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In the Heart

~Daily-Challenge~
von

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Wasser - Kaffee - Termin - rot

☆¤*★*¤☆Nummer 1☆¤*★*¤☆
 


 

Es war jeden Morgen dasselbe.

Mit einer schnellen Tasse Kaffee in der einen und eine kalte Scheibe Toast in der anderen Hand, rannte ich durch die Wohnung.

Ich hasste diesen Stress am Morgen, wenn ich meinen lieben Ehemann gemütlich in der Küche sitzen hörte, wie er mit der Zeitung raschelte und noch dazu alles andere als in Eile war. Für ihn würde der Tag erst in knapp einer Stunde anfangen, wenn ich schon längst von einem Termin zum nächsten huschen musste.

Ich seufzte entnervt, als ich von meiner Frisierkommode die Fotomappe nahm, in der sich meine bisherigen Aufträge befanden. Ich spickte nur kurz hinein, doch für mehr blieb einfach keine Zeit.

Die Tasse ließ ich einfach an Ort und Stelle stehen und den Toast zermalmte ich in einer aufkommenden Hektik einfach zwischen den Zähnen und kaute den Rest herunter.

Mich noch kurz im Spiegel betrachtend, stürzte ich zur Garderobe und zog mir die recht bequemen schwarzen Stiefeletten mit den feinen Riemchen an.

Das rote Haar fiel mir dabei locker über die Schulter, auf welche mir schließlich ein Kuss auf die nackte Haut gedrückt wurde. Ich hätte kein Top anziehen sollen, schoss es mir durch den Kopf.

Ich zuckte kurz zusammen, nicht nur wegen der Tatsache, überrascht worden zu sein, sondern generell der Geste halber, die so untypisch geworden war, wie ein normaler Tag ohne Hektik und Stress.

Mein Kopf schnellte herum und somit blickte ich in das versucht liebevoll erscheinende Gesicht meines Mannes. „Du musst schon weg?“, raunte er mir zu, wodurch sich eine feine Gänsehaut auf meinen Armen ausbreitete. Mit einer nahezu zärtlichen Geste drückte ich mich etwas von ihm ab und richtete meine Haare. „Das sagte ich dir doch gestern schon“, erwiderte ich lässig, schnappte mir noch beim Sprechen meine Tasche und die Mappe und wandte mich zur Tür.

Ich sah aus den Augenwinkeln den enttäuschten Ausdruck in seinem Gesicht, doch er berührte mich nicht. Wie schon lange nicht mehr.

„Bis heute Abend“, sagte ich noch und war schließlich aus der Tür verschwunden.
 

Mit einem Taxi fuhr ich keine Viertelstunde später vor meiner Agentur vor.

Anscheinend war ich sogar noch pünktlich, weswegen ich dem Fahrer nur schnell ein paar Dollar in die Hand drückte und schließlich ausstieg.

Mein Agent würde mich wohl erst in fünf Minuten erwarten, genug Zeit noch, das Make-up zu prüfen und die Begegnung von vorhin zu verkraften. Würde ich es nicht besser wissen, hätte ich behauptet, Michael hätte getrunken, doch das war schwachsinnig. Also war es vielleicht doch der plötzliche Impuls, um eine kaputte Beziehung zu kämpfen.

Ich seufzte und betrat das verglaste Gebäude, durch welches bereits jetzt die ersten Sonnenstrahlen durch die hohen Fenster schienen.

„Mira, da bist du ja schon!“ Ich wandte meinen Blick Richtung Aufzug, aus dem gerade, beinahe schwebend, mein Agent auf mich zuflog. Ich konnte mir kein Grinsen verkneifen, als ich ihn freundschaftlich umarmte und ihn ansah. Er sah aus, wie frisch aus dem Ei gepellt, in einen, zu seiner Figur passendem, schwarzen Nadelstreifenanzug gekleidet, die Haare fein säuberlich gekämmt und doch kam die wilde, leidenschaftliche Seite dadurch besonders gut hervor. Ich mochte ihn und dieses Mögen ging schon beinahe darüber hinaus, was ich mittlerweile noch für meinen Mann übrig hatte.

Ich kehrte meine Gedanken zusammen und nickte schließlich auf die eben gestellte Frage.

„Der Verkehr war heute nicht ganz so furchtbar, was machen wir heute?“, erkundigte ich mich neugierig und sah mich unauffällig um, in der Hoffnung, schon vor seiner Antwort zu wissen, was mich heute erwartete.

Das Modelbusiness war aufregend, das hatte ich schon früh herausgefunden und besonders, wenn man bereits Mitte zwanzig war, brauchte man jeden Auftrag, den man kriegen konnte.

Mein Agent räusperte sich kurz und zog meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn, dabei leicht grinsend. „Also?“, hakte ich nach und erfuhr so schließlich – oder lediglich – dass der Van in ein paar Minuten hier sein würde.

Fasziniert beobachtete ich die Visagisten und die Stylisten, die Minuten später mit etlichen Kleidern, Anzügen, verschiedenen Kosmetikkoffern und sonstigem Schnickschnack bepackt, der Reihe nach aus dem Gebäude traten. Sie schienen beste Laune zu haben, wenn man das Stimmengewirr richtig deutete, das die Lobby erfüllte.

Ein Schmunzeln legte sich auf meine gepuderten Wangen, ehe ich mich bei meinem Nebenmann einhakte und mit ihm nach draußen ging.

„Joshua, wieso sagst du mir nicht, wo es heute hingeht?“

Ich merkte erst Sekunden später, dass meine Stimme einen trotzigen Ton angekommen hatte, doch den Angesprochenen schien das nicht zu stören. „Wart’s ab“, raunte er mir liebevoll ins Ohr, sodass sich meine Nackenhaare für den Bruchteil einer Sekunde aufstellten. Das aufkeimende Gefühl war atemberaubend und doch zu kurz, um es länger zu genießen, als wir schließlich in den bereits vorgefahrenen, beladenden Wagen stiegen.
 

Die Fahrt verlief schweigsam und als wir mitten in der Wildnis schließlich auf einen Waldweg fuhren, schwante mir nicht im leisesten, was das werden sollte.

Ich war es gewohnt, in edlen Umgebungen schöne Fotos zu machen und ich konnte mir bei Gott nicht vorstellen, hier irgendwo ein Fotostudio zu finden, das den normalen Bedingungen nachkam. Ich warf einen kurzen Blick zu Josh neben mir, doch der grinste nur wie ein Honigkuchenpferd, als er meinen Blick einfing.

Er schien sich zumindest seiner Sache sicher zu sein, was mich seufzen ließ.

Den nächsten Blick aus dem Fenster wiederholte ich ruckartig ein zweites Mal, denn das, was sich nun vor mir auftat, wischte alle Zweifel weg. Der See, der in der Sonne glitzerte, ließ meine Augen weiten und ohne ein Wort des Protestes, rollte der Van auf dem Kiesweg weiter und blieb schließlich stehen.

Schwungvoll öffnete ich die Wagentür und trat ins Freie, dabei dennoch darauf achtend, meine Schuhe nicht zu ruinieren. „Wunderschön“, brachte ich heraus und bemerkte augenblicklich die Anwesenheit meines Agenten, der neben mich getreten war.

„Das dachte ich mir, dass du so reagierst.“ Er schenkte mir ein sanftes Lächeln, was mein Herz kurz schneller schlagen ließ. „Ein Modekatalog hat dich für die nächste Bademode bei ihnen gebucht“, fügte er noch an und deutete dem anderen Wagen an, der gerade einfuhr, die Kleidung und das Make-up auszupacken. „Und heute Nachmittag haben wir noch einen Termin in der Stadt, aber bis dahin solltest du diesen hier genießen.“ Er grinste noch mal und wandte sich dann dem Team zu, das begonnen hatte, auszuladen.

Ich sah ihn noch eine Weile an, lächelte dabei unbewusst.

Er war jemand, den man einfach mögen musste, befand ich und trat dann näher ans Ufer des großen Sees. Das Wasser war klar und ich konnte sogar noch in Meter Entfernung auf den Boden sehen. Ein paar Fische schwammen umher und das erste Mal seit Tagen, in denen ich Stress und Streit ausgesetzt gewesen war, fühlte ich mich frei und unabhängig.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, mich für diesen Auftrag bei Josh bedanken zu müssen. Er schien wie ein offenes Buch in mir lesen zu können und trotz fehlendem Mitleid – das ich auch nicht haben wollte oder gar brauchte – oder Ausdruck der Hilfe, schien er genau zu wissen, was mich beschäftigte und besser – wie er mir beistehen konnte. Es wurde wohl Zeit, dass ich einen Schlussstrich unter alles zog, was mich belastete.
 

Ganz in meinem Element rekelte ich mich im Wasser umher, während das monotone Klicken der Kamera zu meinem Spielfeld wurde. Professionell brachte ich mich in Pose, den hellblauen Zweiteiler dabei so betonend, dass er einfach gekauft werden musste, wäre der Katalog erst einmal erschienen.

Das war das Gute an meinem Job, ich trug dazu bei, dass sich Menschen, ganz besonders Frauen, wohl fühlten, wenn sie ihren Kaufrausch auslebten. Und das war etwas, mit dem ich mich auskannte.

„Reicht!“, rief mir jemand zu, sodass ich mich seufzend auf die Knie setzte und mir das Wasser aus dem Gesicht wischte. Der leitende Fotograf gab mir ein Zeichen, das mir andeutete, dass er zufrieden mit meiner Arbeit war und mit einem Blick zu Josh wurde mir das noch einmal bestätigt.

Er stand lässig an einen Baum gelehnt, rauchte seine Zigarette, wie jedes Mal, wenn ich ihn sah, doch dieses Mal war es irgendwie anders. Ich wusste auch nicht, was heute mit mir los war, aber immer, wenn mein Blick ihn streifte, bekam ich Herzflattern. Dabei war mir das noch nie passiert. Vielleicht lag es auch an seinem warmen Lächeln, das er mir zuteil werden ließ.

Sekunden später erhob ich mich und trat aus dem Wasser. Ich hatte noch ein wenig was zu tun heute, sodass ich mich schnell in den nächsten Badeaufzug werfen musste.
 

Lachend legte ich den Kopf in den Nacken.

Der zweite Termin war mindestens genauso gut gewesen wie der erste, und meine Laune hatte sich im Laufe des Tages mehr und mehr gehoben.

Zusammen mit Josh saß ich im Taxi und grinste bis über beide Ohren, sodass ich meine Muskeln im Gesicht schon ganz genau spüren konnte. Ich hatte selten so viel Spaß an einem Tag gehabt und umso belebter fühlte ich mich – gar nicht dazu bereit, schon nach Hause zu fahren und den Abend mit einem Mann zu verbringen, den ich nicht mehr liebte.

Das war mir heute irgendwie klar geworden, denn immer, wenn ich lachte, musste ich überlegen, wann ich es das letzte Mal in Gegenwart von Michael getan hatte. Ich hatte keine Antwort gefunden und mittlerweile sollte es mir egal sein.

„Josh?“, fragte ich zögerlich an, nachdem mein Lachen verklungen war und ich mich ansatzweise wieder beruhigt hatte. Der Angesprochene wandte seinen Blick zu mir, auch in seinem Gesicht konnte man das Lachen nachhaltig sehen. Dieser Anblick beruhigte mich.

„Hm?“, war seine Reaktion auf die Frage, doch sie schien nicht so zu sein, dass ich zögern müsste, ihm zu antworten. „Gehen wir noch einen trinken? Ich möchte noch nicht nach Hause“, lächelte ich zuckersüß und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht, die sich gerade selbstständig gemacht hatte.

Ich sah das Zögern in seinen Augen, sodass ich dem direkt Einhalt bot. „Ich weiß, mein Mann“, erwiderte ich schließlich, schwieg dann für einen Moment. Vielleicht sah er meine Verzweiflung oder die Idee fand Anklang, ich konnte es nicht sagen, doch als er schließlich zustimmte, strahlte ich übers ganze Gesicht.

„Danke!“, grinste ich und drückte ihm spontan einen Kuss auf die Wange, was mein Herz wieder kurz aufflattern ließ. Was machte ich da?

Eine Wärme durchflutete mich, als er seine Arme um mich legte und an sich drückte. Meine Augen hatten sich geweitet, ohne, dass ich es mitbekommen hatte, doch ich wagte es nicht, mich von ihm zu lösen. Schweigend verharrte ich und schloss letzten Endes die Augen. Bei ihm fühlte ich mich am wohlsten, wenn ich mir ins Gedächtnis rief, wie es normalerweise war. Michael war schon lange niemand mehr für mich, der Ehering lag zu Hause in einer Schublade und außer dem Nachnamen verband mich nichts mehr mit ihm. Das wusste ich schon lange, aber dann kam Josh.

„Ich glaube, wir haben heute noch einen Termin“, hörte ich ihn sagen, sodass ich fragend eine Augenbraue hob. „Ach?“ Ich spürte das Grinsen förmlich. „Ja, bei einem Glas Champagner.“ Ich lächelte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er es gerade schaffte, mich von meinem Mann zu lösen. „Du bist der Boss.“

kaufen - Messing - erstaunlich - dunkel

☆¤*★*¤☆Nummer 2☆¤*★*¤☆
 


 

Als die Klingel ertönte, schnellte der blond gelockte Schopf nach oben.

Noch vor Sekunden hatte sie eine Miene wie sieben Tage Regenwetter gezogen, während sie sich die neusten Rechnungen für Transport und Einkauf angesehen hatte, doch Kunden schafften es immer wieder, ihre Laune zu heben.

Ein überschwängliches Lächeln legte sich auf die weichen Züge der recht kleinen Frau, die mit enormer Energie hinter ihrem Tresen hervorhuschte und zu dem graubärtigen Mann an der Tür trat.

„Guten Morgen, wie kann ich Ihnen helfen?“ Routiniert wie immer, rasselte sie die Begrüßungsfloskel herunter, die meistens guten Anklang fand und ein Lächeln einbrachte – schon fast die Garantie dafür, dass sie in ein paar Minuten einen zufriedenen Menschen zur Tür entlassen konnte; sie selbst mit einem Stück weniger ihrer Sammlung, kostbarer Antiquitäten.

Der Mann vor ihr, der sich gerade seines Hutes entledigte und sich dabei die Haare richtete, die schon gewisse Geheimratsecken andeuteten, suchte mit den Augen vorerst den Laden ab, ehe er seine Aufmerksamkeit auf Julia richtete.

„Ich schaue mich erstmal um, danke“, winkte er freundlich schmunzelnd ab, sodass die Blonde nickte und eine einladende Geste in Richtung Inventar machte. „Wenn Sie Hilfe brauchen, rufen Sie mich“, grinste sie und wandte sich wieder ihrem Tresen zu, auf dem leider immer noch die Rechnungen lagen, die ihre Laune gen Minuspunkt brachten.

Sie verkaufte ja nicht schlecht, aber die Waren einzukaufen und dann auch noch einschiffen zu lassen, kostete einen gehörigen Teil ihres Budgets.

Das Telefon riss sie aus ihren Gedanken und mit einem kurzen Biss auf die Unterlippe sah sie noch einmal zu ihrem Kunden, der sich anscheinend gerade an einer antiken Vase ergötze, die sie erst letzte Woche per Kurier aus Asien hatte einfliegen lassen.

Mit einer Hand griff sie zum Hörer, meldete sich dabei in ihrer gewohnten Verkauferstimme, die sie sich mit etlichen Stunden vorm Spiegel antrainiert hatte. „’Harris’ Antiquitäten’, Julia am Apparat?“

Das leichte Lächeln auf ihren Zügen gefror augenblicklich, als sie der Stimme zuhörte, die ihr gerade in schnellem Französisch versuchte, zu erklären, dass eine neue Lieferung nicht durch den Zoll gekommen sei und nun mit gehöriger Verspätung ankommen würde. „Und wieso kam sie nicht durch?“, hakte sie leise nach, jedoch auf Englisch, strich sich dabei eine Strähne aus der Stirn und achtete tunlichst genau darauf, dass ihr Kunde von ihrer Aufregung nichts mitbekam. Der bestaunte gerade einen Sekretär aus dem alten Griechenland, für den Julia hart hatte feilschen müssen.

„Das weiß ich noch nicht so genau, ich sag dir dann Bescheid.“ Julia nickte verstimmt, besann sich dann aber noch zu einer Antwort. „In Ordnung, danke Rob.“ Sie lächelte wieder leicht, doch als sie auflegte, wütete sie innerlich und rang um Beherrschung. Leise legte sie den Hörer auf die Gabel und atmete tief durch. Diese Verspätung war eine Katastrophe, schon allein, weil ein paar der Teile demnächst verschickt werden mussten, die bereits weggegangen waren.

Die Blonde seufzte, ließ dann aber die Rechnungen liegen und trat um den Tresen herum. Gerade, als die Tür ein zweites Mal aufging und ein gut gelaunt erscheinender Halbriese darin zum Vorschein kam. Ein riesiger Karton tronte auf seiner Schulter und es schien nicht so, dass es große Anstrengungen gekostet hatte, diese dort hinaufzuwuchten. „Hey Juli, was machst du denn für ein Gesicht?“, grinste er breit, auch wenn sein Blick dann direkt zum Graubärtigen huschte, der die Anwesenheit des Mannes wohl nicht registriert hatte. Etwas leiser kam er auf Julia zu und beugte sich zu ihr herab, um ihr einen Kuss auf die Schläfe zu drücken. „Sorry“, raunte er kurz, was auch nichts an seiner guten Laune drehen konnte. Als wäre in dem Karton lediglich eine Feder, hob er ihn hoch und setzte ihn Julia vor die Füße, die immer noch etwas verblüfft über das plötzliche Auftauchen ihres Freundes war. „Wo kommst du denn her?“, fragte sie daher erstmal gesitteter Weise nach und beäugte den fast zwei Köpfe größeren Mann vor ihr aufs Genauste. Er war braun gebrannt und sie konnte erkennen, dass es dieses Mal nicht vom Solarium herrühren konnte.

Charlie hob missmutig die Augenbrauen und zog einen demonstrativen Schmollmund, der für gewöhnlich immer dabei half, ein Lächeln von ihr abzugewinnen. Als dies ausblieb, räusperte er sich kurz. „Ich hatte dir doch geschrieben, dass ich übers Wochenende bei meinen Großeltern an der Küste bin.“ Er zeigte auf seine Haut. „Und ich sag dir, die Arbeiten draußen im Garten haben wirklich was gebracht.“ Charmant wie immer grinste er sie an und auch sie konnte sich keines verkneifen.

„Na gut, dir sei vergeben, dass du mich nicht mitgenommen hast.“ Ehe er eine Schnute ziehen konnte, kniete sie sich auf den Boden und besah sich den Karton. „Und das?“ Sie deutete auf die braune Farbe der Ummantelung und sah Charlie fragend an. „Das…“ Er kniete sich neben sie. „Hat mir meine Großmutter mitgegeben.“ In einer kurzen Bewegung zog er das Klebeband ab, das verhindern sollte, dass das Paket aufging, und legte es neben sich.

Interessiert beobachtete Julia, wie er Schicht für Schicht des in Folie und Zeitung gewickelten Etwas auspackte, doch gerade, als er es entblößen wollte, ertönte ein Räuspern von der anderen Ecke des Ladens.

Innerlich fluchend sprang die Blondine auf und hastete zu ihrem Kunden, den sie für den Bruchteil einer Sekunde schon wieder vergessen hatte.

Charlie grinste schelmisch, wartete jedoch darauf, dass seine Freundin wieder bei ihm war, sodass sie das Mitbringsel gemeinsam bestaunen konnten.
 

10 Minuten später ertönte abermals die Türklingel und Stille kehrte ein. Das Lächeln auf Julias Gesicht verpuffte sich noch im Bruchteil einer Sekunde, während die Tür ins Schloss fiel und sie zu Seufzen begann. „Also, heute ist nicht mein Tag“, sagte sie frustriert und ging zurück zu Charlie, der in der Zwischenzeit schon mal das Chaos beseitigt hatte. „Macht nichts, gleich hast du bessere Laune“, versprach er mit einem aufbauenden Grinsen, was ein Nicken zur Folge hatte. „Dann spann mich nicht auf die Folter!“

Zum Vorschein kam eine kleine Vase mit vielen Verziehungen, die einem sofort ins Auge fielen. Schweigend strich Julia mit einer Fingerkuppe über die Rillen, die dunkel hervorzutreten schienen und sich anfühlten, als wären sie fein säuberlich geschnitzt worden. „Erstaunlich…“, murmelte sie in ihren nicht vorhandenen Bart und blickte aus den Augenwinkeln zu Charlie, der lediglich grinste.

Da er jedoch nichts sagte, studierte sie weiter.

Ihr gefiel die Vase, wie sie sich eingestand und das nicht nur, um damit ordentlich Geld zu scheffeln. Jedes Stück in ihrem Laden besaß einen eigenen Charakter und sie hatte das Gefühl, dass dieses Stück einen ausgeprägten besaß. Mit einer langen Vorgeschichte.

„Sie ist aus dem Mittelalter“, begann nun Charlie, auch wenn Julia nicht aufblickte oder die Hand inne halten ließ, die anscheinend alles entdecken wollte.

„Pures Messing.“ Minimal bewegte er sie auf und ab, um zu demonstrieren, dass sie recht schwer war. „Meine Großmutter sagte, sie habe sie auf dem Dachboden gefunden. Auf dem Sockel sind Initialen eingraviert, die ihres Wissens nach Winifried Margold heißen sollen. Eine Edeldame aus der alten Zeit.“ Seine Stimme hatte einen geheimnisvollen Ton angenommen, was Julia einen Schauer über den Rücken jagen ließ. „Du meinst, diese Vase gehört eigentlich in ein Museum, als in einen Antiquitätenladen?“ Sie lächelte leicht, doch die Unglaubwürdigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben.

„Meine Großmutter sagte, ich solle sie dir geben, als ich ihr von deinem Laden erzählte.“ Er zuckte kurz die Achseln. „Und das tue ich auch, was du damit machst, ist deine Sache. Es gibt sicherlich eine Menge Leute, die sie gerne kaufen würden.“

Schmunzelnd nahm sie ihm die Vase ab und sie musste feststellen, dass sie wirklich ziemlich schwer war. Für einen Moment zogen sich Fragen durch ihren Kopf; wo sie sie hinstellen könnte, um sie gut zur Schau zu stellen, wie hoch sie den Preis setzen sollte und ob sie nicht ein paar Leute einladen sollte, die sich besonders für derartige Dinge interessierten, doch sie entschied sich für nichts dieser Möglichkeiten. „Ich hab eine bessere Idee“, grinste sie und stellte die Vase auf ihren Tresen. „Ich behalte sie und denke immer wieder darüber nach, was für einen wundervollen Freund ich habe, dessen Großmutter eine sagenhafte Frau ist.“ Charlie grinste süffisant und streckte die Hände in die Hosentaschen. „Zu viel der Ehre. Komm, lass uns was essen gehen.“ Sie fasste nach seiner Hand und gingen nach nebenan, wo sie sich eine kleine Küche eingerichtet hatte; die Vase dabei gebieterisch über das Inventar des Ladens schauend, das insgesamt eine geringere, emotionale Bindung hatte, als der mittelalterliche Blickfang.

Stirnband - aufheben - Morgen - dunkelbraun

☆¤*★*¤☆Nummer 3☆¤*★*¤☆
 


 

Ein eisiger Windzug streifte ihre Wange, die als fast einziger Teil ihres Körpers nicht mit Stoff bedeckt und somit der Witterung schutzlos ausgeliefert war.

Sarah fror entsetzlich, was man einerseits an den klappenden Zähnen und andererseits an der blau gefrorenen Nase erkennen konnte, die sie in regelmäßigen Abständen dazu verleitete, zu schniefen und sich selbst zu bemitleiden.

Wer lief auch bei diesem Wetter durch die Straßen, wo es schon lange dunkel war? Noch dazu bei fast arktischen Temperaturen mit Schneefall, sodass man kaum mehr die Hand vor Augen sehen konnte?

Die zitternde junge Frau besänftigte sich mit dem Gedanken, an ihrem Ziel eine heiße Schokolade vorzufinden, vielleicht ein prasselndes Feuer im Kamin und dann aller größter Wahrscheinlichkeit nach einen Mann, der sie wärmte und dafür sorgte, dass auch ihr kleiner Zeh schlussendlich Hitze ausstrahlte.

Ein Lächeln schlich sich auf die gefrorenen Züge der Brünette, obgleich sogar diese Bewegung der Gesichtsmuskeln dazu führte, dass sie fröstelte. Die Hände vergrub sie tiefer in den Taschen ihres Wintermantels, der bis zu ihren Knien reichte, doch vor der Kälte schützte er irgendwie nicht. Wo sie schon mal dabei war, einen gemütlichen, vor allen warmen Abend zu verbringen, könnte sie auch noch ein Bad nehmen, wenn sie schon mal die Gelegenheit hatte … Und Joey könnte direkt mit.

Dieses Mal unterdrückte sie sich das Lächeln, denn die nächste Gänsehaut bahnte sich bereits an und zog sich von den Zehen bis hin zu ihren Nackenhaaren, die unter ihrem Schal eigentlich bestens geschützt sein sollten.

Sarah seufzte schwer und sah sich kurz um – soweit das ihre Sicht zuließ, die dank Schnee und Kälte alles andere als sauber war.

Kaum ein Mensch war auf den Straßen und auch die Geräusche von sich bewegenden Autos erschütterte nur manchmal das Schneetreiben um sie herum.

Natürlich, wer außer sie würde jetzt auch hier draußen sein?

Eine Frage, die sie sich zum wiederholten Mal stellte und eine Antwort hatte sie bisher auch noch nicht gefunden.

Einen Moment blieb sie einfach auf dem Gehweg stehen, direkt unter einer beleuchteten Laterne, die die Schneeflocken fröhlich anstrahlte und ihr das Gefühl gaben, in einem Traum zu sein.

Sie war abhängig geworden, ging es ihr durch den Kopf, als sie an das Telefonat dachte, welches sie vor knapp einer halben Stunde erhalten hatte.

Darum ging es um den Wunsch von Joey, den Abend doch bei ihm zu verbringen, mit allem drum und dran. Das hieße ein Abendessen zu zweit, romantische Musik, die aus dem CD-Spieler dudelte, während draußen der Schnee rieselte. Ein Feuerchen, das das Wohnzimmer in warme Farben tauchte und dafür sorgte, die Kälte von draußen zu vergessen, doch das alles hätte sie auch zu Hause bekommen. Mit Ausnahme der Tatsache, dass sie da alleine gewesen wäre.

Träge wandte sie den Blick von den Schneeflocken im Licht ab und setzte ihren Weg fort.

Sie hätte zu Hause bleiben können, dort wäre sie wenigstens nicht halb am erfrieren oder gar bis auf die Knochen nass gewesen. Sie hätte ein Weinglas des Chadonneys in der Hand gehalten, den ihr eine Arbeitskollegin neulich zum Geburtstag geschenkt hatte. Eine flauschige Decke auf ihren Beinen, dessen Füße in dicken Wollsocken steckten. Ein alter schwarz-weiß Film im Fernsehen, den sie schon in und auswendig kannte.

Aber sie hatte sich dazu entschlossen, ihre kalten Füße in die noch kälteren Schuhe zu stecken, den Wein im Keller zu lassen und mit Sack und Pack, was sie als ihre Handtasche bezeichnete, loszustiefeln und sich dafür zu verfluchen, kein Auto zu besitzen.

Bei der Vorstellung einer mosernden Frau auf dem Weg zu einem Männerbesuch musste sie lachen. Wahrscheinlich war sie wirklich Wärmebedürftig.

Und vor allem Schmusebedürftig! Es kam ihr so vor, als hätte sie Joey schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen. Dabei war es nur eine Woche gewesen, aber wahrscheinlich war das der Punkt, weshalb sie jetzt hier durch den Schnee lief. Morgen würde sie sich dafür verfluchen, wenn ihr ihre Glieder zeigten, was sie ihren angetan hatte, doch jetzt zählte ein anderer Gedanke. Joey.
 

Der Wind wurde beißender, sodass Sarah bereits nach weiteren Minuten das Gefühl hatte, ihr Gesicht würde gleich von ihr abfallen und im Schnee landen, der unter ihren Füßen ein bedächtiges Knartschgeräusch von sich gab. Zum Glück war sie gleich da, ein Grund mehr, ihren Schritt zu beschleunigen und innerlich halbwegs aufzuatmen.

Sie sah schon das Haus, das sie zu gut kannte und als sie den Blick hob, erkannte sie, dass im Wohnzimmer helles Licht brannte. Ihre Haut würde es diesem warmherzigen Menschen da oben danken, sich dem heißen Schein des Feuers entgegenzustellen und mindestens eine halbe Stunde davor stehen zu bleiben, um wieder aufzutauen.

Mit zitternden Fingern streifte sie einen ihrer Handschuhe von der kalten Hand ab und suchte damit den Wohnungsschlüssel.

Den hatte sie schon ewig, aber bisher hatte sie es immer unterlassen, sich damit eigenständigen Zutritt zur Wohnung zu verschaffen. Sie hatte zwar keine Angst davor, aber durch zu viele Liebesfilme hatte sie es sich angewöhnt, darauf zu warten, dass ihr mit einer überschwänglichen Geste die Tür geöffnet, sie mit lodernder Leidenschaft im Blick ihres Schatzes in die Wohnung gezerrt und dort zeitgleich mit allen Künsten der Verführung vernascht werden würde. Wenn sie es sich recht überlegte, war dies noch nie passiert, aber man durfte schließlich träumen.

Dieses Mal war das etwas anderes, denn ehe ihr Freund die Tür geöffnet hatte, um sie vielleicht stürmisch zu begrüßen, wäre sie bereits erfroren, sodass sie nicht lange zögerte und die Tür aufschloss.

Es roch nach Vanille und Zimt, als sie die kalte Nase in die Höhe reckte und genießerisch aufseufzte. Die Tür fiel leise zurück ins Schloss.

Sie ließ den Blick kurz schweifen und die Ohren gespitzt, in der Annahme verweilend, dass ihre Ankunft in ein paar Sekunden registriert wurde, doch auch nach weiteren verstrichenen 10 Sekunden geschah nichts.

Leicht verdutzt trat sie weiter in den Flur. Sie hörte das Feuer prasseln und in der Küche schien auch etwas vorzugehen. Was genau es war, kam ihr nicht in den Sinn und da sie erstmal wissen wollte, wo ihr Freund war, ging sie Richtung Wohnzimmer weiter.

Eine einzelne Rose lag auf dem Tisch, der bereits mit Gläsern und einer Weinflasche gedeckt war. Ein Weihnachtsstern in kräftig roter Farbe hob sich von der beigen Tischdecke ab, die bereits festlich nach Weihnachten aussah. Schweigend und zutiefst berührt ging sie auf leisen Sohlen zum Tisch voran. Hätte sie noch ihre Sinne beisammen gehabt, wäre ihr einfallen, an der Tür ihre Schuhe auszuziehen, die hässliche Wasserflecken auf dem Teppich hinterließen.

Doch Sarah hatte im Augenblick nur Augen für die Rose, die sie vorsichtig aufhob, als wäre sie aus Glas und gar zerbrechlich. Sie lächelte, während sich ihre Wangen dank der Wärme noch mehr röteten und sie auftauen ließ.

„Sarah, du bist schon da?“ Erschrocken zuckte die Angesprochene zusammen und fuhr in einer Geste schierer Überraschung herum, starrte geradezu in das fragende Gesicht Joeys, der mit Schürze und Kochlöffel bewaffnet in der Tür stand und sie ansah.

Ihr Herz klopfte noch wie wild, doch als sie sich beruhigt hatte, grinste sie. „Ja, dein Schlüssel … die Kälte.“ Gestikulierend deutete sie zuerst auf ihre Tasche und dann auf das Fenster, durch welches man den Schnee sehen konnte.

Joey schmunzelte aufrichtig und trat ein paar Schritte auf sie zu. „Schade, dabei dachte ich, dich an der Tür überraschen zu können.“ Er seufzte bestürzt und zog sie dann in eine Umarmung, in der er ihr einen stürmischen, aber warmen Kuss auf die Lippen presste.

Die Wärme durchflutete sie wie eine Sintflut in Florida und schon, als er sich wieder von ihr löste, war die Kälte wie weggeblasen.

Sarah grinste schelmisch und entledigte sich dann ihrer nassen Jacke, sowie ihrer Schuhe und des Schals, was sie alles direkt in der Hand behielt. „Dann überrasch mich, ich bring das solange zum Trocknen nach nebenan.“ Mit diesen Worten ließ sie ihn wieder allein.
 

Ihre dunkelbraunen Augen ruhten geweitet in den stahlblauen Augen ihres Gegenübers, als er grinsend eine Art Stirnband hoch hob und ihr zeigte.

Sie war keine 5 Minuten weg gewesen, doch er sah aus, als habe er die Zeit bestens genutzt. Die Schürze war passé, er hatte keinen Kochlöffel mehr in der Hand und sein Hemd war sauber zugeknöpft, was ihrem Outfit einen leicht deplatzierten Touch verlieh. Hätte sie gewusst, dass er sich für den Abend so herausputzen würde, hätte sie ein schönes Kleid angezogen und wäre mit dem Taxi gekommen, aber darum ging es gerade sowieso nicht.

Immer noch fragend betrachtete sie den Gegenstand, der ihr bekannt vorkam, aber nicht ins Bild passte. „Was hast du vor?“, witzelte sie in einer Tonlage, die ihre Unsicherheit unterdrücken sollte, doch als Joey zu ihr kam, schluckte sie unmerklich. Mit zusammengefalteten Fingern ließ sie sich das Band um die Augen wickeln, dabei erschaudernd, als sie seinen Atem am Ohr spürte, der ihr ein paar Worte zumurmelte. „Wirst du gleich sehen.“

Schweigend folgte sie ihm zur Couch, doch anstatt sich auf dieser wieder zu finden, spürte sie einen warmen Leib unter sich, ein sicheres Zeichen, dass sie auf seinem Schoß saß. Nicht, dass das sonderlich seltsam war, aber das alles verwirrte sie ein wenig.

Er nahm ihre Hand und drückte sie leicht, wobei im nächsten Augenblick ein Glas in diese gedrückt wurde, das sie nicht wagte, zu bewegen. Wahrscheinlich würden ihre Hände zittern und sie würde den Teppich und sich selbst mit Wein nur so begießen.

„Joey, das ist nicht lustig“, raunte sie leise und bemerkte dann ein Paar Lippen auf den Ihren. Sie lächelte leicht, doch bringen tat es ihr nichts.

„Es gibt da ein paar Dinge, die ich loswerden möchte“, fing er nun an und unweigerlich musste sie schlucken. Ihr Herz klopfte schneller und das Glas in ihrer Hand schien fast einen Abgang zu machen. Sie trank einen Schluck, um sich zu beruhigen. „Dann fang an“, schmunzelte sie und wieder wurde ihre Hand genommen.

Dieses Mal jedoch nicht, um ein Glas hineinzudrücken, im nächsten Moment bemerkte sie etwas Rundes auf einem ihrer Finger. Unter dem Stirnband weiteten sich ihre Augen und ohne auf eine Erlaubnis zu fragen, riss sie sich dieses vom Kopf, den Blick dabei auf ihre Hand legend. „Joey, das…“ Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, als ihr der Ring mit dem feinen Diamanten in der Fassung mehr ins Auge fiel.

„Ich brauche dich, Sarah und ich möchte dich heiraten.“ Sie lächelte, aufrichtig und voller Leidenschaft und noch während sie das Glas auf den Tisch stellte, presste sie heiß ihre Lippen auf seine. „Wärmer könntest du mir den Abend nicht machen“, grinste sie und legte sich dann auf den Rücken, ihn dabei mitziehend und den Kuss dabei intensivierend.

Die Kälte war verschwunden und draußen rieselte der Schnee.

Buchrücken - chaotisch - Ausfall - rühren

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Wie immer herrschte totales Chaos in der Bank, die an diesem späten Samstagvormittag gerade auf den Ladenschluss aufbaute und die einzelnen Angestellten schon untereinander über die Pläne für das restliche Wochenende tratschten.

Ein Besuch am See, ein Kinobesuch mit der Freundin, ein Abendessen für die Frau, die in den nächsten Stunden einen Ring am Finger haben würde, der nach einem Heiratsantrag angesteckt werden würde …

Melanie war taub für diese Gespräche, denn wie immer, wenn sie hinter der Theke stand und die Kunden bediente, die Geld einzahlen oder abholen wollten, die Papierkram zu unterschreiben hatten, sich ein Konto einrichten wollten oder die lediglich eine Auskunft nach einem Mitarbeiter benötigten, hatte ihr Gesichtsausdruck eine strenge Disziplin, die in einer freundlichen, hellen Stimme endete.

Sie liebte ihren „doch so langweiligen“ Job viel zu sehr, als sich von der Feierabendstimmung mitreißen zu lassen und meistens war sie damit besser bedient, als stundenlang auf die Uhr zu starren, in der Hoffnung, der Zeiger bewege sich auch nur ein bisschen schneller.

„Schönen Tag noch“, lächelte sie die rundliche Dame mit dem Filzhut vor sich an und sah ihr kurz nach, wie sie mit ihrem kleinen Hund, dessen Rasse die Bankangestellte nicht bestimmen konnte, zum Ausgang marschierte. Hatte sie also wieder jemanden glücklich gemacht.

„Mel, wie kannst du so gut drauf sein?“, raunte ihr jemand unmittelbar neben ihr ins Ohr, doch statt sich zu erschrecken, atmete die Angesprochene kurz tief durch. „Mike, im Gegensatz zu dir, bezeichne ich meine Arbeit nicht als lästig.“ Entspannt wandte sie den Blick zu ihm, wo sie auf seinem Gesicht ein deutlich schelmisches Grinsen erkennen konnte. Das passte zu ihm und immer, wenn sie in seine hellblauen, strahlenden Augen sah, die so viel Abenteuer ausstrahlten wie es in der Filiale alle Jubeljahre passierte, fragte sie sich, was er in einer Bank machte. Er sah viel mehr nach einem Extremsportler in Shorts, als nach einem Angestellten in Anzug und Krawatte aus. Die Muskeln für einen Bergsteiger oder Bodybuilder hatte er, das sah man sogar durch den dunkelblauen Zweiteiler, der ihm wie auf den Leib geschneidert worden schien.

Anstatt auf ihre leicht trotzige Aussage zu antworten, sah er wie viele Leute hier auf die Uhr. „Freust du dich nicht auf einen freien Tag? Komm, du kannst mir nicht erzählen, dass du alles für deine Arbeit machen würdest.“ Das Lachen stand ihm ins Gesicht geschrieben, doch zu seinem Glück brachte er das nicht über die Lippen. „Und wenn ich dir sage, dass ich jeden Montagmorgen extra eine Stunde früher aufstehe, um mitzuerleben, wie Herr Meyer die Tür aufschließt?“ Ihr Tonfall blieb ernst und für einen Moment stutzte Mike. Das war nicht ihr Ernst!

„Genau … Und der Kaiser von China ist dein Großvater.“ „Soll ich ihn dir mal vorstellen?“

Nun brach er doch in Lachen aus, obgleich ihn augenblicklich nicht nur Kunden anstarrten, sondern auch höchst ungehaltene Kollegen, die alles zu vermeiden schienen, was bereits mit Spaß und Erholung zu tun hatte.

Melanie seufzte und drehte sich zu ihrem nächsten Kunden um, der bereits vor ihr stand. Mike beachtete sie dabei nicht weiter, sie wusste, dass er in spätestens fünf Minuten den Witz bei der Sache verlieren und wieder an die Arbeit gehen würde. Sollte nicht vorher jemand zu ihm kommen, um sich Geld auszahlen zu lassen.

Ihr übliches Lächeln legte sich auf ihre Züge, während sie die Hände locker auf den Tresen vor sich legte. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
 

Zu spät bemerkte sie den unruhigen Blick des Mannes vor ihr, der leicht verstört von einem Menschen zum anderen huschte. Bei Mike blieb er etwas länger hängen, doch auch die anderen Leute um ihn herum blieben in seinen Augenwinkeln. Was musste auch genau jetzt so ein Aufruhr verursacht werden, wo er doch sowieso unter Druck stand!?

Eine Hand schob sich in seine Jackentasche.

Das war absurd, schoss es ihm durch den Kopf, doch er hatte einen klaren Auftrag und damit musste er sich jetzt beschäftigen, auch wenn die Bank voll mit Menschen war, kleinen Kindern, die ihre Eltern begleiteten …

„Keine Bewegung!“, donnerte er und zog sekundenschnell eine Pistole aus der Tasche, die er in die Höhe streckte und somit die Aufmerksamkeit der ganzen Filiale auf sich zog.

Seine chaotisch abstehenden Haare verdeckten einen Teil seines Gesichtes und der Schal, der keineswegs zur Jahreszeit passte, bedeckte seinen Mund und seine Nase. Es war alles genau geplant und durchorganisiert …
 

Melanie erschrak heftig und für einen Moment konnte sie keinen Muskel mehr rühren. Hingegen ihrer Hände, die sich leicht in die Tischplatte krallten und versuchten, nicht zu zittern. Das war ja wunderbar gelaufen, die Bank wurde am helligten Tag von einem Wahnsinnigen überfallen, der sich auch noch ihren Schalter ausgesucht hatte!

Verkrampft rang sie um Beherrschung, doch selbst die half ihr im Moment wenig. Neben sich bemerkte sie Mike, der schon vor Sekunden verstummt war und nun wohl mit einem entsetzten Gesicht auf den Mann mit der Pistole sah. Kinder schrieen und Melanie hoffte, dass ihnen nichts passierte, während der Lauf der Waffe nun auf sie gerichtet wurde.

Sie schluckte leicht und konnte sich den feinen Schweißfilm auf der Stirn nicht verhindern.

„Eine Tasche und das Bargeld, und zwar schnell!“ Der Mann vor ihr zuckte leicht mit der Hand, um mit der Pistole auf den Tresen zu deuten. Die junge Frau vor ihm reagierte jedoch nicht.

„Wird’s bald, ich hab nicht ewig Zeit!“ Wirklich schielte er sofort zur nächst besten Uhr, die an der Wand ihm gegenüber hing und ihm sagte, in 10 Minuten draußen sein zu müssen, um von seinem Kollegen abgeholt zu werden. Diese Schnepfe sollte sich also beeilen, wenn ihr ihr Leben lieb war.

„Mel …“, hörte sie ihren Namen, doch ihr Blick ruhte noch immer auf dem Bewaffneten, ehe sie sich langsam in Bewegung setzte. Sie musste ruhig bleiben, das wusste sie, sonst wäre alles verloren. Und lieber gab sie das Geld weg, als dafür zu sorgen, dass die Menschen hier in der Filiale Schaden nahmen.

Da sie keine Tasche hatte, nahm sie eine Aktentasche, die unter dem Tresen stand und öffnete sie. Ein paar Papiere lagen darin, die sie mit einem kurzen Griff herausnahm und neben sich legte. Unauffällig drückte sie einen Knopf …
 

Die Luft hing dick im verschlossenen Raum und nur ab und zu konnte man ein Atmen hören, was symbolisierte, wie gespannt die Nerven eines Jeden waren. Mel ging es nicht anders und auch wenn sie sich bemühte, einen klaren Kopf zu behalten, weigerte sich ihr Verstand, die Pistole vor ihrem Kopf einfach so hinzunehmen. Schnell hatte sie alles Bargeld, was sie finden konnte, zusammengepackt, doch ehe sie das letzte Bündel hineintat, blickte sie noch einmal auf. Die Uhr schlug 12 …

In einer viel zu gelassenen Geste strich sie sich die Schulterlangen, roten Haare aus der Stirn. „Wollen Sie sonst noch etwas?“, lächelte sie routiniert, sodass der Mann leicht ins Stolpern geriet. Der Griff der Pistole hatte sich kurz gelockert, das sah sie, doch genauso schnell war die Kraft dahinter wieder hergestellt. „Jetzt beeil dich, verdammt!“, knurrte er und blickte noch einmal hektisch zur Uhr.

Ein Ohrenbetäubendes Geräusch durchdrang die angespannte Stille und dieses Mal ertönten Schreie, die nichts mit der Waffe zu tun hatten. Eine ganze Welle an Beamten stürmte den Laden und schneller, als dass der Mann hätte schauen können, war er umzingelt.

Mit zittrigen Fingern trat Melanie zurück und ließ sich schweigend von Mike umarmen, den Blick dabei nicht vom Geschehen nehmend.

„Sie sind umzingelt, lassen Sie die Waffe fallen!“, polterte jemand, der Melanie am nächsten stand. Doch kein Muskel bewegte sich. Sekunden verstrichen und er rührte sich nicht.

Dennoch stand ihm der kalte Schweiß auf der Stirn und seine Augen huschten durch den Raum. Er musste hier raus kommen! Das Geld war egal, sollte sein Boss das doch alleine machen! „Na gut“, räumte er ein und ließ seine Waffe sinken, schon ein Zeichen für die Polizisten, eine Auseinandersetzung zu umgehen.

Der Räuber machte einen Ausfallschritt und hob so schnell die Waffe, dass für einen Moment alle den Atem anhielten. Den Lauf seiner Waffe teuflisch auf Melanie gerichtet, die bereits den Mund geöffnet hatte.

„Nein!“

Ein Schuss ertönte und ein Körper ging ächzend zu Boden. Ein weiterer folgte mit etwas mehr Protest, als die Beamten dem Verbrecher die Pistole aus der Hand geschleudert hatten und derselbige nun mit hinterm Rücken verschränkten Armen niedergestreckt wurde. Er trat um sich und versuchte, sich aus dem Griff zu wehren, doch man merkte deutlich, dass die Wut der Polizisten entfacht war.
 

„Mike …“ Schwächlich brachte sie seinen Namen zustande, während sie sich über ihn beugte und ihn ansah. Eine hässliche Wunde klaffte ihm am Arm aus dem Jackett, welches sich schnell rot färbte. „Keine Sorge.“ Kurz keuchte er auf, aber genauso schnell saß er wieder aufrecht. „Nur ein kleiner Kratzer.“

Melanie bedachte ihn mit einem forschen Blick, wobei ihre Ohren noch klingelten. Es wurde leiser, als der Mann samt Waffe aus der Bank geschoben wurde.

„Wieso hast du das gemacht?“, fragte sie kleinlaut nach und nichts war mehr von ihrer eben noch souverän bewahrten Haltung zu erkennen, die sie davor abgehalten hatte, in Tränen auszubrechen und um ihr Leben zu betteln. „Was wohl, Dummerchen, ich wollte dir helfen. Außerdem war das eben echt cool.“ Er grinste, als hätte er gerade beim Sport einen Pokal für besondere Leistungen erhalten. Melanie schmunzelte unweigerlich und tätschelte ihm das Haar. „Ich wusste immer, du gehörst hier nicht her.“

Ehe er antworten konnte, trat ein Beamter auf sie zu und kniete sich zu den beiden hinunter. „Kannten Sie den Mann?“, fragte er an die junge Frau gerichtet, die verneinend den Kopf schüttelte. „Ich hab’ nicht mal sein ganzes Gesicht gesehen.“ „Nun“, er räusperte sich kurz. „Wie es aussah, war er ein ehemaliger Angestellter von Ihnen. Haben Sie vor kurzen jemanden gefeuert?“ Mel machte große Augen, dachte jedoch angestrengt nach. „Ich bin damit nicht vertraut … Kann gut sein.“ Ihre Schwäche, die sie eben Mike gegenüber gezeigt hatte, war wie weggeblasen. „Ich werde Sie benachrichtigen, wenn wir etwas wissen. Und Sie bringen wir jetzt erstmal ins Krankenhaus.“ Mike nickte und erhob sich mit Mels Hilfe umständlich vom Boden.
 

„Hier, ich hab deine Klamotten.“

Mel trat umsichtig ins Behandlungszimmer und legte die kleine Tasche auf die Liege neben Mike. „Danke. Beim Anziehen musst du mir aber helfen, ich krieg den Arm nicht bewegt.“ Wieder grinste er und für einen Moment zitterte ihre Unterlippe. „Ich hatte wirklich Angst, dass dir mehr passiert als die Schramme am Arm …“, murmelte sie und setzte sich neben ihn, schmiegte sich in einem aufkommenden Gefühl von einer sanften Berührung zum Trost an ihn. Ein Arm schloss sich um ihre Schulter, an der sie an ihn gezogen wurde. „Der Arzt meinte, meine Muskeln seien fest genug gewesen, um einer solchen Verletzung entgegenzukommen.“ Die Worte brachten sie auf das, was sie noch für ihn dabei hatte. Nun war sie es, die grinste.

„Warte mal“, bat sie und drückte sich von ihm ab. Sie langte über ihn zu seiner Tasche, die sie an sich zog und öffnete. Sie holte ein kleines Buch heraus davor, das sie ihm wortlos in die Hand drückte. „Was ist das?“, fragte er nach und strich erst einmal über den Buchrücken, auf dem der Titel „Wie werde ich Bodyguard“ stand. Amüsiert lachte er kurz auf und sah Mel wieder an. „Und was soll das werden?“ „Na ja, du siehst eben aus wie jemand, der Action braucht und so was wäre doch viel besser als ein langweiliger Bankangestellter zu sein.“ Sie schmunzelte und schloss seine Tasche. „Um jemand anderen als dich beschützen zu können? Niemals.“ Er legte das Buch zur Seite und schloss sie wieder in seine Arme. „Lust auf Wochenende?“ „Liebend gern.“

verschwinden - Baumstumpf - Schwert - riesig

☆¤*★*¤☆Nummer 5☆¤*★*¤☆
 


 

Lautes Stimmengewirr hüllte ihn ein, während er in einer dunklen Ecke an der Bar saß und sein Bier trank. Es war schon das gefühlte fünfte und doch war Leos Verstand so klar wie noch nie.

Immer wieder hob er das Glas an seine Lippen, schmeckte den Geschmack des Hopfens und spülte schließlich alles ohne Zögern seine Kehle hinunter. Was hatte das eigentlich alles für einen Sinn, was er hier tat? Er saß nun schon den siebten Tag in dieser Bar und trank Tag für Tag das Gleiche. Die Leute beachteten ihn nicht und die Kellnerinnen warfen ihm einen mitleidvollen Blick zu, wenn sie ihn erkannten.

Seine Haare standen wild von seinem Kopf ab, einzelne Strähnen färbten sich bereits grau und im Allgemein hätte er sicherlich mal wieder eine Dusche benötigt. Wahrscheinlich dachten die Leute, er wäre ein Penner, jemand, der sein Leben auf der Straße fristete und von seinem mühsam zusammengebettelten Geld in die nächst beste Spelunke huschte, um seinen Verstand mit Alkohol zu vernebeln, um die Qualen, die Ängste und die Zukunft zu verringern oder gar zu vergessen.

Nur er wusste, dass dem nicht so war und seufzend stellte er schließlich das leere Glas ab.

Sieben Tage war es nun her, dass sie verschwunden war. Sie zusammen mit seinen beiden Söhnen, die er täglich mehr vermisste. Nur einen Zettel hatte er vorgefunden, auf dem so kurz wie möglich erklärt war, dass sie gegangen war. Warum? Das wusste er nicht und irgendwann hatte er damit aufgehört, sich diese Frage zu stellen.

Wahrscheinlich hat es alles einen Grund, dachte er und bestellte sich mit einem gehobenen Finger das nächste Bier.

Sein geordnetes Leben war in sich zusammengefallen, wie ein Kartenhaus. Er trank mehr, als dass er sich um seine Arbeit bemühte und erst gestern hatte ihm sein Chef vorgehalten, sich mehr anzustrengen. Sonst wäre er seinen Job los, hatte er nüchtern hinzugefügt und den verzweifelten Mann somit aus seinem Büro komplimentiert. Hinter die Fassade schien er nicht blicken zu können und wahrscheinlich war es wirklich besser, wenn er anderen die Chance gab, sich in seinem Beruf zu behaupten, wenn er momentan anderes im Kopf hatte als die Arbeit.

Wenn er darüber nachdachte, sinnierte er, während der nächste Schluck seine Speiseröhre hinunterrutschte, hatte seine Frau wohl auch Recht gehabt.

Leo war selten zu Hause, kein Wunder also, dass seine Familie die Nase voll hatte. Nicht mal eine Adresse hatte sie hinterlassen, wo sie hingehen würde und die Telefonnummern, die er wählte, um sie zu erreichen, waren entweder besetzt oder ganz gesperrt.
 

„Hey, du bist ja schon wieder hier!“

Eine Frauenstimme ließ ihn zusammenzucken, denn anders als normalerweise, war diese nicht weit entfernt und wohl an jemanden gerichtet, der weiter von ihm entfernt war. Leo wandte den Blick zur Seite und erkannte das besorgt aussehende Gesicht von Marcy.

Ihre beste Freundin …

„Warum auch nicht?“, röhrte der hoch gewachsene Mann und trank noch einen Schluck, doch anders als erwartet, setzte sich die Blonde neben ihn auf den Barhocker und beäugte ihn kritisch. Er konnte sehen, wie sie ihn musterte, und beinahe hätte er ihre Gedanken erraten können, doch sein Mund blieb am Glas haften, während er die Hälfte seines Bieres hinunterschüttete. „Du siehst schlecht aus“, murmelte sie nun leise und nahm ihm das Bier aus der Hand, welches sie soweit von ihm weg schob, dass er sich dafür hätte strecken müssen. „Danke“, erwiderte er monoton und ließ den Blick für den Bruchteil einer Sekunde auf das Glas fallen, das für ihn gerade so unerreichbar erschien wie der Mond. Wahrscheinlich hatte er schon wieder zu viel des Guten getrunken, seine Sicht schien sich schon fast zu verabschieden.

Er konzentrierte sich demnach auf seine Nebenfrau und trotz erhöhtem Alkoholspiegel nahm er ihre Silhouette mehr als deutlich wahr. Ihr Parfüm stieg ihm in die Nase und vermischte sich nachträglich mit dem Gestank von Bier und Rauch. Ein leichtes Übelgefühl beschlich ihn, sodass er kurz durchatmete.

„Du solltest dir das nicht zu Herzen nehmen, Leo. Hat sie sich schon gemeldet?“ Der Angesprochene schüttelte leicht den Kopf, jedoch auch nur so viel, wie es nicht dazu ausartete, sich anschließend übergeben zu müssen.

Marcy seufzte und erhob sich. „Lass uns spazieren gehen.“ Mit diesen Worten legte sie ein paar Scheine auf die Theke und zerrte den Mann von seinem Barhocker.
 

Sie war der Meinung, frische Luft würde ihm gut tun und dafür sorgen, dass er einen freien Kopf bekam. Und den brauchte er zurzeit mehr denn je.

Die Luft war frisch und beißend, wohl der Vorbote eines kalten Herbstes, wenn man bedachte, dass bereits jetzt sämtliche Blätter auf dem Boden lagen und die Bäume schutzlos der Witterung ausgeliefert waren.

Marcy fröstelte leicht und richtete den Kragen ihrer Jacke etwas mehr, um den kalten Wind nicht direkt in den Nacken zu bekommen. Wenn man davon absah, dass sie mit einem depressiven Halbalkoholiker unterwegs war, hätte sie jetzt über die eintretende Nacht geschwärmt, wie sie es immer tat, um die Stimmung zu heben.

Doch dieses Mal blieb sie ruhig und wartete, dass Leo anfing, zu erzählen oder sonst etwas tat.

Mareike hatte sie vor 2 Tagen darum gebeten, ein wenig auf ihn zu achten und auch, wenn sie nicht wieder zu ihm zurückkommen wollte, lag es ihr am Herzen, dass er sich nicht vergaß. Und das würde passieren, dachte Marcy, wenn er so weiter machte.

Sie schlenderten durch den Park, in dem die Straßenlaternen die Wege hell beleuchteten, doch Leo zog es förmlich über den feuchten Rasen und die Unebenheit des Bodens. Vielleicht, um zu verdecken, wie schwer es ihm wirklich fiel, gerade zu laufen.

Er hatte sich oft vorgestellt, wie es wäre, mal verlassen zu werden.

Und wahrlich, es war nichts, das er freiwillig wiederholen würde. Doch es war so gekommen und für den Moment war er Marcy mehr als dankbar, dass sie bei ihm war. Obwohl sie ihn an seine Frau erinnerte, die ihre Kinder jetzt alleine ins Bett bringen musste.

Er seufzte und ließ sich schließlich auf einer Bank fallen, die die Form eines Baumstumpfs hatte. Eine dämliche Idee der Stadt. Und unpraktisch für mehr als zwei Personen.

„Ich kann’s immer noch nicht glauben, Marce.“ Er lächelte traurig und fuhr sich durch die leicht fettigen Haare, doch die Blonde legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Ich weiß, Leo, aber du musst drüber wegkommen. Das hört sich jetzt so einfach an, ich weiß, wie du dich fühlst.“ Ja, auch sie war mal verlassen worden, doch waren da keine Kinder mit im Spiel gewesen. „Und was bringt mir das? Sie war mein Leben!“

Die Wut und Verzweiflung in seiner Stimme berührte sie, doch war ihr auch bewusst, dass sich das im Laufe der Zeit legen würde. Er musste nur damit umgehen können. „Mareike hat getan, was sie für richtig gehalten hat. Sie war unglücklich, weil du so oft nur deine Arbeit im Kopf hattest. Sie war immer der Meinung, dieses riesige Imperium hätte auch ohne deine täglichen Korrespondenzen seinen Gewinn gemacht.“

„Ich werde gefeuert … Mein Boss meint, ich strenge mich nicht mehr genug an.“

Marcy schwieg und nahm dann einfach seine Hand in ihre, um sie fest zu drücken. „Du schaffst das … Du warst immer ein zweischneidiges Schwert, das sich weder von Partnern, noch Kollegen oder anderen Leuten hat unterkriegen lassen. Hier ist es genau dasselbe.“

Leo starrte überlegend auf die verschränkten Hände auf Marcys Oberschenkeln. Irgendwie hatte sie Recht, ging es ihm durch den Kopf, aber es war schwer, das auch so zu akzeptieren, wenn er gerade alles verloren hatte, für das es sich zu leben gelohnt hätte. Aber es stimmte, er war niemand, der sich unterkriegen ließ. Von niemanden und wenn seine Frau meinte, es wäre so das Beste, würde er das respektieren – nachdem er sich zumindest ein Besuchsrecht bei seinen Kindern gesichert hätte.

„Ja“, sagte er schließlich und grinste sogar. „Komisch, aus deinem Mund hört sich das sogar glaubwürdig an.“ Es schien, als wäre nicht nur sein Alkoholpegel in Sekundenbruchteilen verschwunden, auch seine gute Laune war zurückgekehrt, die seine Umgebung so vermisst hatte. „Ich weiß eben, wovon ich spreche“, erwiderte Marcy leichthin und drückte ihre Lippen auf die Schläfe ihres Nebenmannes. „Komm, es wird kalt.“

Wie zur Stärkung der aufkommenden Stärke, hielt sie seine Hand fest umklammert, während sie durch den Wind und die hinab fallenden Blätter durch die Nacht gingen. Vielleicht würde jetzt wieder alles gut werden …

Sonne - Schaum - Locke - grün

☆¤*★*¤☆Nummer 6☆¤*★*¤☆
 


 

Was hatte sie nur dazu verleiten lassen?

Sie saß gerade tatsächlich neben demjenigen, den sie seit Beginn der Highschool abgöttisch verehrte und bisher nie die Gelegenheit bekommen hatte, ihn näher kennenzulernen. Wie kam es also, dass sie jetzt in seinem Wagen saß, eine Sonnenbrille auf der Nase trug und noch dazu mit einer riesengroßen Strandtasche die nun im Kofferraum verweilte, durch die Gegend lief, in die sie alles geschmissen hatte, was ihr in den Sinn gekommen war, wenn sie an einen Tag am Meer dachte?

Sie konnte ihr Herz ganz deutlich schlagen spüren und das war auch schon Grund genug, sich immer wieder bewusst zu machen, wie aufgeregt sie doch war. Nach außen hin zeigte die 17-jährige keine Nervosität, doch in ihrem Inneren sah es ganz anders aus. Das war ein Date! Sogar eines, das man eigentlich erst machte, wenn man sich schon länger kannte. Dem war nur nicht so und das wussten beide.

Ihr Blick huschte unauffällig nach links, wo er lässig auf dem Fahrersitz saß, eine Hand neben sich abstützend, die andere am Steuer habend, um sie agil durch die Massen an Autos zu schieben, die ebenso den Weg ans Meer angetreten hatten. Na ja, immerhin hätte sie später am Strand wohl genug Ausweichmöglichkeiten zum Flüchten, wenn sie sich auf einmal gar nicht mehr so glücklich fühlte wie noch in der Schule, als er sie gefragt hatte.

Das war alles so romantisch gewesen, er hatte an ihrem Spint gelehnt, seine braunen Locken waren ihm dabei leicht ins fein geschnittene Gesicht gefallen und alles in allem hätte sie fast ihre Bücher verloren, die sie bis dahin auf dem Arm getragen hatte. Sie war alles andere als schüchtern, aber das hatte ihr schier den Atem beraubt, was wirklich selten vorkam und sie eigentlich auch nicht gedacht hatte, erleben zu müssen.

Nun saß sie also hier, in einem teuren Auto und die Finger vor Aufregung verkrampft.

Da half auch nicht die Musik, die aus dem Radio dudelte, um ihre Angst ein wenig zu vermindern, aber es war ein gutes Alibi, nicht mit ihm reden zu müssen. Als hätte sie auch nur ein Wort herausbekommen, wenn sie den Mund geöffnet hätte.
 

Die Landschaften zogen an ihnen vorbei und mit großem Erstaunen beäugte sie die grünen Wäldchen etwas genauer. Sie kam selten aus der Stadt heraus und dann so einen Anblick genießen zu können, war alles wert, was sie in den letzten 24 Stunden getan und gedacht und vor allen gebangt hatte. Es würde ein schöner Tag werden, das schwor sie sich innerlich und fast zeitgleich fiel alle Aufregung von ihr ab.

Ihre Finger legten sich an die Sonnenbrille, die sie ein Stück herunterzog, um ihren Nebenmann ganz offensichtlich ansehen zu können. Er sah auch einfach zu gut aus und wahrscheinlich noch besser, wenn er erstmal in Badehose vor ihr stand.

Ein Schmunzeln legte sich auf ihr Gesicht, welches sie direkt wieder mit den großen Gläsern bedeckte. „Hast du eigentlich auch was zu Essen dabei?“, erklang ihre glockenhelle Stimme, wobei sie aus den Augenwinkeln genau beobachten konnte, wie er zusammenzuckte. Amüsiert zog sie eine Augenbraue in die Höhe und kicherte leicht, als er sie ansah. Es schien, als habe er nicht damit gerechnet, noch ein Wort von ihr zu hören, aber sie sah es ihm nach. Dieser Gesichtsausdruck entschädigte wirklich alles.

„Wart’s ab“, grinste er nun von sich aus und blickte wieder auf die Straße, dem Meer immer näher kommend.
 

„Waaahnsinn!“ Unglaubwürdig stieg sie aus dem Wagen und betrachtete erst einmal die Umgebung. Sogar von hier, wo sie noch ein gutes Stückchen zu Fuß laufen mussten, konnte sie das Meer sehen und hören, wie die Wellen an den Strand gespült wurden. Die Sonne glitzerte verschwommen im Wasser, das nach einer Art Schaum aussah, wie eine übergroße Badewanne.

Die Luft roch salzig und gierig atmete sie alles ein, was sich in ihrer unmittelbaren Umgebung befand. Ja, das würde wahrlich ein schöner Tag werden!

„Wollen wir?“ Ohne, dass sie es mitbekommen hatte, war er neben sie getreten, mit ihrer Tasche auf der Schulter und seiner in der anderen Hand. Sie war wohl so in Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht mal mitbekommen hatte, wie er ausgeladen hatte. Sie lächelte leicht und nickte daraufhin. „Du weißt nicht, wie sehr ich mich freue!“, schmunzelte sie und lief in freudiger Erwartung der Sonne entgegen, auch wenn sie gern im wahrsten Sinne des Wortes die Beine in die Hand genommen und ins Wasser getürmt wäre.

Die ersten Stimmen drangen zu ihnen durch, Kinder balgten im Sand vor ihrer Nase, während sie ihren Weg fortsetzten. Ein geeigneter Ort sollte sich eigentlich schnell finden, immerhin war der Strand riesig und so viele Leute waren es nun wirklich noch nicht, dass es nichts mehr gab.

Er war es, der die Taschen abstellte und ihr somit das Signal gab, angekommen zu sein.

„Wollen wir gleich rein?“, fragte er und bekam als Antwort ein freudiges Nicken. Ohne auf ihre gute Erziehung zu achten oder darauf, vor einem eigentlich völlig fremden jungen Mann zu stehen, riss sie sich förmlich die Kleider vom Leib, unter denen sich ein gestreifter Bikini verbarg. „Wer als letztes im Wasser ist!“, rief sie grinsend aus und war auch schon auf dem Weg zum Meer, das durch die Farbenspiele auf der Wasseroberfläche nahezu dazu einlud, sich hineinzustürzen.
 

Stunden vergingen und obwohl ihre Haut schon mehr als runzelig war, tobten sie weiter. Selbst er hätte nicht gedacht, dass es so viel Spaß machen würde, denn dieser Ausflug ans Meer hatte eigentlich nur einen Zweck gehabt.

Jemanden dazu zu bringen, ein wenig eifersüchtig zu werden, denn was sie nicht wusste, war die Tatsache, dass er vor diesem Ausflug keinerlei Interesse an ihr gehabt hatte. Ob es sich mittlerweile geändert hatte, schaffte er nicht zu beantworten, aber seine gute Laune spiegelte etwas anderes wider.

Kichernd ließ sie sich nun einfach auf dem Rücken treiben, den Blick dabei auf den wolkenlosen Himmel gerichtet, dessen Farbe sie anzuziehen schien. Sie lächelte und als sie kurz die Augen schloss, seufzte sie.

„Dieser Tag …“, murmelte sie leise zu sich selbst, doch er verstand jede Silbe und auch die Tonart ließ ihn wissen, wie sie darüber dachte, ohne, dass sie weiter sprach.

Er ruderte etwas mit den Armen und ließ sich ansonsten still im Wasser dümpeln. Was sollte er auch auf ihre gemurmelten Worte sagen, wenn sie beiden doch wussten, wie die Antwort lautete.

„Weißt du …“, setzte sie noch einmal an und sah ihn an. Ihr Blick ließ ihn erschaudern, denn darin war mehr Wärme enthalten, als dass er es gebraucht hätte. Das hier war schließlich ein Spiel!

„Ich-“ Weiter kam sie leider nicht, denn sein Name, der durch das Plätschern des Wassers gerufen wurde, ließ beide aufhorchen. Er kannte diese Stimme und noch bevor er sich umwenden konnte, hatte er schon jemanden am Hals hängen.

Ihre Augen weiteten sich, die Blondine, die ihn gerade so stürmisch umarmte, war ihr vertraut und um es genauer auszudrücken, kannte sie sie aus ihrem Lateinkurs.

„Wieso fährst du ohne mich an Meer? Nur, weil ich dir gestern ’ne Szene gemacht hatte, musst du nicht so gemein zu mir sein!“ Die Blondine zog einen provisorischen Schmollmund, doch Zeit zum Bestaunen dieser gab sie ihm nicht. Im nächsten Augenblick hatte sie ihre Lippen auf die seinen gepresst und das Mädchen, das neben ihm im Wasser lag, schon weitesgehenst vergessen.

Ihr wurde schwer ums Herz, während sie diese Szene beobachtete und so langsam wusste sie, was hier gespielt wurde. Bekümmert ließ sie den Kopf hängen und atmete unmerklich durch. „Ich geh dann jetzt“, raunte sie leise und schwamm schließlich mit schnellen Armzügen davon.

„Sophia!“, rief er ihr nach, und obwohl er Anstalten machte, ihr nach zu schwimmen, ließ die Frau in seinen Armen derartige Aktionen nicht zu. „Wer war das?“, fragte sie nur nach, zuckte aber Sekunden später mit den Schultern und versiegelte seine Lippen abermals mit den Ihren. Das war aber auch ein Zufall, dass sie ihn hier gefunden hatte, denn eigentlich hatte sie sich nur einen schönen Tag mit ihrer besten Freundin machen wollen.
 

Tränen liefen ihre Wangen hinab, die sich mit dem Salzwasser um sie herum vermischten. Sie schniefte leise und schneller, als dass sie es ihren Beinen zugetraut hätte, war sie aus dem Wasser gestiegen und im Eilschritt auf dem Weg zu ihren Sachen.

Wie konnte sie so dumm sein? Sie hatte wirklich geglaubt, er habe Interesse an ihr und um ein Haar hätte sie ihm ihre Gefühle offenbart. Nein, da konnte sie eigentlich froh drüber sein, dass seine Freundin gerade im rechten Augenblick aufgetaucht war. Er hatte mit ihr gespielt und sie war zu naiv gewesen, es zu sehen.

Eine dicke Wolke schob sich vor die Sonne und verdunkelte den Strand. Vielleicht war das momentan das Beste, denn sie wollte nur noch nach Hause und sich darüber auslassen, wie traurig sie war, so verliebt gewesen zu sein.

sanft - prasseln - Rosenblatt - Kommode

☆¤*★*¤☆Nummer 7☆¤*★*¤☆
 


 

Die Hitze war nahezu unerträglich im Gewächshaus und doch raschelte hier und da etwas in einer Ecke. Wasserperlen glitzerten auf vereinzelten Blättern der Pflanzen, die in rauen Mengen in Reih und Glied nebeneinander standen und teilweise schon ihre Blüte zeigten. Sie mochten das feucht warme Klima und das war auch der Grund, warum Rosie ihr Gewächshaus liebte, das sie in ihrem Garten errichtet und gepflegt hatte. In jeder freien Minute ihres Tages zog sie hier ihre Runden, überprüfte ihre Blumen und hegte und pflegte alles, was ihr unter die Nase kam.

Da störte es sie auch nicht, das dicke Regentropfen auf das Glasdach des Häuschens prasselten, denn nebenbei ertönte leise Klassikmusik aus den zahlreichen Lautsprechern an den Wänden, die den Pflanzen zusätzlich beim Wachsen helfen sollten. Das hatte sie irgendwo einmal gelesen, dass das helfen sollte und je länger sie ihre Freizeit hier verbrachte, desto mehr glaubte sie dem auch.

Mit einem Wasserschlauch in der Hand tigerte sie umher und wischte sich des Öfteren über die schweißnasse Stirn. Eine Wasserflasche stand unweit von ihr auf einem Holztisch in der Mitte des Häuschens und doch war sie eindeutig noch zu weit weg. Sie hätte sich zwar auch mit dem Schlauch eine Abkühlung verschaffen können, aber sie wusste, dass ihre Blumen mehr davon verdient hatten als sie.

Die nächste bekam daher ihre Wasserration zuteil und zusammen mit der Melodie aus den Lautsprechern summte sie diese schweigend mit.

Rosie McMillian war eine zierliche Frau, jedoch auch schon Mitte 50 und doch noch mitten im Leben. Sie betrieb eine funktionierende Schneiderei, die sie sich mit ihrer Tochter teilte und sie war es auch, die ihr Leben ausmachte. Mit Ausnahme des Mannes, den sie schon seit 25 Jahren ihr Eigen nannte.

An den Gedanken an ihren Mann musste sie lächeln. Er würde heute von einer Geschäftsreise zurückkommen und wie jedes Mal freute sie sich wie ein kleines Kind an Weihnachten. Das Haus war einfach viel zu ruhig, wenn er weg war, denn auch ihre Tochter Marion war schon vor vielen Jahren ausgezogen, um sich eine eigene Wohnung zu nehmen und ihren Eltern nicht weiter auf der Tasche zu liegen. Genau diese Momente vermisste sie jedoch, weswegen sie sich auch ein Hobby gesucht hatte, was ihren tristen Alltag ausfüllte.

Rosies Blick huschte zu ihrer Uhr, die glitzernd an ihrem Handgelenk baumelte. Ein zweiter, weitaus verwundeter Blick folgte und ohne noch großartig nachzudenken, stellte sie das Wasser ab, ließ den Schlauch fallen und stürmte zur Tür. Henry würde in 10 Minuten nach Hause kommen und da sie keine Sekunde davon verpassen wollte, flüchtete sie jetzt durch den stärker werdenden Regen zurück zum Haus, welches sie durch die geöffnete Terrassentür betrat. Sie fluchte leise und wischte sich die nassen Haare aus der Stirn, doch schließlich beruhigte sie sich erstmal wieder.

Sie hatte noch genug Zeit, sich etwas Frischeres anzuziehen, zum Duschen war sie zu spät dran, aber Henry war der Letzte, der sich über ihr Arbeitsoutfit aufregte. Mit einem Schmunzeln auf dem Gesicht ging sie vorerst in die Küche, setzte Wasser auf und rauschte dann nach oben in die erste Etage direkt in ihr Schlafzimmer.

Die eine Seite des Bettes war unberührt, ein Glück, dass dem heute Nacht ein Ende gemacht wurde, denn trotz ihres schon hohen Alters konnte und wollte sie nicht auf die Wärme spendende Nähe verzichten, die ihr ihr Ehemann gab.

Schnell entkleidete sie sich und warf die Sachen einfach auf einen Wäscheberg an der Tür, den sie wohl noch in die Waschmaschine werfen musste. Eine einfache Stoffhose und einen warmen Pullover anziehend, eilte sie die Treppe wieder hinunter, schon auf halbem Weg zur Küche, als sie hörte, wie sich das Türschloss umdrehte und jemand einzutreten schien.

Sofort hielt sie in allen Bewegungen inne, die sie eben noch ausführen wollte und wandte sich stattdessen zur Haustür, durch die ein pitschnasser, bereits grauhaariger Mann kam, die Aktentasche dabei unter einem Arm, den Koffer in der anderen Hand. Er seufzte leise und beklagte sich leise fluchend über den Regen, als er auch schon eine weibliche Person um den Hals hängen hatte. Sie lachte leise und drückte ihm schließlich einen sanften Kuss auf den Mund.

„Henry, endlich!“, stieß sie aus und zerrte ihn am Arm weiter in den Flur, während sie die Haustür mit einem Fuß schloss.

Der Angesprochene wirkte ziemlich verdutzt, doch das Strahlen auf Rosies Gesicht brachte nun auch ihn zum Schmunzeln. „Du bist ja gar nicht im Gewächshaus“, stellte er fest, als er seine Sachen erst einmal alle abgestellt hatte und nun genügend Freiheit hatte, um seine Frau in seine Arme zu schließen. Sie grinste und schüttelte den Kopf. „Doch, bis eben, aber ich dachte, du würdest gerne jemanden zum begrüßen haben, wenn du nach Hause kommst.“

Das stimmte auch, dachte er sich, immerhin hatte er gerade einen drei Stunden Flug hinter sich, auf dem es neben schlecht schmeckenden Essen nicht mal Kaffee gab, der nicht nach billiger Tafelkreide schmeckte. Vielleicht war er von zu Hause auch viel zu verwöhnt, sodass er nichts lieber aß, als Rosies Kochkünste, mit denen sie ihm jeden Tag versüßte.

„Komm, ich hab Tee aufgesetzt“, durchbrach sie nun die kurz anhaltende Stille und führte ihren Gatten mit sich in die Küche, in der sie ihn auf den bequemen Küchenstuhl verfrachtete, selbst zur Anrichte schwebend und den Tee fertig zubereitend. Der Duft umhüllte ihn und trieb ihn in eine träge Zufriedenheit, die ihn schläfrig machte. Das Bett wäre gleich genau der richtige Ort für ihn. Als wäre er keine Woche weg gewesen, sondern lediglich im Büro drei Straßen weiter.
 

Schon der erste Schluck Tee trieb seine Lebensgeister an und taute ihn innerlich auf. Selig seufzend lehnte er sich zurück und betrachtete nun zum ersten Mal die Blumen, die auf dem Tisch standen. Es waren rote Rosen, Rosies Lieblingsblumen und dass sie hier standen, verwunderte ihn keineswegs. Es passte einfach zu ihr.

Ein einzelnes Rosenblatt löste sich und landete auf der schneeweißen Tischdecke. Mit vorsichtigen Fingern nahm er sich dieses und hielt es in die Höhe. „Weißt du, immer wenn ich Rosen sehe, muss ich an dich denken. Und in New York gab es viele Rosen.“ Er zwinkerte und befühlte mit den Fingerspitzen die samtige Oberfläche der Blüte, die sich geradezu an ihn schmiegte.

Rosie sah sich diese Szene Sekundenlang an, in denen sich das Lächeln mehr und mehr festigte. „Du bist so süß“, schmunzelte sie schließlich und legte eine Hand auf die Seine, die das Blatt nach wie vor festhielt. Er erwiderte mit der freien Hand diesen Druck und legte dann schließlich den Kopf schief. „Ja, und hoffentlich gleich auch noch.“ Er erhob sich ohne ein weiteres Wort und wandte sich der Küchentür zu, durch welche er schließlich verschwand. Rosie sah ihm fragend nach, befasste sich dann jedoch mit ihrem Tee und wartete darauf, ihn hier wieder anzutreffen. Was immer er auch hatte, sie würde es wohl gleich erfahren und leider war er ein Mensch, der aus Überraschungen auch so lange eine machte, bis er der Meinung war, sie zu offenbaren. Da war Neugierde zwecklos, was sie schon mehr als einmal fast zur Weißglut gebracht hätte.

Also schlürfte sie einen weiteren Schluck und begutachtete ihren Mann, der mit seiner Aktentasche zurück in die Küche kam, ein breites Grinsen dabei auf dem Gesicht.

Ihr Blick schweifte von ihm zur Tasche. „Wenn du mir irgendwelche Rechnungen mitgebracht hast, die ich für dich bezahlen soll, weil du deinen Kaufzwang nicht im Griff hast, verzichte ich dankend.“ „Nun denk doch nicht schon wieder so schlecht von mir.“

Lachend setzte er sich wieder hin und ließ die Verschlüsse aufspringen.

„Gestern Nachmittag gab es im Hotel eine Versteigerung“, fing er an und zog dabei ein paar Zettel aus der Tasche heraus. Da er sah, dass Rosies Mundwinkel zu zucken begannen, fuhr er ungeniert fort. „Und da gab es etwas, was ich dir unbedingt erstehen wollte.“ „Mir?“, fragte sie verwirrt nach und nahm nun die Blätter entgegen, die er ihr anreichte.

Ihre Augen weiteten sich kurz, als ihr Blick auf die Überschrift fiel. Schon das Wort ‚Rose’ erweckte ihre Aufmerksamkeit, sodass sie die Augen nach unten wandern ließ. Das Bild, das dort abgedruckt war, ließ ihr Herz höher schlagen. „Eine viktorianische Kommode des 19. Jahrhunderts“, sagte Henry leise, sodass sie es jedoch noch hören konnte.

Die abgebildete Kommode war vielleicht einen halben Meter hoch, aber so reichlich verziert, dass die Größe dabei nicht ins Gewicht fiel. Drei Schubfächer ließen auf viel Platz schließen, aber das, was sie am meisten interessierte, waren die farbigen Aufdrücke auf dem Holz. „Rosenblätter“, murmelte Rosie und strich über das Bild, auf dem diese vergrößert dargestellt worden waren. Henry nickte, zufrieden mit sich, dass es ihr anscheinend gefiel, denn er sah sie selten so wortkarg. „Ganz genau, ich sah sie, dachte an dich und ersteigerte sie.“ Nun sah sie doch wieder auf und in ihren Augen lag deutlich die Freude verborgen. „Das muss doch teuer gewesen sein!“, erwiderte sie dennoch und versuchte, in den Papieren den Preis zu finden, den er ausgegeben hatte. Dieses Blatt hatte er aber anscheinend wohlwissentlich aussortiert. „Nicht der Rede wert, sieh’s als ein verfrühtes Hochzeitsgeschenk an.“ Er grinste schief und trank dabei seinen Tee aus, der schon leicht abgekühlt war. „Sie wird in den nächsten Tagen geliefert.“

Schweigend reichte sie ihm die Blätter wieder an, lächelte dabei aber. „Du bist ein Schatz.“ „Genau, krieg ich dafür jetzt was?“ Das Grinsen auf seinen Zügen wurde schelmischer. „Hm, dein Bett ist noch zu ordentlich.“ „Na, das kann man ändern.“

Sogleich erhob er sich und reichte Rosie seine Hand, welche sie ergriff und ebenso aufstand. Die Vorfreude auf das, was sie wohl gleich machen würden, überwog jetzt schon über die, was in ein paar Tagen in ihr Haus kommen würde.

murren - Holz - Dieb - wählen

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Es dämmerte bereits, doch noch immer konnte man das gleichmäßige Schlagen aus dem Wald hören. Eine Vögel kreischten verstört, als würde man ihren Lebensraum streitig machen und doch hatten sie keine Chance, in den Gehörgang des Holzfällers zu gelangen, der konzentriert bei der Arbeit war.

Feine Schweißperlen rannen seine Schläfen hinab, dessen Gesicht von weichen, hellbraunen Haaren umrahmt war. Der erste Tropfen fiel auf die Axt, was Jonathan den Grund gab, eine kurze Pause einzulegen.

Leicht richtete er sich auf, rammte sein Werkzeug einfach in den aufgestellten Baumstamm und wischte sich in einer müden Geste über die Stirn. Wie lange er nun schon hier draußen war, wusste er nicht mehr so genau, aber die Tatsache, dass es schon dunkel wurde, reichte für eine ungefähre Zeiteinschätzung auch schon aus.

John ließ den Blick schweifen und ein leichtes Hungergefühl beschlich ihn bei dem Gedanken, zu Hause wohl ein kleines Festmahl vorzufinden.

Er schmunzelte leicht, raffte dann seine Ärmel und begann, die geschlagenen Holzscheite in die Schubkarre zu schaffen, die bereits neben ihm stand. Er würde zweimal laufen müssen, wenn nicht sogar noch öfters, denn obwohl er eigentlich nur ein bisschen Holz für den Ofen hatte holen wollen, war er wieder völlig in seinem Hobby aufgegangen.

Die erste Karre war beladen, sodass er diese nun anhob und vor sich durch den Wald kutschierte. Ein Bad wäre gleich genau das Richtige, vielleicht noch ein schönes kühles Bier und nebenbei ein Footballspiel im Fernsehen. So konnte man seinen Feierabend auf jeden Fall genießen. Und wenn man am nächsten Tag sowieso frei hatte, konnte man sich ja auch schon mal seelisch drauf vorbereiten. Nicht, dass seine Frau dann zu kurz kommen würde …

Eine Krähe durchbrach die Stille um ihn herum und trieb ihn etwas schneller an. Abends sollte man nicht durch den Wald gehen, das hatte ihm schon sein Vater erzählt, als er zusammen mit John und seiner Mutter in dem selben Haus gewohnt hatte, wie er nun mit seiner Frau Katie.

Ein Lächeln schlich auf seine verschwitzten Züge. Ja, seine Frau war der Teil seines Lebens, der ihm Kraft schenkte. Und Arbeit, denn nur wegen ihr lief er durch den Wald und hackte Holz. Aber auch, wenn sie sich locker eine einfache Heizung hätten kaufen können, waren beide der Ansicht, die Tradition währen zu wollen, wie es jahrzehntelang getan wurde.
 

Das Haus kam schneller in Sicht, als er gedacht hatte und genauso schnell hatte er die Terrassentür geöffnet, durch welches helles Licht fiel. „Katie, hilfst du mir kurz?“, rief er hinein und entlud derweil die Karre, die direkt erleichtert ächzte, als das Gewicht von ihr genommen wurde. Doch auch nach Sekunden hörte er nichts, was auf die Ankunft seiner Frau schloss, sodass er leicht eine Augenbraue hob und den letzten Holzscheit auf den Boden legte. Normalerweise kam sie immer direkt zu ihm, wenn er sie rief.

Kurz zuckte er mit den Schultern. Wahrscheinlich war sie im Badezimmer, um sich eine ausgiebige Dusche zu gönnen, immerhin hatte er nicht gesagt, wann er nach Hause kommen würde, da konnte sie die Zeit ja auch anderweitig nutzen, als auf ihn zu warten.

Erneut bückte er sich, um das Holz zu entladen, doch dieses Mal schreckte er geradezu aus seiner Tätigkeit.

Ein murrendes Geräusch drang an seine Ohren, was er zuvor noch nie gehört hatte. Schweigend legte er alles ab, was er in der Hand hielt und betrat das Haus. Es roch leicht angebrannt, was er sich nun wirklich nicht erklären konnte, aber wie es aussah, kam es aus der Küche. Auf leisen Sohlen schlich er sich dorthin, griff sich derweil auch gleich noch eine dünne Stehlampe, die gerade passend in seiner Nähe stand und spannte seine Muskeln an.

Was auch immer hier vor sich ging, es war nicht normal!

Wieder ertönte dieses Geräusch, dieses Mal aber um einiges leiser, sodass er schon genauer hinhören musste, um es zu hören. Was ging hier vor?

„Katie?“, rief er leise und tastete sich weiter vor. Auf dem Boden lagen dutzende Wollfäden, teilweise auch Murmeln, die er hütete, wie einen Schatz. Doch auch Glasscherben lagen hier verstreut, und selbst, wenn er das andere so hingenommen hätte, diese Tatsache beunruhigte ihn.

Hatte es hier einen Diebstahl gegeben? Einen Einbruch? Oder warum lag hier alles herum?

John atmete noch einmal tief durch und betrat dann die Küche.

Seine Kinnlade klappte nach unten und laut seufzend ließ er die Lampe auf der Anrichte fallen. „Katie, was ist das?“, fragte er seine Frau, die auf dem Boden kniete und ein kleines Fellknäuel tätschelte, was ein lautstarkes Schnurren zu verstehen gab. Er hatte ja nun wirklich schon viel erlebt, aber eine Katze, die so viel Chaos veranstaltete, noch nicht.

Die ebenso braunhaarige Frau blickte grinsend auf und erkannte erst jetzt, wie schockiert Johns Gesicht wirklich war.

Sie kraulte die Katze noch einmal und erhob sich dann, um ihrem Mann besser in die Augen sehen zu können. „Du willst nicht wissen, wie sie hierher kam“, schmunzelte sie und deutete auf den Boden, wo das schwarz-weiß gemusterte Tier auf eine kleine Schüssel zusteuerte, in der anscheinend Milch war.

John jedoch legte den Kopf schief und verschränkte die Arme. „Wenn die halbe Wohnung aussieht, wie nach einem Bombenangriff, würde ich schon gerne wissen, was passiert ist.“

Katie schwieg kurz und fing dann damit an, die Scherben einzusammeln. „Ich hatte ein Geräusch gehört und dann kam sie in die Küche geschossen. Anscheinend hatte ich eine Tür aufgelassen … Auf jeden Fall hab ich dann einen Teller fallen lassen und dann erstmal dafür gesorgt, dass sich die Katze beruhigt“, erklärte sie grinsend und warf den kaputten Teller in den Müll. „Und was machst du jetzt mit ihr?“ „Na ja …“ Sie sah ihn kurz an. „Wir können wählen zwischen aussetzen, behalten oder schauen, ob wir den Besitzer finden.“ Sie wandte sich wieder zu ihm und legte ihm schließlich zärtlich die Arme um den Hals, zog dabei einen provisorischen Schmollmund.

John seufzte schwer und drückte sie dabei an sich. „Wir behalten sie erstmal und schauen, ob wir jemanden finden, der sie vermisst.“ „Danke, Schatz“, lächelte sie und drückte ihm dann einen Kuss auf den Mund, die Katze dabei um die Beine der beiden tigernd und zufrieden schnurrend.

Mauer - Trommel - kriechen - geblümt

☆¤*★*¤☆Nummer 9☆¤*★*¤☆
 


 

Es war aufregend!

Immer, wenn sie daran denken musste, wo sie in ein paar Stunden sein würde, wurde ihr flau im Magen und doch überwog die Freude dem Gefühl der Zweifel. Es passierte ja auch nicht oft, dass man zu einem Projekt nach Indien flog und dann noch in ein entlegenes Dorf am Rande einer kleinen Provinz.

Maja lächelte in sich hinein und richtete im Spiegel ihre Haare.

Sie saß nun zwar schon seit gut und gerne 3 Stunden im Flugzeug und es würde mindestens noch genauso lange dauern – sie machte sich lieber gute Hoffnungen, indem sie nicht genau nachfragte, wie lange sie noch fliegen würden – aber jeden Atemzug tat sie schon fast in indischer Atmosphäre.

Summend drehte sie den Wasserhahn zu und trocknete ihre Hände. Dann mal wieder raus zu ihrer Crew, die sich im Gegensatz zu ihr zu langweilen schienen.
 

Sie hatte es nicht anders erwartet, die Hälfte ihrer Leute schliefen zwar, aber die anderen saßen eingesunken auf ihren Sitzen und schienen die Punkte auf den Bezügen vor sich zu zählen. Hier und da ertönten vereinzelt Rufe vom Karten spielen, aber Maja ging zielsicher zu ihrem Platz zurück. Sie hörte ihren Namen, aber stur wie sie war und vor allen uninteressiert an den Dingen um sie herum, ignorierte sie die Stimmen gekonnt und nahm wieder neben ihrem Manager Platz.

Immerhin fühlte sie sich jetzt wieder erfrischt, auch wenn das in ein paar Stunden wohl wieder anders sein würde. „Du hast keinen Spaß mitgebracht?“, klagte der glatzköpfige Mann neben ihr und öffnete zum ersten Mal die Augen. Der warme Grün-Ton in diesen gefiel Maja außergewöhnlich gut.

„Was hätte ich denn mitbringen sollen?“, fragte sie nach und überschlug ein Bein in der übergroßen Sitzreihe der ersten Klasse ihres privat gemieteten Fliegers. Das war wirklich purer Luxus, den sie gerne für sich beanspruchte.

Ihr Manager setzte sich etwas aufrechter hin und streckte die müden und unbewegten Glieder. „Na, vielleicht hättest du was mit dem Kameramann in der Toilette anfangen können, dann hätten wir wenigstens was zu tun.“ Er zwinkerte schief und nahm sich dann eine Zeitschrift aus dem Netz vor sich. Maja schüttelte nur den Kopf. „Das nächste Mal nehm ich dich mit, ok?“

Nach diesem kleinen Wortabtausch stellte sie ihren Sitz um, sodass sie fast flach auf dem Rücken lag und schloss dann die Augen. Es nützte ja nichts, total müde zu sein, wenn sie ankamen, denn sie wusste, dass sie mit dem Jeep direkt weiterfahren würden und wenn es hochkam, würden sie heute auch schon erste aufnahmen machen.

Das Leben eines Schauspielers war manchmal ziemlich anstrengend, das war Maja bereits gewusst gewesen, als sie ihre erste Rolle im Kinderfernsehen angenommen hatte. Damals war die Gage zwar nicht so hoch, aber sie hatte öfters genauso viel Stress gehabt wie heute noch und das, wobei diese Rollen damals wirklich nur für eine bestimmte Gruppe an Leuten war.

Heute war das anders; die Rollen waren wichtiger, aufregender, sie mussten perfekt umgesetzt werden. Aber sie liebte es, sich für Menschen auszugeben, die ein so anderes Leben führten als sie.

Vielleicht eine scharfe Rechtanwältin, die ihren Klienten mit einer geblümten Taschenuhr des Mordes überführte.

Oder eine Putzfrau, die im Haus des Präsidenten üble Machenschaften mitbekam und die Regierung der ganzen Welt auf den Kopf stellte.

Egal, was sie spielte, in jeder Rolle ging sie auf und das würde in dieser nicht anders sein.

Sie seufzte leise und drehte den Kopf zur Seite, sodass die Geräusche des Geraschels, das Matthew neben ihr verursachte, nicht weiter ins Gewicht fielen.

Eine Archäologin würde sie spielen, die eine alte Inka-Stadt ausgraben und entdecken würde … Ein gut aussehender Assistent würde ihr dabei helfen und nebenbei verstricken sie sich nach und nach in ein tiefes Labyrinth der Verwirrung und der Liebe.

Mit dem Gedanken an ihren Partner, den sie jedenfalls nicht von der Bettkante schupsen würde, schlief sie schließlich ein und ließ die Langeweile ihrer Crew außerhalb ihrer Gedankenwelt.
 

Durch ein sanftes Geruckel an ihrer Schulter wurde die Rothaarige nach und nach wach, bis sie letzten Endes die müden Augen öffnete und aus dem Fenster starrte. Die Landschaft, die bis vor ein paar Stunden noch aus Wolken bestanden hatte, wurde nun immer größer und zum ersten Mal, seit sie los geflogen waren, erkannte sie Erde mit Häusern, Straßen und sogar schon Autos. Verschlafen wischte sie sich über die Augen und sah dann zu Matthew, der sie erwartungsvoll von der Seite ansah. Er grinste leicht über die Umstände, Maja so müde zu sehen, obwohl sie vorher noch die Energie der ganzen Crew in sich getragen zu haben schien.

„Wir landen bald“, sagte er schließlich und steckte nun ebenso die Zeitung zurück, die er sich zwischenzeitlich besorgt hatte. Wenn er nichts zu lesen hatte, wurde ihm noch schneller langweilig, also hatte er die Zeit gut genutzt, um sich ein wenig weiter zu bilden.

Maja nickte und streckte die Arme gen Himmel, um sich ausgiebig zu strecken. Sie fühlte sich minder ausgeruht von ihrem Schläfchen, das anscheinend eine ganze Weile gehalten hatte. Während sie den Blick schweifen ließ, erkannte sie ihre Männer, die ebenso verschlafen schienen, wie sie. Anscheinend hatten wirklich alle ein Nickerchen gemacht.

Die Leuchten oberhalb ihres Kopfes, die anwiesen, sich nun wieder anzuschnallen, blinkten auf und zeitgleich durchzog eine Durchsage einer Flugbegleiterin die murmelnde Konversation im Raum. In 5 Minuten würden sie indischen Boden betreten.

Die Aufgeregtheit überwältigte Maja und sie kam nicht umhin, einmal tief durchzuatmen und sich zu beruhigen.

Indien … Sie ließ den Blick nach draußen schweifen und lächelte.
 

Es ruckelte einmal und endlich kamen die Räder des Flugzeugs auf dem Boden auf. Lauter Beifall durchzog das Innere dessen und auch Maja mischte sich darin ein.

Nachdem sie am Airport angekommen waren, raschelte es erneut und bereits nach Sekunden war die ganze Meute aufgestanden und auf dem Weg zum Ausgang. Dieses stundenlange Sitzen hatte auf die Gemüter geschlagen und da konnte wirklich niemand etwas anderes behaupten.

Die Luft war drückend heiß, als sie auf den Asphalt auf der Bahn traten und nach ihrem Bus Ausschau hielten. Bereits jetzt schwitzten einige und da sie noch einige Stunden lang unterwegs sein würden, bereuten die meisten schon, mitgefahren zu sein. Anders als Maja, die bis über beide Ohren strahlte und es kaum erwarten konnte, loszufahren.

Mit dem Bus zusammen fuhren sie zum Flughafen, in welchem sie noch einmal durch die Passkontrolle rauschten und sich ihre Koffer schnappten. Das war der Nachteil an einem öffentlichen Passagierflugzeug, hätten sie eine kleinere Crew gehabt und hätten ein kleines Flugzeug nehmen können, hätten sie direkt zu ihrem Ziel weiterfliegen können. Aber niemand beschwerte sich darüber.

„Unser Bus kommt in 2 Minuten“, erklärte Matthew, der sich hechelnd Luft zufächerte und dabei auf seine Uhr starrte. Er freute sich sichtlich auf die Klimaanlage im Bus, der hoffentlich kein typisch indischer Shuttlebus war. Er hatte einen großen, Klimaanlage habenden bestellt, aber man wusste nie so genau.

„So schlimm find ich das nun nicht, Matt“, grinste Maja und richtete ihre Sonnebrille, die sie sich gerade auf die Nase geschoben hatte. Es war nicht nur warm, die Sonne knallte auch noch auf sie herab, sodass sie in einer Woche, wenn sie wieder zurück fliegen würden, sicherlich braun gebrannt sein würde. Gerade musste sie sagen, dass es gut war, nur eine Instanz hier drehen zu müssen und den Rest im kühlen London.

Als der Bus kam, atmeten die meisten hörbar auf und innerhalb von nicht mal 5 Minuten saßen sie alle auf ihren Plätzen wie nasse Säcke. Eine Klimaanlage besaß der Wagen, aber ob sie sonderlich viel half, war eine andere Frage.

„Dann los“, stöhnte Matthew leise und fächerte sich mit seiner Zeitung Luft zu. Dann würden sie die nächsten 2 Stunden jetzt wohl auch noch irgendwie rumkriegen müssen …
 

Die Provinz, in die sie mussten, lag rund 200 km vom Flughafen entfernt und in dieser langen Distanz sah man alles, was man sich nur vorstellen konnte. Es fiel auf, dass nur wenige Städte wirklich reich waren, denn außer der Flughafenstadt lagen alle anderen Städte und Dörfer abgelegen und verschmutzt am Rande. Die Straßen waren teilweise sehr unbefestigt, sodass die Männer um ihre Ausrüstungen bangten und wenn man sich nicht darum Sorgen machte, dann um die Menschen, die den Bus neugierig bestaunten und fast traumatisiert hinterher starrten.

Maja kümmerte das alles nicht, denn sie war schon längst an ihrem Ziel.

„Wir machen dann auch gleich die ersten Szenen oder fangen wir erst morgen an?“, fragte sie daher nach und sah weiterhin aus dem Fenster, als würde sie jeden Moment etwas Wichtiges verpassen. Matthew seufzte kurz und zuckte mit den Schultern. „Wir fangen morgen an“, murmelte er geschafft und sehnte sich jetzt schon nach einer kühlen Dusche in ihrem Hotel, das hoffentlich auch eins war und sich nicht nur so nannte.
 

Er sollte Recht behalten, das Kabuff, wie er es gedanklich nannte, war mehr Absteige, als Hotel und trotzdem waren die Männer mehr als zufrieden, endlich da zu sein. Die Hitze war hier noch drückender, sodass sie ihre Gerätschaften flink auspackten und dann nacheinander ins Hotel spazierten, sich ihre Schlüssel geben ließen und dann verschwanden. Auch Maja hatte sich dazu erbarmt, ihnen zu folgen, denn morgen wäre ein langer Tag und bis dahin sollte sie sich ausruhen. Seufzend ließ sie sich auf ihr Feldbett fallen und achtete dabei nicht auf die heruntergekommene Einrichtung, die ihr direkt ins Auge gestochen war. Sie wollte schlafen und im Schlaf würde es nicht stören, wie ihre Umgebung aussah. Dennoch stellte sie ihre Sachen vorsorglich auf einen Stuhl, denn das, was auf dem Boden kroch, egal, wie klein es auch war, bereitete ihr kein Gefühl der Sicherheit, am nächsten Morgen keine Tiere in der Kleidung zu haben.

Maja schüttelte sich kurz und schlug dann die Decke zurück. Immerhin schien die Bettwäsche sauber zu sein …
 

„Guten Morgen!“ Die enthusiastische Stimme ihres Managers ließ sie aus dem Schlaf schrecken, wo sie sich murrend aufsetzte und sich über die Augen wischte.

Was fiel dem eigentlich ein, hier so herumzukrakeelen, wo sie doch erst vor kurzem ins Bett gegangen war …

Ein Blick auf ihre Uhr ließ sie diesen Gedanken direkt wieder revidieren, denn die Zeiger zeigten ihr eine Uhrzeit von 4:30 Uhr an. „Was zum …“, murmelte sie, schlug die Decke beiseite und stand vorsichtig auf. Die Insekten hatte sie noch nicht vergessen, aber gestern Nachmittag wohl, sich vor dem Schlafen gehen noch auszuziehen.

Mit den Schultern zuckend, schlüpfte sie in ihre Schuhe und trat aus dem Zimmer, wo sie sah, dass auch andere ihre Köpfe aus der Tür steckten und müde irgendwelche wüsten Beschimpfungen von sich gaben. Die Rothaarige schmunzelte und ging dann zu ihrem Manager auf den Gang. „Was ist?“, fragte sie verschlafen nach und wurde mit einem Fingerzeig auf ein Zimmer verwiesen. „Mach dich fertig, wir fangen in 10 Minuten an.“

Tatsächlich stand sie keine 8 Minuten später draußen vor dem Hotel und sah sich um. Das Kamerateam war gerade dabei, ihre Geräte in den Bus zu schaffen, mit welchen sie noch etwa eine Viertelstunde fahren mussten, um zu ihrem Drehort zu gelangen.

Obwohl es erst so früh war, machte sich die Sonne langsam bemerkbar, hinter den Wipfeln des Waldes aufzugehen und Maja fühlte sich seit ihrer Ankunft gestern zum ersten Mal wieder richtig wohl. Fast hatte sie das Gefühl vergessen, wie aufgeregt sie noch war, aber dieses erfüllte gerade wieder ihr ganzes Wesen, sodass sie es kaum noch erwarten konnte, endlich loszufahren.

Die anderen brauchten jedoch noch etwas länger und nach weiteren 10 Minuten fuhren sie endlich los.

Die alte Stadt, die sie für die Aufnahmen benutzen wollten, war seit mindestens einem Jahrhundert verlassen, sodass sie gute Chancen hatten, etwas Gutes zustande zu bringen.

Der Bus fuhr langsam über einen Waldweg ins Innere des Waldes, der gegensätzlich der bisherigen Eindrücke Indiens, dicht bewaldet war. Umso schöner, befand Maja und sah sich weiterhin um.

Sie konnte schon von weitem den großen Tempel sehen und erstaunt und ehrfürchtig schloss sie den Mund, um sich jeden Ton zu verkneifen. Die Mauern waren alle mit irgendwelchen Pflanzen bewuchert, was einfach nur wunderschön aussah. Genauso, wie sie sich das Ganze vorgestellt hatte.

„Ausladen“, rief Matthew durch den Bus, während sich Maja dazu entschloss, schon einmal auszusteigen und sich einen ersten Eindruck zu machen.

Schweigend ging sie näher an die Grundmauern heran und sah sich die Pflanzen genauer an, die davor aus dem Boden schossen. Sie fühlte sich wohl hier und das hatte sie trotz der ganzen Freude niemals gedacht.

Sie ließ den Blick neugierig schweifen und während sie einfach, ohne jemanden davon in Kenntnis zu setzen, auf die befestigten Steine trat, die hinter der Mauer anfing, war sie völlig hin und weg. Hätte hier noch jemand gelebt, hätte sie diese Menschen beneidet, denn das Ambiente war atemberaubend.

Ein Trommeln ließ sie zusammen fahren und hektisch umsehen. Wo kam denn das her? Sie sah zu ihrer Crew zurück, die nach wie vor mit dem Ausladen beschäftigt war, aber niemand schien den Anschein zu erwecken, diese Geräusche auch zu hören.

Leicht zog sie eine Augenbraue in die Höhe und gerade, als sie sich umwenden wollte, um zurückzugehen, zog etwas andere ihre Aufmerksamkeit auf sich.

Maja schluckte leicht, als sie den jungen Mann in dem Torbogen ein paar Meter vor sich erkannte und hätte sie in diesem Moment gekonnt, hätte sie geschrieen.

Wer hatte den behauptet, hier lebe keiner mehr? Hatte derjenige sich geirrt? Das musste ja so sein, was machte sonst dieser Mann dort? Und so, wie er aussah, kam er nicht aus der Gegend.

Eine Art Lendenschurz um die Hüfte gewickelt, stand er da, das Gesicht mit Farbe bemalt und leicht mürrisch dreinblickend. Seine Haut war braun gebrannt und seine bis zur Schulter reichenden Haare schwarz wie die Nacht.

Sie wusste nicht, was sie antrieb, aber langsam bewegten sich ihre Beine vorwärts auf den Mann zu, der noch immer stumm dastand und sie beobachtete.

„Wer bist du?“, fragte sie leise nach und unterdrückte sich die zitternde Stimme, die sie beinahe heimsuchte. Das war ihr unheimlich, aber leider war sie von einer ausgeprägten Neugierde befallen.

Der Mann sagte nichts, sondern wartete geduldig, dass sie bei ihm war. „Verschwindet von hier“, raunte er unmissverständlich, sodass Maja kreidebleich wurde und prompt stehen bleib. „Ich versteh’ nicht …“ „Haut von hier ab.“

Ohne ein weiteres Wort war er verschwunden und ließ Maja verwirrt zurück. Was war dass denn hier?

Ihr Blick glitt in den Himmel, wo sich die Wolken langsam rot färbten. War das ein Hinweis?

Von plötzlicher Angst erfüllt nahm sie die Beine in die Hand und lief den Weg zurück, den sie gekommen war. Sie würden gehen, das hatte sie gerade beschlossen und wenn es das letzte war, was sie ihren Leuten sagen würde. „Männer, wir verschwinden von hi-“

Weiter kam sie nicht, denn kaum hatte sie den Pflasterstein wieder verlassen, ertönten reihenweise laute, grollende Geräusche, ehe auch schon die gesamte Anlage in sich zusammenbrach.

Stocksteif und mit geweiteten Augen sahen die einzelnen Personen auf und als sich der Staub gelegt hatte, nahm Matthew Maja beiseite. „Woher wusstest du das?“, fragte er sie leise und verstärkte seinen Griff um ihre Schulter, als würde sie auch gleich auseinander fallen. Sie war immer noch blass, doch langsam schlich sich ein Grinsen auf ihr Gesicht. „Ich bekam einen lieben Hinweis.“ Sie sah noch einmal zurück und erkannte den Mann, der ihr gerade das Leben gerettet hatte, wie er in den Wald verschwand.

säuseln - Schlafanzug - Medikament - flauschig

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Wieso musste das Leben nur so ungerecht sein?

Da war man keinen Tag im Jahr krank und dann gerade zu einem Zeitpunkt, wo ein Termin dem nächsten folgte und man es sich eigentlich nicht leisten konnte, zu Hause zu bleiben und sich einen schönen Tag zu machen.

Doch genau dieses Problem hatte Zoe nun, die im Schlafanzug dick eingepackt in einer Decke auf dem Sofa saß und ihren Tee schlürfte, der ihre Lippen und ihre Zunge zu verbrühen schien.

Innerlich grummelte sie leise, denn normalerweise würde sie jetzt in einem Geschäftmeeting sitzen und anderen Leuten ihre Ideen für neue Projekte schmackhaft machen, aber ihr Freund hatte dies heute Morgen am Frühstückstisch nicht zugelassen, wo sie schwankend versucht hatte, aus der Küche zu verschwinden. Das Fieber ließ sie ein wenig an ihrem Gleichgewichtssinn zweifeln, aber ihr Kopf war noch so klar gewesen, dass sie fest davon überzeugt gewesen war, aus dem Haus gehen zu können, ohne zusammenzuklappen.

Es wurde ihr etwas anderes bewusst, als sie von Mirco persönlich aus dem Raum getragen und schließlich in ihr Bett gelegt wurde, wo sie unter mehreren Decken begraben daliegen und warten musste, dass ihr eine Hühnerbrühe ans Bett gestellt wurde.

Nachträglich war sie froh über diese Entscheidung gewesen, denn das Bett erschien ihr in diesem Moment wesentlich freundlicher als der Stadtverkehr am frühen Morgen.

Dennoch hatte sie es dort nicht lange ausgehalten, sodass sie sich unter Protest ihres Freundes ins Wohnzimmer geschleppt hatte, wo sie wenigstens den Fernseher auf ihrer Seite hatte. Das hielt ja kein Mensch im Kopf aus, den ganzen Tag stillschweigend im Bett zu liegen, ohne Unterhaltung und ohne einen Schimmer, was man ansonsten anstellen konnte, wenn man nicht aufstehen durfte.

Ihre Zehen, die in den flauschigen Socken steckten, die Mirco ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, bewegten sich im Takt der einsetzenden Titelmusik einer Fernsehserie und ließen sie fast vergessen, dass sie krank war. Anscheinend war das nur so eine Ein-Tages-Grippe, die durch zu viel Stress oder Hektik ausgelöst wurde und beides hatte sie in den letzten Tagen mehr als genug gehabt.

Im Stillen dachte sie daran, Mirco zu knuddeln, wenn er wieder nach Hause kam, denn sie konnte auch nicht außen vor lassen, dass er unterwegs war, um ihr von der Apotheke Medikamente zu besorgen.

Was würde sie nur ohne ihn tun?

Sie lächelte in sich hinein und trank noch einen Schluck Tee. So langsam schien er sich abzukühlen, sodass sie ohne Bedenken daran nippen konnte.

Trotzdem, so langsam konnte er ja auch mal wieder kommen, denn alleine wollte sie nicht den ganzen Tag hier sitzen bleiben und auf besseres Wetter warten, oder eben auf ihre Medizin, die sie gerade mehr als gerne nehmen würde. Vielleicht ein Bad … Oder noch einen Tee? Sie war unentschlossen und doch machte sie den Fernseher einfach mal aus und erhob sich. Die Decke landete dabei auf dem Boden, doch sie beachtete sie nicht weiter und machte sich auf Socken auf den Weg zum Badezimmer.

Ein Bad wäre genau das Richtige, eine schöne Badelotion mit Aloe Vera oder dergleichen, was dafür sorgte, dass sich ihre Erkältung zurückentwickelte und dann ins Bett, wo sie sich eine Portion Schlaf gönnen würde.

Ja, das war eine gute Idee, die sie jetzt auch unbedingt in die Tat umsetzen würde.
 

Sie lag noch nicht lange in der Wanne. Der Schaum umhüllte ihren aufgewärmten Körper und schmiegte sich an sie, selbst wenn sie versuchte, sich ein wenig Freiraum zu schaffen. Sie hatte extra viel Bademittel hineingeschüttet, denn sie hatte es noch nie verstanden, wie sich Leute nicht einmal an solchen Dingen erfreuen konnten. Gut, die Zeit spielte oftmals eine große Rolle, wenn man ein Bad genießen wollte, aber wenn man schon mal die Gelegenheit hatte, musste eben das volle Programm herhalten. Ihre Feuchtigkeitscreme hatte sie auch schon herausgesucht, so wäre heute mal wieder ein Wohlfühltag für sie und ihre strapazierten Nerven.

Die Stille umhüllte sie und würde sie sich nicht zusammenreißen, wäre sie mittlerweile einfach weggenickt. Das warme Wasser benebelte ihre Sinne, dennoch horchte sie auf, als sie hörte, wie sich jemand an der Tür lautstark Eintritt verschaffte.

Ein Schluchzen ertönte und mit einem Satz war Zoe aufgestanden, sodass das Wasser schwappend über den Rand der Wanne floss und auf den weißen Fliesen landete. Schaumkronen saßen nun auf diesen und glitzerten im Licht der Deckenlampe, die warmes Licht auf Zoes Körper scheinen ließ. Diese jedoch interessierte sich nicht dafür, schnappte sich viel eher ihren Bademantel und ging zur Tür, die sie leise aufschloss und schließlich auf den Flur trat.

Das Schluchzen war nun lauter und ein Säuseln durchbrach dieses ab und zu. Zoe hob eine Augenbraue und zog ihren Mantel enger an den Körper. Was auch immer hier vor sich ging, es passte nicht ins Bild.

Sie lebte alleine hier mit Mirco und diese Frauenstimme, die da eindeutig weinte, hatte sie noch nie gehört. In der Tür geirrt konnte sich niemand haben, immerhin besaßen nur sie und ihr Freund einen Schlüssel, also was ging hier vor?

Barfuß und auf leisen Sohlen schlich sie weiter Richtung Haustür, aus der die Geräusche kamen. Leider machte ihr ihre Erkältung einen Strich durch die Rechnung, leise zu sein, denn das erste Niesen brachte sie zum Stocken.

Erschrocken über sich selbst, hielt sie sich die Hand vor den Mund, doch das Schluchzen hielt inne und eine ihr bekannte Stimme schien beruhigend auf die weibliche Person einzureden, während Schritte verlauten ließen, dass sich ihr jemand näherte.

Zoe gab sie geschlagen und kam dieser entgegen, entdeckte so auch schließlich ihren Freund, der sie verwirrt und auch ein wenig verständnislos ansah. „Was machst du hier?“, hakte er nach und fragte sich zeitgleich, warum sie nicht im Bett lag oder wenigstens auf der Couch, wo er sie auch nur sehr widerwillig hatte hingehen lassen.

Normalerweise schlich sie nicht durch die Wohnung und dann auch noch im Bademantel, mit feuchten Haaren … Anscheinend hatte sie geduscht oder gebadet.

Zoe verzog die Mundwinkel und stakste weiter. „Dasselbe könnte ich dich fragen“, zischte sie leise und bog um die Ecke, von wo aus man die Tür sehen konnte.

Eine große, blonde Frau mit verweinten Augen stand dort und sah in Zoes Richtung, sodass sich ihr Magen ein wenig zusammenzog. „Und das ist?“, fragte sie kühl und wandte sich dabei an ihren Freund, der ihr anscheinend eine gute Erklärung schuldig war.

Mirco sah den Argwohn, die Verachtung in ihrem Blick und hob beschwichtigend die Arme. „Das ist wirklich nicht-“ „Das ist also eine Bekannte“, schlussfolgerte Zoe die Augen verdrehend und sah zum ersten Mal die feuchten Spuren auf seinen Schultern. „Eine sehr gute Bekannte.“

Sie hatte sich bei ihm ausgeheult … In einer Umarmung … Da sollte sie nichts Falsches bei denken?

„Du hattest wohl vergessen, dass ich zu Hause bin. Tja, tut mir Leid, das Treffen gestört zu haben, ich …“ „Zoe, halt doch mal die Klappe!“ In Rage strich er sich die Haare aus der Stirn und atmete hörbar aus. „Das ist Karina, die Frau meines besten Freundes.“

Sie nickte, ein Zeichen, dass sie verstanden hatte. Und trotzdem … „Und das heißt was?“, hakte sie nach und wirkte sichtlich ungehalten. „Mirco, ich kann auch gehen, wenn du …“, begann die Blonde zögerlich, denn sie merkte, dass sie gerade in einen aufkommenden Krach geraten war. Der Angesprochene jedoch schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin gleich für dich da.“ Er lächelte sie an und nahm dann Zoe am Arm, die langsam arge Probleme hatte, ihre Wut zu zügeln und sich weiterhin auf den Beinen zu halten. „Mario hat sie rausgeschmissen. Sie ist schwanger.“ „Oh …“

Mehr bekam Zoe vorerst nicht heraus, doch verschränkte sie schließlich die Arme vor der Brust und ließ sich auf der Couch fallen. „Und das heißt jetzt?“ „Dass ich nichts mit ihr habe, ihr aber helfen will. Kannst du auf sie aufpassen, ich hab mit Mario ein Hühnchen zu rupfen.“ Er schien es ernst zu meinen, das sah sie ihm an. „Hast du wenigstens meine Medikamente dabei?“ „Karina ist Krankenschwester, sie kann dir sicherlich helfen.“ Er drückte ihr einen Kuss auf den nassen Scheitel und tätschelte ihre Wange. „Außerdem … Dir steht Eifersucht nicht.“ Grinsend streckte sie ihm die Zunge heraus. „Dann bring auch keine schwangeren Frauen mit nach Hause. Bring sie her, ich werde ihr jetzt erklären, dass Männer alles Schweine sind.“ „Dann hab ich keine Bedenken, dass sie sich amüsieren wird.“

lila/violett - Freiraum - seufzen – dringend

☆¤*★*¤☆Nummer 11☆¤*★*¤☆
 


 

Mit einem lauten Knall flog die Tür hinter ihr ins Schloss und Susi selbst mit viel Schwung auf ihr Bett, auf dem sie bäuchlings einfach nur liegen blieb und versuchte, die Wut in ihrem Bauch zurückzustellen und sich zu beruhigen.

Von unten hörte sie immer noch das laute Gezeter ihrer Mutter, die sich gerade bei ihren Kindern darüber aufregte, wie unverantwortungsbewusst die 16-jährige doch war und wie es sein konnte, dass sie nie das machte, was man von ihr verlangte.

Susi kannte diese Worte, täglich prasselten sie auf sie nieder und jedes Mal, wenn sie versuchte, etwas daran zu ändern, wurden andere Wunden aufgerissen, die sie längst vergessen haben wollte.

Es war eben nicht leicht, die älteste Tochter unter sieben zu sein, wo die Mutter auch noch allein erziehend war und einen Job hatte, der ihre halbe Freizeit mit sich riss. So war es klar, dass Susi diejenige war, die sich um ihre Geschwister kümmern musste, sie von der Schule abholen musste, vom Kindergarten … sie das Mittagessen machen musste, weil ihre Mutter nicht zu Hause war.

Seufzend richtete sich die Blonde wieder auf und sah kurz aus dem Fenster. Regen … War es da verwunderlich, dass sie nicht los wollte, nur um für die Kleine ihre ‚besondere’ Milch zu holen? Oder einkaufen zu gehen, weil die letzte Tiefkühlpizza leer war? So weit kam es noch, dass sie sich behandeln ließ, wie jemand, der nicht Mitglied in dieser Familie war, sondern lediglich so etwas wie eine Putzhilfe; ein Kindermädchen. Susi schnaufte auf und erhob sich dann.

Wenn man sie hier nicht wollte, würde sie eben zu einer Freundin gehen und da für eine Weile bleiben, es würde ja eh nicht auffallen.

Kurz horchte sie, ob jemand auf dem Weg zu ihr war, aber die Dielen auf der Treppe blieben ruhig, also ging sie zu ihrem Kleiderschrank und holte sich aus diesem ein paar Klamotten heraus. Wie lange sie wegbleiben würde, wusste sie noch nicht, aber sie brauchte einfach Freiraum. Etwas, das sie schon seit Jahren nicht mehr hatte, ständig standen ihre Geschwister im Vordergrund, die doch noch so klein waren, um selbst für sich sorgen zu müssen.

Die Wut in ihrem Bauch schwoll wieder an, sodass sie ruppig die Sachen in eine Tasche stopfte und sich dann wieder aufrichtete.

Das würde wohl erst einmal reichen …

Leise schlich sie sich aus ihrem Zimmer, lauschte in die Stille, die nur vom Fernseher im Wohnzimmer unterbrochen wurde und eilte dann auf leisen Sohlen die Treppe hinunter, dabei darauf achtend, keine Diele quietschen zu lassen. Sie hätte zwar die Möglichkeit gehabt, einfach zu behaupten, dass sie einkaufen gehen würde, aber besser war es, wenn sie ohne Wenn und Aber das Haus verlassen würde. Schweigend ging sie zur Garderobe, an welcher sie unzählige Jacken, Schals, Handschuhe und anderes Zeugs fand, das ihren Geschwistern gehörte. Hätte sie hier Sachen liegen, die eigentlich in ihr Zimmer gehörten, wäre sie schon längst zur Rechenschaft gezogen worden, aber doch nicht die armen Kleinen …

Susi murrte leise, zog dabei ihre schwarzen Chucks an und schlüpfte nebenbei auch noch in ihre violette Regenjacke. Das sollte wohl für den Niederschlag draußen geeignet sein, auch wenn sie daran zweifelte, trocken da anzukommen, wo sie hinwollte.

Noch einmal sah sie gedankenverloren Richtung Wohnzimmer, wo jetzt wohl die Familie sitzen und nicht ahnen würde, dass sie gleich für eine unbestimmte Zeit ein Mitglied weniger waren.

Es ist richtig, dachte sie sich und atmete unmerklich tief durch. Ja, sie war 16 Jahre alt, sie konnte über ihr Leben selbst entscheiden und ließ sich nicht durch ihre eigene Familie so unterbuttern.

Entschlossen griff sie nach dem Knauf, öffnete die Tür, nahm sich ihre Tasche und auch noch ihren Schlüssel und verließ dann still und leise das Haus.
 

Der Regen wurde stärker, je weiter sie lief. Die Jacke, die eigentlich den Regen abhalten sollte, ließ mittlerweile jeden noch so kleinen Tropfen durch und sie fühlte sich schon fast wie ein Schwamm, der in einer Schüssel Wasser lag und sich voll sog. Ihre Beine waren schwer und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als ein warmes, weiches Bett zu bekommen, wo sie ihre Traurigkeit in einem tiefen Schlaf vergessen konnte.

Leider hatte sie nicht damit gerechnet, dass all ihre Freundinnen, zu denen sie hätte gehen können, nicht zu Hause waren und sogar ihre Tante, mit der sie immer und überall über Gott und die Welt reden konnte, hatte gerade heute ein Seminar in der nächst größten Stadt. Es schien, als sei die Blonde von Pech verfolgt und zu allem Überfluss verdunkelte sich der Himmel zusehenst. Sie hatte keine Uhr dabei, aber hätte sie es nicht besser gewusst, würde sie sagen, dass es langsam spät wurde.

Sie konnte nicht mehr zurück, so viel stand fest, aber was sollte sie dann machen?

Wenn sie nicht krank werden wollte, musste sie dringend aus dem Regen raus, aber wenn sie ein Bett wollte, musste sie das ebenfalls tun.

Mitten auf der Straße blieb sie einfach stehen. Feine Tropfen vermischten sich auf dem Boden mit denen des Regens. Tränen rollten über ihre Wangen und sie konnte sie sich nicht erklären. Sie hatte doch eigentlich das bekommen, was sie wollte. Ihre Ruhe!

Aber wieso tat es dann so weh und wieso hatte sie so viele Schuldgefühle? Sie würden auch ohne sie auskommen, immerhin waren die anderen nicht sonderlich jünger als sie selbst, aber eben trotzdem kleiner als sie. Was würde ihre Mutter sagen?

War sie ihnen nicht eigentlich egal? Ein Mittel zum Zweck?

Susi wusste nicht, was sie denken sollte und da ihr Kopf sowieso schwirrte von der herannahenden Erkältung, die sie sich wahrscheinlich dank des Regengusses zugezogen hatte, hakte sie diese Gedanken einfach ab und setzte erneut einen Fuß vor den anderen. Irgendwie würde sich das schon wieder regeln … Zumindest hoffte sie das.
 

Die Nacht war dunkel, kalt und nass. Die 16-jährige hatte schon vor Stunden festgestellt, dass das Bushäuschen alles andere als gemütlich war und da sie nicht mal eine Decke dabei hatte, kauerte sie nun auf dem kalten Boden und versuchte, ein Auge zuzumachen. Das alles war es irgendwie nicht wert und dieser Gedanke kreiste seit Ewigkeiten durch ihren Kopf. Sie wollte nach Hause, aber sie konnte nicht. Sie würde es nicht können, nicht jetzt, nicht mitten in der Nacht, wo die Menschen schliefen und sich in ihre warmen Decken kuschelten.

Susi fröstelte und schlang die Arme mehr um ihren zitternden Körper. Was hatte sie nur angestellt?!
 

Die nächsten paar Stunden schaffte sie es nicht, auch nur eine Minute Ruhe zu finden. Die Geräusche um sie herum machten sie nervös, das Quietschen der Reifen von entfernt fahrenden Autos ließen sie aufschrecken, wenn sie gerade weggenickt war. Doch das alles half nicht darüber hinweg, Sehnsucht zu haben.

War es den anderen aufgefallen, dass sie verschwunden war? Dass ihr Schrank offen stand, Klamotten fehlten, ihre Schuhe nicht da waren, ihre Jacke nicht am Haken hing und generell, dass ihre Putzhilfe fehlte? Wahrscheinlich nicht. Aber was machte sie sich auch Gedanken darüber? Sobald es heller sein würde, würde sie aufstehen, sich neuen Mut zusprechen und ein weiteres Mal schauen, ob nicht doch jemand bei ihren Freunden zu Hause war und wenn sie vor der Haustür Patrouille halten musste.

Entschlossen erhob sie sich, streckte kurz die müden und kalten Glieder und schulterte dann ihren Rucksack. Genug bemitleidet, heute war ein neuer Tag!

Schweigend ging sie auf dem menschenleeren Bürgersteig umher. Keine Seele war zu sehen, weder Mensch, noch Tier und es schien, als wären heute alle provokativ daheim geblieben, um zu demonstrieren, wie gut sie es hatten. Doch das störte Susi nicht, diese eine Nacht hatte sie abgehärtet, getreu dem Motto: Schlimmer geht’s nimmer.

Gerade, als sie über eine Hauptstraße gehen wollte, ertönte laut im vernehmlichen Tonfall eine Stimme, die ihren Namen rief. Erschrocken darüber, dass sie erkannt und entdeckt worden war, blieb sie stehen und starrte in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war. Eine ganze Scharr an Leuten rannte auf sie zu und wieder sammelten sich Tränen in ihren Augen. Das war ihre Familie!

„Susi, wo warst du denn?!“, ertönte die besorgt klingende Stimme ihrer Mutter, die ihre Tochter erst einmal schützend in den Arm nahm und fest an sich drückte. Ein unterdrückter Schluchzer zerbrach in ihrer Brust und ließ den Ton über ihre Lippen kommen, die spröde vom verzweifelten Weinen waren.

Susi wusste nicht so recht, wie ihr geschah, diese Wärme spendende Nähe ihrer Mutter hatte sie so lange nicht mehr gespürt und auf einmal war sie da; als wäre das alles ein Traum.

Die ältere Frau stellte ihre Frage noch einmal, dieses Mal schon heiserer und ungläubiger, als könnte sie es noch nicht glauben. Die halbe Nacht hatte sie nach ihr gesucht, hatte bei Bekannten und Freunden angerufen und dann um kurz nach 2 Uhr morgens die Suche erst einmal aufgegeben, nur um am nächsten Morgen selbst loszugehen und die Stadt zu durchsuchen, ehe sie die Polizei anrief.

„Mach das nie wieder, hörst du?“ Ein Paar Lippen drückte sich auf Susis Scheitel und zum ersten Mal seit Tagen lächelte diese. „Ihr habt mich vermisst?“, fragte sie leise und mit angeschlagener Stimme, dennoch sehr deutlich vernehmbar. „Natürlich, du Dummerchen!“

Die Blonde fühlte sich seit Langem endlich wieder bestätigt und wohl in ihrer Haut, die Wärme, die die Nacht über gefehlt hatte, kroch in ihren Körper und wärmte sie von innen. Dass es so kommen würde, hätte sie nie gedacht und sie war dankbar dafür, ein Zeichen gesetzt zu haben. Auch wenn dieses wohl den Normen widersprach, aber sie wusste endlich, dass sie ihrer Familie nicht egal war, wie sie immer geglaubt hatte.

Pause - mausgrau - Baum - Taschentuch

☆¤*★*¤☆Nummer 12☆¤*★*¤☆
 


 

Wie sie es doch hasste.

Jeden Tag musste sie diesen Weg gehen. Jeden Tag fiel ihr jeder Schritt schwerer und schwerer. Je näher sie diesem Ort, diesem Gebäude kam, desto mehr bekam sie das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und am liebsten umdrehen zu wollen. Weg vom lauten Gelächter, wenn sie Mitschülern begegnete. Einfach weg vom Ärger, von der Trauer, vom Gefühl, alleine zu sein und sich ausgegrenzt zu fühlen.

Doch leider hatte sie keine andere Wahl …
 

Stell dich nicht so an, hatte ihre Mutter zu ihr gesagt, während sie ihr die Jacke glatt gestrichen hatte. Sei ein großes, selbstbewusstes Kind, das sich nicht klein kriegen lässt. Mit diesen Worten hatte sie ihr den beigfarbenen Schal um den Hals gewickelt und sie zur Haustür hinausbegleitet.

Natürlich, sie versuchte es doch. Aber das war nun mal nicht so leicht, wie es sich ihre Mutter vorstellte.
 

Seufzend ging Marina weiter, die behandschuhten Hände dabei in ihren Manteltaschen vergraben. Die etwas molligere, dafür recht kleine Schwarzhaarige mit der grünen Brille auf der Nase schob mit den Füßen etwas Schnee zur Seite. Die Wolken hingen tief über dem kleinen Dorf, in dem sie lebte und in dem ihre Schule stand. Ein Ausbruch aus dieser Welt war unmöglich und doch wünschte sich die Schülerin nichts anderes.

Einmal anders sein. Einmal kein Gelächter hinter ihrem Rücken hören. Einmal so sein, wie sie es sich wünschte, ohne Lästerei, ohne Angst und Traurigkeit.

Aber das konnte sie sich nicht leisten.

Trotzig reckte sie das Kinn und prompt fand ein mürrischer, aber auch verletzter Ausdruck in ihren Augen Platz. Sie würde es ihnen schon zeigen … Irgendwann würde sie sich von allen abheben und dann würde man sie für das bewundern, was sie war.

Vor sich hinträumend ging sie weiter.

Leiser Schnee rieselte auf sie hinab und bedeckte ihre schwarze Mähne mit einer weißen Glasur aus Puderschnee. Sie liebte den Winter über alles. In der Kälte konnte man einen freien Kopf bekommen und man vergaß für ein paar Minuten; Stunden, dass man in all dem Schneetreiben alleine war.
 

Die Schule erreichte Marina viel zu schnell und doch wie immer zu spät. Das Klingeln, welches zum Beginn der Stunde ertönte, ließ sie aus den Gedanken schrecken und wie vom Donner gerührt, eilte sie ins Gebäude, auf ihre Klasse zu.

Der Lehrer war noch nicht da, doch die ersten Sprüche fanden den Weg zu ihren kalten, rot angelaufenen Ohren. Wie immer versuchte sie, sie zu ignorieren, weswegen sie schweigend und mit leerem Blick auf ihren Platz zusteuerte. Heute befand sich kein blöder Scherz darauf und doch fühlte sie sich unwohl. Es kam ihr vor, als würde sie von allen angestarrt werden in diesem plötzlich viel zu engen Raum voller Leute, die sie nicht mochte. Oder die sie nicht mochten. Der Tag begann also wie immer. Verzweifelt darüber, ihren innerlichen Gefühlen keinen Ausdruck verleihen zu können und enttäuscht, dass niemand auch nur versuchte, die wahre Person in ihr zu sehen, übte sie sich daran, ihre Ohren vor beleidigenden Worten zu schützen und dem Unterricht zu folgen, der nach fünf endlos erscheinenden Minuten endlich anfangen konnte …
 

Als die erste große Pause begann, war der Himmel mausgrau und verhangen von dunklen Wolken. Der Schneefall war stärker geworden, sodass man schon fast von einem Schneesturm reden konnte. Dennoch machte sich Marina auf den Weg nach draußen.

Egal, wie sehr ihr die Zeit zwischen den Unterrichtsstunden schwer fiel, wenn sie in den Schnee gehen konnte, genoss sie die Zeit hier und sie konnte sich sicher sein, dass sie dann für andere Luft sein würde – was ihr wesentlich lieber war.

Schnell war ihr Haar nass und mehr weiß als schwarz. Lächelnd stand sie im Hof und sah anderen Kindern zu, wie sie sich mit Schneebällen bewarfen und laut schreiend und lachend umherliefen. Sie genossen die Zeit mit ihren Freunden, solange die Pause wahrte. Wieso konnte sie selbst das nicht haben?

Unglücklich verschränkte Marina die Arme vor der Brust und lehnte sich an einen Baum, der neben einem kleinen Unterdach stand.

Ihre Mutter hatte ihr gesagt, dass sie nicht immer so ein Gesicht machen sollte. Mit einem Lächeln auf den Lippen war das Leben viel leichter auszuhalten, aber was wusste sie denn schon? Sie bekam ja nicht mit, wie unglücklich die Schwarzhaarige war. Und Gehör konnte sie sich unter diesen Umständen auch nicht schaffen. Wahrscheinlich war sie einfach dazu verdammt, alleine zu sein. Damit konnte sie umgehen. Sie musste nur herausfinden, wie es am leichtesten war.
 

„Vorsicht!“ Die Stimme, die ihr anscheinend gerade eine Warnung aussprechen wollte, kam leider zu spät. Im nächsten Augenblick hatte Marina schon einen Schneeball im Gesicht. Ihre Brille, die ihr von der Nase rutschte, landete dabei im Schnee.

„Es tut mir Leid, hast du dir was getan?“

Wieder ertönte die Stimme, dieses Mal war sie näher. Doch Marinas schlechte Augen ließen ihr keine Möglichkeit, zu erspähen, wer sie denn da gerade abgeworfen hatte.

„Nein …“, murmelte sie deswegen und bückte sich in dem Versuch, ihre Brille wieder zu finden. Die Arbeit wurde ihr dabei jedoch abgenommen.

„Hier …“ Verlegen kratzte sich der Junge an der Wange und hielt der Schwarzhaarigen, die wieder aufgestanden war, die Brille hin. Dankend nahm sie sie an, doch stellte sie auch so fest, dass sie selbst mit dem besten Willen nicht mehr durch die nassen Gläser gucken konnte. „Hast du vielleicht …“ Sie beendete ihren Satz nicht, da hatte sie bereits ein Taschentuch vor der Nase.

Unweigerlich musste sie schmunzeln.

Die schüchterne Schülerin hatte bisher so gut wie keinen Kontakt mit Jungen gehabt und dass dieser hier sogar mitdachte und sie ohne Beendigung ihres Satzes verstand, überraschte und freute sie.

„Danke …“

Kurze Zeit später saß die saubere und wieder trockene Brille wieder auf der Nase des jungen Mädchens, das sich ihr Gegenüber nun mal etwas genauer ansah.

„Du bist doch aus meiner Parallelklasse … Joshua, oder?“, fragte sie nach und wunderte sich dabei über ihr sicheres Auftreten. Für gewöhnlich wäre sie jetzt rot angelaufen und redete nur noch Unsinn … Dieser etwas andere Umstand lag wohl noch am Schock, dass sie überhaupt von einem Jungen angesprochen worden war – wenn auch nicht ganz freiwillig.

Joshua nickte auf die Frage und grinste sie leicht an.

„Ich wollte dich nicht abwerfen … Marina?“ Als sie nickte, fuhr er fort, wenn auch etwas verlegender. „Dabei wollte ich dich mal auf die nettere Art und Weise ansprechen … Ich hab nämlich beobachtet, wie du immer von anderen nieder gemacht wirst. Aber die haben sowieso nichts im Kopf.“

Ihre Augen weiteten sich etwas. „Meinst … Meinst du das ernst?“ Wieso sollte er sich dafür interessieren, wie andere Leute über sie dachten?

Dennoch nickte er und ließ schließlich die Arme wieder hängen.

„’Türlich … Ich find dich übrigens nett.“ Er schmunzelte nun. „Kommst du mit? Wir wollen noch ein paar Schneebälle werfen, ehe wir von der Pausenaufsicht erwischt werden.“

Grinsend nahm er sich einfach ihre Hand und zog sie mit sich mit.

Marina, viel zu geschockt, als dass sie sich wehren oder etwas sagen konnte, ließ es geschehen. Und noch ehe sie sich versah, befand sie sich mitten im Kriegsgebiet von ein paar Jungen sowie Mädchen, die sich gegenseitig mit Schneebällen abwarfen.

Doch darauf achtete die Schwarzhaarige kaum, eher bedachte sie Joshua mit einem lächelnden Blick.

Dass er sie einfach so aufgenommen hatte, bedeutete ihr mehr als dass sie es in Worte fassen konnte.



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Kommentare zu dieser Fanfic (20)
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Von:  Misses-Law
2014-04-15T21:39:28+00:00 15.04.2014 23:39
Von den ganzes One-Shots die du geschrieben hast, ist das die beste. Sie ist total süß und ich freu mich für Marina, dass sie jemand akzeptiert wie sie ist. Ein hoch auf die Menschen, die noch wert auf Charakter legen :)
Von:  Kasa-chan
2009-01-20T13:18:01+00:00 20.01.2009 14:18
Es liest sich sehr flüssig, ist gut aufgebaut und regt die Fantasie an ;D eine schöne zweite Kurzgeschichte ^^
Das Ende find ich niedlich, wobei ich den letzten Satz irgendwie zweimal lesen musste, weil ich ihn zunächst nich kapiert habe o.o"""

Von:  Kasa-chan
2009-01-20T13:06:23+00:00 20.01.2009 14:06
Ich bin grad zufällig drauf gestoßen ^^ YUAL ist praktisch ;D
Also mir gefällt dein Schreibstil, aber ich muss Untergrundschnecke recht geben, irgendwie geht es am Ende schneller als zu Beginn. Das hättest du vielleicht noch ein bisschen ausführlicher machen können.
Ansonsten Hut ab eine wirklich gelungene Kurzgeschichte ^-^
*mal weiter lesen geht*
Von: abgemeldet
2009-01-19T12:03:07+00:00 19.01.2009 13:03
*__* die geschichte ist echt klasse..du hast einen tollen schriebstil udn einen super fluss hatte man beim lesen auch^^

nur weiter so, das machst du wirklich gut^^

die idee diese geschichten auf ein paar wörter zu setzten ist wirklich genial..ich glaube irgendwann mache ich das auch...früher habe ich das auch gemacht gehbat, aber das ist schon fast ein jahr her^^

so als übung ist das wirklich klasse..

diese geschichte ist eine art geschichte die ich sehhhhhr liebe..man erzählt etwas aus einem leben..und am ende zeigt sich dann das ware, was einem mensch durch den kopf geht..

ich meine zu zeigst in deiner geschichte wunderbar, wie verzweifelt kinder werden können, und das man ab und zu einem menschen dem man mag das auch mal sagen sollte, und nicht alles für selbstverständlich nehmen sollte was der andere macht.

wirklich wunderbar geschrieben.

wnen ich sowas önnte währ ich richtig stolz auf mich XDD

ich hab mir jeztt nur diese durchgelesen, da ich lila gesehen hatte XDD und das ist nunmal meine lieblingsfarbe XDD

vor allem gibt es so sleten geschichten mit lila regenjacken*die toll findet*

ich hoffe du verbesserst dich nohc, oder bleibst zumindestens auf diesem stand stehen, den der ist wunderbar..

super beschreibungen und tolles einbannen von gefühlen udn bildern..wirklich wundervoll..

selbst ich hab am ende ein paar tränchen vergossen...und glaub mir ..das schaffen nicht viele schreiber^^

mach weiter so auf jedenfall^^

ach udn wnen du wörter brauchst..ich schätze es gibt auf mexx ne menge leute die dir welche geben würden, wnen sie nur dien geschichte gelesen haben^^


daran soll es nicht mangeln;)
Von:  revyn
2009-01-10T16:40:29+00:00 10.01.2009 17:40
ein wort wow
du schreibst echt gute storys
einfach nur klasse geschrieben
*sich milkalina anschließt und eben falls tränen in den augen hat*

naja
LG revyn
Von:  Milkalina
2009-01-10T14:11:04+00:00 10.01.2009 15:11
wow, die geschichte hat mich wirklich gerührt ;.;
als ich am ende ankam, hatte ich tränen in den augen...
Von: abgemeldet
2009-01-07T19:15:12+00:00 07.01.2009 20:15
Ich muss sagen du hast einen echt tollen Schreibstil =) Mir gefällt die Geshcichte wirklich sehr sehr gut. Ich war total gespannt was passiert war und die Spannung hielt sich echt bis zum Ende. Ich hätte mit so ziemlich allem gerechnet nur nicht damit.^^ *daumen hoch* mach weiter so... *zu meinen favos pack* lg nii :)
Von:  RedSky
2009-01-07T12:34:39+00:00 07.01.2009 13:34
Wow. Dein Schreibstil ist wirklich verdammt überzeugend und sehr realistisch. Ich konnte mir jede Szene genau vorstellen, hatte jede Szene bildlich vor Augen. Die Atmosphäre und die aufgebaute Spannung hast du wirklich gekonnt rübergebracht, Respekt!
Von: abgemeldet
2009-01-04T20:31:50+00:00 04.01.2009 21:31
Sooo... auf zum Kommi-Gespamme :D

Woah, die Arme kann einem ja richtig leid tun mit diesem ständigen Rauf-und-runter... andererseits müsste es auch recht spannend sein, zu sehen welche "Typen" Mensch sich für welche Antiquitäten interessieren.
Das Ende fand ich süß, die Vase wird bei den beiden sicher noch gut aufgehoben sein...^^

Vom Stil her hab ich wieder absolut nichts zu meckern, Rechtschreibung war auch in Ordnung und was mich echt überrascht ist, dass mir keine Wiederholungsfehler aufgefallen sind... da bin ich sonst voll pingelig, aber bei dir hab ich NICHTS gefunden ;)

...ok, auf zur nächsten KG^^

PS: Frohes Neues =) das darf man doch am 4. immer noch schreiben oder?xD
Von: abgemeldet
2009-01-04T18:28:48+00:00 04.01.2009 19:28
Hey!
Ich hab deine Geschichten gerade über das YUAL-Dings gefunden und ich muss sagen, dass mir der erste Teil schon sehr gut gefallen hat :)

Die Um- und Beschreibungen, die du benutzt passen gut zusammen und lassen sich flüssig lesen... überhaupt muss ich dir Respekt aussprechen für diese Umsetzung... hat mich echt vom Hocker gehauen!

Hmmm... beim Ende der Kurzgeschichte bin ich etwas hin und her gerissen: Einerseits finde ich die Einbindung von "Termin" wirklich gelungen, aber andererseits geht mir das Ende irgendwie zu schnell... am Anfang hast du einzelen Handlungensstränge noch präziser beschrieben, gegen Ende hin wird das irgendwie... schneller? Keine Ahnung, wie ich das ausdrücken soll.

Naja, ich les mal weiter ;)


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