhindern, auf mein Konto gehen so viele Morde, ich habe viel zu lange gebraucht, meine Fehler zu begreifen, da will ich doch ein bisschen was gutes zurückgeben. Und ich sehe mich zur Zeit nicht in der Lage, dazwischen zu gehen, wenn es soweit kommt...“

Als sie den Blick ihres jüngeren Neffen auf sich spürte, konnte sie den Drang, noch etwas hinzuzufügen nicht unterdrücken.

„Natürlich bereue ich nicht alle Morde, die nach meinem Befehl getätigt wurden, viele hatten ihr Schicksal schließlich auch verdient.“

Sie war eben einfach stolz. Leider.

Imera nickte. Zumindest er schien ihr zu glauben, aber er war ja auch ziemlich... nein, sie würde ihn nach seinem tapferen Schutzversuch für das Dorf, das er doch eigentlich so sehr hasste, nicht als dumm bezeichnen. Irgendwo war er das nämlich nicht.

„Okay, kein Problem, ich glaube, auf zwei mehr oder weniger kommt es im Moment ohnehin nicht an. Himmel, ich hätte nicht gedacht, dass wir dank der Himmelsblüter zu so viel Widerstand fähig wären, die sind wirklich gut, wenn man sie mal braucht, ernsthaft.“

Er wandte sich zu seinem Zwilling, der ihm darauf einen seltsamen Blick schenkte.

„Was denn?“

„Jahaa.“, äffte Mayora den Älteren darauf mehr oder minder absichtlich nach, „Je mehr wir sind, desto länger können wir das Dorf beschützen; die Leute aus der großen Stadt sind bereits ganz in der Nähe gelandet, vielleicht schaffen wir es ja knapp, diese Penner vom Ort fern zu halten, bis die Verstärkung hier ankommt? Ich denke, Maigi kommt allein klar, um Pinita sorgt sich hier sicher niemand. Wir sollten zu den Anderen zurück!“
 

Maigi raufte sich zitternd das Haar.

„Du lügst doch! Dafi sagst du? Wann hätte Dafi dir bitte bei deiner blödsinnigen Scheiße helfen sollen? Außerdem hätte sie mir das gesagt, sie hat mir immer alles gesagt, im Gegensatz zu dir hat sie mich nämlich geliebt!“

Pinita seufzte nur leise und schloss einen Moment die Augen, ehe sie weitersprach.

„Das... tut mir jetzt fast schon Leid, wenn ich ehrlich sein soll. Dafi hat dir mit Sicherheit nicht alles gesagt. Als ich sie eingeweiht habe, damals muss ich etwa 10 gewesen sein, war sie sofort meiner Meinung und sprach mit ihre volle Unterstützung zu. Und die hat sie mir bis zum Ende ihres Lebens immer gegeben. Zu jeder Zeit. Sie war sehr intelligent und eine furchtbar begabte Magierin, ihr habt sie zu ihren Lebzeiten weit unterschätzt. Sie war genial und wenn ich das von jemandem sage, dann will das etwas heißen. Ich wäre ohne sie oft nicht weitergekommen und wir haben uns bereits zu Beginn geschworen, dass eine von uns Beiden diese Sache zu Ende bringt, deshalb bin ich auch fest entschlossen, das zu tun. Außerdem...“

Ihr Gegenüber unterbrach sie, so schrill und fast schon wahnsinnig schreiend, dass es die junge Mutter tatsächlich etwas erschreckte.

„Was redest du da für eine absolute Scheiße, du mieser Abschaum! Hör gefälligst sofort auf, meine Schwester in den Dreck zu ziehen, du Hure! Dafi war ein gutes Mädchen, sie war anders als du! Hör auf meine geliebte Schwester mit dir auf eine Stufe zu stellen! Es... es ist nicht möglich, hörst du? Es ist nicht möglich, sonst würde sie doch heute noch leben, oder nicht? Dann wäre sie jetzt nicht tot!“

Er schnappte kurz nach Luft, ehe er weiter machte. Seine malträtierte Stimme überschlug sich dabei ungesund. War wohl doch keine so gute Idee gewesen, ihm selbst gemischte Medizin ins Frühstück zu mischen, um seinen Stimmbruch zu verhindern...

„Meine Schwester war anders als du. Sie ist sicher in die Flammen gerannt, weil du sie gezwungen hast, dir irgendwie zu helfen, weil sie keine andere Chance hatte! Ist es nicht so?“

Pinita trat ein paar Schritte auf den Jüngeren zu, seufzte einmal tief und grinste dann wieder. Dieses Mal war es ein seltsames, befremdliches Grinsen und der Junge erschauderte.

„Weshalb deine Schwester damals in die Flammen gerannt ist, weiß ich tatsächlich nicht. Es hat alles, was ich bis dahin geplant hatte, zunichte gemacht und ich musste auf der Stelle alles umwerfen. Es hat sich Himmel sei Dank als kein all zu großes Problem herausgestellte, aber es hat mich traurig gemacht. Ich hätte es gern mit Dafi zu Ende gebracht, sie hat mir viel bedeutet. Jedenfalls... damals hat sie mir auch geholfen. Bei diesem Brand.“

Maigi erstarrte nach ihrem letzten Satz und ihr gespenstisches Lächeln verschwand wieder dahin, wo es hergekommen war.

„Dafi war eine mächtige Feuermagierin, Maigi. Eigentlich hatte sie an diesem Morgen dafür sorgen sollen, dass du zuhause bleibst, damit du mit stirbst, aber aus welchen Gründen auch immer hat sie es nicht getan.“

Nach ihrem letzten Satz stolperte der Junge ein paar Schritte zurück, wäre beinahe hingefallen, als er endgültig verstand, was sie ihm da mitgeteilt hatte.

Er hatte zuhause bleiben sollen. Damit er stirbt. In dem Feuer.

„Ich denke, du hast mich schon richtig verstanden, Cousin.“, erriet die Blonde seine Gedanken und lächelte matt, „Deine Schwester und ich haben das, was an jenem Tag vor beinahe 5 Jahren geschehen ist, bereits Monate zuvor geplant. Und wir haben nichts weiter tun müssen. Sie hat das gesamte Gebäude mit einem Feuerfluch belegt, ich habe lediglich überwacht, ob es auch wirklich funktioniert. Und das hat es. Es ist bloß der falsche Zwilling dabei gestorben.“
 

--
 

„Hörst du das? Wir sind gleich da!“

„Mir schon klar!“

Tafaye hetzte der vollkommen überdrehten Choraly hinterher, quer durch den Ort und nun bald in die offene Wüste. Verdammt, das klang doch gefährlich, was sollte das denn?

Sicher würde ihnen irgendetwas geschehen... und diese Verrückte hatte sein Baby! Was war nur mit einem Schlag in sie gefahren?

„Choraly, Prinzessin, denkst du nicht, dass sei zu gefährlich? Und... warte mal, ich komme nicht nach, ich bin angeschlagen, verdammt!“

Auf seinen wütenden Ausruf hin hielt sie kurz inne und ging dann etwas langsamer. Etwas außer Atem war sie jetzt auch, es war schließlich verdammt heiß, die kleine Kirima ging auf Dauer auf die Arme und sie kämpfte mit leichter Übelkeit, die sie seit einiger Zeit immer wieder in ihr aufkam. Es lag an ihrer eigenen Schwangerschaft, das wusste sie nun, genau so, wie dass sie sich eigentlich schonen musste, aber verdammt, es ging um ihren Freund, den Vater ihres Kindes! Und um jede Menge anderer Leute, die ihr viel bedeuteten. Und die Menschen aus ihrer Heimat...

Da hatte sie ohnehin noch ein Problem. Diese Leute wussten, dass sie hier war. Ihr Vater wusste es wahrscheinlich auch. Und er wollte sicher, dass sie zu ihm zurückkehrte. Und sie wollte auch zu ihm zurückkehren, sie wollte ihn umarmen und ihm sagen, wie sehr sie ihn liebte und wie furchtbar sie ihn vermisst hatte. Ihr wurde bei den Gedanken an Uda Magafi warm ums Herz. Sie war lange tapfer gewesen, jetzt bekam sie langsam aber sicher wieder das Bedürfnis, ein kleines Mädchen zu sein dürfen. Wenn auch nur eine Weile.

Sie konnte Mayora allerdings nicht allein lassen, sie liebte ihn. Schon über ein halbes Jahr waren sie zusammen, sie kannten sich mittlerweile in und auswendig, sie begehrten sich und sie wollten zusammen bleiben, für den Rest ihres Lebens. Außerdem trug sie sein Kind unter ihrem Herzen, was dessen Großvater bestimmt nicht gut heißen würde. Er würde ihr sicher unterbinden, es auszutragen. In seinen Augen war sie noch wesentlich zu jung dazu, das wusste sie. Bis vor wenigen Stunden hatte sie das ja selbst noch geglaubt. Aber nach allem, was jetzt in dieser kurzen Zeit geschehen war, war sie sich sicher, dass sie reif genug dazu war, um Mutter zu werden. Sie wollte dieses Baby, sie freute sich darauf. Und sie würde es sich für nichts auf der Welt nehmen lassen.

Automatisch presste sie die kleine, vor Hunger leise weinende Kirima fester an sich.

„Ich will Gewissheit!“, rang sie sich dann endlich zu einer Antwort durch und erhöhte ungewollt wieder ihre Geschwindigkeit, „Ich will wissen, wer da draußen ist, wer dafür sorgt, dass die Reste dieses Dorfes noch stehen... als ob ich es nicht wüsste, aber ich muss sicher gehen, dass auch alles in Ordnung ist und...“

Als sie beschwerlich über eine eingestürzte Wand krabbelte, fand sie sich plötzlich auf dem Ödland zwischen Oase und Wüste wieder und erstarrte, als sie ihre Gewissheit bekam.
 

Nicht weit entfernt wurden gerade einige tapfere Thilianer von Soldaten niedergemezelt... und umgekehrt. Es war ein schauriger Anblick, wie die kleine Gruppe aus Männern aus dem Dorf versuchte, das, was von ihrer Heimat übrig war, mit Blutvergießen und aller erdenklichen Macht zu beschützen, bis die Leute aus der großen Stadt ihnen zur Hilfe eilen konnten.

Sie waren sicher weiter weg gelandet, da ein sicheres Aufsetzen auf dem weichen Wüstenboden kaum möglich war, das würde bestimmt etwas dauern. Hoffentlich klappte das...
 

Als Tafaye bei ihr ankam, völlig außer Atem und verzweifelt nach seiner nun stärker blutenden Wunde fassend, suchte das Mädchen mit seinem Blick verzweifelt unter dem Gewühl aus kämpfenden Männern nach irgendjemandem, den sie kannte. Vorzugsweise natürlich nach ihrer Missgeburt...

Bis der Schneider ihr den entscheidenden Hinweis gab.

„Dein Freund ist dahinten... und meine Freundin auch.“

Sie folgte seinem Blick und keuchte, als sie gleich so viele, scheinbar wohlbehalten, erkannte. Pinita, Maigi, Chatgaia, Imera und ihr über alles geliebter Mayora. Sie lebten.

„Ich will zu ihnen...“, schnappte sie leise und der Blond fasste sie empört am Kleid, worauf es völlig Blut verschmiert war. Ach ja, die Wunde. Er hüstelte entschuldigend.

„Bleib lieber hier, das ist sicher sehr gefährlich.“, riet er ihr dann, „Glaube mir, ich würde da jetzt genau so gern hinrennen wie du, ich habe doch eine Million Fragen, die ich meiner Freu... der Mutter meiner Tochter gern stellen würde, aber da gibt es Schusswechsel, die sind nicht weit weg, am Ende wird noch jemand von uns getroffen und das wäre ja wohl äußerst kontraproduktiv und das Letzte, was wir jetzt gebrauchen könnten, nicht?“

Auf sein bedauerlicher Weise durchaus logisches Argument schnaubte Choraly bloß säuerlich.
 

--
 

Einen Moment lang fragte sich Pinita, ob ihr Cousin gleich an einem Herzinfarkt sterben würde, denn so sah er gerade aus. Irgendwie hatte sie damit gerechnet. Oder auch nicht, an sich hatte sie nie wirklich vorgehabt, ihm davon zu erzählen, zu seinem eigenen Wohle. Jetzt war es doch geschehen. Schicksal.

„Das... stimmt nicht, Pinita, es kann nicht stimmen... es ist einfach nicht wahr!“

In seiner Verzweiflung griff der Junge nach einem Klumpen Sand, der neben ihm lag und warf ihn nach seinem Gegenüber, das seufzend einen Schritt zur Seite trat, um nicht getroffen zu werden.

„Versuche es zu verstehen.“, verlangte sie darauf, „Unser Projekt hatte Zukunft und bald werde ich ihm diese auch wieder zurückgeben! Unsere Eltern standen schlicht und ergreifend im Weg, wir hatten keine andere Wahl. So lange sie gelebt haben, hatten wir keinerlei Chance auf die Verwirklichung unseres Traumes.“

Eine leichte Brise kam auf und wehte heißen Sand in Richtung Dorf, der auf die für ihre Überzeugungen kämpfenden Männer traf und Maigi in den Augen brannte. Seine Augen brannten ihm so wie so. Genau so wie seine Seele brannte und die Stimmen seiner Götter diese gefährliche Flamme in ihm weiter schürten.

„Unsere Eltern standen eurem Traum im Weg? Sie standen ihm im Weg?! Es waren unsere Eltern, Pinita, sie haben uns gezeugt, geboren, aufgezogen und geliebt und du sagst... sie standen dir im Weg?! Du hast diesen Menschen alles zu verdanken, du...“

Sie unterbrach ihn.

„NICHTS habe ich diesem Abschaum zu verdanken, diesem dreckigen Pack, das sich nie um mich geschert hat, das mich seit ich klein war vor sich hin hat vegetieren lassen! Hätten sie sich nur ein kleines bisschen mehr um mich gekümmert, nur ein wenig, dann hätte ich sicher nie eine Interesse in der Art an dem Wohle unseres Kontinents entwickelt. Was an sich im übrigen sehr schade gewesen wäre...“

Sie zischte wie eine Schlange, abermals. Und ihrem Gegenüber wurde es so schlecht, dass es wieder etwas ins Staucheln geriet.

Es reichte... bis dahin und nicht weiter. Seine Grenze war erreicht, das konnte er nicht mehr auf sich beruhen lassen.

Und zum ersten Mal seit langer Zeit ließ er es zu, dass er sich seinen Göttern wieder vollkommen hingab, die Macht, die sie ihm schenkten, in sich aufnahm und sie zu benutzen bereit war. Und es war gut.

„Wage es nicht noch einmal... meinen Onkel und seine Frau so dermaßen in den Dreck zu ziehen. Sie hatten viel zu tun, aber sie waren dir seit ich denken kann liebevolle Eltern, das verdienen sie nicht! Pinita, du bist eine sehr, sehr kranke Frau...“

Die Blonde lachte nur einmal kalt auf.

„Bin ich? Egal! Ich habe ihre Schreie in den Flammen gehört und weißt du was? Ich habe sie genossen...“

Dieser eine, letzte Satz, mutierte zu den bekannten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
 

Noch ehe die Zwillinge oder deren Tante hätten reagieren können, schrie der Junge schrill auf und ließ zwei grell strahlende Bälle aus purem Feuer in seinen Händen erscheinen. Sie leuchteten für den Moment heller als die heiße Wüstensonne selbst und zwangen Imera den Blick anzuwenden, um seine menschlichen Augen zu beschützen. Zeitgleich hielten auch die kämpfenden Soldaten von dem plötzlichen Licht erschrocken inne, ebenso wie die Thilianer. Zumindest die, die noch übrig waren. Und Choraly mit Tafaye ohnehin.

„Du mieses Stück Dreck, du verdienst dieses Leben nicht, ich werde dich töten und dafür sorgen, dass du niemals den Weg ins Himmelreich findest! Tenca iya varik ghaki chuj ta! Ma aj io ólkaivan zte wel!“

Er nahm aus und schleuderte die erste der beiden Kugeln mit voller Kraft auf die für einen Moment versteinerte Blonde, die er dabei nur um eine Haaresbreite verfehlte. Er hatte sich unterschätzt, sein Feuerball prallte erst ungefähr einhundertfünfzig Meter hinter der verhassten Cousine auf eine Düne, die darauf prompt explodierte und in einem Feuerregen auf alle herab regnete und beinahe die gesamte Mannschaft, die sich am Dorfrand befand, verbrannt hätte.

Ihr einziges Glück war, dass Mayora im letzten Augenblick geistesgegenwärtig reagierte, so schien es für alle, und knapp über den Köpfen der Leute kurzzeitig ein Dach aus einer schützenden Schicht Wasser erschuf, dass die verfluchten Sandbrocken erlöschen ließ.

Der Grünhaarige seinerseits wusste selbst nicht so genau, was er da getan hatte oder wie, bloß, dass er es gewesen war. Im ersten Moment unterdrückte er angesichts der angespannten Lage seine Verwunderung jedoch.

„Na warte, das war nur ein Test...“

Maigi starrte seine bleiche Cousine bösartig und völlig wahnsinnig an. Oh ja, er würde sie zerfetzen wie diese unschuldige Düne zuvor, ihre blutigen, brennenden Überreste würden ebenso auf die Leute herab regnen wie der nutzlose Wüstensand! Und er würde mit Genuss zusehen, genau!

„... und zu mir sagen, ich sei krank, du nimmst die arme Wüste ja auseinander!“, wagte Pinita da beinahe stimmlos, den Mund aufzutun, was den Jungen schlicht und ergreifend dazu veranlasste, seinen zweiten Versuch zu starten.

Und in dem Moment, in dem er den zweiten Arm hob, um auszunehmen, grinste sie jedoch plötzlich wieder kalt. Man konnte sie nicht aufhalten. Niemand konnte sie aufhalten. Jemanden aufzuhalten lag in ihrem eigenen Tätigkeitsbereich.

Und sie war verdammt geübt darin.

Noch ehe irgendeiner der an sich alarmierten Beistehenden etwas hätte tun können, griff sie an ihren Gürtel...
 

... und mit einem Schuss verschwand die direkte Gefahr und mit ihr alles Feuer.

Sie ließ ihre Pistole grinsend wieder sinken, als Maigi seine noch heißen Hände keuchend auf seine blutende Brust schlug und gleichzeitig schrie Choraly etwas entfernt schrill auf.

Das war nicht wahr! Warum hatte das jetzt sein müssen?!

Ohne wirklich auf die Soldaten zu achten, rannte sie, noch immer mit dem nun erschrocken schreienden Baby im Arm, zu der versteinerten Gruppe, dicht gefolgt von dem ebenfalls zutiefst schockierten Vater der Kleinen. Sie konnte nicht mehr warten, es ging nicht mehr....

„Was denn?“, fragte Pinita unterdessen amüsiert an die erstarrten Anderen gewandt, nebenbei zufrieden beobachtend, wie ihre Männer die Verwirrung ausnutzten und die Kämpfer aus dem Dorf nach und nach fertig machten.

„Habt ihr etwa ernsthaft erwartet, ich würde mich einfach zerfetzen lassen? Ich bitte euch, wer bin ich denn?!“

Chatgaia riss sich darauf als Erste wieder zusammen und eilte zu dem in sich zusammensinkenden Jungen.

„Wer du bist ist die falsche Frage, denke ich, du solltest dich eher nach dem „was“ erkundigen.“

Sie zwang sich, ihre eigene Schwäche und den Ekel vor der jungen Frau zu unterdrücken und half dem Jüngeren, sich flach auf den Rücken zu legen.

„Ich werde sterben...“, keuchte dieser darauf nur schwach, aber extrem panisch und erschauderte. Das Dorfoberhaupt senkte bloß nachdenklich die Brauen, als sie sein Oberteil zerriss, um an die Wunde zu gelangen und erschreckte sich leicht, als sich jemand schluchzend neben sie hockte.
 

„Du bist echt das Allerletzte, Pinita.“

Angesprochene schaute amüsiert von ihrem leidenden Cousin auf und erstarrte erst einmal, als vor ihr Tafaye stand.

Obwohl es sie erschreckte, ihn zu sehen, machte ihr Herz plötzlich unweigerlich einen kleinen Sprung, als er da war. Tafaye Alhatfa, der Mann, den sie über alles liebte.

„Du verstehst das falsch...“, wisperte sie mit einem Mal verlegen und kam ein paar Schritte auf den Älteren zu, es tatsächlich schaffend, niedlich zu schauen. Oh ja, sie war eine wahre Künstlerin.

Aber ihn umgarnen konnte sie nicht mehr, die Zeiten waren vorbei.

„Da gibt es nichts zu verstehen.“, machte er so nur kalt und sie hielt darauf unweigerlich wieder inne, leicht zusammenzuckend, „Ich weiß nicht genau, was du gesagt hast, um den Jungen so zum ausrasten zu bringen, ehrlich gesagt will ich es auch gar nicht so genau wissen, alles, was ich weiß, ist, dass er sicher nicht der Typ ist, der schnell am Rad dreht, sag mir jetzt nichts anderes, du Natter.

Und ich weiß, dass du ihn gerade hast töten wollen. Und damit hast du dich selbst getötet. Zumindest für mich. Ich will nie wieder etwas mit dir zu tun haben, halte dich von mir fern und wage dich nicht, meiner Tochter zu nah zu kommen, du bist mir zu gefährlich!“

Während Choraly mit ihrer freien Hand bitterlich weinend durch Maigis Haar streichelte und Chatgaia versuchte, seine Wunde irgendwie zu behandeln, fühlte sich Pinita nun tatsächlich, als würde sie sterben. Was sagte er da? Wie konnte er das nur sagen?!

„Tafaye, das kannst du nicht ernst meinen!“, schnappte sie mit zitternder Stimme und stellte entsetzt fest, dass ihr die Tränen kamen. Was sie nicht wusste, war, dass auch ihr früherer Freund damit nun stark zu kämpfen hatte.

„Ich liebe dich und Kirima, ich habe das nur getan, weil ich das Beste für euch wollte! Ich wollte eigentlich, dass man euch da rechtzeitig raus holt, aber da ist etwas schied gelaufen...“

Sie suchte mit dem Blick nach Karna, der aber irgendwie verschwunden war. Oh ja, genau, der war alles Schuld! Sie würde ihm die Haut dafür abziehen!

„Für uns?“, fragte der Schneider da spöttisch zurück und bemerkte gar nicht recht, dass Mayora, der zuvor noch kurzzeitig bei der aufgelösten Choraly gekniet hatte, jetzt neben ihm erschien, „Danke aber ich will keine Macht, die du erlangt hast, indem du über Leichen gegangen bist! Ich wollte mit dir in Thilia leben, friedlich, aber dir hat es scheinbar nicht ausgereicht, eine einfache Schneider-Gattin zu werden.“

Er lächelte bitter und sie begann schwerer zu atmen.

„Das ist dein gutes Recht, Pinita, jeder darf über sein Leben selbst entscheiden. Und ich akzeptiere deine Entscheidung. Also akzeptiere du meine auch und verschwinde aus meinem Leben!“

Einen Moment lang herrschte abgesehen von den ersterbenden Kampfgeräuschen eisige Stille, dann schrie die Blonde schrill auf.

„Verdammt, es war doch nur mein Cousin, er hat mich doch auch töten wollen! Ich habe das alles für dich und unsere Tochter getan, verstehe das doch, ich konnte doch nicht wissen, dass du das nicht willst!“

Ihr kamen dir Tränen und als er ihr kaltherzig vor die Füße spuckte, hätte sie sich der Schwäche am liebsten hingegeben und sich einfach zu Boden sinken lassen. Was sie dann doch auf den Beinen hielt, wusste sie selbst nicht so genau.

„Du hättest mit mir darüber reden können! Und bitte, NUR dein Cousin?! NUR? Ich weiß ja nicht, ob ich es bin, der hier abnormal ist, aber als ich vor nicht all zu langer Zeit gesehen habe, wie mein Onkel meine tote Cousine aus dem Dorf getragen hat, habe ich um sie geweint!“

Mayora blinzelte schwach zu dem Älteren. Katico war tot? Wie schrecklich, das tat ihm Leid...

Noch ein Grund mehr, jetzt zu unterbrechen.

„Hör mal, Pinita Ferras, ich denke, du hörst jetzt auf. Sobald diese Leute aus der großen Stadt endlich einmal den Weg nach hier gefunden haben, ist es so wie so vorbei für dich, du hast alles verloren, ergebe dich lieber.“

Er meinte jedes einzelne Wort todernst. Wenn sie tatsächlich so intelligent war, wie sie die ganze Zeit tat, würde sie erkennen, dass ihre Zeit nun gekommen war.

Das würde sich zeigen.
 

Sie drehte ihren Kopf wie mechanisch zu ihm und musterte ihn eine Zeit lang. In diesem Augenblick hatte der Magier das Gefühl, es mit einer Toten zu tun zu haben, denn er sah in ihren blauen Augen keinen Glanz mehr, keine Seele.

„Du hast Recht, ich habe alles verloren.“, bestätigte sie ihn dann in einer seltsamen Tonlage, „Und gerade deshalb werde ich weitermachen, bis zu Schluss, ich habe ja nichts mehr, was ich verlieren könnte. Und bevor du auf dumme Ideen kommst...“

Er senkte seine Brauen prüfend, hatte jedoch keine Ahnung, was sie wollte. Dabei war es an sich offensichtlich, eine Menschenfrau hatte nicht besonders viele Möglichkeiten. Aber sie war so unsagbar schnell...

... und ebenso wie dem kleinen Maigi sollte auch ihm das mehr oder minder zum Verhängnis werden.

Er spürte mit dem kauten Knall die Blicke aller auf sich, hörte Choraly im Augenblick darauf wieder grell aufschreien und merkte, wie Tafaye vor Schreck glatt ausrutschte und auf dem Hintern landete. Und im Augenblick darauf hätte er sich für seine Dummheit am liebsten selbst verflucht, als er den Schmerz in seiner Schulter aufflammen spürte und er sich unwillkürlich sofort zu Boden sinken ließ.

„Chatgaia, mach doch etwas!“, forderte seine Freundin im selben Moment noch und die Angesprochene schnaubte überfordert.

„Ich muss zuerst Maigi fertig machen, sonst stirbt der uns auf der Stelle weg, so Leid es mir tut!“

Sie tat ja ihr bestes, aber diese verdammten Schussverletzungen waren übel kompliziert, das ging nicht so schnell, besonders, wenn die Kugel so genau ihr Ziel getroffen hatte wie bei dem zierlichen Feuermagier, der schwach atmend da lag.

„Aber... nicht, dass Mayorachen auch stirbt!“, weinte das Stadtmädchen darauf unterdessen bitterlich weiter und während die Grünhaarige vollstes Verständnis für ihr Verhalten hatte, sah Pinita es als reinste Einladung.

Sie richtete ihre Waffe unmenschlich grinsend auf das jüngere Mädchen, völlig ignorierend, dass sie gerade ihre eigene kleine Tochter in den Armen hielt, die zudem über die Schulter ihrer Beschützerin lugte und ihre Mutter mit ihren klaren blauen Augen genau anschaute.

Es war ihr einfach egal.

„Und du nervst auch.“

Mit diesen Worten wollte sie ein weiteres Mal abdrücken.
 

Aber sie tat es nicht. Stattdessen fiel ihr die Pistole aus der Hand, während sie stimmlos aufschrie, nach Luft schnappte und anschließend geschockt an sich hinab sah und entdeckte, dass aus ihrem Bauch die Spitze eines Kurzschwertes ragte. Gleichzeitig spürte sie einen unangenehmen heißen Atem in ihrem Nacken, der sie sofort erschaudern ließ.

„Du tötest deine Familie. Du tötest nicht auch noch das, was von meiner übrig ist.“

Und damit wurde die Klinge mit enormen Kraftaufwand, aber darauf auch entsprechender Wirkung nach oben gezogen und erst als sie an ihrem Brustbein stoppen musste, schaffte die blonde Frau es, richtig zu schreien.

Es war ein absolut erbärmlicher und markerschütternder Schrei, auf den Tafaye das Bewusstsein verlor und wieder lagen alle Blicke auf der kleinen Gruppe etwas außerhalb. Selbst Maigi öffnete mit flackernden Lidern seine Augen kurz wieder.

„Ja...“, machte er leise, „Genau das verdienst du... nein, noch schlimmeres... aber... immerhin...“
 

Als man die Waffe aus ihr zurück zog, legte die Person hinter ihr einen Arm um sie, damit sie nicht zu Boden gehen konnte, einzig aus dem Grund, damit sie noch -zig Male auf sie einstechen konnte.

Und während ihr Körper zerlöchert wurde wie ein Sieb, war das Einzige, was sie verschwommen vor sich sah, Mayora, dessen Augen komplett rot leuchteten, bösartig und respekteinflößend.

„Einen Gott kannst du nicht töten, törichte Göre.“

Mehr hörte sie nicht mehr.
 


 


 

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So, das war dann quasi der Höhepunkt der... Geschichte *hust*. Den eh niemand mehr liest. Egal.

Thilias Sonne

Als Maigi erwachte, war es um ihn herum angenehm kühl. Er lag auf etwas weichem... und es war recht dunkel, dort, wo er sich befand. Zumindest zu Beginn, nach einigen Malen blinzeln kam es ihm plötzlich nur noch dämmrig vor. Er war in einem seltsamen Raum, an manchen Stellen blinkten Lichter und irgendwo brummte etwas leise.

Nach einem gescheiterten Versuch, sich aufzusetzen, registrierte er eine Bewegung. Irgendwo hier musste noch jemand sein.

„Aufgewacht?“, hörte er da auch schon eine fremde Stimme und erkannte über sich plötzlich eine junge Frau in Uniform. Einen Moment lang hielt er sie mit dem kurzen blonden Haar für seine Cousine Pinita, dann erkannte er an ihrem leichten Lächeln, dass sie es sicher nicht sein konnte.

„Du bist der Junge, der zu uns gefunkt hat, nicht?“

Moment, eine Frau aus Noboka? Ach ja, richtig. Er schaffte es zu seinem Bedauern jedoch nicht, zu nicken. Er hatte Schmerzen...

„Nicht bewegen.“, mahnte ihn auch die Dame und setzt sich irgendwie neben ihn, „Keine Sorge, du musst dich schonen, dann wird das wieder alles gut. Wir sind gerade hier angekommen, eine erstaunliche Frau mit grünem Haar hat uns gebeten, dich irgendwohin zu bringen, wo du dich erholen kannst. Du wurdest angeschossen.“

Richtig, er erinnerte sich. Seine Cousine hatte ihn töten wollen und er war fest davon überzeugt gewesen, dass ihr das auch gelingen würde. Er hatte gemerkt, wie die Götter mit langen Armen nach ihm gegriffen hatten, die Worte gehört, die ihn zum Loslassen aufgefordert hatten. Aber er hatte es nicht getan. Er war noch jung, er hatte noch zu viel zu tun in der Welt. Und bald würde er ein Baby haben... hoffte er zumindest. Aber Zeit darüber nachzudenken war später.

Er keuchte.

„Ich... bin im... Inneren einer Flugmaschine, nicht?“

Mit jedem Wort zog sich etwas in seiner Brust schmerzhaft zusammen und wollte verhindern, dass er sprach, so bat er seine Götter, ihn kurzzeitig von seinem Schmerz zu befreien. Ja, er ließ es wieder zu, dass er zu den Feuerkindern gehörte. Und er war stolz darauf. Und das bekam er gedankt.

Als die Frau nickte und er spürte, wie sich die Region um seine Verletzung etwas entspannte, sprach er weiter. Er hatte schließlich nicht mehr viel mitbekommen, ehe er sein Bewusstsein verloren hatte...

„Pinita Ferras ist tot, nicht? Was ist noch geschehen,? Was ist mit Mayora, geht es ihm gut? Ich meine, er wurde auch angeschossen, nicht?“

An sich lag Maigi nicht viel an dem grünhaarigen Wassermagier, aber zum einen wäre es für Choraly, die er sehr mochte, sehr schlimm, wenn ihm etwas ernsthaftes zustieße und zum anderen wollte er diesen seltsamen Typen noch unbedingt danach fragen, was mit ihm los war. Er hatte eine sehr seltsame Aura gehabt in dem Moment, in dem der Jüngere ohnmächtig geworden war...

Die angesprochene Dame blinzelte einen Moment überfragt.

„Du meine Güte, dass du in deiner Verfassung so viel fragen kannst!“, sie wunderte sich und spielte an ihrem Kragen herum, während sie nachdachte. Erst jetzt fielen dem Jungen die Unterschiede zwischen der nobokaer und der mondanischen Uniform auf.

„Nun ja.“, machte die Ältere da weiter, „Bei Frau Ferras handelt es sich wohl um diese geschlachtete Frau, nicht? Die ist definitiv tot, ja. Und... wie sagtest du? Mayora? Nun, der Name sagt mir nichts, aber ich kann dich beruhigen, du bist der Einzige mit Schussverletzung.“

Aus einer Ecke ertönte ein lautes Piepen, das wohl von einem Funkgerät stammen musste. Die Frau erhob sich lächelnd.

„Entschuldige mich kurz.“

Maigi schaute ihr nur kommentarlos verwirrt nach. Wie, der Einzige mit Schussverletzung?! Mayora war angeschossen worden, mit Sicherheit! Oder wurde er jetzt verrückt?

Nach allem, was er in den letzten 48 Stunden hatte erfahren müssen, wäre das wohl kein Wunder...

Dennoch, er war sich beinahe sicher, Pinita hatte nach ihm geschossen und Mayora war zusammengebrochen, das konnte doch nicht sein! Scheinbar musste er ihn danach ebenfalls selbst fragen...
 

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„Fräulein Magafi, wir entschuldigen uns demütigst, Sie so lange diesen erniedrigenden Zuständen ausgesetzt zu haben! Wir schwören aber, alles menschenmögliche getan zu haben, um Sie zu finden!“

Angesichts dem halben Dutzend uniformierter Männern, das sich vor ihr in den Sand warf, wurde es Choraly mit einem Mal unheimlich flau im Magen. Die kamen aus ihrer Heimatstadt. Und wollten sie natürlich mitnehmen.

Was sollte sie ihnen sagen?

„Na... also war jetzt nicht wirklich ein Problem.“

Sie lächelte wohlwollend, verschluckte sich aber, als sie die empörten Blicke der Herren sah.

Himmel, ja, sie hatte die gehobene Sprache verlernt. Aber was sollte sie jetzt auch lügen? Der Anfang war zwar sehr hart gewesen, aber sie hatte hier ihren Mann gefunden!

Was sich jetzt als ziemliches Problem herausstellte.

„Nun ja.“, zunächst einmal sah sie sich angesichts der geschockten Blicke gezwungen, ihre leichte Antwort zu erläutern, „Natürlich waren die ersten Wochen sehr schwer für mich und die Umstellung hart, aber ich habe hier sehr nette Leute kennen lernen dürfen, die sich gut um mich gesorgt haben. Das hat die Zeit hier durchaus erträglich gemacht.“

So, das passte eher, wie sich auch an den wieder entspannteren Mienen erkannte. Glück gehabt. Aber vor ihrem Vater würde sie sich sicher nicht verstellen.

Ob er wohl überhaupt noch mit ihr klar kommen würde? Sie kam sich vor, wie ein anderer Mensch...

„Das ist äußerst erfreulich.“, erwiderte da ein anderer Mann, der nun ebenfalls dazu kam. Die Uniform ließ seinen höheren Rang erahnen.

„Aber ich denke, es ist dennoch sehr erfreulich für die junge Dame, wieder zurück nach Hause zu kehren, nicht?“

Sie vermochte nicht, ehrlich zu antworten. Natürlich, sie wollte zu ihrem Vater, den sie monatelang hatte vermissen müssen, aber was war mit ihrem Freund?

Sie schielte zu ihm, während er sich ein paar Meter entfernt mit seinem Bruder unterhielt. Mehr oder weniger.
 

Imera stand unter Schock. Er war es gewesen, der Pinita getötet hatte. Und ein paar Soldaten auch, aber bei der blonden Frau war es anders gewesen. Er hatte sie regelrecht zerfetzt in seiner blinden Wut, die mit einem Mal in ihm aufgekommen war. Und nun bereute er es zutiefst.

„Was mache ich jetzt nur?“, wollte er immer und immer wieder wissen, raufte sich die braunen Haare und merkte gar nicht, dass der Stein, auf dem er saß, an sich kochend heiß war und ihm eigentlich den Hintern verbrannte.

Mayora stand seufzend bei ihm. Idiot hin oder her, das war eine Ausnahme. Er wusste schließlich, wie sich das gerade anfühlte...

„Gar nichts...“, erwiderte er leise, „Du hast der Welt einen Gefallen getan, niemand nimmt es dir übel.“

Der Ältere keuchte.

„Tafaye! Und seine kleine Tochter! Hast du ihn dir einmal angesehen? Er... er ist am Ende! Das ist alles meine Schuld, Missgeburt!“

Er sah starr den staubigen Boden vor seinen Füßen an. Jeder Blick in ein Gesicht schmerzte ihn. Er fühlte sich dreckig und völlig abartig, wie hatte er bloß so etwas tun können? Er hatte sie zerfleischt!

„Tafaye ist so fertig, weil seine Freundin ohne, dass er es wusste, die ganze Zeit so ein Monster war. Das ist ja wohl erschreckend. Ich glaube nicht, dass er dir den Mord übel nimmt.“

Dem kleinen Bruder war bewusst, dass seine Worte wohl nichts erreichen würden, aber irgendetwas musste er doch tun, nicht?

Eigentlich lachhaft, er konnte diesen Kerl noch nicht einmal leiden und das beruhte auf Gegenseitigkeit, aber es war nun einmal in dem ganzen Chaos gerade kein anderer da, der sich um die labile Psyche des schlimmen, vollkommen bösen Mörders kümmern konnte. Ach herrje.

Zugegebener Maßen kam es ihm aber ganz Recht, dann musste er nicht so viel über sich selbst nachdenken. Sein fremdes Ich. Kurzzeitig hatte er sogar befürchtet, dass er das, was ihn eigentlich ausgemacht hatte, dieses missgeburtige eben, völlig verloren hatte, aber wenn er tief in sich hinein hörte, wusste er nun, dass das nicht so wahr. Also gab es doch kein Problem... oder?

Doch, seine Tante. Früher hätte er es niemals geschafft, lange wütend auf sie zu sein, jetzt hasste er sie abgrundtief. Nein, er verabscheute sie. Er wollte sie tot sehen. Allein aus Liebe zu seiner Prinzessin hielt er sich zurück. Wenn es sie nicht gäbe, hätte es das Dorfoberhaupt längst hinter sich.

Nein, er würde dieser Hexe niemals verzeihen. Und er würde nie wieder etwas für sie tun.

„Ich fühle mich aber trotzdem furchtbar...“

Er seufzte, dann klopfte er dem Älteren auf die Schulter. Tat ihm zwar Leid, aber er musste mit seiner Freundin sprechen.

„Unsinn. Entschuldige mich.“

Choraly hatte noch eine Entscheidung zu treffen. Diese Leute wollten sie schließlich mit Sicherheit mitnehmen. So ignorierte er einfach den empörten Blick seines Zwillings in seinem Rücken und die etwas feindseligen Blicke der nobokaer Soldaten, als er bei seiner Prinzessin ankam gekonnt und forderte sie zu einem 4-Augen-Gespräch auf.
 

Imera seinerseits war noch immer verzweifelt. Prinzipiell hatte sein kleiner Bruder ja Recht, aber dennoch, was war in ihn gefahren? Es war weniger, unter welchen Umständen es geschehen war, sondern eher die Tatsache, dass er zu einer solch grausamen Bluttat überhaupt in der Lage war. Und dabei hatte er gedacht, er sei kein schlechter Mensch... oder es sich zumindest einzureden versucht. Und immer wieder flimmerten diese Bilder vor seinem inneren Auge wieder. Der Moment, in dem sein Denken ausgesetzt hatte, als er sich einfach auf sie gestürzt hatte. Als er plötzlich nur noch wollte, dass sie Schmerzen hatte. Seine schreiende Mutter... seine zusammenbrechende Schwester... Taranii...

Mayora.

Er keuchte und schlug sich eine Hand vor den Mund, als eine ungeahnt heftige Übelkeit ohne Vorwarnung in ihm aufstieg. Er wollte, dass es aufhörte. Er hasste es. Er wollte am liebsten sterben.

„Imera...“

Als jemand ihm seine Hand auf die Schulter legte, sah er geschockt auf. Dabei wusste er noch nicht einmal so genau, was ihn schockte... aber er ahnte es.

Vor ihm stand Vembaci Kaera, selbst leicht angeschlagen, aber weitgehend in Ordnung. Der Blick aus seinen violetten Augen ließ den Jüngeren unwillkürlich erschaudern.

Überall sah er Gespenster...

„Hör mal.“, begann der Mann da, „So wie du da sitzt geht es dir ziemlich dreckig, nicht? Lass mich raten, du hast dich über dich selbst erschreckt, nicht?“

Er erwiderte nichts, errötete nur ertappt. Der Schwarzhaarige lächelte darauf bitter.

„Ich... ich habe mit meinem Sohn oft darüber gesprochen, Imera. Er hat, vor allem für seine Schwester, oft Dinge getan, die er sich selbst niemals zugetraut hätte, nicht einmal im Ansatz. Und die er von selbst niemals getan hätte. Aber er hat sie getan, weil er sich vor den Konsequenzen gefürchtet hat. Verstehst du, worauf ich hinaus möchte?“

Fast hätte er damit gerechnet, dass der Junge den Kopf schüttelte. Er war eben nicht besonders intelligent. Und wollte vermutlich auch gar nicht so genau darüber nachdenken. Er konnte es ihm nicht übel nehmen.

„Kinai hat sich davor gefürchtet, von seiner Schwester be- ... er wollte sie nicht enttäuschen, davor hatte er Angst. Und wenn du in dich hinein hörst, weißt du, dass auch deine Reaktion das Resultat aus Furcht und Wut war.“

In sich hinein hören? Darin war er nie gut gewesen. Genau so wenig, wie er darin gut war, seine Gefühle zu verstecken, anders als sein Zwilling, war er ein sehr direkter Mensch. Er war überhaupt ein Mensch und kein Magier. Oder gar noch mehr.

„Da waren viele Leute, die dir etwas bedeutet haben in den Nähe, Imera, du hast um ihre Leben gefürchtet. Und du warst wütend, weil Mayora bereits verletzt wurde. Und durch die Ungerechtigkeit, die Maigi widerfahren ist. So ist es doch, nicht?“

Vembaci Kaera erhielt keine Reaktion. Das brauchte er auch nicht.

„Führe dir das vor Augen. Dir wird niemand helfen können, wenn du das nicht tust. Du hast Recht getan und ich hoffe, in ein paar Jahren denkst du mit Stolz an diesen Tag zurück.“
 

--
 

„Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, dass wir zum letzten Mal normal miteinander gesprochen haben.“

Choraly strich sich seufzend eine Strähne aus dem Gesicht, als sie im Schatten einer Flugmaschine vor ihrem Freund stand.

Anders als zunächst gedacht war nicht die Wüste, sondern die Ortung der mondanischen Soldaten das Problem gewesen. Der leitende Offizier hatte verlegen angemerkt, dass sie zunächst einmal minutenlang reichlich verwirrt durch die Ruinen Morikas geirrt waren, bis ihnen aufgefallen war, dass sie da irgendwie falsch sein mussten.

War letzten Endes aber auch egal, sie waren angekommen und hatten die übrigen, von Pinita aufgestachelten Soldaten erfolgreich und ohne große Mühen festgenommen. Es waren nicht mehr viele übrig geblieben, die Meisten waren bereits im Kampf gegen die Thilianer umgekommen und noch mehr hatten sich nach dem ersten Angriff auf das Dorf in die nächstbeste Flugmaschine gesetzt und waren klammheimlich in die Heimat geflüchtet. Es hatte nicht lange gedauert, bis sich herum gesprochen hatte, dass ihr Einsatz nichts mehr mit dem ursprünglichen Projekt zu tun gehabt hatte und so hatten es die Meisten so gar nicht einsehen wollen, sich für die Launen der blonden Unteroffizieren müde zu machen. Recht so, die hatten es jetzt bedeutend leichter als diese Hand voll Idioten, die so loyal gewesen waren, da zu bleiben.

Aber das war jetzt egal, es ging sie nichts mehr an. Sie hatte anderes vor sich.

„Nun ja, so kommt es mir auch vor, du hast Recht.“, erwiderte ihr Freund da und griff beiläufig nach ihren Händen, nahm sie in seine und streichelte sie etwas, „Ich nehme an, ohne Vorwarnung wäre es nicht vorteilhaft, wenn ich dich jetzt küssen und in den Arm nehmen würde, nicht? Auch wenn ich das jetzt sehr gern täte.“

Sie nickte. Ja, diese Idioten. Verdammt, dabei war die Sehnsucht nach Berührung gerade so groß...

„Du wolltest mit mir reden.“, fiel ihr da wieder ein. Das war im übrigen sehr praktisch, sie musste schließlich ebenfalls noch viel mit ihm klären. Aber zuerst er.

„Nun ja, es ging um folgendes...“, er blinzelte sich etwas Sand aus den Augen, „Verzeihung – also deine Leute sind ja jetzt hier und ich bin mir sicher, du möchtest gerne mit ihnen gehen, weil du deinen Vater vermisst hast, nicht?“

Als sie nach kurzem Zögern leicht nickte, verfestigte sich sein Griff um ihre zierlichen Hände unmerklich.

„Ich weiß nicht, in wie fern das möglich ist, aber ich würde gerne mit dir kommen. Wenn es für diese Leute da in Ordnung geht. Ich liebe dich und hier hält mich nichts mehr. Ich habe für diese Leute hier mehr als genug getan, oder?“

Das war wohl war und dennoch verblüffte das Mädchen sein Vorschlag. Zum Positiven, denn so wäre es natürlich ideal... oder eben die bestmögliche Lösung, denn an das, was noch an Überzeugungsarbeiten auf sie zukam wollte sie gar nicht denken...

„Nun, meinetwegen, aber bist du dir auch völlig sicher? Das ist ein gewaltiger Schritt, Mayora...“

Der Junge verengte die hübschen roten Augen minimal, dann seufzte er leise.

„Eine Alternative gibt es ohnehin nicht.“

Ihm fiel zumindest nichts besseres mehr ein. Und ihn hielt wirklich nichts mehr in diesem verfluchten Kaff. Imera hatte doch Recht, alle sprachen schlecht über einen, wenn man ihnen auch nur ein einziges Mal den Rücken kehrte...

„Na ja, doch, sicherlich.“, widersprach sein Gegenüber ihm da überrascht, „Ich könnte ja vorerst allein mitgehen, ein paar Wochen bei meinem Papa bleiben und dann wieder zurückkehren? Dürfte doch kein Problem sein, euer Dorf ist der Außenwelt nun ohnehin bekannt. Außerdem...“

Er unterbrach sie zischend.

„Halte mich nicht für dumm, Choraly Magafi! Uns beiden dürfte dann ja wohl klar sein, dass...“

Der junge Mann wollte nicht weiter sprechen. Das klang so, als würde er ihr nicht vertrauen. Dabei war sie doch seine Prinzessin und er vertraute ihr mehr als allen anderen Leuten auf der Welt. Nicht, dass er alle kannte, aber so prinzipiell...

„Sprich den Satz zu Ende, Mann!“, verlangte das hübsche Mädchen da trotzig, erinnerte aber nicht ansatzweise an ihre Anfangszeit in der Wüste, „Was ist uns beiden angeblich klar?“

Sie war vollkommen rein. Und dennoch, sie würde nichts dagegen tun können.

„Ich denke, du würdest nicht mehr zurückkehren, Prinzessin. Dieses Risiko kann und will ich beim besten Willen nicht eingehen, ich brauche dich.“
 

Sie zog ihre Hände aus seinen. Was traute der ihr bitte zu? Das war demütigend!

„Na danke auch, jetzt weiß ich es ja.“

Niemals würde sie nicht zu ihrem Wort stehen, nie im Leben! Sie liebte diese verdammte Missgeburt und daran hielt sie fest. Sie war eine Magafi, verdammt!

„Natürlich nicht, es ist nicht so, wie es im ersten Moment für dich klingen mag, meine Liebste!“

Sein schuldbewusster Hundeblick erweichte sie nun auch nicht, da hatte er Pech.

„Aber denkst du, dein Vater lässt dich zu einem wie mir zurückkehren? Zu einem Himmelsblüter? Einer Blutschande?! Tut mir Leid, aber wenn ich so daran denke, wie du warst, als du hier gelandet bist, dann habe ich einfach gewisse Vorurteile gegenüber diesem Mann. Ich halte es wirklich für besser, wenn ich mich ihm vorstellen und er sich selbst ein Bild von mir machen kann. Bitte, versteh mich nicht falsch, ich liebe dich doch.“

Ihm war klar, dass sie wusste, dass er Recht hatte. Nicht, dass er irgendetwas schlechtes über Herrn Magafi dachte, gewiss nicht, aber ihm war durchaus bewusst, was wohl seine ersten Gedanken sein würden, wenn er von dem Mann erfuhr, der seine einzige Tochter im zarten Alter von 16 Jahren geschwängert hatte. Und dass er nichts dafür konnte. Genau wie Choraly war er schließlich in einer Gesellschaft aufgewachsen, die seine Rasse als äußerst suspekt wahrnahm, wenn man es dezent ausdrücken wollte, er konnte nichts dafür. Und genauso wie sein Mädchen war er sicherlich auch zur Vernunft zu bringen. Hoffte der Junge zumindest.

„Aber...“, wisperte seine hübsche Freundin da, „Mir soll es ja Recht sein, nur... was wird aus Chatgaia? Ich meine... wir können sie doch nicht allein lassen... so verletzt in diesem Chaos... oder?“

Als sie zu ihm aufsah, hatte sich sein Blick schlagartig verfinstert.

Nein, sie konnte einfach nicht verstehen, weshalb er diese Frau mit einem Mal so verabscheute. War das Fass jetzt tatsächlich dadurch übergelaufen? Irgendwie schmerzte der Gedanken sie.

„Sie ist mir egal, Prinzessin. Von mir aus kann sie hier verrotten, ist mir gleich. Die Frau ist für mich gestorben, in meiner Welt existiert sie überhaupt nicht mehr.“

Zu viel hatte sie ihm über die Jahre angetan, als dass er ihr das verzeihen könnte, das würde er niemals tun. Nein, jahrelang hatte sie ihn ausgenutzt, er wollte nicht mehr. Und damals hatte er blind vor Liebe gar nicht bemerkt, wie ihm geschah, was man mit ihm gemacht hatte. Heute hatte er die Augen endlich geöffnet. Nach so langer Zeit. Nein, er war kein dummes Kind mehr. Er war nun selbst ein Mann und würde bald Vater werden, das musste er sich nicht mehr bieten lassen.

„Aber mir ist sie nicht egal, Missgeburt!“

Choraly verstand ihn ja, aber... nein, das war nicht gut, irgendetwas zog sich bei dem Gedanken daran, das Dorfoberhaupt einfach so zurück zu lassen schmerzhaft in ihr zusammen. Sie hatte beinahe das Gefühl, als würde sie der grünhaarigen Frau die Familie ausspannen...

„Sie hat sicherlich Fehler gemacht... viele Fehler, sowohl mit dir, als auch was ihre Art zu regieren angeht. Sie hat den Befehl gegeben, Jiro umzubringen... Jiro, der mich seiner Zeit gerettet hatte und sein Leben wenn man es genau nimmt für mich gegeben hat...“

Die junge Frau dachte schwermütig an den Jungen, dem sie an sich so viel zu verdanken hatte, zurück. Es kam ihr vor, als sei es Jahrtausende her, dass sie an jenem verheißungsvollen Tag bei ihm in der Küche gesessen und er ihr das Angebot gemacht hatte, das ihn sein Leben hatte kosten sollen. Und sie merkte mit einem Mal, wie die Erinnerungen an ihn verblasst waren, fast so sehr wie die an ihre eigene Mutter oder Atti.

Es war vorbei. Die Welt drehte sich zu schnell weiter, als dass man den Verlorenen lange hinterher sehen konnte.

„Letztendlich gehört das, was sie getan hat, so hart es auch klingt, einfach zur Politik. Ich heiße es keinesfalls gut... aber ich kenne diese Fehler aus erster Hand, vertrau mir. Willst du ihr nicht noch eine Chance geben? Ich meine... es ist nicht gut, im Streit auseinander zu gehen... du weißt schließlich nicht, ob du sie noch einmal wiedersehen wirst, so hart es klingt, und dann tut es dir sicher Leid.“

Das musste ihm klar sein. Alles war vergänglich. Auch Leben. Viel zu schnell...

„Du verstehst mich nicht.“, machte er nur eisig, völlig unpassend zur unbarmherzig scheinenden Sonne, „Chatgaia Setari gibt es für mich nicht mehr. Mir ist völlig gleich, ob sie hier im Dorf vor sich hinvegetiert oder in der großen Stadt sitzt und einen Kräutergarten pflegt, es gibt sie für mich nicht mehr.“

So einfach war das. Ihm war es recht gleich, was seine Freundin von seiner Tante dachte, wenn sie sie mochte, freute ihn das für sie, aber sie sollte ihn gefälligste damit in Frieden lassen, das war doch echt penetrant.

Ein leichter Windhauch wehte ihm abermals Sand in die Augen und wieder musste er empört blinzeln. Was sollte das denn? Also echt!

„Na schön.“, schnaubte Choraly im selben Moment, „Mir ist sie nicht völlig gleich und ich schaue jetzt erst einmal nach ihr, ehe ich diesen Idioten eröffne, dass du mit mir mitkommen wirst!Schließlich verschwinden nicht bei allen Leuten die Wunden ohne Grund mit einem Schlag.“
 

--
 

„Und Sie... entschuldigen Sie, wenn Sie meine ganze Fragerei als unverschämt empfinden, aber Sie können echt... zaubern? So richtig?! Mein Vater hat immer gesagt, es sei nur ein Märchen, dass es Leute wie Sie gibt, meine Oma hingegen war der Meinung, sie hätte sogar welche von Ihrer Sorte gekannt...“

Chatgaia dachte ihrerseits im Moment recht wenig an ihren Neffen, viel mehr war sie damit beschäftigt, den strohblonden, noch sehr sehr jungen Mann zu belächeln, der so freundlich war, ihren Arm richtig zu schienen. Er war ziemlich nervös in ihrer Gegenwart, wie es schien. Wie niedlich.

Nun, sie verstand ihn, denn besonders viel anders ging es ihr nicht, wenn sie sich in dem komischen Innenraum der Flugmaschine umsah. Das hatte sie im Leben ja noch nie gesehen...

Dank der seltsamen Tablette, die man ihr vor ein paar Minuten gegeben hatte, waren auch ihre Kopfschmerzen etwas abgeklungen und so war sie endlich wieder in der Lage, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Was ihr prompt neue Kopfschmerzen einbrachte. Verdammt, ihr schönes Dorf...

Bis zum Oaseninneren war aber keiner von diesem Abschaum mehr gekommen, alle, die den ersten Angriff weitgehend unbeschadet überstanden hatten, waren noch am leben. Das war die Hauptsache.

Allein wenn sie an die ganzen kleinen Kinder dachte....

Ihr fiel etwas ein.

„Ja, ich kann zaubern, wenn du magst, zeige ich es dir nachher, aber zunächst würde mich interessieren, wo ihr Tafaye und Kirima hingebracht habt? Also der junge Mann mit dem weißblonden Haar und das Baby.“

Sie erinnerte sich daran, dass er ohnmächtig gewesen war und Choraly das kleine Mädchen in den Armen gehalten hatte, direkt darauf waren die Leute aus der großen Stadt angekommen und sie hatte irgendeine Frau gebeten, sich um Maigi zu kümmern, als die Schwärze sie selbst überkommen hatte. Als sie erwacht war, hatte sie sich in den Händen des netten Kerls hier befunden. Der im übrigen jetzt etwas überfragt schien.

„Nun, ich habe die Flugmaschine noch nicht verlassen, man sagte mir, es sei zu gefährlich, ich sei noch zu jung. Wenn er verletzt war hat man ihn sicher auch in irgendeine Flugmaschine gebracht und das Baby... tja, tut mir Leid, da kann ich Ihnen nicht helfen. Aber ich bin mir sicher, es ist alles in Ordnung. Wenn Sie...“

Er wurde durch ein zaghaftes Pochen an der stählernen Außentür der Flugmaschine unterbrochen. Nanu? Dabei war er doch sicher gewesen, dass die Dame hier ihre Ruhe hatte...

So wollte er es zunächst ignorieren, nach einem weiteren Klopfen entschloss er sich dann etwas irritiert, doch zu öffnen. Sollte er an sich nicht, aber wenn es wichtig war...
 

Er erkannte die Person, die darauf vor ihm stand, sofort. Er hatte sie noch nie zuvor getroffen, aber er kannte sie von hunderten Lichtbildern und es irritierte ihn etwas, sie einmal ohne die Aufschrift „Findet meine Tochter!“ über ihrem Kopf zu sehen. Durfte er jetzt zu Uda Magafi rennen und laut „Gefunden!“ schreien?

Nun ja, zuerst einmal höflich sein.

„Guten Tag, Fräulein Magafi. Wie kann ich Ihnen helfen?“

Er verneigte sich leicht und das Mädchen erwiderte die Begrüßung lächelnd.

„Guten Tag. Ich suche Chatgaia Setari, ich glaube, sie ist hier, nicht?“

Der Mann blinzelte. Wer hatte ihr das gesagt? Verletzte brauchten doch Ruhe! Lag vielleicht daran, dass sie so reich war oder so...

„Hat mir niemand gesagt, ich gehe einfach davon aus.“, sprach sie da weiter und drängte sich an dem darauf hüstelnden Typen vorbei in den Innenraum.

Sie war sensibel, noch immer. Und unbemerkt von allen um sie herum hatte sie eben diese Sensibilität gezähmt, sie steuern und für sich benutzen gelernt. Und kam sich ziemlich gut dabei vor, aber das musste ja niemand wissen.

Für sie zählte nun bloß, dass sie Chatgaia gefunden hatte. Sie saß auf einem Untersuchungstisch und schaute nun überrascht zu ihr herüber. Und vor allen Dingen, sie schien mit einem Mal wesentlich gesünder und stärker, das war beruhigend.

Sie musste lächeln.

„Hallo Mama.“, der seltsame blonde Typ schnappte irritiert nach Luft, „Dir scheint es besser zu gehen, das freut mich sehr. Ich war besorgt, muss ich sagen. Und ich will mich noch mit dir unterhalten.“

Angesichts des hohen Ranges, den das Mädchen mit einem Mal wieder hatte, besaß es die Unverschämtheit, sich einfach auf eine kleine Kiste vor den Tisch zu setzen und den Kerl ignorierend eine Unterhaltung mit der Magierin zu starten. Das musste jetzt sein, wenn es diesen Wurm störte, sollte er eben verschwinden.

Chatgaia schien ihrer Meinung zu sein, denn sie störte sich ebenfalls nicht an dem dumm schauenden Kerl.

„Ja, es geht mir wirklich wieder besser. Gut, dass du da bist.“, sie grinste etwas verlegen, „Du... weißt, wie du mich glücklich machst, freches Ding.“

Ja, das wusste sie wirklich. Und jedes Mal wenn sie daran dachte, wie Mayora momentan von seiner Tante sprach, hatte sie das Bedürfnis, das auch zu tun. Wie auch immer.

„Nun ja, ich will nicht lange um den heißen Brei herum reden, vorweg, Maigi konnte man noch helfen, man sagte, du hättest gute Vorarbeit geleistet. Wie dem auch sei, ich habe vorhin mit Mayorachen geredet...“

Sie wurde unterbrochen.

„Was wurde aus seiner Verletzung?“

Das war eine berechtigte Frage. Und obwohl sie die meiste Zeit bei ihm gewesen war, konnte sie sie beim besten Willen nicht beantworten.

„Ich... habe genau so gesehen wie du, dass er von dieser Kugel getroffen wurde... und... sein Hemd ist verblutet und hat ein Loch... aber hinter diesem Loch... ist nichts, nichts besonderes. Einfach nur seine Haut, keine Schramme hat er da! Ich verstehe es nicht, die Verletzungen, die ihm die Soldaten zugefügt haben, hat er doch auch noch...“

Es ergab keinen Sinn, es verängstigte sie einfach. In dem Moment, als er getroffen worden war, hatte sich seine Aura beunruhigend verändert... sie war unruhig geworden...

Die Grünhaarige war zu ihrer Verwunderung nicht wirklich überrascht.

„Hör mir zu, ich will dir etwas über deinen Freund sagen.“, begann sie bloß ernst, „Mayora ist etwas, das es eigentlich schon seit langer Zeit nicht mehr gibt... oder zumindest geben sollte. Man nennt es Götterkind, wobei diese Bezeichnung nicht ideal ist, da wir das an sich alle sind,die Götter sorgen für uns alle, selbst für Ungläubige wie Imera. Nun, egal, ich verstehe auch nicht, weshalb die Götter des Wassers gewollt haben, dass Mayora so wird, es ergibt für mich keinen Sinn...“

Als sie eine Pause machte, hakte Choraly nach.

„Weshalb, was bedeutet das?“

Die Ältere hoffte bloß, dass sie mit ihrem Wissen wirklich richtig lag.

„Nun ja, Götterkind heißt an sich nichts anderes als Kind zweier Götter und das läuft wohl darauf hinaus, dass eben dieses Kind auch nichts anderes sein kann. Man sagt, Götterkinder vertreten ihren Stamm auf unserer Welt, um irgendetwas wichtiges zu erreichen. Früher, als unser Planet noch jung war, gab es... viele ist übertrieben, aber öfters solche Kinder, die unbemerkt unseren Lebensraum und letztendlich auch uns nach dem Willen ihrer Ahnen geformt haben. Es ist ganz typisch für diese Kinder, ihre gesamte Kindheit und Jugend gar nichts davon mitbekommen zu haben und mit ihren Wünschen und Sehnsüchten dennoch das zu tun, was von ihnen verlangt wird... irgendwo, auf einer anderen Ebene. Sobald sie es merken, und das ist nun mit meinem Neffen geschehen, kann es gefährlich werden – letztendlich wohnen diese mächtige Geister in normalen Magierkörpern und haben auch ganz normale Bedürfnisse und Wünsche. Zum Beispiel nach Liebe. Oder aber nach Macht. Letzteres schließe ich bei Mayora aus, aber er ist verwirrt und leicht zu reizen, fürchte ich, wenn er richtig sauer wird, könnte er ganz fürchterliche Dinge tun. Obwohl... er ist ein guter Junge.“
 

Die Jüngere hatte aufmerksam gelauscht und war nun tatsächlich etwas überrascht. Ihre Missgeburt war so ein toller Hecht? Na sowas!

Was das genau bedeuten wollte, erschloss sich ihr jedoch nicht.

„Und das heißt im Klartext? Ich meine... ich kenne mich in eurer Geschichte nicht aus, das erschließt sich mir nicht ganz.“

Die Ältere seufzte, dann sprach sie ganz leise weiter.

„Ich bin mir nicht sicher... und wenn es stimmen sollte, dann garantiere ich dir, dass er es nicht mit Absicht getan hat, sondern einfach aus einer tiefen Sehnsucht heraus, von der er vermutlich überhaupt nichts gewusst hat ... aber ich denke, er hat gewollt, dass du zu uns kommst.“
 

Das waren klare Worte gewesen und es tat dem Dorfoberhaupt Leid, mitansehen zu müssen, wie ihr Gegenüber erbleichte, als ihm klar wurde, was das hieß. Der blonde Kerl kratzte sich derweil bloß perplex am Kopf. Er kam echt nicht mehr mit...

Choraly schon. Sie senkte ernüchtert ihren Blick und musste zunächst einige Male schwer schlucken, ehe sie etwas erwidern konnte.

„Er wollte, dass zwei der wichtigsten Menschen in meinem bisherigen Leben sterben, bloß, damit ich bei ihm bin und er was zum lieb haben hat, das... ist der Egoismus der Jahrhunderts.“

Sie fragte sich, was sie nun tun sollte. Er hatte sie an sich gebunden, sie liebte ihn und irgendwie konnte sie ihm noch nicht einmal wütend sein, zu unwirklich war das Ganze.

Chatgaia legte ihr ihre gesunde Hand auf die Schulter.

„So darfst du das nicht sehen.“, bat sie, „Wie gesagt, er hat es wenn überhaupt aus einer ganz tiefen Sehnsucht heraus getan. Irgendwo in sich wusste er, dass nur du zu ihm gehörst und er hat dich gebraucht, denke ich. Götterkinder bestimmen das Schicksal, wenn du jetzt sauer auf ihn wärst, wäre es das selbe, als wenn du die Götter verfluchst, weil ein 15 Jahre alter Hund gestorben ist. Es sollte einfach sein. Egal, was er unbewusst tut, es ist Recht. Unrecht wird es bloß, wenn er es durch sein sterbliches Denken tut. Es ist schwierig, aber ich finde, auch wenn du ein Recht hast, das zu wissen, solltest du es ihm nicht sagen. Er weiß es mehr oder minder selbst, wenn er mitbekommt, dass du dir darüber zusätzlich Gedanken machst, verunsichert ihn das nur.“

Sie wollte nichts weiteres mehr dazu sagen. Man konnte mit dieser Gewissheit so verdammt weit denken, man konnte sich vorstellen, dass der Junge unterbewusst vielleicht sogar wollte, dass dieses Gespräch in diesem Moment statt fand, aber das war beängstigend. Unwissenheit in diesem Gebiet konnte wirklich angenehmer sein.

Choraly riss sie aus ihren Gedanken, als sie ihr wieder ins Gesicht sah. Keineswegs traurig oder verunsichert, es war ein neutraler, standhafter Blick.

„Ich danke dir dafür, dass du mir das gesagt hast. Ich werde damit leben können... und ich werde deinem Rat nachkommen und mein Wissen für mich selbst behalten. Ich liebe diesen verdammten Kerl, Himmel!“

Sie lächelte. Chatgaia tat es auch. Es war Recht so.
 

Und mit einem Mal kam dem Mädchen wieder, weshalb es eigentlich hier angetanzt war. Wegen ihres Gesprächs mit der Missgeburt, genau.

„Was ich eigentlich sagen wollte...“, setzte sie so wieder an und griff nach einem Stift, der neben ihrem Gegenüber gelegen hatte, um unbewusst damit herumzuspielen. Es war ein anständiger Stift, kein dummes Kohleteil, wie man es hier in der Wüste üblicherweise hatte.

„Ich werde nach Wakawariwa zurückkehren. Und Mayora wird mitkommen, auch auf die Gefahr hin, dass mein Vater nicht so begeistert von ihm sein wird. Ich denke mal, wenn sein Geist sich weitgehend unterbewusst steuert, wird er meinen Vater nicht einfach manipulieren können, oder? Wie auch immer, er wird mitkommen, weil er meinte, hier würde ihn nichts mehr halten und du...

seist für ihn gestorben.“

Sie wandte den Blick etwas verlegen ab. Irgendwie hatte sie das Gefühl, als mische sie sich in etwas ein, was sie gar nichts anginge, aber hey, es ging hier um die Leute, die so viele Monate ihre Familie gewesen waren...

„Ich kann das nicht akzeptieren.“, gab sie so zu, „Ich meine... irgendwann wird er dir sicher verzeihen können, und dann könnt ihr euch nicht mehr einigen, ich... ich will das nicht.“

Sie wollte eine heile Familie, warum machten ihr es bloß immer alle so schwer?

Ähnliche Gedanken hatte auch ihr Gegenüber, dessen Blick sich auf dem seltsamen Stift in Choralys Hand festgefahren hatte.

„Ich werde ihn nicht aufhalten können.“, erwiderte es unterdrückt deprimiert, „Auch wenn es mir ebenfalls besser ginge, hätten wir eine Gelegenheit, diese Sache aus der Welt zu schaffen. Aber ich habe es bereits geahnt... ich wusste, dass es irgendwann irgendwie so kommen würde.“

Ja, wenn sie ehrlich war, hatte sie bereits in dem Moment, in dem sie Choraly zum ersten Mal in ihrem Leben gesehen hatte, gewusst, dass diese das Dorf irgendwann wieder verlassen würde... und kurz darauf hatte sie auch gewusst, mit wem. Und es verdrängt, der Einfachheit halber.

Mit dem, was die junge Frau daraufhin erwiderte, hätte sie jedoch nicht gerechnet.

„Chatgaia, ich möchte, dass du mitkommst und das klärst, damit wir alle unseren Frieden haben!“

Sie blinzelte verwirrt und die Jüngere knallte den Stift ungeahnt heftig wieder auf den metallenen Tisch neben ihr Gegenüber.

„Was?“

„Egal, wie wir es drehen, Mayora hat doch Recht mit seiner Wut auf dich! Was mich nervt ist bloß, dass er im Moment einfach so ein verdammt sturer Bock ist! Du musst einsehen, dass du dich entschuldigen musst und er muss einsehen, dass es am besten für alle ist, wenn er diese Entschuldigung annimmt. Aber es ist zu viel geschehen, als dass so kurzfristig eine wichtige Entscheidung getroffen werden könnte, also müssen wir einen Kompromiss finden, nicht? Ich werde auf jeden Fall mitgehen und die dafür eigens angereiste Flugmaschine wird sicher keine halbes Jahr warten, bis mit euch beiden wieder alles im Reinen ist, also wäre es am einfachsten, wenn du vorerst mit uns kommst. Nicht für immer, nur, bis alles wieder klar ist mit euch beiden, wenn du dann zurückkommst ist das Dorf vermutlich auch wieder halbwegs schön, die guten Leute von zuhause wollen nämlich beim Wiederaufbau helfen.“

Choraly fand, das klang logisch. Und es war die einzige Lösung, die ihr für die ganze Problematik einfiel, sie wollte einfach Gerechtigkeit und kam nicht damit klar, dass zwischen Tante und Neffe Unfrieden herrschte.

In Chatgaias Augen war das nicht ganz so simpel.

„Das klingt alles sehr einfach, wie du das da sagst.“, machte sie ernst, „Aber vergisst du nicht ein paar Kleinigkeiten? Ich bin das Oberhaupt dieses Dorfes, ich kann es in einer solchen Krise doch nicht einfach verlassen, wie scheint denn das?“

So gern sie ihr Angebot angenommen hätte, das brachte nur Schande.

Die Jüngere schnaubte empört.

„Wie scheint denn das?“, äffte sie die Ältere mit verstellter Stimme nach, „Ich sage dir etwas, ich habe mein ganzes Leben nach dem äußeren Schein gelebt, ohne zu merken, wie sehr ich es doch eigentlich hasse, denn der Schein ist nichts wert! Es gibt wichtigere Dinge und die Familie gehört eindeutig dazu! Natürlich bist du Oberhaupt dieses Dorfes, dann suche dir halt so lange eine Vertretung oder so, es ist ja nicht für ewig! Von mir aus lass verbreiten, dass du irgendetwas politisches klären musst, oder so, aber sei für deinen Neffen da!“

Sei für ihn da, ja, das war gut gesagt. Sie war für ihn da gewesen, auf eine Weise, die er nicht gemocht hatte und jetzt sollte sie ihm beweisen, dass sie es auch so konnte, wie sie es eigentlich sollte? Das klang schwierig... und logisch.

Ebenso schwierig, wie es war, den Schein aufzugeben. Choraly hatte von einem Kompromiss gesprochen.

„Angenommen, ich würde mit dir kommen... du hast gerade gemeint, ich solle verbreiten lassen, ich hätte politisches zu klären. Wenn man es genau nimmt habe ich das sogar. Vielleicht kann ich ja dafür sorgen, dass man uns weiterhin in Ruhe lässt? Dann wäre ich bereit, mit dir zu kommen, denke ich. Aber du musst mir schwören, dass ich wieder zurückkehren kann, denn ich fürchte, in der großen Stadt werde ich auf Dauer sterben...“

Sie senkte von ihren eigenen Worten verunsichert den Blick, bemerkte so gar nicht, wie ihr Gegenüber erstrahlte.

Eine Magafi bekam eben immer ihren Willen.

Aber eine Magafi war auch nicht mehr als ein Mensch.

Sie erhob sich, um sich darauf tief zu verneigen.

„Ich danke dir!“
 

Chatgaia blinzelte nur irritiert. Mit einem einfachen „Bitte“ war es nicht getan, so erhob sie sich selbst und war überrascht, dass das Schwindelgefühl, das sie mit einem Mal überkam, wesentlich geringer war, als sie je vermutet hätte. Diese Medizin war wahrlich ein Höllenzeug.

„Wir wollen diese guten Leute nicht zu lange warten lassen, so will ich gleich für die Wahrmachung meiner Worte sorgen, indem ich mich mit jemanden unterhalte, der sich um alles Weitere hier kümmern kann. Regel du das mit deinen Leuten und mit Mayora, wir sehen uns nachher wieder – ich nehme an, du findest mich eh.“

Sie schritt langsam Richtung Tür, die der schwer verwirrte junge Mann ihr geistesgegenwärtig öffnete. Gedankt bekam er es damit, dass sie kurz mit einer brennenden Hand vor seinem Gesicht herum wedelte.

Sie stand zu ihrem Wort.
 

--
 

„Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht.“

„Das Selbe kann ich doch zu dir sagen. Du wolltest mit mir reden?“

Das Dorfoberhaupt hatte sich etwas erschrocken, als sie mitbekommen hatte, wie ausgezehrt Imera gewesen war. In ihren Augen war er das noch immer, aber laut Vembaci Kaera hatte sich seine Verfassung bereits stark verbessert. Sein Glück, sie brauchte ihn gerade. Ihn ging die ganze Sache schließlich auch etwas an. Möglicherweise sogar mehr, als er ahnte.

„Ja, wollte ich.“, begann sie so, „Ich will auch gleich auf den Punkt kommen, es ist so, dass Mayora und Choraly gemeinsam in die große Stadt gehen wollen. Und ich werde vorerst mitgehen.“

Er weitete seine blauen Augen minimal.

Mitgehen? Was sagte sie da, sie konnte doch nicht einfach so verschwinden, das ging doch nicht, sie war das Dorfoberhaupt!

Und sie erriet seine Gedanken.

„Ich werde wieder zurückkehren, so schnell wie möglich. Ich... brauche etwas Zeit mit deinem Bruder, damit sich das ganze wieder etwas einpendelt... ich denke, du hast das mitbekommen? Außerdem ist unser Dorf jetzt der Welt bekannt und das ist verdammt gefährlich, ich muss dafür sorgen, dass man uns in Ruhe lässt... mach dir keine Sorgen, ich komme wieder, ich brauche die Sonne über Thilia.“

Sie zwang sich zu einem leichten Lächeln und er kratzte sich am Kopf und sah sich um. Sie waren etwas in das zerstörte Dorf hineingegangen, niemand außer ihnen war hier... irgendwie erschien es ihm an diesem Ort gerade gruselig, obwohl er ganz in der Nähe viele Jahre lang gelebt hatte. Aber da hatte es ja auch noch anders ausgesehen...

„Na gut...“, lenkte er sich selbst von seinem Umfeld ab, „Damit werde ich wohl leben können und müssen, aber was machen wir hier?“

Die Frau lächelte weiter.

„Zunächst einmal habe ich noch eine Bitte an dich, Imera.“, aus dem Lächeln wurde ein Grinsen, „Halte mich nicht für verrückt und verstehe mich nicht falsch, aber so lange ich weg bin möchte ich, dass du auf diesen Ort aufpasst, okay? Vergesse den Papierkram, den mache ich, wenn ich zurückkomme, es geht einfach darum, dass du die Leute hier etwas im Zaum hältst.“

Sie hatte geahnt, dass ihm seine Gesichtszüge dennoch entgleisen würden und sollte Recht behalten. Ja, sie verstand ja auch, weshalb und sah sich berechtigt gezwungen, ihre Bitte weiter zu erläutern.

„Die Leute hier haben im Moment einen ziemlichen Respekt vor dir, Imera. Du hast ihnen eindrucksvoll bewiesen, dass du kein Nichtsnutz bist. Außerdem ist dieses Dorf seit jeher immer in der Hand meiner Familie, ich kann nicht zulassen, dass sich das ändert, auch nicht bloß für ein paar Wochen, so einfach ist das. Bitte, tu mit den Gefallen, ich weiß, du kannst das. Du bist nicht dumm.“

Einige Momente vergingen, in denen er sie darauf bloß stumm anstarrte. Der Wind wehte ihm den widerlichen Geruch von verbranntem Fleisch zu und er erbleichte, als er zur Antwort ansetzte.

„Ich kann einer Königin wohl kaum einen Wunsch abschlagen, oder?“

Das konnte er wirklich nicht und so konnte er sich wenigstens an ihrem erleichterten Gesicht erfreuen. Er mochte es nicht, wenn sie gestresst war.

Und er mochte den Gedanken nicht, dass sie ihn eine Weile hier allein ließ. Dabei hätte es ohne Mayora und Choraly so einfach sein können...

Er senkte den Blick seufzend.

„Ich... werde dich sicher sehr vermissen, Königin.“

Es schmerzte ihn, wenn er an ihre Abwesenheit dachte. Sie fehlte dann doch so.

Und sie lächelte nur etwas errötet.

„Ich werde dich auch sehr vermissen, aber wir sehen uns ja wieder, das verspreche ich dir. Außerdem kommt es doch ganz gut gerade... dann kannst du dich besser auf Lilli konzentrieren, nicht? Ich würde es sehr gut heißen, wenn du sie zur Frau nehmen würdest, sie hat es gewiss nicht leicht, aber das ist dir ja nicht unbekannt, wie ich annehme.“

Ja, da hatte sie Recht. Er war ja schon eine ganze Weile ziemlich verliebt in sie und jetzt bekam er endlich mal die Chance, die ihm schon seit Ewigkeiten zustand, wie er fand. Auch wenn er noch immer das Gefühl hatte, Jiro die Frau auszuspannen, aber der polierte ihm sicher nicht mehr die Fresse dafür...

Und dennoch...

„Trotzdem werde ich dich vermissen, es ist zu viel passiert, als dass ich das einfach abstellen könnte.“

Das war ihr auch klar, aber sie musste ihn doch auf die positiven Seiten ihrer Abwesenheit hinweisen, nicht?

„Natürlich, das ist mir auch klar.“, machte sie so auch nur leise und trat einen Schritt auf ihn zu, „Ich denke, wir sollten uns schon einmal inoffiziell voneinander verabschieden, nicht?“

Er verstand, was sie meinte und nickte leicht, sie einen Moment einfach nur ansehend.

In genau diesem Augenblick versuchte er sich alles einzuprägen, ihre hübschen, orangenen Augen, ihr zartes, blasses Gesicht und ihre sanfte Stimme, die kurz zuvor noch zu ihm gesprochen hatte. Wer wusste schon, wie lange sie in der großen Stadt bleiben würde? Immerhin hatte er Lichtbilder...

Ihr leises Wispern riss ihn aus den Gedanken an die Entstehung Letzterer.

„Wir sehen uns wieder.“

Dann reckte sie sich langsam, fast schon andächtig, bis ihre Lippen seine mit ungeahnter Sanftheit berührten und in ihm ein bekanntes Kribbeln auslösten, dass er bald so sehr vermissen musste.
 


 


 

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Linnis Kappi <3

Wakawariwa

Es war ein berauschender Wechsel der Gefühle, als Mayora im Morgengrauen etwas außerhalb des noch immer zerstörten Dorfes vor einer Flugmaschine stand. Sie lief schon, surrte laut und wehte etwas Sand auf, obwohl sie noch ruhte und erst warm lief.

Seiner Heimat kehrte er den Rücken, fast schon symbolisch, dachte er. So groß seine Wut auf seine Tante auch war, er hatte hier die besten Jahre seines Lebens verbracht. Und das war traurig.

Was hatte es denn schönes in den besten Jahren seines Lebens gegeben? Seine dreiwöchige Beziehung zu Shakki Kaera? Wohl kaum, was machten lachhafte drei Wochen in neun Jahren aus? Einmal von dem Schmerz danach ganz abgesehen. Ansonsten?

Nein, es konnte nur besser werden. Er tat das Richtige, da war er sich vollkommen sicher.

Auch wenn er die ein oder andere Person vermissen würde, aber er wusste sie alle in Sicherheit, das war die Hauptsache.

Die vergangene Nacht war nicht wirklich eine gewesen. Eher ein sonnenloser Tag. Man hatte sich um die Verletzten gekümmert und dafür gesorgt, dass alle Überlebenden in irgendwelchen Häusern unterkamen. Tatsächlich waren ein paar heil geblieben oder nur leicht beschädigt worden, so dass sie noch gefahrlos bewohnbar waren. In Chatgaias Haus, dessen ursprüngliche Bewohner die Wüste heute allesamt verließen, würde für die nächste Zeit Imera leben; zum einen, weil sein altes Haus zerstört worden und zum anderen, um zu demonstrieren, dass er im Moment für das Dorf zuständig war. Oberhaupt wollte er sich nicht nennen, dazu war er seiner Meinung nach viel zu unwürdig...

Da aber momentan nur sehr wenig Platz zur Verfügung stand, war es keine Frage, dass er sich sein neues Zuhause auch mit Anderen teilen würde. Zum einen mit seinem kleinen Cousin Kura, dessen Eltern spurlos verschwunden waren, zum anderen auch mit Lillian, Tainini, deren Babies und dem verletzten Maigi. Das Haus der Raatatis stand zwar noch, aber seine ursprünglichen Bewohner waren gern bereit, es anderen Leuten zu überlassen, auch um Imera den Gefallen zu tun, keine Wildfremden bei sich aufnehmen zu müssen.

Auch wenn der Grünhaarige eher annahm, dass Lilli einen Grund suchte, sich das Bett ohne schlechtes Gewissen mit seinem Bruder teilen zu können...

Wie auch immer, bald würden die anderen kommen, dann hieß es Abschied nehmen. Auch wenn er nicht genau wusste, wer sie verabschieden sollte...

Eigentlich hatten sie abgemacht, alle gemeinsam an diesem Morgen loszuziehen, aber Mayora hatte nicht mehr schlafen können und war vorgegangen. Hatte ihm auch gut getan.

In seinem Rücken hörte er Stimmen.
 

„Missgeburt!“

Er grinste. Ja, er wusste, weshalb seine geliebte Prinzessin so erbost nach ihm schrie. Wenn nicht, wäre es auch nicht schlimm gewesen, einen Moment später hätte er es ohnehin erfahren.

„Weißt du, wie lange ich nach meiner Tasche gesucht habe? Du hättest auf deinem Zettel ruhig notieren können, dass du das Gepäck schon einmal mitnimmst!“

Männliches Denken, er konnte es nicht besser. Langsam sollte sie es aber wissen. Er sah zu dem auf die schnelle zusammengesuchten Gepäck vor ihren Füßen. Er hatte sogar das von Chatgaia getragen, so ein guter Kerl war er. Auch wenn es ihn an sich ärgerte, dass seine Tante, wenn auch nur für eine Zeit lang, ebenfalls in der großen Stadt leben würde, aber er hatte selbst gesagt, es war ihm egal, was sie wo tat, er konnte wohl schlecht im Nachhinein etwas dagegen sagen, damit schnitt er sich nur selbst ins Fleisch. Besonders glaubhaft war er ohnehin noch nie gewesen, hatte er das Gefühl...

Zum Glück würde ja Choraly zuerst mit ihrem Vater reden.

„Hörst du mir überhaupt zu, Kräuterheini?“

Das war eine gute Frage, auf die er zunächst allerdings nur geschockt keuchte, weil seine schwangere Freundin plötzlich direkt vor ihm stand und mit den Händen vor seinem Gesicht herumfuchtelte. Wie? Jetzt versank er schon in Tagträumen, wie erbärmlich...

„Er träumt schon von der großen weiten Welt, der Spinner.“, kommentierte Imera, der wie es schien ebenfalls gerade angekommen war und Lilliann neben ihm schüttelte bloß sachte den Kopf. Beides Spinner.

„Und dieses Ding kann wirklich fliegen?“, fragte Chatgaia, die etwas abseits stand, darauf in die Runde und blinzelte die Flugmaschine vor sich skeptisch an, „Ich meine, sie ist von enormer Größe... und hat keine Federn...“

Das war wahrlich ein Mysterium. So ganz logisch erklären konnte Choraly sich das auch nicht, musste aber dennoch lachen bei so wenig Vertrauen in die moderne Technik. Dabei sollte doch eigentlich sie es sein, die sich fürchtete, immerhin hatte sie mit diesen Dingern ja bereits sehr schlechte Erfahrungen gemacht, aber irgendwie war die Freude im Moment zu groß. Ihren Vater... heute würde sie ihn wiedersehen. Nach so langer Zeit.

Sie erinnerte sich daran, dass sie ursprünglich zu ihm gewollt hatte. Um ihren 16. Geburtstag mit ihm zu feiern. Mit ihm, ihrer Mutter und Atti. Obwohl ihre Eltern sich längst nicht mehr gemocht hatten. Vergangenheit, jetzt war es egal. Heute war ein guter Tag.

So wandte sie sich amüsiert an die Tante ihres Freundes.

„Keine Sorge, das klappt schon. Die sind schließlich auch alle heil hier angekommen, nicht?“

Das war wahr. Ja, es würde schon gut gehen. Musste es.
 

Aus der geöffneten Metalltür lugte ein etwas älterer Herr, musterte die Gruppe kurz und kratzte sich dann am Kopf, ehe er sich räusperte, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Maschine war bereit, er wollte auch keinen Moment länger mehr in der Wüste bleiben. Dieses Klima bekam ihm nicht, er hatte es mit dem Kreislauf...

„Wenn die Herrschaften bereit wären, könnten wir los.“

Das war ein Wort. Choraly quiekte.

„Ja, das sind wir, wir müssen uns bloß noch kurz verabschieden!“, sie wandte sich lächelnd an Mayora, „Tai und Maigi konnten nicht mitkommen, du weißt ja. Weil du ja einfach weggerannt bist, konnten sie nicht mehr auf Wiedersehen sagen, also soll ich dich nett grüßen.“

Er nickte und das Mädchen musste leicht lächeln. So geschwächt der zierliche Junge auch gewesen war, als er gestern Abend zum ersten Mal seinen kleinen Sohn in den Armen gehalten hatte, hatte er gestrahlt wie die Sonne. Er hatte viel durchmachen müssen. Tai auch. Das, was auf sie zukam, würde schwierig werden, aber es würde ihnen sicherlich auch genau so gut tun. Sie freute sich für die Beiden. Schade, dass sie nicht bei ihrer Hochzeit dabei sein konnte.

Lilli riss sie aus ihren Gedanken, als sie plötzlich von ihr geknuddelt wurde.

„Jetzt geht das Mädchen wieder in seine Stadt zurück.“, machte die junge Mutter mit überraschend brüchiger Stimme und die Jüngere erwiderte die Umarmung seufzend. Ja, es tat ihr Leid irgendwo.

Beinahe befürchtete sie, ihre Freundin würde weinen; als sie wieder von ihr abließ, lächelte diese zu ihrer Überraschung jedoch, auch wenn die Augen bedrohlich glänzten.

„Ich wünsche dir und deiner Familie ganz viel Glück. Mache etwas aus deinem Leben, zuhause hast du die Chance, die du auch verdienst. Und vermiss uns nicht zu sehr.“

Choraly lächelte auch.

„Na, ob ich das schaffe...“

„Das schaffst du sicher, wenn du wieder in der gehobenen Gesellschaft bist.“

Auch Imera drückte sie einmal. Seine Ex-Freundin. Wie lachhaft. Damals hatte er sich tatsächlich an sie heran gemacht, weil er gehofft hatte, am heutigen Tage an der Stelle seines Bruders sein zu können. Dumm gelaufen. Nicht, dass er es nicht gewohnt gewesen wäre...

Seine wirkliche Flamme war derweil mit den beiden grünhaarigen Magiern beschäftigt, denen sie höflich nacheinander die Hand schüttelte.

„Wir sehen uns ja wieder.“, machte sie an Chatgaia gewandt und die nickte.

„Ja. Sei so gut und unterstütze deinen Freund bei seiner Aufgabe.“, bat sie noch, worauf sich die Angesprochene errötend Mayora zuwandte.

„Denke nicht, ich hätte dir verziehen, das müssen wir klar stellen.“, er senkte den Blick schuldbewusst, „Aber geh mit der Gewissheit, dass ich dich nicht hasse.“

Sie kehrte ihm den Rücken, noch ehe sie mitansehen konnte, dass ihn ihre Worte überraschten. Und ehrten. Lilliann hatte ein wirklich gutes Herz...

Imera wusste das auch und er zwang sich, in dem Moment, in dem er seine Tante umarmte, daran zu denken, was zur Folge hatte, dass er überraschend schnell wieder auf Abstand ging und sich lieber seinem Bruder widmete.

Mayora sah ihn gleichmütig an. In diesem Moment kam es, dass ihm auffiel, dass sein Zwilling scheinbar die Kopie ihres Vaters war. Alles war gleich, die Haare, die Augen, sein Ausdruck... alles. Und es erinnerte ihn selbst schmerzhaft daran, wo er eigentlich hingehörte. Egal.

Eine Weile sahen sich beide bloß an, dann seufzte der Ältere und senkte den Blick.

„Ich glaube, du hast mir genau so wenig verziehen, wie ich dir, oder?“

Der Grünhaarige nickte. Es war irgendwie erbärmlich, dass sich ein Zwillingspaar gegenseitig so tief verletzte, dass es nichts mehr miteinander zu tun haben wollte. Das widersprach ja fast schon den Regeln der Natur...

„Ich denke, es ist sinnlos, darauf zu hoffen, dass wir uns in diesem Leben jemals einigen werden, einmal ganz davon abgesehen, dass du jetzt eh weg gehst.“, machte der große Bruder da weiter, „Du wirst niemals verstehen können, weshalb ich Papa noch immer sehr liebe und ich werde sicherlich nicht darüber hinweg kommen, dass du mich hast hängen lassen.“

Er sah wieder auf und seinem Gegenüber in die Augen.

„Aber ich glaube, langsam werden selbst wir beiden Idioten einmal erwachsen und auf die Gefahr hin, dass meine vernebelten Gedankengänge einmal mehr ins Nichts geführt haben, schlage ich an dieser Stelle vor, diesen ganzen Unsinn einfach beizulegen und damit zu leben, dass der jeweils andere ein vollkommen verblendeter Penner ist.“

Imera grinste. Mayora auch.

Der Braunhaarige war genau so wenig intelligent, wie er dumm war. Es war irgendwie überraschend und trotzdem erfreulich.

„Du scheinst heute aber einen extrem hellen Tag zu haben.“, merkte der Magier darauf auch an, „Mit dem Gedanken könnte ich leben. Nicht, dass ich nicht bereits gewusst hätte, dass du ein verblendeter Penner bist, aber das ist jetzt besser.“
 

Als Chatgaia zu den Jungen schielte, musste sie lächeln. Ja, so waren die Beiden. Sie hatten sich gegenseitig viel angetan, aber genau so viele schlimme Dinge gemeinsam überstanden, an sich glich es sich aus. Und als ihre Götter ihr leise zuflüsterten, worauf diese Verabschiedung hinaus lief, wandte sie sich an Choraly.

„Lass uns schon einmal rein gehen, rasch!“

Und während das brünette Mädchen der Aufforderung bloß verwirrt nachkam, war Lilli schon scharfsinniger... denn plötzlich fielen ihr auf, was für unheimlich schöne braune Sandklumpen vor ihren Füßen lagen. Fasziniert bückte sie sich und begutachtete sie genauer.
 

„Wie auch immer, du solltest jetzt einsteigen, die Damen der Schöpfung sind schon verschwunden.“, fiel Imera unterdessen auf und linste kurz zur Flugmaschine, „Nicht, dass die ohne dich abhauen.“

„Du hast Recht.“, bestätigte der Jüngere auch und scherte mit den Füßen etwas im Sand herum. Irgendwie kam er sich gerade vor wie ein kleines Kind, das sich nicht entscheiden konnte. Dabei hatte er gerade gar nichts zu entscheiden, wo lag sein Problem?

„Dann... sage ich jetzt einmal tschüs und viel Glück, Missgeburt.“

„Das Selbe gebe ich zurück, du Arsch.“

Sie standen noch ein paar Sekunden dumm da, scharrten in der Erde herum und hörten Lilli beiläufig beim Sandkörner zählen zu, bis der Ältere sich dazu entschloss, sich ein einziges Mal wie ein großer Bruder zu verhalten. Ein einziges Mal die Wut darüber zu vergessen, dass sein Zwilling ihn einfach im Stich gelassen hatte.

„Wir sind beides Idioten!“, schnappte er fast schon säuerlich und trat dann einen Schritt auf den Grünhaarigen zu, um die Arme um ihn zu legen. Mayora war nicht erschrocken darüber, er erwiderte die kurze Umarmung verlegen, dann räusperte er sich errötend.

„Gut, dass wir das jetzt hätten.“, sein Gegenüber nickte bloß gleichermaßen peinlich berührt, „Dann gehe ich jetzt. Ein schönes Leben.“

„Ein schönes Leben, ja.“

Imera lächelte. Sein Bruder auch.
 

--
 

„Chatgaia, ich bin empört!“

Die Frau zog zitternd an einer Zigarette und Choraly hustete, stierte sie dann gespielt erbost an.

„Seit wann rauchst du?!“

Der Start war auf dem Wüstenboden tatsächlich extrem unbequem gewesen, das musste sich das jüngere Mädchen schon eingestehen, aber dass das momentan beurlaubte Dorfoberhaupt so nervös werden würde, überraschte sie doch. Mayora hatte sich zwar auch erschreckt, saß nun aber vollkommen ruhig neben ihr und schaute aus dem Fenster auf die immer gleiche Wüste hinab, wunderte sich ab und an jedoch, dass er Wasser spüren konnte. Scheinbar gab es doch noch mehr Quellen in dem staubigen Land. War an sich aber auch gleich, rauchen jedenfalls war sicherlich ungesund, obgleich es in der großen Stadt als unheimlich schick galt. Die Ärzte sagten dazu auch nichts... aber es war bestimmt ungesund, der blaue Dunst kratzte im Hals, wenn man ihn einatmete!

„Schon seit Ewigkeiten.“, entgegnete die grünhaarige Frau da mit brüchiger Stimme und pustete eben diesen Rauch in die ohnehin recht stickige Luft im Innenraum der Flugmaschine, „Immer, wenn ich es mit den Nerven habe... Himmel, wenn ich denke, dass wir jetzt herunter fallen könnten...“

Die Jüngere schüttelte bloß den Kopf. Ja, es war fürchterlich, abzustürzen und wenn sie daran dachte, wurde ihr vollkommen schlecht und bösartige Bilder aus verdrängten Erinnerungen flimmerten vor ihrem inneren Augen auf. Und das musste sie an einem so schönen Tag wie dem heutigen nicht haben, also machte sie es sich einfach und dachte gar nicht erst so weit, sonder lenkte sich mit belanglosem Zeug ab. Zum Beispiel, dass sie Chatgaia zum ersten Mal rauchen sah.

Die arme Frau zitterte wie Espenlaub...

„Denke an etwas anderes.“, riet sie ihr, „Freue dich auf die große Stadt, ich werde dir viele interessante Dinge dort zeigen! Und dir viele interessante Leute vorstellen, natürlich. Meinen Vater zum Beispiel, der sorgt auch sicher dafür, dass Thilia geheim bleibt. Er ist ein guter, wenn auch manchmal etwas anstrengender Mann... ich komme ziemlich nach ihm, weißt du? Ich sehe ihm auch recht ähnlich. Mein Bruder kam mehr nach meiner Mutter.“

Sie erzählte völlig unwichtige Dinge über ihre Familie und die große Stadt und während die Feuermagierin sich bemühte, ihr zu lauschen und sich ablenken ließ, weitete Mayora seinerseits irgendwann stumm überwältigt die Augen, als sich die Wüste zunächst in Steppe verwandelte und dann irgendwann ihre Farbe von beige-gelb in grün wechselte. Grün... Wiesen, Wälder... es waren Dinge, die er bloß aus uralten Büchern kannte.

Er hatte sich als er jünger gewesen war oft in einer versteckten Nebenkammer des unterirdischen Lebenstempels aufgehalten, verbotener Weise. Der Lebenstempel war das Pendant zum Todestempel am Wüstenrand und lag im Oaseninneren in der Nähe des Sees. Und genau so wie die Wüstenbewohner im Todestempel die Bestattungszeremonien abhielten, wurden im Lebenstempel Neugeborene gesegnet.

Aber dieser Ort war noch viel mehr gewesen, als die Meisten erahnt hätten. In eben besagter Nebenkammer, die kaum einem überhaupt bekannt war, hatte sich für Mayora lange Zeit ein Fenster zur Welt befunden.

Sein Volk war vor mehreren Jahrhunderten in die Wüste ausgewandert, zuvor hatten alle seine Vorfahren in zivilisierten Städten und Dörfern außerhalb gelebt und manche hatten damals Dinge von dort mitgenommen.

Er wusste nicht, ob man diese Sachen wegen der Wut auf die Außenwelt oder einfach, um sie vor dem Verfall durch Gebrauch zu schützen und für möglichst viele kommende Generationen aufzubewahren in dieses versteckte Zimmer gelegt hatte, Tatsache war aber, dass dieser Raum voll von Erinnerungen an die Zeit in der Zivilisation war.

Bücher, Briefe, Zeichnungen, Klamotten, geographische Karten, sogar einige vergilbte, noch farblose Lichtbilder, sie hatten ihn immer in so einem gigantischen Ausmaße fasziniert und oft hatte er sich geärgert, dass man damals in anderen Zeichen geschrieben hatte und er so nichts hatte lesen können, von dem, was dort überall stand. Aber die Bilder hatten ihm die Welt gezeigt.

Die damalige Welt, die heutige sah er gerade zum ersten Mal in seinem Leben durch dieses kleine gläserne Fenster weit unter sich.

Und mit jedem Kilometer, den sie weiter flogen und den großen Städten näher kamen, desto aufregender wurde es für den jungen Mann. Plötzlich sah er Flüsse, richtige große Flüsse und es begann ganz furchtbar in ihm zu kribbeln bei einer so wunderbar großen Menge an Wasser, die unter ihm vorbei strömte. Dann gab es immer öfter kleine Dörfer zu sehen mit winzigen Häusern, die soweit er es erkennen konnte ganz anders als die bei ihm zuhause aussahen. Es war wirklich spannend, er schaffte es nicht einmal seiner Freundin mit halbem Ohr zu lauschen, er war einfach nur fasziniert.

Und mit einem Mal wuchs in ihm die Freude, die große Stadt zu sehen, ins unermessliche.
 

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Ein Luftbild von Wakawariwa blieb dem Grünhaarigen jedoch verwehrt. Seine Freundin erklärte ihm beim Ausstieg aus der Flugmaschine, dass man Flugplätze immer etwas außerhalb der Orte baute, damit die Maschinen beim Landen nicht aus Versehen in irgendwelche Gebäude krachten. Dabei stützte sie die arme Chatgaia, die nach der an sich reichlich sanften Landung mit der Welt gänzlich fertig war. Das war absolut nichts für sie! Und zurück wollte man sie allein bringen? Bei allen Göttern!

Fast noch schlimmer war ein weiteres Transportmittel, das die Frau kurz darauf kennen lernen musste. Automobil nannte es sich, hatte vier Räder und erschien an sich ganz praktisch, besonders ihr Neffe war höchst fasziniert davon, aber trotz des komfortablen Innenraums machte es ihr fürchterliche Angst, es brummte so furchtbar und wackelte immer wieder unerwartet ganz grauenhaft, so dass die eigentlich so gefühlskalte Magierin die große Stadt keines Blickes mehr würdigen konnte und die Augen nahezu die ganze Fahrt panisch geschlossen hielt.

Choraly konnte sie nun nicht mehr so gut ablenken wie während des Fluges, sie war selbst zu geplättet. Nicht von der Reise, nein, aber mit einem Mal sah sie alle diese verblassten Erinnerungen wieder in echt vor sich, sie konnte sie berühren, wenn sie den Arm danach ausstreckte und sie konnte ihn riechen, den Gestank der Stadt. Dabei war sie vor wenigen Stunden noch in der Wüste gewesen, in dem nun schwer beschädigten Dorf Thilia, das über ein halbes Jahr ihre Heimat gewesen war. Und sie hatte sie schätzen gelernt.

Mayora neben ihr erschauderte.

Er war die ganze Zeit schon am Grinsen und ganz aufgeregt und jetzt strahlte er sie an.

„Hier ist es ja sowas von eisig kalt, ich glaube, ich sterbe gleich!“, machte er unpassend zu seiner guten Laune und seine Freundin lachte ihn überrascht aus. Bitte? Dabei hatte sie sich schon über die milden Temperaturen gewundert!

„Hier drin ist es doch überhaupt nicht kalt! Und draußen ist es doch auch nicht sonderlich schlimm, das Wasser gefriert ja noch nicht einmal...“

Chatgaia blinzelte vor Schock kurz. Moment, das Wasser gefror? Himmel, wo war sie nur gelandet?!...
 

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Ja, wo war sie gelandet?!

Das fragte sie sich wenige Minuten später abermals, als die furchtbare Reise ein Ende fand und sie mit einem Mal vor einem... Gebäude standen. Einer Villa. Nein, einem Schloss. Nein, einem Palast!

Choraly schien beinahe genau so geschockt wie ihre Mitreisenden, allerdings überraschend aus anderen Gründen.

„Das ist... mein Haus.“, wisperte sie leise und trat ein paar Schritte auf den pompösen Eingang zu, „Ich hatte es... irgendwie größer in Erinnerung, wie enttäuschend.“

Mayora hustete erschrocken und empört zugleich, während der Fahrer ihr Gepäck auslud.

„Ja, du hast vollkommen Recht, da ist bestimmt gar nicht genug Platz für uns, so klein wie das ist!“

So wie dieses Ding aussah hatte er sein ganzes Leben in Hundehütten verbracht, Himmel! Wie sollte er sich denn hier jemals zurecht finden? Seine Götter mussten ihm unbedingt den Weg weisen, das war sicher nötig... wenn er nachts mal für kleine Missgeburten musste oder so...

„Soll ich die Sachen hereinbringen, Fräulein?“

Choraly erschreckte sich als der voll beladene Angestellte plötzlich vor ihr auftauchte und sie vor Anstrengung keuchend danach fragte. Der arme Kerl. Moment mal, das war doch...

„... warst du nicht mal Laufbursche Nummer 385932?“

Er grinste trotz größer Anstrengung und während er etwas zu schwanken begann, fragte sich Chatgaia, wie das Mädchen darauf kam, alle laufenden Burschen zu nummerieren... hatte die nichts besseres zu tun?

Hoffentlich wurde ihr nicht auch so langweilig, während sie darauf wartete, dass einer dieser hohen Politiker mal einen Moment Zeit für sie hatte, beziehungsweise ihr Neffe nicht mehr beleidigt war...

„Ich wurde befördert!“, erklärte der komische Kerl da bester Laune und am Ende seiner Kräfte, „Weil mein kleiner Bruder es gewesen ist, der Ihrem Vater von ihrer Existens in der Wüste berichtet hat! Es war Zufall, das man gerade ihn geschickt hat, aber unser Glück, der wunderbare Herr Magafi hatte so eine gute Laune!“

So eine gute Laune, dass er irgendwelche Laufburschen inklusive Familienangehöriger beförderte, wo gab es denn sowas?! Er musste sie wirklich vermisst haben...

Sie erschauderte kurz unbemerkt vor Vorfreude, ehe sie antwortete.

„Meinen Glückwunsch! Ich habe mich auch schon gewundert, dein Bruder war das also? Ihr beiden seid mir immer aufgefallen, auch wenn ihr nur sehr selten da wart, ihr wart aber immer mit Abstand die Hässlichsten, ich habe mich immer gefragt, welches Tier euer Vater wohl sein mag!“

Trotz des Streits warfen sich die Magier im Hintergrund auf die ungeahnte Unverschämtheit entsetzte Blicke zu und gleich darauf noch einmal, als der schwer erschöpfte Kerl etwas erwiderte.

„Oh, Ihr habt euch wirklich an uns erinnert? Welch eine Ehre! Ich meine, Euer Vater hat das nicht! Und das, obwohl schon viele Leute gemeint haben, wir seien doch so auffallend hässlich, es ist wunderlich, aber er hat viel um die Ohren, man kann es ihm wohl nicht verdenken! Ach ja, meine Mutter meint immer, mein Herr Vater sei ein Stachelschwein, denn sein ganzer Körper ist voller Haare die wie Borsten sind, aber findet Ihr, mein Bruder und ich erscheinen wie Stachelschweine? Eher wie Stachelratten oder so etwas, denke ich, und Ihr? Ach was, kaum lässt man mir etwas Aufmerksamkeit zukommen, kann ich nicht mehr aufhören zu reden! Rasch, ich bringe Ihre Taschen in die Halle, dann soll mein Stachelratten-Bruder alles weitere machen, der Held, ich bin ihm ja etwas schuldig...“

Stachelschweine? Stachelratten?! Himmel, hoffentlich meinten die Beiden ihr Gespräch nicht ernst! Bei der Vorstellung einer Frau, die es mit einem Stachelschwein tat, kam in Chatgaia die Übelkeit wieder auf, die sie auch die gesamte Fahrt in dem Automobil begleitet hatte, das war ja abartig!
 

Sie wurde abgelenkt, als sie endlich das Gebäude betraten und darauf in der gruseligen Eingangshalle standen, die in etwa genau so groß wie ihr altes zuhause und etwa doppelt so hoch war. Zumindest kam es ihr bei dem beeindruckenden Baustil so vor, wenn sie sich die blank polierte Marmor-Treppen ansah, die links und rechts an den Wänden entlang in eleganter Rundung die untere mit der oberen Etage verbanden, schämte sie sich beinahe für die kleine knarrende Holztreppe in dem dunklen Aufgang. Choraly hatte sich da sicher heimlich drüber lustig gemacht, und dabei war die Frau immer so stolz auf das schönste Haus in Thilia gewesen...

Und zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich einfach nur klein und unbedeutend.

Hier in der Stadt musste sie sich anders geben als in dem kleinen Dorf jenseits des Binnenmeeres, sie war hier keine politische Größe, keine Adlige, noch nicht einmal mit ihrem inoffiziellen Rang als Großmagierin konnte sie hier etwas anfangen; sie war keine Frau von Rang und Ehre, sondern bloß ein seltsames grünhaariges Weib, das einer verhassten Minderheit angehörte und in den Augen der Städter ästhetisch etwa auf einer Ebene mit den Stachelratten-Brüdern stand, mehr nicht. Damit würde sie eine Weile wohl oder übel leben müssen. War bei Mayoras Laune in Hinsicht auf ihre Anwesenheit vermutlich ohnehin angebracht, ihre Götter berichteten von unschönen Dingen...

Sie schreckte aus ihren Gedanken, als aus einem Gang rechts ein furchtbar hässlicher Junge eilte, scheinbar auch eine Stachelratte, dicht gefolgt von einem etwas ansehnlicherem Mädchen in adretter Dienstkleidung . Beide bremsten abrupt vor Choraly, sodass der Boden quietschte und verneigten sich tief.

„Es freut uns alle sehr, Euch nach so langer Zeit der Abwesenheit wieder zuhause in Empfang nehmen zu dürfen! Ich begrüße Euch im Namen des kompletten Personals, herzlich willkommen!“

Ratti sprach weiter, während sein Bruder am Ende seiner Kräfte das Gepäck abstellte und er darauf von dem Dienstmädchen beschuldigt wurde, den edlen Boden zerkratzt zu haben und sich beinahe eine gefangen hätte, wäre er nicht so furchtbar groß gewesen.

„Ich soll von der lieben Ileta ausrichten, dass sie sich darauf freut, Euch wieder die Fußnägel schneiden zu dürfen!“

Die Prinzessin räusperte sich verlegen. Himmel, vor Mayora und Chatgaia war ihr das Verhalten der Angestellten irgendwie sehr unangenehm.

„Du kannst sie feuern, wenn du befugt bist, ich kann das jetzt allein.“

Ja, hier rannten eindeutig zu viele Idioten mit zu unsinnigen Aufgaben herum, sie musste einmal aufräumen, hatte sie das Gefühl. Geld wuchs schließlich nicht auf Bäumen, bloß weil sie reich war, musste sie es ja nicht verschwenden. Seltsam, wie sie jetzt dachte.

„Wie dem auch sei...“, machte der unheimlich hässliche Junge da verpeilt und begann, hyperaktiv herum zu rennen, „Ich, also... euer Vater... also, ich soll Euch doch ausrichten... ach, er hat sicher noch nicht mit Euch gerechnet... jedenfalls... oder doch? Nein, weil... ich... ach nein, dann hätte er doch etwas vorbereitet. Und...“

Choralys Freund hatte den Kleinen an den Schultern gepackt, als er an ihm vorbei hatte laufen wollen und hielt ihn nun fest. Das ging doch nicht, das machte doch nervös!

Der Verstummte blinzelte sein Gegenüber darauf ein paar Mal an, dann wurden seine Augen tellergroß und er schrie auf wie ein Mädchen.

„Oh mein Himmel, Bruder sieh! Dieser Mann leidet an einer schrecklichen Krankheit, schau nur diese Haare! Und... und diese Augen! Und... oh nein, die Frau hat es auch schon erwischt, Himmel hilf, wir werden alle sterben!“

Er riss sich panisch von dem darauf überrumpelten Mayora los und rannte weiter im Kreis. Nanu, was war denn das?

„Alhata war wenigstens kein Stachelschwein...“, kommentierte Chatgaia das Verhalten stirnrunzelnd und die Angestellte unterdrückte ihre Verunsicherung über das ungewöhnliche Äußere der seltsamen Gäste und räusperte sich verlegen, die Hände wohlerzogen faltend.

Die größere Stachelratte versuchte unterdessen die kleinere Stachelratte wieder einzufangen, während die Magierin irgendetwas von „Alhata war nicht sonderlich haarig und borstig erst recht nicht...“ vor sich hin murmelte.

„Euer Vater hat wohl noch nicht mit Euch gerechnet, er hat vermutlich gedacht, es würde noch ein vorbereitender Funkspruch erfolgen, der jedoch ausblieb, wie es mir scheint... jedenfalls ist er in seinem Büro und kämpft sich durch Berge von Akten, die man ihm aufgebrummt hat...“

Sie räusperte sich etwas verhalten.

„Er hätte vor einigen Monaten, als Ihr gerade verschwunden wart, beinahe einen Krieg mit Kamake und Mon'dany ausgelöst, er steht noch in der Schuld der anderen Senatoren...“

Typisch. Ja, sie erinnerte sich daran, dass die Flugmaschinen ganz in der Nähe der Oase gewesen waren, bloß ein paar Dünen weiter, aber sie hatten sie nicht gefunden. Es war ein furchtbarer Tag gewesen. Damals hatte sie Shakki zum ersten Mal in ihrem Leben gesehen...

Vergangenheit.

„Dann erlaube ich mir, zu ihm zu gehen.“, sie schielte zu ihren beiden Mitbringseln, „Bringe die Beiden bitte in unseren Gästeraum und stelle keine Fragen, zu gegebenem Zeitpunkt wird sich alles erklären. Ach, außer ob sie etwas trinken möchten, wenn ja, dann bring ihnen den Früchtetee nach dem Rezept meiner Oma, am besten kalt, der kommt ihrem Lieblingsgetränk geschmacklich am nächsten.“

Ihr Gegenüber nickte und Choraly machte sich darauf auf. Auf zu ihrem Vater, den sie so lange hatte vermissen müssen. Früher war es normal gewesen, dass sie einfach für jeden Unsinn zu ihm ins Büro gerannt war, heute schlug ihr das Herz bis zum Hals.

Lag aber auch mit daran, dass sie noch Leute mitgebracht hatte, von denen der gute Mann nichts wusste... und er würde nicht begeistert sein.
 

Vor der großen hölzernen Tür atmete sie noch einmal tief ein. Es war doch nur ihr Vater, verdammt! Alles würde gut werden, sie waren ja nicht wie Mayora und Chatgaia, die nicht miteinander reden konnten, sondern sich gleich halb tot schlugen, wenn sie einmal nicht einer Meinung waren...

Ja, alles war gut. Sie klopfte einfach an. Alles war okay.

Und dennoch zuckte sie bei dem gelangweilten „Herein“ erschrocken zusammen und wäre vor lauter Schreck fast weg gerannt. Es war nur ihr Vater, verdammt!

Schluss mit dämlichen Gedanken, sie legte ihre Hand einfach an die Klinke, öffnete und trat ein.
 

Uda Magafi war höchst beschäftigt mit irgendeinem Schreibkram und sah noch nicht einmal auf, als er merkte, dass da jemand vor ihm stand. Himmel, wie sollte er diesen Mist bitte bis übermorgen erledigt haben, er war auch nicht mehr der Jüngste!

„Was denn?“, begrüßte er seine Tochter so genervt und die konnte ihn zunächst einfach nur anstarren und überhaupt nichts erwidern.

Da war er. Einfach so. Er saß dort genau so, wie er oft an diesem Platz gesessen hatte, schon seit sie klein war. Er hatte sich kein bisschen verändert.

Sie war wieder daheim.

Von dieser Erkenntnis geplättet kamen dem Mädchen die Tränen und als es nach einer Weile leise schluchzte, sah der Mann endlich auf. Angestellte, die Zuneigung brauchten oder wie?

Nein, nicht ganz.

Er weitete seine Augen und einen Moment sahen sich beide bloß an. Einfach nur so. Sie nahmen sich wahr und wussten dennoch nicht, was es in genau diesem Augenblick bedeutete.

Dann erhob er sich langsam, fast in Zeitlupe und als er stand, räusperte er sich.

„Ich arbeite definitiv zu viel.“, er murmelte bloß, „Ich halluziniere schon.“

„Das tust du nicht, ich bin da.“

Sie war da. Wirklich. Es war keiner dieser immer wiederkehrenden Träume, es war Realität.

Und dennoch trat der Mann langsam um den Tisch herum, hielt vor dem Mädchen inne und musterte es kurz im Ganzen.

Sie war eine junge Frau geworden.

...

Himmel, egal, seine kleine Prinzessin stand in diesem Augenblick verdammt noch einmal vor ihm, worauf wartete er?! Auf besseres Wetter? Nein, das war wunderbar, also schloss er sie endlich in die Arme, hielt sie fest und sie klammerte sich darauf an ihn wie ein Kleinkind. Sie wollte ihn nie mehr loslassen!

„Papa, ich bin da!“, wiederholte sie, „Ich bin zurückgekommen!“

Ja, sie war zurück, ab jetzt würde alles besser werden. Sie war daheim, das Stadtmädchen war wieder da, wo es hingehörte! Lilli, Imera, Tai, Maigi... wer war das? Sie waren weit weg, sie waren nicht mehr von Bedeutung, auch wenn sie in Wirklichkeit bloß in einer versteckte Ecke ihres Bewusstseins verschwunden waren im Rausch ihrer Gefühle in diesem Moment, denn dieser Moment gehörte nur Uda Magafi. Papa.

„Ich sehe es.“, erwiderte der da und drückte sie fest an sich, „Ich würde jetzt gerne jammern, was ich in den letzten Monaten ohne dich durchgemacht habe, aber das wäre mehr als Unrecht. Du musst mir alles erzählen!“

Erzählen.

So ein verdammter Mist. Sie dachte an ihren Freund und dessen Tante, die jetzt vermutlich im Gästeraum saßen, Tee tranken und sich anschwiegen. Ihr Vater war gerade so überglücklich, sollte sie es wagen? An sich wollte sie ihn lieber noch eine Weile ungestört knuddeln, aber...

„Ich habe zwei Leute von da unten mitgebracht.“, rang sie sich einfach dazu durch und der Mann blinzelte sie überrascht an. Moment, mitgebracht?

„Was meinst du damit? Kleines, die Zeit des Sklavenhandels ist nun wirklich vorbei, egal wie exotisch so ein unzivilisiertes Wüstenvolk ist...“

Sie musste lachen. Nervös, doch das merkte er in seiner eigenen Nervosität nicht. Er hatte Herzrasen, er konnte es noch gar nicht glauben...

„Oh nein, nicht als Sklaven! Chatgaia ist das Dorfoberhaupt von Thilia, also dem Ort, wo ich war, sie hat sich sehr gut um mich gekümmert! Sie möchte hier ein paar Dinge klären und würde sich über ein Gespräch mit dir sehr freuen. Und ihr Neffe Mayora ist... nun ja... mein Freund, ich habe ihn mitgebracht, weil ich ihn... sehr liebe und ohne ihn eben nicht mehr leben kann...“

Sie war sich nicht ganz sicher, ob sie von der nächsten Klippe springen würde, wenn ihm jetzt wirklich etwas zustieße, aber sicherheitshalber übertrieb sie vorsorglich.

War eine gute Idee gewesen.

Er ließ sie los.

„Wie bitte? Hast du überhaupt nachgedacht?! Du wirst doch wohl noch nicht das mit ihm gemacht haben, was junge Damen in deinem Alter noch nicht tun, oder?“

Das war ja wohl die Höhe, da freute er sich, dass sein kleines Mädchen wieder da war und dann versetzte das ihn unverzüglich in so einen Schockzustand!

Es errötete.

Jetzt musste sie sterben.

„Ich bin schwanger.“
 

Etwa eine Sekunde später korrigierte Choraly ihren Gedanken in „Jetzt muss Papa sterben“, denn als sein Gesicht die Farbe von Schnee annahm, hatte sie beinahe Mitleid mit ihm.

Aber nicht all zu lang, denn spätestens als sie ihren Gedanken abermals korrigieren musste, dieses Mal in „Jetzt muss Missgeburt sterben“, wurde es wieder brenzlig.

„Ich bringe ihn eigenhändig um, mein Schatz.“, bestätigte er sie ihn einem sehr unheimlichen und irgendwie leicht wahnsinnig angehauchten Tonfall, „Er hat meine Tochter geschändet, es ist meine Pflicht!“

Himmel nein, dieser konservative Idiot! Nebenbei bedankte sich das Mädchen bei den Göttern, dass ihr Gegenüber nicht ihre Gedanken lesen konnte, das hätte jetzt noch gefehlt... das wäre das Ende gewesen.

„Papa, ich habe es gewollt, ich liebe ihn! Wir... wir haben das geplant, so!“, sie log einfach, damit es etwas vernünftiger klang, „In der Wüste ist das ganz anders, man ist viel früher erwachsen und wir waren beide bereit dazu! Mayora ist auch erst 18, aber gib ihm eine Chance, lerne ihn kennen, er wird dir beweisen, dass er ein vernünftiger und guter Mann ist! Versprochen.“

Sie lächelte und klammerte sich an seinen Arm, als er schon zur Tür gehen wollte. Sie musste ihn überzeugen. Sie musste einfach.

Er schnaubte.

„Geplant?“, schnappte er, „So, du dachtest einfach, du kommst nie wieder zurück, dann kannst du dich ja einfach mal schwängern lassen, oder wie? Ich bin schwer enttäuscht!“

Seine kleine Prinzessin... sie hatte sicher einen schweren geistigen Schaden davon getragen, als sie abgestürzt war...

Sie lächelte bloß leicht.

„Dann sei es so, wenn du es für richtig hältst. Aber bitte, lerne ihn kennen, dann entscheide.“

War das, worum sie ihn bat, nicht vernünftig? Sie verstand ihn ja, er hatte sie so in Erinnerung, wie sie vor einem halben Jahr gewesen war, er hatte nicht mitbekommen, wie sie zu einer Frau geworden war. Sie wollte dieses Baby und sie liebte dessen Vater, so einfach war das. Der werdende Großvater musste einfach einsehen, dass es Recht so war!

Er sah sie traurig an.

„Dann stell ihn mir vor. Und seine komische Tante, wie auch immer die Bratze hieß...“

Das Mädchen quietschte.

„Das werde ich, Vati! Ich liebe dich!“

Uda Magafi war ein vernünftiger Mann und obwohl es ihn erschütterte, umarmte er seine Tochter tapfer und kämpfte innerlich gegen diesen riesigen Reiz, den Kerl zu zerfetzen. Sein armes Kind... bekam ein Kind, oh nein...

„Eine Sache gibt es noch...“

Was? Na schlimmer werden konnte es ja nicht mehr, was sollte es schon...?

„Beide, Chatgaia und Mayora, sind nicht so wie wir... was ich meine, keine Menschen. Himmelsblüter!“
 

--
 

„Mayora...“

Der Angesprochene würdigte seine Tante keines Blickes, konzentrierte sich völlig auf den komischen Tee, den man ihm da aufgetischt hatte. Erinnerte etwas an Kaliri-Saft... vielleicht etwas feiner, wie es sich für ein so schickes Haus gehörte. Er wollte gar nicht darüber nachdenken, wie viel Geld allein die Einrichtung dieses einen Aufenthaltsraumes gekostet hatte...

„Neffe, ich spreche mit dir! Sieh mich doch wenigstens an, du solltest etwas Respekt vor Älteren haben!“

Und sie gab nicht auf. Vielleicht hätte er doch etwas einwenden sollen, als Choraly ihm erzählt hatte, sie käme vorerst mit.

Er bedachte sie mit einem eisigen Blick und entschloss sich, sich sogar zu einer Erwiderung herab zu lassen.

„Ach, sprich nicht. Du solltest umgekehrt Respekt vor mir als Mann haben und das weißt du auch.“

Sie verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen. Er wusste, dass er sie damit gereizt hatte, denn sie stellte sich nicht gern unter eine andere Person... aber hey, er hatte Recht.

„Wenn du ein Mann wärst, dann hätte ich Respekt vor dir, du bist jedoch noch ein kleines schmollendes Kind, so erscheinst du, da bin ich durchaus befugt, den nötigen Respekt zu verlangen.“, sie grinste triumphierend, „Wenn du vor Choralys wertem Herrn Vater auch so eine Miene ziehst, kannst du dich von deiner Freundin sicherlich verabschieden.“
 

Er wollte etwas erwidern, da öffnete sich die reichlich verzierte hölzerne Tür und beide ignorierten sich wieder, wandten sich stattdessen Uda Magafi und seiner Tochter zu, die darauf eintraten.

Choraly lächelte errötend, ihr Vater nicht.

Alles, was er dachte war ... grün?

Das Mädchen verneigte sich seinerseits leicht und erschien mit einem Mal ungeahnt reserviert.

„Es tut mir Leid, euch so lange warten gelassen zu haben, aber ihr werdet verstehen, dass mich mein lieber Papa erst einmal begrüßen musste. Außerdem habe ich ihm von euch erzählen müssen, also...“, sie deutete auf die Magierin, „Das ist Chatgaia Setari, Dorfoberhaupt Thilias. Sie hat sich sehr gut um mich gekümmert.“

Die Angesprochene erhob sich und deutete eine leichte Verneigung an, ihr Neffe tat es ihr gleich, als auch dieser vorgestellt wurde.

„Und das ist Mayora Timaro, mein Liebster. Er hat von seiner Tante das Heilen erlernt.“

„Es ist mir eine Ehre, Sie kennen lernen zu dürfen, Herr Magafi.“, er wagte es in seinem demütigen Tonfall zwei Schritte auf den Angesprochenen zu zu gehen, hielt bei dem vernichtenden Blick, den er sich darauf fing, jedoch wieder abrupt inne. Oh je...
 

Das war er also, der Nichtsnutz, der die kleine Prinzessin geschändet hatte. Uda Magafi schnaubte unwillkürlich. Himmelsblüter also, was? Er hatte seinem kleinen Mädchen sicherlich das Gehirn gewaschen oder so, auf so etwas wie den stand sie doch nicht. Grüne Haare! Und Augen so rot wie Blut, ja, genau so sahen auch seine Wunsch-Enkel aus, wundervoll.

Lerne ihn kennen, das wollte seine Tochter. Das würde nicht leicht werden...

Wie redete man mit so jemandem?

„Die Ehre ist ganz meinerseits.“, log er doch glatt, „So wie ich das verstanden habe, sind Sie mitgekommen, um mit meinem Kind eine eigene Familie zu gründen, nicht? Und was können Sie?“

Der Mann ahnte bereits, dass das eine gute Frage gewesen war. Ja, was konnte schon ein Idiot aus einem unzivilisiertem Kaff am anderen Ende der Welt?

Er sah ihn erbleichen, den Mistkerl, der ihm seine kleine Prinzessin stehlen wollte, jetzt hatte er wenigstens einen Grund ihn wieder hochkant heraus zu werfen, dahin, wo er herkam, sollte er auch wieder zurück!

Auch wenn es ihm für seine Tochter fast wieder Leid tat, aber sie würde schon noch einsehen, dass das nicht ihr Ziel sein konnte; so eine Liebelei hatte vielleicht in der Wüste Zukunft, wo sie ohnehin nichts mehr erwartet hätte, aber hier, in der großen Stadt, wartete noch so viel auf das junge Mädchen, es war völliger Unsinn, ihr Leben für diesen hässlichen Spinner aufzugeben!

Und während Choraly darauf ebenfalls blass wurde, weil ihr nichts einfiel, was sie sagen konnte, schaltete sich Chatgaia ein, die bisher ziemlich abseits gestanden hatte.

„Bei allem Respekt, mein Herr, aber Sie werden nicht von meinem Neffen verlangen können, dass er einen Beruf erlernt hat, den es genau so auch hier gibt. Ich kann mir selbstverständlich vorstellen, dass Mayora nicht das ist, was Sie sich für Ihr Mädchen gewünscht haben, aber wenn Sie ihn für etwas verurteilen, wofür er nichts kann, dann erscheint es mir doch sehr danach, als hätten Sie nie vorgehabt, ihm eine Chance zu geben, und das finde ich bei allem Respekt wirklich unverschämt, allein Ihrer Tochter gegenüber!“

Uda Magafi sah stirnrunzelnd zu der grünhaarigen Frau. Mit anderen Worten, sie fand sein Verhalten töricht und dumm. Und noch schlimmer, irgendwo hatte sie auch noch Recht.

„Verurteilen Sie mich doch nicht gleich, Verehrteste. Es war doch nur eine simple Frage, es hätte doch sein können, dass er irgendetwas nützliches kann.“, er hüstelte auf ihren seltsamen Blick aus den giftigen orangenen Augen, dann ergänzte er, „Heilen kann er, wenn ich mich recht entsinne? Vielleicht sollte ich ihm ein medizinisches Studium ermöglichen, Tochter, was denkst du?“

Gehirnwäsche, eindeutig! Diese Dame konnte einem mit einem einzigen Blick das Gefühl geben, ein Verbrechen zu begehen, dabei wollte er doch bloß das Beste für sein Kind.

Und sie auch.
 

Choraly strahlte ihn an, während Mayora bloß unsicher lächelte. Medizinisches Studium? Was auch immer das war, er tat es, solange er bei seiner Liebsten bleiben konnte! Außerdem hatte der Herr doch Recht, bloß weil seine Freundin reich war, hieß das nicht, dass er sich von ihr aushalten lassen konnte. Das verletzte im übrigen auch seine männliche Ehre...

„Ein medizinisches Studium wäre wunderbar!“, freute sich die werdende Mutter unterdessen auch und wandte sich dem Grünhaarigen zu, „Dann kannst du Arzt werden, das ist ein sehr ehrenhafter Beruf! An sich machst du nichts anderes als ohnehin schon, aber weil du dann studiert hast, kannst und weißt du viel mehr und kannst viel mehr Menschen behandeln und gesund machen! Was meinst du?“

Sie würde Chatgaia auf ewig dankbar sein, ihre autoritäre Persönlichkeit hatte selbst bei ihrem Vater etwas bewirkt, dabei war sie doch so zurückhaltend gewesen. Mayora sollte ihr wirklich verzeihen...
 

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Das riet sie ihm auch kaum später, als sie fröhlich mit ihm durch ihr Haus rannte. Eigentlich wollte sie ihn etwas herum führen, aber sie war selbst so dermaßen fasziniert und einfach nur überglücklich, dass sie sich darauf kaum konzentrieren konnte.

„Willkommen in meinem Reich!“

Sie quietschte regelrecht, als sie die große Tür zu ihrem Zimmer aufschob und ihr Freund mit einem Mal unter einem Zuckerschock plötzlich furchtbare Zahnschmerzen bekam und hustete.

„Chorilein!“, machte er empört, als sie sich auf ihr großes Himmelbett warf und einfach nur glücklich war, „Ich will mir ja nicht zu viel anmaßen, aber denkst du, es ist möglich, den Raum etwas... nun ja, umzugestalten? Weil... ich wohne ja jetzt auch hier und so...“

Er gönnte seiner Süßen ja wirklich viel und ein bisschen Kitsch fand es auch ganz nett, er war heimlich ein planloser Romantiker, aber... alles Rosa? ALLES?!

Das war zu viel für seine Augen, er war doch ein Junge und hier fühlte er sich nicht besonders wohl, auch wenn es an sich sehr schick war...

Das Mädchen lachte übermütig und strampelte mit den Beinen in der Luft herum.

„Waaas, dir gefällt mein wunderschönes Zimmer nicht?! Dann hast du aber Glück, ich wollte es ohnehin demnächst neu machen lassen! Und... zur Belohnung... will ich geküsst werden! Jetzt!“

Das war ein Wort.

Ja, er hatte Recht, mittlerweile war es ihr hier auch zu kitschig. Sie wollte jetzt ein damenhaftes Gemach, wie es sich für eine adlige Frau gehörte. Und bald wurde sie Mama, da konnte sie selbst kein Kinderzimmer mehr gebrauchen. Mama... das klang so schön...

Papa fand das auch, als er sich über sie beugte und sie zärtlich auf die Lippen küsste und danach sein Gesicht ganz nah an ihrem ließ, um sie einfach nur anzusehen. Sie war so hübsch.

„Es wird alles schön werden.“, es war kaum ein Flüstern, mehr nur ein kleiner Hauch des schönen Mädchens und er nickte eben so leicht, wie sie gesprochen hatte. Ja, da hatte sie Recht.
 

Sie hatten so verdammt viel gemeinsam erlebt in den letzten Monaten. Und wie sie zu Beginn wie Feuer und Wasser gewesen waren, waren sie nun wie Pech und Schwefel. Sie liebten sich, sie würden bald zu einer eigenen kleinen Familie werden.

Es war eine angemessene Entschädigung für die Schrecken ihrer Vergangenheit.
 

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„Meine Güte, hätte ich gewusst, dass sich das so leicht abhandeln lässt, dann hätte ich doch gleich erwähnt, dass ich mich auch noch um meinen Neffen kümmern muss!“

Chatgaia senkte etwas beschämt ihr Haupt. Es war ihr peinlich, vor einem fremden Mann darüber zu reden, aber was hätte sie denn sonst sagen sollen, um noch eine Weile auf Kosten einer fremden Familie in deren Haus leben und deren Essen zu sich nehmen zu dürfen? Wofür sie sich im übrigen auch schämte. Aber hatte sie ahnen können, dass Choralys Vater auf ihr Anliegen „Ja, passt schon, erfährt eben niemand etwas!“ sagen würde?

„Ehrlichkeit wehrt eben am längsten, meine Gute.“, erwiderte der Mann da grinsend und schenkte ihr in einem edlen Glas aus einer sehr merkwürdigen Flasche ein rotes Getränk ein. Sie hatte bereits etwas davon probiert, es war alkoholisch. Sie würde allerdings nicht fragen, um was es sich dabei genau handelte, dabei käme sie sich dumm vor.

„Das ist richtig, aber es ist in den letzten Tagen sehr viel passiert, so dass ich mittlerweile nicht mehr so ganz unterscheiden kann, was Recht ist und was nicht. Ich bitte um Verzeihung.“

Sie fühlte sich unwohl und schuldig, so auf die Freundlichkeit der Magafis gesetzt zu haben. Als wollte sie sie ausnutzen.

Wobei, Geld genug hatten die sicher, sie besaßen ein seltsames Teezimmer, indem sie gerade mit Uda Magafi saß, noch toller eingerichtet als der Raum zuvor, in dem sie irrsinniger Weise wirklich Tee getrunken hatte. Hier nahm sie ja den seltsamen roten Alkohol zu sich.

Ihr Gastgeber hingegen lächelte bloß und nippte an dem seltsamen Saft.

„Kein Grund, sich zu entschuldigen. Ich weiß ja, wie man handelt, wenn man durch den Wind ist. Ich hätte meinen schönen Kontinent durch mein unüberlegtes Handeln fast in einen Krieg gestürzt, als meine Tochter verschwand. Sie haben ja bloß eine Kleinigkeit verschwiegen, das ist in Ordnung. Fühlen sie sich ganz wie zuhause.“

Die Frau nickte etwas errötend. Dafür, dass er von Mayora so wenig gehalten hatte, war er zu ihr aber ganz schön freundlich, der Gute. Nun ja, sie wollte ihm auch nicht das Kind ausspannen und geschwängert hatte sie es erst recht nicht, irgendwo verstand sie ihn ja...

„Ich danke Ihnen vielmals. Ich hoffe aber, es dauert nicht zu lang...“

Auch sie nahm wieder einen Schluck von dem Alkohol und merkte nicht, wie der Herr sie etwas stirnrunzelnd musterte und sich mehr dachte, als sie mit dem Satz hatte sagen wollen.

Er grinste.

„Ach, verstehe.“, sie sah wieder zu ihm, „Es hätte mir auch Leid getan, Sie sind schließlich noch viel zu jung für so etwas.“

Irgendwie war sie ihm so erschienen. Er hatte gedacht, wenn es nicht so gewesen wäre, wäre sie sicherlich nicht allein gekommen oder auch überhaupt nicht, aber das war Unsinn, in dem Wüstendorf waren die Sitten womöglich völlig anders als in der Stadt.

Chatgaia hüstelte.

„Entschuldigen Sie vielmals, aber ich befürchte, ich verstehe nicht so ganz...“

Seine Antwort überraschte sie.

„Ich nahm an, Sie hätten Ihren Mann bereits verloren. Aber das erscheint mir jetzt irrsinnig, bloß weil Sie als Dame hier aufgetaucht sind... und jetzt kommen Sie mir nicht damit, dass Sie noch gar nicht verheiratet sind, das wäre mir peinlich!“

Er lachte und trank aus, sie lief peinlich berührt rot an. Das kam nicht oft vor, aber wenn sie bedachte, worauf das hinaus lief...

„Im Gegenteil, Sie hatten von Beginn an Recht.“, seufzte sie ihren Blick abwendend und er verschluckte sich überrascht, „Ich war bereits verheiratet und hatte sogar einen Sohn, aber beide, mein Mann und mein Kind sind bereits aus dieser Welt geschieden. Und was will denn noch meinen?“

Sie kicherte und suchte wieder seinen nun überraschten Blick.

„Sie wissen nicht viel von uns Magiern, nicht? Ich feiere dieses Jahr bereits meinen 40. Jahrestag!“

Uda Magafi war etwas geschockt und auf seinen empörten Blick musste nun sie lachen.

Hier war wohl kaum jemand schlauer als der gute Herr und vermutlich würden sie außerhalb dieses Gebäudes nicht so gut aufgenommen werden. Aber das war egal. Vorerst.
 


 


 

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Und ich lade trotzdem weiter hoch.

Ausgleich

„Choralychen, ich komme mir fürchterlich dumm vor!“

Mayora bekam kein Gehör, so oft er sich auch beschwerte, seine Verlobte ließ ihn einfach vor dem Berg an Büchern und unübersichtlichen Notizen allein sitzen. Verlobte, ja. Schon recht lange seine Verlobte, im übrigen.

Er schnaubte. Am Anfang, als es darum ging, die fremden Schriftzeichen zu lernen, war sie eifrig dabei gewesen. Klar, er war auch sprachbegabt und hatte das Ganze innerhalb weniger Wochen ziemlich gut gekonnt, aber jetzt, bei diesem komplizierten Medizin-Zeug, hatte sie keine Zeit mehr für ihn. Okay, sie hatte einen Grund, aber trotzdem, er war doch ihre Missgeburt...

„Prinzessin, bitte, tu doch was, Übermorgen hab ich eine Prüfung und ich kann gar nichts! Okay, an sich kann ich nur das hier nicht und das da drüber... und das, was gerade vom Tisch fiel, aber trotzdem! Ich tu das doch alles für dich!“

Er strampelte mit den Beinen wie ein Kind und die junge Frau seufzte. Dieser Idiot stresste sich viel zu sehr, noch am Morgen hatte sie mit ihm geübt und er hatte alles tadellos beherrscht. Spinner.

„Nimm das hier, es beruhigt.“

Sie trat zu ihm und legte ihm behutsam seinen kleinen Jungen in den Arm. Immer noch die beste Methode um Papa zum Strahlen zu bringen.

Und wie der strahlte.

„Aww, da ist ja Papas kleiner Liebling! Na? Na du süßer kleiner Fratz?“

Er kitzelte das Baby am Bauch, worauf es glucksende Geräusche von sich gab. Zwei Monate war die kleine Missgeburt nun alt, kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergangen war. Und er war auf jeden Fall das hübscheste kleine Baby der Welt.

Mama lächelte.

„Bring deinen alten Herrn mal auf andere Gedanken, Odohri! Prüfungsangst wie ein kleines Kind hat er, du darfst ihn auslachen... also du dürftest, wenn du nicht zu klein wärst, du Süßer.“

Der Kleine schaute seinen Vater bloß aus großen orangenen Augen an und strampelte etwas. War ihm reichlich gleich, wovon der Angst hatte oder was der überhaupt wollte...
 

An der Tür klopfte es. Das Zimmer war im übrigen nicht mehr ganz in rosa, zwar noch immer recht mädchenhaft, aber wesentlich angenehmer als zuvor und für Mayora durchaus zu ertragen.

Ebenso wie die Anwesenheit seiner Tante, die einen Moment später in den Raum lugte.

„Ratti 1 fragt, ob er euch ausnehmen darf.“

Das Paar warf sich einen irritierten Blick zu. Moment, war Ratti 1 nicht der Angestellte...?

„Und dann kommst du?“

Choraly blinzelte verwundert und die Frau lächelte leicht, ehe sie ganz eintrat.

Ja, die beiden Stachelratten hatten ihnen vor ein paar Monaten ein sehr interessantes Kartenspiel beigebracht, das man in der Unterschicht der großen Stadt abends oft spielte, um sich die Zeit zu vertreiben, gerne auch um Geld. Und die beiden hässlichen Jungen gewannen ständig und waren sicherlich heimlich schon steinreich durch ihre Gaunereien.

Aber immerhin hatten alle Beteiligten Spaß.

„Freiwillig. Ich sitze schon seit Stunden da unten, ich muss mir mal die Beine vertreten.“, sie sah zu ihrem Neffen, „Na, alles gelernt?“

Er seufzte. Sie sprachen noch nicht lange wieder halbwegs normal miteinander. Der junge Mann war wirklich extrem stur gewesen, hatte ihre verhaltenen Bemühungen um ihn, die sie selbst so überhaupt nicht mit ihrem eigentlichen Wesen hatte vereinbaren können, aber irgendwann einfach nicht mehr ignorieren können. Und jetzt näherten sich die Beiden wieder ganz langsam an, was die junge Mutter beruhigte. Sie wollte Frieden in ihrer Familie.

„Na ja, mehr oder minder, sagen wir, zumindest versucht habe ich es.“, seufzte der Grünhaarige da und die Ältere nahm ihm seinen Sohn aus dem Arm und wiegte ihn zärtlich.

Choraly schüttelte nur leicht den Kopf.

„Unsinn, du machst dich nur verrückt, du kannst alles. Und... nimm es einfach hin, ich möchte jetzt nicht mit dir diskutieren. Vertrau mir, ich weiß das, ich bin eine Frau.“

Und die waren ja bekanntlich sehr intelligent und so. Dennoch freute sie sich sehr über die Strebsamkeit ihres Fast-Mannes. Ihren Vater hatte er damit inzwischen auch überzeugt. Ja, alles war in Ordnung.

„Du schaffst das.“, pflichtete ihr unterdessen auch Chatgaia bei, küsste den kleinen Jungen kurz auf die Stirn und reichte ihn dann wieder an ihren Neffen weiter, „Wollt ihr nun mitkommen?“

„Nein, ich muss lernen, aber Choralychen kann gerne mitgehen, ich bin ja bei Odohri.“

Das Baby gluckste zustimmend und seine Mutter nickte. Sie hatte auch Spaß an dem dämlichen Spiel, warum also nicht? Wenn sie denn schon einmal Zeit hatte...

Sie küsste ihren Verlobten liebevoll auf die Lippen und der schenkte ihr darauf ein leichtes Lächeln. Sie sollte sich entspannen. Er hatte noch immer ein schlechtes Gewissen, weil sie vor zwei Monaten durch seine Schuld solche Schmerzen gehabt hatte...
 

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„Und wie läuft es jetzt bei dir? Ich meine, bist du dir sicher, dass du das wirklich auf dich nehmen möchtest? Und gerade jetzt, in deinem Zustand!“

Die beiden Frauen nahmen nicht den direkten Weg in den kleinen Personalraum, sondern gingen noch etwas in den scheinbar unendlichen Gängen der Villa spazieren.

Allein war es hier nachts etwas gruselig, wenn das Personal in seinen Räumen oder zuhause war und kaum Licht brannte, fand Choraly zumindest. Chatgaia rannte des öfteren allein hier herum, ihr schien das nichts auszumachen. Dabei musste sie doch so sehr auf sich aufpassen...

„Ach, was heißt, gerade jetzt? Ich arbeite doch bereits seit ein paar Monaten daran, das ist jetzt meine Chance. Du würdest das selbe tun, das weißt du genau so gut wie ich. Auch wenn die Situation im Moment etwas unpraktisch ist, aber es wird schon gehen.“

Sie hielten am Ende des Flures an einem großen Fenster inne. Der Hof war bloß schwach beleuchtet.

An sich war eine dauerhafte Außenbeleuchtung auch nur Geldverschwendung, aber Uda Magafi bestand darauf. Die Familie war zu gefährdet, man musste immer alles, was um sie herum geschah, genau beobachten. Er hatte durch zu nachlässigen Schutz bereits einen Sohn verloren, er hatte aus seinem Fehler gelernt.

„Es regnet.“

Die Ältere legte eine Hand auf die kalte Scheibe und sah eine Weile hinaus. Sie erinnerte sich noch an den ersten Regen in der großen Stadt, wenige Tage nachdem sie hier angekommen gewesen war. Nie hatte sie ihren Neffen so strahlen gesehen. Es war so bitter kalt gewesen und dennoch war er einfach hinaus gerannt und hatte das darauf folgende heftige Fieber in Kauf genommen. Und er war dabei glücklich gewesen.

Auch sie als Feuermagierin hatte es sehr fasziniert. Anders als Mayora hatte sie bereits einen Regen erleben dürfen, als kleines Mädchen. Ihre Erinnerungen waren sehr stark verblasst, hatte sie festgestellt und jetzt in der großen Stadt bedurfte es plötzlich gar keiner Erinnerungen mehr, denn es regnete ständig. Seltsame Sache.

„Stimmt.“, machte Choraly da und folgte mit dem Blick dem ihren, „Aber übernimm dich nicht. Ich meine... wenn ich das täte, wäre das etwas anderes. Ich weiß, dass du da gar nicht gerne drüber sprichst, aber ich maße mir einfach einmal an, dich noch einmal daran zu erinnern, du hast es mir schließlich selbst erzählt...“

Der Regen war uninteressant und sie wandte ihren Blick der grünhaarigen Frau zu. Sie war bewundernswert. Irgendwie.

Sie wusste, was jetzt kam und rührte sich keinen Millimeter.

„Du hast bereits viele Babies verloren. Du musst sehr vorsichtig sein.“

Und das wusste sie auch. Die Magierin legte seufzend ihre nun kühle Hand auf ihren gerundeten Bauch. Darin wuchs neues Leben. Es bewegte sich, es wuchs und es wurde jeden Tag stärker. Sie musste unwillkürlich lächeln.

„Prinzessin.“, sprach sie andächtig, „Die Sehnsucht nach einem Kind zerfrisst mich seit Ewigkeiten von innen. Ich schwöre dir, ich würde nie etwas tun, wobei auch nur das geringste nennbare Risiko bestünde. Ich werde morgen diese kurze Fahrt auf mich nehmen, werde mich ein paar Stunden mit der Hoheit unterhalten und werde dann zurückkehren. Ich verspreche, nichts anstrengendes zu tun. Ich behaupte, ich bin in einem Alter, in dem man selbst sehr gut entscheiden kann, was das Richtige für einen ist. Deine Sorge ehrt mich jedoch sehr.“

Prinzipiell hatte die Ältere durchaus Recht, an sich gab es keinen Grund, sich solche Gedanken zu machen. Choraly war dennoch beunruhigt. Es kam von Innen, sie konnte es nicht beschreiben. Hoffentlich irrte sie sich und es lag einfach an den Hormonen.

Ja, Hormone waren ein gutes Stichwort, Chatgaia Setari war tatsächlich schwanger. Setari würde sie nicht mehr lange heißen, denn genau so wie ihr Neffe war auch sie erneut verlobt.

Es war eine riesige Überraschung für alle Beteiligten gewesen, denn bereits wenige Wochen nach ihrer Ankunft hatte das Mädchen die grünhaarige Frau eines Nachmittags in ihrem Zimmer empfangen. Sie war aufgelöst gewesen, völlig anders, als man sie gekannt hatte und eine Weile hatte sie sich sogar gefragt, ob es sich nicht um eine Hochstaplerin handelte. Es war jedoch die Echte gewesen, die der Jüngeren nach einigem hin und her von ihrem Baby erzählt hatte.

Im ersten Moment war ihr das sehr komisch vorgekommen. Sie hatte zwar von ihrem Kinderwunsch gewusst, war aber davon ausgegangen, dass sie dabei war, ein Alter zu erreichen, in dem es galt, diesen zu vergessen. Man hatte sie eben eines Besseren belehren müssen. Himmelsblüter blieben nun einmal ewig jung...

So war es auch gekommen, dass die Magierin von ihren verlorenen Kindern erzählt hatte, von den vielen Schwangerschaften, die frühzeitig geendet hatten und so hatten beide Frauen sich entschlossen, wegen des hohen Risikos die Sache vorerst für sich zu behalten, bis sie nach ein paar Monaten, als es langsam begann, sichtbar zu werden, die Sache veröffentlichten.

Mayora hatte zunächst sehr dumm aus der Wäsche geschaut, seiner Verlobten im Vertrauen jedoch berichtet, wie sehr es ihn für seine Tante freute. Jahrelange war er ihr unfreiwilliges Ersatzkind gewesen, wo sie sich ohnehin mit ihm versöhnen wollte, kam das gerade praktisch. So war die Wahrscheinlichkeit geringer, dass die Worte, die ihren Mund verließen, die Unwahrheit waren. Das war ihm sehr wichtig.

Zur Überraschung Choralys hatte auch der werdende Vater außerordentlich gut reagiert. Dass er von Himmelsblütern eigentlich doch gar nicht mal so abgeneigt war, hatte Uda Magafi ja schnell bewiesen; dass seine nette kleine Affäre mit der Magierin so jedoch öffentlich wurde, hatte ihn in sehr unangenehme Situationen gebracht. Pervers wurde er genannt und erntete von seinen Kollegen immer wieder Seitenhiebe, aber er nahm es mit dem Stolz eines Magafis. Er freute sich, so überraschend noch einmal Vater werden zu dürfen und diese Freude ließ er sich von niemandem nehmen. Außerdem begehrte er seine Frau, warum sollte es falsch sein, eine kleine Familie mit ihr zu gründen? Seine Tochter konnte er so immerhin verstehen.

Außerdem war Chatgaia keineswegs eine Schnorrerin, wie sie sich zu Beginn hatte ebenfalls betiteln hatte müssen. Seit längerem beschäftigte sie sich mit den Arbeiten Naputi Magafis, kämpfte sich durch viele Akten und Notizen und bekundete des Öfteren ihre Bewunderung für Choralys Mutter.

Diese schien zu ihren Lebzeiten an kaum etwas anderem, als an der Gerechtigkeit interessiert gewesen zu sein. Sie hatte Probleme im Volke gezielt aufgespürt und hatte durch ihren Mann die Macht gehabt, vieles zu verändern.

Die Feuergötter hatten die Magierin schon früh darauf hingewiesen, dass es nun an ihr war, diese Arbeit fort zu führen. Und das tat sie mit Freude, denn sie war niemand, der sich gerne aushalten ließ, sie musste selbst etwas sinnvolles tun.

Wo sie nun ein Kind erwartete, würde auch sie wohl oder übel nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren können. Uda Magafi arbeitete hier, sie war in der Wüste jedoch ersetzbar. So war es beiden klar gewesen, wer sein bisheriges Leben aufgeben musste.

Getrennt leben kam im Übrigen nicht in Frage, so unangenehm es den beiden zu Beginn auch gewesen war zuzugeben, dass sie ein Paar waren, sie waren es eben und wollten zusammen bleiben.

Demnächst würde die Grünhaarige noch einmal nach Thilia reisen, um ihrem Neffen Imera zu erklären, dass es ihr letzter Besuch dort sein würde.

Wenn er damit zurecht kam, sollte er von ihr aus gern das endgültige Oberhaupt des Dorfes werden, falls es ihn überforderte, hatte die Frau sich überlegt, ihm auch zu erlauben, jemand anderes für dieses wichtige Amt zu suchen.

Er war zwar bereits von seinem Vater dazu auserkoren worden, einmal Oberhaupt des toten Dorfes Morika zu werden, aber wirklich ein Typ für solch einen Posten war er nicht. Er sollte es selbst entscheiden.

Aber alles zu seiner Zeit, zunächst einmal musste sie ihr Kind wohlbehalten zur Welt bringen.

Und morgen hatte sie im Namen von Naputi Magafi noch etwas besonderes vor.
 

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Und dieses besondere Vorhaben verlangte am nächsten Vormittag von ihr zu knien. Zumindest war sie sich dessen bewusst und wollte es tun, wurde aber noch einmal abgehalten.

„Nicht doch!“, die schüchterne Königin des Kontinents Noboka lächelte ihrem Gegenüber zu, „Das ist doch zu umständlich mit dem Bauch. Eine Ausnahme. Herzlich willkommen in meiner Residenz!“

Sie nickte. Ihr kam tatsächlich die Ehre zuteil, mit dieser Frau unter vier Augen zu sprechen. Auch das verdankte sie Uda Magafi.

Ihr Anliegen war einfach. Sie wollte für ihr Volk kämpfen. Und so wie die Hoheit schien, würde man sie sicher nicht abwimmeln.
 

Im Gegenteil.

„Ich verstehe Sie sehr gut.“, erklärte die Monarchin wenig später verhalten.

Sie spazierten durch den wunderschönen Schlossgarten, da es bei den angenehmen Temperaturen draußen einfach viel schöner war als in dem pompösen Palast.

Von pompösen Gebäuden hatte die Grünhaarige beinahe genug, ihr Verlobter ließ sie kaum das Haus verlassen. Er hatte natürlich Recht damit, man musste sie sehr schützen, aber vor wenigen Monaten war sie noch den ganzen Tag durch ihr kleines Dorf gerannt, sie fühlte sich beinahe wie in einem goldenen Käfig. Musste aber sein...

Die Königin hielt vor einem kleinen, verhältnismäßig hässlichen Bäumchen inne und musterte es eine Weile. Es war beinahe verkrüppelt und wollte so überhaupt nicht in den schönen Garten passen. Chatgaia fiel im ersten Moment überhaupt nicht auf, was sie da vor sich hatte, zu unwirklich erschien es. Bis sie zur Erkenntnis kam, vergingen einige Augenblicke.

„Ein kleiner Kaliri-Baum...“, sie fasste vorsichtig nach einem winzigen Ästchen, „Er kann hier kaum leben, er hat viel zu kalt!“

Fasziniert von dieser krüppeligen Erinnerung an ihre Heimat bemerkte sie die Verwunderung der anderen Frau nicht. Kaliri-Bäume hießen diese seltsamen Dinger? Das ergab sogar Sinn, der Gärtner versuchte immer zu, die kleine Pflanze irgendwie wieder aufzupäppeln, aber in diesem Klima konnte sie ganz simpel nicht leben, es tat ihr nicht gut. Das sollte sie ihm ausrichten, vielleicht fiel ihm darauf ja eine Lösung ein.

„Wie dem auch sei...“, versuchte sie die Gedanken an ihren Garten zu verdrängen und ihren Gast wieder auf das eigentliche Thema zurück zu bringen, „Es... gibt etwas, das ich Ihnen im Rahmen Ihrer Bitte berichten möchte. Ich... sollte eigentlich niemandem davon erzählen. Wir... also die, die mir sagen, was ich tun soll, denn zu entscheiden traut man mir bedauerlicherweise nicht zu, bezeichnen es als unerklärliche Problematik. Da Sie mich um Beihilfe zur Befreiung ihres offiziell nicht einmal gefangenen oder verbannten Volkes gebeten haben, will ich mein Versprechen gegenüber meinen Leuten brechen. Ich vermute ohnehin schon lange, dass es Unrecht ist...“

Sie setzten sich auf eine hübsche kleine Bank im Schatten eines nun schönen, starken Baumes, ganz in der Nähe. Unerklärliche Problematik klang ja interessant, was das mit den Himmelsblütern zu tun hatte, wollte die grünhaarige Frau nur zu gern wissen. Passte vom Wortlaut her bereits sehr gut auf die Meinung der meisten Menschen zu den Magiern...

Die Königin seufzte und schien abermals etwas verlegen.

Während sie etwas an einer langen, dunklen Haarsträhne spielte, fragte Chatgaia sich, wie ausgerechnet sie an einen solchen Posten gekommen war. Sie konnte kaum älter sein als die Himmelsblüterin, wenn überhaupt, hatte aber nicht halb so viel Selbstvertrauen. Sie war sicher leicht zu manipulieren.

„Es ist eine gar schreckliche Geschichte!“, fuhr sie da mit einem Mal beinahe verzweifelt auf, „Wir wissen nicht, ob es nur bei uns, in Noboka, so ist, denn reden will keiner! Es... es zerreißt mir das Herz, je mehr ich erfahre, ich möchte schon überhaupt nichts mehr wissen davon! Ich bin so beschämt die Herrscherin eines so barbarischen Volkes zu sein!“

Sie errötete, als sie in das überrumpelte Gesicht ihres Gegenübers blickte. Ach, Schande über ihre Voreiligkeit...

Nach einem verunsicherten Räuspern fuhr sie fort.

„Nun ja, ich werde etwas weiter ausholen müssen. Zum ersten Mal aufgefallen ist es vor ungefähr zehn Jahren, aber ich denke, unbemerkt tritt dieses... ich bezeichne es als Phänomen, schon wesentlich länger auf. Der äußerste Norden und der entfernte Süden unseres Erdteiles sind außerhalb der Städte noch immer sehr unzivilisiert, fürchte ich. Jedenfalls verzeichneten wir in den Städten immer öfters auffällige Kinder, sie wuchsen nicht richtig, waren zierlich und oftmals kränklich. Die besorgten Eltern ließen sie untersuchen, aber was der Grund war, wusste lange niemand. Bis eines dieser Kinder, ein Mädchen, ich sehe sie noch vor mir, als sei es gestern gewesen... ; jedenfalls hat dieses wissbegierige Ding heraus gefunden, was mit ihnen war und den großen Fehler gemacht, es zu verbreiten.“

Die Frau seufzte. Sie kam sich dämlich vor, das so einfach zu erzählen. Ihr Gast seinerseits hatte eine leise Ahnung, in welche Richtung die Erzählung führen könnte.

„Klein, zierlich und kränklich passt auf uns Magier, so scheint es mir. Und ich habe bereits davon gehört, dass menschliche Eltern Kinder mit Himmelsblut zur Welt bringen, nachgewiesen aber bloß, wenn es in der näheren Vorfahrenschaft ebenfalls Himmelsblüter gegeben hat. Aber Ihr habt von einer größeren Menge gesprochen, wenn ich das richtig verstanden habe. Wie kommt das?“

Auf die Frage erlaubte sich die Herrscherin ein leises Lachen. „Wie kommt das?“, wollte sie wissen, dabei hatte sie sich klammheimlich selbst eine Antwort von der seltsamen Frau erhofft.

Oh ja, sie hatte sich etwas vor dem heutigen Treffen gefürchtet, auch wenn es nicht das erste Mal war, dass sie auf ein solches Wesen traf. Aber die, die sie kannte, waren Kinder...

Uda Magafi hatte sie quasi gezwungen.

„Das ist eine äußerst berechtigte Frage.“, entgegnete sie so, beschämt wegen ihres dämlichen Kicherns und fragte sich nebenbei, wie diese ganzen Politiker immer auf die Idee kamen, sie herum zu kommandieren, „Ich kann sie nicht beantworten. Diese Kinder wurden einfach so geboren, ihre Eltern unterschieden sich nicht von anderen Leuten. Mir ist ein fetter Bauer in Erinnerung, sein Hof ist nicht weit von Wakawariwa entfernt und von seinen 10 Kindern war bloß ein einziges so. Er hat es, als die Erkenntnis die Runde machte, in seinen Brunnen geworfen.“

Bei den Erinnerungen daran erschauderte sie. Sie merkte, wie ihr Gegenüber die gruseligen orangenen Augen etwas weitete; am liebsten hätte sie die weitere Geschichte verweigert, aber sie konnte sich ohnehin nicht durchsetzen. Nein, sie sollte sie einfach verschonen mit ihrer Reaktion, denn sie würde sicher fürchterlich sein!

„Wie es weiter geht, wird Ihnen sicher nicht gefallen, aber... bitte, ich fürchte mich etwas...“, sie verschluckte das „vor Ihnen“ gerade rechtzeitig und Chatgaia wandte den Blick ab und streichelte stattdessen ihren runden Bauch.

Sie kannte schließlich die menschliche Scheu... und ihre Abscheulichkeit.

„Redet doch bitte.“, bat sie und verschonte die Andere vor ihren ach so gruseligen Iriden.

Letztere seufzte ergeben.

„Nun ja, nicht alle haben ihre Kinder gleich in den Brunnen geworfen, viele hatten sie einfach weiter gern, wie es auch richtig war! Um das direkt klar zu stellen, nicht dass es am Ende so erscheint, als würden hier einzig Unmenschen leben...“

War „Unmensch“ nicht auch irgendeine Beleidigung? Sie überspielte ihre Verunsicherung und erklärte weiter.

„Nun ja, jedenfalls gab es auch viele, deren Verunsicherung groß war... größer als die Liebe zu ihrem Nachwuchs, wie bei eben diesem komischen Bauer... nicht alle haben ihnen etwas schlimmes angetan... aber viele wollten sie nicht mehr, haben sie abgegeben und ich... ich schäme mich dafür, nicht zu wissen, was darauf mit den Kleinen geschehen ist! Oder noch immer geschieht, denn es ist kein Ende in Sicht, denke ich... und was draußen auf dem Land geschieht ist sicher noch viel schlimmer... ich mag nicht daran denken.“

Die Frau seufzte abermals leise und überlegte, wie sie am besten weiter sprach. Sie hatte alles gesagt, nicht? Ja... das war die Geschichte. Magier wurden von Nicht-Magiern geboren, ohne irgendeinen ersichtlichen Grund. Und je mehr man... weg schaffte, desto mehr kamen nach, hatte sie ungewollt erfahren müssen.

Es war ein komischer Gedanke. Die Götter waren launisch.

„Und was habt ihr getan?“

Sie blinzelte.

„Was wir getan haben? Was meinen Sie, ich fürchte, ich verstehe nicht so recht...“
 

Lächerliches Pack. Lächerliche Königin. Lächerliche Welt.

Die Grünhaarige erhob sich, strich sich weiter über ihren Bauch, als er begann, unangenehm zu ziehen.

„Was bist du, wenn du meine Frage nicht verstehst, Weib? Denkst du, ich bemerke dein Herzrasen, die Nervosität, nicht, wenn du mir falsch ins Gesicht lächelst?“

Ausnutzen ließ sie sich, diese erbärmliche Frau. Und dennoch war sie geschockt, als man sie „Weib“ nannte. Ja, sie hatte sie treffen müssen, denn irgendwie musste man sie doch von ihrer Wolke auf den Boden zurück locken!

„Wie können Sie es wagen, mich so zu betiteln?! Ich habe mir einen ganzen Nachmittag Zeit für Sie genommen! Ich habe Ihnen etwas erzählt, was Sie eigentlich gar nicht wissen sollten und ich war sehr freundlich zu Ihnen, obwohl Sie zugegebenermaßen sehr befremdlich auf mich wirken! Ich finde Sie wirklich unverschämt!“

Die Monarchin stellte sich mit allem Stolz, den sie aufbringen konnte vor ihren Gast. Niemand war gerade in der Nähe, warum war keiner da? Sie würde ihr sicher die Haut abziehen, wie fürchterlich! Wenn sie das überstand, würde sie Uda Magafi degradieren, genau! Sie war äußerst erbost, von so einer Wilden beleidigt worden zu sein!

Chatgaia keuchte darauf, ignorierte den beunruhigenden Schmerz in ihrem Unterleib.

„Ja, wie konnte ich es wagen, dich überhaupt irgendwie zu betiteln, Titel sind schließlich das, was deine Vorfahren meinem Volke gestohlen haben! Nein, du bist an sich kein schlechter Mensch, im Gegenteil. Aber dass du noch nicht einmal meine eindeutige Frage verstanden hast, zeugt von deiner Dummheit!“

Oder ihrer Furcht. Sie wusste genau, was sie gemeint hatte, sie konnte es neben ihres weh tuenden Bauches genau spüren. Warum tat er weh? Sie erinnerte sich beunruhigt an ihr kleines Mädchen...

Es ist sicher bloß die Aufregung...

„Euch fiel keine Erklärung dafür ein und deshalb habt ihr diese kleinen, unschuldigen Wesen einfach weg geschafft! Nichts habt ihr für sie getan, ihr habt sie einfach ihrem Schicksal überlassen, weil sie nicht in euer falsches Weltbild passen wollten! Schon einmal daran gedacht, dass es der Wille der Götter ist?!“
 

Der Königin passte eben dieser Wille genau so wenig wie ihrem Volke. Weshalb wunderte die sich, sie war respektlos und penetrant, sie schrie sie für etwas an, wofür sie kaum etwas konnte.

Und so wäre sie im Angesicht dieser Unverschämtheit beinahe ebenfalls laut geworden, wenn ihr Gegenüber nicht einfach keuchend vor ihren Füßen zusammengebrochen wäre.

Und mit einem Mal wusste sie, weshalb sie nicht geeignet für ihren Posten war.

Herrscher mussten durchgreifen, sich nicht ablenken lassen und auch keine Gnade kennen, wenn sie nicht verdient war.

Sie konnte das nicht.

Und sie war stolz darauf, als sie sich besorgt zu der Anderen kniete.

„Was haben Sie?“

Denn so etwas machte einen Menschen zum Menschen.
 

--
 

„Ich bin ziemlich überrascht. Du bist doch sonst immer so übervorsichtig, warum dieses Mal nicht?“

Uda Magafi ließ seine Familie bewachen wie das Königshaus seine Kronjuwelen, dass er seine Verlobte allein aus dem Haus gelassen hatte, überraschte seine Tochter sehr. Irgendwie gab es ihr das Gefühl, er wäre zu nachlässig, obwohl das vermutlich völliger Blödsinn war, aber sie war eben das Kind ihres Vaters...

So saß sie vor ihrem Schreibtisch und konnte sich überhaupt nicht auf ihre Schularbeiten konzentrieren, denn es machte sie unruhig, nicht zu wissen, ob es Chatgaia gut ging.

Warum sollte es ihr eigentlich nicht gut gehen? Langsam wurde sie echt verrückt.

War aber auch alles seltsam im Moment.

Sie hatte sich verändert, seit sie wieder zuhause war. Es war beinahe eine größere Umstellung gewesen, als damals in Thilia. Hier ging sie plötzlich wieder zur Schule, machte bald ihren Abschluss und würde den Posten ihres Vaters irgendwann übernehmen. Gleichzeitig war sie aber auch Mutter und musste sich um ihren kleinen Sohn kümmern. Und ihren Verlobten unterstützen, natürlich. Gehörte auch dazu... Dabei hatte sie vor nicht all zu langer Zeit ihre eigene Mama verloren. Und Chatgaia lieb gewonnen.

Komische Sache.

„Ich denke, bei unserer Hoheit ist meine Gute ziemlich sicher. Und sie hat es sich so sehr gewünscht, ich kann ihr doch nichts abschlagen...“, antwortete ihr Vater da und lenkte sie so ungewollt weiter von ihrem Historik-Referat ab.

Sein kleiner Enkel quiekte zustimmend. Vielleicht lag es auch daran, dass er sein Bäuchlein kitzelte, war aber an sich auch gleich.

Kaum zu glauben, bald würde er selbst noch einmal Papa eines solchen Wurms sein.

„Ich finde es trotzdem seltsam. Es passt nicht zu dir, so kenne ich dich nicht.“, die junge Frau legte den Stift bei Seite, stützte den Kopf auf ihre Hände und verwischte unglücklicherweise mit ihren Ellbogen die frische Tinte auf ihren Blättern, „Entweder ist sie dir nicht wichtig genug, um dich damit abzumühen, sie aufzuhalten oder du liebst sie so dermaßen, dass du deine eigene elitäre Meinung hinten an stellst und ihr den Freiraum lässt, den sie auch verdient. Was ist es?“

Er grinste, weiter das Baby ärgernd. Erstaunlich, wie gut die kleine Prinzessin ihn inzwischen kannte. Besser als seine verstorbene Frau ihn je gekannt hatte. Er vermisste sie nicht wirklich.

„Ich schätze, eher letzteres. Ich habe sie sehr gern. Um ehrlich zu sein...“, der Mann erhob sich und ging etwas im Raum spazieren, wiegte den kleinen Odohri gedankenverloren in seinen Armen, „Sie muss sich hier seltsam vorkommen, denkst du nicht? Ich befürchte immer, sie könnte mir weg laufen, zurück in die Wüste kehren. Sie soll sich hier sehr wohl fühlen.“

Seine Verlobte verhielt sich ruhig, tat nie etwas, was er nicht auch wollte oder zumindest abgesegnet hatte, aber dieser unterwürfige Typ war sie an sich nicht, das wusste er. Das wollte er auch gar nicht, er verehrte und begehrte die Frau genau so, wie sie war. Oder sein sollte.

Wenn sie sich derart anpassen musste, würde sie sicher noch einmal durchdrehen hier und in die Wüste flüchten, er musste ihr auf jeden Fall eine gesunde Dosis an Freiraum lassen. Er gab sie nicht mehr her...

Seine Tochter erhob sich, stellte sich ihm gegenüber und lächelte ihn an. Es war kein übermütiges Lächeln eines kleinen Mädchens, nein, es war das wissende eine jungen Dame.

„Ich freue mich über deine Antwort. Ich schätze, sie hat dich eben so gern wie du sie, sonst würde sie es wohl kaum auf sich nehmen, hier zu leben. Das fällt ihr nicht leicht. Aber sie ist dir zutiefst dankbar, weil sie dein Kind austragen darf.“

Er hatte ihr damit immerhin einen sehr großen Wunsch erfüllt.
 

Im selben Moment öffnete sich die pompöse Tür rumpelnd und die jüngere Stachelratte kam hinein gestolpert. Fast wäre sie auf die Nase gefallen, konnte sich aber noch einmal an Choraly abstützen, die sie darauf empört anschaute.

„Ähm – Entschuldigung.“, der Junge räusperte sich verlegen und stellte sich ordentlich hin, „Ich habe Nachrichten! Welch Überraschung, ich komme ja auch nur, wenn ich welche habe, mein Gehalt möchte oder um eine nette kleine Partie Karten zu spielen bitte! Wobei, die letzten beiden Punkte sind an sich beinahe das Selbe, aber man muss ja auch sehen, wo man bleibt, nicht? Apropos, mein reguläres Gehalt steht noch aus diesen Monat... ach, jetzt habe ich doch glatt vergessen, weshalb ich hier bin, wie schade...“

Er kratzte sich etwas verpeilt am Kopf und hüstelte dann künstlich. Warum musste er sich auch immer wieder derart verrennen? War ja schlimm mit ihm...

„Na wenn du so weiter machst, vergesse ich dein Monatsgehalt dieses Mal einfach.“, bestätigte Uda Magafi seine Gedanken auch und er grinste verlegen.

„Weißt du noch nicht einmal mehr grob, worum es ging?“, wollte die junge Frau seufzend von ihm wissen, während sie ihrem Vater das Baby abnahm, weil es zu jammern begonnen hatte.

Baby, na klar. Die Herrin war doch auch schwanger!

„Doch, klar!“, er fasste sich an die Stirn, „Herr, man berichtete mir, mit Eurer Verlobten sei etwas passiert, man brachte sie in ein Hospital!“

Diese einfach daher gesagte Nachricht schlug ein wie eine Bombe.
 

--
 

Als Chatgaia erwachte, wusste sie nicht, wo sie war. Aber es war ihr auch egal. Sie erinnerte sich an das, was geschehen war. Leider. An jedes Detail.

An die Schmerzen, die im Garten der Königin plötzlich aufgetaucht waren, die sie zuerst ignorieren hatte wollen. Weil ihr der Ernst der Lage klar gewesen war. Weil es ihr nicht vergönnt war.

Nach dem Verlust ihres Sohnes Taranii hatte sie oft Leben in sich getragen, aber nie war es lebendig geboren worden, bis auf eine einzige Ausnahme. Ihre kleine Tochter war gewachsen, bis sich der Bauch der Grünhaarigen bereits deutlich gerundet hatte, doch irgendwann waren unverhofft die Wehen eingetreten, viel zu früh. Das kleine Mädchen war wenige Stunden später seiner Schwäche erlegen.

Obwohl ihre Erinnerungen an die Szenen kurz vor ihrer Ohnmacht klar waren, fasste sie unter der weichen Decke, die auf ihr lag und sie angenehm wärmte, nach ihrem Bauch. Schwach, sie war sehr müde.

Ein bitteres Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, während sie weiter ins Nichts starrte. Er war beinahe flach, etwas angeschwollen, aber es befand sich kein Kind mehr darin. Sie hatte nicht geträumt.

Sie hatte sich nicht eingebildet, wie sie irgendwo in einem komischen Raum gegen ihren Willen dem Verlangen zu pressen nachgegeben hatte. Die Königin hatte sich wirklich um sie gekümmert, als sie vor ihr zusammen gebrochen war.

Alles, was mit ihr geschehen war, war so furchtbar unwirklich. Sie gehörte nicht hier her. Vielleicht sollte sie das dem Mann, den sie liebte, sagen.

Sie hatte ihn ohnehin enttäuscht.
 

„Du bist ja wach.“

Die Frau weitete ihre Augen minimal, als sie plötzlich eine bekannte Stimme neben sich wahrnahm. Mayora?

„Wie... kommst du hier her? Müsstest du nicht... studieren oder so?“

Sie keuchte. Warum bemerkte sie den fürchterlichen Schmerz in ihrem Unterleib erst jetzt?

Der Junge lächelte.

„Richtig, ich war auch dabei. Wir sind hier in einem Hospital, ich war hier, weil ich ein paar wichtige Dinge heraus finden wollte... und dann kamst du. Was das betrifft sind unsere Haare und Augen äußerst praktisch, eine Schwester auf dem Gang hat mich einfach angesprochen und gefragt, ob wir beiden zusammengehören. Uda und Choralychen sind inzwischen aber auch da.“

Die waren schon da? Wie lange hatte sie eigentlich geschlafen? Das Zeitempfinden war verschwunden. War ja auch egal.

Sie drehte ihren Kopf langsam zur Seite, damit sie ihren Neffen anschauen konnte. Außer ihm schien niemand weiteres im Raum zu sein. Und er grinste sie einfach an.

Darauf wären ihr fast die Tränen gekommen.

Reiß dich zusammen, dummes Weib!, schalte sie sich selbst, Es ist wie immer, es ist in Ordnung.

„Wie kannst du es wagen, mich einfach anzugrinsen?“, fragte sie ihn dennoch und klang zu ihrem Leidwesen erbost. Der junge Mann hob beide Brauen.

Sie war scheinbar noch ziemlich verwirrt.

„Richtig, wie kann ich nur? Ich habe gute Laune, deshalb tue ich so etwas unerhörtes.“

Gute Laune hatte er?

Sie zischte.

„Ekel!“

Einbildung war auch eine Bildung, musste die Frau feststellen. Sie hatte geglaubt, er wäre dabei, ihr zu verzeihen, stattdessen ergötzte er sich an ihrem Leid, auch wenn sie dieses zu verschlucken versuchte. Am liebsten wollte sie einfach aus dem Raum rennen, aber angesichts ihrer Erschöpfung und des ziehenden Schmerzes sah sie sich dazu nicht in der Lage, so wandte sie einfach den Blick ab.
 

Mayora unterdessen verstand ihren Denkfehler. Natürlich!

Er fasste sachte unter die Decke nach ihrer Hand und nahm sie kurz sanft in seine.

„Sei nicht traurig, Tante. Ich rufe deinen Mann und meine Frau, einverstanden?“

Sie nickte schwach. Nicht traurig sein, wenn es nicht so grausam gewesen wäre, hätte sie gelacht.

Egal, was sie in den letzten Jahren gewesen war und was sie getan hatte, hinter der Fassade, die sie für ihren Posten hatte aufbauen müssen, verbarg sich ein ganz normaler Mensch. Oder etwas ähnliches.

Und auch sie fühlte in so einer Situation Trauer, auch wenn es sie beschämte.
 

Er verließ den Raum, brauchte nur wenige Minuten, bis er mit der Familie zurück kehrte. Sie hatte sich in der Zwischenzeit nicht bewegt, bloß ihre Augen zeitweise geschlossen und sich überlegt, dass sie doch an sich alles ganz leicht hinter sich lassen konnte. Allerdings war die Magierin letztendlich zu dem Schluss zu kommen, dass das unehrenhaft und dumm war. Der schwere Weg war meist der Bessere.

„Du bist wach, wie schön!“, machte Choraly da erfreut und tauchte strahlend über ihr auf, streichelte ihr behutsam über die Wange. Sie wollte nicht antworten.

Auf diese künstlichen Aufmunterungsversuche konnte sie verzichten, da wollte sie nicht drauf eingehen.

„Du solltest dich vielleicht etwas aufsetzen, sonst siehst du doch nichts!“, machte ihre Fast-Stieftochter fröhlich weiter und begann, an dem Bett herum zu werkeln, bekam schließlich Hilfe von ihrem Verlobten und gegen ihren Willen saß sie grünhaarige Magiern mit einem Mal aufrecht da. Was war denn das bitte für eine furchteinflößende Pritsche?!

Noch ehe sie sich beschweren konnte, traf ihr Blick Uda Magafi, der seine Tochter für ihre Ungeschicklichkeit leise auslachte.
 

„Was trägst du da, Mann?“

Er blinzelte sie überrascht an. Was für eine amüsante Frage.

„Du scheinst noch ziemlich durch den Wind zu sein, meine Liebe.“, stellte er fest und setzte sich zu ihr ans Bett, sie starrte das in Tücher gewickelte Etwas in seinen Armen unterdessen bloß fassungslos an, „Wenn ich mich recht entsinne, ist das... Serenka. Den Namen wolltest du doch für einen Jungen, nicht?“

Ja, ihr Sohn sollte Serenka heißen.

Sie begann heftig zu husten. Warum, wusste sie nicht, vermutlich vor Schreck.
 

Ihr Kind war bloß sieben Monate unter ihrem Herzen gewachsen, warum lebte es? Warum war es nicht bereits tot?!

Und am Ende war es sicherlich doch nur ein Traum.

Beiläufig bekam sie mit, wie eine alarmierte Schwester den Raum betrat und sich nach ihrem Wohlbefinden erkundigte und ihr Neffe der Dame erklärte, seine Tante habe sich bloß verschluckt.

Die Gute kam gerade recht.

„Sprechen Sie!“, die Grünhaarige keuchte noch immer, zwang sich aber den überflüssigen Reiz in ihren Hals zu unterdrücken, „Was wird hier gespielt? Warum quälen sie mein Kind noch, es ist dem Tode geweiht, das wissen Sie genau so gut wie ich! Ich verlange, dass man es erlöst, verdammt!“

Erschrocken von den orangenen Iriden, die sie bösartig anstierten, wich die Schwester einen Schritt zurück und brauchte einen Augenblick, bis sie beschwichtigend die Hände hob.

„Bleibt doch bitte ruhig, zu viel Aufregung ist nicht gut für euch! Ich verstehe Euer Problem ehrlich gesagt nicht, warum sollten wir bitte Euer Kind töten?“

„Na weil..!“

Mayora unterbrach sie.

„Mutter hat bereits ein Baby verloren, weil es zu früh geboren wurde. Ich nehme an, sie glaubt, dass sei dieses Mal wieder so.“

Die Magierin kam sich etwas dämlich vor. Hier sprach man über ihren Kopf hinweg, als ob sie ein Kleinkind wäre, das das alles nichts anging. Und Mutter nannte er sie vor der fremden Frau...

Letztere schenkte ihr nun ein wohlwollendes Lächeln.

„Oh, seid unbesorgt! Wenn ein Kind zu früh geboren wird, heißt das nicht zwingend, dass es sofort sterben muss. Ihr kleiner Junge ist sehr stark und kerngesund.“

Sie schaute den Haufen Tücher in den Armen des hochrangigen Politikers an. Chatgaias Blick folgte ihrem, während sie erschauderte.

„Wir müssen ihn natürlich noch eine Weile im Hospital behalten, um zu schauen, wie gut das alles klappt. Zu früh Geborene haben gelegentlich Atemprobleme oder mögen nicht richtig essen. Aber wir sind guter Dinge mit dem Kleinen.“

Uda Magafi grinste seine Verlobte breit an.

Die Arme hatte gedacht, ihr Baby sei dem Tode geweiht. Er zu Beginn auch, aber man hatte ihn Himmel sei Dank schnell eines besseren belehrt. Jetzt war er sehr stolzer Papa.

Und seine kleine Hexe war Mama.

Sie keuchte leise, starrte ihren Sohn einen Moment bloß geistesabwesend an, ehe sie vorsichtig ihre eigenen Arme ausstreckte und ihr Mann ihr den Säugling übergab.

Kaum etwas zu sehen war von ihm, bloß das winzige Gesichtchen und einen kleinen Teil des noch beinahe kahlen Köpfchens.

Er hatte die Augen fest geschlossen und irgendwo unter den wärmenden Tüchern bewegte er ein Beinchen, das konnte die Frau schwach spüren.

Ihr Kind lebte. Sie war Mutter.

Nach so unendlich langer Zeit der Sehnsucht hatte sie wieder ein Kind, nicht nur ein gefühltes, sondern auch ein biologisches.
 

Mayora küsste seine Verlobte überraschend, als seine Tante endlich lächelte und schließlich etwas tat, was sie ansonsten bloß sehr, sehr selten machte; sie weinte.

Nicht vor Trauer, denn sie würde niemals wieder aus Trauer weinen; nein, sie weinte aus purem Glück.

Ihre ganzen Gedanken von zuvor waren nun lächerlich, während ihr Liebster sie ebenfalls auf die Lippen küsste.
 

Und plötzlich wurde ihr etwas klar, was sie beinahe vergessen hätte. Auf jedes Leid, folgte irgendwann Glück.

Alles glich sich aus.
 


 


 

------------------------------
 


 

Das letzte Kapitel. Danksagungen und so etwas folgen im Epilog.

Epilog

„Du bist mir ja ein schönes Dorfoberhaupt, du fauler Sack!“

Lilliann stemmte empört beide Hände in die Hüften, als sie die Küche betrat. Da schmierte sich Imera doch gelangweilt ein Kaliri-Brot, während der arme Maigi vor einem Stapel Papieren saß und die Arbeit dieses Dummkopfes erledigte!

Also irgendwie schien der das ja zu brauchen. Wie konnte man bloß darauf stehen, ausgenutzt zu werden?

Beides Idioten!

Der Braunhaarige blinzelte sie doof an.

„Ich habe das alles allein gemacht, Maigi verbessert bloß meine Rechtschreibung, Liebes.“

„Kein Grund, sich aufzuregen.“, bestätigte der andere Junge grinsend.

Irgendwie passte es der jungen Frau nicht, dass ihr Freund es tatsächlich in seiner totalen Planlosigkeit schaffte, das Dorf zu managen. Ja, Freund.

Sie hasste es. Aber sie konnte es einfach nicht leugnen. Was war er auch sonst? Sie schlief mit ihm und hatte ihn fürchterlich gern. Einen anderen Begriff gab es wohl nicht für ihre Beziehung zueinander.

Sie kam sich Jiro gegenüber furchtbar schäbig vor.

Egal.

„Weiß einer von euch, wo Tainini ist? Ich meine, sie ist nicht im Haus und ich lasse sie nur sehr ungern allein durch den Ort rennen, wie ihr wisst.“

Der zierliche Feuermagier am Tisch schaute skeptisch auf. Seine Frau war nicht da?

„Ich weiß es nicht, aber ich suche sie gerne...“

Imera hustete empört. Hey, das ging doch nicht, der musste doch seine Arbeit machen!

Lilli erahnte seine Gedanken und strafte ihn mit einem mahnenden Blick, worauf er sich Nase rümpfend wieder seinem Essen widmete.

„Tu das.“, stimmte die junge Mutter zu und der Junge erhob sich nickend und verließ den Raum.
 

Auf dem Gang kam ihm Genda entgegen gekrabbelt und warf ihm ein Kuscheltier gegen die Beine.

Der kleine Junge warf ständig mit Kuscheltieren nach Leuten, bevorzugt aber nach seinem Beinahe-Stiefvater. Lustiges Kind.

Er hob ihn lächelnd auf und brachte ihn zurück in die Stube auf seine Spieldecke, wo er auch hingehörte.

„Pass lieber auf deinen kleinen Cousin auf, anstatt dein Spielzeug im Haus zu verteilen.“, riet er ihm und der Kleine schüttelte böse den kleinen Kopf.

Auf einem Kissen lag übermütig strampelnd der kleine Semiry. Sein Vater ließ es sich nicht nehmen, ihm einen Kuss auf die Stirn zu setzen.

„Mami ist uns davon gerannt, ich bringe sie dir gleich zurück.“, erklärte er, dann verließ er das Haus.
 

--
 

Um Tainini musste man sich nicht sorgen, sie war nicht allein.

„Vielen Dank, dass du mich zum Schneider begleitest, Kurachen. Ich habe doch so süße Kleidung für unsere beiden kleinen Prinzen machen lassen, die müssen wir doch abholen!“

„Ja!“, stimmte der blonde Junge lächelnd zu und drückte die notdürftig angebrachte Tür der erst halb-fertigen Schneiderei auf.

Er hasste es an sich, mit Tai allein zu sein, denn er musste ihr ständig mit Wort und Stimme antworten, das war sehr ärgerlich und nervig. Aber sie war sehr lieb und konnte ja nichts dafür, da rang er sich schon einmal dazu durch.

Außerdem gehörte das dazu, wenn man ein Mann werden wollte, hatte Lilli ihm erklärt.
 

„Oh, willkommen!“

Tafaye grinste gut gelaunt. Seine kleine Tochter hielt in einem Korb auf der Theke ihren Mittagsschlaf und störte sich nicht an der Kundschaft. War auch gesünder so.

„Hallo.“, begrüßte eine weitere Person sie und Kura wandte errötend den Blick ab.

„Guten Tag ihr beiden, hallo Naga.“

Der Kerl hatte fürchterliche Brandnarben, er musste sie immer zu anstarren und das war doch so unheimlich unhöflich... ach, wie nervig.

„In der Kiste da sind ein paar hübsche Sachen, dein kleiner Freund kann sie gleich nehmen.“, sprach der Blonde da weiter und das angesprochene Kind tat sofort wie ihm geheißen.

Die junge Mutter verneigte sich dankbar.

„Es ehrt mich, vielen Dank. Dabei hast du doch genug zu tun!“

„Das ist doch meine Arbeit!“, tat der Ältere es bloß ab und überreichte dem anderen Mann einen Pullover, „Ja, da sieht man nicht mehr viel von dir. Meiner Meinung nach solltest du dich deines Äußeren nicht schämen, aber deine Sache.“

Der Jüngere nickte.

„Eben drum. Es ist mir peinlich, lass mich. Vielen Dank.“

Nicht nur der Schwarzhaarige hatte mit den Folgen des Angriffs vor über einem halben Jahr zu kämpfen, vielen Anderen ging es nicht besser.

Selbst Kura schaffte mit seinem verletzten Fuß noch keine all zu weiten Strecken.
 

Doch sie lebten. Das Dorf lebte. Die Wunden würden sichtbar bleiben, aber heilen. Genau so wie die Wunden der Welt
 

Der Welt, die sich ewig weiter drehte. Mit den Menschen, den Himmelsblütern und den Kaliri-Bäumen. Und allem, was sonst noch zum Leben gehörte. Denn Leben konnte man nicht zerstören.

Auf keine Weise.
 

Ende
 


 

---------------------------
 

Zu Ende!

An dieser Stelle bedanke ich mich bei allen Kommentatoren, Favonehmern und sonstigen Lesern (Random: Hätten alle Favoleute jedes Kappi kommentiert, dann hätte ich jetzt 799 Kommentare, haha).

Besonderen Dank an dieser Stelle an meinen Bruder, den Erfinder von Mayora, und Jenni, der Erfinderin von Lilli.

Besonderster und größter Dank geht jedoch an Linchan, die mir so dermaßen oft virtuell in den Arsch getreten hat, dass ich eigentlich gar nicht mehr sitzen können dürfte, das Meiste verdankt ihr ihr!

Ich hoffe, man sieht sich bei einem weiteren Teil meies Vierteilers wieder, Kinder der Erde vermutlich.

Bis dann! <3



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Von:  Decken-Diebin
2010-04-12T18:49:13+00:00 12.04.2010 20:49
Omg, jetzt will ich mal was schreiben, weil die beiden so Zucker sind ;___;
Die letzte Szene wa doch so schön, ich bin ja wie Mayora und heul hier fast... wäre die Szene weitergegangen wär's wahrscheinlich so, aber hm <3
Ehm ja, ich will weiterlesen, also halte ich mich jetzt hier nicht mehr lange auf °___°'
Ich mag Mayora und Choraly <3
Von:  SezunaChan
2010-03-18T14:25:28+00:00 18.03.2010 15:25
Enldich hab ich es geschafft die Zeit zu finden uns es zu ende zu lesen. ich hab mir alle 200 Seiten ausgeruckt und in den letzten 2 Tagen noch einmal gelesen.
Deine Geschichte ist einfach klasse. Richtig hammer.
Ich finde zwar, dass das Ende bisschen plötzlich kommt, aber es war einfahc nur aller liebst.
Ja uda und chatgaia passen echt gut zusammen und endlich hat sie ihr kind.
Da Mayora allerdings so schlecht auf seine Tante zu sprechen war, fand ich etwas schade. er hat sich sehr schnell entwickelt und die meinung geändert.
es ging alles ein bisschen schnell, aber es war gut.
allerdings solltest du aufpassen, du hast einige rechthreibfehler drin, die mich an sich nciht stören würden, aber du verwendest auch manchmal er, obwohl kein er im raum ist, sondern nur mädchen. da war ich doch manchmal leicht verwunder.

Hast du dir schonmal überlegt die Geshcichte als Buch drucken zu lassen?
Ich hab erst vor kurzem eins auf dem Makrt gebracht XD
Allerdings glaub ich, dass deins da mehr Chancen hätte als meines. Ich würde das auf alle Fälle kaufen XD
Du bist echt begabt und die Story findet sogar meine Mutter toll XD
okay die hat auch nur das erste kapitel gelesen ^^

Ich freu mcih auf alle Fälle richtig auf die Vorsetzung, werd sie aber leider erstmal nciht lesen können. scheiße ABI -.-

lg
sezunachan
Von:  Harfe
2010-01-01T19:20:07+00:00 01.01.2010 20:20
So, jetzt ist das Happy End perfekt, die leute in Thalia sind auch glücklich und zufrieden. Was will man mehr?
Schöner Epilog, nicht zu viel, nicht zu wenig.
Schade, dass es zu Ende ist irgendwie... ich meine, es gibt ja die Fortsetzung(<33333), aber das ist dann ja auch nicht so ganz dasselbe... alle so alt und so. ^^ Hach.

Genda ist lieb. xD Hoffen wir, dass er nicht anfängt mit anderen Dingen als Kuscheltieren zu werfen. ^^
Und langsam wird´s kompliziert mit den Familienverhältnissen. xD

Imera ist fleißig. Braves Kerlchen.
Und Maigi muss seine Rechtschreibung kontrollieren, haha(stimmt schon, der hat da irgendeinen Komplex, mit dem ausgenutzt werden...). XD Dummkopf bleibt irgendwie Dummkopf, trotz allem. <3
Und seine Freundin. xD Haha...

Tafaye ist auch toll.
Tapfer, allein mit seiner Tochter. Die zwei sind lieb. <333

Abschließend noch einmal:
lg Fe
Von:  Linchan
2010-01-01T18:28:06+00:00 01.01.2010 19:28
aawwww ;_______________; Epilog, letztes 'Kapi'! óò aaaahhh! .___________________________.

Und aawww, die Leute in Thilia leben auch ^o^ hurra!^^ Imeeeera <3 *herzt ihn an* er ist so cool xDD

> Also irgendwie schien der das ja zu brauchen. Wie konnte man bloß darauf stehen, ausgenutzt zu werden?
xDDD ja, loool!

Und omg, Genda ist noch klein und süß.... xDDD wobei:

> Auf dem Gang kam ihm Genda entgegen gekrabbelt und warf ihm ein Kuscheltier gegen die Beine.
Der kleine Junge warf ständig mit Kuscheltieren nach Leuten, bevorzugt aber nach seinem Beinahe-Stiefvater. Lustiges Kind.
xDDDD looool! da finden sie ihn noch lustig............. xDDDD

Und ja, alle sind nochmal aufgetaucht! >///////////< außer Kinai, aber der ist eben irgendwie abseits úu aawww, es war ein so schönes und harmonisches Ende, alle sind lieb und herz! ^O^!!!

Ich danke dir, dass du es beendet hast, extra für mich .___. du hast dich ziemlich gequält úù und ich bin so stolz und glücklich, Mama-Missgeburt liebt ihr Baby! *______________*
Also, es war eine ganz tolle Gecshichte, ich habe sie gerne gelesen und es hat mich sehr fasziniert, wie du weißt! >/////< ich bin immer noch voll hyper ^o^

LIEB!
Von:  Harfe
2010-01-01T13:17:03+00:00 01.01.2010 14:17
Das ist so ... aww, ich meine einfach richtig... aww!
Wünderschön! Großartig! Fantastisch! OmG! Herz! Berührend! Herzerweichend! Zum Heulen! Herzallerliebst! Tollig!
Und... AWW!!
Happy End!!! ^////^ *freu*
Chatgaia ist Mami! <3 Uda ist Papi! <3 Mayora bekommt einen Cousin! <3
Serenka! <3333333
Zuerst hab ich auch gedacht - omG, das kann doch nicht sein, ist es wirklich tot, aber alle waren so guter Dinge, das konnte ja nicht sein. ^______^ Und hey, wozu gibts moderne Technik, wenn man keine Frühgeburten retten könnte, ey. ^^

Und - haha - Mayora hat Prüfungsangst. xD
Und Odohri heitert ihn auf, wie lieb! <33333
Überhaupt der Kleine und wie seine Eltern mit ihm umgehen. Aawww. So sollten alle Familien sein! ^///^

Wundertolles Kapi
<3ige Grüße Fe ^o^
Von:  Harfe
2010-01-01T12:42:03+00:00 01.01.2010 13:42
Hi!
Treffender Titel. xD

Uda ist nicht so begeistert, war ja klar, aber eigentlich fand ich seine Reaktion schon angemessen. ^^
Und wie er sie zuerst nicht bemerkt und voll genervt ist. xD
"Du hast doch nichts mit ihm getan, was Mädchen in deinem Alter noch nicht tun?" ... "Papa, ich bin schwanger." -> DAS hat gesessen. xDD
Und Chatgaia ist toll, sie ist so überzeugend. XDD Sie rettet die Situation. <3
Und Mayora der Arzt, LOL. xDD
Und am Ende, wie sie da zu zwei sitzen und Wein trinken... muahahaha, wie böse, sie sind beide verwitet. *g*

Und omG, Choralys Zimmer... Achtung, Augenkrebsgefahr!! *lach*
"Küss mich. Sofort." -> Dieser Ort tut ihr nicht gut. xD
Ihre Angestellten sind aber schon poserig, *lach*, die Nägelschneiderin und die Rattenkinder(eigentlich ist sie ganz schön fies) sind schon irgendwie... lol. XDDD

Mal ein lustigeres Kapitel wieder. ^^
Chatgaia in mechanischen Fortbewegungsmitteln war toll. XDDD
Haha, ich bin bald durch.
Allerliebste Grüße Fe
Von:  Harfe
2010-01-01T11:59:38+00:00 01.01.2010 12:59
Imera wird Dorfoberhaupt...? Also... äh... was soll ich dazu sagen? OMFGDLSFH!!! oder so? Haha, nein, schon geil. xD
Und nach mal haha, sie küssen sich ganz offiziell. xD Imera du untreues Stück! XDD
Wah, aber er ist Dorfoberhaupt. Zumindest derweil, hihihihi.
Aber aw, er ist ganz fertig, weil er Pinata gekillt hat, und Mayora tröstet ihn. <33333

Irgendwie Filler das Kapi und irgendwie gar nicht, ich meine, hey, man weiß endlich was Mayoras Psycho-Phasen sollen. xD
Choraly: "Wah, Mayora, du Gott. Arr. <333" XDDDDDD
Und das erklärt jetzt sogar seine Träume anfangs, uhh...
Das ist cool... irgendwie, hihi.

Aber ob ihr Herr Vater da wirklich so leicht von zu überzeugen sein wird? Ich hab Angst, er hat doch mal wen in den Kerker werfen lassen, weil er es gewagt hat seine Tochter anzurühren oder so... uû
Oh oh. °o°

Also dann. Tolles Kapi.
Leicht-verkaterte-Grüßchens Fe
Von:  Harfe
2009-12-26T15:06:07+00:00 26.12.2009 16:06
Äh...
Etwas... überwältigt. o.o
Ich meine... wow... geiles Kapitel, aber auch ganz schön heftig. oO
Aber von Anfang bis Ende irgendwie Hochspannung. *war die ganze zeit am zittern xD*

Hui, Pinata ist echt... ziemlich abgedreht... und das war gerade die Untertreibung des Jahrhunderts. oO
Krass, dass Dafi auch da mit unter ihr unter einer Decke gesteckt hat und so... wieso sie ihn dann wohl doch nicht zurückgelassen hat sondern selber gestorben ist? Schuldgefühle?

Und dann wird sie auch einfach abgemurkst... ganz zuerst dachte ich, hä, Tafaye oder was? Dann gelesen - wie jetzt Mayora? Aber der ist ja irgendwie vor ihr... und wenn man dann alle äh, angeschlagenen ausschließt und annimmt das niemand von wo anders kommt... Imera, oder? Aber das mit dem, einen Gott tötet man nicht sagt schon Mayora,oder? Sonst würde Imera ihn ja als Gott bezeichnen und das kann ich mir fast nicht vorstellen... xD
Aber sag mal, warum sind die "Guten"(Imera und Maigi bei Pinata, Mayora bei hatgaia...) eigentlich genauso... psychopatisch, gestört, grausam, wahnsinnig und so? Kannst du mir das erklären? xDD

Schön, dass die Dorfleute Imera jetzt respektieren lernen. ^o^ Freu mich für ihn.
Und toll wie die Zwillinge da zusammen kämpfen! ^^

lg Fe



Von:  Harfe
2009-12-25T20:55:53+00:00 25.12.2009 21:55
WHAT. THE. FUCK.?!!
Also... ich... und überhaupt... und was zum... und omG... und... und...
*räusper*
Äh, okay, also das kam jetzt etwas überraschend...
Ich meine, ich dachte mir schon so was, dass er sie umbringt, aber noch nicht jetzt. oO Ich dachte die macht erst noch so richtig Ärger. oO
Einen Moment dachte ich auch, omG, der geht jetzt nicht wirklich um Chatgaia zu killen. OO Hat er ja zum Glück nicht getan.
Also ich find das gerade irgendwie extremst cool. Mit ihrem eigenen Schwert da...
<3 Kinai rult. XDD

Ich les dann morgen weiter, gute Nacht ^^
Fe


Von:  Harfe
2009-12-25T20:26:26+00:00 25.12.2009 21:26
Uhm... ließ meinen Blog... obwohl, da steht auch nicht viel mehr drin... xD

Tja, Gewalt ist keine Lösung, ich sag´s ja immer...
Irgendwie hat sie doch nichts aus allem gelernt. uû
Sie ist so selbstgerecht... ^^'
Hach ja, mittlerweile hege ich irgendwie so ein Hassliebe zu Chatgaia... xD
Na was das jetzt für Folgen haben wird... sollten Dorfoberhäupter so voreilig Strafen verteilen? Hoffentlich dankt sie bald ab, Mayora ist da viel besser geeignet. xD
An dieser Szene gefällt mir so gut, dass Chatgaia so überhaupt keine Angst hat, dass sie ihr was antun könnte, und dass Shakki ihre Strafe widerstandslos annehmen muss. <3

Und die Szene mit Tafaye war toll!
Choraly war voll... poserig. xD
Echt rührend. ^^ Wie er dann sagt, dass er sein Mädchen nicht allein lässt. Aww.
Äh, ach ja, folgender Sazt fiel ein wenig unangenehm auf...
[i}Als Tafaye aus einem kleinen Spalt gekrochen kam, wurde ihr begann sie zu weinen.[/i} ^^'

Und die Königin, haha, ur die Witzfigur. XDD
Und ihr Vater... nur nicht eingebildet... XDD
Tja, das ist halt Politik. Haha...

lg Fe



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