Zum Inhalt der Seite

How to Save a Life

Wichtelgeschichte für Puppenspieler
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Second quarter

Als er an diesem Morgen das Haus verließ, hatte Hanamiya eine Notiz in der Küche gelassen, dass er vermutlich bis zum Abend nicht wiederkommen würde. Man konnte niemals vorsichtig genug sein. Das sagte ihm auch der pochende Schmerz in seinem rechten Bein, den er konsequent zu unterdrücken versuchte.

Rastlos zog er durch die Stadt, wenn auch in einem eher gemächlichen Tempo. Er hatte Zeit und wusste nichts mit sich anzufangen, aber alles war besser, als sich am Wochenende im Haus seiner Eltern aufzuhalten. Zumindest war er davon ausgegangen, bis er eine ihm – für seinen Geschmack – viel zu bekannte Stimme hörte.

»Hey, Hanamiya!«

Was fiel Kiyoshi eigentlich ein, auf offener Straße nach ihm zu rufen, als wären sie befreundet? Knurrend beschleunigte er seine Schritte, zischte leise, als sein rechtes Bein protestierte und ihn daran hinderte, loszurennen.

»Jetzt warte doch mal!«

Kiyoshi holte stetig auf und wäre vermutlich noch schneller gewesen, wenn er nicht gestockt und eine Weile wie hypnotisiert auf Hanamiyas Bein gestarrt hätte. Bildete er sich das nur ein, oder humpelte er wirklich? Rasch schüttelte er den Kopf, zog sein Tempo an und wurde erst dann wieder langsamer, als er neben dem anderen angekommen war.

»Man könnte fast meinen, du würdest nicht mit mir sprechen wollen«, grinste er breit und wollte einen Arm um Hanamiyas Schulter legen. Dieser wich geschickt aus und stöhnte leise auf.

»Wie kann man nur so hohl sein?«

Hanamiya wäre gerne umgedreht und hätte ihn einfach stehen gelassen, aber irgendetwas an dem Lächeln des anderen hinderte ihn daran. Falls ihn jemals jemand fragen würde, warum er Kiyoshis Einladung in eines der zahllosen Cafés nachgegeben hatte, würde er jedoch antworten, dass er seinem Bein einfach eine Pause gönnen wollte und dieser Vollidiot obendrein noch versprochen hatte, für ihn zu zahlen.

»Du hast dich ganz schön angestrengt«, brach Kiyoshi immer noch lächelnd das Schweigen zwischen ihnen, nachdem die Kellnerin ihre Bestellung aufgenommen hatte. Hanamiya starrte ihn jedoch nur skeptisch an und schwieg.

»Du magst es nicht zu verlieren, oder?«

Schließlich gab er nach. Kiyoshi würde eh keine Ruhe geben, also konnte er ihm auch direkt antworten. »Wer verliert schon gerne?«

Und wieder lachte er nur. »Wohl wahr, wohl wahr.«

Hanamiya konnte sich mittlerweile schon gar nicht mehr entscheiden, ob es das grausamste Geräusch war, das er je gehört hatte, oder ob es eigentlich doch nicht so schlimm war und er ihm lieber zuhörte als sonst wem.

Sie redeten lange über belanglose Dinge. Wobei es eher Kiyoshi war, der ununterbrochen Fragen stellte, während Hanamiya nickte oder mit der Zunge schnalzte. Bis: »Wieso willst du keine Freundschaften schließen?«

»Huh?« Darauf war er nicht vorbereitet gewesen, doch er fing sich schnell.

»Warum gehst du davon aus, dass du keine Freunde brauchst?«, wiederholte Kiyoshi seine Frage, und auf einmal war da kein Lächeln mehr in seinem Gesicht, nur nüchterner Ernst. Es machte Hanamiya nervös, aber er ließ es sich nicht anmerken.

»Ich gehe nicht davon aus, ich brauche schlichtweg keine.«

»Jeder braucht Menschen, denen er vertrauen kann.«

Selten war ihm eine Situation, die seine Eltern nicht involvierte, dermaßen unangenehm gewesen. »Vertrauen wird überbewertet«, sagte er knapp und hoffte, dass seine Stimme fest und überzeugt klang

»Irgendwie habe ich mir gedacht, dass du das sagen wirst.« Bevor Kiyoshi weitersprechen konnte, runzelte Hanamiya die Stirn und versuchte, das Thema zu wechseln.

»Oi, Tesshin. Wieso verfolgst du mich?«

Da war er wieder, dieser beunruhigend sanfte Glanz in seinen Augen. »Wieso verfolgen? Ich bin dir ganz zufällig über den Weg gelaufen.« Das Lächeln auf seinen Lippen wirkte anders als sonst; es verriet ihm, dass Kiyoshi ihn anlog, aber das überraschte ihn in diesem Fall nicht wirklich. Und Hanamiya würde auch nicht zulassen, dass ihn das aus der Ruhe brachte.

»Dann wirst du ja kein Problem damit haben, wenn ich gehe«, sagte er so beiläufig wie möglich und stand auf, fest entschlossen zu verschwinden. Wäre da nicht Kiyoshis Hand gewesen, die sich plötzlich um seine schloss. Hanamiya zuckte zurück, doch trotz des steten Lächelns auf seinem Gesicht ließ der andere nicht locker.

»Bleib doch noch, Hanamiya. Ich unterhalte mich gerne mit dir.«

Erst, als Hanamiyas Blick zunehmend dem eines in die Ecke gedrängten Tieres glich, ließ er ihn los. Kiyoshi hatte erreicht, was er wollte; Hanamiya blieb – wenn auch äußerst widerwillig – und setzte sich wieder.

»Ich mich aber nicht mit dir«, zischte Hanamiya aggressiv und achtete darauf, seine Arme nah am Körper zu halten und so wenig Angriffsfläche wie nötig zu bieten.

»Ich weiß.«

Danach schwiegen sie wieder. Hanamiya vermied jeden Augenkontakt und schien permanent nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau zu halten, wohingegen Kiyoshi den Anstand besaß, der Bedienung zu danken, als sie ihre Bestellung brachte und dennoch so dreist war, ab und an unterm Tisch den Fuß des anderen mit seinem eigenen zu streifen.

»Warum?«, fragte Hanamiya nach einiger Zeit zögerlich und zog die Füße nahe an die Beine seines Stuhles. Er wusste, dass Kiyoshi verstand, was er meinte. Seine Antwort überraschte ihn dennoch.

»Weil ich dich interessant finde. Du bist anders als die Menschen, denen ich bisher begegnet bin.«

»Was für eine lahme Begründung«, murmelte Hanamiya und verdrehte die Augen.

»Die Wahrheit muss nicht immer spannend sein.« Kiyoshi zuckte mit den Schultern, ehe er sein Gegenüber mit einem Blick fixierte, den er nicht zu deuten wusste. »Ich mag dich, Hanamiya.«

Er schnalzte mit der Zunge. »Aufrichtige Menschen widern mich an.«

Zufrieden beobachtete er, wie Kiyoshi die Stirn in Falten legte und die Augenbrauen zusammenzog. Aber nur für einen Moment. Dann waren seine Augen wieder klar, wieder entschlossen und strahlten wieder etwas aus, von dem Hanamiya nicht wusste, was es war, vor dem er sich aber trotzdem fürchtete.

»Weißt du«, begann er mit ruhiger, fester Stimme, »Ich fürchte, wenn du so weitermachst wie bisher, wird dein Leben eine Richtung einschlagen, die dir nicht gefallen wird.« Das hatte es bereits, aber das würde er sich und ihm nicht eingestehen.

»Wenn du Probleme hast, dann—« Hanamiya unterbrach ihn, bevor er etwas sagen konnte, das ihn so sehr traf, dass es ihm die Sprache verschlug.

»Du bist nicht besser als ich.« Es klang mehr nach einer Anschuldigung, als er beabsichtigt hatte. »Du magst merkwürdig und planlos wirken, aber letzten Endes kriegst du die Menschen um dich herum immer dazu, das zu tun, was du willst.« Er wusste nicht, wie Kiyoshi das schaffte, und genau das machte ihm Angst. Mit solchen Menschen – denen, die er nicht kontrollieren konnte und denen alles zuzutrauen war – wollte er sich nicht umgeben.

Darauf ging Kiyoshi nicht ein. Er lehnt sich lediglich nach vorne, sah ihn mit durchdringendem Blick an. »Ich kann dir helfen, Hanamiya. Du musst mich nur lassen.«

Damit stand er auf, ließ genug Geld für die Rechnung liegen und verschwand, ohne sich noch einmal umzusehen, ohne dümmlich zu grinsen oder ihm zu winken oder sonst irgendetwas zu tun, von dem Hanamiya hätte sagen können, dass es ihn nicht überraschte.
 

Die Sonne ging gerade unter, als Imayoshi mit ein paar anderen Spielern Touous die Sporthalle verließ, und obwohl sie in ein Gespräch vertieft waren, bemerkte er den Jungen, der ans Schultor gelehnt auf ihn wartete und sein Bestes gab, von niemandem sonst gesehen zu werden. Imayoshi verabschiedete sich bei seinen Teamkameraden und ging langsam auf Hanamiya zu.

»Als ich dir sagte, ich würde dir stets bei deinen Problemen helfen, hatte ich nicht erwartet, dich so schnell wiederzusehen.«

»Es sind schon drei Monate vergangen«, murmelte er und sah zur Seite. Für jeden anderen hätte er genervt gewirkt, aber Imayoshi kannte ihn lange und gut genug, um zu wissen, dass es ihm furchtbar peinlich sein musste, hier zu sein. Er lachte kurz, ehe er antwortete.

»Nur hatte ich bei dir eher mit drei Jahren gerechnet.«

Sie liefen los, ohne bestimmtes Ziel vor Augen. Gerade in diesem Stadtviertel war es zu dieser Uhrzeit angenehm leer, und obwohl sie an der Straße entlanggingen, war der Lärm der wenigen Autos nicht ansatzweise laut genug, um ihre Stimmen zu übertönen.

Dennoch schwiegen sie lange, bis Hanamiya irgendwann begann, von den letzten Monaten zu erzählen. Von den anderen Spielern, die man Mukan no Goshou nannte, von den Spielen, zu denen sie als Zeitvertreib im Team antraten, von ihren Treffen. Und von Kiyoshi, vor allem von ihm.

Imayoshi sagte dazu erst einmal nichts, wollte vorerst nur zuhören, doch auch als der andere offensichtlich fertig war, blieb er still. Bis Hanamiya schließlich genervt aufstöhnte. »Hilfst du mir nun oder nicht?«

Innerlich lächelte er; es war immer noch so einfach, ihn aus der Fassung zu bringen, auch wenn er vermutlich bislang der Einzige gewesen war, dem das so mühelos gelang. Jetzt war da dieser Kiyoshi, von dem Imayoshi selbstverständlich schon gehört hatte, von dem er sich aber bisher kein Bild hatte machen können. Und jetzt, da er es konnte, wusste er nicht, ob er Hanamiya guten Gewissens in seiner Gesellschaft lassen konnte.

»Und was genau erwartest du?«, fragte er ein wenig ratlos und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf.

Hanamiya beäugte ihn misstrauisch. »Du sollst mir eine Frage beantworten.«

»Die da wäre?«

»Was ist mein Problem?«

›Und wie kann ich es lösen?‹ hing unausgesprochen zwischen ihnen.

»Problem? Singular?« Ungläubig fuhr Imayoshi sich mit einer Hand durch die Haare und zog die Stirn kraus. »Du hast so viele, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.«

Lautlos seufzend blickte er gen Himmel, stellte am Rande fest, dass es schon vielmehr Nacht als Tag war, und überlegte eine Weile, bevor er antwortete. »Vielleicht bei deiner Aversion gegen Vertrauen und den ganzen anderen Kram. Das scheint mir das Schwerwiegendste zu sein.«

Das wusste Hanamiya auch. Oder er vermutete es.

»Also?« Erwartungsvoll sah Imayoshi ihn an, doch er wusste nicht, was er von ihm wollte.

»Also was?«

Imayoshi kicherte dunkel und legte den Kopf schief. »Fang schon an mit deiner dramatischen Kindheit. Die Ursache für dein Verhalten wird garantiert dort zu finden sein, also sparen wir uns Zeit und Mühe und wühlen direkt in deinen Erinnerungen.«

Für ihn glich das Ganze eher einem Spiel als einer wirklich Problemlösung, denn wenn er ehrlich war, konnte er sich nicht vorstellen, warum der andere so war, wie er war. Das hieß, eigentlich konnte er das schon, aber ihm gefielen die Möglichkeiten nicht und er wünschte sie ihm unter keinen Umständen. Auch nicht, wenn er sich vor Augen führte, was für ein kleines Drecksbalg Hanamiya manchmal gewesen war und vermutlich immer noch sein konnte.

»Also, was ist? Haben deine Eltern dich geschlagen? Adoptiert? Sexuell missbraucht? Dich als Kleinkind vom Wickeltisch geschubst? Dir dein Eis—«

»Ja«, unterbrach Hanamiya ihn mit einer Stimme, die viel zu nüchtern, viel zu resignierend klang, viel zu sehr danach, als hätte er sich mit etwas abgefunden, das niemals wieder passieren dürfte.

Mit einem Mal hatte Imayoshi einen Kloß im Hals. »Was?«

»Mein Vater schlägt mich.« Hanamiya fixierte den Asphalt zu seinen Füßen, als er seine Worte kaum hörbar wiederholte. »Mein Vater schlägt mich und meine Mutter verrät mich.«

Neben ihm sog Imayoshi scharf die Luft ein, seufzte dann laut. »Scheiße.«

»Was?« Es behagte ihm nicht, dass Hanamiya immer noch so gleichgültig dreinblickte.

»Ich hatte gehofft, dass du einfach nur so einen miesen Charakter entwickelt hast«, wollte Imayoshi die Situation ein bisschen auflockern, doch der andere verzog das Gesicht zu einem gehässigen Grinsen, das immer unsicherer wurde, je länger er hinsah.

»Damit du kein Mitleid mit mir haben musst? Da kann ich dich beruhigen, dein Mitleid will ich gar nicht.«

»Nein, nein.« Imayoshi hob schlichtend die Hände. »Siehst du, Menschen sind simpel. Sie wollen es sich im Leben so einfach wie möglich machen, deswegen tun sie selten etwas, um den ersten Eindruck, den sie von einer Person haben, zu bestätigen, zu widerlegen oder in irgendeiner Form zu überprüfen.«

Sein Blick war zurück gen Himmel gewandert, während er gesprochen hatte. »Wenn Menschen einander nicht sofort verurteilen, sondern die Handlungen anderer zu verstehen versuchen würden, wäre Vieles einfacher.«

Darauf schwieg Hanamiya lange. Zum Einen, weil er nicht wusste, was er darauf erwidern sollte, und zum Anderen, weil er sich vor den Erkenntnissen, die er aus diesem Gespräch gewinnen würde, fürchtete.

»Oi, Hanamiya.«

»Makoto«, murmelte er stur und sah zu Seite. Er ahnte, dass Imayoshi ihn damit aufziehen würde. In der Tat hob dieser spöttisch eine Augenbraue und piekste ihm neckend in die Wange. Hanamiya mochte nicht, wie er mit ihm umsprang, aber es erinnerte ihn an die Zeit, bevor er Kiyoshi und die anderen gekannt hatte. Es hatte etwas Vertrautes, es gab ihm Halt; und er brauchte Dinge, die ihm Halt gaben.

»Oh? Ich dachte, du magst von mir nicht so genannt werden?«

Und auch, wenn er es nicht gerne zugab, so war Imayoshi der einzige Mensch auf Erden, dem er zumindest etwas Ähnliches wie Vertrauen entgegenbrachte. Er war der Einzige, der ihn noch nie enttäuscht hatte.

»Was ist jetzt?« Er klang gereizter, als er eigentlich war, aber daran störte sich keiner der beiden.

»Als du eben meintest, deine Mutter würde dich verraten... was meintest du damit?«

Es wirkte so, als würde Hanamiya lange überlegen, aber Imayoshi wusste, dass er nur mit sich selbst haderte. Vermutlich hatte er nicht geplant, so viel zu verraten, und wog jetzt ab, ob es sich lohnen oder ihm schaden würde, wenn er weitermachte.

»Vor vier oder fünf Jahren habe ich beim Jugendamt angerufen und sie gebeten, bei mir Zuhause vorbeizuschauen«, presste er irgendwann tonlos hervor und schwieg weiter.

Imayoshi wartete eine Weile, ehe er nachhakte. »Sind sie nicht gekommen?«

»Doch. Als sie an der Tür geklingelt haben, hat meine Mutter meinen Vater gerufen, noch bevor sie aufgemacht hat.« Sie hatten ihn gerufen, noch bevor sie ihren Sohn gerufen hatte, und hätte der Beamte nicht darauf bestanden, dass er selbst auch anwesend war, hätten sie Hanamiya vermutlich niemals dazu geholt. Er erzählte, wie es weitergegangen war, erzählte mit leiser Stimme, wie der Beamte ihn gefragt hatte, ob es irgendwelche Probleme gäbe, und wie sein Vater verneint hatte.

»Aber ich wollte nicht, dass sie wieder gehen, also...« Er ließ den Satz unbeendet.

Nachdenklich legte Imayoshi den Kopf in den Nacken. »Also hast du vor deinen Eltern und dem Beamten gesagt, dass dein Vater dich schlägt?« Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie der andere nickte.

»Und deine Mutter?«, fragte er vorsichtig und war überrascht, wie sanft er klang. Hanamiya schluckte und wurde langsamer.

»Hat gelacht. Hat ganz unbekümmert gelacht und gemeint, ich solle mir das nicht einbilden. ›Wenn mein Mann Makoto schlagen würde, würde ich das doch mitbekommen. Der Junge hat eine blühende Phantasie, er denkt sich allerhand Geschichten aus.‹«

Imayoshi kannte Hanamiyas Mutter nicht, aber wenn sie diesen Satz tatsächlich so ausgesprochen hatte, wie der andere es gerade nachgeahmt hatte, war er sich verdammt sicher, dass er sie verachten würde.

»Und das haben sie geglaubt?«

»Sie haben danach immer wieder mal jemanden vorbeigeschickt, aber mein Vater ist nicht dumm.« Hanamiya zuckte vage mit den Schultern und rieb sich den Oberarm. »Er hat einfach solange gewartet, bis das Jugendamt davon ausgegangen ist, dass alles in Ordnung sei.«

»Dann hat er weitergemacht«, endete Imayoshi, weil er nicht wollte, dass der andere es aussprechen musste.

»Genau.« Schließlich blieb Hanamiya stehen, hielt den Blick und die Schultern gesenkt und wirkte so klein, dass Imayoshi sich unwillkürlich fragte, ob das vor ihm tatsächlich der Junge war, den er seit der Mittelschule kannte. Auch er blieb stehen und wartete geduldig darauf, dass Hanamiya fortfuhr.

»Und was soll ich jetzt tun?«

›Senpai‹ hing unausgesprochen zwischen ihnen, und obwohl Imayoshi es ihm hoch anrechnete, dass er sich davon abhalten konnte, dieses vermaledeite Wort an seine Frage anzuhängen, so verschluckte er sich ob des Schrecks dennoch.

»Wenn ich das wüsste.« Zum ersten Mal in seinem Leben war Imayoshi ratlos. Es ärgerte ihn, dass er nicht richtig mit der Situation umzugehen wusste und nur mit den inhaltslosen Ratschlägen aufwarten konnte, die jedem in so einem Fall in den Sinn kommen würden.

»Hast du Verwandte in der Nähe, zu denen du ziehen könntest?«

Hanamiya sah ihn mit einem Blick an, der ihm sagte, dass er schon längst zu Verwandten gezogen wäre, wenn er welche hätte. Imayoshi fragte weiter.

»Willst du es noch mal mit dem Jugendamt versuchen?«

Dieses Mal schüttelte er vehement den Kopf und sah dann zur Seite. Binnen Sekunden hatte Imayoshi eine Entscheidung getroffen. Er trat etwas näher an sein Gegenüber heran und versicherte sich flüchtig, dass niemand in ihrer Nähe war.

»Dann schlag zurück. Oder renn weg, wenn du das nicht kannst«, raunte er ihm mit ernster Stimme zu, die Augen zu schmalen Schlitzen verengt. »Und wenn es irgendwann damit endet, dass du zum Mörder wirst, sag mir bloß Bescheid, damit du danach nichts Unüberlegtes tust und dir deine Zukunft verbaust.«

Hanamiya blinkte einmal, zweimal, sah den Älteren dann aus großen Augen an. Dass er nicht mehr sagen konnte, ob Imayoshi das ernst meinte oder nicht, beunruhigte ihn mehr, als die Wahrscheinlichkeit, dass er ihn tatsächlich bei einem Mord unterstützen würde.

»Das ist ein Scherz, oder?«

Imayoshi schwieg und richtete den Blick wieder gen Himmel. Hanamiya schüttelte ungläubig den Kopf und zwang sich zu einem Lachen, um die Stimmung aufzulockern.

»Und bisher habe ich gedacht, ich hätte die größeren Probleme, aber ganz koscher bist du auch nicht.«

Sie setzten sich wieder in Bewegung, gemächlich und ohne Eile. Es dauerte eine Weile, bis Imayoshi wieder sein typisches hinterlistiges Grinsen zeigte und ihm spielerisch in die Seite stieß.

»Nee, Makoto?« Hanamiya wusste, dass es vorbei war mit den Ratschlägen und sie bei ihren üblichen Interaktionen angekommen waren. »Angenommen, Kiyoshi würde erfahren, warum du so bist wie du bist...«

»Wenn du irgendwem hiervon erzählst, werde ich dir beide Augäpfel aus den Augenhöhlen löffeln und so tief in den Rachen schieben, dass du daran erstickst.« Hanamiya war ihm dankbar, dass sie in ihr altes Muster verfallen konnten, dass es wieder eine Konstante gab, an die er sich klammern konnte, und dass der andere ihn nicht verurteilte, ihn niemals verurteilt hatte.

Wie immer grinste der Ältere nur. »Ist es nicht beunruhigend, dass ich in keinster Weise daran zweifle, du könntest das wirklich machen?«

»Weil ich ein Soziopath bin?« Er lachte, aber in Imayoshis Ohren klang es furchtbar traurig. Nur knapp konnte er sich davon abhalten, Hanamiya die Hand auf den Haarschopf zu legen. Stattdessen lächelte er ebenso traurig, wie der andere gelacht hatte, und schüttelte sacht den Kopf.

»Weil du ein Mensch bist.«



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Puppenspieler
2016-02-29T19:25:11+00:00 29.02.2016 20:25
Die Interaktion zwischen Hanamiya und Imayoshi ist wunderschön. Da gibt's kein anderes Wort, um das zu beschreiben. Da steckt so unglaublich viel drin...
Ich mag diese Seite an Imayoshi. Wie fürsorglich er sein kann, wie... liebevoll? Ohne, dass es fehl am Platze wirkt. Wie er im nächsten Moment schon einfach wieder er selbst sein kann, wie viel Einfühlungsvermögen und Taktgefühl er hat, um Hanamiya essentiell doch entgegenzukommen, wie der Junge es gerade braucht.
Dass er einfach da ist.
Die Freundschaft zwischen den beiden, so verrückt sie auf den ersten Blick wirkt, ist eine ganz besonders schöne, wie du sie beschrieben hast. ;~; Ich LIEBE es!
Auch wenn das Kapitel unglaublich deprimierend ist und einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt mit allen Grausamkeiten, so ein kleines bisschen... bleibt Hoffnung. Und das ist schön.

Und Hanamiya und Kiyoshi sind zusammen sowieso wunderbar. Kiyoshis Art ist einfach unglaublich liebenswert - diese Beharrlichkeit, die fröhliche Lockerheit, die so schnell in Ernsthaftigkeit umschlägt, wenn es wichtig ist... Und dass Hanamiya mit ihm überfordert ist, wundert mich keinen Augenblick.
Es ist schön. ;w; es macht so viel Spaß, ihre Interaktion zu lesen, weil in jedem einzelnen verdammten Wort so unglaublich viel steckt!


Zurück