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Kaltherzig

Kronenmord
von

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Blutpakt

Der Himmel färbte sich rot, als die Sonne, das Verderben meines Volkes, am Horizont seine letzten Lichtstrahlen auf das Schloss warf. Die dicken Vorhänge aus schwarzem Samt, waren alle fest zugezogen und schützten mich vor den todbringenden Strahlen.

Müde strich ich mir eine meiner ewig langen Haarsträhnen aus dem Gesicht und schwang mich mit gewohnter Leichtfüßigkeit aus dem Bett. Sobald der letzte Funken Licht aus dem Zimmer wich, erfüllte mich tiefe Wachsamkeit. Zwar war mein Zimmer leer und unfassbar still, doch der Schein konnte trügen, in diesen Gemäuern.

Ich zog mir ein tiefrotes Kleid an und schlüpfte dann in einen noch dunkleren Mantel, von derselben Unheil bringenden Farbe, mit der bereits die Hände meiner Rasse beschmutzt waren. Nicht, als ob uns das etwas ausmachen würde.

Es klopfte leise an der Tür.

„Eintreten“, flüsterte ich und ließ mich vor dem Spiegeltisch sinken. Ich konnte mir nicht vorstellen, woher diese dummen Menschen das Gerücht hervorbrachten, man könne uns Bluttrinker, oder auch Vampire genannt, nicht im Spiegel sehen. Alles Irrsinn, was sich die Menschen einbildeten.

Ein Mädchen, mit kurz geschnittenen blonden Haaren und tiefschwarzen Augen, schlich ins Zimmer und schloss lautlos die Türe. Ihre blütenweiße Stirn zeigte besorgte Falten. Sie wagte es nicht mir in die Augen zu blicken und richtete ihren Blick stattdessen auf die schwarzen Vorhänge. „Mylady“, flüsterte sie und bewegte dabei kaum ihre blassrosa Lippen. Wir unterließen es laut zu sprechen, weil uns Lärm in den Ohren schmerzte, immerhin konnten wir aus ziemlich weiter Entfernung Tiere atmen hören. „Seid Ihr durstig?“

Ich wandte mich meinem Spiegelbild zu, das mir mit einem erschreckend nichts sagendem Gesicht, entgegenschaute. Meine Porzellanhaut war beinahe schneeweiß, meine schwarzen Augen hatten jeglichen Ausdruck verloren.

Die Leblosigkeit die mir entgegenblickte konnte unmöglich die meine sein. Wann hatte ich aufgehört mein Dasein zu genießen?

„Nein“, antwortete ich, wusste aber, dass dies nicht der einzige Grund sein konnte, weshalb meine Dienerin, der einzige Mensch, den ich jemals gewandelt hatte, mich so früh besuchen kam. Gründe gab es in diesen schweren Zeiten genügend, aber ich weigerte mich seit geraumer Zeit mein Schlafgemach zu verlassen, und bezweifelte deshalb, das gute Neuigkeiten auf mich warteten. Sollte sich doch meine Schwester darum kümmern. Diese schien ihren Platz auf dem Thron, als Königin der Vampire, sichtlich zu genießen.

„Die Königin wünscht Euch zu sprechen, Mylady. Sie schien aufgebracht.“

Ich strich mir mit einer silberverzierten Bürste durch meine schneeweißen Haare und bedachte die junge Vampirin mit gelangweiltem Blick. „Meine liebste Schwester ist aufgebracht? Welch Neuigkeit“, erwiderte ich gelangweilt, nicht in der Stimmung für lästige Gespräche mit meiner Schwester, der ich ohnehin seit langer Zeit nicht mehr in die Augen geblickt hatte. Das Schloss war gewaltig, wenn man ein gewöhnlicher Mensch wäre, so würde man sich niemals zurechtfinden und stundenlang, in lediglich einem Flügel, herumirren. Und da meine Schwester, Leonore ohnehin ihre ganze Zeit entweder im Thronsaal oder in ihrem Schlafgemach verbrachte, ging ich ihr grundlegend aus dem Weg. „Geh, Oleen.“

„Es ist wichtig“, erwiderte sie, aufgebrachter.

„Ihr sagt immer, es sei wichtig. Doch letztendlich geht es immer um die Werwölfe, die meiner Schwester Schwierigkeiten bereiten. Stets musste ich sie in Schach halten, damit diese nicht über die Ostgrenze angriffen, doch seit den letzten Zweihundert Jahren hat selbst diese Aufgabe keinen Reiz mehr für mich.“

„Ihr wisst von den Angriffen?“ Oleen schien nicht im Geringsten Überrascht. Solche Neuigkeiten verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Und trotz meiner Anweisung, den Westflügel für mich leer zu räumen, schlichen viele neugewandelte Vampire an meinen Gemächern vorbei und hofften einen Blick auf ein Kind königlichen Blutes und reinblütiger Abstammung zu werfen. Viele erzählten mir abenteuerliche Geschichten, oder von ihren Verwandlungen, und versuchten mit aller Macht Eindruck auf mich zu schinden. Vergeblich. Ich hatte weder Interesse an Freunden, noch an Gefährten. Ich blieb gerne alleine und nur eine Handvoll Vampire durften mich besuchen. Man konnte diese sogar an nur vier Fingern abzählen. Oleen, die bestimmte Rechte hatte, da ich sie eher unfreiwillig gebissen hatte. Leonore, die nur selten kam und kaum ein Wort mit mir wechselte. Und schließlich meine beiden Wächter, Lucius und Frederique, die mich mit gewissen Blutquellen versorgten, damit ich nicht den Verstand verlor, wie die armen Geschöpfe, die im Kerker ihr Leben aushauchten. Falls diese überhaupt atmeten. Es kam nicht selten vor, dass sich Außenseiter unserer Rasse gegen uns wandten und die Königin sie dementsprechend bestrafen musste.

Oleen trat näher heran, aber nicht nah genug, dass ich sie mit ausgestrecktem Arm hätte berühren können. Aber kein Vampir sehnte sich nach Berührung. Wir blieben kalt. Unsere Emotionen stumpften ab, wenn wir nicht unter Menschen kamen, doch leider hatten sich die meisten nicht im Griff oder hatten sich, so wie meine Wenigkeit, von der lebenden Zivilisation abgeschnitten. „Könnt Ihr keine Ausnahme machen? Gestern, zu Sonnenaufgang, wurde der Südflügel angegriffen. Drei Werwölfe haben sich Zugang verschafft, als die Sonne noch schien.“

„Wie viele Tote?“, fragte ich und legte die Bürste fort. Stattdessen stand ich von dem kleinen Hocker auf und schob die Vorhänge zur Seite. Silbernes Mondlicht beleuchtete den Raum und legte sich wie ein Schleier auf mein Gesicht. Draußen herrschte allgemeine Dunkelheit. Hier und Da, huschte ein Schatten vorbei und störte somit die Ruhe, die normalerweise hätte sein sollen.

„Es sind Vierzehn, doch wir konnten nicht alle Körperteile richtig zusammenfügen. Einige sind auch im Sonnenlicht verbrannt ...“

„Konnten die Wölfe fliehen?“

Oleen schüttelte den Kopf. Es schien die Vampirin mit den wirren Haaren zu verunsichern, dass nur ein paar Zimmer weiter, ein Massaker stattgefunden hatte.

Ich presste die Lippen aufeinander. Möglicherweise eskalierte der Krieg zwischen den beiden Rassen tatsächlich. Die Werwölfe hatten einen Vorteil erreicht und zeigten uns vor aller Augen, wie leicht sie in das Herz des Schlosses eindringen konnten. Sie verspotteten uns. Mich und meine Familie. „Nun gut, ich bin bereit mich mit meiner Schwester zu treffen. Aber nicht im Thronsaal“, fügte ich hinzu, bevor Oleen auch nur einen Ton von sich geben konnte. „Die Bibliothek. Und trage Sorge dafür, dass sich niemand währenddessen dort aufhält. Ich kann keine Störenfriede gebrauchen.“

Die schwarzen Augen, der gewandelten Vampirin, blitzten für einen kurzen Moment stechend Blau auf und versanken dann wieder in tiefer Dunkelheit. „Natürlich, Mylady“, flüsterte Oleen, mit einem ergebenen Lächeln auf den Lippen, und verschwand durch die Tür.
 

Die Bibliothek, die sich im zweiten Stock des Schlosses befand, war unglaublich gewaltig und bestimmt dreimal so groß wie mein Zimmer. An allen Wänden, standen riesige Kästen, voll geräumt mit den ältesten Büchern der Geschichte und größte Informationsquelle der Vampire.

In der Mitte des Marmorfußbodens, stand ein langer Eichenholztisch, deren Tischbeine zu engelsgleichen Geschöpfen geschnitzt worden waren. Direkt darauf, saß wohl eine der schönsten Frauen, die die Welt je gesehen hatte. Langes weißes Haar breitete sich in sanften Wellen über das kastanienbraune Holz aus und ließ sie leuchten. Hübsche schwarze Augen, huschten rasend über die Zeilen des Buches, das die Frau mit den schlanken Armen in den Händen hielt und dabei ihre langen Beine, die unter schwarzem Stoff hervor lugten, ausstreckte. Die blutroten Lippen der Königin, verzogen sich boshaft, als sie mich endlich bemerkte. „Schwester! Ich freue mich dich zu sehen.“ Ich verzog leicht den Mund, angesichts dieser unverfrorenen Lüge. Aber immerhin tat sie wenigstens so als ob.

Ich sparte mir eine Einleitung und kam zum Punkt. Je eher ich ihrer Gegenwart entfliehen konnte, desto besser würde ich mich fühlen. Ich liebte sie zwar, doch dass sie unsere Eltern getötet hatte, nur damit sie den Thron besteigen konnte, würde ich ihr niemals verzeihen. „Was wollt Ihr?“

Leonore schnaufte und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Ich zuckte zusammen, weil mich diese Geste zu sehr an mich selbst erinnerte. Schlimm genug, das man uns unter Umständen verwechseln konnte.

„So freundlich wie eh und je, Rebecca. Hast du mir denn noch immer nicht verziehen?“

Ich antwortete nicht und ließ stattdessen meine Augen rot aufleuchten, um meinem Schweigen Nachdruck zu verleihen.

Die Königin, die nicht älter als 18 aussah, verdrehte die Augen und winkte ab. „Lassen wir das. Wir wissen beide, dass dieses Gespräch wohl kaum ein Ende finden würde. Erinnerst du dich noch? Wir haben einmal fünf Jahre lang in einer Höhle verbracht und diskutiert. Grauenhaft!“

„Leonore“, flüsterte ich drohend, „sagt mir endlich was Ihr von mir wollt, oder ich gehe.“

Die in Erinnerung schwelgende Miene meiner Schwester wurde schlagartig ernst. Ihr durchdringender Blick kreuzte sich mit dem Meinen. „Ich möchte, dass du wieder die Ostgrenze bewachst.“

Ich brauchte nicht lange zu überlegen. „Nein.“

„Doch!“, fauchte sie und bleckte die Fangzähne. „Das war ein Befehl deiner Königin, ich dulde keine Absage!“

Ich verschränkte die Arme und verzog meine Lippen zu einem spöttischen Lächeln. „Ihr wollt mir, Euer eigen Fleisch und Blut, Befehle erteilen? Halte mich nicht für eine Närrin, Schwester.“ Ich zischte das letzte Wort. „Ich bin nicht deine Sklavin, und werde mich niemals, niemals, deinem Urteil beugen!“

Die Königin stieß einen bitteren Fluch aus und schlug mit der Faust auf den Tisch. Das Holz barst unter ihrer Kraft. „Also gut, wie wäre es mit einem Schwur?“, versuchte sie mich zu überredeten und sprang wie eine Katze auf den Eichentisch.

„Was für einen Schwur?“, fragte ich misstrauisch und schlich an den Regalen vorbei. Ich strich mit den Fingerspitzen über die Buchrücken, als ob diese mich in Sicherheit vor dieser Bestie bringen könnten.

„Solltest du die nächsten fünf Jahre die Grenze für mich überwachen, so wirst du für immer aus meinen Diensten entlassen.“

Ein wirklich verlockendes Angebot, dachte ich und schüttelte sogleich den Kopf. Egal ob ich die Schlossgrenze nun fünf oder hundert Jahre lang bewachen würde, dieser Zeitraum dauerte für mich nicht länger als ein Wimpernschlag. Aber mir bereitete Sorge, dass Leonore ihr Versprechen nicht halten würde. Früher oder Später, würde sie mich wieder brauchen, denn ohne mich war sie ungeschützt, hilflos. Und ich könnte mich niemals aus ihren Klauen befreien, egal wie sehr ich es wollte.

„Ich will dein Blut darauf.“

„Traust du mir so wenig?“, fragte Leonore zuckersüß und klimperte mit ihren langen schwarzen Wimpern. Ich konnte erkennen, wie ein Muskel in ihrem rechten Augenwinkel zuckte.

Musste ich auf diese Frage antworten? Nein, ich würde es nicht tun. Ich sollte sie mir nicht zur Feindin machen, obwohl ich ohnehin nur noch einen Schritt davon entfernt war.

„Ruf deine Dienerin“, sagte ich ruhig und deutete auf die massive Holztüre, zu meiner Rechten.

Leonore presste ihre scharlachroten Lippen so fest aufeinander, dass sich diese hellrosa färbten und rief dann mit bissigem Unterton nach ihrer Sklavin. Wenn zwei Vampire untereinander einen Pakt abschlossen, so war es Gesetz dass man jeweils eine Person aufrief die oder der als Zeuge dienen sollte, damit niemand behaupten konnte, es hätte diesen Pakt nicht gegeben, oder jemand habe ihn gebrochen. „Evelyn! Komm her!“

Ein kleines Mädchen, ungefähr sieben – plus/minus fünfzig Jahre –, schlüpfte durch den Türspalt und marschierte in fließender Bewegung auf uns zu. Mit grimmigem Gesichtsausdruck stellte sie sich neben die Königin und musterte mich mit unverhohlenem Hass. Ihre eisblauen Augen hinterließen beinahe Brandlöcher in meiner Haut. Evelyn Firewall wirkte beinahe schon unschuldig, mit ihren purpurrotem lockigem Haar und den Stirnfransen die fast ihre großen Kinderaugen verdeckten. Kein Mensch würde jemals dahinter kommen, dass es sich hier um das personifizierte Böse handelte; in Form einer kleinen, süßen Siebenjährigen, die meine Schwester während der Pest verwandelt hatte. Seitdem wich dieses kleine Monster nicht mehr von ihrer Seite.

„Meine Königin“, flüsterte die ergebene Sklavin der Königin und verbeugte sich leicht. „wie kann ich Euch dienen?“

Auch Oleen hatte es sich bereits zu uns verschlagen und hatte sich so leise wie ein Windhauch hinter mich gestellt. „Mylady?“, hauchte sie so leise, dass es selbst die guten Ohren der beiden Vampirinnen vor uns nicht mitbekamen. „Gibt es Probleme?“

Ich schüttelte den Kopf. „Wir brauchen euch als Zeugen.“

Die Blonde schüttelte denn Kopf und ihre zackigen Strähnen wirbelten in der Luft. Ihr musste wohl klar sein, dass wenn es jemals zu einer Auseinandersetzung kommen sollte, sie sich entweder für ihre Königin oder ihre Schöpferin würde entscheiden müssen. Eine schwere Last bürdete ich ihr auf, doch ich wusste, es gab niemanden dem ich mehr vertraute als ihr.

„Bereit?“, fragte ich die Beteiligten und erntete nur ungeduldiges Schweigen.

Ich biss mir mit meinen spitzen Fangzähnen in die Pulsader und streckte der Königin meine blutige Hand entgegen, Leonore tat es mir gleich und verschränkte ihre Finger mit meinen. „Besiegelt“, sagten wir gleichzeitig und blickten abwechselnd zu Oleen und Evelyn, die beide nickten. Eveyln zitterte am ganzen Leib. Ein kleiner Nachteil, als Kind verwandelt worden zu sein. Man konnte sich nicht sonderlich gut beherrschen, in Gegenwart von Blut.

Ich entzog mich meiner Schwester und wischte das Blut an meinem Mantel ab. „Fünf Jahre“, wiederholte ich, „nicht mehr und nicht weniger.“

Oleen führte mich hinaus, in ihren Fingern zuckte es vor unterdrückter Wut.

„Lass dich nicht von den Wölfen beißen!“, hörte ich mir Leonore nachrufen und schloss die Tür absichtlich laut.

Auf dem Weg in mein Zimmer, leckte ich das Blut von meiner Hand und ergab mich den nervtötenden Fragen meines Schützlings. Ich musste all meine Überredungskünste einsetzten, um sie davon zu überzeugen, mir nicht an die Grenze zu folgen. Immerhin konnte ich selbst auf mich aufpassen. Außerdem traute ich Leonore zu, irgendwelche hinterlistigen Spielchen zu planen, deshalb wollte ich, dass die kluge Messerwerferin, die Oleen einmal war, ein Auge auf sie behielt. Und natürlich auf ihre Spione. Sie lauerten in jeder Ecke, deshalb nannten wir sie auch ‚die Ohren des Schlosses’.

Eine einzige falsche Handlung, und es ginge sofort zur Exekutierung.

Die Ostgrenze

Die fünfzehnmeterhohe Steinmauer war nicht annähernd so eindrucksvoll wie man vielleicht dachte. Die Menschen würden niemals das Grundstück der Vampire betreten können, wenn sie nicht gerade eine Leiter mit sich herumtrugen, aber für Wesen der Nacht genügte ein einziger Sprung, um die Mauer zu erklimmen.

Dank meiner Wenigkeit und die einer Soldatengruppierung, wurde die Grenze gut überwacht, bei der allerdings nicht selten jemand umkam. Ob nun Vampir oder Werwolf – es spielte keine Rolle. Wir waren nur die Schachfiguren meiner Schwester, und sie war eine meisterhafte Spielerin.

Nebel kroch über den grasbewachsenen Boden, der alle zwei Meter von einem großen Kreuz aus Holz durchstoßen wurde. Die Gräber der Königsfamilie. Vor Jahrhunderten waren wir ein großer Clan gewesen; gespalten in drei Familien. Wir hätten alle beisammen bleiben können, wenn eine Gruppe von Königsschlächtern – eine vampirische Meuterbande, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, alle aus der königlichen Familie auszulöschen – uns nicht verraten hätte, und damit begonnen hatte, ihre eigene Armee zu erschaffen. Sie hatten einen Weg gefunden, Tiere zu verwandeln. Dieser Tag war unser aller Untergang. Die Geburt der Werwölfe.

Mit einem kurzen Abstoß sprang ich auf die Mauer und ging sofort in Habachtstellung.

Es roch nach Blut. Und Wölfen.

Ein Knurren stieg in meiner Kehle auf. Ich sprang von der Mauer und schlich in den Wald, der sich hinter der Grenze erstreckte und somit das Revier der Werwesen markierte.

Von weitem konnte ich die Schritte von Vampiren ausmachen, die versuchten ihre Beute einzukreisen.

Durch die Bäume, die mir lästigerweise im Weg standen, konnte ich nicht genau erkennen um wie viele Personen es sich genau handelten, aber das war auch unwichtig. Ich würde die Wachposten nun ohnehin ablösen; sollen sich diese doch im Schloss nähren.

Ich hielt mich im Schatten, als ich mich den Wächtern näherte und beobachtete mit zusammengekniffenen Augen die Szene.

Drei Vampire. Zwei Wolfsjungen. Ein wahres Festmahl für meine Brüder und Schwestern.

Aber Wolfsjungen waren tabu, denn es würde die Wölfe nur reizen, und die derzeitige Lage nicht verbessern. Ein Krieg wäre der einzige Ausweg – aber das Ende für beide Rassen.

Die drei Vampire, zwei davon hatten dunkles, der andere hellblondes Haar, fletschten schon gespannt die Zähne und lauerten, wie die Vorboten des Todes, den beiden kleinen Junge mit der wilden Lockenmähne auf und ließen ihre Augen bedrohlich aufglühen. Eines der Wolfskinder, mit dunkelgrünen Augen fauchte und stellte sich schützend vor den Kleineren der beiden, der sich mit tränenüberströmtem Gesicht geduckt hielt. Beide waren noch jung; zu jung, um als Vorspeise für Vampire zu enden.

In dem Moment, als der Blonde Vampir auf die Jungen zu sprang, wurden diese von mir an den Kragen gepackt und in die Höhe gehoben. Meine Bewegungen waren so schnell gewesen, dass selbst gewandelte Vampire bei meinem Anblick noch blasser wurden.

„Na? Genug gespielt?“, fragte ich in klirrend kaltem Tonfall und fixierte das Trio. „Wachablösung. Verschwindet.“ Meine Stimme ließ keinen Widerspruch zu und die beiden Dunkelhaarigen wichen ehrfürchtig vor mir zurück, doch der Hellhaarige, der sich scheinbar für den Anführer hielt, knurrte mich nur bösartig an. „Das ist unsere Beute.“ Die Worte waren nur ein Flüstern, aber unmissverständlich.

Meine Lippen wurden schmal, bei dieser Respektlosigkeit. „Ich sagte, Ihr sollt verschwinden“, wiederholte ich und ignorierte die strampelnden Leiber, die ich noch immer fest hielt.

„Lasst unsere Beute los!“, schrie er, zog einen Dolch aus seinem Gürtel, und rannte auf mich zu.

Ich seufzte über die Dummheit so mancher gewandelter Vampire. Es würde ihm rein gar nichts nützen, wenn er mit einem Zahnstocher auf mich losging. Wunden reinblütiger Vampire heilten innerhalb weniger Sekunden, deshalb war es auch so schwer gewesen unsere Familien umzubringen. Schon überhaupt die Tatsache, dass ein Wesen der Nacht einen Dolch bei sich trug, war Irrsinn. Er musste wohl erst kürzlich gebissen worden sein, doch warum war er dann an der Grenze postiert? Hatte ihn meine Schwester für entbehrlich gehalten?

Es war mir gleich – wenn er nicht gehorchte, würde er ohnehin nicht lange Leben, also zog ich seine Qualen auch nicht in die Länge, sondern warf die Wölfe hoch in die Luft und nutzte diese Gelegenheit um meinem Angreifer den Kopf abzureisen. Meine Augen glühten rot, als der tote Körper zu Boden plumpste und der Kopf nur wenige Meter entfernt landete.

Ich fing die beiden schreienden Gören auf und warf den übrig gebliebenen Vampiren einen giftigen Blick zu. „Wenn ihr es noch einmal wagen solltet, meinen Worten nicht zu gehorchen, werdet ihr genauso enden wie er.“ Ich deutete mit einem Nicken auf den kopflosen Leib. Mit dem Fuß rollte ich ihnen den Kopf zu. „Nehmt den hier mit und richtet meiner Schwester, der Königin, einen schönen Gruß aus.“

Die beiden waren verschwunden wie der Blitz, als sie erkannten, wen sie so erzürnt hatten und ließen mich mit den beiden Wölfchen alleine. Endlich. Ich setzte die beiden stillschweigend ab und ignorierte das Fauchen und Brüllen, mit dem sie mich verschrecken wollten. „Denkt ihr etwa, ich habe Angst?“, fragte ich die beiden mit hochgezogener Augenbraue.

Der Kleinere, mit den hellbraunen Augen, warf seinem Freund einen verwirrten Blick zu und wich einen Schritt zurück. Dieser schien genauso ratlos zu sein, wie er selbst.

„Und jetzt wundert ihr euch, dass ich euch nicht umbringe“, riet ich und stemmte die Arme in die Hüften.

„Sie liest unsere Gedanken“, flüsterte der Ältere mit weit aufgerissenen Augen und ballte seine kleinen Hände zu Fäusten.

Ich lachte über diese Unverfrorenheit, aber ich würde ihnen ihre Illusionen nicht nehmen. Je mehr Angst sie vor mir hatten, desto schneller würden sie lernen, dass man mit Vampiren nicht spaßen konnte.

Ein lang gezogenes, schrilles Heulen ertönte in der Ferne und ließ alle Anwesenden erstarren. Jemand rief nach den Jungen. Besser, wenn diese Personen nicht in die Nähe der Grenze kamen. Ich war gerade nicht auf einen Kampf aus. Ich wollte meine Ruhe haben in diesem stillen Wald. Beunruhigt machte ich den Wolfsjungen platz und sprang auf den Ast eines Baumes. „Schnell, lauft zu euren Eltern“, flüsterte ich, damit mich die listigen Werwölfe nicht hören konnten. „Und spielt in Zukunft woanders. Zu diesen Zeiten ist es sehr gefährlich hier draußen.“ Ich zwinkerte den beiden noch einmal zu und rannte wieder zurück zur Steinmauer. Binnen weniger Sekunden war ich wieder an Ort und Stelle, als hätte ich diesen Platz in den letzten fünfhundert Jahren nie verlassen.

Mein kaltes Herz wurde schwer bei dem Gedanken. Ich mochte diesen Ort nicht - hier stand man stets an der Vordersten Front und hatte gar keine andere Wahl, als um sein Leben zu kämpfen. Entweder man starb im Kampf gegen die Werwölfe, oder man wurde von den Bluttrinkern hingerichtet, weil man die Wölfe auf das Grundstück der Königin gelassen hatte. Wenn man an einen Ort postiert wurde, dann auf Ewig. Und wenn ich ‚auf Ewig’ sagte, dann meinte ich es auch genau so.

So oder so, gab es keinen Ausweg. Gefangenschaft für immer.

Nur mein hoher Rang und meine hervorragenden Fähigkeiten im Nahkampf, hatten es mir ermöglicht, lebend wieder ins Schloss zurück zu kehren. Nacht für Nacht, für eine sehr, sehr lange Zeit.

Während eines solchen Zeitraumes, wurden Gefühle stumpf. Ich fühlte weder Freude, noch Hass, einfach gar nichts. Ich blieb leer und kümmerte mich einfach um meine Aufgabe, doch irgendwann hatte ich mir die alles entscheidende Frage gestellt. Warum kämpfe ich?

Natürlich, um meine Rasse zu schützen, aber wer hatte denn mit dem Krieg begonnen? Wir! Warum, also, sollte ich mich gegen die Gerechtigkeit stellen und weiterhin das Schloss verteidigen? Ich wusste es nicht. Wahrscheinlich lag es daran, dass diese Personen, die ich kaum kannte und mir, im tiefsten Inneren meiner Seele furchtbare Angst einjagten, die einzigen Lebewesen sind, die mich akzeptierten wie ich war. Reinblütig. Gefährlich. Durstig. Und vollkommen allein.

Ein Dankeschön

Noch vor Sonnenaufgang, war ich wieder im Schloss und verkroch mich in meinem verdunkelten Zimmer.

Ich hatte kaum einen Schritt über die Türschwelle gemacht, da war auch schon Oleen an meiner Seite und fragte mich nach zwei Vampiren aus, die meiner Schwester einen abgerissenen Kopf vor die Füße gelegt und ihr einen schönen Gruß übermittelt hatten.

„Sie war sehr wütend. Was habt Ihr euch nur dabei gedacht, Mylady?“, hatte die Messerwerferin ehrfürchtig geflüstert und war mir im Laufschritt gefolgt, ehe ich ihr die Tür vor der Nase zuknallte.

Der Durst brannte in meiner Kehle wie Feuer, als ich mich auszog und unter der Bettdecke verkroch. Als Reinblüterin brauchte ich selten Blut, doch oft genug um mich tagtäglich damit zu quälen. Ich würde vielleicht noch zwei Nächte lang durchhalten können, aber für meine Aufgabe brauchte ich Kraft und ich rechnete bereits damit, Morgen von einer Horde Werwölfe Besuch zu bekommen. Ob die Kleinen wohl bereits ihre Eltern gefunden hatten?
 

Wie immer wurde ich, pünktlich zu Sonnenuntergang, von einem leisen Klopfen aufgeweckt und sprang leicht benommen aus dem Bett.

„Mylady Rebecca? Eure ehrwürdige Schwester Leonore, Königin der Vampire und Schlächterin der Werwölfe, wünscht Euch im Speisesaal vorzufinden, bevor Ihr zurück auf Euren Posten geht“, drang eine Fistelstimme von der anderen Seite der Tür zu mir her, deren Nachricht mich erschaudern ließ.

Ein Essen mit meiner Schwester. Lieber würde ich mir einen Dolch ins Herz rammen lassen – was wahrscheinlich auch der Fall sein würde, wenn ich nicht dort auftauchte.

Mit missmutiger Laune, zog ich mir eine Hose an – damit ich mich auch bewegen konnte, wenn ich um mein Leben rang –, meine braunen Lederstiefel mit Schnallen und zog mir dann meinen langen dunkelroten Mantel mit Kapuze, über meine weiße Bluse mit einem Korsett darüber, an.

Sicherheitshalber verstaute ich noch zwei Messer, mit einer gewellten Klinge aus Silber, in meinen Stiefeln und band mir eine schwarze Peitsche um die Hüfte.

Letztendlich kümmerte ich mich noch um meine wallenden Haare. Um sie zu bändigen, flocht ich sie zu einem langen Zopf und steckte sie mir, mit glänzenden Nadeln und Spangen befestigt, hoch.

Widerwillig ging ich in Richtung Speisesaal, durchquerte dabei viele Zimmer und Gänge, wobei ich hin und wieder einigen verschreckten Bluttrinkern begegnete, die mich entweder mit unverhohlenem Hass oder Neugierde musterten. Bewunderung lag kaum in ihren schwarzen, ausdruckslosen Augen. Es war nicht zu übersehen, wem ihre Treue galt.

Mit durchgestrecktem Rücken und nach unten gezogenen Schultern, öffnete ich die Türe und schlüpfte schnell in den hell beleuchteten Speisesaal. Das Licht des Mondes, dass durch die ganze verglaste Wand links von mir, eindrang, strahlte heute Abend unglaublich hell und machte es überflüssig, Kerzen anzuzünden, obwohl wir sie ohnehin nicht benötigten.

Zwei Vampire hatten sich in schwarzen Umhängen neben der in der Mitte sitzenden Königin postiert und hielten den Kopf gesenkt, so dass ich keinen Blick auf ihre Gesichter erhaschen konnte.

„Rebecca“, flüsterte Leonore mit einem hämischen Grinsen auf den blutroten Lippen und deutete mit ihrem Glas auf den Sitzplatz, am anderen Ende des langen Tisches. „Setz dich doch, Schwester.“

Ohne den Blick abzuwenden, ließ ich mich auf den bepolsterten Sessel sinken, der einem Thron glich.

Vor mir, am Rand des mahagonifarbenen Tisches, stand ebenfalls ein Weinglas, aber anstatt mit Rotwein, war es mit Blut gefüllt. Mit Blut, dessen Geruch mir süße Verführungen zuflüsterte und deren Farbe auf mich hypnotisch wirkte.

Vorsichtig legte ich meine zittrigen Finger an das Glas, damit dieses nicht unter dem Druck, der von mir ausging, zerbrach, doch noch wagte ich es nicht, die warme Flüssigkeit zu kosten. Sie stammte frisch aus der Quelle; höchstens zwei Minuten alt. Welch eine Verschwendung wenn ich mich nicht erbarmte … aber schließlich saß ich mit meiner Schwester an einem Tisch. Und wie sie mich fixierte, passte mir gar nicht. Das Blut könnte vergiftet sein, kam es mir in den Sinn und verwarf diesen dummen Gedanken sofort wieder. Wenn dies der Fall hätte sein sollen, dann hätte sie sich kaum die Mühe gemacht, einen Eid abzulegen, um mich an ihre Dienste zu binden.

„Warum hast du mich gerufen, Leonore?“, fragte ich sachlich und stellte das Glas zurück auf den Tisch. Mit den Fingerspitzen schob ich es noch ein gutes Stück weiter von mir weg. Ich würde Frederique und Lucius darum bitten müssen, mir noch vor meinem Verschwinden einen Menschen bringen zu lassen. Mein Durst war stärker, als ich gedacht hatte.

„Was für eine nette … Geste, du dir doch ausgedacht hast, liebste Schwester. Für deine Verhältnisse“, fügte sie noch hinzu und nahm einen weiteren Schluck. Sicher spielte sie auf den abgetrennten Kopf an, den ich ihr hatte überbringen lassen. Die Männer hinter ihr bewegten sich keinen Millimeter.

„Ja“, stimmte ich zu. „Das hatte ich mir auch gedacht, nachdem er versucht hatte mich anzugreifen.“

Die Vampirin zog eine ihrer perfekten Augenbrauen in die Höhe und lächelte. „Interessant wie du die Dinge regelst. Und ich dachte bereits, wir hätten nichts gemeinsam.“

Mir wurde übel bei dem Gedanken, aber ich zwang mich, mir nichts anmerken zu lassen. Diese Genugtuung würde ich ihr nicht geben. „Gibt es sonst noch etwas, worüber du mit mir sprechen wolltest?“

„Hmm, ja, da war allerdings noch etwas.“ In ihren Augen blitzte etwas Schalkartiges auf. „Von nun an wird Evelyn mit dir die Ostgrenze bewachen, sei also so gut und versuch nicht sie in Stücke zu reißen.“

Ich versuchte erst gar nicht ein Knurren zu unterdrücken. „Dieses Biest wird gefälligst an deiner Seite bleiben!“, zischte ich.

Leonore fauchte wie eine Katze und warf mit ihrem Glas nach mir. Ich neigte meinen Kopf zur Seite und hörte das laute Splittern von Glasscherben, als es hinter mir an der Wand abprallte. Leicht zuckte ich bei diesen kratzigen Tönen zusammen. Mit einem kurzen Blick über die Schulter sah ich wie das Blut lange Bahnen von einem großen roten Fleck auf einem meiner Lieblingsgemälde nach unten zog und beendete dieses Gespräch indem ich mich erhob.

Kurz blieb ich noch stehen, wagte es aber nicht mich umzudrehen und in die leuchtend roten Augen meiner Schwester zu sehen. Derart furchtlos waren selbst die stärksten Krieger nicht.

„Sollte“ – ich knirschte mit den Zähnen – „Evelyn auch nur einen Fuß auf mein Gebiet setzten, so wirst du von ihr noch weniger finden als lediglich den Kopf.“

„Ist das eine Drohung?“, hauchte die samtene Stimme, direkt hinter mir. Ich konnte fast ihren eiskalten Atem im Nacken spüren.

„Nein. Es ist nur eine Warnung“, erwiderte ich frostig und stolzierte hinaus. Auf dem Weg in den öffentlichen Speisesaal – der für die Untertanen Leonores zur Verfügung stand und in dem ich hoffte Lucius zu finden – begegnete ich dem Teufel. Oder, besser gesagt, der Teufelin mit den roten Haaren und dem eiskalten Blick.

Das kleine Mädchen blickte mich von unten hinauf an – in ihren Augen lag die brodelnde Verachtung, mit der ich oft genug Bekanntschaft gemacht hatte und es nicht noch einmal darauf anlegte. Damals, als sie sich eben erst Leonore angeschlossen hatte und ich deswegen eifersüchtig wurde und sie zum Duell herausgefordert hatte, hätte mir das kleine Monster beinahe den Kopf abgerissen. Dabei hätte ich doch wissen müssen, dass Evelyn, dank dem Blut meiner Schwester, um einiges mächtiger war, als die anderen ‚Neugeborenen’. Schlussendlich hatte ich dennoch gesiegt und ihr jämmerliches Leben, als Schoßhündchen meiner Schwester, verschont. Mittlerweile bedauerte ich es zutiefst.

Die Rothaarige verschwand um eine Ecke, ohne mich auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen. Anders war ich es ohnehin nicht gewohnt. Ein anderes Verhalten käme der Apokalypse gleich.

„Mylady?“, fragte eine mir allzu bekannte Stimme und ich drehte mich um, um den Vampir mit den langen braunen Haaren, die er mit einem blauen Band im Nacken zusammen gebunden hatte und den schwarzen Augen, die leer auf einen Ort hinter mir starrten, zu begrüßen.

„Lucius“, sagte ich und entdeckte Frederique, flankiert von zwei dunkelblonden Vampirinnen, hinter ihm. Auch ihm nickte ich leicht zu und machte zwei Schritte auf sie zu.

Die Vampirin, die sich rechts in Frederiques muskulösen Arm eingehakt hatte, machte unmerklich einen Schritt zurück. Ich musste an mich halten, um nicht zu grinsen und sie noch mehr in die Enge zu treiben.

Ich hob eine Hand. Die beiden Vampirinnen verschwanden.

Frederique, dessen welliges Haar wie ein Vorhang über seine linke Gesichtshälfte fiel, stellte sich neben Lucius und verbeugte sich. Die beiden waren kaum älter als ich, standen aber stets an meiner Seite wenn ich sie brauchte. Dennoch würden sie sich niemals gegen die Königin stellen. Das wäre Hochverrat und würde mit dem endgültigen Tode bestraft.

„Bringt mir einen Menschen auf mein Zimmer“, bat ich und schlenderte gemächlich in genau diese Richtung.

„Sehr wohl, Mylady“, sagten die beiden in tiefem Bariton und eilten dann in den Kerker, in denen sich die Gefangenen meiner Schwester, wie die Ratten, tummelten.

Sie hatte eine ziemlich eigene Vorstellung, was das Thema ‚Haustiere’ anbelangte.
 

Gelangweilt und gesättigt, lag ich mit geschlossenen Augen, auf einem Baumstamm, deren Rumpf noch halb an den Wurzeln hing und den Stamm deshalb etwas angehoben hielt.

Die Magd, die Lucius und Frederique mir gebracht hatten, war abgemagert gewesen und hielt sich kaum noch am Leben. Kaum etwas, aus dem man viele Nährstoffe ziehen könnte, aber es würde reichen. Entweder meine beiden Vampire waren im Kerker auf meine Schwester getroffen, die ihnen befohlen hatte mir das magerste Ding mitzubringen, oder dort unten gab es tatsächlich kaum noch Überlebende. Ich erschauderte bei der Erinnerung, an den dunklen, feuchten Keller, der sich als Tunnelsystem unter dem Schloss verborgen hielt. Die Schreie, die ich damals als Kind wahrgenommen hatte, hallten mir noch immer in den Ohren nach. Die verstümmelten Leichen und zerfetzten Körper hatten mich wünschen lassen ich wäre blind. Doch am schlimmsten war der Geruch.

Verdrecktes Blut. Verbranntes Fleisch. Der Duft des Todes.

Das Knacken eines Astes lenkte mich ab und ließ mich, mit der Hand an meiner Peitsche, aufspringen. Ich rümpfte die Nase, als mir der unverwechselbare Geruch eines Werwolfs entgegen wehte. „Zeigt Euch“, befahl ich missgelaunt.

Ein ungewohnter Laut hallte von den Bäumen wieder. Ein langsames Händeklatschen. Irritiert wirbelte ich herum und starrte den Werwolf, der in Menschengestalt an der Mauer lehnte, fassungslos an. Wie konnte er sich unbemerkt an mir vorbei schleichen? War ich derart in Gedanken versunken gewesen? „Wer seid Ihr?“, fragte ich mit monotoner Stimme.

„Die Frage ist doch eher die, wer Ihr seid“, meinte der Fremde mit tiefer Stimme und musterte mich ziemlich auffällig. Ich war es nicht gewohnt, dass man mich so offen ansah, da die meisten den Blick senkten, oder einfach durch mich hindurch schauten.

„Ich bin eine Bluttrinkerin“, sprach ich das Offensichtliche aus. Er schien nicht daran interessiert zu sein, die Grenze zu überqueren, also würde ich auch nicht einschreiten müssen. Und was wenn er zu mir wollte? Ich überdachte diese Idee und schüttelte innerlich den Kopf. Lächerlich.

Der Werwolf legte den Kopf schief, wobei ihm einige haselnussbraune Haarsträhnen ins Gesicht fielen. „Willst du mich nicht angreifen?“

Ich kniff die Augen zusammen. Meine Ignoranz siegte über meine Aufregung darüber, dass er es sich einfach so herausnahm mich zu duzen. Wahrscheinlich sprachen alle Werwölfe so.

„Dasselbe hatte ich mich auch gerade gefragt.“

Der Mann, mit dem kantigen Gesicht und den listigen Augen eines Fuchses, lachte ungeniert los und stützte sich wieder an der Wand ab.

In dem Moment, packte ich aus reinem Reflex meine Peitsche und warf sie schnalzend nach ihm. Das schwarze Haar umschlang seinen linken Fußknöchel, und noch in derselben Sekunde schleuderte ich den Griff über einen dicken Ast und fing ihn auf der anderen Seite wieder auf. Mit einem kräftigen Ruck meinerseits wurde der Werwolf in die Luft gerissen und schwang nun kopfüber, seinen freien Fuß leicht angewinkelt, hin und her. „Wie unhöflich“, war sein einziger Kommentar dazu. Hatte er denn keine Angst? War er nicht wütend?

Meine Verwirrung muss mir ins Gesicht geschrieben gewesen sein, denn der Mann in den kurzen Hosen und mit nacktem Oberkörper, seufzte theatralisch und verschränkte die Arme, die nun die lange Narbe, auf seiner Brust, verdeckten. „Wollt Ihr mich nicht runterlassen?“

Ich schnaufte. „Nicht in nächster Zeit. Zuerst würde ich gerne noch einige Dinge in Erfahrung bringen. Wie ist Euer Name?“

Sein Kiefer spannte sich deutlich an und ich konnte praktisch hören wie er mit den Zähnen knirschte. „Tristan“, meinte er dann abschätzend. Ich fragte nicht nach, ob das wohl sein richtiger Name war; es war nur wichtig zu wissen wen ich umbrachte – falls er sich als Bedrohung herausstellen sollte. „Und Ihr?“

Wieder war ich kurz davor mein Gesicht zu verziehen. „Becca.“

Der Wolf hob seine dunklen Augenbrauen, was ziemlich merkwürdig aussah, als er da so vor sich hin schwankte. „Also gut, Becca. Bist du die Gedankenleserin?“

Ich legte den Kopf fragend schief und wartete auf eine Erklärung.

Der Mann räusperte sich. Obwohl sein Gesicht langsam rot anlief, zeigte er in dieser Hinsicht keine Regung. „Bist du die Frau die die beiden Wolfsjungen verschont hatte?“

„Und wenn ich es wäre?“, fragte ich argwöhnisch.

Tristan zog die Augenbrauen zusammen. „Bist du es nun, oder nicht?“

Ich verdrehte die Augen und murrte etwas von „Schon möglich“, was wohl Antwort genug für den Werwolf war.

In dem Augenblick, an dem ich meine schwarzen Augen gen Himmel richtete, hörte ich meine Peitsche reißen, als hätte der Wolf lediglich einen Wollfaden zerrupft und wurde von zwei starken Armen zu Boden gerissen. Er ist schnell!, schoss es mir durch den Kopf und ließ mich wieder zu Besinnung kommen. Blitzschnell und in fließender Bewegung rollte ich mich auf ihn drauf und zog eins der Messer aus meinem Stiefel, das ich ihm an die Kehle drückte.

„Nicht – bewegen“, wies ich ihn an. Mit dieser Aktion hatte er nicht gerade meine Sympathien geweckt. Einige meiner Haarsträhnen hatten sich aus meiner behelfsmäßigen Hochsteckfrisur gelöst und fielen auf den Brustkorb des Werwolfes. Seine Atmung blieb ruhig. Er schien sich seiner völlig sicher zu sein. Wie dumm.

„Allein die Tatsache, dass Ihr mich angegriffen habt, wäre Grund genug um Euch zu töten“, teilte ich ihm laut meine Gedanken mit.

Um seinen Mundwinkel zuckte es. „Wer hat denn behauptet, dass ich dich töten will?“

Diese Aussage irritierte mich sogar noch mehr als alles Vorhergegangene.

„Und was hattet Ihr stattdessen vor?“, fragte ich, nicht überzeugt von seiner Unschuld.

Eine warme Hand legte sich auf meine Hüfte; ich schnitt ihm dafür ein kleines Andenken in den Hals. Mit einem gewöhnlichen Messer, hätte ich seine Haut niemals durchdringen können. Immerhin dachte ich im Voraus und hatte deshalb eine Silberklinge genommen. Glücklicherweise kannten wir die Schwachstellen unserer Feinde; sie aber nicht die unseren.

Keinesfalls eingeschüchtert, legte er seine andere Hand auf meine Wange. Die Hitze brannte wie Feuer auf meiner Haut. Ich versuchte den Schmerz wegzublinzeln, doch vergebens. Zu lange hatte ich ohne Berührung gelebt, als dass ich dieses Gefühl jetzt einfach hätte wegstecken können.

„Aufhören“, flüsterte ich. Es klang in meinen Ohren wie ein Wimmern.

Anstatt zu tun, was ich ihm sagte, wanderte seine Hand von meiner Wange in meinen Nacken und drückte meinen Kopf soweit runter, dass meine Nasenspitze dicht an seiner lag.

Meine Finger verkrampften sich um den Griff meines Messers und selbst meine Selbstbeherrschung ging langsam flöten.

Hatte dieser Mann denn keinen Überlebensinstinkt?

Wie lange wollte er mich noch aus dieser Nähe anstarren, bevor ich ihn seines Kopfes erleichterte?

Ich hatte mich nie in solch einer Situation befunden, und konnte scheinbar nicht allzu gut damit umgehen. Vielleicht wäre Evelyn doch ganz nützlich gewesen.

„Was habt Ihr vor?“, fragte ich und versuchte nicht allzu verschreckt zu klingen.

„Ich bedanke mich“, hauchte Tristan und legte seine einladenden Lippen auf meine, ehe sich mein Verstand wieder einschalt und mich wie eine Furie anschrie, ich solle den Feind meiner Rasse endlich töten. Aber er schmeckte so köstlich…

Ehe ich diesen schrecklichen Gedanken fortführen konnte, sprang ich auf und flüchtete auf einen Baum. Mein Puls ging viel zu schnell. Für gewöhnlich schlug mein Herz nur Acht bis Neun Mal in der Minute; eine etwas verstörende Besonderheit der Reinblüter. Wir waren nicht direkt ‚tot’. Wir waren lebendig, unsere Haut war relativ warm und wir konnten sogar Tränen vergießen. Sinnlose Kleinigkeiten, wie ich fand. Und in eben solchen Moment verfluchte ich meine Abstammung. Es wäre leichter gewesen genauso tot zu sein, wie die gewandelten Vampire.

„Geht!“, fauchte ich Tristan an, der sich mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht aufrappelte und zu mir hoch blickte.

„Du bist wirklich interessant, Becca“, sagte der Wolf, sichtlich amüsiert über meine Reaktion.

Ich knurrte einen Fluch in einer fremden Sprache und zügelte sofort wieder mein Temperament. Er hatte mich überrumpelt, das war alles. Es würde nie wieder vorkommen und sollte er es doch versuchen, würde er Bekanntschaft mit meinen Fangzähnen machen.

„Es wäre klüger wenn Ihr verschwindet.“

„Eine Frage noch“, bat Tristan mit schief gelegtem Kopf. „Warum hast du die Kinder am Leben gelassen? Ihr Vampire geltet doch als absolut gnadenlos.“

Diese Frage war leicht zu beantworten. „Ich trage die Sorge dafür, dass niemand die Grenze überquert. Sollte dies doch geschehen, wird Der- oder Diejenige sofort eliminiert.“

„Das beantwortet nicht meine Frage.“

Aber eine andere Antowrt gab ich ihm nicht, das war anscheinend selbst ihm klar. Noch ein letztes Mal winkte Tristan, dann begann er sich zu verwandeln. Nur wenige Vampire hatten jemals die Verwandlung in einen Werwolf miterlebt, doch den Gerüchten nach musste es sehr schmerzvoll sein.

Ich konnte seine Knochen brechen hören, als sich sein Körper veränderte, größer wurde. Ein leichter bläulicher Schimmer, lag auf seiner Haut und einige Sekunden später auf seinem goldbraunen Fell; doch ich wusste nicht ob es vielleicht nur an dem Vollmond lag, der uns heute Gesellschaft leistete.

Die Beine des Mannes wurden länger, ebenso seine Arme, aus denen Furcht erregende Klauen wuchsen. Sein breiter Rücken krümmte sich leicht und sein Kopf nahm die Gestalt eines riesigen Wolfes an. Er war gigantisch. Beinahe so groß wie ein ausgewachsener Hengst.

Irgendetwas hatte gerade von mir Besitz ergriffen und ich glaube ich war einfach zu stolz dafür, um mir einzugestehen, dass es wohl Angst war.

Ohne dass ich es richtig mitbekam, stand ich wieder auf festem Boden und hatte meine beiden Messer in den Händen. Ich war bereit ihn zu töten, sollte es zu einem Handgemenge kommen. Mit einem Schuss könnte ich unter Umständen sogar sein Herz treffen, fragte sich nur ob das Silber ihn schnell genug hinwegraffen würde.

Bevor ich meinen endgültigen Entschluss fassen konnte, blinzelte mich der Wolf, dessen Augen zu menschlich für mich wirkten, mit herausgestreckter Zunge an, gab ein kurzes Jaulen von sich und verschwand hinter dem schützenden Schleier der Dunkelheit.

In den ersten Minuten konnte ich nicht anders als ihm hinterher zu starren und zu hoffen das es weder eine Falle war, noch das er versuchte Verstärkung zu holen. Nichts geschah und ich ließ mich wie erstarrt auf den Erdboden plumpsen.

Das war mit Abstand einer der merkwürdigsten Nächte meines Lebens.

Fragte sich nur, ob es noch schlimmer werden konnte.

Joli Bijou

So wie es aussah, konnte es tatsächlich schlimmer kommen.

In den nächsten Nächten besuchte mich Tristan wieder, machte aber zum Glück keine weiteren Anstalten sich zu ‚bedanken’.

Ich hielt zwar sicheren Abstand zu ihm, aber versuchte stets meine Umgebung im Auge zu behalten. Niemand hatte versucht die Ostgrenze zu überschreiten oder mich hinterrücks zu skalpieren. Mein Vertrauen steigerte sich dadurch trotzdem nicht.

Hatte ich mir wegen dieser Kleinigkeit, diese Kinder zu verschonen, tatsächlich solchen Ärger eingehandelt? Ich wollte keine Freundschaft und auch keine Verbindung. Ich dachte, das wäre deutlich gewesen.

„Ihr müsst aufhören, zu kommen und zu gehen wie es Euch passt“, teilte ich ihm mit und versuchte dabei den drohenden Ton beizubehalten den ich mir kurz zuvor zurechtgelegt hatte. Blöderweise ließ sich Tristan nicht von mir einschüchtern. Hätte ich die Kinder vielleicht doch töten sollen? Ich überlegte, und kam zu dem Schluss, dass es dieses Blutvergießen nicht wert gewesen wäre. Wahrscheinlich wären noch mehr Werwölfe, außer Tristan, aufgetaucht – mit ganz anderen Absichten.

„Erst wenn ich weiß, was dich so besonders macht“, erwiderte er grinsend.

„Ich bin so, wie jeder andere Vampir.“ Bis auf die Tatsache das ich nicht gewandelt worden bin und königlichen Blutes war – aber das musste er nicht unbedingt wissen. Es würde meine Situation nur komplizierter machen.

Tristan schnaufte und hockte sich auf den Waldboden. Ich beobachte jede seiner Bewegungen von meinem Platz, auf der Mauer, aus. „Du traust mir nicht“, sagte er nach einer Weile, und wagte es tatsächlich empört zu klingen.

„Vertrauen muss man sich im Allgemeinen verdienen.“

„Habe ich es mir noch nicht verdient, indem ich dich nicht getötet habe?“, fragte er amüsiert und zog eine seiner Augenbrauen hoch. Er lehnte sich lässig an einen Baumstamm und ich hatte einen guten Blick auf seine nackte Brust. Die Muskeln waren deutlich zu erkennen, aber er schien trotzdem kein Kraftprotz zu sein, der immerzu prahlen musste. Besonders faszinierte mich jedoch die helle Narbe, die sich von seiner goldbraunen Haut abhob. Es war ein langer Schnitt, der sich von seiner linken Schulter quer über den gesamten Brustkorb zog und an seinem rechten Beckenknochen endete.

Ich legte den Kopf schief und fragte mich, wer ihn derart verletzt hatte. Ein besitzergreifendes Gefühl nagte an mir, das beinahe schon in kaltblütige Rachegedanken überging. Ein Schauer lief mir über den Rücken.

Tristan folgte meinem Blick und sofort verhärteten sich seine Züge. Ein leerer Ausdruck trat in seine Augen. „Willst du nicht wissen wie es dazu gekommen ist?“ Er strich sich über die Narbe.

„Nein, ich …“ – ich rang um meine nächsten Worte; war es einfach nicht gewohnt Schuldgefühle zu empfinden –„ …besitze nicht das Recht dazu.“

Er lachte nur, als ob er mir kein Wort glauben würde. Ich konnte es ihm nicht verübeln, aber ich lebte nun schon seit langer Zeit und wusste, dass es keinen Sinn hatte, sein leben damit zu verschwenden, nachtragend zu sein. Das letzte Mal, als mich Gewissensbisse plagten, hatte ich Oleen so eben zur Ewigkeit verdammt.

Der Wolf erhob sich geschmeidig und ging auf die Mauer zu. Kurz bevor er den kalten Stein berührte, sprang ich ihm vor die Füße und stieß ihn zurück. Ich reagierte etwas … aggressiv auf Eindringlinge.

Der Werwolf hielt die Hände in die Höhe, um zu zeigen, dass er sich friedlich benehmen würde, und kam wieder auf mich zu. Ich ging sofort wieder in Angriffsstellung, ignorierte das schelmische Grinsen, das auf seinem Gesicht lag und warf ihm vernichtende Blicke zu. „Bleibt fern“, knurrte ich.

Er blieb stehen. Ich bräuchte nur die Hand auszustrecken und dann könnte ich … ja, was könnte ich? Ihn töten? Warum – schließlich hatte er, noch nichts, verbrochen. Eigentlich hatte ich ja mehr Lust ihn zu berühren, aber ich unterdrückte den Drang so schnell wie er gekommen war.

„Würde ich ja gerne“, gab er zu und seine Augen brannten sich in meine. „Aber das ist leider nicht so leicht.“ Er sagte dies mit solch einer Überzeugung, dass ich ihm auf der Stelle glaubte.

„Warum?“, fragte ich verwundert. Es lag einem Werwolf doch nichts ferner, als einem Vampir nahe sein zu wollen.

Er schien genau dasselbe zu denken. „Das wüsste ich auch gerne.“

Tristan lächelte über meine verwirrte Miene, und steckte dann seine Hand in die Hosentasche.

Meine Finger glitten hinter meinen Rücken, wo ich einen Silberdolch versteckt hielt. Ich wartete resigniert darauf, dass er irgendeine Wunderwaffe hervor holte, mit der man Vampire schlachten konnte. Meine Augen waren kurz davor, rot aufzuleuchten.

„Was…?“, fragte ich erstaunt, als er eine goldene Kette, verziert mit weißen Perlen und blutroten Granat Diamanten, aus der Tasche zog. Viele dicke Schnörkel aus Gold, die hin und wieder von den Perlen unterbrochen wurden, umschlangen den funkelnden Diamanten, in dem ich mich sogar spiegeln konnte. Ich war begeistert, aber zu misstrauisch um mich richtig darüber freuen zu können. „Soll das auch wieder eine Art ‚Dank’ sein?“

Tristan zuckte die Schultern, aber musste wohl erkannt haben, wie sehr ich dieses Schmuckstück begehrte. Ich konnte den Stolz und die Zufriedenheit praktisch riechen, die von ihm ausging.

Er legte mir die Kette um den Hals; diesmal wehrte ich mich nicht über die Berührung, auch wenn seine Hände länger als nötig in meinem Nacken ruhten.

„Merci pour le joli bijou”, flüsterte ich und machte einen Schritt zur Seite, damit mir meine Nervosität nicht allzu sehr anzumerken war.

„Was bedeutet das?“, fragte er neugierig und störte sich scheinbar nicht an meiner Unbeholfenheit. Es war beinahe achtzig Jahre her, als ich das letzte Mal ein Geschenk bekommen hatte. Und selbst das war wertloser Schnickschnack gewesen.

„Danke für das schöne Schmuckstück“, wiederholte ich mich und strich mit den Fingerspitzen über den Granat.

Tristan nahm meine Worte nickend zur Kenntnis. „Ich gehe jetzt besser. Es sei denn, du möchtest, dass ich bleibe.“

Meine Mundwinkel zuckten, als ich vergebens versuchte ein Lächeln zu unterdrücken. „Lebt wohl, Tristan.“

„Wir werden sehen“, sagte er und verschwand.

Als ich mir sicher war, dass er außer Hörweite war, ging ich stöhnend in die Knie und verfluchte mich für meine Schwäche. Was war ich nur für eine Närrin!

Dahinvegetierend wartete ich darauf, dass der Himmel allmählich heller wurde und machte mich dann schleunigst auf den Weg zum Schloss.

Oleen wartete bereits und hielt mir das Tor offen, durch das ich schnell schlüpfte und sofort in den Westflügel eilte. „Willkommen zurück, Mylady“, begrüßte sie mich leise und nahm mir den Umhang, sowie meine Waffen ab. Ihr Blick fiel auf die Kette um meinen Hals.

„Ein Geschenk“, antwortete ich auf ihren fragenden Blick hin. Sie verzog keinen Muskel in ihrem Gesicht und nickte einfach zum Zeichen, das sie nicht weiter nachfragen würde.

„Gibt es Neuigkeiten, was Leonore anbelangt?“

Die Messerwerferin neigte leicht den Kopf. „Nein. Sie verhält sich ausgesprochen ruhig. Auch ihre Diener halten sich zurück.“

„Gut, beobachte sie dennoch weiter. Gab es neue Anschläge?“

Sie nickte leicht und beschleunigte ihren Schritt, um mit mir mitzuhalten. „Eine kleine Gruppe von Werwölfen – um genau zu sein, sieben Männer – haben vor kurzem die Nordgrenze durchbrochen. Sie konnten nicht sehr weit vordringen, als dann die Schergen der Königin eingriffen. Vier von ihnen sind tot, einer konnte fliehen und zwei haben wir gefangen genommen. Sie wurden in den Kerker gebracht.“

Ich stoppte und beinahe wäre Oleen in mich hinein gelaufen. „Mylady? Stimmt etwas nicht?“

Mit zusammen gekniffenen Augen drehte ich mich zu ihr um, woraufhin sie sofort einen Schritt zurück trat und beschämt den Kopf senkte.

„Lasst die Gefangenen frei“, befahl ich ausdrücklich und hoffte damit dieses Thema erledigen zu könnnen, aber meine sonst so treue Dienerin rührte sich nicht vom Fleck.

„Ich weiß, dass es anmaßend ist Euch dies zu fragen, aber warum wollt ihr diesen Bestien wieder die Freiheit schenken, obwohl sie versucht hatten, das Schloss anzugreifen?“ Ihre Augen waren vor Schreck weit aufgerissen, aber noch war keine Spur von dem Blau zu erkennen, das sich zeigte wenn sie sich ernsthaft aufregte.

„Was glaubt Ihr, passiert, wenn der entflohene Wolf seinem Rudel Bericht erstattet?“ Die Vampirin schwieg. „Natürlich werden sie versuchen, sich an uns zu rächen und du weißt wie leicht diese Monster Tagsüber bei uns eindringen können, wenn sie es wollten. Wenn wir die Gefangenen fliehen lassen, dann könnten wir möglicherweise einen Vorsprung erzielen und uns einen neuen Plan überlegen.“

Die Messerwerferin verzog das Gesicht, was wohl als Lächeln gelten sollte. „Ich verstehe immer noch nicht, warum Ihr nicht den Thron angenommen habt“, schmeichelte sie mir und führte mich zu einer steinernen Treppe, die steil in die tiefsten Tiefen des Kellers führte. Rechts an der Wand, hatte man, in fünf Meter abständen, Fackeln befestigt, die es den menschlichen Dienern vereinfachen sollten, sich hier unten zurechtzufinden.

Es lebten nicht viele Menschen im Schloss – von den Gefangenen abgesehen. Höchsten so um die fünf, die wohl alle hofften, dass jemand sie zu einem der unsrigen machte. Ich persönlich war noch keinem begegnet, und war auch relativ froh darüber.

Unten angelangt, durchquerten wir einen kleinen Torbogen und bewegten uns weiter fort, wobei wir uns die ganze Zeit geduckt halten mussten um nicht mit dem Kopf an der Decke anzustoßen, die bedrohlich tief lag.

Nach zwei Minuten wurde der Gang breiter. An den Wänden reihten sich verschlossene Stahltüren, die kein Mensch durchbrechen, geschweige denn eine Beule darin hinterlassen könnte.

Die Werwölfe wurden in gewissen ‚Käfigen’ gefangen gehalten. Ein Gefängnis mit Gittern aus reinem Silber.

Wir bogen um eine Ecke, an deren Ende sich der Käfig befand. Die beiden Männer darin schienen jung zu sein. Und im Gegensatz zu Tristan, auch noch unerfahren. Die beiden Körper, die mit Silberketten, an der Steinwand gekettet waren, sahen ziemlich zerschunden und blutig aus. Schweiß troff ihnen aus allen Poren und ihre Hautfarbe war vor lauter Schmutz kaum zu erkennen.

Mit einem kurzen Kopfnicken schickte ich die beiden Wächter, die zu beiden Seiten der Zellen standen, fort. Ich zog den alten Zentralschlüssel aus meiner Tasche und schloss auf. „Könntest du mir bitte einen Samtbeutel bringen?“, bat ich und konnte in ihrem Gesicht ablesen, wie sehr sie mit sich rang mich hier alleine zu lassen, aber schließlich vertraute sie auf meine Fähigkeiten und nickte.

Sobald sie in dem anderen Gang verschwunden war, beugte ich mich zu dem etwas weniger schlimm aussehenden Jungen und strich ihm eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Er rührte sich nicht, also klatschte ich ihm ein paar Mal gegen die Wange, bis er blinzelnd die saphirblauen Augen öffnete. Ein Knurren stieg aus seiner Kehle, als er erkannte welches Wesen es gewagt hatte, ihn anzurühren.

„Bitte, zieht keine voreiligen Schlüsse. Ich wollte Euch um etwas bitten, bevor ich Euch frei lasse.“

„Eher friert die Hölle zu!“, fauchte er und um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, zerrte er an seinen Ketten und versuchte nach mir zu schnappen.

„Kennt Ihr Tristan?“, versuchte ich es erneut und warf einen kurzen Blick auf seinen Freund, der noch immer schlaff an der Wand hing.

Der Blonde beruhigte sich etwas. „Was willst du von ihm, Monster?“

Ich ignorierte die Beleidigung und blickte kurz über meine Schulter. Niemand war zu sehen. Umso besser. Ich legte die Halskette ab und ließ sie vor seiner Nase baumeln. „Gebt ihm dies, bitte, zurück und richtet ihm aus, es wäre unmöglich.“

Bevor der Werwolf fragen konnte, was unmöglich war, tauchte Oleen wieder auf und reichte mir einem dunkelblauen Samtbeutel. Ich legte die Kette hinein und knotete den Beutel fest mit einer goldenen Schleife zu.

„Oleen, befreie den anderen von seinen Fesseln.“ Sie tat wie geheißen, während ich ebenfalls versuchte dem Blonden zu helfen.

Nachdem die Schlösser geknackt waren, rieb sich der Werwolf die blutverschmierten Handgelenke. Er bedachte mich mit einem abschätzigen Blick und warf sich seinen bewusstlosen Freund über die Schulter. „Du lässt uns wirklich gehen?“, fragte er noch einmal nach, und ließ mich keinen Moment aus den Augen.

Ich verdrehte die Augen und bedeutete ihnen, dass sie mir folgen sollten.

„Sie nimmt ein großes Risiko auf sich, weil sie euch gehen lässt“, antwortete Oleen statt meiner und bildete die Nachhut. Sie schien nicht gerade viel Angst vor den Werwölfen haben, was ich ihr hoch anrechnete. Wahrscheinlich hielt sie dennoch ihre Wurfmesser bereit.

„Pah! Als ob euch Vampiren untereinander etwas passieren würde!“, meinte der Junge ungläubig.

„Wenn Ihr wüsstet …“, murmelte ich und erreichte endlich den Ausgang. Die Gänge schienen wie leer gefegt. Kein Wunder. Denn laut den zugezogenen Vorhängen, war bereits die Sonne aufgegangen. Es war so unheimlich still, dass ich fürchtete, der leiseste Atemzug den ich von mir gab, würde mich verraten und die ganze Meute auf mich hetzen. Aber nichts. Alle schliefen tief und fest.

Als der Werwolf mit seinem Freund drohte umzukippen, stützte Oleen ihn, obwohl es ihr sichtlich missfiel ihn zu berühren, während wir in den Nordflügel eilten. Ich hielt mich im tiefen Schatten der Tür verborgen, als ich diese aufzog und auch die sonst so mutige Messerwerferin wich auf der Stelle zurück, als das Licht über die Türschwelle fiel.

„Werwolf“, sagte ich ruhig und warf ihm den Beutel zu. Er fing den Beutel in der Luft. „Vergesst nicht, weshalb ich Euch geholfen habe.“

Seine Augen warfen blaue Blitze auf mich ab. „Und wer soll ihm diese Nachricht ausgerichtet haben?“

„Becca“, antwortete ich etwas unwirsch und schlug die Tür hinter ihnen zu. Diese Hitze war einfach unerträglich. Auch Oleen wirkte ziemlich mitgenommen.

Selbst der kleinste Sonnenstrahl fühlte sich für uns an, als ob man uns die Haut in Schichten abzog.

Als Kind war ich furchtbar neugierig gewesen und wollte natürlich unbedingt wissen, warum man mich so vor dem Licht wegsperrte. Also hatte ich für eine einzige Sekunde in die Sonne gegriffen und mich danach stundenlang schreiend auf dem Boden gewälzt. Ich musste sehr viel Blut zu mir nehmen, bevor die Verbrennungen wieder heilten, und selbst danach hatte es mir noch wochenlang Schmerzen bereitet, wenn mich jemand berührte.

Ich schickte Oleen ins Bett, die mir dankbar zu blinzelte und in ihr Zimmer rannte, bevor sie noch ohnmächtig zu Boden sank. Das konnte bei jungen, gewandelten Vampiren leicht passieren, wenn sie es übertrieben.

Ich dagegen konnte tagelang, ohne Schlaf auskommen. Trotzdem forderte ich mein Schicksal nicht heraus und marschierte ebenfalls in mein Zimmer, in dem ich mich unter meiner seidenen Bettdecke verkroch und beinahe sofort in einen traumlosen Tiefschlaf fiel.

Abschied oder Neuanfang?

Am nächsten Abend, erwachte ich mit einem sehr schlechten Gefühl im Magen und flüchtete darum, gleich nachdem der letzte Sonnenstrahl im Horizont unterging, auf meinen Posten. Ich wollte weder ein Gespräch mit Oleen, noch mit meiner Schwester führen. Ich wollte gar nicht wissen, was sie sich für hübsche Strafen für mich überlegen würde, wenn sie von der Flucht der Wölfe erfuhr. Wir Reinblüter waren zwar so ziemlich unzerstörbar, doch das hielt Leonore nie davon ab, neue Experimente durchzuführen. Es war mir einfach unbegreiflich, wie sie es geschafft hatte unsere Eltern zu töten und ich konnte nicht mit Gewissheit sagen, ob sie mir damit ebenfalls gefährlich werden konnte.

Seufzend spazierte ich, in üblicher Grazie, auf der Steinmauer entlang und sondierte die Umgebung mit meinen Vampirsinnen. Manchmal wehte der Werwolfgestank zu mir hinüber, doch ich schenkte dem keine weitere Achtung, da der Duft nur schwach war und ich mir ziemlich sicher war, niemanden in den letzten Nächten hier bemerkt zu haben. Von Tristan abgesehen. Er war mir ein unbegreifliches Mysterium, mit dem ich mich noch nicht auseinanderfassen wollte. Aber scheinbar musste ich es doch.

Ich wollte gerade meine zweite Runde drehen, als mir plötzlich der Geruch eines bestimmten Werwolfes in die Nase drang.

Zum vierzigsten Mal in den letzten drei Stunden, ließ ich ein lang gezogenes Seufzen von mir hören und hockte mich anschließend, im Schneidersitz, auf den umgefallenen Baumstamm. Ich hatte mit mehr Zeit gerechnet, die ich dafür genutzt hätte, mir ein ganzes Arsenal von Silber herzubringen, aber Momentan sah meine Lage alles andere als schön aus, somit musste ich mich also meinem dunklen Schicksal fügen.

Tatsächlich tauchte wenig später eine bekannte Gestalt hinter den Bäumen auf und kam mit grimmigem Gesichtsausdruck auf mich zu geschlendert. Wahrscheinlich war die Freundlichkeit nun vorbei. Meine Hand wanderte wieder zielstrebig auf den Dolch zu.

„Was soll das eigentlich bedeuten, unmöglich?“, fragte er aufgebracht und seinem Ton konnte ich deutlich seine Wut heraus nehmen.

Ich hatte mir, während meines kleinen Spazierganges, einige Antworten zurechtgelegt und hatte somit keine Schwierigkeiten, ihm Paroli zu bieten. „Eine Freundschaft zwischen einem Werwolf und einer Vampirin, wäre alles andere als angebracht.“

Tristan kniff die Augen zusammen und fixierte mich mit einem derart harten Blick, dass ich versucht war, denn Blick zu senken. „Ich spreche hier aber nicht von Freundschaft.“

Es dauerte einige Sekunden, bis mir das volle ausmaß dieser Worte bewusst wurde. „Unmöglich“, flüsterte ich voller Unglaube und Erstaunen. Er hatte eine merkwürdige Art und Weiße mir ein Liebesgeständnis zu machen. „Ihr könnt mich nicht auf diese Art mögen! Ihr kennt mich nicht und, wie bereits erwähnt, bin ich eine Bluttrinkerin, also absolut unpassend für Euch.“

Der Werwolf ließ sich von meinen Worten nicht umstimmen. „Wer oder Was zu mir passt, entscheide ich allein!“, gab er zurück.

„Ihr seid ein Narr, wenn Ihr so denkt!“

„Nenn mir einen triftigen Grund, warum ich dich unter gar keinen Umständen lieben dürfte“, verlangte er und verschränkte die Arme.

Dieser arrogante, selbstgerechte …

„Ihr wollt es also wirklich wissen?“ Ich sprang von der Mauer und stapfte undamenhaft auf ihn zu. Der Dolch war längst vergessen. Es war jetzt viel wichtiger, ihm zu erklären, dass er reinen Selbstmord damit beging, die Schwester der Vampirkönigin zu lieben.

Ich spürte einen stechenden Schmerz in meiner Brust, als ich ihn böse anfunkelte und mir der eine Satz, der wahrscheinlich alles beenden würde, bereits auf der Zunge lag, ich ihn aber dennoch nicht aussprechen konnte. Stattdessen starrte ich ihn an. Hilflos und erschöpft. Traurig und resigniert. Und hoffte, dass er es endlich einsah und mich wieder meiner einsamen Ewigkeit überließ, aus der er mich so grob gerissen hatte.

Aber ich bekam den Mund nicht auf. Tief in mir drinnen, wollte ich diesen engstirnigen Werwolf mit seinem lüsternen Grinsen und all seinen Fehlern.

Tristan stand noch immer wie eine Statue da und hatte mich scheinbar voll und ganz durchschaut. Verflucht sei er!

Seine Gesichtszüge glätteten sich und stattdessen trat ein warmes Lächeln auf sein Gesicht, das mir die Knie weich werden ließ, nachdem ich mir das Unmöglichste eingestanden hatte.

„Ist dir endlich ein Licht aufgegangen?“, fragte er sanft und legte seine Hand auf meine Wange. Erneut durchströmte mich Hitze, die mich kurz zusammen zucken ließ.

Tristan beugte seinen Kopf nach unten, seine Lippen lagen wieder ganz nah an meinen und sein heißer Atem kitzelte mein Gesicht.

„Na, wenn das nicht allerliebst ist“, neckte eine bekannte Stimme und ließ mich erschrocken herum wirbeln.

Da stand sie. Mein schlimmster Albtraum. Heute trug Leonore ein knöchellanges, blutrotes Kleid mit Fransensaum und einem eng zugeschnürtem, schwarzen Korsett. Sie hatte kleine Runensteine in ihr hüftlanges Haar geflochten und hielt in ihrer rechten Hand ein Schwert. Laut dem Schimmern der Klinge, handelte es sich dabei wohl ebenfalls um Silber.

„Leonore, was tut Ihr hier?“, fragte ich, absichtlich emotionslos. Tristan versteifte sich hinter mir.

Die Vampirin lächelte und zeigte ihre langen Eckzähne. Gemächlich streichelte sie ihr kleines Schoßhündchen, das sich zufrieden an sie schmiegte und mich schadenfroh, mit leuchtenden Augen, ansah. Evelyn. Ich hätte wissen müssen, dass dieses kleine Biest blind den Befehlen ihrer Herrin gehorchte. „Nachdem man mir berichtet hatte, du hättest die Gefangenen frei gelassen, dachte ich, ich sollte dir einen kleinen Besuch abstatten.“ Ihre Augen blitzen scharlachrot auf. „Ich wusste nicht, dass du in solch … interessanter Gesellschaft bist.“

Tristan knurrte. „Wer ist das?“, fragte er mich und ließ Leonore und ihre Gefolgschaft – bestehend aus Evelyn und drei anderen Vampiren – nicht aus den Augen.

Leonore lachte schallend auf und warf dabei den Kopf in den Nacken. Ihre höhnische Stimme jagte mir einen Eispickel in den Kopf. „Hast du es ihm nicht erzählt? Also wirklich, Rebecca, schämen solltest du dich.“ Sie wedelte tadelnd mit ihrem Zeigefinger und sprang von der Mauer. Die kleine Teufelin folgte ihr wie ein Schatten.

Der Werwolf sah mich verständnislos von der Seite an. „Rebecca? Wer ist die Frau?“

Ich knirschte mit den Zähnen. Wunderbar. Jetzt würde ich nicht um eine Antwort herum kommen. „Das“, und es kostete mich große Überwindung, diese Worte auszusprechen, „ist die Königin der Vampire, Leonore DelMar, die Zweite … und meine Schwester.“

Ich konnte richtig spüren, wie die Temperatur um Tristan, um einige Grade fiel. Jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Er presste seine Lippen fest aufeinander.

Einmal mehr wünschte ich mir, ich könnte in der Sonne stehen und mich in Staub auflösen lassen.

Ich schloss kurz die Augen und atmete zitternd aus, dann richtete ich mich kerzengerade auf und gesellte mich zu meiner Schwester. Vielleicht konnte ich Schadensbegrenzung üben und Tristan gehen lassen.

„Leonore“, flüsterte ich. „gehen wir zurück in das Schloss; dort können wir über meine Bestrafung sprechen.“

Die Vampirin kicherte wie eine Verrückte. „Denkst du wirklich es wäre so einfach? Du hast soeben Hochverrat begangen, Schwesterherz, und mich noch dazu um zwei Gefangene betrogen. Und diese Tat wird mit dem Tod bestraft.“ In ihren Augen glomm freudige Erwartung, als hätte sie Ewig auf diesen Moment hingearbeitet. War das ihr Plan gewesen? Mich hinterrücks auszuspionieren und auf die Gelegenheit zu warten, mir irgendetwas anzuhängen? Irgendwer dort oben, musste mich wirklich, wirklich hassen.

„Ich weiß – aber er wird gehen.“ Ich deutete mit dem Kopf auf den Werwolf, der wie das fünfte Rad am Wagen dastand und stumm dieses Szenario beobachtete. Warum verschwand er nicht? Warum musste er es mir so furchtbar schwer machen und mich ablenken?

Ich bereute es, aus meinem Zimmer gekommen zu sein.

Ich bereute es, mit dem Befehl meiner Schwester einverstanden gewesen zu sein.

Und vor allem bereute ich es, Tristan getroffen zu haben – denn so wie es im Moment aussah, würden wir beide noch vor Sonnenaufgang tot sein. Seinen Tod könnte ich mir niemals verzeihen.

Leonores Lächeln wurde breiter. „Das glaube ich nicht. Schnappt ihn euch!“

Die Vampire, die sich wie Schatten, im Hintergrund gehalten haben, stürmten los und packten Tristan an den Armen, der sich wie wild dagegen wehrte. Der Werwolf brüllte und setzte die Verwandlung in gang. Ich nutzte diese kleine Ablenkung, riss der Königin das Schwert aus der Hand und schleuderte die Klinge direkt durch den Schädel eines Vampirs, der bewusstlos zu Boden ging. Wenn jeder Vampir, bei solch einer Verletzung sterben würde, wäre bestimmt schon die Hälfte unserer Art ausgerottet.

Fauchend, wie eine Katze, stürzte sich Evelyn auf mich und krallte sich in meinen Haaren fest. Ihre Beißerchen steuerten direkt auf meinen Hals zu und ich konnte mir das kleine Biest nur mit Mühe vom Leib halten. Ich hörte das reißen von Fleisch, als Tristan einen weiteren Vampir aus dem Weg räumte und in kleine Einzelteile verarbeitete, während der letzte Vampir mit einem gewöhnlichen Schwert auf ihn einstach.

Langsam verlor ich die Geduld. Mit einem kräftigen Ruck verdrehte ich den Kopf der Rothaarigen und ließ sich zu Boden fallen, wo sie mit zuckenden Armen versuchte ihren Kopf wieder in die richtige Position zu bringen. Krächzende Laute drangen aus ihrer Kehle, und ließen mich schnell den Blick abwenden.

Leonore stand einfach da und blickte verachtend auf das kleine Mädchen am Boden hinab. Sie war einfach kaltherzig, genauso wie ich, aber wenigstens kümmerte ich mich um die, die mich brauchten.

Ich sparte mir den Versuch, meine Schwester anzugreifen. Es hätte ohnehin keinen Sinn, da wir beide uns nächtelang in Stücke reißen und innerhalb Minuten wieder heilen könnten. Ich wandte mich von ihr ab und stellte erleichtert fest, dass Tristan die drei Vampire erledigt, aber auch einige Bisse abgekriegt hatte. Er schüttelte sein blutverkrustetes Fell, woraufhin einige Bluttropfen umhergeschleudert wurden und auf meinem Gesicht landeten. Ich zuckte zusammen und wischte mir die Flüssigkeit schnell mit dem Ärmel fort. Wieder einmal kam Tristan mit hängender Zunge auf mich zu getrottet, nur um daraufhin die Königin der Vampire mit gefletschten Zähnen anzuknurren.

Leonores Augenwinkel zuckte, als sie erkannte, dass sie in der Unterzahl war. Immerhin war von Evelyn nicht sehr viel zu erwarten. Sie kämpfte immer noch damit, ihren verdrehten Kopf zu richten. Ihr Blick huschte kurz Hilfe suchend zu ihrer Herrin, nur um sich wieder abzuwenden, als ihr klar wurde, dass von ihrer Seite keine Hilfe zu erwarten war. Aber scheinbar machte das der Rothaarigen nicht viel aus. Ihr ganzer Hass konzentrierte sich allein auf mich.

„Damit wirst du nicht durchkommen, Rebecca“, warnte mich Leonore. „Eines Tages, da werden wir uns wieder sehen und was dann passiert …“

„ … steht in den Sternen“, beendete ich ihren Satz. Sie stieß zischend, wie eine Schlange, die Luft zwischen ihren Zähnen aus und beugte sich zu Evelyn, um sie an ihrem Fußgelenk zu packen.

Tristan stupste mich an; beinahe wäre ich zur Seite gestolpert. Wahrscheinlich wollte er, dass wir gingen, doch ich traute meiner Schwester nicht genug, um ihr zuerst den Rücken zu zukehren.

Mit Anmut, wie es sich für eine Königin gehörte, sprang sie, das Kind hinter sich her schleifend, über die Mauer. Der Schwur war damit wohl gebrochen.

Erst dann merkte ich, dass ich meine Hände die ganze Zeit über zu Fäusten geballt hatte und mittlerweile taub geworden war. Ich riss mich zusammen und lockerte meine Finger.

Was sollte ich nun machen? Ich wurde meiner Familie beraubt; konnte weder in das Schloss, noch in das Gebiet der Wölfe. Vor den Menschen grauste es mir, aber wenigstens würde ich eine dauerhafte Nahrungsquelle haben, doch die Bewohner würden schnell darauf kommen, dass ein Bluttrinker sein Unwesen im Dorf trieb und würden bestimmt alles daran setzten, mich hinzurichten.

Mir wurde kalt bei der Vorstellung, an einen Pfahl gekettet zu werden und darauf zu warten, dass die Sonne aufging.

Das Brechen von Knochen, lenkte mich für einen Moment ab. Tristan verwandelte sich zurück in seine menschliche Gestalt und trat besorgt an mich heran. Mit den Händen nahm er mein Gesicht in die Hände und lehnte seine Stirn an meine. „Tut mir Leid“, flüsterte er reumütig. „Jetzt habe ich dich zum Tode verurteilt.“

Ich seufzte und nahm seine großen Hände von meinem Gesicht. Es tat immer noch unglaublich weh, wenn er so viel auf einmal abverlangte. „Das habt Ihr, aber Früher oder Später, wäre dies ohnehin passiert.“ Was das anging, war ich mir ziemlich sicher. Mit meinen Augen tastete ich seinen Körper, nach ernsthaften Wunden, ab, aber im Großen und Ganzen schien er in Ordnung zu sein. Scheinbar brauchte es mehr, als drei gewandelte Vampire, um ihm etwas anhaben zu können. Das zu wissen, erleichterte mich ungemein.

Tristan nahm meine Hand und stapfte zielstrebig in den Wald hinein. Mein Kopf war voll von Dingen über die ich nicht nachdenken wollte, aber nicht Wahl hatte, es nicht zu tun.

Ich blieb ruckartig stehen und zog Tristan zurück in die andere Richtung. „Wohin gehen wir?“, fragte ich mit heißerer Stimme und schneeweißem Gesicht. Egal, was er gerade vorhatte, es würde mir bestimmt nicht gefallen.

„Wir gehen zum Rudel“, sagte er bestimmt und sprach damit meine schlimme Vorahnung aus.

Ich wollte gar nicht erst Diskutieren. „Nein. Eure … Freunde werden mich schneller in Brand stecken, als das Ihr ‚Wartet!’ schreien könnt!“

Er verzog grinsend das Gesicht. „Lass das meine Sorge sein, Becca.“

Und das war eben genau mein Problem. Ich kümmerte mich immer um meine eigenen Angelegenheiten und auf einmal willigte ich darauf ein, einem Werwolf mein Leben anzuvertrauen? Scheinbar.

Na, wenn das kein gutes Ende nahm.

Teatime

Schlechte Idee. Eine wirklich sehr schlechte Idee.

Schlimm genug, dass ich mit meinem Verrat, wahrscheinlich das ganze vampirische Königreich gegen mich aufgehetzt hatte, nein, ich wurde auch noch in das Zentrum wölfischer Machenschaften geschleift, nur um Höchstwahrscheinlicherweise einen elenden Tod zu sterben.

Mein Blick wanderte immer wieder in den Himmel, es war noch relativ dunkel, aber ich wusste nicht wie lange der Weg bis zum Rudel noch dauern würde, bis die ersten Sonnenstrahlen die Finsternis verdrängten. Ich würde nur ungern bei lebendigem Leibe verbrannt werden.

Tristan schien meine verzwickte Situation äußerst locker zu sehen, und führte mich an der Hand, durch den tiefen, finsteren Wald. Mir war unbehaglich zumute. Überall konnte ich den beißenden Geruch von Werwölfen ausmachen. Als wären wir umzingelt.

„Tristan“, flüsterte ich. „Hier sind Wölfe.“

Er blieb stehen, drehte sich zu mir um und legte einen Arm um mich. „Ich weiß, keine Angst. Solange ich hier bin, werden sie dir kein Haar krümmen.“

Ich runzelte die Stirn. „Ich habe keine Angst.“

Der Wolf lachte, nahm mich wieder an der Hand und zog mich weiter. Ich hatte einen guten Blick auf seinen muskulösen Rücken und musste an mich halten, mir nicht über die Lippen zu lecken. Verflucht, musste er denn so unwiderstehlich sein?

Wir waren beide so still, dass ich alle Geräusche im Wald genauestens wahrnehmen konnte. Das Rauschen eines kleinen Baches, der Flügelschlag einer Nachteule, Tristans Herzschlag. „Und wie wollt Ihr die anderen überzeugen mich nicht auf der Stelle umzubringen? Ich bin schließlich ein Vampir, also der Feind“, fragte ich und verlangsamte mein Tempo. Schon die ganze Zeit, hielt er sich irgendwie zurück und bewahrte eine gewisse Distanz zwischen uns. Hatte er sich vielleicht doch umentschieden und wollte mich nicht mehr?

„Du bist die Schwester der Person die wir unter allen Umständen töten wollen“, sagte Tristan, nach einer Weil, ohne sich umzudrehen. „Sag, hasst du uns nicht?“

Ich legte den Kopf schief und hob erstaunt eine Augenbraue. „Euch hassen? Warum sollte ich? Ich und meine Schwester haben eine sehr ungewöhnliche Beziehung. Es liegt nicht in meiner Angelegenheit ob ihr sie tötet oder nicht. Ihr solltet euch lediglich im Klaren sein, was passiert, wenn die Vampire keinen Herrscher mehr haben. Das Land würde im Chaos versinken.“

Tristan drehte sich um und sah mich schief an. Seine Augenbrauen waren zusammengezogen. „Wie kannst du so etwas nur sagen, Becca? Sie ist deine Schwester! Bedeutet dir Familie denn gar nichts?“

„Sie hat unsere Eltern ermordet“, flüsterte ich und senkte den Blick. Bilder meiner lachenden Schwester, die den Kopf unserer wunderschönen und blutbesudelten Mutter in ihrer Hand hielt, und mit ihrer neuen Armee im Rücken, den Werwölfen den Krieg erklärte.

„Was?“, fragte Tristan und holte mich aus meiner Melancholie.

Ich seufzte und schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, ich werde es Euch ein andermal erklären. Könnt Ihr mir nun bitte erklären, wie Euer Plan lautet?“

Tristan sah mir tief in die Augen. Ihm musste klar sein, das ich nicht gerne auf dieses Thema zum Sprechen kam. „Also gut. Kannst du dich tot stellen?“

„Wie bitte?“, fragte ich verblüfft. Mit dieser Frage hatte ich nicht im Entferntesten gerechnet. „Theoretisch, ja. Praktisch, eher abzuraten.“

„Könntest du nicht einfach die Luft anhalten, oder etwas in der Art?“

Ich stieß ein ersticktes Lachen aus und musste an mich halten um ihn für seine Unwissenheit zu verurteilen, schließlich war er niemand aus ihrem Clan und hatte Höchstwahrscheinlicherweise nicht den Hauch einer Ahnung wie Schwach wir Kreaturen doch sein konnten. „Ich besitze ein schlagendes Herz, Tristan. Mein Körper unterscheidet sich in mancher Hinsicht von dem eines gewöhnlichen Vampirs.“

Er schien darüber nachzudenken, auch wenn es ihm schwer fiel, den Sinn meiner Worte zu verstehen; gar zu akzeptieren, dass ich anders war. Möglicherweise sogar eine Gefahr für sein ganzes Rudel bedeutete.

Sollte Tristan meinetwegen verstoßen werden, so würde ich auf der Stelle gehen. Nur weil es hieß, dass ich keine Familie mehr hatte, musste es nicht bedeuten, dass ich ihm seine wegnahm.

„Also werden wir uns den Weg wohl frei kämpfen müssen“, überlegte er laut.

„Nein!“, befahl ich erschrocken. Wie konnte er auch nur daran denken, sich gegen seine eigene Rasse zu stellen!? „Bitte nicht, Tristan. Lass uns lieber die erste Möglichkeit noch einmal überdenken.“

„Du sagtest doch eben, es ginge nicht.“

„Ich kann es, unter Umständen, schaffen, aber nicht für lange“, antwortete ich und versuchte den nervösen Unterton aus meiner Stimm rauszuhalten. Selbstverständlich konnte ich mich tot stellen, schließlich bin ich Reinblütig und noch dazu eine waschechte Kriegerin, dennoch barg dieses Unterfangen ein gewisses Risiko in sich.

Tristan nickte. „Alles klar. Ich werde versuchen so schnell wie möglich zu sein.“

Ich atmete scharf ein und nahm mir noch einmal kurz Zeit, um auf meine innere Stimme zu hören. Leider meldete sich diese nicht; ließ mich mal wieder im Stich, aber ich hatte meine Entscheidung ohnehin bereits getroffen.

Sobald ich nicht mehr unter den Lebenden weilte, standen die Chancen Fünfzig zu Fünfzig, dass ich auch wieder lebendig aus dieser Sache herauskam. Entweder würde meine Seele in das Schattenreich gezogen, wo ich wahrscheinlich auf Ewig im Fegefeuer verbrennen würde, oder ich würde frühzeitig aus der Zeit aus der Trance erwachen und mich inmitten eines Wolfheeres wieder finden. Beides eher zu vermeidende Varianten.

Ich legte mich auf den feuchten Waldboden und faltete die Hände auf meinem Bauch. Zitternd schloss ich meine Lider und horcht in mich hinein. Wurde zur Erde und zum Wind. Lies mich in langsamen Willen treiben, konzentrierte mich auf meinen Puls. Sang gemeinsam mit meinem Herzen traurige Klagelieder, aber auch Melodien der Hoffnung und Wünsche. Der Rhythmus wurde langsamer, ebenso wie mein Atem, bis ich gänzlich in völliger Dunkelheit und Kälte saß, die nur darauf wartete, mich in ihre ewigen Abgründe zu ziehen. Ich hörte nichts, ich sah nichts, noch nicht einmal den beißenden Geruch von Werwölfen konnte ich mehr wahrnehmen.

Um mich herum war tiefste Finsternis. Und ich stand einfach nur da; im Nichts. Ich konnte nicht mehr denken. Konnte mir selbst keine Fragen stellen. Wer bin ich? Wo bin ich? Warum bin ich hier?

Alles weg.

Was machst du hier?, fragte mich eine Stimme, weder männlich noch weiblich, eine und gleichzeitig mehrere Personen. Sie hallte in dieser leeren Welt nach, wie ein nie endendes Echo.

„Ich weiß es nicht“, flüsterte ich erschrocken.

Wie bist du hierher gekommen?

„Ich habe mich hingelegt. Jemand war bei mir ...“ Eine kurze Erschütterung meines unsichtbaren Bodens, ließ mich einen Augenblick schwanken. „Was mache ich hier?“

Wir wissen es nicht, flüsterte die Stimme und wurde mit jeder Silbe leiser.

„Wer ist wir?“, fragte ich, mit ängstlichem Unterton.

Mag sein, dass ich mich nicht vor meiner Schwester oder einem Rudel Werwölfe fürchtete, doch das Nichts jagte mir sehr wohl einen Schauer über den Rücken.

In der Schwärze tauchten grelle Lichtpunkte auf, die mit der Zeit immer größer wurden. Meine anfängliche Sorge hatte sich nun in eiskalte Panik verwandelt. Wer wir sind, fragst du?

Ich schlug mir die Hand vor den Mund und versuchte aufsteigende Tränen zu unterdrücken. Oh Gott, das konnte nicht wahr sein.

Hast du uns denn wirklich schon vergessen?, säuselte meine Mutter mit einem schmerzverzerrtem Lächeln. Mein Vater stand direkt hinter ihr, genauso Furcht einflössend wie bereits zu seinen Lebzeiten. Beide waren überströmt von Blut und hinter ihnen ging die Schar von Menschen, Werwölfen und Vampiren sogar noch weiter. Alte Freunde, ebenso Feinde, aber auch Fremde und Unschuldige. Kinder die meinem Blutdurst zum Opfer gefallen waren.

Sie Alle waren anwesend und hießen mich Willkommen zu meiner höchstpersönlichen Teeparty des Grauens.

Im Herzen Krieg

Zitternd stand ich da. In meiner persönlichen Hölle und starrte auf das Meer von Leiber.

Warum hast du uns nicht gewarnt?, flüsterten meine Eltern flehend und streckten die blutüberströmten Arme nach mir aus.

„Geht weg!“, schrie ich und wich aus. Die Schmerzen in meinem Herzen wurden übermächtig. Mein Verstand ertrank in Schuldgefühlen.

Ich wusste das, wenn ich noch länger hier verweilte, in die Klauen meiner schlimmsten Erinnerungen fiel; doch was, wenn Tristan noch Zeit brauchte? Ich wusste nicht mehr wie viel Zeit vergangen war, aber ich sollte es lieber noch etwas hinauszögern. Wer weiß wo er sich gerade befand? Ob es nun ein Fehler wäre aufzuwachen? Dann wäre alles umsonst gewesen.

Ich drehte mich um und rannte als wäre der Teufel persönlich hinter mir her. Ich hatte es doch gerade erst überwunden! Warum musste ich ausgerechnet meinen Eltern begegnen? Warum?!

Weil du uns im Stich gelassen hast, wisperten alle im Chor und ließen meinen Schritt nur noch beschleunigen, auch wenn ich wusste, das ich vor ihnen nicht davon laufen konnte.

Am Horizont dieser verschlingenden Schwärze erkannte ich einen Lichtpunkt der immer größer wurde. Ich konnte nur hoffen, dass es nicht noch mehr Personen aus meinem alten Leben war. Das Leben das ich hingeschmissen hatte, nachdem ich Tristan kennen gelernt hatte.

Von einer Sekunde auf die Andere stand ich inmitten einer gewaltigen Schlacht, die meine Glieder zu Eis gefrieren ließen. Meine Augen wurden, mit jeder Leiche die zu Boden fiel, immer größer.

Ich befand mich im Krieg. In einem Krieg in den ich vor Sechshundertjahren gezogen wurde und seitdem keinen einzigen Tag ruhig schlafen konnte. Der Hass, der zwischen den beiden Rassen geschürt worden war, hatte damals zu vielen solcher Kriege geführt und dazu geführt, das mehr als die Hälfte unserer Rasse ausgerottet worden war.

Damals hatte ich gerade erst das Erwachsenenalter erreicht, und Leonore war noch ein kleines Kind gewesen.

Zusammen mit meinen Eltern sind wir von Schlacht zu Schlacht gezogen und haben jeden abgeschlachtet der uns in den Weg gekommen war. Zu diesen Zeiten wies ich erschreckende Ähnlichkeiten mit der Königin von Heute auf. Möglicherweise war ich sogar noch grausamer gewesen.

Der Himmel war grau bewölkt, Nebel schlich um die toten Körper von Vampiren und Werwölfen.

Ich blickte an mir herunter und sog scharf die Luft ein. Wie nicht anders zu erwarten war, hatte ich eine hauchdünne Rüstung an, die aber nichts von ihrer Widerstandskraft einbüßte. In meiner rechten Hand hielt ich die lange Silberklinge mit dem smaragdgrünen Griff.

Den Helm hatte ich wegschmeißen müssen, weile diese mir nur im Wege war und meine Haut ohnehin auf sich selbst aufpassen konnte. Die vielen Schläge und Schnitte die ich abbekommen hatte, waren innerhalb weniger Sekunden bereits verschwunden. Mein Haar hing mir blutverkrustet im Gesicht, meine Augen schmerzten von dem roten Glühen, dass sie ausstrahlten. Das ganze Blut machte mich ganz Wirr. Ein Knurren stieg in meiner Kehle auf.

„Rebecca, hinter dir!“, hörte ich die tiefe Baritonstimme meines Vaters schreien, der mit zwei Äxten auf zwei Werwolfspaare einschlug und ihnen ihrer Köpfe entledigte.

Ich wirbelte im Kreis und wehrte die Klauen eines rostbraunen Wolfes ab, der mich hinterrücks angreifen wollte, doch da ich diesen Moment schon einmal erlebt hatte, war mein Reaktionsvermögen um einiges schneller gewesen als vor Sechshundertjahren, in denen ich beinahe meinen linken Arm verloren hätte.

Ehe ich mich versah, war ich wieder im Kriegsgetümmel und musste mich an Horden von diesen lästigen Wölfen vorbei kämpfen. Meine Mutter war in Bedrängnis geraten; eingekeilt zwischen mindestens zwanzig dieser Bestien. Mein Vater und ich versuchten ihr näher zu kommen, doch wir wurden immer wieder zurück gedrängt.

Werwölfe, jeder auf irgendeine Art und Weise anders als der Andere, brüllten und schnappten mit ihren Fängen nach unseren Beinen. Vampire gingen ebenso unter wie die Tiere.

Laut meiner Erinnerung dauerte der Krieg ungefähr drei Monate, wobei wir uns Tagsüber zurückziehen und in der Erde eingraben mussten.

„Vater!“, schrie ich ihm zu und rammte einer kleineren Portion von Wolf mein Schwert in den Schädel. „Ich halte dir den Rücken frei! Beeil dich!“

Der große Mann mit den hellbraunen Haaren nickte und versuchte erneut zu seiner geliebten Frau durchzukommen, die bereits die Hälft ihrer Angreifer erledigt hatte, aber noch immer in der Unterzahl war, obwohl sehr viele gewandelter Vampire versuchten ihrer Königin beizustehen.

Wir zeigten keine Gnade, keine Reue. Allmählich vergaß ich den Grund für meinen Aufenthalt hier.

Ich wirbelte mit der Klinge, trieb sie durch Fleisch und konnte nur hoffen, dass dieser verdammte Krieg bald ein Ende nahm.

Was machte ich hier?

Duckend wich ich den scharfen Krallen aus und fluchte lautlos vor mich hin.

„Rebecca!“, schrie meine Mutter entsetzt und ließ mich für einen Augenblick still stehen.

Ein Fehler. Ein schlimmer, schlimmer Fehler.

Ich spürte einen deutlichen Ruck durch meine Brust gehen. Wolfsklauen ragten aus meiner Rüstung und ließen mich aufkeuchen. Mein Herz wurde durchstoßen. Das Blut rann das kühle Metall hinab. Wie konnte das nur passieren?

Ich erinnerte mich nicht mehr an diesen Moment.

Becca?, schrie eine männliche Stimme, die mir bekannt und dennoch fremd war. Becca, wach auf!

Ein kleiner Stromstoß durchzuckte mich, aber ich ignorierte den Schmerz, denn im Gegenzug zu dem unsagbaren Qualen die in diesem Moment durch meinen Brustkörper krochen, war das gar nichts.

Langsam ließ ich meinen Kopf in den Nacken sacken und blickte in die türkisen Augen meines Todes. Schwarzes Fell stand dem Wolf zackig ab, seine Schnauze war etwas länger als die der anderen Werwölfe, was aber auch an seiner gigantischen Größe liegen konnte. Es fletschte die Zähne und schien mich auf hämische Weise anzugrinsen.

Ich lächelte zurück und versank in der schreienden Schwärze meines Untergangs.

In der Höhle

„Rebecca, mach zum Teufel die Augen auf!“, hörte ich nur die allzu präsente Stimme Tristans über mir schreien.

Meine Glieder waren mehr als nur schwer, und meine Kehle fühlte sich ausgedörrt und brüchig an. Ich brauchte Blut und zwar dringend, denn diese verdammte Ich-stell-mich-tot-Nummer hatte mich eindeutig mehr Kraft gekostet, als ich gedacht hatte.

„Rebecca!“ Ich wurde an den Schultern gepackt und heftig durchgerüttelt. Mein Kopf dröhnte unter diesen hektischen Bewegungen. Es war noch immer unglaublich dunkel und meine Lungen hatten seit langer Zeit keinen Sauerstoff mehr zu sich genommen.

Mein Herz blieb still und noch immer konnte ich vage den Schmerz spüren, der mich in meinem bitteren Krieg heimgesucht hatte.

Ich musste aufwachen! Sofort!

Ich spürte wie sich meine Finger in Haut bohrten. Ob es die meine war, oder die eines Anderen wusste ich nicht und im Augenblick interessierte es mich auch nicht im Geringsten.

Ein Schlag auf meine Brust. Warme Lippen die sich auf meine legten und mir Luft in die Lungen pumpten.

Ein zweiter Schlag – mein Herz.

Luftschnappend riss ich die Augen auf, bog meinen Rücken vollends durch und blickte in die warmen braunschwarzen Augen meines neuen Gefährten, der mich mit erleichterter, aber auch sorgenvoller Miene musterte.

„Tristan“, flüsterte ich mit krächzender Stimme und warf mich ihm in die Arme, auch wenn jeder Muskel meines Körpers protestierte.

„Scheiße, Rebecca. Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein!“, sagte er bestimmend und vergrub sein Gesicht in meiner Halsbeuge. Zitterte er etwa? Oder war ich es, die sich nicht im Zaum halten konnte?

Die eiskalte Klaue, die mich festgehalten hatte, löste sich allmählich unter der zärtlichen Umarmung meines Gegenübers und ließ mich, bedächtig langsam, ausatmen.

Sanft strich er mir noch einmal über meinen Rücken und ging dann einen Meter auf Distanz. Prüfend blickte er mir in die Augen, ehe er sich zögerlich einer anderen Person im Raum zuwandte.

Automatisch versuchte ich mich zu orientieren. Ich befand mich in einem relativ kleinen Raum, oder sollte ich es eine Höhle nennen? Auf jeden Fall war es nicht zu vergleichen mit den Zimmern im Schloss.

Der Raum wurde von vereinzelten Fackeln erleuchtet, so dass es mir nicht sonderlich schwer viel etwas zu erkennen, aber auch in völliger Dunkelheit wäre das kein Problem gewesen. Ansonsten waren die Wände, ebenso der Boden, kahl und grau; ein schmuddeliger Tisch stand in der Mitte, auf dem eine Vielzahl von langen Rollen und Büchern lagen. Ein kleiner Hocker befand sich direkt dahinter. Ich lag auf etwas Weichem; eine Decke aus Fell oder etwas derartigem und in einer abgerundeten Ecke thronte eine finstere Gestalt, die mir einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Glühende türkisfarbene Augen durchbohrten mich mit ihrem lauernden Blick und bescherten mir ein mulmiges Gefühl im Magen, dass ich sonst nur in der Gegenwart der Königsfamilien verspürt habe.

An der unterkühlten Luft um uns herum konnte ich mehr als nur sicher feststellen, dass dieser Mann kurz davor stand mich mit tödlicher Effizienz anzuspringen und mir den Kopf vom Hals zu reißen. Es würde mich nicht wirklich überraschen, wenn das tatsächlich seine Gedanken wären.

Ich versuchte so gelassen und kalt wie nur möglich zu wirken; konnte richtig spüren wie mein Gesicht anfing zu gefrieren und diese gefährliche, nichts sagende Miene annahm. Nicht umsonst hatte man mich in meiner Jugend die Eisprinzessin genannt.

Ein räuspern lenkte mich für einen kurzen Moment aus meiner Starre, ehe sich ein mir nur zu gut bekannter Rücken vor mich schob und mir die Sicht auf das tollwütige Etwas nahm.

Tristan hob beruhigend die Hände, dann drehte er sich mir halb zu und legte behutsam einen Arm um mich.

Aus der dunklen Ecke hörte ich ein tiefes Knurren.

„Rebecca, das ist unser Rudelführer – Logan. Logan, das ist Rebecca DelMar, die Schwester der Königin der Blu- ... äh, Vampire“, verbesserte sich mein Gefährte schnell und warf mir einen schnellen Blick zu, der mich beinahe aufseufzen ließ. Er machte sich sorgen. Wunderbar. Genau das, was mir in dieser heiklen Situation noch fehlte.

Logan, dessen Gesicht ich erst erkennen konnte, nachdem er aus dem flackernden Schatten herausgetreten war, musterte mich mit ungezügeltem Abscheu von oben bis unten. Seine Augenbrauen waren tief nach unten gezogen, ebenso wie seine Mundwinkel.

Wenn er es so offen darauf anlegte, dann würde ich mich ebenfalls nicht zurückhalten ihn ein bisschen genauer zu betrachten und ließ meinen Blick ungeniert über den nackten Oberkörper seiner wölfischen Majestät schweifen.

Dichtes Narbengewebe verlief in gezackten Linien über seine stramme Brust; sein Hals sah wirklich einladend köstlich aus, wie die verbotene Frucht Edens; seine Gesichtszüge waren hart und messerscharf, und eine dünne, kaum sichtbare Narbe, zog sich seinen Mundwinkel abwärts hinab. Seine Augen schienen bereits so einiges erlebt zu haben und ich bildete mir sogar ein, dass sein linkes Auge sogar etwas dunkler war, als das Andere. Sein pechschwarzes Haar war kurz und vollkommen ungeordnet.

Im Großen und Ganzen war er einfach nur beängstigend. Das Tier im Manne, dachte ich grimmig. Oder umgekehrt.

„Sie kann nicht hier bleiben, Tristan. Was hast du dir nur dabei gedacht?“, hörte ich Logan grollen und spannte mich automatisch an. Sein Ton war vorwurfsvoll und drohend, und ich konnte die Schuldgefühle, die in mir aufwallten, nicht vollends unterdrücken.

„Sie gehört mir!“, erwiderte der Angesprochene bissig. „Ich habe sie erwählt und ihre Rasse ist mir dabei scheißegal!“

„Die Weibchen reißen sich darum in deiner Nähe zu sein, und was tust du?! – Du schleppst einen Blutsauger mitten in unser Versteck! Sie benutzt dich doch nur! Sei nicht so blind und schalte deinen Verstand ein!“

Ich zischte leise, was mir einen wütenden Blick Logans einbrachte, der mich herzlich wenig interessierte. Wie konnte er nur glauben, ich würde Tristan ausnutzten?! Ich war kein so herzloses Biest wie meine geliebte Schwester, die beinahe jede Woche ein neues Männerherz zerschmetterte.

Tristan lachte bitter und drückte mich fester an sich. „Verdammt Logan, sie hat die Wolfsjungen verschont und Christian und Gerard aus dem Kerker befreit! Seit sie die Grenze bewacht, ist nicht auch nur ein Werwolf zu Schaden gekommen!“

Logan öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Tristan kam ihm erneut unwirsch zuvor. „Und wenn du jetzt behauptest, es wäre alles nur ein Trick um mein Vertrauen zu erschleichen, kennen wir uns schlechter als ich gedacht hatte.“ Der Rudelführer spannte sich an, seine Gesichtszüge verzerrten sich etwas. „Du weißt, dass ich Becca nicht mehr verlassen werde. Wenn sie also nicht bleiben kann, dann werde ich ihr auf jeden Fall folgen.“

In diesem Moment schaltete ich mich ein. „Nein, Tristan! Wenn ich hier nicht erwünscht bin, dann ist es nun einmal so, aber deshalb werde ich bestimmt nicht zu lassen, dass du deine Familie für jemandem wie mich aufgibst, verstanden?“ Meine Stimme klang ungewollt fordernd, aber ich würde nicht locker geben.

Mein Gefährte murmelte etwas Unverständliches und sah zwischen mir und Logan hin und her. „Du lässt dich wohl nicht umstimmen, was?“, fragte der türkisäugige Krieger seinen Freund und schien deutlich an seinem Verstand zu zweifeln.

Dieser grinste nur verschmitzt und schmatzte mir einen Kuss gegen die Schläfe, der mich ein kleines bisschen erröten ließ. Bei meinem Blutmangel konnte man nicht mehr von mir erwarten. Außerdem war schon längst Tagesanbruch. Ich spürte es an der schleichenden Müdigkeit die mich schwächte.

„Ich kann dir nichts versprechen, Tristan, aber für das Erste werde ich ihren Aufenthalt hier akzeptieren, sofern du dich nicht von ihr ... ablenken lässt und weiterhin mit uns auf die Jagd gehst.“

Mein Wolf runzelte die Stirn und legte seine Hand in meinen Nacken, ehe er gehorsam nickte und sich langsam mit mir erhob. Etwas wackelig auf den Beinen stützte ich mich an Tristan ab, der seinen Arm um meine Taille schlang und mich zu einer engen Spalte im Gestein führte.

„Ich werde noch mit einigen der Jäger sprechen müssen, bis dahin wäre es angebrachter, wenn du sie nicht aus deinem Zimmer lässt“, hörten wir noch Logan nach rufen, der danach eine Reihe saftiger Flüche ausstieß.

Tristan schob mich durch den ziemlichen engen Spalt, durch den er selbst seitlich hindurch musste, und packte mich dann auf der Stelle am Arm, als ich mit einem heißeren Laut das gewaltige Ausmaß der Höhle vor mir sah.

„Herr im Himmel“, hauchte ich ehrfürchtig und klammerte mich fest. Die Gesteinshöhle war ein riesiges ausgehöhltes Ei, deren gegenüberliegende Seiten, jede Etage, mit einer gemeißelten Brücke verbunden wurde. Die Ringe aus feurigen Fackeln, kennzeichneten die jeweiligen Etagen; insgesamt achtzehn, zählte ich unglaubwürdig und widerstand dem Drang mir die Augen zu reiben. Ganz unten konnte ich einen sehr langen Tisch, mit jeweils zwölf Stühlen, erkennen; ähnlich wie der, der in der Schlossbibliothek stand.

„Beeindruckend, nicht wahr?“, hauchte Tristan hinter mir und schlang die Arme um meinen Bauch, dann ließ er mich etwas nach vorne beugen, damit ich einen besseren Blick bekam. Im siebten, dritten und zweiten Stock, bemerkte ich eine Vielzahl von Werwölfen in Menschengestalt, die mit schnellen Schritten hin und her eilten.

„Komm“, sagte er, nahm mich an der Hand und führte mich über die schmale Brücke. Gleich darauf schlichen wir erneut durch eine kleine Höhle, an deren Wände sich merkwürdige Schnörkel, Zacken und Linien aufwiesen. Mit meiner freien Hand strich ich, während wie uns weiterbewegten, über die eingeritzten Formen und erkannte bald ein System darin, dass ich allerdings nicht ganz entschlüsseln konnte.

Rätsel und Labyrinthe waren für mich schon immer ein Leichtes gewesen, aber um diese Karte entschlüsseln zu können, würde ich einige Tage, wenn nicht sogar Wochen, benötigen.

Allerdings stand nicht mit Sicherheit fest, dass ich mich auch so lange hier aufhalten würde. Wenn sich Logan nun doch anders entschied? Oder die anderen Werwölfe auf mich aufmerksam wurden?

Ich konnte es vielleicht gleichzeitig mit sieben oder acht von ihnen aufnehmen, aber gleich eine ganze Horde? Wohl kaum. Dafür reichten selbst meine Fähigkeiten nicht aus, und in diesem jämmerlichen Zustand schon gar nicht.

Manchmal kamen wir wieder an diesen seltsamen Spalten vorbei, wobei ich mir mittlerweile vorstellen konnte, dass sich dahinter ebenfalls Räume befanden.

Wir marschierten nach links und rechts, dann wieder links ... und irgendwann war ich es leid, meine Gedanken mit dieser sinnlosen Vorsicht zu verschwenden, denn entweder würde ich den Morgigen Abend überleben ... oder eben nicht.

Ich legte mein Leben hiermit in Tristans Hände; solle er damit machen was auch immer er wollte.

„Wo sind alle?“, fragte ich nach einiger Zeit und sah mich neugierig um. Tatsächlich war keine Wolfsseele weit und breit zu entdecken. Und vor einer einzelnen Vampirin würden sie sich doch kaum verstecken oder? Geschweige denn sie wüssten, dass ich mich hier befand.

„Die meisten von ihnen schlafen wahrscheinlich und die anderen werden entweder in der Küche, im Trainingsraum oder bei den Kindern sein“, antwortete Tristan. Er schien angespannt zu sein, versuchte es aber so gut es ging vor mir zu verbergen.

Ich seufzte leise und rieb mir den Nacken. Es stimmte mich traurig ihn so sorgenvoll zu erleben, und es würde mich noch trauriger machen, wenn ich ihn verlassen müsste. Ich hatte beinahe mein ganzes Leben einsam verbracht, machte es dann einen Unterschied ob ich eine weitere Person verlor?

Wenn es sich um Tristan handelte, dann ja. Verdammt. Ich hasste es so weich zu sein. Diese neue Eigenschaft zeigte eine Schwäche, die ich mir bei bestem Gewissen nicht leisten konnte.

Schon seit einer Weile hörte ich jemanden hinter uns her schleichen. Da es allerdings nur ein ziemlich leises Geräusch war, dass die Person von sich gab, war es auszuschließen, dass Tristan das Mädchen – ich ging davon aus, dass es eines war – noch nicht bemerkt hatte. Und wahrscheinlich konnte sie meinen Duft auch nicht einordnen, so dass sie nicht wissen konnte mit wem sie es hier zu tun hatte.

Ich hatte noch nie einen weiblichen Werwolf zu Gesicht bekommen. Diese sollten, laut unseren Quellen, äußerst selten und begehrt sein. Wenn meine Berechnungen stimmten, dann waren nur zwei von zehn Neugeburten Mädchen. Woran das lag, konnte mir bis jetzt niemand sagen. Vielleicht konnte ich dies nun bald nachholen.

Ein erfreutes aufkreischen ließ Tristan erschrocken stillstehen. Schnell zog er mich hinter sich und beugte sich leicht nach vorne, um jeden anzuspringen der auch nur zu nahe tritt. Als er allerdings die hübsche Jugendliche, mit der blondbraunen Sturmfrisur und dem engelsgleichen Lächeln auf den Lippen, entdeckte, entspannte er sich beinahe sofort.

„Tristan!“, jauchzte das schmächtig wirkende Mädchen und warf sich in die Arme meines Gefährten. Ich nahm einigen Abstand, damit ich dem Verlangen nach Blut etwas Einhalt gebieten konnte.

Der Werwolf lächelte gütig und umarmte das Bündel in seinen Armen fest. Sie war beinahe zwei Köpfe kleiner als Tristan und wirkte wie aus einem Märchenbuch entsprungen. „Katarin!“, erwiderte er erstaunt und hielt sie eine Armesbreite von sich weg. „Sag, was machst du hier? Solltest du nicht bei Camelin sein?“

Der kleine Engel schüttelte beleidigt den Kopf und zog einen Schmollmund. „Mama lässt mich nie aus den Augen. Das nervt! Ständig muss sie mein Kindermädchen spielen, dabei bin ich schon beinahe Vierzig!“, jammerte sie mit ihrer klangvollen Stimme und kuschelte sich wieder in seine Arme.

Interessant. Mit Vierzig waren die Wolfskinder also noch immer nicht erwachsen. Vampire brauchten mindestens hundert Jahre, um als Volljährig zu gelten und selbst dann wurden sie diskriminierend behandelt, da diese ihren Blutdurst noch immer nicht ganz unter Kontrolle hatten und leicht in Rage gerieten.

Endlich wurde Katarin auch auf mich aufmerksam und musterte mich prüfend.

Ich hatte mir meine Kapuze über den Kopf gezogen, damit sie mich nicht auf den ersten Blick als Vampirin enttarnte. Ich bezweifelte, dass es hier auch nur eine Person mit schneeweißem Haar und blutroten Augen gab.

„Wer ist das?“, fragte sie, mit deutlichen Missgunst, und deutete mit dem Finger auf mich. Unhöfliches Gör.

„Ich bin Becca“, kam ich Tristan zuvor, der fragend den Kopf zur Seite legte; aber so ich gern ich es vermieden hätte, dass mein Wolf alles hinausposaunte, ließ er sich von mir stoppen.

„Sie ist meine Frau“, sagte er mit einem unübersehbaren stolzen Grinsen im Gesicht und schlich zu mir herüber, nur um sich dann wie ein Schmusekater an mich zu schmiegen und mir die röte ins Gesicht zu treiben. Zum Glück konnten die beiden mein Gesicht in diesem Moment nicht erkennen.

In meinem alten Leben, hätte ich mich praktisch ins Grab geschämt. So ein Benehmen war einfach untypisch für gefühlskalte Kreaturen der Nacht, aber ich konnte nichts mehr daran ändern.

Ich hatte mich Hals über Kopf in meinen Feind verliebt.

Katarin zischte und wich einen Schritt zurück. Das hübsche Engelsgesicht verwandelte sich in eine teuflische Fratze. „Was?!“, kreischte sie schrill. „Du ... – Moment!“

Sie trat wieder vor, beugte ihren Oberkörper leicht nach vorne und rümpfte die Nase, ehe sie mit blanken Entsetzten fauchte und gefährlich die Zähne fletschte.

Katarins Gesicht hatte sich um eine weitere Nuance verdunkelt und ein gefährliches Knurren drang aus ihrer Kehle. Merkwürdigerweise machte sie mir beinahe mehr Angst als Leonore, aber wie immer war ich zu stur, um zurückzuweichen. Vielleicht lag es daran, dass ich mich gerade einer völlig neuen Version meiner Schwester gegenübersah.

„Halte dich zurück, Katarin!“, knurrte Tristan und stellte mich wieder einmal in den Hintergrund. Als ob ich meine Kämpfe nicht alleine austragen könnte. Man erinnere sich an das kleine Biest Evelyn Firewall.

„Sie ist ein Monster! Sie muss getötet werden!“

„Krümme ihr auch nur ein Haar und du wirst es bitter bereuen“, grollte mein Gefährte, und ließ mich erstarren. Gerade eben hatte er sich genauso bedrohlich angehört wie Logan.

„Aber sie ist doch eine von denen! Weiß Blake überhaupt von ihr?“ In ihren Worten schwang ein raues Schluchzen mit. Ihre olivfarbenen Augen wurden immer verzweifelter, als Tristan aber nicht antwortete, legte sich ein störrischer Ausdruck auf ihr Gesicht. „Du wirst schon bald merken dass sie die falsche ist!“, zischte sie und verschwand dann, nicht ohne mich noch einmal mit einem giftigen Blick zu erdolchen.

Tristan entspannte sich erst wieder ein wenig, als ich ihm meine Hand auf die Schulter legte und meinen Kopf an seine Schulter lehnte.

Er biss die Zähne fest zusammen und sah dann wütend auf mich herunter.

Was hatte ich denn nun schon wieder verbrochen? „Was ist?“, fragte ich verwirrt.

„Gib mir deinen Mantel“, sagte er, und hatte dabei noch immer diesen drohenden Unterton.

„Wieso?“

„Mach einfach!“

Auch wenn ich nicht wusste wieso, beeilte ich mich seinem Befehl nachzukommen und hielt ihm meinen schwarzen Mantel, mit den dunkelroten Schnörkeln darauf, hin.

Brüsk entriss er ihn mir und zerriss ihn in Fetzten. Obwohl ich normalerweise keinen Wert auf mein Aussehen legte, so tat es doch ein bisschen weh zu sehen, wie das dunkle Samt langsam auf den kalten Steinboden schwebte. Der Mantel gehörte zu meinen Lieblings Stücken, den ich in der Normandie ergattert hatte.

Ich widerstand dem drang zurückzuweichen, als der Werwolf mein Gesicht in die Hände nahm und seine Stirn gegen meine lehnte.

Er atmete einige Mal tief ein und aus, blickte mir dabei die ganze Zeit in die Augen und fuhr mit seinem Daumen meine Lippen nach, was meinen Puls sofort auf hundertsechzig katapultierte.

Seine Züge glätteten sich langsam, als er wieder seine Fassung zurück gewann. „Jetzt hör mir mal gut zu, Becca. Ich weiß ja nicht wie es dir geht, aber ich habe dich wirklich sehr gerne, beinahe schon zu sehr!“ Er seufzte und strich mir eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich möchte dass du weißt, dass ich für dich über Leichen gehen würde!“

„Tristan, ich –“

Er legte mir mit gerunzelter Stirn die Hand auf den Mund.

Ich wollte ihm sagen dass er Unsinn von sich gab; seine Familie niemals für mich aufgeben sollte und sich vielleicht lieber jemanden seiner Rasse suchen sollte, doch ich brachte es weder über das Herz ihm das mitzuteilen, noch ließ er es auch nur zu.

„Rebecca“, hauchte er an meinem Ohr. Sofort schlug mein Herz wieder schneller. „Ich will dich, und zwar nur dich, und je eher du das akzeptierst umso besser. Und deshalb ist es mir auch wichtig, dass dich die anderen nicht angreifen, denn ich kämpfe mit Klauen und Zähnen um das was mir gehört.“ Letzten Endes hatte sich ein schelmisches Grinsen auf seinen Lippen gebildet.

Ich konnte es nur traurig erwidern. Auch er würde früher oder später erkennen, dass ich nicht gut genug für ihn war. Ich selbst kam mir bereits wie der letzte Dreck vor. Ich war eine Verräterin an meinem eigenen Volk, hatte bereits unzählige Menschen und andere Wesen umgebracht, und nun würde Tristan vielleicht für meine Fehler büßen müssen. Er könnte verstoßen werden, und alle verlieren die ihm nahe stehen und es wäre alles meine Schuld. Mein Gewissen plagte mich unaufhörlich und es würde erst Ruhe geben wenn es wusste, dass ihm keine Gefahr mehr drohte. Meine eigene Sicherheit war mir dabei herzlich egal, immerhin war mein Leben zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viel wert.

Meine Schwester würde wahrscheinlich ihre ganze Armee nach mir suchen lassen, und ich zweifelte nicht daran, dass sie genau wusste, dass ich bei den Wölfen war. Da war es auch nur logisch, dass sie gleich das Rudel suchen würde; denn sobald sie es fand, waren wir alle dem Tod geweiht.

Ich seufzte tief und verbannte diese Gedanken aus meinem Kopf. Trübsal blasen würde uns nicht weiterbringen. Jetzt war es nur wichtig diesen Tag zu überstehen. „Wer ist Blake?“, fragte ich, auf ein anderes Thema übergreifend und fixierte Tristan.

Seine Mundwinkel zogen sich leicht nach unten, doch dann setzte er schnell ein breites Grinsen auf und schob mich weiter. „Blake ist mein Bruder. Ein ziemlich sturer Hohlkopf, wenn du mich fragst, aber du wirst ihn mögen.“

„Ach“, sagte ich nur, obwohl sich in meinem Kopf die Fragen stapelten. Er hatte einen Bruder? Vielleicht sogar noch mehr Geschwister? Eltern? Wenn ja, würden sie mich an seiner Seite akzeptieren?

Wir kamen erneut an einem engen Spalt im Gestein an, und der Gang schien dennoch kein Ende zu nehmen. Über dem großen Riss in der Wand prangte ein merkwürdig verschlungenes Zeichen, dass es wohl als Tristans Zimmer markierte. Die Wölfe waren wirklich schlau, das musste ich zugeben, aber schließlich hatte ich dies auch schon vorher gewusst. „Wie lange reichen den diese Wege?“

Tristan zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht. Vielleicht zwei bis drei Kilometer.“

Ich hob erstaunt die Augenbrauen und quetschte mich durch den Felsen. Er verlief zackig, so das man nicht einfach so hindurch blicken konnte. Es war tatsächlich so wie ich vermutet hatte. Hinter dem Gestein war ein großer Raum, der durch menschengroße Löcher in weitere Räume führte. Ich ging nach rechts und erblickte eine beachtliche Sammlung an Waffen. Manche waren poliert, andere waren noch blutverkrustet, oder rosteten bereits.

In den beiden linken Zimmer befand sich zum einen ein wunderschönes Schlafzimmer, mit Fellen von den verschiedensten Tieren am Boden und weich aussehende Kissen lagen auf der leopardenbemusterten Decke; die Wände waren mit rotem und goldenem Samt behangen und einige Spiegel zierten das Zimmer. „Oh!“, entfleuchte es mir erstaunt.

Tristan trat hinter mich und hauchte mir einen Kuss in den Nacken, der mich erschaudern ließ. Konnte er sich nicht etwas zusammen reißen? Ich hatte noch immer wahnsinnigen Durst und er verschlimmerte sich nur dadurch, dass Tristan meinen Adrenalinspiegel in den Himmel katapultierte!

Ich löste mich widerstrebend von ihm und legte mich auf die große Felldecke.

„Beeindruckend“, murmelte ich, schloss meine Augen und war kurz davor in das Reich des Vampirdämmerzustands zu driften.

Plötzlich legte sich jemand neben mich, wobei es sich verständlicherweise nur um eine Person handeln konnte. Tristan.

Oje, bitte nicht. Mein persönlicher Dämon lechzte nach Blut, aber ich musste einfach noch durchhalten.

Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, als mein Gefährte seinen Arm um meine Taille schlang und mich näher an sich ran zog. Er verteilte zarte Küsse an meinem Hals und ich verdrehte demonstrativ die Augen, was ihn nur heißer lachen ließ.

„Du bist wunderschön“, flüsterte er und strich an meiner Hüfte entlang, mein Puls hämmerte mir laut in den Ohren, aber auch sein Herz glich einem wilden Trommelschlagen.

Ich drehte mich mit einem schwachen Lächeln zu ihm um. Meine Gier nach seinem Blut wurde immer größer; gleich würde ich mich nicht mehr zurück halten können. Ich verkrampfte mich augenblicklich, als er seine Stirn an meine lehnte und mich aus seinen unergründlichen Augen ansah. „Was ist los?“

Er ließ mich meinen Blick nicht abwenden, ich saß in der Falle. So ein Mist, er hatte mich an der Angel. Mein Körper war wie versteinert, doch mein lieber Gefährte störte sich nicht daran und machte damit weiter mich zu befummeln.

Bei jeder Berührung kribbelte mein Körper vor angespannter Elektrizität. Was machte dieser Mann nur mit mir?

„Nichts“, brachte ich, nach schier einer Ewigkeit, aus mir heraus, doch es klang nicht annähernd so fest wie ich es gerne gehabt hätte. Mein Hals war trocken und kratzig; mit dem konnte ich nicht mehr viel anfangen.

Verdammt. Der Kampf mit diesem kleinen Biest hatte mich ohnehin schon geschwächt, aber die kleine Reise in mein Unterbewusstsein hatte mir den Rest gegeben. Ich musste spätestens bis Morgen Abend etwas trinken, ansonsten könnte ich nicht für die Sicherheit der Werwölfe garantieren, obwohl es mir eigentlich egal sein sollte – war es aber nicht.

„Du benimmst dich aber nicht so, als wäre <Nichts>“, meinte er mit verführerische Stimme und knabberte an meinem Hals.

Ich sog zischend die Luft aus und krallte mich an ihm fest. Er brachte mich um den Verstand! Mein Körper brannte, mein Herz raste, wie schon lange nicht mehr und nun war mir unmöglich die Wand, die ich zwischen mir und dem Dämon aufgestellt hatte, weiterhin aufrecht zu erhalten. Es ging einfach nicht mehr!

Er hat es selbst herausgefordert!, wisperte mein blutgieriger Dämon und trieb mich vorwärts, löschte alle anderen Gedanken aus.

Genau! Es war nicht meine Schuld!

Tu es!

Ich packte Tristan an den Schultern und drehte ihn auf den Rücken. Er ließ es sich willig gefallen, als ich mich rittlings auf ihn draufsetzte und seinen Hals bearbeitete.

Meine Eckzähne fuhren mir schmerzhaft aus dem Zahnfleisch. Er duftete so köstlich!

Sein Atem ging rasselnd, seine Brust hob und senkte sich erstaunlich schnell, als würde er nicht genug Luft zum atmen bekommen. Er öffnete meine Haarspangen und ließ fasziniert seine Finger durch mein schlohweißes Haar gleiten.

In dem Moment, in dem Tristan die Haare an meinem Hinter fester packte, konnte ich nicht mehr an mich halten.

Ich öffnete meinen Mund, meine Fangzähne kratzten an seiner goldbraunen Haut, ich verlor die Kontrolle.

TU ES!

Ich durchbohrte sein Fleisch und hätte vor Verzückung beinahe aufgeschrieen. Sein Blut schmeckte göttlich! Wie Zimt und Erdbeeren und Lebkuchen und–

Plötzlich wurde ich zur Seite gerissen, von meiner genussvollen Quelle weggestoßen! Wer wagte es?!

Ich drehte mich und fauchte, aber ich war zu unkonzentriert um mich gegen den starken Druck auf mir zu wehren. Meine Sicht war von einem roten Schleier verhangen; irgendjemand fluchte und im nächsten Augenblick spürte ich einen stechenden Schmerz in der Brust und hörte einen wütenden Aufschrei Tristans. „Nein! Blake, was hast du getan?!“
 


 

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Hey, Leute, ich bitte um ein kleines Feedback, wen ihr denn in meiner Story am meisten und wen am wenigsten mögt.^^

Das wäre echt super, danke.

Stille Wasser sind tief

Der Nebel vor meinen Augen lichtete sich allmählich, nachdem ich es nicht mehr schaffte hochzukommen. Mein Herz war aufgespießt worden, bemerkte ich grimmig und riss mir die Klinge aus der Brust. Es tat nicht sonderlich weh, sondern ziepte nur etwas, doch der Schwindel der mich packte war alles andere als angenehm. Wohl eine unangenehme Nebenwirkung meines Blutdurstes. Verflucht, was hatte ich nur getan?!

Stöhnend setzte ich mich auf und hielt mir dabei den Kopf.

„Alles in Ordnung?“, fragte Tristan aus einer Ecke des Zimmers.

Wieso kam er nicht näher? Machte er sich keine Sorgen?

Meine Fingerspitzen streiften meinen Mundwinkel. Erschrocken blickte ich auf die dunklen Blutflecken auf meiner Haut. „Was ...?“ Fassungslos hob ich den Kopf, nur im nächsten Moment zu verstummen.

Tristan drückte einen Mann mit dunklem, beinahe schon schwarzem, kurzen Haar gegen die Felswand. Die karamellbraunen Augen des anderen fixierten mich prüfend; seine Nasenflügel blähten sich.

Mein Gefährte drückte ihm seinen Arm gegen die Kehle, damit dieser sich nicht rührte.

Hatte Tristan ihn nicht Blake gerufen? Sein Bruder? Oh-oh.

Vorsichtig erhob ich mich, hielt mich aber soweit von den beiden entfernt wie nur möglich. Ich wischte mir mit dem Handrücken über den Mund, die Wölfe beobachteten jede meiner Bewegungen. Ich kam mir vor wie ein kleines Kätzchen zwischen zwei riesigen Bestien. Absolut hilflos.

Hasste mich Tristan nun, für dass was ich getan hatte? Ich hatte sein Blut getrunken. Sein Blut!

Tristan stieß sich von seinem Bruder ab, und kam auf mich zugeeilt. Erschrocken fuhr ich zusammen, als er seine Arme nach mir ausstreckte. Würde er mich schlagen? Ich kannte ihn zwar noch nicht gut genug um seine Reaktionen abzuschätzen, doch an seiner Stelle hätte ich es wahrscheinlich getan.

"Nein!", schrie ich, stieß ihn zurück und drückte mich gegen den kalten Stein. Solange ich mich nicht wieder vollends unter Kontrolle hatte, durfte er mir keinesfalls zu nahe kommen!

Mein Gefährte blickte mich an. Seine Mundwinkel waren nach unten gezogen; er war von mir enttäuscht. Nur allzu verständlich.

Mein Herz raste noch immer; ich ließ mich zitternd die Wand hinab gleiten und schloss bekümmert die Augen. Ich kam mir so schäbig vor!

"Hey, wage es ja nicht jetzt abzuhauen! Bleib stehen!", schrie Tristan.

Ich hörte ein polterndes Geräusch und wildes Gerangel, aber danach ... Stille. Ich traute mich nicht die Augen zu öffnen. War er nun fort?

Vorsichtig öffnete ich ein Auge und musste tatsächlich feststellen, dass niemand da war. "Oh!"

Das war ... mir viel keine passende Beschreibung ein. Ich war ja froh, dass ich etwas Zeit für mich hatte, aber wollte ich denn das Tristan mich alleine ließ?

Langsam rappelte ich mich auf und strich mir meine Sachen glatt. Sie hatten auch einige Blutflecken abbekommen, aber sie gingen in dem schwarz Ton völlig unter, also musste ich mir wohl wegen meines Anblicks keine Sorgen machen. Schließlich wollte ich nicht, dass die Wölfe mich für ein blutrünstiges Biest hielten, obwohl ich selbst gerade daran zweifelte keins zu sein.

"Becca?"

Ich drehte mich um. Tristan hatte seinen Bruder am Arm gepackt und stieß ihn unsanft in meine Richtung. "Mach schon", knurrte er.

Blake knirschte mit den Zähnen, er hatte eine ziemlich heftig aussehende Bisswunde an der Schulter, die aber bereits wieder zu heilen begann. " ... leid", nuschelte er. Seine Lippen hatten sich kaum bewegt.

Ich hob eine Augenbraue und mein Gefährte versetzte ihm einen weiteren Stoß.

Der Dunkelhaarige verdrehte die Augen und fauchte: "Es tut mir leid, okay?!"

Ich versuchte ein Lächeln, aber es war genauso emotionslos wie die die ich immer meiner Schwester geschenkt hatte. "Mir ebenfalls."

Nun trat Tristan endlich neben mich und sah mich fragend an. "Alles in Ordnung? Wie geht es deiner Wunde?"

Zuerst wusste ich nicht was er meinte, dann erinnerte ich mich an das Schwert in meiner Brust und fuhr mit dem Finger den Riss in meiner Kleidung nach. Meine Haut hatte sich schon längst wieder geschlossen. "Alles bestens. Mir fehlt nichts."

Er musterte mich und wandte sich wieder seinem Bruder zu. "Blake, Rebecca. Rebecca, Blake", stellte er uns flüchtig vor. "Er ist gekommen um uns zu Logan und den Jägern zu schicken."

"Die Jäger?", fragte ich und neigte den Kopf leicht zur Seite.

Er nickte. "Das sind die engsten Vertrauten von Logan. Seine Berater, Beschützer und die Werwölfe die er selbst erschaffen hatte."

Also Werwölfe zweiter Generation vermutete ich erstaunt. Sie - und vor allem Logan - würden über mein Schicksal entscheiden. Ging das denn so schnell? Hatten sie schon so schnell eine Wahl getroffen? Das konnte nichts gutes zu bedeuten haben.

"Dann ... sollten wie sie nicht warten lassen", meinte ich und setzte meine kalte Maske auf. Niemand brauchte im Moment zu wissen, dass ich mit meinen Nerven am Ende war.

Tristan nahm mich an der Hand, Blake ging voraus.

Ich schwieg während wir durch das Labyrinth gingen. Mein Wolf meinte, dass wir in den 'Saal' gebracht wurden. Die Jäger, einschließlich Logan, würden bestimmen was mit mir geschehen wird.

Ich hatte Probleme mit dem Atmen. Meine Luftröhren fühlten sich an, als würden sie zusammen gedrückt werden. Wahrscheinlich lief ich bereits Blau an.

Der Gang wurde alle zwanzig Meter etwas breiter und größer; Fackeln erhellten uns den Weg und ließen uns vor einer stämmigen Tür stehen bleiben, die von zwei stämmigen Männern bewacht wurde.

Auch diese waren dunkelhäutig und mit einer gefährlichen Schönheit bestraft, die sogar mich etwas in die Enge trieb.

Ich war kein eitles Wesen, wie so mancher andere Vampir dessen Namen lieber ungenannt bliebe, aber etwas neidisch wurde ich schon.

Ich war schön. Selbst Göttinnen verblassen vor Neid bei Eurem Anblick, hatte einst ein Verehrer gemeint. Ehrlich gesagt, hatten es viele männliche Persönlichkeiten zu mir gesagt und sogar Gedichte verfasst, aber ich hatte keinem von ihnen Glauben geschenkt.

Meine Schönheit verhalf mir bei der Jagd nach Werwölfen und ich gebrauchte sie als Lockvogel und Ablenkungsmanöver, doch ich könnte Jederzeit auch ohne auskommen. Zu mehr brauchte ich sie nicht, aber wenn ich sie nun nicht hätte, würde dann mein Gefährte noch etwas von mir wollen?

Tristan umklammerte beinahe Krampfhaft meine Hand. Die Muskeln an seinem Hals waren so angespannt wie die Sehne eines Bogens. Außerdem knirschte er die ganze Zeit mit den Zähnen. Es war eindeutig, dass ihm dieses Szenario missfiel.

Als die Türflügel von den Wachen, die mich ebenfalls ziemlich abfällig musterten, geöffnet wurden und ich einen Schritt nach vorne tat, wurde Tristan plötzlich von seinem Bruder aufgehalten und mit einem entschuldigenden Blick bedacht. „Du kannst nicht mitkommen, Tristan. Logan hat es verboten. Er möchte gerne mit ihr alleine sprechen.“

Mein Gefährte knurrte, alles in ihm sträubte sich dagegen mich alleine zu lassen, und merkwürdigerweise berührte es mich tief im Inneren. Dabei dachte ich, es gäbe niemanden den es kümmern würde, wenn ich eines Tages verschwinden würde. Und er regte sich schon auf, wenn wir lediglich durch eine Tür getrennt wurden. Das war sehr … liebenswert.

Auf einmal ging es mir besser. Meine Atmung normalisierte sich und mein Herz nahm seinen gewohnten Rhythmus auf. Es ging mir gut. Tristan sorgte sich um mich – um eine Vampirin.

Wenn ich jetzt sterben müsste, dann würde ich es wenigstens glücklich tun.

„Schon in Ordnung“, munterte ich ihn auf und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Lippen.

Tristan warf mir einen überraschten Blick zu und grinste dann schief. Er schien an meinen Worten zu zweifeln. Wie vertrauenswürdig er doch war.

„Komm schon.“ Blake zog ihn am Arm, und brachte ihn von mir weg. Solange ich ihn noch sehen konnte, rührte ich mich nicht vom Fleck, danach drehte ich mich langsam um und trat in das Innere des Saals ein. Die Türen wurden sofort wieder geschlossen, kaum das meine Füße die Schwelle übertreten hatten. Ich fragte mich, ob diese beiden mürrischen Wächter bei jedem so zuvorkommend waren.

An einem breiten Tisch, der aus Stein gehauen und sogar geschliffen war, saßen sechs Männer und zwei Frauen, Logan saß als Oberhaupt am Kopfende des Tisches, ein Platz war leer.

Alle schienen nicht sehr erfreut zu sein mich zu sehen. Woran das wohl lag?

Mich verließ der Mut. Ich konnte auf den ersten Blick erkennen, dass die Jäger ein gefährlicher Haufen war. Wesentlich einschüchtender als die meisten Vampire, denen ich bereits begegnet war.

Logan erhob sich, seine Augen fixierten mich prüfend. Hoffentlich waren seine türkisen Pupillen das Letzte was ich zu sehen bekam, wenn es schon nicht Tristan sein konnte.

"Du weißt, warum du hier bist?", fragte er.

Ich nickte. Ich strahlte pure Gelassenheit aus, damit mir die Werwölfe meine Angst nicht anmerkten. Ob sie sie vielleicht dennoch rochen? Möglich wäre es, aber wenn es tatsächlich so war, dann ließen sie es sich nicht anmerken.

"Gut. Wir sind zu einer Übereinkunft gekommen."

Mehrstimmiges Kopfnicken. Nur Eine, nähmlich die Brünette mit den schwarzen, asiatischen Augen und der dunklen, pfirsichfarbenen Haut, starrte störrisch auf den Tisch, anstatt eine Meinung abzugeben.

"Ich verurteile dich zum Tode, Rebecca DelMar." Die Worte hallten unheilvoll in dem steinernen Gemäuer wider.

Ich schloss für einen Moment die Augen und rief mir Tristans Gesicht ins Gedächtnis, dann öffnete ich sie wieder. In meinem Hals stieg ein hysterisches Kichern auf, aber ich verbot es mir sofort auch nur einen Laut von mir zu geben. Ein kleiner - wirklich ganz kleiner - Teil von mir, hatte wohl wirklich noch darauf vertraut, dass ich den heutigen Tag überleben würde. Und ausgerechnet ich hatte Tristan einen Narren genannt.

Ich hatte es doch gewusst. Warum empfand ich dieses Urteil also nur als ungerecht? Ich hatte in den letzten Jahrhunderten viele, sehr viele Werwölfe getötet, da war es doch nur verständlich, dass sie ihre Rache wollten. Gnade war in diesem Fall unangebracht.

Ich verbannte jegliches Gefühl aus mir, die mich vielleicht zu dummen Taten verleiten könnten, und ging auf die Menge zu, die mit wachsamen Blicken aufstanden und eine lauernde Haltung einnahmen.

"Nun gut", sagte ich mit monotoner Stimme und sprang leichtfüßig auf den Tisch. "Wenn das so ist, dann ..." Ich ließ den Satz unvollendet und legte mich stattdessen mit ausgestreckten Glieder auf den Tisch. Alle beobachteten mich verblüfft, weil sie nicht begreifen konnten, warum ich mich so leicht geschlagen gab.

Warum sollte ich mich auch wehren? Ohne Tristan gab es für mich kein Leben mehr, aber ich würde ihn nicht seiner Familie berauben, wenn diese mich nicht akzeptieren konnte.

Logan war der Erste der seine Gedanken zu Worten bildete. "Was soll das werden?"

Ich legte den Kopf weit in den Nacken und blinzelte ihn mit gerunzelter Stirn an. "So werdet ihr es leichter haben mich umzubringen. Wenn ihr wollt, kann ich euch auch Anweisungen geben. Ihr müsst mir nur alle meine Glieder und den Kopf abreissen, die Teile verbrennen und ..."

Das asiatische Mädchen fing an laut zu kichern, dass dann in schallendes Gelächter überging bis ihr die Augen tränten. "Ich wusste es! Ich wusste es!", kreischte sie erfreut.

Meine verwirrte Miene wechselte in Unglauben, als ich Logans wahrlich wölfisches Grinsen sah, dass man nicht gerade als Böse bezeichnen konnte. Eher ... erleichtert?

"Darf ich fragen, was das zu bedeuten hat?" Ich stützte mich auf die Ellbogen. Die Jäger blickten mich aus einer Mischung aus Misstrauen und unterdrücktem Respekt an. Hatte ich die Pointe verpasst?

Das Gegacker der Asiatin endete nach einem warnenden Knurren Logans, doch ein breites Grinsen blieb auf ihrem Gesicht bestehen.

"Nun", sagte seine Majestät. "Du darfst gehen."

Ich hob eine Augenbraue. War die Hölle zugefroren, oder warum hatte er das gerade gesagt?

"Wie darf ich das verstehen?", hackte ich nach und brachte mich in eine aufrechte Position. Da stimmte doch etwas nicht.

"Du wurdest auf die Probe gestellt und Offiziel für akzeptabel befunden", antwortete ein Jäger mit rotbraunem Haar und so klaren grauen Augen, dass man denken könnte er könne kein Wässerchen trüben. Wenn man sich da mal nicht täuschte.

Moment mal. Hieß das etwa, ich musste nicht sterben? Ich schnaubte. "Und da konnte euch kein besserer Weg einfallen?", fragte ich eingeschnappt, weil mir mein Herz vor lauter Schreck beinahe abhanden gekommen wäre.

Die andere Frau im Saal, und eine richtige Schönheit, bleckte fauchend die Zähne.

Wie reizend.

"Selbstverständlich werden dir gewisse Regeln auferlegt, die du einzuhalten hast. Ansonsten wird diese Probe nicht mehr lange eine sein", warnte ein anderer. Dieser hatte dunkelbraunes Haar, wie feinste Schockolade, und stechend grüne Augen. Seine Gesichtszüge waren kindlich, aber hinter diesem unschuldigen Äusseren musste jemand sehr grausames lauern.

"Und wie lauten diese Regeln?", fragte ich, obwohl ich wusste, dass sie mir nicht gefallen würden.

"Du darfst die Höhle nicht mehr verlassen. Wie müssen erst sicher gehen, dass wir dir vertrauen können", sagte Logan. Okay, damit konnte ich noch leben.

"Dir ist es nicht erlaubt den Jungwölfen zu nahe zu kommen, oder gar zu berühren." Ein Schnauben meinerseits, aber einverstanden.

"Solange du hier bist, darfst du niemanden töten, verletzten oder gegen jemanden kämpfen, ohne mein Wissen." Hmmm. Das waren alles Dinge, auf die ich verzichten konnte, wo blieb also der Hacken?

"Es wird dir auch nicht gestattet innerhalb der Höhle Blut zu trinken, solange es sich um jemanden der Sippe handelt." Na bitte, da hatten wir ihn ja. Ich kniff die Augen zusammen und biss mir auf die Lippe, nickte aber gehorsam. Es hatte keinen Sinn, ich würde in spätestens drei Wochen dem Wahnsinn erliegen und dann würden mich diese Regeln einen Teufel scheren. Über dieses Problem musste ich mit Logan in aller Heimlichkeit sprechen.

"Du wirst jeden unserer Art verteidigen müssen, sollte es jemals zu einer Auseinandersetzung zwischen beiden Rassen kommen", fuhr der Krieger fort. Auch damit hatte ich kein Problem. Fragte sich nur, ob mich diese Hunde auch helfen lassen würden. "Im Gegenzug akzeptieren wir dich als Tristans Gemahlin und nehmen dich in unseren Reihen auf." Logan hob eine seiner Brauen und sah mich abwartend an.

Ich stand auf und biss mir in das Handgelenk. Abwartend hielt ich es ihm hin. "Ich erkläre mich mit den Regeln und deren Verpflichtungen für einverstanden."

Der Wolfskönig blickte voller Abscheu auf meine blutige Hand.

Es dauerte einige Sekunden, bis mir klar wurde, dass ich mich hier nicht auf vampirischen Terrain befand. "Oh, verzeihung, mein Fehler. So wird ein Pakt bei den Vampiren besiegelt", erklärte ich schnell und wischte mir die Hand an meinen Sachen ab. Das war mir dann wiederrum doch peinlich.

Das brünette Mädchen lächelte und stellte sich neben mich. Sie schien nicht angewidert zu sein, im Gegenteil, sie wollte mir helfen. "Wir schließen einen Vertrag, indem wir unserem Gegner über den Hals lecken. So können wir feststellen ob sich dieser auf unsere Kehle stürtzt oder nicht. Das Risiko ist natürlich hoch, aber nur so können wir beginnen dem anderen zu vertrauen", erklärte sie hilfsbereit und zwinkerte mir aufmunternd zu. "Normalerweise vollziehen wir den Vertrag als Werwolf, aber in diesem Falle, muss Logan es in seiner menschlichen Gestalt machen."

Ich verzog leicht den Mund. Vampire hattem ein kleines Problem mit Nähe. Entweder wir übertrieben es, oder es stieß uns ab. Beides konnte meist blutig enden, wenn man nicht damit umzugehen wusste.

Da ich der Störenfried war, wurde es natürlich mir zuteil zu beginnen. Ich strich mir die Haare auf eine Schulter und bot ihm meinen Hals dar, wie zum Frühstücksbuffet.

Ich konnte in seinem Gesicht lesen, wie er in Gedanken gerade eine lange Reihe von Flüchen ausstieß. Ihm behagte es genauso wenig wie mir, aber schließlich hatte ich auch bereits mit dem Leben abgeschlossen.

Er beugte sich zu mir runter. Sein Duft stieg mir in die Nase. "Wenn du mich beißt, bist du deinen Kopf los", flüsterte er mir ins Ohr.

Ich stieß einen heißeren Laut aus. "Das kann ich nur zurück geben."

Heiß legte sich seine Zunge auf meine Haut und hinterließ eine brennende Spur. Ich erschauderte. Schnell schloss ich meine Augen, da ich spürte wie diese rot zu leuchten begannen.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, das Logan länger an meiner Kehle verweilte, als nötig, doch ehe ich diesen wirren Gedanken fortführen konnte, zog er sich auch schon zurück. Gerne hätte ich sein angeekeltes Gesicht gesehen um mich wieder auf den Boden zu bringen, aber ich sollte ihm meine Augen besser nicht zeigen, bevor auch ich nicht meinen Teil erfüllt hatte. Es könnte ihn vielleicht beunruhigen. Und dann würde er mir den Kopf abreißen.

Ich krallte meine Finger in das Gestein des Tisches und hinterließ tiefe Furchen.

Nur langsam gewann ich meine Beherrschung zurück. Aber mein Hals stand noch immer in Flammen.

Ich musste mich strecken und auf die Zehenspitzen stellen um an seinen Hals zu kommen, da er um einen halben Kopf größer war als ich. Vorsichtig näherte ich mich seiner Kehle und leckte dann langsam und genussvoll über seine Halsschlagader. Er schmeckte auf köstliche Weise salzig und würzig. Ich wusste nicht, womit ich es vergleichen könnte. Es erinnerte mich an den Geschmack nach Krieg, Wut, Macht, aber auch nach Sehnsucht, Leidenschaft und alles verzehrender Gier.

Ich wusste nicht, welcher Teufel in mich gefahren war, aber ich ließ provokativ meine Wange an seiner entlang streichen, als ich wieder einen Schritt zurück trat, um Platz zum atmen zu lassen. Mein Pulsschlag war noch nie so schnell gewesen wie in diesem Augenblick. Würde er mir jetzt für diese Unverfrorenheit an die Gurgel springen?

Obwohl seine Augenbrauen tief nach unten gezogen und seine Hände zu Fäusten geballt waren, schien es nicht den Anschein zu machen, dass er jeden Moment zum Werwolf wurde. Sein Atem ging genauso schnell wie meiner. Wahrscheinlich aus unterdrückter Wut. Das Türkis in seinen Augen blitzte gefährlich. Schnell wandte ich mich ab.

Erst jetzt nahm ich die Jäger um mich herum wieder wahr, die mich alle mit wachsamer Miene musterten.

"Deine Augen leuchten", hauchte die Asiatin, beinahe schon erführchtig. Ich sah zu Boden und zählte bis Zehn, ehe ich meinen Blick wieder heben konnte, ohne Funken zu sprühen.

Ich räusperte mich. "Kann ich ... nun gehen?", fragte ich und betete, dass es nicht flehentlich klang.

Die Brünette warf einen fragenden Blick auf den Mann hinter mir und nickte dann freudenstrahlend. "Klar, komm mit!"

Ohne mich noch einmal umzudrehen, folgte ich ihr aus dem Saal und ehe die Türen hinter mir ganz verschlossen waren, hörte ich Logan knurren: "Über diesen Vorfall wird nicht gesprochen!"

Pelzige Plage

Holy Shit! Leute, es tut mir SO leid, dass ich so eeeeewig lange gebraucht habe, um dieses Kapitel fertig zu bekommen...

Aber zu meiner Verteidigung: Lest euch diesen Mordstext doch nur mal durch! o__O"

Dafür braucht man schon ne Weile...xDD

Außerdem ist mir kein passender Titel eingefallen... -.-"

Okay, genug der Ausreden!

Viel Spaß beim Lesen :D
 

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Tristan hielt mich fest in seinen Armen und schnürte mir die Luftzufuhr ab.

Das brünette Mädchen, dass sich mir als Ki Feng Loo vorgestellt hatte, hatte mich gütiger Weise zu meinem frischen Gemahl gebracht, der vor lauter Sorge bereits ein Loch in den Boden marschiert hatte.

"Meine Güte, was ist nur da drin passiert? Du zitterst ja!", warf er mir vor und rieb mir über die Arme.

Ich konnte einfach nicht aufhören, mir dieses Szenario immer und immer wieder vor Augen zu führen. Dieser 'Vertrag', oder wie sie das so schön nannten, war derartig intim gewesen, dass mir davon noch immer die Beine schlotterten.

Von Logans durchdringendem Blick wollte ich gar nicht erst anfangen.

Ich schauderte.

"Was ist los?", fragte Tristan, der endlich eine Antwort bekommen wollte.

Tut mir Leid, aber momentan war ich keiner Sprache mehr mächtig.

"Gar nichts. Nur ein kleines Geplänkel, nichts der Rede wert", antwortete Ki Feng Loo mit einem Lächeln auf den Lippen, aber ihre Augen strahlten dabei nicht. Mein Mann glaubte ihr dennoch, und vor lauter Danbarkeit wäre ich ihr beinahe zu Füßen gefallen, doch Tristan hielt mich weiterhin in seinem Schraubstockgriff fest und duldete kein Entkommen.

Blake stand wie das dritte Rad am Wagen daneben und schien sich sichtlich unwohl zu fühlen. Konnte ich ihm nicht verdenken. Ich selbst wäre am liebsten in einem Mauseloch verschwunden.

"Ach, übrigens, vielen Dank, dass du meine Kinder am Leben gelassen hast", lenkte Ki Feng Loo vom Thema ab und ließ mich endlich aus meiner Starre erwachen.

"Das waren Eure Kinder?", fragte ich fassungslos. Meine Güte, sie sah nicht Älter als fünfzehn aus, und in Werwolfsjahren hätte ich sie noch nicht einmal für Volljährig eingestuft. Nicht jeder brachte mich so schnell aus der Fassung, aber in letzter Zeit überraschten mich die Personen um mich herum immer wieder.

Ki Feng Loo lächelte. "Ja. Putzige kleine Racker, oder? Ich war in totaler Panik als sie plötzlich verschwunden waren und befürchtete schon sie wären auf Vampire gestoßen. Ich war kurz davor auszurasten. Aber dann sind sie plötzlich putzmunter vor einem der Höhleneingänge gestanden und haben mir von dir erzählt. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen wie dankbar ich dir bin!"

Wieder konnte mein Mund keine Worte bilden. Sie war mir dankbar? Nur weil ich ihre Kinder verschont hatte? Ich verstand es nicht. Mir war normalerweise nur jemand dankbar, wenn ich jemanden umbgebracht hatte. Es fühlte sich merkwürdig an. So warm.
 

Die nächsten Tage verliefen monoton. Die Tage erschienen mir länger, die Nächte kürzer.

Nachdem die Formalität, mit meinem Aufenthalt hier, geklärt worden schien, schien ich irgendwie von den anderen abgeschottet worden zu sein. Die einzigen die ich zu Gesicht bekam, waren Blake, Ki Feng Loo oder Tristan, die mich manchmal in der Höhle herumführten und versuchten mir das Tunnelsystem zu erklären.

Rein automatisch merkte ich mir jede noch so kleine Spalte und Abzweigung, weil ich nie wusste, wann ich sie möglicherweise benötigen konnte. In den letzten paar hundert Jahren wurde ich zu oft betrogen, um mich noch auf irgendjemand anderes zu verlassen, außer mich selbst. Angefangen bei meiner Schwester, danach dauerte es nicht lange, bis sich auch jeder andere Bluttrinker - selbst meine stärksten Verbündeten - von mir abwandten.

Bis auf Oleen hatte ich niemanden mehr gehabt, und nun war auch sie fort, auch wenn ich scheinbar einen Mann und eine Freundin gewonnen hatte. Die Vampirin hatte mir immer treu gedient, ich wünschte ich hätte noch einmal mit ihr sprechen können, bevor ich aus dem Gebiet der Bluttrinker getrieben wurde.

Aber da ich leider nun an die Regeln des Rudels gebunden war, blieb mir dieser Wunsch verwehrt.

Seit einer Woche hatte ich kein Blut mehr zu mir genommen, was ich erstaunlich gut verkraftete, wenn man bedachte, dass ich normalerweise regelmäßig Blut zu mir nehmen musste. Ich konnte nicht sagen, ob es an dem Blut meines Werwolfs lag, dass mich etwas widerstandsfähiger werden ließ, oder einfach noch nicht der passende Zeitpunkt war, um mich nach der roten Flüssigkeit zu verzehren.

Was meine Intigration in das Wolfsrudel anging, so stand ich noch am Anfang, wenn nicht sogar dort, wo der Pfeffer wuchs. Ich war bis jetzt nur wenigen - meistens aber den Jägern - begegnet, und sie alle wirkten, als würden sie mich am liebsten in Stücke reißen.

Selbst in den Reihen der Vampire hatte ich noch nie solchen Hass erlebt. Es war beinahe schon beängstigend, wie wenig sie von mir hielten, aber daran war ich ja bereits gewohnt. Als wäre ob es je anders gewesen wäre.

Was mir mehr Sorgen machte, war Tristan. Seitdem er mich offiziell für seine Gefährtin erklärt hatte, gingen ihm seine Freunde aus dem Weg und machten ihn zum Außenseiter. Ich erkannte stets eine klare Linien zwischen ihnen und uns. Während wir im Schatten standen, sonnten sich die anderen im Licht. Wo hatte ich meinen Geliebten nur hineingezogen?

Als ich Tristan allerdings darauf angesprochen hatte, hatte er nur gelacht und gemeint, dass es sich irgendwann wieder legen würde. Wenn sie mehr 'Vertrauen' hatten, hatte er gesagt. Vetrauen hatte noch nie jemandem davon abgehalten, etwas Dummes zu tun.
 

Am nächsten Morgen, und wieder eine Nacht in der ich nicht geschlafen hatte, nahm ich mir vor, mit Logan über meinen Blutdurst zu sprechen. Ich würde Tristan nichts davon sagen, und wenn möglich auch vor den anderen geheim halten. Niemand brauchte von meinen Problemen zu wissen, am wenigsten die, die mir etwas bedeuteten. Ich wollte nicht an ihre Gesichter denken, wenn sie herausfinden sollten, zu was ich im stande war, wenn ich meinem Dämon freien Lauf ließ. Unvorstellbar.

Ich drehte mich auf die Seite, um in das schlafende Gesicht meines Gefähten zu blicken. Seine Züge waren glatt, wie das eines Engels. Ich schmunzelte. Engel und Dämon - eine interessante Kombination.

Er lag auf dem Bauch, seinen linken Arm um mich geschlungen und selig schnarchend. Mittlerweile bezweifelte ich, dass ihn auch nur irgendetwas aus der Ruhe bringen konnte. Wir hatten uns beide unter einer schweren goldfarbenen Wolldecke zusammen gekuschelt, was größtenteils Tristans Idee gewesen war, da ich ihm immer wieder beteuert hatte, dass ich womöglich wieder über ihn herfiel. Doch er hatte nur schelmisch gegrinst und die Schultern gezuckt. Dieser Mann hatte keinen Überlebensinstinkt!

"Hast du schon wieder nicht geschlafen?", murmelte er verschlafen, behielt dabei die Augen geschlossen, und drückte sich fester an mich. Natürlich hatte dieser herumkomandierende, sorgenlose Wolf darauf bestanden, nackt mit mir in seinem 'Bett' zu liegen, auch wenn ich mich dagegen stellte, mit ihm zu schlafen, ohne nicht vorher meinen Blutdurst an einem Menschen gestillt zu haben, was ich ihm wiederrum nicht gerade auf die Nase binden wollte. Und es schien tatsächlich so, als ob er immerzu Lust auf mich hätte. Auf einen durstigen, bösen, kaltherzigen Vampir.

"Ich bin nur früh aufgewacht", log ich. "Ich würde gerne aufstehen. Lasst Ihr mich los?"

Seine Stirn zog sich in Falten. "Muss das sein? Hast du noch etwas vor? Wir könnten doch ..."

"Kein Beischlaf", sagte ich bestimmt.

" ...reden", schloss er lachend und drehte sich auf den Rücken, wobei er mich mit zog und ich auf seinem Bauch landete. Und noch auf etwas anderem.

"Tristan", knurrte ich warnend, weil ich spürte, wie sich meine Kehle auszutrocknen begann, und sich meine Luftröhren beinahe schon schmerzhaft zusammenzogen.

Er schnurrte und gab mir einen Kuss auf den Scheitel. "Ich liebe es, wenn du meinen Namen knurrst. Natürlich würde es mich noch viel besser gefallen, wenn du ihn stöhnst ..."

Ich schlug ihn auf die Brust. Fest. Er keuchte und lachte gleichzeitig. Langsam löste er seinen stahlharten Griff, damit ich ihm entschlüpfen konnte. "Okay, okay, ich gebe mich geschlagen." Er zwinkerte belustigt und wackelte mit den Augenbrauen.

Warum mussten seine Sätze nur immer so Zweideutig sein? Und warum klang er dabei nur so verflucht verführerisch?

"Ihr könnt Euch ruhig noch etwas ausruhen, während ich einen kleinen Spaziergang mache, um meine müden Glieder zu recken", schlug ich vor und begann langsam damit, mich einzukleiden. Ein zusammengenähtes Panterfell, dass sich einfach herrlich an meiner Haut anfühlte und eine bunte Kette mit aufgefedelten Federn und Perlen, zierten nun mein ganzes Auftreten. Natürlich würde ich dennoch wie ein Schwan unter einer Schar Tauben herausstechen, doch ich baute darauf, dass mein Aufzug diesen Umstand etwas minderte.

Tristan murmelte etwas unverständliches, beobachtete mit Argusaugen jede meiner Bewegungen. "Du siehst hinreißend aus!"

Ich blinzelte. Ein Kompliment. Wie sollte ich reagieren? Ich brachte nur ein Nicken zustande und: "Ich ... danke."

Wie einfallsreich!

Der Mann, dem du entgültig verfallen bist, macht dir ein Kompliment und du sagst Danke?!

Ich würde es wohl nie lernen. Dabei war ich doch nicht so ein schüchternes Blümchen, dass sich beim ersten Anschein von Regen in der Erde verkroch! Aber dieser Werwolf brachte mich einfach aus der Fassung, und weil ich stets befürchtete etwas Falsches zu sagen, kamen mir nur noch sinnlose Worte über die Lippen.

Doch mein Gefährte lächelte nur, streckte sich genüsslich auf der Decke aus und ermöglichte mir einen sehr guten Blick auf seine besten Stücke.

Ich flüchtete.

Schallendes Gelächter wehte mir hinterher.
 

Einen Werwolf zu finden, war eine Sache, aber eben diesen aufzuspüren, eine vollkommen andere!

Logan war wie vom Erdboden verschluckt, und es schien niemanden zu wundern. Jedenfalls nach den Reaktionen der Wölfe, die sich dazu herabließen mir zu antworten, geschweige denn mich auch nur eines Blickes zu würdigen.

Es war die reinste Tortur, sich in diesen unberechenbaren Gängen zurecht zu finden, aber ich hatte bereits Schlimmeres hinter mir. Das Labyrinth von Keller, dass unter dem Schloss hauste, war um einiges verworrener und ohne jegliche Logik einige hundert Jahre vor der Geburt meiner Eltern erbaut worden. Manchmal kam es mir vor, dass sich neue Wege auftaten und plötzlich andere verschwanden. Als führte dieser dunkle Ort ein eigenes Leben.

Flüsternde Stimmen drangen an meine empfindsamen Ohren und ließen mich inne halten. Die Stimmen kamen aus der Westrichtung. Ich beschleunigte meine Schritte, und mit jedem Meter, wurden die Klänge von Lachen, klirrenden Schwertern, und Kampfgeschrei lauter.

Die steinernen Wände zogen rasant an mir vorbei, beinahe hatte ich das Gefühl, als würde ich lediglich über den Boden gleiten, anstatt zu rennen.

Es dauerte nicht lange, bis ich den Raum erreicht hatte, den ich gesucht hatte und in dem ich gehofft hatte, Logan zu finden.

Nun, es würde etwas schwierig werden, den Rudelführer unter mindestens zweihundert seiner Rasse ausfindig zu machen. Aus jedem Loch, lugten diese Werwölfe hervor und beobachteten das Spektakel in der Mitte dieser gewaltigen Höhle.

Zwei Männchen kämpften gerade mit blitzenden Äxten und Schwertern gegeinander, wobei ihre Gestalt abwechselnd zwischen Werwolf und Mensch hin und her schwankte. Wie es aussah, bekriegten sich zwei Jungtiere - nicht Älter als sechzig -, die einen heiden Spaß dabei zu haben schienen. Und jedes Mal, wen einer von beiden getroffen wurde, jubelte die Menge lauthals.

Ich zog die Augenbrauen tief zusammen und presste wütend meine blutroten Lippen aufeinander. Waren denn diese Tiere von sinnen? Nannten sie dieses Geplänkel etwa einen Kampf?!

Mit diesen Kindereien, würden sie ihre Zöglinge nie zu richtigen Kriegern erziehen können! Wie konnten sie nur so verantwortungslos sein? Kannten sie denn keinen Stolz?!

Ein leises Zischen entwich mir, als ich mich geräuschlos hinter der Menge vorbeischob und mich dabei beinahe unsichtbar im Schatten hielt.

Einige der älteren Wölfe reckten schnuppernd die Nasen in die Luft, als sie den Geruch meines stillstehenden Blutes witterten und blickten sich anschließend zu allen Seiten um, ohne mich zu entdecken. Ich hatte genug Geistesverstand, um mich nicht sofort dieser Horde auszuliefern. Besonders nicht in dieser Kampfarena. Sie rochen nach Mordlust. Ein widerwärtiger Gestank, dem ich auf dem Schlachtfeld schon oft genug ausgesetzt gewesen war.

Es war schwer die Jungwölfe im Auge zu behalten, wenn die anderen solch einen Trubel verursachten.

Aber der helle Klang, von aufeinander prallendem Eisen, ließen mich das Meiste dieser Szenerie erahnen. Einer der beiden geriet in Bedrängnis, versuchte nur noch durch rohe Gewalt sich zu verteidigen und einen Ausweg zu finden. Doch der andere war nicht besser. Durch seine stürmische Taktik fühlte er sich überlegen und achtete nicht mehr auf seine Deckung, als sich sein Gegner plötzlich unter der Axt hindurchduckte und ihn mit lautem Brüllen zu Boden riss.

Die Äxte polterten auf den kühlen Sandboden. Es war so still, dass ich die Herzen aller anwesenden wie Paukenschlag hören konnte. Dann brach tosender Applaus aus, gefolgt von wölfischem Geheul.

"Eine ihrer Lieblings Beschäftigungen", sagte jemand neben mir, und ließ mich ertappt zusammen fahren. Ich spielte mit dem Gedanken, die Person einfach nicht zu beachten, und einfach wieder zu verschwinden, doch die Neugierde siegte außnahmsweise einmal.

Zwar war es nicht Logan, der diese drohende Erscheinung ausstrahlte, doch mindestens genauso schlimm. Der Jäger mit den giftgrünen Augen und dem schokoladenbraunen Haar. Ich musterte ihn und schätzte ab, in welcher Laune er zu sein schien, doch er schien an diesen Raufereien ebenso wenig Gefallen zu finden wie ich.

Also antwortete ich auf seine Aussage. "Meint Ihr diese lächerliche Zurschaustellung? Ich würde diesen Jungen nur zu gerne eins über die Rübe braten. Sie sehen den Krieg als Spiel und nehmen ihre Gegner nicht ernst. Und sollte es nun tatsächlich zu einer Auseinandersetzung kommen, würde keiner von ihnen gemäß darauf reagieren und sterben."

Belustigung blitzte in seinen Augen auf. "Deine Meinung ist nachvollziehbar. Ich glaube, mich noch nicht vorgestellt zu haben: Mein Name ist Kaiden."

Ich wunderte mich über seine höflichen Umgangsformen und nickte ihm überrascht zu. Auf einmal wirkte er mir nicht mehr ganz so unsympathisch. "Sehr erfreut." Und das meinte ich auch so. Ich denke, nicht jeder hätte mir diesen Laut ausgesprochenen Gedanken durchgehen lassen.

"Wir haben einige Lehrer für deren Ausbildung", sagte Kaiden ruhig. Dachte er etwa, damit wäre dieses Gespräch beendet?

"Seid Ihr einer davon?", fragte ich und legte seltsamerweise große Hoffnungen darauf. Warum sollte es mich interessieren, ob die Jünglinge auch gut trainiert wurden, um eine Chance gegen meine Rasse zu besitzen? Es war ja nicht so, als wären es meine Kinder - und selbst dann, scherten sich Vampire einen Dreck darum.

Der Werwolf warf mir einen kurzen Blick zu, den ich nicht ganz zu deuten vermochte, und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Gladiator ähnlichen Kämpfe. "Nein. Warum fragst du?"

Ich rümpfte die Nase, über diese einsilbige Antwort. "Ihr seid ohne Zweifel ein herausragender Kämpfer." Ich verschwieg, dass er dennoch wahrscheinlich nicht gegen mich gewinnen könnte. "Wobei ich das sicherlich von jedem der zweiten Generation behaupten kann, also verstehe ich nicht, warum ihr sie nicht ausbildet?"

Kaiden runzelte die Stirn und dachte wohl darüber nach, wie er meine Worte auffassen sollte. Zum Glück ließ er sich doch noch darauf ein, und begann nicht damit, seine Klauen an mir zu wetzen. "Alle meiner Generation - also die Jäger - wären eine zu große Gefahr für die Welpen. Nur ein kleiner Kontrollverlust, und wir würden ohne Rückbehalt unserer animalischen Seite freien lauf lassen und sie zerfleischen. Aus diesem Grund hatte Logan es auch verboten, von uns unterrichtet zu werden, auch wenn wir ihnen Ratschläge, Tipps und ihnen in passiver Weise Lektionen erteilen dürfen."

"Es ist aber nicht dasselbe."

"Natürlich nicht", stimmte er mir amüsiert zu, aber ich konnte genau erkennen, wie er die Zähne zusammenbiss und den Kiefer anspannte. Viel schien er jedenfalls nicht von dieser Regel zu halten.

Aus Selbstsicherheitsgründen, hackte ich nicht weiter nach. Gerade rechtzeitig, um zu bemerken, dass wir von glimmenden Wolfsaugen beobachtet wurden.

Hoppla! Mir war die Grabesstille gar nicht aufgefallen.

"Na wenn das nicht unser neues Rudelmitglied ist!", höhnte ein Junge mit knallrotem Haar, dass ihm verschwitzt ins Gesicht hing und schaute dabei überdeutlich in meine Richtung.

Wie nicht anders zu erwarten, wandte sich nun auch der Rest der Meute zu mir um, und knurrte drohend im Chor. Es hörte sich nicht gerade wie ein Willkommensgruß an.

Ich wollte Kaiden fragen, was nun zu tun sei, doch er schien sich aus dem Staub gemacht zu haben.

Ich schnaubte enttäuscht darüber, zu viel in ihn hinein interpretiert zu haben, und versuchte etwas Abstand zwischen mir, der Wand und dieser Horde Wölfe zu bringen, wobei ich unabsichtlicherweise immer weiter in das Kampffeld getrieben wurde. Und somit auch zu diesem Rothaar, der für einen Welpen ganz schön Muskelbepackt war.

Jetzt, da ich - mehr oder minder freiwillig - im Zentrum des Raumes stand, konnte ich meine Umgebung genauer in Augenschein nehmen, und staunte nicht schlecht, bei dem was ich sah.

Eine beachtliche Waffensammlung, in allen möglichen Formen, steckten im Gestein der Höhle und nahmen beinahe die ganzen Wände ein. Speere, Dreizäcke, Äxte, Dolche, und noch so einige mehr!

Meine Güte, da würden selbst Vampire blass vor Neid werden! Die teilweise getrockneten Blutspuren an den Waffen, hätten Leonore bestimmt gefallen.

Der rote Werwolf musste meine sprachlose Reaktion wohl irgendwie falsch interpretiert haben, denn ein schmieriges Grinsens breitete sich auf seinem Gesicht aus. Na sowas. Da hatte aber jemand ein ziemlich großes Selbstbewusstsein gegenüber einer reinrassigen Vampirin.

Aber das konnte er ja nicht wissen. Sein Pech.

"Möchtest du nicht etwas mit mir Üben?", fragte der Junge und schwang demosntrativ sein Schwert.

Ich ließ eine Augenbraue in die Höhe wandern und musterte ihn mit geringfügiger Begeisterung. Dieses Wölfchen war nie und nimmer ein Gegner für mich! Wenn er - wie Kaiden gesagt hatte - noch nicht einmal gegen die Jäger ankam, wie würde ich ihn dann zurichten? Ein Massaker wäre vorprogrammiert.

"Ich verzichte", sagte ich nur und wandte mich zum gehen. Ich sollte mir wirklich einmal merken, Werwölfen niemals den Rücken zuzukehren.

Nur dank meiner äußert eingefleischten Ausbildung, reagierte ich schnell genug mit einem Rückwärtssalto, als der rothaarige Junge mich hinterrücks abstechen wollte.

Ohne jeglichen Lärm, landete ich einige Meter hinter ihm, noch ehe er wieder in Position gegangen ist.

Mit gefurchter Stirn funkelte er mich wütend an, doch sein gehässiges Wolfsgrinsen war noch immer nicht verschwunden. "Feige?", fragte er spöttisch und nahm eine lässige Haltung an. Er war sich seiner wohl wirklich sicher.

Mein langweiliger Gesichtsausdruck sprach Bände, doch ich ließ mich dennoch auf sein Niveau herab und antwortete. "Ich entsinne mich einer Regel, die es mir untersagt, einem Jungwolf zu nahe zu treten, geschweige denn ihn Windelweich zu prügeln."

Er gluckste belustigt; schien mir kein Wort zu glauben. Warum sollte er auch? Immerhin war ich ein Bluttrinker, eine Fremde und ein gefährlicher Feind. An seiner Stelle, würde ich mich auch nicht so ernst nehmen, wie es vielleicht klüger gewesen wäre.

"Ist das so?", fragte er. "Aber ich denke nicht, dass irgendjemand etwas gegen ein kleines Spielchen einzuwenden hat. Oder?" Die Menge verneinte laut, gemischt mit leisem Gekicher.

Ich legte den Kopf schief. Was erwartete er durch diese Aktion?

"Bereit?", fragte er, in dem Glauben, ich bräuchte eine Warnung. Für wen, zum Teufel, hielt er mich? Für einen zweitklassigen Vampir, ohne jegliche Kampferfahrung? So naiv konnte er doch nicht sein, oder?

Mit brüllendem Geschrei griff er mich erneut an.

Scheinbar doch.

Die Jugend hatte heutzutage keinen Respekt mehr vor dem Alter.

Zuerst versuchte das Rothaar mich mit wildem Gefuchtel einzuschüchtern, wobei ich beinahe schon ein Gähnen unterdrücken musste. Es war einfach zu leicht.

Ich duckte mich unter einem weiteren Angriff hinweg, schlüpfte an ihm vorbei und ging wieder auf Abstand. Doch der Welpe ließ sich nicht unterkriegen, täuschte rechts an und zielte auf mein Herz. Ich ließ ihn treffen, was ihn wohl nicht zu erstaunen schien. Wäre das Selbstbewusstsein schmerzhaft, würde er schon längst winselnd am Boden kriechen.

Das Schwert durchstieß meinem - zugegeben, schmächtigen - Körper mit Leichtigkeit. Ein kurzer Schmerz flammte auf, doch verschwand beinahe genauso schnell wie er gekommen war.

"Geschieht dir Recht, elender Blutsauger!", knurrte er stolz.

Dunkles Blut rann äußerst langsam aus meiner Brust, floss die glänzende Klinge hinab und tropfte auf den Boden, wo bereits viele Ansammlungen der roten Flüssigkeit verspritzt waren.

Für einen kurzen Moment herrschte eiserne Stille. Nichts rührte sich, als wäre die Zeit stehen geblieben.

Zu meiner Schande entrang mir ein hysterisches Kichern, dass ich nicht länger zu unterdrücken vermochte.

Dieser einfältige Junge hatte es zu weit getrieben! Diese Unwissenheit konnte ich nicht länger ertragen. "Dummer, dummer Junge", säuselte ich und zerbrach die Klinge, als wäre sie ein unnützes Stück Holz. "Warum hast du nicht auf den Kopf gezielt?! Denkst du etwa, dieser lächerlicher Kratzer hätte auch nur das Geringste bewirkt?" Ich gewährte ihm einen minimalen Blick in mein Dekolteé, um die nicht mehr vorhandene Fleischwunde zu begutachten.

Das Rothaar erwiderte nichts; blinzelte lediglich erstaunt und setzte sein Schwert erneut in Anschlag.

Diesmal wurde er jedoch von einem furchterregendem Grollen gestoppt, dass in der ganzen Höhle widerzuhallen schien. Hitze und Kälte breitete sich gleichermaßen in mir aus, und machte dem Drang platz, den Welpen in seine Schranken zu weisen.

"Was geht hier vor?", knurrte seine Majestät persönlich und trat auf das Feld.

"Nichts!" Sofort ließ der Jüngling seine Waffe sinken, als wäre die Sache dadurch etwas weniger eindeutig. Aber warum sollte es ihn kümmern? Ich war doch diejenige, die sich an die Gesetzte halten musste und gerade in einer verzwickten Situation festsaß. "Ich habe unser neues Mitglied nur auf ein kleines Spielchen eingeladen."

Logans stechender Blick wanderte zu mir; zu dem Blut auf meiner Brust und letztendlich zu der mittlerweile roten Klinge des Jüngeren, dessen Gesicht unheimlich blass wurde. "Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen, Lukas?"

"Es war wirklich nur Spaß! Wir haben nur ein bisschen geblödelt!"

Hmmm. Auf einmal wirkte der Welpe tatsächlich wie ein kleines Kind, der sich vor einer Strafe fürchtete. Wieder wandte sich der Ältere, mit einem skeptischen Ausdruck im Gesicht, zu mir. "Stimmt das?"

Für einen kurzen Augenblick stellte ich mir vor, wie ihm die Wahrheit erzählte, und dieser kleine Feiglin dafür seine gerechte Bestrafung bekam, doch im Gegensatz zu ihm, war ich niemand, der die Schwächen anderer ausnutzte. Auch wenn es manchmal natürlich von Vorteil war.

"Es ist wahr", sagte ich zur Bestätigung und trat näher an den Türkisäugigen heran. "Es war nur ... ein Spiel."

Er hob seine dunklen Augenbrauen, und fragte sich mit Sicherheit, was mich dazu veranlasste dieses Balg in Schutz zu nehmen. Nun, das hätte ich selbst gerne gewusst.

Bevor Logan sich wieder abwandte viel mir noch etwas ein: "Wäre es vielleicht möglich Eurem Zögling eine kleine Lektion in Sachen Vampirkämpfe zu erteilen?"

Ich hätte eher damit gerechnet, von seiner Majestät einen Schädelbruch zu bekommen, statt seiner mehr als merkwürdigen Antwort, die mich dennoch in Hochstimmung versetzte. "Solange du ihn nicht umbringst ... und er sich danach auch noch an seinen Namen erinnert, ist es mir gleich."

Meine Augen leuchteten strahlend rot auf, und als sich meine Lippen zu einem breiten Grinsen verzogen, schoben sich meine langen Fangzähne vor. "Das würde ich doch nie wagen", wisperte ich in spielerischem Ton, der von Logan mit einem kurzen Zucken seiner Mundwinkel in Kenntniss genommen wurde.

Also drehte ich mich mit süffisamtem Mienenspiel zu meinem Opfer, der wohl nicht anders konnte, als bei meinem Anblick einen Schritt zurückzuweichen und mich mit großen Augen anzustarren.

"Jetzt werde ich dir zeigen, was ich unter Spielen verstehe."
 


 

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Ach ja, und wer in Zukunft eine Benachrichtigungs-ENS möchte, soll mir doch bitte Bescheid geben. :D
 

lg Angels

Blutdämon

„W-was hast du vor?“, fragte der rothaarige Jüngling nervös, machte einige Schritte zurück, als ich näher kam und mir dabei spielerisch die Lippen leckte. Seine Augen huschten immer wieder Hilfe suchend zu dem Rudelführer, der sich gelassen auf die Seite gestellt hatte und uns scheinbar desinteressiert beobachtete. Aber der Schein konnte trügen. Sollte ich es zu weit treiben, würde er mir mit einer Wahrscheinlichkeit von hundert Prozent die Gedärme herausreißen und sie wie Girlanden in der Höhle aufhängen. Aber vielleicht würde er mich einfach nur zerschfleischen, denn so viel Mode Sinn traute ich ihm einfach nicht zu.

Meine roten Augen huschten wieder zu Lukas, der sich mittlerweile an diese gigantische Waffenwand geschummelt hatte und hektisch nach einem geeigneten Ersatz für sein kaputtes Schwert suchte.

„Wie lange soll ich denn noch warten?“, fragte ich belustigt, mit einem Hauch Ungeduld in der Stimme. Er sollte ruhig wissen, dass es mir todernst war.

Er grunzte, aber nicht mehr so selbstsicher, als ihm wohl klar wurde, dass Logan mir gerade einen Freibrief erteilt hatte, ihm ordentlich eins über den Schädel zu ziehen. Und ich war um einiges stärker, als sein vorheriger Gegenspieler.

„Ich mache dich fertig“, flüsterte er grollend, packte zwei Schwerter und riss sie mit einem einzigen Satz aus dem Gestein.

O lá lá. C'est super!“, freute ich mich laut und grinste spitzbübisch. Wenigstens war er bereit alles zu geben, um mich dem Erdboden gleich zu machen, was bereits ein erheblicher Fortschritt war – auch wenn es ihm nicht das Geringste nützen würde.

Schreiend stürmte er auf mich zu, schneller als ihm das menschliche Auge folgen könnte, und nahm seine Schwerter in Anschlag.

Ich lächelte, warf mein Haar zurück und war, bevor auch nur das Geringste dagegen machen konnte, direkt vor ihm, rammte mein Knie in seinen Bauch und danach meinen Ellbogen in seinen Nacken.

Er stöhnte, stürzte zu Boden und landete im dreckigen Sand.

Ich lachte. „Oh, Allmächtiger! War das alles? Da habe ich selbst Menschen besser kämpfen sehen!“

„Sei still, Hurentochter!“, brüllte Lukas mich an, kämpfte sich wieder hoch und bleckte die Zähne. Seine Augen flackerten zwischen denen eines Menschen und die des Wolfes hin und her, scheinbar unschlüssig, was er als Nächstes tun sollte. Seine Schwäche in menschlicher Gestalt zugeben, oder den einzigen Ausweg wählen und sich verwandeln?

„Jämmerlich“, zischte ich nur, und gab somit den Startschuss für eine weitere Attacke.

Es wirkte auf mich nicht anders, als würde er mit Federn in Zeitlupe nach mir schlagen. Seine Bewegungen waren zu unkontrolliert, vorhersehbar. Meine Ausweichmanöver vielen also auch dementsprechend aus. Als der Welpe erneut eine Schwertspitze hervor schnellen ließ, sprang ich in die Höhe und landete gezielt auf der Klinge, die er noch immer von sich gestreckt hielt. „Ich korrigiere mich. Es ist nicht jämmerlich, sondern erbärmlich.

Mein Blutdurst kroch erneut aus der schwarzen Tiefe in meinem Inneren, verschärfte meine Sinne und aktivierte meinen Jagdinstinkt. Sein Herz schlug unregelmäßig und schnell – Musik in meinen Ohren!

„Das wirst du noch bitter bereuen!“

„Nicht, wenn du alleine kämpfst“, rief ich laut in die Arena, damit alle es hören und es als Erlaubnis sehen konnten, sich zu meinem kleinen Spielchen hinzu zu gesellen. Worauf wartete mein Festschmaus denn? „Na los! Wer traut sich? Oder seid ihr alle so feige“, ich sprang von der Klinge, duckte mich an den blitzenden Waffen vorbei und legte Lukas eiskalt aufs Kreuz, „wie er hier?!“ Ein weiterer Tritt meinerseits gegen seinen Unterleib ließ ihn schmerzerfüllt aufheulen. Er würde die Verletzungen, die ich ihm bis jetzt verpasst hatte, locker überleben; umso mehr machte es Spaß ihn niederzumachen.

Mein Lachen klang nicht mehr menschlich. Bösartig. Grausam. Spiegelte das wieder, was ich wirklich war.

Aber keiner regte sich. Die Halle war so leise, wie ein Tempel oder ein Kloster. Enttäuschend.

Wie selbstlos sie doch alle sind!, dachte ich sarkastisch und fühlte weder Triumph noch das befriedigende Gefühl des Sieges, das ich sonst immer verspürte, wenn ich jemandem meine Überlegenheit demonstriert hatte.

Ich seufzte tief und stellte resigniert fest, dass meine Augen wieder tiefschwarz waren. "Ich hatte mehr erwartet", murmelte ich leise, trat über Lukas hinweg und wollte auf Logan zugehen, um endlich mit ihm zu sprechen, doch ein Röcheln ließ mich inne halten. Wie ich aus der Ferne erkennen konnte, hob Logan eine Augenbraue und verzog seinen Mund zu einem schalk artigen Grinsen.

„Hmmmm“, machte ich, blickte mir über die Schulter und spürte, wie mein Herz einen kleinen Satz machte, als ich sah, wie der kleine, dumme Welpe, sich in eine aufrechte Position kämpfte und dabei war, sich mit vibrierendem Körper in einen Werwolf zu verwandeln. „Es ist noch nicht vorbei, Miststück“, fluchte er und spuckte Blut aus.

Ich grinste hämisch. „Das will ich doch stark hoffen.“
 

„Habe ich nicht gesagt, du sollst ihn nicht töten?!“

„Ich habe ihn nicht umgebracht!“, verteidigte ich mich. „Er ist nur … bewusstlos. Schon wieder.“

Seine wölfische Majestät knurrte und betrat die Arena. Wie üblich waren seine Bewegungen auf beunruhigende Weise faszinierend, wie er sich raubtierhaft auf uns zubewegte, und dennoch eine gewisse Würde auszustrahlen schien, die nur Königen zuteil wurde. Ich musste es ja wissen.

Schnell richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die anderen Anwesenden, und stellte dann enttäuscht fest, dass kaum noch jemand da war. Auf einmal kam mir die Höhle noch viel, viel größer vor.

Während ich mit dem Jungen meinen Spaß gehabt hatte, hatte sich die Zuschauermenge allmählich zerstreut, bis nur noch wenige den Mut aufbrachten, Lukas‘ Niederlage mit anzusehen. Doch jetzt, wo er erneut zu Boden gegangen war, und es nicht so aussah, als würde er gleich wieder aufstehen, machten sich auch die Restlichen von dannen.

Nur einige bekannte Gesichter blieben.

Kaiden zwinkerte mir zu. Ich verkniff mir ein Lächeln.

Dieser Kampf hatte mir einfach nur gut getan. Seit langer Zeit hatte ich gegen niemanden mehr gekämpft, doch glücklicherweise hatte ich mein Handwerk nicht verlernt. Wie auch nicht anders zu erwarten war, bei einer reinblütigen Vampirin. Ich hatte nicht einen einzigen Kratzer am Körper, während man bei dem Rothaarigen nicht einmal seine Nase unter dem vielen Blut erkennen konnte.

„Du hättest ihn nicht so entstellen sollen – seine Heilung wird Tage dauern! Wie viele Knochen hast du ihm zerschmettert? Sechs? Sieben?“, fragte Logan und hatte einen sehr vorwurfsvollen Gesichtsausdruck, der bei jedem anderen wohl bewirkte, dass sie reumütig den Kopf einzogen und verschwanden, doch scheinbar hatte er nicht allzu viel Erfahrung mit weiblichen Vampirinnen. Wir waren die grausamsten und hartnäckigsten Geschöpfe auf Gottes pestverseuchter Erde, und wir ließen uns niemals von einem einzigen grimmigen Blick einschüchtern.

„Es sind zwölf – und er wird es überleben, wie ich versprochen habe. Ich stehe zu meinem Wort.“

Der Werwolf schnaubte, schnitt eine Grimasse und winkte dann Kaiden und noch einen Werwolf zu sich, der bereits seit geraumer Zeit neben dem Grünäugigen gestanden hatte. Er war einer der Jäger die ich im Saal gesehen hatte, fiel mir auf, als sich der älter wirkende Mann - selbst Logan sah jünger aus, was er keinesfalls sein konnte, wenn er der erste Werwolf der ganzen Erdbevölkerung war - zu unserer kleinen Gruppe gesellte, und Logan abwartend anstarrte, während er versuchte, meine Anwesenheit gänzlich zu ignorieren.

„Kaiden, Rodrigo, bringt Lukas zu den Shamanen und seht zu, dass er wieder auf die Beine kommt.“ Etwas leiser, aber keinesfalls mit der Absicht etwas vor mir zu verheimlichen, fügte er hinzu: „Bald ist Vollmond.“

Ich legte den Kopf schief, musterte die drei angespannten Gestalten, die sich wissende Blicke zuwarfen und nickten.

Kaiden ladete sich den Jungen wie einen Sack Mehl auf die Schulter, als wöge er für ihn nicht mehr wie ein Kissen, und verschwand in einem der Höhlenausgänge. Rodrigo sammelte stattdessen die Waffen auf, rammte sie alle in das Gestein und folgte seinem Kameraden.

Ich wandte mich Logan zu, der Anstalten machte, ebenfalls zu gehen, doch ich war innerhalb eines Augenaufschlags vor ihm und verstellte ihm den Weg.

Er stoppte. Hatte das Gesicht gewohnt grimmig verzogen und schien ziemlich wüster Laune zu sein. „Was ist, Blutsauger? Noch immer nicht genug Blut vergossen?“

Ich legte den Kopf schief und blinzelte ihn an. „Das ist es nicht. Jedenfalls nicht direkt. Ich muss mit Euch reden.“

„Dann rede“, sagte er mit tiefer Stimme.

Ich konnte ihm ansehen, dass eine Unterhaltung mit mir ganz weit unten auf seiner Liste, von zu erledigenden Dingen, stand.

Mein Blick schweifte durch die Arena. Hier und da, waren noch ein paar Wölfe, die uns lauernd beobachteten und hoffnungsvoll darauf warteten, dass ihr Herrscher mir den Gar aus machte.

Er folgte meinem Blick und schnaubte. Als er mich mit einem Kopfnicken vorwärts dirigierte, tat ich wie geheißen und ignorierte die ärgerlichen Blicke in meinem Rücken.

Darin war ich gut. Die Augen vor den Dingen zu verschließen, die für mich nicht von Wert waren.

Unsere Schritte waren in dem Gemäuer nicht zu hören. Synchron traten unsere Füße auf den Boden, als wäre nur eine einzelne Person hier und würde durch dieses Labyrinth marschieren. Unter gewissen Umständen hätte mich das beunruhigt, sogar ziemlich paranoid werden lassen, doch ich spürte, dass mir von Logan keine Gefahr drohte – vorerst. Was er mit mir anstellte, wenn ich ihm von meinem Hunger erzählte, war eine andere Geschichte. Und eine sehr unschöne noch dazu.

Wir schritten, für meine Verhältnisse, langsam voran; mittlerweile war er genau neben mir.

„Wie viele von euch gibt es eigentlich?“, fragte er in die Dunkelheit hinein. Ob er mit mir sprach war fraglich.

„Inwiefern?“ Ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Sein Profil war völlig ruhig, als würde er gedanklich sehr vertieft sein und nur ein oberflächliches Gespräch mit mir führen.

„Wie viele reinblütige Vampire gibt es?“, wiederholte er seine Frage konkreter.

„Fünf“, erwiderte ich angespannt. Seit den Königsschlächtern hatte sich meine Blutsfamilie stark vermindert. Sollte ich auch nur einen von ihnen jemals begegnen, würde ich ihnen das Herz aus der Brust reißen und verschlingen.

„Nur fünf?“, fragte der Werwolf skeptisch, als wäre meine Behauptung völlig unmöglich.

Meine Gesichtszüge hatten sich verzerrt und meine Augen leuchteten wieder in grellem rot. „Ja“, zischte ich leise. Er hatte einen wunden Punkt getroffen.

„Und wer sind sie?“ Selbstverständlich schien ihn diese Nachricht zu erheitern, statt zu beunruhigen, was mich nur noch mehr zur Weißglut hätte treiben sollen, wenn ich nur nicht dieses neugierige Glitzern in seinen türkisen Augen gesehen hätte. Verflucht.

Sofort entspannte ich mich, wofür ich meinen Körper nur als Verräter abstempeln konnte. Ich rieb mir über den Nacken und fragte mich, wie lange es noch dauerte, bis ich ihm endlich gestehen konnte, dass mich mein Blutdurst allmählich wahnsinnig machte.

„Ich und Leonore, Pierre Philippe Guazatti und noch Tiger und Drake Winchester.“

„Erzähl mir etwas von ihnen. Warum seid ihr nur so wenig?“

„Teils weil andere Vampire jagt nach uns machen, andererseits weil unsere Nachkommenschaft ziemlich rar ist. Meine Schwester und ich wären diejenigen, die für die nächste Erbschaft verantwortlich wären, doch dies kann erst in den nächsten paar hundert Jahren geschehen."

Logan hörte gespannt zu; schwieg, damit ich weitersprechen konnte.

„Tiger und Drake sind noch Kinder, die erst in einem halben Jahrhundert erwachsen werden, und man weiß nie, wie viele Jahrzehnte ein Reinblüter - besonders die männlichen - brauchen, um ihren Blutdämon unter Kontrolle zu haben.“

„Blutdämon?“, fragte er verwirrt.

Ich nickte. „Der höhere Begriff für das, was allgemeinhin als <lechzen nach Blut> bekannt ist.“

„Verstehe“, murmelte er. Ich lächelte. Er würde es nie verstehen können, genauso wie ich niemals wissen würde, wie es war, zur Hälfte ein Wolf zu sein. „Und was ist dann mit diesem Guazatti?“

„Dies ist ein verbotenes Thema“, flüsterte ich, als würde uns irgendjemand belauschen. „Aber ich denke, das spielt nun keine Rolle mehr, solange es unter uns bleibt.“ Ich warf ihm einen prüfenden Blick zu, den er nur allzu ernst erwiderte, also fuhr ich fort: „Pierre Philippe Guazatti ist … nun, wie soll ich sagen? Er hat Gefallen am anderen Geschlecht gefunden.“

Er runzelte die Stirn. Wusste nicht, wie er es auffassen sollte.

Ich seufzte. „Männer“, half ich ihm ein bisschen, und Erkenntnis blitzte in seinen Augen auf, was sich schnell in Abscheu verwandelte.

„Vor ungefähr sechshundert Jahren, hatten wir versucht, ihn zu überzeugen – auf viele verschiedene Art und Weisen. Doch seine einzige Reaktion darauf war, dass er Fuchsteufelswild wurde und sich mit seinem männlichen Harem irgendwo in Griechenland niedergelassen hatte. Eine Katastrophe für unsere Hierarchie. Besonders da …“ Ich verstummte. Das Sprechen viel mir schwer, und Wut kochte wieder hoch. Hass auf Leonore und ihren dummen Thron, für den sie unsere Eltern hat abschlachten lassen.

„ Da was?“, fragte Logan und war stehen geblieben.

Ich blinzelte. Beinahe hätte ich vergessen, dass er anwesend war. „Nichts“, murmelte ich nur und schickte mich an weiterzugehen, doch der Werwolf packte mich am Handgelenk und sah mich wütend an. „Und was, Rebecca?“

Ich machte große Augen, als er zum ersten Mal meinen Namen aussprach. Für einen kurzen Moment musste ich wohl tatsächlich verrückt geworden sein, denn sonst hätte ich ihm niemals eine Antwort auf seine barsche Frage gegeben. „Meine Eltern, und die der Zwillinge auch, wurden zuvor ermordet. Einer nach dem anderen ist verschwunden. Kriege brachen aus, Familien und ganze Städte gingen unter“, flüsterte ich, wie aus weiter Ferne und entzog mich Logans Griff. „Es waren-“ Ich korrigierte mich. „Es sind schlimme Zeiten.“

Ich wagte es nicht ihn anzusehen. Ich konnte auf seinen Hohn und die Schadenfreude verzichten.

Als wir schweigend weitergingen, kamen wir an eine Abzweigung.

„Nach rechts“, antwortete der Werwolf auf meinen unausgesprochenen Gedanken und übernahm wieder die Führung.

„Wie war es eigentlich, als erster Werwolf der Welt aufzuwachen?“, fragte ich leise und erwartete mir erst gar keine Antwort. Sie war genauso unhöflich, wie zu einem frisch gewandelten Vampir zu sagen: „Na? Hat dir das Sterben gefallen?“

Glaubt mir, zwar konnte ich nicht aus eigener Erfahrung sprechen, doch laut Oleen, war es das Grauenerregendste gewesen, dass ihr je passiert war.

Und die Zeremonie der Umwandlung an sich, war bereits scheußlich.

„Es war sehr schmerzhaft, als Wolf einzuschlafen und als halber Mensch wieder aufzuwachen. Ich kann mich sonst an nichts Genaues mehr erinnern.“

Ich nickte stumm, auch wenn er mich hier hinten nicht sehen konnte. Manchmal verstand ich ihn einfach zu gut.
 

Ich fand mich in Logans Büro wieder, in dem ich, nach meinem kleinen Ausflug ins Jenseits, wieder aufgewacht war.

Und es war sogar noch beengender, als ich es in Erinnerung hatte. Beunruhigte ihn der Platzmangel denn nicht?

„Was ist es, worüber du sprechen wolltest?“, fragte seine Majestät nun und lehnte sich mit überkreuzten Armen gegen den Tisch, der die Hälfte des Raumes einnahm.

Ich stand noch immer unschlüssig vor dem Spalt und wagte es kaum, weiter einzutreten. Seine innere Ruhe machte mir irgendwie Angst. Wie Donnergrollen vor herannahendem Gewitter.

Seit dem Gespräch von vorhin, schien er mir gegenüber etwas offener zu sein, nicht mehr so kalt und abweisend, und ich sorgte mich darüber, wie er über mein Angebot, dass ich ihm zu machen gedachte, reagieren würde.

Dann wäre es ein für allemal vorbei mit den Nettigkeiten. Der Albtraum während meiner Totenstarre klebte mir noch immer unangenehm am Gaumen.

Aber es wäre ja zu schön um wahr zu sein, wenn ich eine andere Wahl gehabt hätte.

„Ich halte es bald nicht mehr aus“, platzte es mir heraus. „Der Blutdurst ist bereits zu stark, um ihn weiter verdrängen zu können.“

Logan fluchte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Ich wusste doch, ich hatte etwas vergessen.“

Ich lachte freudlos und kummervoll. Vergessen hatte er es! Das ein Vampir unter Seinesgleichen lebte und jeden Tag neben einer wandelnden Pulsader aufwachte!

„Aber eigentlich wäre das das Problem Tristans. Du bist seine Gefährtin, nicht meine. Also warum kommst du zu mir?“

Ich sah ihn perplex an. Irgendetwas an seinen letzten Sätzen hatte mich stark gekränkt, doch welcher war es gewesen?

Ich wischte den Gedanken beiseite. Es gab wichtiges zu klären. „Ich kann mich unmöglich an Tristans Hals bedienen! Ich könnte ihn umbringen!“

„Also besser ich, als er, oder was?!“, brüllte er und schlug mit der Faust auf den Tisch, so das er barst.

Ich schluckte und senkte den Kopf. „So hatte ich das nicht gemeint.“

„Und wie dann?“, fragte er garstig und ließ mich nicht aus den Augen, als ich einen Schritt näher trat. Ich musste ihn überzeugen!

„Ihr seid ein starker Mann; der König unter den Werwölfen und mit eisernem Willen beschenkt! Wer könnte mir sonst helfen, außer Euch?“

Logan kniff die Augen zusammen. Ihm musste doch klar sein, dass er der einzige war, der es im Notfall mit mir aufnehmen konnte.

Ich wollte einfach nicht dasselbe Fiasko erleben, wie es mit Tristan der Fall gewesen war. Ich hätte ihn beinahe ausgesaugt und er hätte es einfach so geschehen lassen.

„Wie oft?“, fragte er, und ich atmete innerlich aus. Doch der Kampf war noch nicht gewonnen. Ich durfte mich noch nicht in Sicherheit wiegen.

Ich dachte über die Frage nach. Normalerweise wäre eine Woche das Maximum, doch nachdem ich Tristans Blut getrunken hatte, war meine Ausdauer um einiges gestiegen. Ich war froh, dass Leonore nicht wusste, wie wirksam das Blut unserer – nein, ihrer Feinde war.

„Jede zweite Woche“, antwortete ich also wahrheitsgemäß.

Er grunzte. „Woher soll ich wissen, ob du nicht lügst?“

„Ich denke, dass nennt man wohl Vertrauen.“

Logan verzog das Gesicht. „Ich muss verrückt sein, dir das durchgehen zu lassen.“

„Mein Gedanke. Wie entscheidet Ihr Euch?“ Mein Herz schlug wild in meiner Brust, was es nur machte, wenn ich unter starkem Druck stand, und auch sonst war es eher ein schnelleres Pochen, statt diesem Trommelwirbel. In gewisser Weise empfand ich … Vorfreude.

Der Werwolf seufzte geschlagen, fuhr sich wieder durch die Haare und gab mir mit einem tödlichen Blick zu verstehen, dass ihm das überhaupt nicht gefiel. „Ich mache das nur für Tristan“, sagte er. „Dir bin ich zu gar nichts verpflichtet, doch du kannst dich glücklich schätzen, dass ich ihm noch etwas schulde.“

Ich nickte.

„Außerdem musst du dann auch etwas für mich tun.“

Ich runzelte die Stirn. „Und was wäre das?“

„Du wirst mir mehr von den Vampiren erzählen; den Bau des Schlosses, eure Schwächen und Stärken. Einfach alles. Und du wirst von nun an die Welpen in der Kampfkunst unterrichten.“

Mir blieben die Worte im Hals stecken. Ich sollte was?!

„Aber dann breche ich ja die Regeln!“

Dummer Grund, Becca. Schließlich konnte seine Majestät die Gesetze ändern, wie es ihm beliebte.

Besagter Mann zuckte die Schultern. „Sieh es als vorrübergehendes Abkommen. Ich werde diese Regel aufheben, solange dich jemand im Auge behält und im Gegenzug …“ Er zog die Augenbrauen nach oben und entblößte leicht seinen Hals, als er den Kopf neigte.

Ich schluckte. Der Mistkerl hatte mich in der Hand.

„Einverstanden“, gab ich mich geschlagen.

König schlug Dame.

Schachmatt.

Garten Eden

So, wie versprochen noch vor Ende des Monats ein neues Kapitel :)

Ich hatte mir ja eigentlich gedacht, es noch länger zu schreiben, allerdings wäre der Umgang weniger geschmeidig, wenn ich jetzt nicht aufgehört hätte.^^

Allerdings ... werde ich ab jetzt wohl ein paar Feinde bekommen xDD

Ohohoho, ihr werdet mich ja sooo hassen~ x3

Viel Spaß beim Lesen~
 

Ps.: Und entschuldigt bitte, dass es diesmal etwas schnöder zugeht als sonst xD

glg Angels

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„Ihr müsst mich wahrlich hassen“, meinte ich, als ich ein Stück Papier unterschrieb, auf dem unser Abkommen, inklusive Unterschrift, noch einmal schön dastand.

Seine Majestät erwiderte nichts, beobachtete mich lediglich wie ein Adler als ich meinen Namen unter den Text setzte und riss mir den Fetzen anschließend aus der Hand, um ihn sich noch einmal genau anzusehen. Wozu das gut sein sollte, wenn er ihn doch selbst verfasst hatte, wusste ich auch nicht.

Hauptsache ich kam bald an mein Blut.

„Alles zu Eurer Zufriedenheit?“, fragte ich leicht genervt und legte die angespitzte Feder neben das Tintenfass.

Logan schielte mit zusammengekniffenen Augen zu mir rüber und ließ dann nonchalant eine Augenbraue in die Höhe wandern. „Kannst es wohl kaum erwarten, an meinen Hals zu kommen, was Vampir?“

Ich verdrehte die Augen, als wäre es das letzte auf Erden was ich tun wollte, doch er hatte leider nicht ganz unrecht. Ich brannte regelrecht danach.

Der Werwolf rollte den Zettel zusammen und verstaute ihn in seinem Schreibtisch, ehe er sich wieder zu mir gesellte.

Ich konnte sein Blut praktisch durch die Adern fließen hören. „Erwartet Ihr noch jemanden?“, fragte ich leicht abwesend.

„Nein.“ Er taxierte mich prüfend. „Wann willst du –“

Ich ließ ihn nicht ausreden. War schneller als ein Lufthauch bei ihm und drückte ihn gegen die Wand. „Jetzt.“

Meine Nägel gruben sich in seine Schultern; mein Atem nur noch ein leises Keuchen. Er war etwas größer als ich, also musste ich mich auf die Zehenspitzen stellen, um an seine Halsschlagader zu kommen.

„Es gilt dasselbe wie vorhin“, ließ Logan noch einmal schnell in den Raum fallen. „Wenn du dumme Tricks versuchst, bist du deinen Kopf los, Blutegel.“

Er hatte sich leicht verspannt, als ich mich gegen ihn drückte, um ihm erneut über den Hals zu lecken, diesmal noch länger und genussvoller. Meine Ungeduld brachte mich schier um.

„Und ich habe es Euch auch schon einmal gesagt“, hauchte ich gegen seine feuchte Haut, woraufhin sich Gänsehaut bildete. „Ich stehe zu meinem Wort, Bastard.“

Und das nächste was ich spürte, als meine Fangzähne sein Hautgewebe durchstießen, war köstliches, beinahe fünfhundert Jahre gereiftes, Werwolfsblut auf meiner Zunge, wie es sich langsam einen Weg meine Kehle hinab bahnte.

Am Rande meines Bewusstseins konnte ich ein Stöhnen Logans wahrnehmen, und wie sich seine zu Krallen geformten Hände in das Gestein hinter sich gruben.

In meinem Inneren wurde es stiller; keine schreienden Dämonen mehr, die an meinem Verstand kratzten und nach mehr Toten verlangten.

Meine Güte, wessen Herz war es, das so schnell schlug? Meins, oder seins?

„Rebecca“, keuchte der Werwolf. Seine Stimme zitterte, klang wütend und gleichzeitig sanft.

Ich konnte kaum widerstehen. Die Versuchung selbst. Wie dachte ich einst?

– Wie der Garten Eden.

Ein Arm schlang sich um meine Taille, und drückte mich fester an den hitzigen Körper, an den ich mich klammerte. Raue Hände die über meinen Rücken und hinunter zu meinen Schenkeln strichen.

Okay, langsam stieg mir das Blut zu Kopf. Warum war mir so unerträglich heiß?

Ich löste mich von meiner Blutquelle und ein überraschter Schrei entwich mir, als Logan mein Knie mit seinen langen Fingern anhob, eine gewagte Umdrehung machte und nun plötzlich ich diejenige war, die an der Wand festgenagelt wurde.

Logan und ich starrten uns gegenseitig in die Augen, schätzten ab, was der andere als nächstes tun würde, völlig außer Acht lassend, dass unsere Lippen nur einen Daumenbreit voneinander entfernt waren.

„Jetzt wäre der perfekte Moment um aufzuhören“, keuchte der Werwolf heißer. Ich hing an seinen Worten und ignorierte völlig die Tatsache, dass ich das eigentlich hätte sagen sollen.

„Stimmt“, pflichtete ich ihm bei.

In der nächsten Sekunde lagen unsere Münder aufeinander, und verschlangen geradezu den jeweils anderen.

Er hatte einen würzigen, durch und durch gehenden Geschmack, der meine Sinne vernebelte und mein Gewissen in die hinterste Ecke meines Kopfes drängte.

Der Werwolf biss mich leicht in den Übergang zwischen Hals und Schulter, was mir ein kaum zu unterdrücktes Stöhnen entlockte.

Logan packte fester zu, hob mich hoch, damit ich meine Beine um ihn schlingen konnte und trug mich zu dem Schreibtisch, auf dem er mich vorsichtig niederließ, als könnte ich an dem zersplitterten Holz irgendeinen Schaden davon tragen.

Die Haut des Werwolfs war weich; als läge eine unsichtbare, Millimeter dünne, Fellschicht darüber und streichelte mich sanft, während der Rest von ihm sich nicht gerade mit Zärtlichkeit begnügte.

Ich küsste ihn, als ob mein Leben davon abhing, knabberte an seinen Lippen, ohne ihn dabei zu verletzten, obwohl die Aussicht auf mehr Blut äußerst verführerisch war.

Mir wurde zunehmend schwindliger, als seine Finger unter das Pantherfell tauchten und mich liebkosten, als gäbe es kein Morgen mehr.

Durch und durch verdorben, ging es mir durch den Kopf. Meine Augen brannten wie Feuer vor lauter Lust.

Wer weiß wozu das alles noch ausgeartet wäre, wenn meine Kette nicht plötzlich gerissen wäre, wie ein schlechtes Vorzeichen, dass ich gerade eine Schandtat begangen hatte und bitter dafür bezahlen würde.

Wie in Zeitlupe blickten wir den zu Boden fallenden Perlen nach, als wäre dies die Besieglung unseres Schicksals.

Unsere Nähe nahm ein jähes Ende, als nur noch die Feder zu Boden glitt.

Logan trat einige Schritte zurück, war bleich und sah aus, als hätte man ohne sein Zutun sein Todesurteil beschlossen.

Auf den Scheiterhaufen mit ihm!, schrie eine Stimme in meinem Kopf, die allerdings nicht mir gehörte, sondern dem Dämon in meinem Inneren, der so gerne Spielchen trieb.

Logans Augen waren starr auf seine Hände gerichtet, und als er den Kopf hob, lag in ihnen nichts als Hass. Glühender, alles vernichtender Hass.

Und der Grund dafür war niemand weniger als ich.

Und nehmt sie gleich mit!, schrie mein Monster und lachte schallend.

Was hatte ich nur getan?
 

Du“, grollte Logan, die Hände zu Fäusten geballt und vor unterdrückter Wut zitternd. „Was hast du getan?!“

„Ich –“ Doch er wollte es nicht hören. Zu furchtbar war für ihn dieser Albtraum. Ich konnte ihm nicht die Schuld geben, für das ich verantwortlich war.

Sollte er mich doch hassen und verfluchen. Sollte er mich doch bestrafen, oder töten, für diesen Augenblick.

Er hatte alles Recht der Welt dazu.

Alles meine Schuld.

Verschwinde!“, brüllte er; die letzten Worte ein ohrenbetäubendes Heulen des Wolfes, der aus seinem Käfig ausgebrochen war. Sein Gesicht verzerrte sich, als er zur Wandlung ansetzte. Knochen brachen mit einem lauten Knacken.

Meine Schuld.

Ich war weg, bevor ich die Verwandlung miterleben konnte. Das Grauen saß mir im Nacken. Mein schlechtes Gewissen hatte sich mit voller Wucht in den Vordergrund gedrängt.

Wohin rannte ich eigentlich?

Ah! Der große Hohlraum mit den Brücken! Ich rannte schneller, zischte wie der Schall an den Wölfen vorbei, die mir entgegen kamen. Berührte ich eigentlich noch den Boden? Ich spürte nichts unter mir.

Etwas Feuchtes rann mir über die Wange, als ich auf einem dieser Gerüste stoppte, und nach unten blickte, um die Höhe einzuschätzen.

Eine Träne.

Ich runzelte die Stirn, war wütend über meine extreme Reaktion und wischte den Beweis für etwaige Gefühle schnell weg. Ich würde meine Verletzlichkeit doch nicht so öffentlich kund tun, wie ein kleines Kind, dass nichts von den Grausamkeiten dieser Welt wusste.

Ärgerlich blinzelte ich und sah mich um, ob mich jemand beobachtete hatte. Nein, niemand.

Doch mein Zorn war noch nicht verraucht – oder war es nur der Schmerz, den ich zu verdrängen versuchte?

Nein, ganz klar Zorn.

Woher hätte ich wissen sollen, dass es dazu kommen würde?! Als ob ich nicht genauso schockiert gewesen wäre wie er!

Ich zischte einen Fluch in Spanisch und sprang vom Gerüst, weiter hinunter, vorbei an den anderen Brücken fallend; immer tiefer, bis ich auf dem Grund landete.

Die Knochen in meinen Beinen zersplitterten wie Glas, doch das interessierte mich herzlich wenig, ich wollte rennen und erst stoppen, wenn es nicht mehr weiter ging. Wenn ich vor dem Ausgang stand und vor Augen hatte, dass ich jederzeit gehen konnte. Das ich wenigstens die Illusion einer Wahl hatte.

Aber so leicht war das Leben nun mal nicht, und der Tod erst recht nicht. Im Grunde fingen da die Probleme erst an.
 

Ich wusste gar nicht mehr, wann ich wieder in meiner und Tristans kleinen Höhle gelandet, war; nur, dass ich mehrere Stunden lang gerannt war, als wäre der Teufel persönlich hinter mir her – den ich in diesem Falle, gerne gegen Logan eingetauscht hätte, doch man bekam ja bekanntlich nie das, was man wirklich wollte – und stoppte erst, als der Geruch meiner blutenden Füße, neugierige Scharen an Jungwölfen anlockte.

Tristan war nirgends zu sehen. Ich hatte während meines Laufs aufgeschnappt, dass er und die Jäger ihrem König nach Draußen gefolgt waren, weil dieser wie ein Berserker gewütet hatte.

Im Stillen war ich dankbar, dass ich meinem Gefährten noch nicht gegenüber treten müsste. Vielleicht würde ich letztendlich dann doch noch in einem Heulkrampf enden, und diese Blamage wollte ich einfach niemandem zumuten.

Außerdem, wer sagte mir, dass Logan Tristan nicht längst gebeichtet hatte, was zwischen uns vorgefallen war? Auch wenn es nichts zu bedeuten gehabt hatte. Wahrscheinlich nur eine ziemlich abstruse Nebenwirkung auf Werwolfblut. Das erste Mal bei meinem Mann war ja auch nicht viel anders gewesen.

Okay, okay! Ich machte mir gerade verflucht nochmal etwas vor, aber anders würde ich mein blödes Gewissen nie wegbekommen! Und ich war definitiv nicht der Typ, der sich für alles die Schuld gab! Ich war kaltherzig, und es war mir normalerweise auch völlig egal, wenn jemand litt, ob es nun meinetwegen war, oder nicht.

Ich schälte mich aus meinen Sachen und krabbelte unter die kuschelige Decke. Tristans ganz persönliche Duftnote klebte noch immer deutlich daran. Ich vermisste ihn.

Ich konnte kaum glauben, dass ich ihn erst heute Morgen zuletzt gesehen hatte. Es kam mir viel zu lange vor.

Ich zog mir die Decke über den Kopf und lauschte meinem Atem. Ein, und nach knapp einer halben Minute wieder aus. Tausend Sachen schwirrten in meinem Kopf; alle die nichts mit Krieg und Intrigen zu tun hatten; auch nicht mit Logan oder Tristan, oder irgendwem sonst. Einfach … über mich.

Wann war ich nur so geworden? So melancholisch und butterweich, das ich selbst einen Nerv tötenden Wolfsjungen am Leben ließ? Oder jedenfalls nicht soweit verprügelte, dass sich dieser nicht mindestens über sein Ende gefreut hätte.

Das wäre ich gewesen. Die wahre Rebecca DelMar.

Ich hasste es verweichlicht zu sein, oder so schnell aus der Bahn geworfen zu werden, und da hatte mich seine Majestät auf einem ganz falschen Fuß erwischt.

Aber er hatte mich nicht umgebracht, das sollte ich ihm vielleicht zugute halten. Nur ein kleines bisschen.

Außerdem war ich wieder satt, fühlte mich so stark und kräftig wie lange nicht mehr und hätte vor lauter Übermut Bäume ausreißen können. Bei Menschen hatte ich mich nie so gefühlt. War das Blut von Wölfen immer so? Oder lag es daran, dass ich an der Quelle des Ursprungs getrunken hatte?

Ich grummelte in mich hinein, weil ich schon wieder über Logan nachdachte, als ich plötzlich Gemurmel unweit meines kleinen Heims wahrnahm.

Ich hielt die Luft an, sorgte dafür, dass mein Herz einen regelmäßigeren Rhythmus einnahm, statt diesem holprigen Klopfen und lauschte angesträngt.

„ … schon mal gesehen?“, fragte eine männliche Stimme leise.

„Das war wirklich merkwürdig“, stimmte eine ebenso fremde Frauenstimme ihrem Begleiter zu. „Hast du ihn in den letzten hundert Jahren schon mal so aufgebracht erlebt? Ich dachte er würde uns gleich umbringen!“ Die Stimme war schockiert. Meine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. So eine Reaktion kannte ich doch irgendwoher. Den Eindruck, dass die Person vor einem gleich mit einem lauten Schrei auf einen losging und ihn, zum Beispiel, in Fetzten riss.

Ich wusste, dass es um Logan ging, noch ehe ich seinen Namen aus dem Mund des Mannes hörte. Er war nicht minder überrascht. „Ob Logan sich mit jemandem gestritten hatte? Katarin meinte, sie hätte Logan mit dem Blutsauger weggehen sehen.“

„Na dann wundert es mich nicht!“, sagte die Frau, und ich konnte ein leises Schnauben hören, und Nägel, die über Stein fuhren. „Dieses Miststück bringt nur Ärger! Es wundert mich, dass Tristan auch nur das Geringste in ihr sieht!“

Ich ächzte. Sollte ich diesem Weib jemals über den Weg laufen, würde ich meine Fänge an ihr wetzten.

Eine neue Stimme, die mir definitiv bekannt vorkam, meldete sich zu Wort. „Deine Vorurteile kotzen mich echt an, Natalia. Tristan würde es gar nicht gefallen, wenn du so über seine Gefährtin redest. Wenn er das je zu Ohren bekommt …“ Kaiden ließ den Satz unvollendet.

Ich empfand entspannende Schadenfreude, als Natalia – bedeutete dieser Name nicht ‚die Geburt des Herrn?‘ – plötzlich japste, und mit einer derartigen Aggressivität in der Stimme, dass es einem eiskalt den Rücke runter laufen konnte, knurrte: „Wag es ja nicht, ihm auch nur ein Wort hiervon zu erzählen! Schlimm genug, dass Logan scheinbar auf uns sauer ist, doch wenn das jetzt Tristan auch noch mitmacht, wird das blutig enden!“

Darauf hatte scheinbar niemand etwas zu erwidern.

Ich grub mir die Fingernägel in die Haut, bis meine Finger taub wurden, und überlegte. Den Rest des Gesprächs ignorierte ich. Ich wollte das alles nicht hören, denn sonst … zu spät. Mein schlechtes Gewissen war längst wieder da.
 

Einige Stunden später, als ich langsam in die tiefschwarze Endlosigkeit eines Vampirschlafs abzudriften begann, denn ich mir nach einigen Wochen Schlaflosigkeit und völliger Selbstbeherrschung, auch redlich verdient hatte, spürte ich, wie sich ein warmer Körper neben mich legte und mich von hinten umarmte.

Ein bekannter Duft stieg mir in die Nase. Tristan roch nämlich immer nach diesen gutaussehenden Brokat Nüssen, die es so selten gab. Aber ob sie auch genauso köstlich schmeckten, konnte ich nur schwer beurteilen, da meine Nahrung hauptsächlich flüssiger Herkunft war. Rohes Fleisch kam nur selten vor.

Ein breites Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus, als ich mich langsam zu ihm umdrehte und von hellbraunen Augen prüfend gemustert wurde, die allerdings durch mich hindurch zu blicken schienen. Seine Mundwinkel waren leicht verrutscht, und seine Augenbrauen hatten sich nach unten gezogen.

Ein schlechtes Zeichen.

„Tristan?“, flüsterte ich besorgt und legte ihm eine Hand auf die Wange. Hoffentlich bemerkte er nicht, dass meine Körpertemperatur nicht mehr der einer Leiche glich, sondern sich auf mindestens auf zwanzig Grad hinauf katapultiert hatte.

Aber er schien mit seinen Gedanken ganz weit weg zu sein, und wachte nur langsam aus seiner Trance auf.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte ich, mit einem gigantischem Kloß im Hals, der mir das Sprechen erstaunlich schwer machte. Hatte Logan ihm letztendlich doch von unserer Abmachung erzählt? Würde er mich nun dafür verachten und verstoßen?

Nein.

Mein Gefährte lächelte schwach; aber immerhin etwas. Es lag also nicht an mir.

„Es ist wegen Logan …“, sagte Tristan langsam und ich widerstand dem Drang, die Augen zu schließen und tief auszuatmen. „ … er war vorhin ziemlich aufgewühlt. Barbarisch, um es genau zu nehmen. Ich wusste noch nicht einmal, dass er so viele Flüche kennt.“ Er verzog das Gesicht und schenkte mir ein kurzes, schiefes Grinsen. Stein bröckelte von meinem Herzen. Ich war unglaublich erleichtert, dass seine schlechte Laune nicht direkt mit mir zu tun hatte, auch wenn mein Dämon mit gehässigem Kichern immer wieder ‚Die Lügnerin in dir ist noch nicht verloren gegangen, Rebecca. Du erfüllst unsere Art mit Stolz‘ wisperte.

Ich schluckte. „Was ist passiert?“

Tristan zuckte halbherzig die Schultern und seufzte tief. „Keine Ahnung. Als ich ihn gesehen habe, wie er in Werwolfgestalt und mit gefletschten Zähnen durch das Tunnelsystem gerannt ist und irgendjemanden gesucht zu haben scheint, bin ich ihm spontan gefolgt und versucht, ihn nach draußen zu drängen, bevor noch die anderen Wind davon bekamen. Einige unter ihnen, die Jüngeren, haben nämlich schreckliche Angst vor dem Tier in ihm. Kurz darauf schlossen die anderen Jäger zu uns auf. Gemeinsam scheuchten wir ihn in den Wald, in dem er dann seine Wut ausgelassen hatte. Und die war wahrlich mörderisch.“

„Und dann?“, hackte ich nach. Mein Wissensdurst war noch nicht gestillt. Wie viel hatte Logan verraten?

Tristans Miene verzerrte sich wieder ein bisschen. Die Erinnerung musste ihm alles andere als Freude bereitet haben. „Er wollte noch auf uns losgehen, konnte sich aber scheinbar noch rechtzeitig davon abhalten uns auseinander nehmen zu wollen, und knurrte nur ein Wort, dass sich verdächtig nach ‚Blutegel‘ angehört hatte, ehe er wie der Wind verschwunden ist.“ Ein tiefes Seufzen entwich aus der Brust meines Gefährten. „Manchmal verstehe ich ihn einfach nicht.“

Mit traurigen Augen strich er über meine Haare und wickelte sie sich um die Hand.

Ich biss die Zähne fest aufeinander, um mich von der nächsten Frage abzuhalten, doch Unruhe brodelte wie heißes Magma in mir und ließ mir keine Ruhe. „Und wohin ist er gegangen?“, fragte ich leise, nicht sicher, ob ich die Antwort überhaupt wissen wollte.

„Wahrscheinlich jagen“, meinte Tristan, und schien nicht zu viel in Logans plötzlichen Aufbruch hinein zu interpretieren. „Er wäre ohnehin noch Ende dieser Woche verschwunden, so wie zu jeder Zeit des Vollmonds.“

Ich hob die Augenbrauen. Dieser Vollmond schon wieder. „Warum geht er zu dieser Zeit fort? Und was hat es mit dem Mond auf sich?“

„Zu Vollmond erwacht das Tier in uns. Die Älteren von uns sind anfälliger für Wutausbrüche und Mordlust, die uns zu dieser Zeit heimsuchen. Deshalb gehen wir zu dieser Zeit in die Berge, um niemandem aus dem Rudel zu schaden, doch unglücklicherweise kommt nicht jeder wieder zurück. Wenn es um die Auswirkungen des Mondes auf uns geht, dann sind wir unberechenbar.“

Hmmm. Wie konnte man denn noch mehr Tier sein, als ohnehin schon?

Ich beobachtete ruhig, wie Tristan weiter mit meinem Haar spielte, dabei öfters meine Schulter und meinen Hals berührte, allerdings keine Avancen mehr zu veranstalten versuchte.

Fransige Strähnen fielen ihm über die Augen, und seine äußerst ansehnliche Brust schimmerte feucht, von den Strapazen des heutigen Tages.

Ich leckte mir über die Lippen, sofort haftete Tristans Blick auf meinem Mund. Er hatte die Luft angehalten und noch ehe er zum sprechen ansetzten konnte, saß ich rittlings auf ihm und grinste anzüglich auf ihn herab, so wie er es schon so oft bei mir getan hatte.

Mein Gefährte lachte gequält, als ich langsam die Hüften kreisen ließ.

„Sag mir jetzt bitte nicht, dass das ein Scherz ist, Becca. Ich glaube, das würden mein Herz und Schwanz nicht mitmachen.“

„Ist das so?“, fragte ich mit verführerischer Stimme, und deutete an, von ihm abzusteigen, doch er packte mich fest an den Hüften und hielt mich an Ort und Stelle.

Ich grinste; er lachte gequält. „Du bist wirklich grausam, meine Schöne! Warum dieser Sinneswandel?“

Ich blickte kokett auf ihn herab und kratzte mit den Fingernägeln leicht über seinen Oberkörper, hinab zu tieferen Regionen …

Mein Mann schnappte nach Luft, versuchte sich aber nicht anmerken zu lassen, dass er mir völlig ausgeliefert war. Natürlich brach seine eher lachhafte Fassade mit jeder weiteren Berührung, die ich ihm zuteil werden ließ.

„Weißt du, ich dachte, ich sollte dich für deine Geduld mit mir belohnen.“ Außerdem wollte ich ihn wieder aufheitern, nach diesem Desaster mit seiner königlichen Hoheit, für das wiederum nur ich verantwortlich war.

Tristans Augen glommen in einem dunklen Goldton, als seine Finger meine Hüften hinauf glitten. „Ja, ich bin ganz deiner Meinung.“

Oh, ich spürte nur allzu gut, wie sehr er das war.

Ich beugte mich zu ihm hinab und gab ihm einen langen, innigen Kuss.

Freu dich, Schatz, du hast es hier mit einer Vampirin zu tun, die um die achthundert Jahre Erfahrung sammeln konnte.

Nein, diese Nacht würde er bestimmt nicht mehr vergessen.

Unerwartete Gäste

Hmmmm, ich bin seltsamerweise höchst unzufrieden mit diesem Kapitel und ich hab nicht den blassendsten Schimmer wieso. :/

Hoffentlich kann mir jemand sagen woran das liegt xD'

Viel Vergnügen beim Lesen :3
 

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Es war erstaunlich wie drastisch sich Tristans Laune gebessert hatte, nachdem ich mit ihm geschlafen hatte. Er schien praktisch von innen heraus zu strahlen und überschüttete seitdem jeden mit seiner Freundlichkeit.

Es waren kaum zwei Tage vergangen, und noch immer war er wie berauscht von unserer gemeinsamen Nacht. Er war zärtlich gewesen, als hätte er es mit einer kostbaren Antiquität zu tun, und nicht einer uralten Vampirin die eine ganze menschliche Armee im Alleingang abschlachten konnte. Er benahm sich verblendet. Manchmal kam es mir so vor, als sei er getrübt von meiner Schönheit und Eleganz, völlig außer Acht lassend, das ich gefährlich war.

Und das machte ihn schwach. Meine Paranoia steigerte sich allmählich ins Unermessliche.

In diesem Augenblick saßen wir in einer Art Speisesaal, etwas abseits von den Anderen.

Es gab keine Tische im weitreichenden Sinne, sondern eher von Klauen geformte Gesteinsbrocken, die in dem gesamten Höhlenraum verstreut waren.

Auf dem größten Gesteinsblock standen drei Kessel, mit einer Brühe darin, die aussah wie eine Mischung aus Suppe und zermatschtem Fleisch, an denen sich die Rudelmitglieder nach Belieben bedienten.

Auf jeden Fall hatte es eine sehr bräunliche Färbung, die mir ganz und gar nicht gefiel, und dass Tristan das Zeug auch noch so sorgenlos in sich hinein schaufelte, sogar noch weniger.

Aber umbringen würde es ihn wohl kaum. Schließlich musste er es schon öfters gegessen haben, bevor ich aufgetaucht war.

Allein dieser Gedanke bereitete mir Kopfzerbrechen, aber ich traute mich nicht ihn darauf anzusprechen. Nicht, wenn so viele andere Werwölfe in der Nähe waren und uns mit Argwohn beobachteten.

Ich wusste nicht, wie ich es geschafft hatte, doch seit Logans verschwinden schien der Hass der anderen auf mich nur noch gewachsen zu sein. Berechtigt – doch ich denke, dass seine Majestät stillschweigen geleistet hatte und seinen Vertrag mit mir nicht brechen würde. So ehrenlos war er nicht.

Ungerührt erwiderte ich die Blicke, begegnete dem ein oder anderem bekanntem Gesicht, doch das türkise Augenpaar nach dem ich Ausschau hielt, war nicht da. Mein Unmut wurde mit jedem Tag, jeder Stunde, größer. Und innerlich ärgerte ich mich darüber, dass ich im König der Werwölfe eine solche Schwäche gefunden hatte.

Wenn ich ihm gegenüberstand, seine geballte Wut entgegen geschleudert bekam, hatte ich weit weniger Angst, als wenn ich ihn überhaupt nicht sah.

Ich versuchte meine unnützen Gedanken auszublenden, konzentrierte mich wieder voll und ganz auf meinen Gefährten, der die letzten Reste aus seiner hölzernen Schüssel kratzte.

Plötzlich spürte ich einen stechenden Druck im Nacken, wirbelte herum, packte meinen Angreifer am Arm und schleuderte ihn mit einem gezielten Schlag auf den Brustkorb von mir. Dieser flog in hohem Bogen gegen die nächstliegende Steinwand und hinterließ einen klaffenden Riss, als er hinab rutschte und dabei ein Wolfspaar vertrieb, das sich dort niedergelassen hatte.

Sofort war ich bei dem blonden Jungen mit den saphirblauen Augen und musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen.

Als er den Arm hob, ging ich in Angriffsstellung, doch dieser hatte lediglich einen Holzlöffel, mit einem leicht spitz zulaufenden Griff, in der Hand. Keine Waffe weit und breit.

„Ziemlich voreilig, Süße“, sagte der Junge, dessen entschlossene Miene mir auf irgendeine Weise bekannt vorkam. „Du solltest dich etwas mehr in Geduld üben.“

Das angehaltene Schweigen, das den Raum ergriffen hatte, löste sich allmählich, als einige leise zu kichern anfingen.

Tristan warf mir von seinem Platz aus ein spitzbübisches Grinsen zu und gesellte sich dann mit einem Sprung zu uns. „So schnell wieder auf den Beinen, Gerard?“

Ach. Jetzt fiel es mir wieder ein. Er war einer der Jungen, die ich aus dem Kerker des Schlosses befreit hatte, um Tristan die Diamantenkette zurückbringen zu lassen. Tristan hatte die beiden bei meiner ersten Begegnung mit Logan erwähnt.

Gerard verzog das Gesicht und grinste schief. „Als ob ich eine andere Wahl gehabt hätte.“

Mein Werwolf lachte und klopfte dem Jungen aufmunternd auf die Schulter. „Da hast du allerdings recht. Was die Genesung angeht, kann Symphonie ziemlich penetrant sein.“

Ich räusperte mich leicht. Die Aufmerksamkeit der beiden wurde mir wieder zu teil und ich deutete mit gerunzelter Stirn auf den Löffel, den Gerard noch immer fest in seiner Hand hielt. „Was wolltet Ihr damit bezwecken, mir diesen … Löffel in den Nacken zu drücken?“ In meiner Stimme lag pure Missbilligung. Er hatte sich selbst zuzuschreiben, wenn er sich bei meinem Schlag etwas getan hatte, doch er schien unversehrt und kratzte sich nervös am Hinterkopf.

Auf einmal wurden sein Wangen rosig, als würde er sich dafür schämen was er getan hatte.

Ich legte den Kopf schief, und war erneut verwundert darüber, dass ich nicht den Hauch von Durst verspürte, der mich noch zu Anfang so unerbittlich gequält hatte. Durch Logans Blut, war dieses Verlangen einfach weg. Und ich konnte seit langer Zeit einmal wieder klar denken, spekulieren, mich konzentrieren. Befreiend wie eine hereinbrechende Nacht.

„Naja“, brachte er schließlich über die Lippen und wurde nur noch röter. „Ich wollte dir den Löffel eigentlich schenken. Wie hätte ich wissen sollen, dass du so reagierst?“

Ich verzog keine Miene, dafür spannte sich Tristan allerdings deutlich an und fixierte seinen Freund wie einen ernst zunehmenden Rivalen.

„Wozu brauche ich denn einen Löffel?“, fragte ich verwirrt und musterte das scheinbar selbstgeschnitzte Holz. Sogar mein Vorname war darin eingraviert.

„Es ist ein Zeichen von Zuneigung, wenn man etwas selbstgemachtes geschenkt bekommt“, knurrte mein Gefährte und blähte die Nüstern. „Sag, willst du mich reizen, Gerard?“

„Nein!“, erwiderte der Jüngere sofort und leicht empört. „Verflucht, ich wollte mich doch nur bedanken!“

„Das hättest du auch anders tun können!“, fauchte der andere zurück und knurrte.

Ich sah zwischen den beiden hin und her. Diese aufkeimende Aggressivität in ihren Stimmen gefiel mir ganz und gar nicht.

Wieder herrschte Stille untern den Zuschauern. Das Gespräch eskalierte zunehmends.

Warum mussten diese Werwolfmänner nur immer solche Probleme veranstalten?! Womit hatte ich das verdient?

Mittlerweile wurde auch Gerard zornig. „Mir ist nichts anderes eingefallen! Sie ist ein Blutsauger, woher hätte ich wissen sollen, was sie mag und was nicht?!“

„Du hättest mich fragen können!“

Wenn nicht gleich jemand etwas unternahm würden die beiden aufeinander losgehen! Und auf eine Szene inmitten der ganzen Schar hatte ich keine Lust – jedenfalls nicht schon wieder. Doch bevor ich auch nur den Mund aufmachen konnte, spürte ich die starke Präsenz einer bestimmten Person in meinem Unterbewusstsein aufflammen und wurde im nächsten Moment von einem tiefen Grollen hinter meinem Rücken begrüßt, so dass es mir einen kalten Schauer die Wirbelsäule hinunter jagte.

„Was geht hier schon wieder vor?“, fragte er ruhig und gleichzeitig ziemlich genervt, als wäre er nie fort gewesen und müsste sich zum wiederholten Male um seine aufsässigen ‚Pflegekinder‘ kümmern, die nichts als Schabernack im Sinn hatten.

Ich schloss die Augen, als ich Logan so dicht hinter mir spürte, und es sich dennoch so anfühlte, als liege ein gewaltiger Graben zwischen uns. Doch Distanz war im Augenblick das einzige, was uns vor noch größerem Schaden bewahren konnte, also streckte ich meinen Rücken, atmete tief ein, drehte mich um, und blickte ihn, mit so viel Stolz wie ich aufbringen konnte, direkt in seine hellen Augen in denen ein merkwürdiger Ausdruck lag, der mir das Atmen gewaltig schwer machte.

Aber ich durfte mir nichts von meiner inneren Zerrissenheit anmerken lassen, denn jede Schwachstelle würde dieser Werwolf gnadenlos ausnutzen.

„Logan, gut das du da bist“, sagte Gerard, erleichtert darüber, dass sein Anführer gekommen war, um dieses Missverständlich wieder in Ordnung zu bringen. „Tristan will mir nicht glauben, dass ich ihr“, er nickte in meine Richtung und ich rümpfte beleidigt die Nase, “den Löffel nur als Dank schenken wollte – ohne Hintergedanken!“

„Wenn er ihre Tradition schon nicht berücksichtigt, dann wenigstens unsere!“, fauchte Tristan zurück und zog mich an sich, weg von Logan, der uns alle kritisch musterte. „Und wenn er ihr etwas schenken will, dann soll es gefälligst unpersönlicher sein!“

„Ach, hätte ich ihr vielleicht den Kopf eines Werwolfs überreichen sollen?!“, schrie der Jüngere und ein kalter Luftzug wehte über unseren Köpfen hinweg.

Angeregte Diskussionen und Wetten wurden sofort eingestellt und alle erwarteten mit angehaltenem Atem eine Antwort.

Ich seufzte und rieb mir die Schläfen. Hatte ich eigentlich ein Recht dazu, mich da einzumischen? Immerhin ging es hier um die Traditionen von Wölfen, und ich bezweifelte, auch das Geringste von dem zu verstehen, was sie mir erklären würden.

Gefühle waren ja so ansträngend.

„Ich würde nie –“, begann ich, doch seine Majestät unterbrach mich barsch, mit einem Laut der keine Wiederworte duldete.

„Genug jetzt! Hört auf euch wegen so einer Lappalie zu streiten.“ Er sah mich zwar nicht direkt an, doch ich wusste ganz genau, dass diese Bemerkung besonders an mich gerichtet war – die Ursache allen Übels. „Und was dich angeht, Tristan, reiß dich zusammen und halte deine Eifersucht im Zaum. Es wird hier von keinem Paar geduldet, die Kontrolle zu verlieren.“ Eine klare Drohung. Und niemand wagte es zu wiedersprechen.

Ich war so erstaunt, dass sich dieser heftige Streit einfach in Nichts aufgelöst hatte, dass ich beinahe nicht gemerkt hätte, wie sich mir Logan zuwandte.

„Ich habe dir etwas mitgebracht“, sagte er voller Verachtung in der Stimme und deutete auf den Eingang hinter mir.

Ich drehte mich, um fragte mich was wohl diesmal der Grund für seine schlechte Laune war und erstarrte, als ich die drei Vampire sah, die von sieben Wächtern in Schach gehalten wurden.

Meine Augen wurden groß, als ich Oleen und Evelyn unter ihnen erkannte. Das Gesicht meiner ehemaligen Kameradin war trotzig verzerrt, während sich das kleine Biest Zähne fletschend freizukämpfen versuchte.

Den dritten Vampir im Bunde kannte ich nicht. Doch laut dem blutroten Mantel mit der Kapuze, die er sich tief über den Kopf gezogen hatte, und den glänzenden Silbermessern, die aus seinen Stiefeln wie auch aus seinem Gürtel und den Hosentaschen lugten, musste es sich hier um einen Söldner meiner Schwester handeln.

Söldner waren die persönlichen Schergen Leonores. Personen, gegen die sie einen Groll hegte, wurden von ihnen unauffälligem aus dem Weg geräumt, doch dabei waren sie nicht weniger grausam, als die anderen, wenn nicht sogar tausendmal schlimmer.

Und alle drei befanden sich hier. Direkt in der Mitte ihrer Feinde, umzingelt von einer gewaltigen Horde an Wölfen.

Warum?

„Herrin!“, kreischte Oleen und ihre blauen Augen blitzten mich sorgenvoll an. „Geht es Euch gut?!“ Mit einem gezielten Tritt, wehrte sie den Biss eines Werwolfs ab, der nach ihrem Bein schnappen wollte und versuchte zugleich, näher an mich ranzukommen.

Mir entwich die Luft in einem kurzen, entsetzten Stoß, als ich die klaffende Brustwunde sah, die man ihr mit scharfen Klauen zugefügt hatte. Ihr halber Brustkorb lag offen.

„Oleen!“, schrie ich, Panik schwang in meiner Stimme mit. Ich machte einen Schritt auf sie zu, doch Logan stellte sich mir in den Weg. Ich fauchte ihn an. „Lasst sie frei!“

Seine Majestät hob eine Augenbraue. „Und warum sollte ich das tun? Ich habe die drei dabei erwischt wie sie versucht hatten, durch einen der versteckten Höhleneingänge bei uns einzudringen. Was meinst du, hatten sie vor?“ Er beugte sich zu mir herab, seine Lippen lagen an meinem Ohr, als er flüsterte: „Und sie kamen bestimmt nicht mit friedlichen Absichten.“

„Fasst meine Herrin nicht an!“, kreischte meine blonde Gefährtin, schnappte sich eines der Messer des Söldners und schleuderte es mit einer hundertprozentigen Treffsicherheit nach Logan.

Ich stieß den großen Mann beiseite und fing die Waffe im Flug ab, deren geschärfte Klinge mir tief ins Fleisch schnitt. Tristan brüllte und stürzte sich auf das Trio, doch ich war schneller und hielt ihn auf, ehe er noch eine Dummheit begehen konnte. „Warte! Bitte, warte!“, flehte ich und stieß ihn von den Gefangenen fort.

Seine Majestät stieß ein ohrenbetäubendes Grollen aus, als sich noch mehr der Anwesenden in Werwölfe verwandelten und sich auf die Vampire stürzen wollten.

Unstimmiges Knurren drang aus ihren Reihen, doch man hatte beinahe augenblicklich damit aufgehört die drei Fremden weiter zu bedrängen. Was nicht bedeutete, dass diese nun freie Bahn hatten. Ganz im Gegenteil; mehr als ein Dutzend tückischer Augen lagen auf ihnen und musterten sie wie Frischfleisch – was sie wohl auch waren.

Langsam, und ohne den Blick von Logan abzuwenden, drängte ich mich zu den Blutsaugern, und spürte, wie eine blutverschmierte Hand, nach der meinen griff und fest drückte.

Der Söldner hielt sich ebenfalls an mich, und machte keine Anstalten für einen weiteren Angriff. Er musste sich im Klaren sein, dass er diesen Tag wahrscheinlich nur überleben würde, wenn er bei mir blieb und keine Mucksen machte.

Ob die kleine Feuerhexe genauso schlau war wie er, war fraglich, doch sie begnügte sich vorerst mit einem bösartigen Zischen in meine Richtung und stellte sich anschließend neben den in rot verhüllten Auftragsmörder.

Evelyn hatte diese Gefangennahme wesentlich besser überstanden als die anderen beiden, deren Geruch nach Verwesung zum Himmel empor stank. Sie blutete am Kopf und ihr linker Arm war in einem üblen Winkel gebrochen, doch sie gab keinen Ton von sich, der ihre Schwäche preisgeben würde.

Was den Stolz anging, so war mir diese Teufelin Meilenweit voraus.

„Bitte lasst sie gehen“, bat ich mit fester Stimme, die so ziemlich das absolute Gegenteil widerspiegelte von dem, was gerade in meinem Kopf vorging. Ich fühlte mich wie an dem Tag, an dem Logan und ich dieses Sakrileg begangen hatten. Nur viel, viel schlimmer.

„Unmöglich!“, rief jemand aus einer der hinteren Gruppierungen und erntete zustimmendes Gemurmel.

„Sie werden uns verraten und die anderen her holen!“, rief jemand anderes.

Ich knirschte mit den Zähnen. Das hätte mir auch klar sein müssen. Mal wieder hatte ich gesprochen ohne nachzudenken.

„Diese … Personen“, flüsterte meine blonde Gefährtin hinter mir, „haben nicht ganz unrecht. Außerdem werde ich nicht ohne Euch gehen.“

Logan trat vor und warf einen abschätzenden Blick auf den armseligen Haufen, den wir abgaben. „Liegt dir so viel an diesen Blutsaugern?“

Ich verzog das Gesicht. Was Oleen betraf, so hätte ich meine Seele für ihre Freilassung gegeben, die anderen jedoch ... „Ja!“

Ich war vielleicht eine Verräterin unter den Vampiren, und die Todfeindin meiner Schwester schlecht hin, doch ich würde die anderen nicht in unseren Zwist mit hineinziehen, auch wenn sie es ohne jeden Zweifel verdient hätten.

Evelyn und der Söldner schwiegen. Es gab nichts, was sie hätten sagen können.

Seine Majestät überlegte. Er musste sich etwas einfallen lassen, was die anderen beruhigen würde, und mich nicht gegen sie aufbrachte.

Tristan hatte sich etwas näher an uns herangewagt, hielt aber skeptischen Abstand zu den blutbesudelten Fremden.

Es tat etwas weh, dass mein Werwolf mir nicht genug vertraute, um zu wissen, dass ich niemals jemanden grundlos in Schutz nahm. Sollte er nicht eigentlich auf meiner Seite stehen?

„Darf ich einen Vorschlag machen?“, bat Kaiden und stellte sich neben Logan, der ihm mit einem Wink zu sprechen erlaubte. „Wir könnten die Eindringlinge bestrafen und dann dafür Sorge tragen, dass sie diese Höhle nie wieder verlassen. Es gibt nur diese Lösung wenn ... wir sie nicht töten.“

„Wer garantiert uns, dass sie uns nicht in eine Falle locken werden?“, fragte Natalia. „Bei diesen blutgierigen Monstern weiß man ja nie.“

Kalt erwiderte ich ihren stechenden Blick. „Ich garantiere es.“

„Ich brauche deinen Schutz nicht“, zischte Evelyn wütend. „Eher sterbe ich lieber.“

Ich blickte herablassend zu ihr hinab und ließ eine Augenbraue in die Höhe wandern. „Ist das so? Na dann wäre es vielleicht besser, dich dem Tageslicht zu überlassen?“

Die Vampirin wurde weiß wie eine Maus im Gesicht und starrte mich mit Angst geweiteten Augen an.

Absolut jeder Vampir fürchtete sich vor dem Tod bringenden Sonnenlicht. Es übertraf jede Folter, jedes Leid, mit einer solch erschreckenden Leichtigkeit, dass man noch nicht einmal seinem ärgsten Feind solch ein Ende wünschte.

„Nein, das würdet Ihr nicht wagen“, flüsterte das Mädchen mit fester Stimme, in der ein weinerlicher Ton mitschwang. Ich hatte die Oberhand, somit war sie also ganz allein meiner Gnade ausgeliefert, und wir wussten beide, dass meine Geduld mit ihr an einem seidenen Faden hing.

„Was hat denn das Tageslicht mit dieser Situation zu tun?“, fragte Tristan und schien sichtlich verwirrt.

Oleen und ich blinzelten ihn verblüfft an. Alle wechselten Blicke untereinander, die von völliger Unwissenheit sprachen. Einfach unfassbar.

„Um Himmels Willen“, flüsterte ich geschockt. „Ihr habt tatsächlich keine Ahnung wovon wir eigentlich reden, oder?“

Ich war wie gelähmt. Die Angst, dass die Werwölfe nur auf einen geeigneten Augenblick warteten, um uns alle auf einmal im Licht der Sonne auszurotten, die mich und meine Familie über Jahrhunderte Jahre lang gequält hatte, war absolut unbegründet gewesen. Sie wussten es nicht – hatten es nie gewusst!

Unser größtes, und bei weitem offiziellstes Geheimnis, war vor den Augen der Wölfe verborgen geblieben.

Selbst die Menschen hatten davon gewusst, und speziell für uns Verbrennungen am Pflock veranstaltet.

Ich erinnerte mich an die Jahrzehnte, in denen eine Epidemie an Umwandlungen stattgefunden hatte, weil sich die frisch gewandelten Vampire nicht unter Kontrolle hatten und alles und jeden angegriffen hatten, was ihnen über den Weg lief. Es mussten Todesurteile im schlimmsten Maße getroffen werden, bis sich die meisten unter ihnen endlich im Klaren wurden, dass die Benennung ihrer Existenz gleichzeitig ihr Urteilsspruch war. Sowohl die Königsfamilie, als auch die Menschen hatten niemals Gnade walten lassen.

Die Schreie der Sterbenden unserer Rasse waren tief verwurzelt in unseren Träumen und Erinnerungen. Deren Leid war auch unseres.

„Was wissen wir nicht?“, fragte Logan und neigte den Kopf wie ein Wolf. Mit seinen türkisen Fackelaugen brannte er Löcher in meinen Kopf.

„Sagt es ihm nicht!“, zischte Oleen flehentlich, und ich wusste, meine nächsten Worte mussten ihr wie Verrat vorkommen, doch ich war schließlich auch verpflichtet mich an den Packt mit Logan halten.

„Vampire verbrennen im Sonnenlicht.“

Oleen ließ meine Hand los. Ihre blauen Augen verdunkelten sich wie die schwärzeste Nacht.

„Das ist doch sicher nur eine Lüge, damit sie die Gelegenheit haben, zu fliehen!“, meinte eine jüngere Wölfin, mit zerzaustem Haar, die Katarin zum verwechseln ähnlich sah.

„Töten wir sie, bevor die anderen Blutsauger noch auf die Idee kommen, auch hier anzumarschieren!“, meinte jemand anderes.

Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen – irgendwas, was uns weiterhelfen würde – doch ich hatte noch nicht einmal die Chance zu Wort zu kommen.

Alle stimmten der letzten Aussage zu; alle wollten Blut sehen.

„Dann schlage ich vor, dass wir an unseren Gästen die Behauptung überprüfen, ob diese tatsächlich im Sonnenlicht verbrennen.“

Wer das gesagt hatte, wusste ich nicht mehr. Ich war wie gelähmt; geschockt darüber, dass ich nun vielleicht mit ansehen musste wie drei Mitglieder meiner Rasse durch die schlimmste aller Sterbemöglichkeiten ihr Leben lassen mussten.

Vielleicht war es Logan gewesen, oder vielleicht sogar Tristan. Aber es war mir momentan egal. Meine Hilflosigkeit verstörte mich. Ich war es nicht gewöhnt, nicht die Befehle zu erteilen, und mich jemand eines höheren Ranges zu unterstellen, der mir zuwider handelte. Beinahe hätte mir das Gefühl der Ausweglosigkeit Tränen in die Augen getrieben, doch ich war noch nicht bereit einfach aufzugeben.

Plötzlich tauchte ein Gedanke in meinem Kopf auf, der, so hirnrissig er auch war, sich hartnäckig festhielt und mich zu einer unüberlegten Tat drängte.

„Nein!“, rief ich, und hätte mir im nächsten Moment beinahe auf die Zunge gebissen, als sich die Augen aller Anwesenden auf mich richteten.

„Wie war das?“, fragte Logan eisig, und ich hätte schwören können, wie jeder im Saal die Luft anhielt.

Ich schluckte meinen Unmut hinab und reckte stolz das Kinn vor. „Ich werde an mir selbst den Beweis liefern, dass meine Behauptung der Wahrheit entspricht.“

Agonie

Ich war des Todes. Und das meinte ich so, wie ich es sagte.

Wenn ein Vampir auch nur das Sonnenlicht streifte, war es bereits so, als würde er tausend Tode sterben, und jedes Mal, wurde es um das hundertfache schmerzhafter.

„Herrin, ich flehe Euch an, bitte tut das nicht“, bat Oleen mit leiser Stimme. Ihre Nachtschwarzen Augen vor Besorgnis schimmernd.

Man hatte sie und die anderen beiden in Ketten gelegt, und miteinander verbunden, damit die drei schon zusammenarbeiten mussten, wenn sie fliehen wollten. Aber das würde nicht passieren, denn Oleen würde mich nicht verlassen, egal wie enttäuscht sie von mir war, und Logan hatte nicht vor, einen von ihnen gehen zu lassen, wenn er denn schon meine Bitte berücksichtigte und sie nicht umbrachte.

Mein Lächeln war voller Lüge, als ich ihr über die Wange strich und mich dann umdrehte, um an den Platz zu gehen, denn man extra für mich reserviert hatte, da es der einzige Ort war, an dem ein Sonnenstrahl in die Höhle eindrang.

Wir befanden uns nicht mehr im Speisesaal, sondern in einem völlig neuen Teil der Höhle, den ich noch in keinem meiner Auskundschaften bemerkt hatte.

Seine Majestät wartete bereits auf mich, wie immer die Ruhe selbst.

Ich stellte mich neben ihn, direkt auf einen flachen Gesteinsblock, der aus der Wand ragte, und mich an die blutigen Bühnenspiele erinnerte, die stets zu Ehren der Königsfamilie aufgeführt wurden. Ich hätte nie erwartet, selbst einmal eine Rolle einzunehmen.

Ich krämpelte den linken Ärmel meines Mantels hoch und atmete zittrig ein. Das würde weh tun.

„Nur der Arm?“, fragte Logan spöttisch.

Ich blickte ihm unverwandt in die Augen, ohne einen Hauch an Belustigung. Das hier war kein Spiel, und es würde auch nicht in Wohlgefallen enden. „Falsch. Nur die Hand. Ich würde sterben, wenn ich mehr benutze.“

Der Werwolf musterte mich ernst und fragte sich wohl, ob er meinen Worten Glauben schenken sollte, doch schließlich nickte er und trat einen Schritt zurück.

Das Herz pochte mir bis zum Hals, und meine Kehle war vor Angst wie zugeschnürt. Mein Blick suchte den meines Gefährten, der mit ausdruckslosem Gesicht in der Menge stand, die sich bereits um meinen Platz gescharrt hatten, und alle wie die Hunde danach lechzten Blut zu sehen.

Die Gefangenen dagegen, standen soweit hinten, wie es ihnen nur Möglich war und hatten den Blick von mir abgewendet. Sie wussten, was mir blühte und keiner wollte mit mir tauschen. Wären sie an meiner Stelle, würden sie keine fünf Sekunden durchhalten und entweder sofort sterben, oder dem Wahnsinn verfallen. Doch ich hatte als Reinblüterin die Möglichkeit zu überleben, wenn ich denn stark genug war.

Doch nun konnte ich mein Schicksal nicht länger hinauszögern.

Ich biss die Zähne so fest aufeinander wie es nur ging, ballte meine rechte Hand zur Faust und ließ dann meinen linken Arm langsam zur Seite gleiten, bis meine ganze Handfläche in Sonnenlicht getaucht war.

Beinahe sofort fing meine Haut zu zischen an; blaue Flammen loderten empor und ein lauter Schrei entkam mir, als der Schmerz durch alle meine Nerven schoss.

Doch ich rührte mich nicht von der Stelle; ließ es zu, dass meine Hand von dem Licht zerfressen wurde, und sich meine Haut schwarz vor Asche färbte, bis sie sich schließlich auflöste und zu Boden rieselte.

Meine Schreie wurden lauter, schmerzerfüllter, und in diesem Moment dachte ich an all die Gelegenheiten die ich hatte, ohne diesen grausamen Schmerz abtreten zu können, selbst wenn es durch die Hand Leonores gewesen wäre. Meine Stimme vermischte sich mit den Rufen der anderen Vampire, die mein Leid teilten und ihren eigenen Schmerz, den sie tief in sich vergraben hatten, empor schrien.

Alles vor meinen Augen färbte sich Scharlachrot, als die Flammen sich meinen Arm hoch arbeiteten, direkt auf mein Herz zu, doch ich konnte mich nicht bewegen, konnte nicht mehr schreien, und auch die Tränen, die wie Bäche meine Wangen hinab geronnen waren, versiegten.

Und das alles spielte sich innerhalb von Sekunden ab. Bis mich jemand in den kühlen Schatten zurück riss, und in die Arme nahm.

Jemand sprach zu mir, aber ich nahm nichts mehr wahr. Als wäre ich blind, taub und völlig leer.

Die Schmerzen, die noch immer, wie ein Echo, nachhallten und meinen ganzen Körper erschütterten, rissen mich in die bodenlose Tiefe meiner Seele.
 

Um mich herum war Finsternis. So dunkel und Angst einflößen wie die Nacht selbst.

Ich brauchte nicht groß zu spekulieren, was mit mir passiert war. Ich war ohnmächtig geworden – oder, sogar schlimmer, in ein Koma gefallen, wenn ich mir schon sicher war, nicht tot zu sein, was an sich schon an ein Wunder grenzte.

Ich genoss das Gefühl der Schwerelosigkeit und Ruhe, die man mir nach diesem albtraumhaften Erlebnis schenkte, als ich plötzlich etwas wahrnahm. Dumpfe Geräusche, die an meine Ohren drangen und die immer lauter wurden, je länger ich wartete, bis sie plötzlich wieder verstummten, als wären sie nie da gewesen.

Ich geduldete mich weiter, und nach schier einer Ewigkeit, hörte ich es erneut, und war erfreut darüber, wie deutlich die Geräusche geworden waren.

„Wann wacht sie wieder auf?“, hörte ich jemanden fragen und spürte, wie kühle Finger über mein Gesicht strichen.

Ich wollte mich bewegen; wenigstens etwas sagen oder die Augen öffnen, doch meine Glieder rührten sich keinen Millimeter. Als wären sie gar nicht da und ich wäre mit meinen Gedanken irgendwo an einem anderen Ort.

„Das weiß ich nicht. Niemand, der bis jetzt so dumm war, so weit zu gehen, hatte es jemals überlebt. Vielleicht wird sie nie wieder aufwachen“, hörte ich Oleens zarte Stimme neben mir und war sogleich beruhigt.

Zwar war ich nicht tot, fühlte mich aber mehr als nur schwach und angreifbar.

Eine tiefe Stimme knurrte einen Fluch; eine andere schluchzte herzzerreißend.

Erst jetzt nahm ich wahr, dass jemand meine Hand hielt und sanft zudrückte, wo ich mir nur vorstellen konnte, dass es sich um Tristan handelte. Außerdem war ich erleichtert darüber, dass allmählich wieder Gefühl in meinen Körper kehrte.

„Wenn sie Blut trinken würde, würde ihr Heilungsprozess wesentlich schneller voranschreiten, doch dazu muss sie erst wieder das Bewusstsein zurückgewinnen“, kam es von einer männlichen Person, die etwas weiter entfernt stehen musste, und dessen Stimme mir völlig unbekannt war. Ich tippte auf den Söldner, da es völlig ausgeschlossen war, dass ein Werwolf auf diesen Gedanken gekommen wäre.

Wieder herrschte Stille und es wurde mir unangenehm, weiterhin so reglos liegen zu bleiben. Aber ich hatte scheinbar keine Wahl, denn mein Körper gehorchte nicht mehr.

„Also ich kann mir das nicht länger ansehen“, sagte plötzlich Ki Feng Loo. „Diese Wunde muss behandelt werden, und wehe einer von euch versucht, mich aufzuhalten.“ Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie sie drohend die Faust hob und alle herausfordernd anstarrte. Selbst Logan würde es nicht wagen Einwände zu erheben, wenn sie ihn so ansah.

Ihre leichtfüßigen Schritte kamen in meine Richtung, bis sie direkt neben mir stehen blieb.

Sie wollte mich doch wohl nicht anfassen?! Hatte sie denn völlig den Verstand verloren?! Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie die Schmerzen wieder mit voller Wucht zu mir zurückkehren würden, wenn sie auch nur einen Finger an mich legte.

In dem Moment, als ich glaubte, ihre Fingerspitzen an meinem Arm zu spüren, riss ich die Augen auf, packte mit meiner gesunden Hand nach ihrem Handgelenk und warf sie zu Boden. „Fass mich nicht an!“, fauchte ich, und spürte beinahe sofort einen heftigen Schwindel über mich kommen.

Die Bewegung war meinem geschundenen Arm eindeutig nicht zu Gute bekommen, denn er fing schon wieder an, höllisch zu brennen.

Keuchend setzte ich mich auf. Im Raum war es totenstill geworden und ich vernahm nur meinen eigenen gehetzten Atem.

Nach einer Minute des Schweigens, befahl Logan: „Raus. Alle. Sofort!“

Ki Feng Loo erhob sich wortlos und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, mit dem Söldner nach draußen.

„Es wäre wirklich gut, wenn ihr mir einen Augenblick geben würdet, mich zu sammeln“, sagte ich, als Tristan und Oleen den Mund öffneten, um zu wiedersprechen.

Meine treue Gefährtin ließ sich das nicht zweimal sagen, und folgte, nach einer respektvollen Verbeugung, den anderen nach draußen. Ich wusste, sie wäre gerne noch länger geblieben, allerdings war ihr klar, dass sie momentan nicht das Recht hatte, mir auch nur den leisesten Wunsch zu verwehren.

Tristan dagegen, bewegte sich nicht vom Fleck und blieb sitzen, als wäre er aus Stein gemeißelt. Er sagte kein Wort, aber man sah ihm an, dass er mich jetzt nicht allein lassen wollte.

Geh!“, brüllte Logan und seine Augen schimmerten so hell, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte.

Mein Gefährte hatte keine Wahl, er musste sich seinem Anführer beugen, und das wusste er auch, doch er zuckte mit keiner Wimper, und bewahrte reglos seine Stellung an meiner Seite.

Himmel, ich konnte diese Revierkämpfe in meinem Zustand wirklich nicht gebrauchen!

„Bitte, Tristan“, flüsterte ich und gab ihm einen hauchzarten Kuss auf die Lippen, damit er das Gesicht endlich von Logan abwandte und ihn somit nicht noch weiter provozierte. „Gib mir nur einen Moment der Ruhe. Ich will nicht das du mich so siehst.“

Er legte seine Stirn an meine. „Du bist wunderschön.“

Ich versuchte ein Grinsen, doch es misslang mir völlig. „Aber nicht gerade in der besten Verfassung.“

„Wenn du etwas brauchst, dann ruf mich einfach“, seufzte Tristan und gab sich geschlagen. Mit einem letzten warnenden Blick auf Logan, verschwand auch er und ließ mich mit dem großen, bösen Wolf alleine.

Sekunden verstrichen, in denen keiner von uns auch nur ein Wort sagte, dennoch konnte ich eine gewisse Spannung, die von ihm ausging, spüren.

Ruhelos ging seine Majestät auf und ab, bis es mir zu viel wurde, und ich ein Bein von der, mit Stroh gestopften, Matratze schwang, um aufzustehen.

„Wage es ja nicht, jetzt aufzustehen!“, drohte der Werwolf mit einem so feurigen Blick, der Vampire zu Asche hätte zerfallen lassen können.

Ich erstarrte mitten in meiner Bewegung, ein Fuß den kalten Boden berührend, mein verletzter Arm vorsichtig an die Brust gedrückt, um ihn nicht unnötigerweise zu belasten.

Logan trat langsam auf mich zu, ließ sich neben mich sinken; seine Schultern angespannt, seine Miene zu einer gequälten Grimasse verzerrt; dunkle Augenringe zierten sein Gesicht.

Und plötzlich lagen seine warmen Lippen auf meinen, und drohten mich zu verschlingen. Das Gefühl war anders, als bei Tristan. Intensiver, realer. Als hätten wir unser ganzes Leben lang nichts anderes getan, als uns durch die Unendlichkeit hindurch zu küssen.

Und ich erkannte, dass er es war den ich mir immer ersehnt hatte. Derjenige, der mich von meiner Einsamkeit befreien sollte.

Seine Hand streichelte meinen Rücken, die andere lag auf meiner Hüfte, während ich meine Nase an seiner verführerisch duftenden Halsbeuge vergrub und wünschte, dass dieser Moment, trotz meiner Schmerzen und dem schlechten Gewissen, niemals enden würde.

Als ich jedoch meine Arme, um ihn legen wollte, zuckte ich unweigerlich zusammen, aufgrund des zerrenden Gefühls, das von meinen linken Fingerspitzen aus, direkt durch meinen ganzen Körper schoss.

Natürlich bemerkte Logan meine Reaktion und stoppte sofort. Er wusste was ich brauchte; was ich wollte.

„Trink“, flüsterte er an meinem Ohr, doch ich schüttelte unweigerlich den Kopf.

„Nein.“ Ich erinnerte mich noch zu deutlich, an das letzte Mal. Er war so wütend auf mich gewesen, und das hatte mir mehr weh getan, als alles andere, auch wenn ich es bis zu diesem Zeitpunkt niemals zugegeben hätte.

„Denk nicht daran“, sagte er und legte seine langen Finger um meinen Nacken. Mit zärtlicher Bestimmtheit drückte er mich tiefer, näher an sein Blut.

Also dachte ich nicht, sondern stieß meine Fangzähne in sein Fleisch. Ich fühlte mich dem verdursten nahe, was aber nach meinem kleinen Sonnenbad in der Hölle, nicht weiter verwunderlich war.

Er schmeckte so wundervoll, dass es dafür einfach keine Beschreibung gab. Wie der Mond, wie Rosen mit Dornen, wie alles Schöne und gleichzeitig Gefährliche auf dieser Welt. Als könnte ich selbst der Sonne trotzen, und als hätte ich die Möglichkeit einfach alles zu tun!

Dieses Mal stoppte ich, bevor mir die magnetische Anziehung zwischen uns zu viel wurde und ich noch wie eine hungrige Löwin über ihn herfiel.

Der Werwolf verteilte zarte Küsse auf meinem Gesicht, der Stirn, der Wange, dem Kinn, und beinahe hätte er mir damit den Wind aus den Segeln genommen.

„Mein Arm tut nicht mehr weh“, stellte ich erstaunt fest, und schloss erleichtert die Augen. Meine Haut war zwar noch Ruß geschwärzt und sie war noch aufgerissen, doch der Schmerz klang ab.

„Das ist gut“, sagte Logan. Sogar ein schwaches Lächeln schenkte er mir, das mir sprichwörtlich den Atem verschlug. So ... einfühlsam, hatte ich ihn noch nie erlebt.

Er hatte meine heile Hand in seine genommen und drückte sie fest. „Du hättest so etwas Dummes nicht tun dürfen, Rebecca. Es hätte andere Wege gegeben.“

Trotz dem Ernst in seinen Worten, konnte ich nicht anders als zu Lächeln, als er mich bei meinem vollen Namen nannte. Er war der einzige, der das bis jetzt getan hatte. „Aber hättest du mir denn vertraut, wenn ich es nicht getan hätte?“

Er öffnete den Mund, und schloss ihn wieder.

„Na also“, sagte ich und ließ mich von ihm in eine Umarmung schließen. „In manchen Dingen hat man einfach keine andere Wahl.“

„Man hat immer eine Wahl“, gab seine Majestät schnaubend zurück und drückte mich fester an sich.

Ich schloss die Augen und flüsterte: „Ich kann ihn nicht verlassen. Und ich will nicht, dass es zu einem Kampf kommt.“

„Du gehörst mir. Bitte mich nicht, einfach tatenlos zu bleiben, wenn ein anderer dich berührt.“

„Bitte“, flehte ich mit schwacher Stimme, und lehnte meine Stirn an seine. „Stell dich nicht zwischen mich und Tristan. Du weißt, dass es keine Zukunft mit mir geben kann. Wir sind so verschieden wie Nacht und Tag, wie Feuer und Eis.“

„Das ist mir egal“, sagte er wie ein trotziges Balg, und küsste mich hart. Die Welt schien sich auf einmal wieder langsamer zu drehen, aber das durfte ich nicht zulassen. Schlimm genug, dass ich Tristan an ein Monster wie mich gekettet hatte, aber wenn dasselbe mit Logan passierte ... ich würde es nicht ertragen.

Er hatte zu stark unter der Herrschaft der Vampire gelitten, um das alles einfach zu vergessen. Wenn ich mich nun für ihn entschied, dann würden sich alle von ihm abwenden, so wie sie es bei Tristan getan hatten.

„Denk an dein Rudel, Logan. Deine Familie und deine Freunde. Sei ein guter Anführer, und enttäusche sie nicht, indem du einer Blutsaugerin verfällst.“

Seine Majestät knurrte und biss mich leicht in die Schulter, was ein angenehmes Kribbeln verursachte. „Du hältst dich wohl für unwiderstehlich.“

Ich tat erstaunt und blinzelte ihn aus großen, kohleschwarzen Augen an. „Bin ich das etwa nicht?“

Er ging nicht auf meine Frage ein, sondern strich mir mit einem Seufzen eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Du weiß nicht, was du da verlangst.“

Und wie ich das wusste. Alles in mir sträubte sich dagegen, diesen Schlussstrich zu ziehen. „Es ist besser so.“ Ich wagte es nicht ihn anzublicken, und neigte stattdessen den Kopf zu Boden.

Seine Finger hatte sich zu einer Faust geballt, bis man die Sehnen unter seiner Haut deutlich hervortreten sah. „Wie du willst“, sagte er mit einer Stimme, in der kaum unterdrückte Wut mitschwang, und erhob sich. „Ich schicke dir deine Freundin rein.“

Ich sah ihm nach, als er den Raum verließ, und biss mir fest auf die Zunge, um ihn nicht zurück zu rufen und ihn anzuflehen, zu vergessen, was ich gerade gesagt hatte. Doch es war zu spät. Ab jetzt gab es nichts mehr, das Rückgängig zu machen war.

Kurz darauf trat Oleen aus dem Spalt und ihre Augen weiteten sich vor Schreck. „Mylady, was ist passiert? Warum weint Ihr? Tut Euer Arm weh?“

Ich berührte meine Wangen, und stellte tatsächlich fest, dass diese vollkommen nass waren. Ein Schluchzer entrang mir und im nächsten Augenblick wurde alles nur noch schlimmer. Ich weinte so hemmungslos, dass ich kein Wort mehr aus mir herausbrachte und versuchte all meinen Kummer aus mir herauszuschreien. Hilflos musste ich dabei zusehen, wie alles um mich herum zerbrach.

Ich fühlte mich einsamer, als je zuvor.

Tage wie dieser

„Ihre Verteidigung ist wirklich schwach“, flüsterte mir Oleen zu, als wir im Trainingsraum standen und die Jungwölfe dabei beobachteten, wie sie sich gegenseitig den Kopf einschlugen.

Seit jener Nacht, in der ich einen unwiderruflichen Schlussstrich zwischen mir und Logan gezogen hatte, waren beinahe zwei Wochen vergangen. Oleen hatte mich nicht mehr auf meinen Zusammenbruch angesprochen und ich hatte auch nicht das Bedürfnis mit irgendjemandem darüber zu sprechen. Ebenso hatte ich versucht mich bei Ki Feng Loo zu entschuldigen, doch diese hatte sich mir gegenüber verschlossen verhalten und ich befürchtete, dass sich diese Einstellung nicht sehr bald legen würde.

„Deshalb sind wir ja hier. Wir werden ihnen beibringen, wie man sich schützt, ohne die Kehle aufgerissen zu bekommen“, antwortete ich ruhig, während ich geistig weiter meinen Gedanken nachging, die ungewollt immer wieder zu Logan abschweiften. Verflucht, sogar während ich von ihm trank benahm er sich wie ein trotziges Kind und ignorierte mich vollkommen! Nie und nimmer hätte ich gedacht, dass ausgerechnet seine Majestät von der nachtragenden Sorte war. Dabei wusste er genau, dass ich im Recht war.

„Aber sie scheinen nicht gerade lernbegierig zu sein“, bemerkte Oleen und sah mit hochgezogenen Augenbrauen dabei zu, wie ein Werwolf durch die Höhle geschleudert wurde. „Besonders die Männchen erweisen sich als ziemlich störrisch. Und die Weibchen sind so unkoordiniert, als hätten sie eben erst gelernt zu laufen.“

Ich konnte nur zustimmen. Sie alle waren so unerfahren, dass es für meine Schwester ein leichtes wäre, das ganze Rudel zu involvieren. Die Älteren unter ihnen hatten zwar einen stabileren Eindruck gemacht, doch diese waren geblendet von der Vorstellung, dass die Wächter und seine Majestät stark genug waren, um die Vampire abzuwehren.

„Es wäre einfacher, wenn wir freie Hand hätten“, sagte ich und wusste gleichzeitig, dass dies nie der Fall sein würde. Selbst jetzt noch spürte ich wie Natalia uns mit unverhohlener Verachtung beobachtete, die diesen Abend unsere Aufsichtsperson sein würde. Kaiden war mir um einiges angenehmer gewesen, denn dieser hatte wenigstens die Notwendigsten Dinge – die leider manchmal nicht ganz den Regeln entsprachen – durchgehen lassen, doch dieses blonde Biest dass mir nun im Nacken saß, gehörte wohl zu den jähzornigsten Werwölfen, denen ich je begegnet war.

Die meisten hatten aus blinder Wut gehandelt, doch diese Wächterin war zwar äußerst temperamentvoll, jedoch war sie auf eine Weise derart effizient, dass es keinen Zweifel ausließ, dass diese Frau zum Töten geschaffen war.

Wäre sie außerdem ein Mensch gewesen, dann wäre sie wohl zum Lieblings Spielzeug meiner Schwester gekürt worden.

Apropos Lieblings Spielzeug … „Wo ist Evelyn?“

Die Messerwerferin mit dem weißblondem Haar und den nachtschwarzen Augen schien relativ unbeeindruckt von meiner Frage zu sein, wo doch diese kleine, rothaarige Hexe vor wenigen Tagen noch zu meinen Todfeinden gehörte. Doch nun war sie inmitten des Rudels und saß somit in der Falle, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie meiner Gnade ausgeliefert war. Und nicht nur Logan war nachtragend.

„Soweit ich weiß, treibt sie sich in den unterirdischen Gängen rum. Doch habt keine Sorgen, Herrin, Wayne behält sie im Auge.“

Ach, stimmt ja, der Auftragskiller meiner Schwester, der sich ebenfalls vor zwei Wochen zu unserer kleinen Gruppe gesellt hatte, existierte ja auch noch. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass er binnen der ersten fünf Tage umgebracht werden würde.

Doch die Werwölfe verhielten sich merkwürdig ruhig, und sollte es doch einer auf ihn abgesehen haben, so war ich mir ziemlich sicher, dass er gut auf sich selbst aufpassen konnte. Außerdem hatte ich das Gespräch, das wir vor einigen Tagen geführt hatten, noch nicht vergessen.
 

Also? Aus welchem Grund wolltest du mich sprechen?“, hatte ich gelangweilt gefragt, obwohl ich mich von meinem kleinen Sonnenbad noch immer nicht ganz erholt hatte. Es war auf verdrehte Art und Weise tröstlich, dass ich mich schon in weitaus schlimmeren Situationen befunden hatte, als auf engstem Raum mit einem Söldner meiner Schwester zu sitzen und ein kleines Schäferstündchen zu halten.

Wayne hatte mich mit den leeren Augen eines Killers gemustert, doch ehe er sich rühren konnte, hatte ich ihm bereits eine Klinge an die Kehle gedrückt. „Versuche es noch nicht einmal, Söldner“, zischte ich und wartete sein unmerkliches Nicken ab, bis ich mich langsam wieder zurückzog. „Ich kenne eure Art zu arbeiten nur zu gut, also solltest du besser nicht versuchen mich in die Irre zu führen.“

Natürlich war der Wunsch nach einem Treffen mit mir nicht ein Vorwand gewesen, um zu versuchen mich zu töten, denn da gebe es weitaus effektivere Methoden und ich war mir sicher, dass er keinesfalls vergessen hatte wo er sich hier eigentlich befand. Jedoch waren die Wege der Söldner gnadenlos und so spezialisierten sie sich bereits aus reinem Reflex darauf mögliche Gefahren sofort auszulöschen. Bei einigen von ihnen war dieser Vorsatz bereits so tief eingebrannt, dass sie aus reinem Selbsterhaltungstrieb handelten und man ihnen keinen Vorwurf machen konnte. Glücklicherweise waren Kopfgeldjäger dieser Art unparteiisch und führten lediglich Aufträge derer aus, die das höchste Gebot machten – was in diesem Falle ich war, da er den Werwölfen wohl kaum über den Weg trauen würde.

Aber ich beging auch nicht den Fehler ihm zu vertrauen.

„Verzeihung“, flüsterte er gelassen, ohne eine Spur von Angst, weder in seiner Stimme noch in seinen Augen, deren Schwärze mich an die tiefen Gräber meiner Vorfahren erinnerte.

„Schon gut“, sagte ich kompromissbereit, aber behielt dennoch das Messer in reichweite. „Nun, ich warte noch immer auf eine Antwort von dir. Aus welchem Grund hat Leonore dich und Evelyn geschickt?“ Warum Oleen ebenfalls dabei war, konnte ich mir bereits denken. Die Messerwerferin würde sich eher freiwillig dem Sonnenaufgang ausliefern lassen, als sich gegen mich zu wenden. Somit blieb also nur die Vermutung, dass sie gemerkt hatte wie die Teufelin und der Söldner auf den Weg zu mir waren und ihnen kurzerhand gefolgt war.

„Die Königin hat uns geschickt um Euch aufzuspüren und zu eliminieren. Sie dachte sich schon, dass Ihr und Euer … Geliebter zu den Hunden geflohen seid.“ Man merkte ihm an, dass der Gedanke an eine Verbindung zwischen einer reinblütigen Vampirin und einem Werwolf ihm nicht sonderlich behagte. „Und da ich auf diesem Gebiet am bewandertsten bin, schickte sie mich mit ihrer fähigsten Kämpferin. Ursprünglich wollten wir uns durch einen der versteckten Höhleneingänge Zugang verschaffen, jedoch hatte man uns frühzeitig entdeckt und gefangen genommen. Eure Dienerin traf erst kurz darauf zu uns, ebenfalls bereits in Begleitung der Werwölfe.“

Ich nickte still und ließ mir seine Erzählung noch einmal durch den Kopf gehen. Verständlich, dass Leonore einen Anschlag auf mich plante, doch ehrlich gesagt, empfand ich ihn als ziemlich sinnlos, wenn sie denn schon wusste, in welcher Gesellschaft ich mich befand. „Wie ich meine Schwester kenne, diente euer Besuch wohl lediglich als Verzögerungstaktik“, vermutete ich, konnte mir aber keinen Reim machen, warum sie das hätte tun sollen.

Wayne nickte, doch seine Haltung war angespannt und diesmal lag es nicht an mir. „Ihr habt recht. Unsere Anwesenheit sollte nur so lange Unruhe stiften, bis sich die Truppen mobilisiert haben.“

„Sie plant einen Angriff“, flüsterte ich und obwohl der kommende Krieg eigentlich längst überfällig war, konnte ich es kaum glauben. „Wann?“

Der Kopfgeldjäger fuhr sich seufzend durch die Haare. Eine untypische Reaktion für ein Wesen, das emotional aus Eis bestand. „In etwa einem Monat.“

Ich sog zischend die Luft ein und stand innerhalb einer Sekunde am anderen Ende des Raumes, mit dem Gesicht zur Wand gerichtet, um ihn meine Wut nicht sehen zu lassen. Diese verfluchte Märtyrerin! Es war nicht annähernd genug Zeit, um sowohl die ‚Soldaten‘ ordentlich auszubilden als auch alle Unbeteiligten des Rudels in Sicherheit zu bringen.

„Weiß Logan bereits davon?“, fragte ich, als ich mich wieder einigermaßen im Griff hatte und mich meinem Beobachter langsam wieder zuwandte.

Dieser bejahte, mit einem leicht abschätzenden Ton in der Stimme.

Ich atmete erleichtert aus und versuchte Ruhe zu bewahren. Es würde niemandem helfen, wenn ich nun die Fassung verlor und dabei stand ich ohnehin schon unter Zeitdruck. „Rechnet sie mit eurem Verrat?“, fragte ich und konnte mir die Antwort schon fast denken.

„Durchaus möglich, doch auch wenn wäre es ihr völlig egal.“ Beinahe hätte ich Wayne für seine Aufrichtigkeit loben können, doch das wäre denkbar unpassend gewesen, also beließ ich es bei einem kurzen Nicken, das er blinzelnd zur Kenntnis nahm.

„Ich verstehe. War das alles was du mit mir bereden wolltest?“

„Ja“, sagte der Söldner und erhob sich von seinem Platz, jedoch blieb er noch einmal stehen, ehe er mich mit meinem innerlichen Elend alleine ließ. „Bereut Ihr es, die ganze vampirische Bevölkerung gegen euch aufgebracht zu haben?“

In dieser ehrlichen Frage lag weder Hohn noch ein Vorwurf. Es war die Frage eines kalten Monsters an ein anderes.

Ich überlegte einen Augenblick und lächelte ihm anschließend schwach zu. „An manchen Tagen Ja, an Tagen wie diesen eher weniger.“
 

Der Kampf der Jungwölfe hatte endlich sein Ende gefunden, jedoch nicht ohne viel Blut zu hinterlassen, dass Oleen allmählich nervös machte.

Sie hatte sich zwar darauf einigen lassen von mir trinken zu dürfen – und die anderen beiden dann anschließend von ihr –, dennoch war frisches Blut, und noch dazu in diesen Mengen, eine große Versuchung für eine Gewandelte. Aber die junge Frau war kein Kind mehr. Sie selbst musste entscheiden, ab wann es zu viel für sie würde. Ich würde nicht die Konsequenzen für unsinniges Handeln tragen und das hatte ich ihr bereits mehrmals gesagt. Zu meinem Wohlwollen, war die Messerwerferin schon immer fähig gewesen, aus Fehlern zu lernen, was mir so einige Schwierigkeiten erspart hatte mit denen sich so manch andere Schöpfer rumplagen mussten.

Oleen gab ein leises Keuchen von sich, als sie angesträngt versuchte, nicht den süßlichen Duft in ihre Nase zu ziehen, der wie ein unsichtbarerer Schleier in der Luft hing. „Herrin, bitte verzeiht …“

Ich gab ihr lediglich ein Zeichen dass sie gehen konnte und entnahm ihr die Rangliste, die sie sich gemacht hatte, während sich die Jungwölfe gegenseitig bekämpft hatten, um herauszufinden, welcher von ihnen am Stärksten war.

Zu meiner Bodenlosen Enttäuschung war es der rothaarige Junge, den ich vor einiger Zeit in Grund und Boden gestampft hatte, der als einziger noch auf den Beinen war.

Ich ließ meinen Blickkurz auf die Liste schweifen, da ich wissen wollte, wer von ihnen der schwächste war und seltsamerweise war es auch diejenige, die gerade wieder versuchte sich aufzuraffen, gefolgt von einigen anderen.

Eins musste ich diesem Haufen schon lassen. Sie waren verdammt zäh.
 

Als ich mich wieder einmal in Logans Büro einfand, war die Stimmung drückend. Er würdigte mich keines Blickes, befehligte mir lediglich mit ihm in den Saal zu gehen, dem ich zu Anfang meiner Ankunft einen Besuch abstatten durfte, um das Urteil zu erwarten, ob ich nun sterben oder in die Sippe aufgenommen werden würde.

Trotz der widrigen Umstände war ich noch immer unsagbar froh darüber, dass sich Logan und die Wächter für Letzteres entschieden hatten.

Die neun gefährlichsten Jäger des ganzen Werwolfclans – inklusive Tristan – hatten sich bereits eingefunden und erwarteten uns mit kaum unterdrückter Ungeduld.

Während Logan sich an das Kopfende des Tisches setzte, stellte ich mich neben Tristan, der zufälligerweise ausgerechnet neben seiner Majestät sitzen musste.

Logan begann die Versammlung mit einer Zusammenfassung der jüngsten Ereignisse, einschließlich der neuen Information die uns Wayne geliefert hatte. Ich und die anderen schwiegen eisern, bevor Logan seine Worte nicht direkt an einen von uns richtete. Tristan nahm meine Hand in seine und strich mir beruhigend mit dem Daumen über den Handrücken. Meine Anspannung viel etwas ab, doch die Lage war immer noch ernst.

„Wie weit steht es mit den Vorbereitungen zur Evakuierung?“, fragte er Rodrigo, Kaiden und Ki Feng Loo, die diese wichtige Aufgabe übernommen hatten.

„Es gibt nicht leicht zu lösende Probleme, Logan“, antwortete Rodrigo, der aussah, als hätte er seit einigen Tagen nicht mehr geschlafen. Leider war er unter den Wächtern nicht der einzige. „Die einzige Höhle die am sichersten Platz liegt, ist einfach zu klein für das ganze Rudel.“

„Wir haben bereits überlegt, die Höhle wenigstens ein bisschen weiter auszubauen, aber in diesem Fall wäre die Einsturzgefahr zu groß“, sagte Ki Feng Loo.

„Was ist mit der Bucht?“, fragte Logan und spannte die Kiefermuskeln an.

„Nur wenn du sie alle in der Flut ertrinken lassen willst“, sagte Kaiden. In seinem Gesicht spiegelten sich seine Emotionen nicht wieder, doch in seinen Augen konnte man auch seine Sorge erkennen. Er versuchte nur rational zu bleiben, doch Ki Feng Loo knurrte bei dieser Bemerkung. Sie hatte zwei Junges, also reagierte sie dementsprechend empfindlich.

„Es gebe da noch eine Höhle in den Bergen, allerdings ist der Weg dorthin ziemlich lang. Selbst in Wolfsform würde es möglicherweise zu lange dauern dort Schutz zu suchen.“

Ich hätte Logan gerne berührt, auch wenn es nur vielleicht an der Schulter gewesen wäre, doch Tristans Hand hatte sich fester um meine geschlossen, als spürte er, dass ich mich von ihm zu distanzieren versuchte.

Ich konnte ihm einfach noch nicht sagen, dass meine Gefühle zu ihm nicht mehr der einer Geliebten entsprachen.

„Wann müsste das Rudel aufbrechen, um rechtzeitig anzukommen?“, fragte Logan.

„Gestern“, sagte Kaiden und es herrschte für kurze Zeit Stille.

„Also gut. Wir werden es trotzdem machen. In diesem Fall liegt es einfach an uns, diesmal eine Verzögerungstaktik zu starten“, entschied Logan mit der Autorität eines Alphatiers.

Ich fragte mich, was daran einfach sein sollte. Die Wächter gaben sich zwar furchtlos, dennoch könnte dieser Entschluss für jeden von ihnen den sicheren Tod bedeuten.

Aber wahrscheinlich war es das, was die Werwölfe so sehr von den Vampiren unterschied.

Während jeder Vampir nur für sich selbst und die Königin kämpfte, setzten sich die Wölfe für die Mehrzahl ein, die sich nicht selbst beschützen konnte. Familie, Freunde, Kameraden. So etwas besaß meine Rasse nicht.

„Wie sieht es mit der Ausbildung der Jungtiere aus?“ Diesmal ging die Frage an mich.

„Schlecht. Die Einschränkungen die mir auferlegt wurden, machen es mir fast unmöglich sie ordentlich zu unterrichten“, sagte ich so ehrlich wie es nur ging, ohne dabei jemandem zu nahe zu treten.

Logan musterte mich einen Augenblick. „Und wenn diese Einschränkungen kurzzeitig aufgehoben werden? Wie schnell wären sie bereit?“

Ich dachte darüber nach und legte die Stirn in Falten. Ein Krieg war eine schlimme Sache, egal aus welcher Sicht man es auch betrachtete. Jemanden wirklich darauf vorzubereiten, war praktisch unmöglich, aber ich wollte nicht aufgeben, bevor ich es nicht wenigstens versucht hatte. „Mindestens zwanzig Tage. Führ mehr ist die Zeit einfach zu knapp.“

„In Ordnung, dann also zwanzig Tage.“ Es war bestimmt unpassend, aber ich fühlte mich ein kleines bisschen wohler, weil Logan mir genug zu vertrauen schien, mir nicht damit zu drohen den Kopf abzuschlagen, sollte ich einen der Welpen töten.

Doch bevor die Versammlung sein Ende finden konnte, fiel mir noch etwas Wichtiges ein, das den Werwölfen von großem Nutzen sein konnte.

„Wartet!“, sagte ich und legte die großen Pergamentschriftrollen auf den steinernen Tisch, die ich zuvor unter dem Arm geklemmt und während der Aufregung völlig vergessen hatte. „Das sind die Baupläne des Schlosses, je nach Stockwerk unterteilt und nachgezeichnet, wie ich sie in Erinnerung habe. Ich habe auch die versteckten Eingänge eingefügt, es wäre aber nicht verwunderlich, wenn man die gefährlichsten von ihnen bereits zugeschüttet hat, um möglichen Eindringlingen zu entgehen.“

Tristan reichte die Aufzeichnungen den anderen, die voller staunen auf die perfekt skizzierten Zeichnungen starrten und somit einen großen Vorteil in Händen hielten.

Nur ein Pergament legte ich vor Logan und zeigte mit dem Zeigefinger auf ein Zimmer im Erdgeschoss, im Zentrum des Schlosses und somit von allen Seiten geschützt. Logans Blick nach zu urteilen, konnte er sich bereits ausmalen, um welches Gemach es sich dabei handelte.

Ich sagte es ihm trotzdem.

„Das ist Leonores Zimmer. Wenn ihr Tagsüber angreift, dann wird sie sich höchstwahrscheinlich hier drin befinden. Das Problem dabei ist, dass das Zimmer durch einen kleinen Geheimgang mit dem ersten und zweiten Stock verbunden ist, was ihr sehr leicht die Möglichkeit geben kann zu fliehen.“

Logan und ich wechselten einen Blick untereinander aus, der nur allzu deutlich sagte, dass es verdammt aufwendig werden würde, meiner lieben Schwester den Gar auszumachen. Als wenn sie nicht auch so schon schwer umzubringen wäre.

„Kann man sich durch ein anderes Zimmer bei ihr einschleichen?“, fragte Tristan, der sich nun ebenfalls über die Pläne beugte, obwohl er sie schon die letzten beiden Nächte auswendig gelernt hatte.

„Man kommt durch das Zimmer ihrer Wachen rein, aber das sind viele. Sehr viele sogar. Es würde sich nicht lohnen, glaubt mir.“

„Noch andere Vorschläge?“, fragte mich Logan und konnte wohl nicht umhin ein klein wenig spöttisch zu klingen.

Ich grinste ihn an. „Wie gut seid ihr im klettern?“
 

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Oh mein Gott, Leute, ich bin überglücklich ein neues Kapitel reinstellen zu können!!! :DD

Und es ist sogar besser, als die Version, die mein Computer geschluckt hat xDD

Hoffe, die Wartezeit hat sich wenigstens ein bisschen gelohnt. ;)

Das nächste Kapitel ist auch sogar schon zur Hälfte fertig.^^
 

glg Angels

Das Ende eines Weges

Zu Mittag bereiteten sich die Wächter, einschließlich Logan, darauf vor, dass Schloss der Vampire zu stürmen.

Ich hatte ihnen am Abend zuvor erklärt, was der effektivste Weg wäre, bei Leonore einzudringen. Denn sobald die Königin nicht mehr unter den Vampiren weilte, würde Chaos ausbrechen und der Krieg wäre fürs Erste vergessen. Ihre Sklaven waren von ihr abhängig, wie Oleen es von mir war. Sie war deren Schöpferin, ihre Mutter und Vertraute, egal was für grausame Eigenschaften sie aufwies. Ich hatte schon öfters erleben müssen, wie die Gewandelten aufgrund des Todes ihres Meisters den Verstand verloren hatten, warum sollte es dann ausgerechnet mit meiner Schwester anders sein?

Die Wölfe würden über den zweiten Stock bei den Vampiren einsteigen und diese sofort auslöschen, was eigentlich kein Problem sein sollte, das es ja mitten am Tag war und sie auf der Stelle verbrutzeln würden.

Außerdem würden sich die Werwölfe dann eben diesen geheimen Gang zunutze machen, den Leonore als Fluchtweg verwenden könnte, deren Eingang sich hinter einem selbstgemalten Portrait der Königsfamilie befand.

Ich war mir sicher, dass die Vampire schnell handeln würden, sobald sie sich der Eindringlinge im Klaren waren, deshalb mussten Logan und die anderen äußerst zielgerichtet und schnell vorgehen.

Ich beobachtete mit verschränkten Armen, wie Tristan Dolche und diverse Schwerter an seinem Körper befestigte, die wohl als Notlösung dienten, bevor sie sich in Werwölfe verwandelten. Sein Gesichtsausdruck war konzentriert, dennoch bemerkte er wie mir immer unbehaglicher wurde und trat mit einem neckischen Lächeln auf mich zu, um mich in die Arme zu schließen.

„Machst du dir Sorgen?“, fragte er leise und rieb mir über den Rücken.

Ich murrte leise und vergrub die Nase an seiner Halsbeuge. „Ja. Nein. Vielleicht ein bisschen. Ich bin sauer, weil ich nicht mitkommen darf.“

Genau genommen, hatten sowohl Tristan als auch Logan mir unisono befohlen, hier zu bleiben, was mich nicht sonderlich verwundert hatte. Doch ein drohender Blick von Logan und ich kuschte. Manchmal hatte ich nicht schlecht Lust, ihm zu zeigen wie sehr ich Regeln verabscheute. Allerdings hoffte ich inständig, dass ich dafür noch Zeit hatte, wenn alle wieder zurück waren.

Tristan lachte leise und heiser. „Tut mir Leid, meine Schöne. Vielleicht beim nächsten Mal.“

Falls es denn ein nächstes Mal geben würde, dachte ich, sprach es jedoch nicht laut aus. Es würde schon klappen. Sie hatten den Überraschungsmoment auf ihrer Seite und waren hervorragend vorbereitet, auf das was auf sie zukam.

„Tristan, kommst du?“, fragte Natalia mit süßlicher Stimme und legte ihm eine Hand auf die Schulter, als er mich los ließ.

Ich biss die Zähne zusammen und formte mit den Lippen die Worte: „Wenn du wiederkommst, beiße ich dir die Hand ab“.

Die Blondine schenkte mir als Abschiedsgruß ein wölfisches Grinsen, keineswegs durch meine Drohung eingeschüchtert, und stolzierte anschließend meinem Gefährten hinterher. Ich wollte es zwar nicht wahrhaben, aber ihr benehmen erinnerte mich selbst in meinen jüngeren Jahren, als durch meine Adern noch nicht Eis floss.

Zu meinem Vorteil war ich nicht die einzige, die sich von den Kriegern verabschiedete. So konnte ich mich unauffällig davon schleichen, als auch Logan endlich seinen Kameraden folgte.

Ich huschte durch die verzweigten Gänge, immer darauf bedacht, dass niemand mich sah und erreichte rechtzeitig die Abzweigung, an der seine Majestät vorbei kommen würde. Die anderen waren wohl schon längst draußen, was mir ermöglichen würde, einen Augenblick alleine mit ihm sprechen zu können.

Glücklicherweise ließ Logan nicht lange auf sich warten und kreuzte schon bald meinen Weg. Doch bevor er einfach an mir vorbei ging, als würde ich nicht existieren, stellte ich mich ihm in den Weg.

Er knurrte, als ich sogar näher an ihn heran trat, doch davon ließ ich mich nicht mehr einschüchtern. Er würde mir nichts tun. „Logan“, sagte ich leise und beobachte jede seiner Reaktion.

Es wirkte, als ob er einerseits auf mich zugehen wollte, andererseits würde es mich auch nicht wundern, wenn er mich fort stoßen und an mir vorbei stürmen würde.

„Geh zurück zu den anderen“, forderte er. Seine Stimme war tief und rau, als hielte er sich davon ab mich anzubrüllen.

„Das werde ich machen, nachdem ich dir gesagt habe, was mir auf der Seele lastet“, erwiderte ich und trat noch näher an ihn heran. Spannung lag in der Luft.

Ich hob die Hand und legte sie auf Logans Wange, was ihn erstaunt die Augenbrauen hochziehen ließ. „Und was wäre das?“

Ich holte zittrig Luft, denn ich wusste, dass ich einen grausamen Fehler begehen würde, wenn ich meine Gedanken zu Worte bildete. „Komm zurück. Du musst zurück kommen.“ Und nichts anderes würde ich dulden.

Als er ansetzte zu sprechen, schüttelte ich den Kopf und trat wieder zurück. „Nein. Sag nichts. Tu einfach, worum ich dich bitte.“

Erst als Logan langsam nickte, als wäre er nicht ganz sicher was ich damit bezweckte, atmete ich erleichtert aus und verschwand denselben Weg zurück den ich gekommen war. Ab jetzt konnte ich nur noch beten, dass Logan sich meine Bitte zu Herzen nehmen würde.
 

Wie es jedoch schien, war der heutige Tag noch nicht für mich vorbei, denn sobald ich mich in meine und Tristans Gemächer zurück ziehen wollte, kamen mir auf halbem Wege zwei bekannte Gestalten entgegen.

Oleen und Symphonie, die mich während der Regeneration meines Arms mit ihrem Wissen als Schamanin begleitet hatte. Sie war in ihrem Gebiet mehr als gut, hatte ich mir widerwillig zugestehen müssen, denn mein Körper hatte sich innerhalb der nächsten zehn Tage völlig erholt.

„Hervorragend! Dich habe ich gesucht, Becca! Du musst unbedingt mitkommen!“, begrüßte mich die kupferfarbene Schönheit mit den hellgrünen Augen, in denen ein Hauch von Gold mitschwang.

Ich war etwas verwundert darüber, dass die Schamanin, beziehungsweise Heilerin, etwas von mir wollte, nachdem sie meinen Behandlung abgeschlossen hatte, was ich natürlich aber auch zu einem großen Teil Logans Blut zu verdanken hatte. „Und warum, wenn ich fragen darf?“

Die beiden Frauen vor mir wechselten einen Blick untereinander, der mir nicht sonderlich behagte. Ich mochte es nicht, wenn meine Dienerin etwas vor mir verheimlichte.

„Oleen“, sagte ich und ließ es absichtlich nicht als Frage klingen.

Die Messerwerferin schien sich auf einmal sehr unwohl in ihrer Haut zu fühlen. Ihre Augen flackerten bläulich, was kein gutes Zeichen war. Schließlich schüttelte sie den Kopf und sah mich bittend an. „Habt Verständnis, Herrin, aber das müsst Ihr selbst gesehen haben.“

„Komm! Ich führe dich hin“, sagte Symphonie, die mich mit einer Handbewegung zur Eile rief. Der einzige Grund warum ich ihnen ohne weitere Fragen folgte war der, weil ich wusste, dass ich Symphonie etwas schuldig war.

Die Schamanin führte uns in das unterste Geschoss der Höhle, doch je weiter wir uns vom Brückensaal entfernten, desto dunkler und kälter wurde es in den Gängen, die wir durchquerten. Die Kartenähnlichen Aufzeichnungen, die wie Wegweiser normalerweise an den Wänden prangten, waren beinahe vollkommen verschwunden. Teils stoppten einige Linien, andererseits wurden mehrere Gesteinsbrocken vorsätzlich entfernt. Womöglich um ungebetene Besucher in die Irre zu führen.

Ich spürte an der leichten Senkung des Bodens, wie es immer tiefer hinab ging, der Sauerstoff immer mangelhafter wurde und Kälte sich ausbreitete wie eine Welle.

„Ich hätte dich schon früher geholt, Becca“, informierte mich Symphonie. Ihre Stimme war ungewöhnlich laut, deshalb fiel es mir leicht, das leichte Zittern daraus zu hören. „Aber ich wollte warten, bis Logan und Eridanus die Höhle verlassen. Sie hätten mir niemals erlaubt, dich zurate zu ziehen.“

„Eridanus?“, fragte ich und versuchte mir jemanden mit diesem Namen in Erinnerung zu rufen. Allerdings kam mir in diesem Fall nur das Sternbild in den Sinn.

Der rote Schopf vor mir nickte, drehte sich aber nicht um. „Eridanus ist einer der Wächter. Seine Schwester Kassiopeia hatte vor einigen Wochen einen schweren … Unfall, und ich fürchte, dass ich ihr nicht helfen kann.“

Symphonie blieb stehen und zündete mit einem Streichholz, das sie an der Steinwand rieb bis es entflammte, eine Fackel an. Langsam wurde die Umgebung klarer, einige Umrisse zeichneten sich deutlicher ab als noch wenige Sekunden zuvor, wo ich mit den anderen in völliger Dunkelheit umher geirrt war.

„Warum habt Ihr nicht Logan um Rat gefragt?“

Symphonie hüstelte. Ich spürte, wie die Temperatur der Schamanin leicht anstieg und wie eine warme Brise an mir vorbei wehte. Soso, die Dame wurde also rot. „Nun, du musst wissen, ich bin nicht gerade die ehrlichste Haut, und ich habe Eridanus versprechen müssen, Logan nichts von Kassiopeias Zustand zu erzählen. Wir haben sie in einer der Zellen verstecken müssen.“

Ich runzelte die Stirn über diese wohl ungewöhnliche Behandlung einer Patientin, sagte aber nichts weiter dazu.

Der nächste Ort an den die Werwölfin uns führte, war eine Art kreisrundes Zimmer, das dringend einer Einrichtung bedurfte, doch es schien mehr als eine Art Vorkammer zu dienen, die durch eine schwer verrostete Bronzetür in einen weitere Gang führte, doch diesmal einige Meter breit. An den Seiten reihten sich dicke Gitterstäbe, die wohl als eine Art Gefängnis dienten. Aber nicht für Vampire. Obgleich alles bereits ziemlich verdreckt und veraltet war, so erkannte ich, dass es sich bei dem Material der Stäbe um reines Silber handelte. Wie merkwürdig.

Was mich jedoch ebenfalls wunderte, war, dass auch Wayne sich hier eingefunden hatte und schweigend in dieses Zellenartige schwarze Loch starrte. Seine Haltung war die eines zu Stein gemeißelten Soldaten. Von außen hin ruhig, doch ich spürte das leichte Vibrieren in der Luft, dass der innere Dämon des Söldners aussandte.

Ein beißender Geruch drang mir in die Nase. Verwestes Fleisch, vertrocknete Knochen; selbst die Fliegen konnte ich summen hören, aber auch noch etwas anderes, bedrohliches.

Ein Knurren, dass mit nichts Ähnlichkeit hatte, was ich schon einmal gehört hatte. Wie schweres Atmen und tiefe Schreie. Wie das letzte Gestammel derjenigen, denen ich schon einmal die Kehle aufgeschlitzt hatte und ausbluten ließ.

„Was ist das für ein Gestank?“, fragte ich. Mir gefiel das Ganze nicht. Warum hatten sich die beiden Vampire und die Heilerin ohne mein Wissen hier eingefunden? Was verheimlichte man mir?

Symphonie und Oleen hatten sich drei Meter dieser Zelle, deren Inhalt man vor lauter Schwärze kaum erkennen konnte, entfernt aufgestellt. Die Schamanin wies mit der Fackel in die Richtung, aus der dieses grausige Schmatzen und das Gekeuche ertönten.

Mit einer ausholenden Bewegung warf sie sie durch die Gitterstäbe. Mit einem dumpfen und knisternden Laut schlug die Fackel auf und enthüllte Unvorstellbares.

Eine frau – jedenfalls vermutete ich Aufgrund der langen blonden Haare, dass es sich um eine handelte – fauchte wie ein Tier vor dem Licht zurück und sah sich gezwungen von dem Klumpen Fleisch, den man ihr dargeboten hatte, abzuwenden und in eine dunklere Ecke zu weichen. Sie war Blutverschmiert, ihre Haare filzig, die Haut schmutzig und verkrustet, aber ihr Gesicht und ihre Gelenke waren wohl das Schlimmste. Deformierte Knochen, die wie Spitze Pflöcke aus ihrem Fleisch drangen, und ein Gesicht, bei dem man nicht bestimmen konnte, ob es menschlich oder tierischen Ursprungs war. Auch ihre Wirbelsäule war verkrümmt, wie bei einem Werwolf bei der Verwandlung, jedoch wies sie statt Fell und Krallen nur sehr lange Fangzähne auf.

Dieu ait pitié de leurs âmes“, flüsterte ich und wagte es trotz dieses mitleiderregendem Anblicks nicht den Blick abzuwenden. „Ich befürchte, ich liege nicht falsch, wenn ich behaupte, dass es sich bei diesem Monstrum um Kassiopeia handelt.“

Symphonie sah mich mit einer Mischung aus Trübsal und Ekel an, der sich diesmal wohl ausnahmsweise nicht an mich richtete, sondern auf die kranke Frau aus dem Rudel. „Es stimmt“, sagte sie, was die Bestie zu einem schlangenartigen Zischen brachte. „Kassiopeia wurde von einem Blutsauger verwandelt. Wir … nein, ich dachte, man könnte die Wandlung vielleicht noch aufhalten, ehe sie eine von ihnen wird, aber man erkannte schnell, dass es sie nach Blut verlangte, aber gleichzeitig schien es sie abzustoßen.“

So etwas Ähnliches hatte ich mir bereits gedacht. Unter den Vampiren hatte man ein striktes Verbot aufgestellt, was die Verwandlung von Werwölfen anging. Nicht nur, dass sie zu einem Teil bereits Vampir waren, nein, auch das Tier in ihnen hatte eine sehr große Macht, aber wenn jemand es wagte, auch noch einen Dämon in deren Körper zu zwingen so konnte man dabei Zeuge werden, wie sie langsam den Verstand verloren und ihre Seele in Stücke gerissen wurde.

Diejenigen, die sich dieser Regel wiedersetzten, wurden umgehend mit dem Tode bestraft. Also fragte ich mich, wessen Wahnsinn derart groß war, dass man solch ein unkontrolliertes Monster erschuf. Und ich weigerte mich zu glauben, dass auch dies das Werk meiner Schwester war, deren Hass gegen mich sie stets über unerlaubte Grenze schreiten ließ.

Ich versuchte mich zu sammeln; mir nicht anmerken zu lassen, dass mich Kassiopeias Anblick unvorstellbar abstieß.

„Weshalb zeigt ihr mir so etwas Derartiges?“, verlangte ich zu wissen und ballte die Hände zu Fäusten.

„Als Oleen mir eines Tages hierher nach unten gefolgt war und ich ihr dies alles erklären musste, hatte sie mich darauf aufmerksam gemacht, dass du schon einmal mit dieser Krankheit zu tun hattest“, sagte Symphonie.

Ich zischte leise, bei dem Gedanken an die Versuchsobjekte der Königsschlächter und verspürte den tiefen Wunsch irgendjemandem das Herz herausreißen zu können. „In der Tat. Ich hatte bereits öfters das Vergnügen, doch ich muss Euch enttäuschen, Heilerin. Für diese Bestie gibt es keine Heilung, für etwas, dass keine Krankheit ist, sondern lediglich das Produkt eines zerschmetterten Geistes.“

Der Schamanin entwich ein heißerer Laut, beinahe einem Lachen gleich, der mir sagte, dass sie bereits jegliche Hoffnung hatte fahren lassen und sich lediglich in ihren Vermutungen bestätigt fühlte. „Und was sollen wir nun tun?“

Ich warf einen Blick auf die beiden Vampire, die sich zu diesem Thema äußerst distanziert verhielten, jedoch sprachen ihre bläulichen Blicke Bände. „Die größte Gnade die man diesem armen Wesen zu Teil werden lassen kann, wäre ein schneller Tod.“

Es herrschte eine kurze Pause, in der betretenes Schweigen herrschte und nur die Krächzenden Laute Kassiopeias zu hören waren, ehe ich von Symphonie verlangte die Zelle zu öffnen.

Symphonie nickte mit deutlichem Widerwillen und holte einen Schlüssel aus einer ihrer Hüfttaschen, aus denen der Duft von Pfefferminz und anderen Kräutern strömte. Die Gitter schwangen mit einem hohen quietschenden Laut auf, was das Biest wohl als Aufforderung sah, auszubrechen, was ich jedoch mit einem gezielten Tritt, der Kassiopeia zurückschleuderte, zu verhindern wusste.

Ich betrat die stinkende Zelle, in der Exkremente und Fleischfetzten verteilt waren und wies die Schamanin an, die Türe wieder zu schließen um zu vermeiden, dass es zu einem erneuten Fluchtversuch kam. Wayne war mir ebenfalls nach drinnen gefolgt, wohl, um mir Rückendeckung zu geben, während die anderen beiden das Geschehen von außen beobachteten.

Kassiopeia fauchte und begann damit mich auf eine Art zu umkreisen, die allein Werwölfen vorbehalten war. Blut rann aus ihrem Maul und ihrem Kinn hinab; ihre Augen waren pechschwarz, jedoch sah es aus, als ob grüne Sterne in ihnen tanzten.

Mit einem lauten Brüllen Griff mich die Bestie an. Ich schaffte es auszuweichen, ohne mich schwerwiegend zu verletzen, als ich jedoch in einen Gegenangriff übergehen wollte, spürte ich, wie eine scharf geschliffene Klinge durch meinen Hals fuhr und hörte einen lauten Schrei von Oleen ertönen.

Ich röchelte; schluckte das Blut, dass aus meinem Kehle zu strömen drohte und taumelte einige Schritte zurück. Ich hatte die Hand auf meinen Hals gepresst, bis ich mir nicht mehr einbildete, mein Kopf könnte jeden Moment von meinen Schultern fallen, obwohl ich wusste, dass die Wunde verheilt war, noch ehe das Schwert ganz durch mich hindurch gegangen war.

„Wayne“, raunte ich und fixierte ihn mit rot glühenden Augen. „Was maßt Ihr Euch an! Was sollte das?!“

Die leuchtend blauen Augen blickten mich betrübt an. An seinem Schwert, das er erfolgreich unter seinem Mantel versteckt hatte, klebte mein Blut. „Es tut mir Leid, Mylady, doch ich kann nicht zulassen, dass Ihr Kassiopeia tötet.“

Besagte Frau – oder das, was von ihr übrig war – schlich um den Vampir herum, jedoch um einiges weniger bedrohlich.

Um Himmels Willen, ich ahnte böse. „Ihr habt sie gewandelt?! Seid Ihr von Sinnen?!“

Seine Miene verzerrte sich voller Leid und Schuldgefühle und mit einer schnellen Bewegung, wollte er sich erneut meiner entledigen. „Ihr versteht das nicht, Mylady, ich hatte keine Wahl!“, schrie er mich nun wütend an. Kassiopeia übernahm seinen Zorn, wie eine Reflektion eines Spiegels und Griff mich ebenfalls an. Sie schnappte mit ihren Fängen nach mir und verbiss sich in meinem linken Bein. Wild zerrte sie daran; durchtrennte Muskeln und Sehnen, und ich bildete mir sogar ein, dass sie mein Blut zu trinken schien.

Ich schlug Waynes Klinge von mir fort, und versetzte ihm mit meiner freien Hand einen derart heftigen Schlag gegen die Brust, dass ich seine Rippen bersten hörte und der Söldner mit Wucht gegen die Gitterstäbe flog.

Als ich glaubte, diesen für einen Augenblick ausgeschaltet zu haben, packte ich Kassiopeia an den Haaren und zwang sie, den Kopf in den Nacken zu legen. Ich hätte ich die Kehle herausreißen können, wenn sich Wayne nicht schneller erholt hätte als gedacht, und sich brüllend auf mich warf, so dass wir beide im Dreck landeten und um das Vorrecht kämpften.

„Was ist nur in Euch gefahren!“, kreischte ich und schaffte es, mir in einem unbedachten Moment, einen seiner Dolche zu bemächtigen.

„Ihr versteht das nicht“, wiederholte er und presste mir die Klinge seines Schwertes an den Hals, dass er bis jetzt kein einziges Mal losgelassen hatte.

„Dann erklärt es mir!“, befahl ich und spürte Schmerzen im ganzen Körper. Besonders, als Kassiopeia mit ihren zu Klauen verkrümmten Fingern, deren Nägel äußerst scharf waren, an meinen Beinen zu zerren begann. „Ihr seid in Wirklichkeit nicht gekommen, um mich zu töten, sondern wegen Kassiopeia, nicht wahr?“

Als Wayne Aufgrund eines kurzen Zögerns locker ließ, wurde ich von der bedauernswerten Bestie unter ihm weggezogen und musste mich daraufhin einer verkrüppelten Person gegenübersehen, deren Augen nun von einem grün zu einem dunklen blau hin und her wechselten.

„Ihr habt Recht“, bestätigte der Söldner meine Vermutung und erhob sich schwerfällig, während Kassiopeia mich unerbittlich festhielt und damit begonnen hatte, an meiner Schulter zu nagen. „Die Gefangenschaft, die Lügen – all das nur für Kassiopeia. Denn sie gehört mir, sie ist meine Braut!“

Ich warf die Werwölfin von mir und schaffte es, mich wieder in eine aufrechte Position zu bringen. Blut quoll mir aus unzähligen Wunden und ich hatte Mühe, diesen penetranten Geruch zu ignorieren. Stattdessen versuchte ich, mich auf Waynes eben gesprochene Worte zu konzentrieren, die mir nicht in den Kopf wollten.

Dieses Monster war seine Gefährtin?

„Aber warum habt Ihr sie verwandelt? Ihr wusstet doch was passieren würde!“

Wayne schüttelte mit einem bitteren Lachen den Kopf. „Die Liebe hat einen Narren aus mir gemacht, doch Eure Schwester war es die uns ins Unglück gestürzt hat. Kassiopeia lag bereits im sterben als ich sie gefunden hatte. Die Königin hatte sie, sowie einige andere, wie Vieh abgeschlachtet. Es war beinahe zu spät als ich erkannte, dass sie die für mich bestimmte war, und hatte aus reiner Notwendigkeit gehandelt.“ Wut wallte wieder in dem Söldner auf und er ließ das Schwert hinab sausen, jedoch nicht mehr mit so viel Nachdruck wie vorhin noch, so dass ich keine Schwierigkeiten hatte ihn abzuwehren.

„Ihr habt sie zu diesen Qualen verdammt, Söldner!“, fauchte ich. Entsetzt, über so viel Selbstsucht.

„Ich konnte sie nicht gehen lassen!“, schrie er. „Es war ihr Wille nicht zu sterben, und auch wenn es mich mehr geschmerzt hatte als Sonnenlicht auf meiner Haut, so habe ich ihr ihren Wunsch ohne Reue erfüllt!“

Ich wusste nicht, ob ich nicht genauso wie Wayne gehandelt hätte. Denn was wäre schmerzvoller, als der Tod meines Gefährten? Aber ich konnte seine Handlung einfach nicht dulden, egal wie sehr ich seine Meinung teilte.

Wayne konnte meine Entscheidung im Gesicht ablesen und verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln. Mit der gewandten Bewegung eines Auftragskillers stellteer sich in Ausgangsposition und erwartete meinen Angriff, der nicht lange auf sich warten ließ.

Die Schnitte und Brüche die er mir zufügte, reichten nicht, um mich zu bezwingen, er zögerte sein Ende und das seiner Frau nur hinaus – und das wusste er. Ich konnte es in seine Haltung erkennen; in seinen erschöpften Augen, die immer wieder zu seiner Gefährtin huschten und in der Art, wie er seine Kraft bis zum Ende ausschöpfte, obwohl es vergebens war und es kein entrinnen geben würde. Denn auch wenn er mich in die Knie bezwang, so würde Oleen nicht über meinen Tod hinweg sehen, und Symphonie schon gar nicht über den ihrer geschätzten Kameradin.

Ich schaffte es Wayne das Schwert aus der Hand zu reißen, indem ich eben diese von seinem Körper trennte, doch anstatt ihm den Gnadenstoß zu verpassen, köpfte ich damit Kassiopeia, die mit einem Mark erschütterndem Heulen auf mich zu sprang. Der blutende Körper, aus dem das Blut wie bei einem Springbrunnen nur so herausspritzte, fiel dumpf zu Boden

NEIN!!!“, brüllte Wayne in Einklang mit seinem Dämon und sank auf die Knie. Der gefasste Kopfgeldjäger war fort und das einzige was übrig blieb, war ein gebrochener Mann, der um Erlösung bettelte.

„Jetzt gibt es nichts mehr, was mich hier auf Erden mehr hält, Mylady. Erteilt mir meine Strafe und schickt mich in die Hölle, wohin ich für meine Taten ohne Zweifel verdammt werde.“ Mit seiner noch heilen Hand, holte er etwas aus seiner Manteltasche. Symphonies Schlüssel, den er ihr abgenommen zu haben schien.

Ich umklammerte fest den Schwertgriff und entnahm ihm den Schlüssel mit bedauern, dass all dies auf so eine verwerfliche Art enden musste.

Ebenso wie seine Gefährtin, gab ich ihm den Gnadenstoß und verließ anschließend mit geneigtem Kopf die Zelle.

Ich hörte weder Oleens noch Symphonies Worte, die mir gut zu sprachen und die Schuldgefühle, die mich heimsuchten, einfach nicht zu tilgen vermochten. Ich vermied es, die Leichen noch einmal anzublicken und sah stattdessen den langen Flur entlang, der bei einem Torbogen halt zu machen schien. Das Zeichen, dass darauf prangte, kam mir bekannt vor, aber dann drehte ich mich um und schenkte dem keinerlei Beachtung mehr.
 

Wieder in meiner und Tristans Höhle, versuchte ich mir das Blut vom Körper zu waschen und zog mir etwas Frischeres an, um den Gestank loszuwerden.

Anschließend legte ich mich etwas hin und versuchte nicht über die letzten Stunden nachzusinnen. Zu viel auf einmal war geschehen, mit dem ich nicht zurechtkam. Das Mitleid, das ich für Wayne, ebenso wie Kassiopeia, empfand, war einfach zu groß um es zu verdrängen. Würde auch mich so ein Ende erwarten? Würde auch ich auf die Gnade eines Fremden angewiesen sein?

All dies wollte mir nicht in den Kopf und begleitete mich dennoch in meinen Träumen, ehe ich von einer aufgeregten Stimme genötigt wurde aufzustehen. Es waren Blake und Ki Feng Loo die mich auf so ungestüme Weise wach rüttelten und mich sicherlich auch noch getragen hätten, wenn ich mich geweigert hätte, doch die freudige Nachricht, die mich empfing, war Grund genug um sofort aufzuspringen und den ankommenden Wächtern entgegen zu laufen.

Nicht nur ich war aufgeregt über ihre Ankunft, auch viele andere machten den Eindruck als würden sie vor Glück gleich Ohnmächtig werden.

Ich war zu meinem Bedauern nicht die erste, die die Gelegenheit hatte die Wächter zu begrüßen, dennoch fiel mir ein gewaltiger Stein vom Herzen als ich Logan dreckig und ziemlich angeschlagen – aber immerhin noch lebendig genug um ein gemeines Gesicht zu machen – gerade in den Saal kommen sah.

Mein Herz schlug wie verrückt als ich auf ihn zugerannt kam und beinahe der Versuchung erlegen wäre, ihm um den Hals zu fallen, doch als sein Blick den meinen kreuzte verlangsamte ich mein Tempo augenblicklich, bis ich direkt vor ihm stand.

Seine Majestät berührte meine Wange, aber seine Augen schienen durch mich hindurch zu blicken. Sein Körper war angespannt und obwohl es nicht kalt war, zitterte er wie verrückt. Ob es daran lag, dass er sich verwandeln wollte oder es einen Grund gab, wusste ich nicht. Doch ich war mir sicher, dass etwas Unvorstellbares geschehen war.

„Logan“, flüsterte ich mit heiserer Stimme und konnte nicht verhindern, dass eine Träne sich aus meinem Auge stahl. „Wo ist Tristan?“
 

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So, wer mich jetzt töten möchte, nur zu XD *sich in Panzer verkriech*

glg eure Angels

Logan

Geschrieben aus Logans Sicht
 

„Rebecca“, flüsterte ich mit Wehmut in der Stimme, doch die Vampirin hörte mir nicht zu. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Sie starrte mit weit aufgerissenen Augen auf einen Punkt hinter mich. Starrte auf den Körper, den Eridanus, dem eine völlig aufgelöste Natalia folgte, in die Mitte des Saals trug und ihn respektvoll zu Boden legte. Tristan, aus dessen Brust ein langes, gewelltes Schwert ragte und nur eine der schlimmsten Wunden war, die man ihm letzte Nacht zugefügt hatte.

Der Kampf war nicht so verlaufen, wie wir es geplant hatten. Man hatte uns mit fauchenden Fangzähnen und geschliffenen Silberschwertern bereits erwartet.

„Nein. Nein, das kann nicht sein“, sagte die bleiche Schönheit so leise, dass selbst ich sie mit meinem scharfen Gehör nicht verstanden hätte. Es bereitete mir beinahe schon körperliche Schmerzen sie anzusehen, wo ihr Antlitz doch so sehr Tristans Mörderin ähnelte.

NEIN!“, kreischte Rebecca plötzlich so herzzerreißend, dass jeder im Saal sich zu ihr umdrehte, obwohl es auch noch andere schreckliche Todesfälle gegeben hatte die den Tod Tristans sogar an Grausamkeiten übertrafen.

Ich biss die Zähne fest aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten, bis sie knackende Geräusche von sich gaben.

Mit ihren langen Fingernägeln, kratzte sie sich in ihrem Gesicht auf, deren Striemen kaum Zeit hatten zu bluten, ehe sie auch wieder zu blasser, cremefarbener Haut verheilten. Tränen rannen ihr die hübschen Wangen hinab und ihr Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, als sie mit langsamen Schritten auf ihren offiziellen Gefährten zutrat. Die Fassade einer hochmütigen Prinzessin, die diese Vampirin stets zu wahren versucht hatte, war binnen weniger Augenblicke zerschmettert und ich konnte das Leid, dass von Rebecca ausging, förmlich auf der Zunge schmecken.

„Das Schwert“, wimmerte sie leise, als sie mit glasigem Blick neben dem Leichnam auf die Knie sank, nur um im nächsten Moment durch den ganzen Saal zu kreischen: „Das Schwert! Zieht das verdammte Schwert aus seinem Herzen!“

Doch Rebecca kümmerte sich nicht um die anderen, und riss ihrem Gefährten das Schwert selbst aus der Brust. Nur zu gern hätte ich diese Aufgabe übernommen, allein deswegen bereits, um dieser Frau noch mehr Kummer zu ersparen, doch selbst ich, der mächtigste Werwolf, war nicht in der Lage, das glutrote Schwert aus Silber auch nur anzufassen.

Wie erstarrt standen wir alle da und beobachteten dieses unwirklich Szenario, dass sich uns darbot, wie ein wahr gewordener Albtraum.

Nie hätte ich mir auch nur im Entferntesten erträumen lassen, dass solche Emotionen zwischen Vampiren und Werwölfen möglich wären, doch allein meine Gefühle für diese Blutsaugerin waren Beweis genug.

Es war verwerflich, dass das Tier tief in mir sich darüber freute, seinen Konkurrenten los zu sein, doch der Mann brüllte vor Schmach. Er hatte seinen teuersten Freund verloren und empfand tiefste Schuld, ihn nicht besser beschützt haben zu können. Aber als Majestät einer gesamten Rasse, hatte er Prioritäten zu setzten, egal wie sehr es ihn innerlich zerriss.

Die sonst pechschwarzen Augen der Vampirin erstrahlten im hellsten Rot, dass ich jemals zu Gesicht bekommen hatte. Sie waren wie pures Gift für jeden, der ihren Blick kreuzte, aber ihre Aufmerksamkeit lag vollkommen auf Tristan, den sie weinend in ihre Arme geschlossen hatte und immer wieder verzweifelt wiederholte, dass dies alles nicht wahr sein konnte.

Es war wahr. Das wusste ich besser als jeder andere, denn Tristan war nicht der einzige, denn ich auf diese Weise bereits verloren hatte und er würde bei den Göttern nicht der Letzte sein, dessen war ich mir sicher.

Sofern ich es aus meiner defensiven Beobachtung erkennen konnte, versuchten einige des Rudels, auf Rebecca zuzugehen und sie zu trösten, doch das letzte was diese unbarmherzige Kriegerin haben wollte war Mitleid, und so richtete sie Leonores Schwert auf jeden, der es wagte ihr zu nahe zu treten, während sie mit aller Macht versuchte nicht wieder zusammenzubrechen.

Obwohl sich alles in mir dagegen sträubte, Rebecca in diesem persönlichen Moment der Trauer und des Schmerzes zu stören, so konnte ich ihren leidenden Anblick einfach nicht mehr ertragen. Es war zu viel für mich, sie so verletzlich zu sehen und keiner des Rudels hatte das Recht, ihr irgendwelche Beileidsbekundungen zuzuflüstern und sie mit diesen bedauernswerten Augen zu mustern, als würden sie noch immer nicht glauben, dass Rebeccas Gefühle zu Tristan durch und durch echt waren.

Langsam näherte ich mich der Vampirin, die mich mit glasigem Blick fixierte und das Schwert keinen Augenblick zu senken gedachte. Sie klammerte sich nur noch fester daran.

„Logan …“, schluchzte sie. „Bleib fern von mir.“

Ich schüttelte den Kopf und schlich mich immer weiter an sie heran, dessen sie sich jedoch bewusst war und für jeden Schritt den ich tat, einen zurück ging. Als würde sie versuchen vor mir zu fliehen. „Lass mich dir helfen, Rebecca.“

„Ich bin hoffnungslos verloren“, murmelte sie düster und drückte Tristans zerschundenen Körper fester an sich.

Wut wallte in mir auf, weil sich die Vampirin in Selbstmitleid suhlte. Sie hatte den Stolz einer Königin und nun benahm sie sich wie ein verängstigtes Tier. „Es reicht, Rebecca. Komm.“

Die glutroten Augen brannten Löcher in meinen Kopf, als sie mich mit diesem verachtenden Blick strafte, der jede Folter übertraf die ich bereits miterleben durfte.

Sie ließ Tristans Körper langsam auf dem Boden sinken und wirkte dabei wie eine Göttin, die einem gefallenen Krieger die letzte Ehre erwies.

Doch dann wandte sie sich an mich und ihr gottgleiches Auftreten verwandelte sich in eiskalten Zorn.

„Warum?“, fragte sie in demselben Tonfall, wie ich meine Peiniger gefragt hatte, als ich zum ersten Mal menschliche Gestalt annahm. Voller Schmerz. Leid. Trauer.

Ich gab ihr dieselbe Antwort, wie ich sie bekommen hatte – nämlich gar keine.

Ich trat auf sie zu, trotz des Silbers, das meinen Arm streifte und die Haut verätzte, und nahm sie fest in den Arm.

Es kümmerte mich gerade nicht, ob irgendjemand zusah oder Rebecca mir vielleicht sogar die Schuld an seinem Tod zuschob. Das einzige, was im Moment wichtig war, war, dass sie schwer in meinen Armen ruhte und der Griff des Langschwertes ihr langsam aus den Fingern glitt, um anschließend klirrend am Boden zu landen. Zwar vollkommen starr und, wenn ich das viel zu schnelle flattern ihres Herzens nicht gespürt hätte, so leblos wie der Rest ihrer Rasse.

Noch immer viel es mir schwer zu glauben, dass die Frau in meinen Armen, dieselbe war die vor weniger als drei Monaten noch jagt auf Werwölfe gemacht hatte und noch dazu die Schwester dieser blutrünstigen Königin war, die mit einem fröhlichen, irren Lachen und in ihrem in Blut getauchten weißen Kleid, die Klinge durch Tristans Brustkorb gestoßen hatte.

„Komm mit“, flüsterte ich leise an Rebeccas Ohr und wollte sie nicht mehr dem Anblick von Tristans Leichnam aussetzten. Sein Körper war von mehreren Fangzähnen zerfetzt worden und mehrere Knochen mussten gebrochen sein, aber den Gnadenstoß hatte ihm zweifellos Leonore gegeben.

Ich unterdrückte ein Schaudern bei der Erinnerung, wie das Leben qualvoll langsam aus seinen Augen gewichen und er gezwungen gewesen war, die letzten Sekunden seines Todes damit zu verbringen, in Leonores schadenfrohes Grinsen zu starren. Sie hatte genau gewusst, wen sie gerade umgebracht hatte. Und ihre Zufriedenheit brachte tiefen Ekel in mir hervor.

Es war beinahe unmöglich gewesen, sich gegen die Welle an Vampiren zu wehren, die mit ihren Waffen auf uns zugestürmt waren und auch wenn ich mich dafür hasste, mir das eingestehen zu müssen, so verdankten wir nur der Tatsache, dass Leonore ihre Marionetten zurückpfiff, dass wenigstens der Rest von uns diese Nacht überlebte.

Ich hoffe meine liebste Schwester freut sich über mein kleines Andenken! Es wird ihr sicherlich eine Lehre sein, hatte sie uns mit vor Entzückung bebender Stimme zugerufen und ihre Augen haben wie die des Teufels gebrannt. Ich freue mich auf ein baldiges Wiedersehen.

Mir war nicht klar, ob sich der letzte Satz auf mich oder Rebecca bezogen hatte.

Kichernd, wie ein Kind, das einen Wettstreit gewonnen hatte, hatte sie mit ihren Schöpfungen den Schauplatz des Kampes verlassen und sich wieder ins Schloss zurückgezogen. Wir hatten noch nicht einmal die Chance gehabt einzudringen, ehe man uns bereits aus dem Hinterhalt angegriffen hatte. Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen, doch obwohl die Blutsauger sichtlich nervös wegen der Tageszeit und dementsprechend abgelenkt und träge waren, so hatten sie scheinbar keine allzu großen Schwierigkeiten gehabt uns zu überwältigen.

Noch immer packte mich kalte Wut bei dem Gedanken daran, bis ich plötzlich der Nässe an meiner Brust gewahr wurde, die von den Tränen der Vampirin herrührten.

Ich tat mir schwer zu Versuchen Rebecca zum gehen zu bewegen, da sie sich partout nicht von ihrem Gefährten entfernen wollte, doch nachdem ich einwilligte noch einige Zeit gehorsam an ihrer und Tristans Seite zu verbringen, brachte ich es endlich fertig, sie aus dem Saal zu führen, während uns das trauernde Heulen der Werwölfe nachhallte.
 

Ich brachte Rebecca in mein Quartier und legte mich mit ihr auf die weichen Felldecken, damit sie sich endlich wieder einkriegen konnte und aufhörte zu zittern. Starr ließ sie die Streicheleinheiten von mir über Kopf und Rücken über sich ergehen und bette ihr Gesicht auf meiner Brust.

Die Stille, die in diesem relativ engen Raum herrschte, war meiner Meinung nach beinahe schon Ohrenbetäubend. Doch ich wollte Rebecca nicht zum sprechen zwingen, da sie momentan ohnehin ziemlich abwesend schien. Ob sie überhaupt bemerkt hatte, dass ich es war, der sie schützend an sich gedrückt hielt? Oder stellte sie sich gerade Tristan statt meiner vor?

Bei Gedanken konnte ich ein tiefes Knurren kaum unterdrücken, aber Rebecca spürte wohl das Vibrieren, tief in meiner Brust.

Sie blickte mich durch einen Schleier aus Tränen an und mein Herz zog sich automatisch zusammen. Ich schüttelte den Kopf und massierte ihren Nacken, bis sie sich wieder hinlegte. Es tat mir nicht nur die Tatsache in der Seele weh, dass mein bester Freund den Tod gefunden hatte, sondern das ich ausgerechnet an seiner Gefährtin Gefallen gefunden hatte. Nein, schlimmer noch. Ich war verliebt.

Wer hätte je gedacht, dass ich, derjenige, der die Blutsauger am allermeisten verabscheute, ausgerechnet sie zur Gefährtin wollte. Es war unverzeihlich und ich bezweifelte, dass ich mir selbst für diese Schandtat vergeben konnte.

Noch nicht einmal die Wunden, die man mir heute Nacht zugefügt hatten, waren auch nur ansatzweise Strafe genug.

Stunden vergingen, ohne das sich einer von uns auch nur rührte. Wir blieben liegen und lauschten den Atemzügen des anderen. Zwischendurch schlief Rebecca ein, während ich schützend Wache hielt. Zwar drohte ihr innerhalb der Höhle keine Gefahr, doch ich empfand es in erster Linie als meine Pflicht sie vor sich selbst zu schützen.

„Leonore hat das getan“, flüsterte Rebecca, nachdem sie aus einem weiteren Albtraum aufgeschreckt war. Keine Frage, eine Feststellung. Dennoch bestätigte ich ihre Worte mit einem leichten Nicken.

„Sie hat uns erwartet, aber nachdem sie … Tristan niedergestreckt hatte, schien sie kein besonderes Interesse mehr an dem Kampf zu haben. Deshalb ließ sie uns laufen.“

Rebecca entfuhr ein schwaches Lachen, dass nicht einmal als eines gelten konnte, so gefühlslos wie es klang. „Oh wie wahr, das ist meine Schwester. Ihr Sinn für Humor ist nach all den Jahrhunderten ungetrübt.“

Ich drückte die Vampirin fester an mich und schloss die Augen. Ich war müde. So unendlich müde, und alles – der Krieg, die Kämpfe, die Toten – schien kein Ende nehmen zu wollen. Doch ich hatte zu viel durchgestanden, um nun einfach aufzugeben. Ich würde mich bis zu meinem letzten Atemzug gegen die Herrschaft der Blutsauger wehren. Fragte sich nur noch, ob Rebecca dann noch an meiner Seite wäre. Möglicherweise hatte sie nun keinen Grund mehr zu bleiben, jetzt, da Tristan tot war.

„Soll ich dir etwas über die Partnerschaften in unserem Rudel erzählen?“, fragte ich leise und fuhr mit den Lippen über ihr Ohr. Schon öfters hatte ich aus reiner Gewohnheit heraus versucht, ihren persönlichen Duft aufzunehmen, doch das schien im Bereich des Unmöglichen zu liegen, denn sie roch nach nichts. Normalerweise stanken die anderen Vampire von der Verwesung ihrer toten Körper, doch da Rebecca durchaus einen Herzschlag besaß, hatte sie es irgendwie geschafft das richtige Maß zwischen Leben und Tod zu finden.

Meine Worte ließen die Vampirin aufhorchen, obwohl man ihre Neugierde nicht erkennen konnte, so hatte ich gelernt aus dem Ausdruck ihrer Augen zu lesen.

„Es geschieht nur selten, dass ein Paar zueinander findet“, begann ich und vermied es Rebecca direkt anzusehen. „Aber sobald sie sich gefunden haben, sind die praktisch unzertrennlich. Der Tod für einen von ihnen, bedeutet auch das Ende des anderen. Verstehst du, Rebecca? Werwölfe binden sich nur ein einziges Mal in ihrem Leben. Da du ein Vampir bist, setzt sich diese Verbindung außer Kraft, aber wenn du dich dennoch entschließt, dasselbe für Tristan zu tun …“

Ich sprach nicht weiter. Ich konnte es einfach nicht. Allein die Vorstellung, dass sie frei und dennoch unerreichbar für mich war, trieb mir kalten Schweiß auf die Stirn.

Rebecca spielte mit einer ihrer langen, weißen Haarsträhnen und starrte ins Leere, bevor sie sich entschloss, etwas zu antworten. „Die Vampire … wir haben eine Wahl. Natürlich können wir uns für die Ewigkeit binden, was selbst über den Tod hinaus geht. Nicht wenige begehen Selbstmord nach dem dahinscheiden ihrer Liebsten. Es liegt jedoch bei uns, ob sich einige von uns nicht doch dafür entschließen einen Neuanfang zu machen.“ Sie setzte sich auf und wandte sich mir zu. In ihre Augen war ein ernster Ausdruck getreten, der das helle Rot in ihren Iriden beinahe gänzlich vertrieb und stattdessen tiefe Schwärze hinterließ. Fast wie bei getrocknetem Blut.

Rebecca legte mir zärtlich eine Hand auf die Wange und hatte ein erschöpftes Lächeln auf den Lippen. „Ihr müsst wissen, Logan, dass wenn Ihr es gewesen wärt, der im Kampf gefallen wäre, dann hätte ich keinen Augenblick gezögert Euch in den Tod zu folgen.“

Ich lächelte schwach. Es fiel mir schwer, ihren Worten zu glauben auch wenn ich ihre Zuneigung deutlich fühlte. Die Leidenschaft zwischen uns war unübersehbar, aber war es auch genug? Ich wünschte es wäre so, aber im Moment war alles zu verwirrend, um genaue Schlüsse ziehen zu können.

Vielleicht würden wir es schaffen, im nächsten Leben zusammen sein zu können – ohne Gefahren, ohne Kriege. Doch obwohl unsere Situation so ausweglos erschien, würde ich eher sterben als sie gehen zu lassen.

Ich drückte dieser hinreißenden Frau einen unsanften Kuss auf die Stirn und genoss noch einen Augenblick lang ihren Körper in meinen Armen, ehe ich sie sanft auf die Decken drückte und aufstand.

„Ruh dich noch etwas aus. Ich muss noch einige Dinge erledigen, bevor ich wiederkomme und du von mir trinken kannst.“

Sie blinzelte noch nicht einmal und legte sich gehorsam hin. Dennoch hörte ich, wie sie wieder zu weinen anfing als ich sie alleine ließ und wünschte mir ein weiteres Mal, niemals Leonores Bekanntschaft gemacht zu haben.
 

„Wie geht es ihr?“, fragte Kaiden, sobald ich den Versammlungsraum betrat.

Es gab einen Verräter, soviel stand fest, denn wie hätten die Blutsauger sonst von dem Angriff erfahren können? Natürlich wäre die Vermutung nahe gelegen, dass einer der Gefangenen daran Schuld trug. Früher hätte ich sie alle dafür ohne zu zögern töten lassen, völlig egal ob sie es nun tatsächlich gewesen waren oder nicht, aber seitdem Rebecca aufgetaucht war, lief bei mir so einiges aus dem Ruder. Wie kam es nur, dass ich meinen eigenen Leuten auf einmal weniger traute, als den Monstern direkt unter uns?

„Dementsprechend“, knurrte ich, weil ich nicht über dieses Thema sprechen wollte. Rebeccas Leid war allein meine Sache. Die anderen hatten kein Recht sich da einzumischen, nachdem sie sie so mies behandelt hatten, auch wenn ich keinen Deut besser gewesen war.

Kaden blickte mich einen Augenblick an, dann nickte er und ließ sich wiederauf seinen Platz sinken.

Alle waren erschöpft und ausgelaugt, nicht zu vergessen von Wunden übersät. Die Schwerverletzten würden die nächsten Tage wohl bei Symphonie verbringen, damit sie sie wieder auf Vordermann brachte, aber sich vor allem erst einmal ein paar Mützen Schlaf gönnten. Wir waren alle mit den Nerven am Ende, und der Mond brachte uns halb um den Verstand. Selbst nach diesen ansträngenden Nächten wäre es mir lieber durch die Wälder zu jagen und die leuchtende Scheibe am Himmel anzuheulen, als in diesem Raum zu sitzen und über weitere Vorgehensweisen zu diskutieren.

„Wie sieht es mit dem Umzug aus?“, fragte ich.

„Beinahe alle sind bereits aufgebrochen. Wir warten noch auf weitere Nachrichten“, antwortete Ki Feng Loo. Ihre Haare waren wild durcheinander und unter ihren Augen zeichneten sich deutlich Augenringe ab.

Ich nickte. Wenigstens eine einigermaßen positive Nachricht.

„Was machen wir mit Tristans Leiche?“, fragte Stephan, der für seine Taktlosigkeit berühmt war. Als Welpe wurde er nur selten bestraft, da er das Aussehen eines schelmischen Jungspundes hatte, dem man einfach nicht böse sein konnte, und ein Händchen dafür hatte, die Mütter um den Finger zu wickeln und auf seine Seite zu ziehen. Heutzutage brachte ihm das nicht mehr viel, dennoch erwies er sich als wahres Naturtalent im Kampf.

Natalia fauchte, mehr wie eine Katze als eine Wölfin. „Wie kannst du es nur wagen?! Er war einer von uns, er verdient eine Zeremonie!“

Einige von den Jägern sahen sie mitleidig an, da jeder wusste, wie sie für Tristan empfunden hatte. Er hatte sie allerdings immer nur wie eine Schwester angesehen, was sie hart getroffen hatte.

Ich schüttelte den Kopf. „Wir haben keine Zeit dafür, Natalia. Eine Zeremonie dauert fast eine Woche, die wir dringend benötigen, und außerdem ist das Rudel nicht hier um daran teilzunehmen.“

„Aber –!“

„Es reicht!“, brüllte ich, eine Spur zu laut. Natalia zuckte zusammen und gab einen leisen winselnden Ton von sich. „Nein bedeutet Nein, Natalia. Kenne deine Grenzen!“

„Er wird also nur verbrannt? Das ist alles?“, fragte Rodrigo fassungslos. „Bei allem Respekt, dass kann einfach nicht dein ernst sein!“

„Stellst du meine Entscheidung etwa in Frage?“, sagte ich leise, aber mit beunruhigender Härte in der Stimme.

Er antwortete nicht und lieferte sich mit mir stattdessen ein Blickduell, bei dem er auf ganzer Linie verlor. Im Grunde war Rodrigo ein schwacher Charakter, aber er schaffte es immer wieder, die Leute auf seine Seite zu ziehen, was sich manchmal als nützlicher Vorteil erweisen konnte.

„Das Wichtigste ist“, fuhr ich fort, „zuerst den Verräter zu finden, der uns in diese Falle gelockt und den Tod vieler unserer Familienmitglieder zu verschulden hat. Wenn wir ihn nicht schnell finden, könnte das nächste Angriffsziel sogar das Versteck sein.“

Die Jäger unter uns, die Kinder und Gefährten hatten, spannten sich an. In jedem von uns steckte der Instinkt, die Kinder und Hilflosen unter uns um jeden Preis zu schützen. Aus diesem Grund motivierten sich die Jäger endlich mit der Streiterei aufzuhören und sich auf das wesentliche zu konzentrieren.

„Kaiden“, sagte ich und hatte sofort seine ungeteilte Aufmerksamkeit. „Rebecca wird wohl nicht in der Lage sein, die Jungwölfe zu unterrichten. Du übernimmst diese Aufgabe.“

Er nickte mit einem aufgeregten Funkeln in den Augen. Er wartete bereits lange auf diese Chance, aber ich hatte stets die Sorge gehabt, dass er zu streng mit ihnen umging, doch nun schien es die letzte Möglichkeit zu sein, sie auf die kommende Schlacht vorzubereiten.

„Ki Feng Loo, sorg dafür, dass der Rest des Rudels von hier verschwindet uns die unverletzten Krieger bereit sind. Die Übrigen sollen so schnell wie Möglich den Verräter finden – und töten.“
 

Als ich den Weg zu Rebecca antrat, begegnete ich einer Reihe von Gefährtinnen, die alle betrübt zu Boden starrten und mich kaum wahr nahmen. Einige waren völlig aufgelöst, die anderen schäumten vor Wut, aber keine der Angesprochenen gab zufriedenstellende Antworten und meinten einfach nur, dass Rebecca ein kaltherziges Biest war.

Besagtes Biest saß an der Wand gelehnt in meinem Schlafgemach und starrte mit angezogenen Knien an die Decke. Ihre Augen hatten wieder die Farbe von abgekühlter Kohle und ich konnte nicht sagen, wo sie in diesem Moment war, aber ganz bestimmt nicht in diesem Raum.

Ich setzte mich neben sie und musste eine Weile warten, bis sie blinzelnd aus ihrer Starre erwachte und mich bemerkte. „Logan“, sagte sie nur und legte ihren Kopf auf meine Schulter. „Geh nicht wieder weg.“

Die nächsten Tage versuchte ich, ihr den Gefallen zu tun und verbrachte so viel Zeit mit ihr wie nur möglich, doch ihr Zustand schien sich nur langsam zu bessern. Es könnte Jahre dauern, bis sie wieder die von außen kühle, in Wahrheit aber temperamentvolle Person wurde, die mit Tristan gestorben zu sein schien.

Die einzige Sache, der sie wirklich Aufmerksamkeit schenkte, war mein Blut, dem sie sich einfach nicht entziehen konnte. So wie ich nicht aufhören konnte, diese Frau zu begehren, ob sie mich nun in den Wahnsinn trieb oder so schwach war, noch nicht einmal ohne mich einschlafen zu können. Die Nächte schienen stets unendlich lang und meine Unruhe über den anstehenden Krieg wurde immer offensichtlicher.

Nicht mehr lange und es würde feststehen, wer diese Schlacht gewann. Aber eigentlich kannte ich die Antwort bereits.

Drei Tage vor dem anstehenden Krieg, rief ich eine weitere Besprechung ein und regelte die letzten Angelegenheiten. Die ganze Zeit über, hatte ich ein schlechtes Gefühl, wie eine böse Vorahnung, dessen Grund ich erfuhr als ich mit klopfendem Herzen zurück zu Rebecca ging – und sie nicht fand.

Sie war weg.

Sonnenschein und Morgenröte

Logans Brüllen hallte durch die gesamte Höhle und veranlasste mich für einen Augenblick meinen Schritt zu verlangsamen und einen Blick zurück zu werfen.

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er mein Verschwinden so schnell bemerken würde. Mir blieb keine Zeit mehr.

Während der letzten Tage, in denen ich vergeblich versucht hatte über Tristans Tod hinweg zu kommen, war mir eine Sache klar geworden.

Leonore würde solange nicht ruhen und alles zerstören was mir lieb und teuer geworden war, bis sie bekam was sie wollte – meinen Kopf auf einem Serviertablett.

Aber warum ihr Umstände machen, wenn ich ihr doch genauso gut einen Besuch abstatten konnte? Ich würde diesen Schwesternkrieg endgültig zu Ende bringen. Etwas, das ich schon längst hätte tun sollen.

Ich konnte nicht verleugnen, dass ich mein Leben, damals, als ich noch Teil der Familie war, in vollen Zügen genossen hatte. Ich nahm mir Blut von wem auch immer ich wollte, wann ich es wollte. Dieses Gefühl von Macht, die volle Kontrolle zu besitzen, war derart befriedigend für das dunkle Wesen in mir gewesen, dass mir selbst heute noch ein Schauer über den Rücken lief.

Mein Griff um das rote Schwert, das Ursprünglich unserem Vater gehört hatte aber nach seinem Tod spurlos verschwunden war, wurde um einiges fester als ich meinen Weg fortsetzte.

Es hatte keinen Sinn, über vergangene Tage, Jahre, nachzudenken wenn sich meine Zukunft in den tiefsten und dunkelsten Winkel dieser Höhle befanden, denn ich hatte mich endlich daran erinnert, woher mir das Zeichen an dem Tor bekannt vor kam, dass ich unweit von Kassiopeias Zelle entdeckt hatte.

Es war das Wappen unserer Königsfamilie. Der Adel hatte an jedem Ort, an dem er jemals regiert hatte, ein Zeichen hinterlassen. Ich vermutete, dass dieser Eingang zum Keller des Schlosses führte, der bis jetzt niemanden lebendig preisgegeben hatte, der dort erst einmal in Ketten gelegt wurde.

Ich wunderte mich, dass ich nicht schon eher darauf gekommen war. Die Gesellschaft der Werwölfe tat mir nicht gut, und Tristans frühzeitiges Ende musste mich wohl noch mehr beeinträchtigt haben.

Der Sand knirschte unter meinen nackten Fußsohlen als ich dem Duft von Kräutern hinterher lief, den Symphonie so deutlich hinterlassen hatte wie eine Spur aus Brotkrümel, die mich zum Ursprung führen würde.

Den Gängen folgend, die ich nur wenige Tage zuvor mit Oleen und der Schamanin durchschritten hatte, kam ich meinem Ziel immer näher und die Furcht des Unbekannten wurde stets größer.

Gezwungenerweise musste ich einige Umwege einlegen um den Werwölfen zu entgehen, die nach mir suchten, aber letztendlich schaffte ich es doch noch das alte Tor zu erreichen. Man konnte schon gar nicht mehr sagen, dass es nur verrostet war, denn es war bereits so alt, dass sich das Material zu schwarzem Staub auflöste. Schimmel hatte ebenso angesetzt, Aufgrund der Feuchtigkeit die hier unten mit eiserner Hand herrschte.

Es gab kein Schloss, oder was diesem auch nur im Entferntesten ähnlich gesehen hätte, also hatte ich keine Schwierigkeiten damit, die Torflügel mit nur einer Hand aufzudrücken.

Vor mir erstreckte sich der Anblick der tiefsten Finsternis, der ich jemals gegenüberstehen musste. Es war kaum möglich etwas zu erkennen als ich die ersten zaghaften Schritte ins Innere dieses gewaltigen Schlundes machte.

Meine Füße versanken knöcheltief in einer Flüssigkeit, von der ich nicht sagen konnte ob es sich nur um Wasser oder um Blut handelte, aber der Wind, von dem ich nicht wusste woher er kommen mochte, wehte mir den Gestank von verwestem Fleisch ins Gesicht.

Mein Geruchssinn litt unter diesem penetranten Geruch, also versuchte ich vorübergehend durch den Mund zu atmen, der glaubte, sogar verrottetes und altes Blut auf der Zunge schmecken zu können.

Dafür, dass mir die Angst wie eine Giftschlange über den Rücken kroch, schlug mein Herz erstaunlich langsam. Möglicherweise war es die Aufregung, oder Resignation meines bevorstehenden Todes, die mich so ruhig sein ließ.

Nichtsdestotrotz würde ich mich meinen Albträumen stellen müssen. Wenn nicht jetzt, dann nie, und ich bezweifelte diese Schuld noch weitere hunderte von Jahren ertragen zu können.

Mein wichtigstes Anliegen war, Tristan zu Rächen. Er hatte solch einen niederträchtigen Tod nicht verdient und Leonore würde dafür büßen, ihn mir weggenommen zu haben bevor ich auch nur die Gelegenheit hatte, mich für all die schrecklichen Dinge, die ich verbrochen hatte, zu entschuldigen.

„Hoffentlich wird dieser Ort nicht mein Grab werden“, flüsterte ich und trat mit erhobenem Schwert geradewegs in das schwarze Nichts.
 

Der Keller war wie ein Labyrinth, speziell dafür geschaffen die Sinne von Vampiren in die Irre zu führen. Alles roch nach Tod, dessen Präsenz mir schwer auf den Schultern lastete. Das Platschen von Wasser, das sich wie ein Echo in den verschiedensten Winkel des Kellers wiederholte, gaukelte mir ständig vor, verfolgt zu werden, obwohl ich wusste, dass ich hier alleine war.

Es war zu dunkel um mehr als die Umrisse einiger Säulen zu erkennen, aber Dank der robusten Klinge, die ich gegen diverse Hindernisse schlug und dabei einen hellen Klang erzeugte, schaffte ich es, mich einigermaßen zu orientieren und unbeschadet den Teil dieses unterirdischen Gewirrs zu erreichen, der mir während der letzten Jahre deutlich in Erinnerung geblieben war.

Selbst jetzt noch hörte man die gequälten Schreie der Gefangenen, die aus den Käfigen drangen. Das vertrocknete Fleisch, das zerrissen am Boden herumlag als hätte sich ein Rudel nichtsnutziger Vampire darum gestritten.

Sobald ich erst einmal wusste, wo genau ich mich befand, war es keine allzu große Schwierigkeit mehr aus dem Keller heraus zu finden.

Es war unglaublich still im Schloss, was wohl darauf hindeutete, dass die Sonne bereits aufgegangen war und sich die Vampire in ihre Gemächer zurück gezogen hatten.

Ob es sich um Glück handelte, dass ich mich nicht anschleichen musste, würde ich erst noch entscheiden müssen, aber so wie es im Moment aussah, würde ich nur in Leonores Nähe kommen, wenn ich den direkten Weg nahm.

Kampfbereit starrte ich die verschlossene Tür an, die in das Zimmer der Wachen führte. Mit einem Atemzug versuchte ich meine Kraft zu sammeln und schlug anschließend die Tür auf.

Die Leibwächter der Königin, die Tagsüber gezwungen waren wach zu bleiben um ihre Herrin zu schützen, erblickten mich innerhalb eines kurzen Augenblicks und zogen bereits ihre Waffen.

Die Mordlust war ihnen ins Gesicht geschrieben als sie brüllend auf mich zu stürmten um mich zu vernichten.

Die Wächter waren außerordentlich gut und besonders streng im Kampf ausgebildet worden, um in der Mehrheit eventuell gegen einen Reinblütigen bestehen zu können, aber solange ich es schaffte, dass sie mich nicht alle zur gleichen Zeit angriffen, könnte ich noch so lange überleben, bis ich deren Königin fand.

Schwerter klirrten als sich unsere Klingen kreuzten, Knochen wurden zerschmettert und Körper wurden aus dem Weg gestoßen.

Wir fauchten uns wie die Tiere an und bleckten tollwütig die Zähne. Das blaue Licht, dass ihre Augen ausstrahlten, schien mich zu umzingeln.

„Geht mir aus dem Weg“, knurrte ich gepresst, aber die Wächter rührten sich nicht. Sie hatten einen anderen Befehl erhalten, und sie würden ihn auch auf Gedeih und Verderben ausführen.

Die schwarzen Umhänge der Vampire verschwammen zu einer Einheit, so schnell bewegten sie sich, und ich bekam immer mehr Probleme damit sie abzuwehren. Sie durchlöcherten mich mit ihren Klingen und zielten andauernd auf meine Kehle.

Mit einem geschmeidigen Abstoß, sprang ich an die Decke und blieb dort kopfüber stehen wie eine Spinne. Ein einziger Schwung meines Schwertes genügte, um den riesigen Kronleuchter von der Decke zu trennen und damit zwei der Wächter ins Jenseits zu befördern.

Innerhalb eines Blinzelns, waren sie schon bei mir und widersetzten sich ebenfalls der Schwerkraft. Während ich zwei Vampire mit meinem Schwert und einem Fußtritt aufhalten konnte, schaffte ich es, einem von ihnen das Genick zu zerschmettern. Ab da war es leicht die Übrigen zu überwältigen und sie durch brennende Kerzenständer anzuzünden, um ihnen den Gnadenstoß zu verpassen, damit sie auch ja nicht wieder auferstanden.

Aus hunderten von Wunden blutend, und inmitten eines Leichenmeers stehend, versuchte ich die Schmerzen die mich körperlich wie seelisch heimsuchten zu verdrängen und konzentriert mich nur noch auf den lodernden Hass, der in mir wie ein Inferno brannte.

Das schneidende Geräusch von klatschenden Händen und leisem Gekicher ließ mich aufblicken.

Leonore lehnte, gefährlicher denn je, in einem Bodenlangen samtgrünem Kleid, mit schwarzen Pailletten verziert, und einer langen, scharfen Klinge in ihrer Hand am Türrahmen und verzog ihre Lippen zu einem grausamen Lächeln. „Rebecca, meine Teuerste, du hast dir Zeit gelassen.“

„Wie unhöflich von mir“, antwortete ich zischend und zeigte mit der Spitze der roten Klinge auf sie.

„Wie schön! Du hast mein kleines Geschenk erhalten“, sagte sie, mit ehrlichem entzücken in der Stimme und deutete auf Vaters Schwert in meiner Hand. „Vater hätte es bestimmt gerne in deinem Besitz gesehen.“

„Du hast ihn umgebracht“, sagte ich kalt und wurde ärgerlich über ihre Dreistigkeit.

Leonore verdrehte ihre rot glühenden Augen und winkt gelangweilt ab. „So ein Unsinn! Es war reine Notwendigkeit. Er und Mutter hatten den Thron schon zu lange in Anspruch genommen. Ihre Methoden waren … veraltet. Ich habe unsere Sippe lediglich in ein neues Zeitalter geführt.“

Ich presste die Lippen aufeinander und nickte langsam. Ich durfte nicht vergessen, dass die Hierarchie unter Vampiren sich vollkommen von der der Werwölfe unterschied. Könige die sich stürzen ließen, hatten nicht das Recht zu herrschen.

„Du weißt, weswegen ich gekommen bin?“, fragte ich meine Schwester schließlich und ihr Lächeln schwand unter einer Maske aus bitterer Enttäuschung.

„Durchaus, durchaus. Bedenke jedoch, dass es dir nicht gelingen wird mich zu töten, wir sind uns ebenbürtig. Das waren wir schon immer. Was lässt dich also in dem Irrglauben, du könntest es mit mir aufnehmen?“

„Dieses Mal“, sagte ich kalt. „ist es mir ernst.“ Ich hatte es nie übers Herz gebracht, mit der kaltblütigen Effizienz zu töten, mit denen ich meine Feinde auslöschte, denn sie war schließlich meine Schwester. Der letzte kleine Rest meiner zerbrochenen Familie und es war immer das einzige das mich davon abgehalten hatte, mein trostloses Leben zu beenden, ganz gleichgültig, wie schrecklich Leonore war. Und sie hatte es gewusst. Sie hatte gewusst, dass ich in gewissem maße abhängig war, nach den Bändern gierte, die unsere Familie zusammen gehalten hatte.

Doch nun, da ich wusste, wie sich wahre Liebe anfühlte, war es mir schier unerträglich, diese Frau weiterhin auf Erden wandeln zu lassen.

Leonore lachte nicht. Ihr Blick nahm eine ungewohnte Härte an und sie versteifte sich unmerklich. „Wenn das so ist, dann sollten wir unsere Zeit nicht mehr mit Reden vergeuden. Du wirst sterben, Rebecca, genauso wie dein jämmerlicher Gefährte!“

Wie konnte sie es wagen Tristans Tod derartig in den Schmutz zu ziehen?! Ihre provozierenden Worte sollten mich nicht so wütend machen, immerhin war ich ihre Gemeinheiten bereits gewohnt, doch ich konnte mir einfach nicht Helfen. Der Zorn, die Angst, die Verzweiflung – das alles trug dazu bei, meinen rationalen Verstand in den hintersten Teil meines Kopfes zu verbannen und der Bestie in mir freie Bahn zu lassen.

Wie eine Furie kreischend griff ich sie an, kollidierte mit ihrem Schwert und wurde brutal zurück gestoßen, aber kaum dass ich wieder auf die Beine kam, war sie schon da und lieferte sich mit mir ein wildes Gefecht.

Wir funkelten aus gegenseitig aus leuchtend roten Augen an und zeigten uns die Fangzähne wie zwei rivalisierende Raubkatzen.

Ich musste zugeben, dass Leonore sehr dazugelernt hatte. Sie durchtrennte Sehnen und Knochen als wäre ich lediglich eine Stoffpuppe zu Trainingszwecken, aber in mir schlug noch immer das Herz einer Kriegerin und so landete ich auch bei ihr den einen oder andern Treffer.

Mit meiner freien Hand verpasste ich ihr einen Schlag gegen den Unterkiefer, der mit einem grässlichen Krachen zersplitterte. Leonore kreischte auf, soweit es ihr Möglich war und taumelte einige Schritte zurück.

Es dauerte lediglich einige Sekunden der Heilung, die ich ihr gewährte und selbst nutzte um wieder klar denken zu können, bevor wir uns wieder aufeinander stürzten und zu Boden rissen. Ich hatte mein Schwert verloren, nahm ich schwach am Rande wahr, als mich die Königin der Vampire mit ihrer freien Hand zu Boden drückte und die andere zu einem vernichtenden Schlag hob.

Ich schaffte es, den Kopf in letzter Sekunde zur Seite zu drehen, ehe ihre Klinge tief in den steinernen Marmor fuhr anstatt mich zwischen die Augen zu treffen, was definitiv ihre Absicht gewesen war.

Ich packte Leonores Handgelenk und schlug mit aller Wucht gegen Elle und Speiche, woraufhin sich ihr Arm verdrehte und in einem grotesken Winkel abstand. Ich nutzte die Gelegenheit, während ihres Regenerierungsprozesses, ihr Schwert fortzuschleudern und sie von mir zu werfen.

Ich hatte so viel Kraft hinein gelegt, dass ich in der Lage war, mit ihr durch die nächstliegende Wand zu krachen, die direkt auf den Gang führte, wo sich bereits dutzende von anderen Vampirsklaven befanden und mit zu Klauen gekrümmten Fingern und geifernden Mäulern sich auf die Gefahr stürzen wollten.

Mit einem zornigen Zischen befahl Leonore ihnen zu bleiben wo sie waren, denn ob man es glauben konnte oder nicht, auch meine Schwester hatte ihren Stolz.

Man konnte es den Bluttrinkern kaum ansehen, doch sie waren erleichtert sich nicht in den Kampf zwischen zwei Reinblütern einmischen zu müssen, dem sie bestimmt nicht lebendig und mit allen Gliedmaßen entkommen wären.

In einem völlig normalen Tempo atmend, starrten meine Schwester und ich uns an. Es war frustrierend, dass wir kaum genügend Zeit hatten unseren Gegner ernsthaft zu verletzten, bevor sich die Wunden bereits wieder schlossen.

Lediglich unsere zerfetzte und blutige Kleidung deuteten auf einen Kampf um Leben und Tod hin. Ansonsten wirkten wir unversehrt.

Die Männer und Frauen um uns herum stießen allesamt ein Zischen aus, dass sich in der Menge wie das Summen eines Bienenschwarms anhörte, was nichts Gutes verhieß. Das vergossene Blut der Wächter, denen ich das Leben genommen hatte, erreichte endlich ihre feinen Nasen und lockte in ihnen den Dämon hervor.

„Stimmt etwas nicht, liebste Schwester?“, fragte Leonore höhnisch und leckte sich Blut von der Hand ab, wie eine Katze. „Möchtest du nicht doch lieber aufgeben? Deine Schande ist zwar unwiderruflich, aber ich verspreche dir dafür, dass ich dich schnell töten werde.“

Ich schmunzelte über ihre schwachen Versuche, mich so schnell wie möglich aus dem Weg zu räumen.

Mein Blick fiel auf den dicken, schwarzen Vorhang hinter ihr und eine hirnrissige Idee kam mir. „Das ist wohl nun das Ende, Leonore.“

Eine steile Linie bildete sich zwischen ihren Augenbrauen. „Wovon redest du?“

Ich blinzelte meine aufsteigenden Tränen fort und machte mich zum Absprung bereit. „Leb wohl, Schwester.“

Leonores Augen weiteten sich vor Schreck als ihr klar wurde, was ich vorhatte, doch da war es bereits zu spät.

Auf die verhangenen Fenster hinter ihr zurasend, hatte ich sie bereits gepackt und gemeinsam schmetternden wir durch klirrendes Glas, bevor sie auch nur Luft holen konnte um zu protestieren.

Trotz des Vorhangs den wir mitgerissen hatten, bot dieser keinen Schutz als wir von den tödlichen Sonnenstrahlen getroffen wurden und auf den taufeuchten Rasen fielen.

Leonore und ich schrien; konnten das überwältige Brennen auf unserer Haut nicht ertragen. Stinkender Ruß stieg von uns auf, und unsere Körper zerfielen nach und nach zu Asche.

Meine Haare hatten Feuer gefangen. Kreischend verkrümmte ich mich, in dem Irrglauben, es könnte mir die Schmerzen nehmen, doch in Wirklichkeit wurde es nur noch schlimmer.

Es war so unerträglich, dass ich noch nicht einmal das Bewusstsein verlieren konnte und miterleben musste, wie Leonore neben mir tot den Kopf zur Seite sinken ließ. Ihre Augen nur noch schwarze Höhlen und beinahe ihr ganzer Körper ein schwarzes Skelett, dass so brüchig war, dass Teile davon vom Wind fortgetragen wurden.

Das war also mein Schicksal, dachte ich entsetzt, doch der Gedanke wurde von einer weiteren Welle des Schmerzes weggespült, die mir selbst die Stimme zum Schreien raubte.

In meinen Ohren klangen noch die verzweifelten Rufe der Vampire, dann landete plötzlich etwas schweres auf mir, dass mir die Luft aus den Lungen drückte und mich erblinden ließ, und ich wusste, das war mein Ende.

Logan II [Bonus]

Geschrieben aus Logans Sicht
 

Als wir endlich begriffen hatten, wohin uns Rebeccas Geruch führte, war es bereits zu spät. Das ganze Schloss war in Aufruhr.

Ich sah, wie sich unzählige von ihnen ins Sonnenlicht stürzten und jämmerlich verbrannten; andere schrien und machten den Anschein zu weinen, aber sie waren völlig verrückt geworden. Rissen sich Haare aus, lachten mit einem leeren Ausdruck in den Augen, aber keiner von ihnen versuchte uns anzugreifen. Ich glaubte sogar, dass keiner von ihnen richtig Wahrnahm, wie wir in Wolfsform über das Gras liefen. Die Pfoten dabei tief in dem nassen Boden vergraben und den Blick vollkommen auf das Ziel vor uns gerichtet.

Rebeccas Schreie, und die ihrer Schwester, waren furchterregend. Ich war mir sicher, dass keiner von ihnen jemals etwas Derartiges gehört hatte. Noch nicht einmal als Rebecca lediglich ihre Hand in das Licht gehalten hatte, waren solche Laute aus ihrer Kehle gekommen.

Noch im Laufen verwandelte ich mich zurück in meine menschliche Gestalt, das Herz bis zum Hals schlagend und den Blick auf die verrußten Gestalten am Boden gerichtet.

Im ersten Augenblick dachte ich, ich käme zu spät, denn die beiden schwarzen Körper sahen ziemlich tot aus und ich hatte wegen des verbrannten Gestanks Schwierigkeiten zu erahnen, wer von ihnen die Richtige war, doch glücklicherweise wurde mir schnell klar wer Rebecca sein musste, als ich Tristans Diamantenhalskette an dem fast abgebrannten Körper in Fötusstellung wiedererkannte.

Ich warf einen schweren schwarzen Stoff über Rebecca, – den ich zusammen mit tausenden Scherben im Gras liegen sah – der sie hoffentlich vor weiterer Sonneneinwirkung schützen würde, aber ich musste sie trotzdem so schnell wie möglich wegbringen und beten, dass sie noch am Leben war.

„Was sollen wir tun?“, fragte mich einer der Jäger und besah sich hilflos dieses unglaubliche Desaster.

Ich drückte den in Stoff eingewickelten Körper, der auf einmal so leicht und zerbrechlich war, vorsichtig an mich und schluckte hart.

„Nichts“, sagte ich. „Tut nichts.“
 


 

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Also, an dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ganz doll bei meinen LeserInnen bedanken, die mir immer einen Grund gegeben haben weiterzuschreiben und es geschafft haben, dass diese Geschichte bei mir nicht in Vergessenheit gerät. :'D

Leider muss ich euch mitteilen, das das nächste Kapitel - der Epilog - auch schon das Letzte sein wird.

Ich grübele bereits nach, ob ich einen zweiten Teil verfasse, falls euch der Schluss nicht gefällt, aber wer Näheres erfahren möchte, wird mir schon eine ENS schreiben müssen. ;D

Vielen lieben Dank, dass ihr mich bis hierher begleitet habt. <3
 

glg Angels

Epilog

„Du musst nicht gehen“, sagte Logan und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Türe der Kutsche, um mich daran zu hindern einzusteigen.

Ich überreichte dem alten Kutscher, der sich als einziger bereit erklärt hatte, mich mitten in der Nacht durch das ‚Gebiet der Albträume’ – wie die Menschen das Grundstück der Vampire gerne nannten – zu fahren, meinen einzigen Koffer.

Ich lächelte und strich ihm mit einer Hand über die Wange. „Doch, ich muss. Ich gehöre nicht zu euch, habe es nie getan. Es wird Zeit für mich zu gehen.“

Logan legte seine Hand auf meine und schloss mit gerunzelter Stirn die Augen. Er wirkte in dem hellen Licht des Halbmondes gequält und verletzt. Mir war klar, wie grausam und undankbar ich ihm vorkommen musste, nachdem er mich Monate lang gepflegt hatte, nur um scheinbar eines unbedachten Moments erneut spurlos zu verschwinden.

Dieses Mal hatte er mich schneller gefunden und war auch überaus wütend gewesen, doch nachdem er mich und Oleen mit dem Koffer gesehen hatte, musste ihm klar gewesen sein, dass er nichts mehr tun konnte. Er kam zu spät; ich hatte meine Entscheidung getroffen.

„Du kommst zurück“, sagte er bestimmt, als wäre es ein Befehl und keine Bitte.

Ich zog meine Hand zurück und drückte sie mir an die Brust. „Natürlich“, erwiderte ich mit gebrochener Stimme, aber uns war beiden klar, dass ich log. Das ich einfach nicht zurück kommen konnte, nach allem was geschehen war. Für mich war ein Verschwinden der letzte Ausweg um dem Wahnsinn zu entkommen, der die Vampire heimsuchte, die meiner Schwester im Blute nahe gestanden hatten. Und da Leonore und ich zur selben Blutlinie angehörten, traf mich ihr Tod umso härter, auch wenn ich keinen Funken Mitleid mit ihr verspürte. Sie hatte solch ein Ende verdient.

Der Kutscher räusperte sich Lautstark, als er sich demonstrativ auf seinen Platz setzte und die Zügel der Pferde in die alten Hände nahm.

„Wohin fährst du?“, fragte Logan und trat einen Schritt von den beunruhigt wiehernden Pferden fort.

Ich zuckte mit den Schultern. Das hatte ich eigentlich noch gar nicht geplant – ich wollte einfach nur weg. „Zunächst einmal der Küste entlang. Es wäre auch Möglich, dass ich Philippe besuchen werde.“

„Meinst du diesen Blutsauger, der –“

„Ja, diesen Vampire meine ich“, korrigierte ich mit untertonigem Tadel in der Stimme. „Er versteht am besten, wie man sich als Ausgestoßener fühlt.“

Logan zuckte zusammen, als hätte ich ihn geschlagen und lehnte anschließend seine Stirn reumütig an meine. „Geh nicht“, bat er erneut. „Es ist mir egal, was das Rudel davon hält, ich will nur, dass du bei mir bleibst.“

Tränen sammelten sich in meinen Augen, so viel Schmerz verspürte ich bei seinen Worten, doch ich schaffte es noch rechtzeitig sie vorzublinzeln, um ihn nicht erkennen zu lassen, dass ich es ebenfalls kaum ertragen konnte, von ihm getrennt zu sein. Doch das war nun einmal leider der Preis für seine Sicherheit und die seiner Familie, sobald sich Leonores Gefolgschaft soweit erholt hatte um sich an mir zu rächen. Und sobald sich die Nachricht von meinen Taten erst einmal in aller Winde zerstreuten, würden die Königsschlächter nicht lange warten um nach mir jagt zu machen.

Ich nahm Logans ausgemergeltes Gesicht in die Hände und drückte es soweit zu mir runter, bis ich ihm einen letzten, liebevollen Kuss gab, der ihm zeigen sollte, dass es für mich niemals möglich sein würde, ihn zu vergessen. „Wenn der Zufall es so will“, hauchte ich an seine warmen Lippen, „dann sehen wir uns wieder.“

„Ich glaube nicht an Zufälle.“

Ich lachte leise, als ich mich von ihm löste und in die Kutsche stieg, in der Oleen bereits geduldig gewartet hatte, bis ich mich von dem düster dreinblickenden Werwolf verabschiedet hatte. „Dann wäre jetzt doch sicherlich ein guter Zeitpunkt, um damit anzufangen.“

Ich warf ihm kokett eine Kusshand zu und sah erfreut, wie sich seine Mundwinkel schwach nach oben zogen, ehe ich dem Kutscher ein Zeichen gab, dass er losfahren konnte.

Ruckelnd setzten sich die Pferde in Bewegung und es dauerte nicht mehr lange, bis ich nicht mehr imstande war, Logans Gesicht zu erkennen und mich stattdessen in meinen Sitz zurück lehnte und versuchte in den schwarzen Himmel zu blicken. Während unseres Weges, bildete ich mich manchmal ein, dass schwarze Gestalten vorbeihuschten und das türkise Augen uns beobachteten, doch nach einer Weile verschwanden auch sie und mir wurde erneut schmerzlich bewusst, wie sehr ich diesen grummelnden Werwolf vermisste.

Oleen hatte die ganze Zeit erfolgreich geschwiegen und mich meiner Melancholie überlassen, doch nichts desto trotz war auch sie neugierig, wohin unsere Reise führte. Ursprünglich war ebenfalls geplant gewesen Evelyn mitzunehmen, doch die kleine Hexe schien nach Leonores Tod wie vom Erdboden verschluckt. Ich konnte nur hoffen, dass sie sich in irgendein sonniges Plätzchen verkrochen hatte um zu sterben, und mir nicht weiterhin Probleme bereiten würde.

„Mylady, was hab Ihr nun vor?“, flüsterte die Blondine und ihre Augen leuchteten blau vor Neugierde. Sie kannte mich einfach zu gut um zu wissen, dass ich nicht einfach tatenlos warten würde, bis die Königsfamilien mich zur Rechenschaft zogen, ihnen ihre einzige Chance auf ein weiterführen der königlichen Blutlinie genommen hatte.

Meine Fangzähne fuhren aus, als ich meiner Gefährtin ein breites Lächeln schenkte und meine nun roten Augen gefährlich zu funkeln begangen. Ich konnte selbst kaum glauben, dass diese Worte jemals über meine Lippen kamen, wo ich meiner Schwester doch geschworen hatte, es niemals jemandem zu verraten. Jedoch war das gewesen, bevor sie den Verstand verloren hatte, und es war schließlich nicht so, als ob ich jetzt noch eine Wahl hätte.

„Wir werden Leonores Tochter suchen.“
 


 

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Es ist ein bisschen traurig, dass die Geschichte zu Ende geht ... und ich noch nicht sicher bin, ob ich überhaupt eine Fortsetzung mache. Aus diesem Grund habe ich auch ein mehr oder weniger offenes Ende gelassen, damit sich jeder seinen Teil dazu denken kann, und ich eventuell die Kaft aufbringe noch einen weiteren Teil zu schreiben.^^

Trotzdem. Es war ein tolles Gefühl Kaltherzig zu schreiben. :)

Vielen lieben Dank, an meine treuen LeserInnen. <3



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Kommentare zu dieser Fanfic (78)
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Von:  Enyxis
2014-03-02T19:59:35+00:00 02.03.2014 20:59
O____O WTF?! Die Wuffis WUSSTEN DAS NICHT?!?!?!!?!? OMG....
Boah, ich hasse Evelyn immer noch DX Obwohl die i-wie cool ist... Erinnert mich n bissl an Claudia aus "Interview mit einem Vampir"...
Hamma Kapitel!
Von:  Enyxis
2014-03-02T19:51:47+00:00 02.03.2014 20:51
Logan ist echt super heftig angepisst O____O Und Tristan wird jez sehr abgelenkt xD
Also, dich für das Ende hassen, ist wirklich übertrieben o__o Bin mal gespannt, ob Tristan von alldem erfährt... Der wird wohl sauer sein.. sehr sauer...
Tolles Kapitel!
Von:  Enyxis
2014-03-02T19:37:19+00:00 02.03.2014 20:37
Achja xDD Pierre Philippe Guzatti xDDDD Und die Winchester-Brüder (müssten die nich Dämonen jagen? *hust hust* XD)
Logan und Rebecca. Bestes Team ever! ^^
Von:  Enyxis
2014-03-02T19:27:50+00:00 02.03.2014 20:27
"Doch mein Gefährte lächelte nur, streckte sich genüsslich auf der Decke aus und ermöglichte mir einen sehr guten Blick auf seine besten Stücke.
Ich flüchtete.
Schallendes Gelächter wehte mir hinterher."
xDDDDD Rebecca xDD Einfach zu genial xD

"So naiv konnte er doch nicht sein, oder?
Mit brüllendem Geschrei griff er mich erneut an.
Scheinbar doch.
Die Jugend hatte heutzutage keinen Respekt mehr vor dem Alter.
Zuerst versuchte das Rothaar mich mit wildem Gefuchtel einzuschüchtern, wobei ich beinahe schon ein Gähnen unterdrücken musste. Es war einfach zu leicht."
Hihi xDDD Rebecca ist einfach zu amüsant xDD
Achherrje o__o JETZT gehts richtig rund...
Von:  Enyxis
2014-03-02T19:17:26+00:00 02.03.2014 20:17
Yes! Logan! xD Ich mag Logan mehr als Tristan. o__o Auch wenn der echt zu nett ist für diese Welt dort DX Ich fand das echt witzig mit diesem Test xDD Die arme Rebecca xD Macht sich da zum Affen....
Von:  Enyxis
2014-03-02T19:03:09+00:00 02.03.2014 20:03
Ach ja, Blake xD Tristan und Rebecca sollten sich wohl mal ein eignes Hüttchen suchen... Sonst wird es wohl noch öfter zu solchen Situationen kommen...
Rebecca ist eine meiner absoluten Favo-Charas hier aus Animexx. Sie ist einfach nur toll und cool!
Von:  Enyxis
2014-03-02T18:46:27+00:00 02.03.2014 19:46
OH MAN!!! DX Bei so ner Stelle einfach aufzuhören!!! Q__________Q Ich bin aber höllisch froh, dass du ein wenig mehr von Rebeccas Vergangenheit erzählst! Das ist alles damals schon so verdammt interessant und spannend gewesen!
Von:  Enyxis
2014-03-02T18:42:28+00:00 02.03.2014 19:42
So o__ô Endlich lese ich auch mal die überarbeitete Fassung! XD Ich war (und bin es ya immer noch ^^) hochauf begeistert von Kaltherzig (von der alten wie neuen Fassung). Jedenfalls war das Ende dieses Kapitels wirklich großartig!! o__o Ich hab mich schon im alten "Kaltherzig" gefragt, was genau mit den Eltern passiert ist...
Ich liebe "Kaltherzig" und freue mich riesig, wenn du weiter schreibst ^^
Von:  blacksun2
2012-01-02T12:58:31+00:00 02.01.2012 13:58
Meine Lieblingspersonen sind und werden es wohl auch ewig bleiben: Tristan und Becca

Ich hätt mal zwei Fragen, vielleicht wurde es schon mal erwähnt und ich hab es vergessen:
Wie wird man zu einem Vampir?
Ist der Biss eines Vamirs tödlich?

Auf jeden Fall kann man die Reaktion des Bruders wohl verstehen, für ihn sah das sicher bedrohlich aus

ich finde es niedlich, wie schwer sich Rebecca mit ihren Gefühlen tut

ein durch und durch gelungenes Kapitel mit einem genialen Ausdruck

irgendwie dachte ich Tristan hätte einen höheren Rang, weil er so imposant wirkte, bei der ersten Begegnung
ein kleinen Kritikpunkt hätte ich diesmal allerdings: das mit Tristan und Rebecca geht einen irgendwie zu schnell, es wirkt zu überstürzt
auch finde ich, dass sich Rebecca von dem ersten Kapitel, wo sie die eiskalte Vampirin war, bis hierher zu stark verändert hat, fast als wäre sie eine andere Persönlichkeit

was ich auch mal sehr erwähnenswert finde: die Charakterbilder sehen toll aus und passen sehr gut zu den Personen

glg
blacksun

Von:  blacksun2
2012-01-02T12:27:51+00:00 02.01.2012 13:27
Ein kurzes Kapitel bekommt auch noch ein kurzes Kommi *grinst*
Nein, die Wahrheit ist, ich finde es gerade so spannend, dass ich sofort weiterlesen muss, sonst platze ich, und das wäre sehr unschön

Darum kurz und knapp: großartig

Sie leidet mehr unter den Verlust ihrer Eltern, als ich bei ihren harten Wesen erwartet hätte
Und ganz offensichtlich quälen sie auch Schuldgefühle, dabei bezweifle ich, dass sie tatsächlich daran Schuld ist

glg



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