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Vampirdämon

Untergang der Schattenfürsten
von

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Prolog

Eloi ging die Gassen des Dorfes entlang. Beinahe melodisch hallten die Schreie und das Prasseln des Feuers in seinen Ohren wieder, gewürzt mit den hellen Klängen aufeinander treffenden Metalls. Seine Züge spiegelten tiefe Befriedigung, als er den steten Fortschritt seines Heeres begutachtete.

Zwei seiner engen Diener kamen herbei. Sie schleiften eine Frau mit sich. Nur widerwillig fragte der Heerführer nach. „Wer ist das? Warum tötet ihr sie nicht wie die anderen?“ So sehr er die Vorteile des Blutmondbannes schätzte, störte es ihn, dass auch seine eigenen Fähigkeiten in diesem Gebiet beeinträchtigt wurden. Nicht einmal mit Mühe gelang es ihm, die Gedanken der Diener oder der Frau zu erahnen.

Es war eine bildschöne Frau, doch das war es nicht, was ihn fesselte. Er betrachtete ihr Gesicht. Rabenschwarzes Haar rahmte grüne Augen, die vor Entschlossenheit glühten.

Weterek hob entschuldigend die Hand um sich und seinen Gefährten zu entschuldigen. „Dies ist Ailee, mein Herr, die Gefährtin von Shuheen dem Mondblick.“

Zorn packte Eloi, als er den Namen ihres Anführers vernahm, dem so genannten Fürsten der Vampirdämonen. Seine Klinge lag blitzschnell an dem Hals der Frau. „Ein Grund mehr ihr ein Ende zu machen, wie allen ihres Volkes.

Keine Sorge, Schätzchen, Shuheen erwartet dich schon in der nächsten Welt. Ich hab ihn persönlich dorthin befördert.“

Wut und Trauer rangen in ihren Zügen, doch das Feuer der Entschlossenheit brannte noch immer in den Augen der Vampirdämonin. Wäre dieser Ort nicht vom Blutmondbann umschlossen, wäre sie wohl eine mächtige Gegnerin gewesen. Die Klugheit strahlte durch ihre Augen hindurch. Sie war eine Gewandte. Keine der Art Dämon, deren Fähigkeiten sich vor allem in Kraftausbrüchen abzeichneten. Und sie schwieg, während sie ihn immer wider mit diesen analysierenden Augen musterte. Mit eiskaltem Blick holte er aus.

„Herr, sie verbirgt jemanden.“

Eloi hielt mitten in der Bewegung inne. Er betrachtete sie nun genauer, als eine Ahnung die Worte seines Dieners vorwegnahm. Zeichen eines Kampfes zeichneten einen muskulösen, doch sehr femininen Körper. Blut und Schlamm verkrusteten die sonnengebräunte Haut. Völlig verrutscht saß in ihrem zerzausten Haar noch immer das Priesterdiadem ihres Kultes.

Sie war die Verkörperung eines Vampirdämonen. Krieger und Priester, die sich stets aus fremden Angelegenheiten heraushielten und in Abgeschiedenheit von der Welt lebten, um ihren merkwürdigen Kult der Gewaltlosigkeit zu praktizieren. Ein Leben, das nicht nur Ironie sondern auch Lüge war.

„Dieser Bastard von einem Vampirdämonen hat ein Kind?“, platze es aus ihm heraus.

Ihre Wimpern zuckten leicht, doch ihre Augen blieben entschlossen. Ihr Körper wählte eine Verteidigungshaltung.

„Wir hörten eine Andere, wie sie Ailee zurief, sie solle lieber Shuheens Sohn von hier wegschaffen. Wir habe versucht, es aus ihr herauszuquetschen, wo sie ihn versteckt, aber sie weigert sich, Herr.“

Ein Lächeln stahl sich auf Elois Züge, kalt wie Eis. „Lasst sie los“.

Die beiden Diener taten ohne Zögern wie ihnen geheißen. Ailee richtete sich auf und schenkte dem Heerführer einen Hasserfüllten Blick.

„Geht und beendet euere Aufgabe. Keine Überlebenden.

Los!“. Er packte die Frau am Oberarm und zwang sie, mit ihm die Stufen des Tempels zu erklimmen. Ailee vermied es augenscheinlich, die Leichen näher zu betrachten, die den Weg säumten und deren Blut einen roten Teppich über die sandfarbenen Stufen breitete. Noch immer schwieg sie. Das Schweigen schien ihr Kraft zu geben. Oben angekommen drehten sie sich um und sahen in das Chaos aus Feuer und Schreien hinab.

„Wende den Blick nicht ab, Mädchen. Sieh hin. Das ist das Ende deines Volkes und das weißt du.

Wie dumm von euch, euch alle an einem Ort zusammen zu rotten und euere Anzahl begrenzt zu halten. Ihr habt dies seit langem herausgefordert.“

Noch immer schien sie fest entschlossen, keinen Laut von sich zu geben, auch wenn ihr Körper bebte und ihre Augen sich mit widerwilligen Tränen füllten.

„Du hast Recht, die Tränen zurückzuhalten. Schließlich sterbt ihr alle den Märtyrertod, nicht wahr? In einigen Minuten werdet ihr die letzten sein. Du und dein Sohn.

Sieh hin. Nichts bleibt übrig. Wir werden alles zu Asche brennen, der Regen wird euer Blut tief in die Erde spülen und ihr werdet vergessen werden. Euere Zeit ist längst gekommen.

Weshalb willst du ihn schützen? Damit er in dieser Welt weiterleben kann, als letzter seiner Art? Ein Leben in seelischen Qualen, unendlichen Fragen und Schmerz. Wahnsinn, der ihn nach und nach verzehrt? Willst du das wirklich für ihn?

Sag mir, wie ist er so, Shuheens Erbe?“

Eine Weile regte sie sich nicht, während sie gegen den Schmerz und die Verzweiflung rang, dann füllten ihre Augen sich nach und nach mit Kälte. Sie trat einen Schritt vor, an seine Seite und blickte in die Ferne, wo die Morgenröte ein erstes Licht über die Welt breitete.

Als sie sprach, konnte er die sanfte Lieblichkeit ihrer Stimme durch den kehligen Unterton des Schmerzes hindurch noch hören, ihre Stimme strotzte von Überzeugung.

„Es ist ganz der Vampirdämon, den die Welt braucht. Noch ist er ein Kind, doch schon mit seinen fünf Jahren bringt er unglaubliches zustande.

Du wirst ihn erkennen, wenn er dir einst auf einem Schlachtfeld gegenübersteht. Für dich wird es kein Entkommen geben.“

Er lachte auf. „Das entspricht aber nicht den weisen Wegen deiner Religion!“

„Er wird nicht mit ihr aufwachsen, sondern mit euerer Maßlosigkeit. Und dann werdet ihr alle das erleben, was ihr seit Jahrtausenden von unserem Volk fürchtet. Wir Vampirdämonen waren euch einfachen Dämonen als Rasse immer überlegen. Unsere Religion fußt in diesem Wissen und in der Verantwortung, die diese Überlegenheit mit sich bringt.

Unser Junge kennt das Geheimnis bereits, zumindest den Teil des Geheimnisses, der erhalten geblieben ist. Ihr Dämonen werdet diese Welt nie verstehen, die ihr stets nur zu beherrschen sucht. Und das ist die Rache für euere heutige Tat.“ Inzwischen waren die Schreie verklungen und erste goldene Sonnenstrahlen erhellten Ailees Gesicht.

„Wenn die Welt auseinander bricht, werdet ihr den Grund nicht kennen. Ihr werdet es nicht aufhalten können. Ich wüsste zu gerne, wie der Junge sich entscheiden wird. Wird er diese Welt retten oder ihr Ende sogar noch beschleunigen?“

Eloi verlor die Geduld. Er packte sie an der Schulter und schüttelte sie durch. „Wo versteckst du ihn? Wir werden ihn sowieso finden!“

Als sie wieder schwieg, geriet er in Rage und ehe er sich versah, durchbohrte die Klinge bereits ihr Herz. Dieses Metall würde die Heilung selbst unterbinden, wenn sie gerade Zugang zur Magie hätte. So hatte sie keine Chance. Er hatte überreagiert. „WO IST DAS BALG?“, blaffte er sie an, während sie, beide Hände auf die Brust gepresst zu röcheln begann. Eine leichte Hitzewelle schlug ihm entgegen und er begriff erst, als die Wolken sich teilten und helles Sonnenlicht den Tempel erstrahlen ließ. Der Mondblutbann hatte geendet. Ailees Augen waren geschlossen, doch sie atmete noch immer. Hatte sie gehofft, ihn noch lange genug hinhalten zu können? Nun, es hatte ihr nichts genutzt.

„Ihr werdet ihn finden. Aber das wird euch rein gar nichts nutzen“, sprach Ailees Stimme in seinem Geist. Eloi zuckte zusammen und rammte wütend sein Schwert noch einige Male in ihren Körper. Langsam erstarb jede Bewegung der Frau, ohne dass sie ihr Geheimnis verraten hatte.

Die Begegnung

Die Dämmerung brach über die Stadt herein und kühler Wind war ihr unaufhaltsamer Begleiter.

Mireylle fröstelte und beschleunigte ihren Schritt. In der Nacht fiel es ihr viel schwerer, die Schatten aus ihrem Geist auszusperren. Sie zog mechanisch ihren dünnen Mantel enger, um wenigstens einen Teil der Wärme einzufangen. Ihr Blick löste sich nur widerwillig von dem Schatten eines Geschöpfes, das langsam ihren Weg kreuzte und in einer Mauer verschwand. Es gehörte ganz offensichtlich nicht in ihre empirisch erforschte Welt und doch konnte sie es eindeutig sehen. Sie sah ein lebendes Wesen mit einer Aura, die einem Kraftstrom gleich den schwer erkennbaren Körper des Wesens umwaberte. Und doch war sie sich dessen nicht gewiss. Seit ihrer Kindheit nahm sie derartige Wesen wahr und noch nie war es ihr gelungen, eines von ihnen zu berühren oder anzusprechen.

Undeutlich klangen der Spott ihrer Altersgenossen und die mit Abscheu erfüllte Stimme ihrer Mutter bei dem Gedanken an eine Parallelwelt in Mireylle nach und der Teil ihres Verstandes, der für den Selbstschutz zuständig war, hielt sie an, sich abzuwenden und das gesehene zu verdrängen. Vielleicht war sie ja wirklich verrückt, so wie alle es ihr gesagt haben.

Alles in ihr begann zu schreien, als sie einen Moment zu lange verharrte. Der ängstliche Aufschrei einer gepeinigten Seele. Die Ungewissheit zerriss sie innerlich, umso mehr, da der schwache Nachgeschmack eines endzeitlich- bedrohlichen Schattens auf solche Begegnungen folgte. Und wider ihren Willen geriet sie erneut in Sorge um eine Welt, an die nur ein verwirrter Funken Hoffnung in ihr glaubte. Eine namenlose Angst um eine schwindende Welt. Eine Welt, die sie nicht kannte.

Plötzlich lief Mireylle los. Sie wollte so schnell wie möglich von hier verschwinden. Hier begann sie wieder sich Gedanken zu machen. Auf dem gepflasterten Weg hallten ihre einsamen Schritte ihr weit voraus und ihr rascher Atem klang im Rauschen des Windes nach. Mireylles einziger Wunsch war es, dem Zweifel zu entkommen.

Der Mond stand schon grell am Himmel, als Mireylle innehielt, um sich zu orientieren. Augenblicklich fragte sie sich, was sie in diese Gegend getrieben hatte. Ihrer guten Nachtsicht dankend entschied sie sich, die einst so vertrauten Straßen nach Hause zu nehmen. Nun schlenderte Mireylle gemächlich den Weg entlang. Zwar sah sie in der Nacht häufiger seltsame Schattengeschöpfe, doch andererseits beruhigte die Einsamkeit, die die Dunkelheit ihr bot.

Der Wind erfasste eine Strähne ihres Haares und ließ die rubinrote Farbe im Licht der entfernten Laterne silbrig schimmern. Möglicherweise sollte sie die Färbung erneuern. Ihre Mutter hasste die weiß-silbrige Haarfarbe, mit der Mireylle zur Welt gekommen war, und so fühlte sie sich noch heute, da sie allein lebte, mit ihrer natürlichen Färbung unwohl. Zudem bildete Rot einen faszinierenden Kontrast zum hellblau-türkisen Ton ihrer Augen. Mireylles feminine Eitelkeit war trotz der Ablehnung, mit der man ihr seit jeher in der Gesellschaft begegnete, ein wichtiger Teil ihrer Persönlichkeit.

Plötzlich spürte Mireylle eine Woge der Dunkelheit erschreckend nahe an sich vorbeiziehen. Sie erstarrte in ihrer Bewegung und wartete angespannt auf das Ende der Empfindung. Schlagartig wurden ihre Hände eiskalt. Mit einem Mal erschien der Wind ihr viel kälter und die Dunkelheit manifestierte sich in den Ecken ihres Bewusstseins. Ängstlich stolperte sie rückwärts und bemühte sich, die Finsternis hinweg zu blinzeln, die immer dichter wurde und langsam Gestalt annahm.

Gebannt starrte sie die Stelle an und erkannte darin zwei wirbelnde Gestalten, die sich einen hitzigen Kampf lieferten. Obwohl beide menschliche Züge aufwiesen, empfand Mireylle ihr ständig in Rauch und Dunkelheit zerfallendes Erscheinungsbild als fremdartig.

Es dauerte nur einige Momente, in denen Mireylle sich nicht vom Anblick der beiden Wesen lösen konnte, bis eines der Wesen einen entscheidenden Schlag ausführte und das Andere in Schatten zerfallend verschwand.

Der Sieger hatte innegehalten und starrte von Mireylle abgewandt in die Ferne. Das Mädchen schien er gar nicht zu bemerken. Mireylle hatte nun Zeit zu erkennen, welche seiner Wesenszüge ihr befremdlich erschienen.

Nicht sein hüftlanges, schwarzes Haar, sondern die spitz zulaufenden Ohren und seine schlanke, aber muskulös wirkende Gestalt, die vom Hals ab vollkommen in Schwarz gehüllt war. An der einen Hand hatte er die Krallen noch ausgefahren. Bedrohliche, rasiermesserscharf glitzernde Mordinstrumente, von denen schwarzes Blut tropfte.

Mit einem plötzlichen Ruck drehte sich die Gestalt zu ihr um und starrte sie durchdringend aus scharfen Augen mit schlitzartigen Pupillen an. Erst jetzt realisierte Mireylle, dass sie laut und stoßweise atmete. Ihr Gegenüber kippte den Kopf leicht zur Seite und betrachtete das gerade mal 1,53 Meter große Mädchen jetzt geradezu neugierig aus der zwei Köpfe höheren Position. Die Pupillen weiteten sich dabei ein wenig und nun bemerkte Mireylle auch die intensive Aura des verschlagen und gefährlich wirkenden Mannes. Doch ihre Neugier war stärker als ihre Angst und so nahm sie all ihren Mut zusammen und hob leicht die Hand als Zeichen der Begrüßung.

Ihr Gegenüber hob eine Augenbraue, verharrte einen Moment, und ging dann, sie mit einem nahezu hypnotischen Blick fesselnd, in raschen Schritten auf sie zu.

„Ich bin erfreut, Eure Bekanntschaft machen zu dürfen, Lady.“ Mit diesen Worten ergriff er Mireylles Hand, kniete sich leicht hin und gab ihr einen Handkuss. Verwirrt stolperte Mireylle einen Schritt zurück.

„Ihr braucht mich nicht zu fürchten, Lady. Mein Name ist Remon Shahaan, zu Ihren Diensten.“ Er verbeugte sich leicht. Sein furcht einflößendes Äußeres wollte so gar nicht zu dieser freundlich-höflichen Art passen. Mireylle riss sich zusammen, nur um etwas zu schnell „Ich fürchte Euch nicht“ zu antworten. Er lächelte einnehmend und zog dabei spöttisch eine Augenbraue hoch. „Wirklich? Ich bin ein Lord der Vampirdämonen, Lady. Dieser Tatbestand pflegt für gewöhnlich, eine gewisse Angst zu verursachen.“ Entsetzt starrte Mireylle ihn an. Doch alleine, dass er mir ihr redete, versetzte ihre Seele mit einer ungeheueren Ruhe und Sicherheit, einer Sicherheit, auf die sie 18 Jahre gewartet hatte.

Mit einem Mal ließ der Gedanke daran, was ein Vampirdämon wohl mit ihr vorhatte, ihr beinahe das Blut gefrieren. Dieser Blick! Dieser fesselnde, durchdringende Blick, der ihr kaum zu Blinzeln erlaubte. Plötzlich hatte sie das Gefühl, nicht nur schutzlos, sondern auch splitternackt vor ihm da zu stehen. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck und Blut schoss ihr heiß ins Gesicht. Unwillkürlich hoben sich ihre Arme, um die Brust zu verbergen.

Ein Flackern ging durch die Augen des Dämons und Mireylle spürte tiefe Erregung in sich aufblitzen. Er lächelte wieder, nur um einiges breiter. Er hatte sie unter seiner Kontrolle. Um seinen Triumph zu demonstrieren, zog er ihr Kinn mit einer Hand zu sich und näherte sich ihrem Mund. Mit einem inneren Aufschrei von Wut und Angst schaffte Mireylle es, eine Träne hervor zu pressen. Schlagartig stockte der Dämon in seiner Bewegung und ließ sie los. Erneut kniete er sich halb hin und senkte dabei den Blick. Alle Macht, die er auf sie ausgeübt hatte, hörte mit dem Verlust des Blickkontaktes auf, zu wirken.

„Verzeiht mir, Mylady. Ein Laster der Vampirdämonen. Ich bitte Euch um Vergebung.“

Es war eine klare Machtdemonstration gewesen und Mireylle wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Den Blick starr auf den schwarzen Schopf gerichtet, fragte sie sich abermals, was das Ganze zu bedeuten hatte. „Was wollt Ihr von mir, Lord?“, brachte sie nun endlich hervor.

Er richtete sich auf und betrachtete sie charmant von oben. „Es ist Neugier, Mylady. Ihr habt eine ungewöhnliche Gabe. Sie muss euch bisher sehr verwirrt haben, oder?“ Er beobachtete ihr Gesicht, während der innere Wahnsinn der letzten 15 Jahre sich vor ihrem geistigen Auge abzeichnete. „Mein Wissensdurst lässt mich verharren. Ich bitte Euch um Freundschaft und biete Euch als Freundschaftsbeweis meine Hilfe an. Mit anderen Worten: Ihr dürft nach mir rufen, ich erfülle euch jeden Wunsch, welcher Art er auch sein mag.“

Mireylles Herz machte einen Satz. Endlich hatte sie die Möglichkeit, etwas über diese Parallelwelt zu erfahren. Über die Bedeutung ihrer Visionen. „Ich nehme das gerne an, Lord“, antwortete sie mit sicherer Stimme.

Er lächelte wieder atemberaubend. „Sehr gut. Es ist mir eine Freude. Für Euch übrigens einfach Shahaan, Mylady.“ Er legte eine Hand auf die Brust und verbeugte sich leicht. „Ich habe jetzt leider nur wenig Zeit. Aber Ihr könnt mich jederzeit rufen. Ich werde so schnell kommen, wie es geht. Ich empfehle mich.“

Er verbeugte sich noch ein Mal und Mireylle schaffte gerade noch „Ich heiße Mireylle“ einzuwerfen, ehe er sich in Dunkelheit auflöste und verschwand.
 

Mireylle hatte nicht geahnt, dass sie sich schon so bald dazu durchringen würde, jemand so unberechenbares zu sich zu rufen. Doch auf ihrem Heimweg passierte etwas, was ihr schon seit langem nicht passiert war.

Sie spürte sie, noch ehe sie da waren. Wie fauler Gestank breitete sich ihre Aura der Arroganz und selbstgerechter Schadenfreude in der engen, dunklen Gasse aus. Mireylle erkannte sie sofort. Es war die Bande eines ehemaligen Mitschülers von Mireylle, Simon Alterd, der sich besonders gerne über Mireylle lustig gemacht hatte. Die vier Jungs hatten ihr schon oft aufgelauert um sie zu schikanieren.

Wie früher schon kam Simon provokant auf sie zu: „Na, wen haben wir denn da? Die Durchgeknallte, die meint, sich als was Besonderes aufspielen zu müssen. Wo geht’s hin, zu so später Stunde?“, ein böswilliges Grinsen durchzog sein ausgemergeltes Gesicht, als er sich vor ihr aufbaute. „Hast vielleicht ein paar Tiere für ein kleines Opferritual gesucht, du Geistesgestörte?“ Ohne, dass er ihnen einen Wink zu geben brauchte, blockierten die anderen die Gasse. Ungutes ahnend versuchte sie sich zu retten, indem sie sich unerschrocken an Simon vorbei drückte.

„Das lässt du mal schön bleiben, Zwerg!“ Mit einem Mal packte er sie grob am Oberarm und schleuderte sie gegen die Mauer links vom Weg. „Wir sind noch nicht fertig“.

Mireylle spürte, wie eine Träne heiß über ihre Wange lief, doch sie gab keinen Ton von sich. Mit dem Hinterkopf war sie auf etwas Hervorstehendes gestoßen und nun rannte unverkennbar ein dünnes Rinnsal Blut über ihren Nacken. Ihr Schädel dröhnte. Als die vier Bedroher einen weiten Halbkreis um sie gebildet hatten, wuchs ihre Angst noch an. Was hatten sie vor? Ob sie sie diesmal totschlagen wollten? Was hatte sie ihnen je getan? Sie hasste die Menschen dafür, dass sie ihren Frust brutal an anderen ausließen.

Simon trat wieder einen Schritt auf sie zu. „Was ist jetzt? Haste Schiss bekommen? Solltest du auch.“

In einem impulsiven Anflug von Verzweiflung brachte sie ungewollt „Shahaan!“ hervor. Die hasserfüllten Reaktionen der Bande beobachtend betete sie innerlich, er würde tatsächlich kommen.

Nur wenige Augenblicke später erschien er tatsächlich. Mit einem Mal hockte er schief grinsend neben ihr an der Mauer und beobachtete das Spiel des irrationalen Hasses auf Simons Gesicht. „Soll ich sie für Euch erledigen, Lady? Es wäre ein Leichtes.“

Vor Schrecken atmete Mireylle zischend ein. „Nein, Shahaan, lasst sie.“

Belustigt hob dieser eine Braue, als Simon schon ruckartig den Arm ausstreckte, um Mireylle zu schlagen. „Bis auf uns ist keiner hier!!!“ Noch ehe er fertig ausgeholt hatte, stand Shahaan schon vor ihm und hielt seinen Arm fest umklammert. Vor Überraschung schrie Simon auf, seine Augen weiteten sich in Angst.

„Da wäre ich mir nicht so sicher“, stellte Shahaan in ruhigem, bedrohlichem Ton fest. Simon schrie jetzt wie am Spieß und versuchte sich los zu winden, doch Shahaans Griff war stählern und zerdrückte langsam, aber sicher den Unterarm. Simons Leute flohen, ohne zurück zu blicken.

Schlagartig sprang Mireylle auf und fasste Shahaan am Arm. „Nein, bitte!!! Lasst ihn laufen. Er hat seinen Schrecken weg!!!“ Dabei zerrte sie unsicher an dem Griff.

Shahaans Gesicht war einen Moment lang unergründlich, ehe er losließ und wieder leichte Belustigung zur Schau stellte. Simon war innerhalb kürzester Zeit außer Sichtweite. „Das ist großmütig, aber nicht besonders klug von Euch. Er kommt mit Sicherheit wieder.“

„Ich denke nicht. Er wird fürchten, dass Ihr mir zur Hilfe kommt.“

„Vielleicht…“. Sein Blick war immer noch starr in die Richtung gerichtet, in die Simon geflohen war, ganz so, als könnte er ihn noch sehen. „Ihr blutet, Mylady Mireylle“

Mireylle tastete ihren Hinterkopf mit den Fingerspitzen ab. Die Wunde war nicht besonders groß. Mit einem Mal wurde ihr klar, dass sie neben einem Blutsauger stand, und ein Schauer überlief sie. Ob Blut ihn um den Verstand brachte, wie die Geschichten es erzählten?

Ohne sie an zu blicken, reichte er ihr ein schwarzes Taschentuch. „Wischt es bitte ab“.
 

Mit ausdauernder Beharrlichkeit verschloss Mireylle sämtliche Sicherheitsschlösser und Riegel ihrer Tür, bevor sie Ihren Rucksack achtlos in eine Ecke des engen Flurs fallen ließ und in den Wohnraum ihres Appartements schlenderte, um sich auf die Schlafcoach zu werfen.

Mireylle war klar, wie früh sie am nächsten morgen aus dem Haus musste, doch sie konnte nicht aufhören, über ihre geheimnisvolle Begegnung mit einem Lord der Vampirdämonen nachzudenken, was immer Vampirdämonen sein mochten.

Beim zweiten Mal hatte er sie bis vor die Haustür begleitet, war stumm neben ihr her gegangen mit Schritten, die keine Geräusche verursachten. Auch das Flattern seines Umhangs ließ kein leises Knistern verlauten. Mireylle hatte sich gefragt, inwiefern er Teil ihrer Welt war, ob er es nicht für nötig hielt, sich so weit in ihrer Wirklichkeit zu materialisieren, dass er auch Geräusche erzeugte. Neben dem Haus war er stehen geblieben und hatte den Bruchteil einer Sekunde innegehalten, den Blick fest auf das Haus gerichtet. Mireylle hatte die leichte Schwingung in der Luft gespürt, die er in diesem Moment ausgesandt hatte. Ohne einen Ton hatte Shahaan sich daraufhin verbeugt und war in Schatten zerfallen.

Ruhelos wälzte Mireylle sich hin und her, sich mit jeder Sekunde weniger sicher, ob es wirklich geschehen war. Ein beharrlicher Teil ihres Wesens versuchte immer energischer, ihr ein zu reden, es wäre nur Einbildung gewesen, ein weiteres Hirngespinst einer Wahnsinnigen. Und der letzte Funke von Hoffnung schrie in ihr, schrie auf vor Schmerzen. Mireylle schützte ihn vor den Angriffen des so genannten klaren Menschenverstandes, barg ihn sicher umhüllt tief in ihrer Seele, sich vollkommen bewusst, dass dieser Funke des Hoffens ihren Geist in Verzweiflung ertränkte.
 

Als Mireylle am nächsten Morgen aus unruhigem Schlaf erwachte, fühlte sie sich völlig zerschlagen. Doch wie jeden Morgen war sie der Sklave ihres Weckers, erhob sich unterwürfig und schlich langsam ins Bad, um die Tiefe ihrer Augenringe zu bewundern. Entgegen ihren Hoffnungen hatte sich nichts verändert. Sie war nicht mit einem Gefühl der Sicherheit aufgewacht. Sie hatte eher begonnen, an ihrem Verstand zu zweifeln.

Nur halbherzig schmierte sie sich ein Brot für die Mittagspause. Vielleicht würde sie ja noch Hunger kriegen. Augenblicklich schien ihr Magen beschlossen zu haben, sich bei dem bloßen Gedanken an Essen umzudrehen, reagierte so empfindlich wie immer auf ihren emotionalen Zustand.

In der Straßenbahn versuchte Mireylle jeglichen Gedanken aus zu blenden und all ihre Wahrnehmung in einem inneren Rauschen zu ersticken. Hoffnung war so verdammt hartnäckig. Sie merkte kaum, wie ihre Füße sie den bekannten Weg zur Arbeit trugen und brauchte auch eine ganze Weile, um die rundliche Frau mittleren Alters vor sich als ihre Chefin zu erkennen. Nur langsam realisierte sie, wie die typischen Züge einer aufgeschlossenen Frohnatur sich bei ihrem Anblick zu müder Resignation verzogen. Einen Augenblick beobachtete Mireylle, wie in ihrer Aura Mitleid und Ärger sich einen Kampf lieferten, nur um einer Depression zu weichen, die nicht so recht zu dem freudigen, unbekümmerten Wesen der Älteren passen wollte. Ein Gedanke an die Ungerechtigkeit der Welt, der sich vor langer Zeit in einem entfernten Winkel ihrer Persönlichkeit eingenistet hatte und in der vagen Hoffnung, es möge nur eine Laune sein, energisch von Lebensfreude übertüncht wurde.

Wie schon so oft in einer solchen Situation, zwirbelte Margaret Barchle einige Sekunden lang an einer ihrer brünetten Locken, bevor sie zu dem Entschluss kam, Verdrängung sei auch für Mireylle die beste Lösung aller Probleme. Schließlich kannte sie das Mädchen schon seit zwei Jahren und war daher überzeugt, gegen diese Art von Unsicherheit, sie betrachtete die Flucht in eine eingebildete Parallelwelt als Zeichen der Unsicherheit, half nur Verdrängung und gute Laune. Entschlossen, das Selbstvertrauen des Mädchens zu stärken, reichte sie ihr nach einem herzlichen „Guten Morgen“ die Schlüssel zum Blumenladen und deutete an, kurz noch etwas besorgen zu müssen.

Gehorsam reagierte Mireylle auf den stummen Befehl, straffte die Schultern, deutete ein augenblicklich wieder verschwindendes Lächeln an und machte sich daran, den Laden zu öffnen. Die freundliche Behandlung, ein stummer, aufrichtiger Versuch Trost zu spenden, wirkte auch bei ihr immer wieder Wunder. Ehrlich bemüht, sich auf das Wesentliche, momentan ihre Arbeit, zu konzentrieren, begann sie Eimer mit Wasser für die frische Ladung Schnittblumen vor zu bereiten. Dabei umging sie bewusst die Stelle, an der sie aus irgendeinem Grund ständig über einen nicht vorhandenen Stein stolperte.

In den Wogen der Ereignisse

Mireylle brachte die nächsten paar Tage ereignislos hinter sich. Im Laden versuchte sie ihrer Chefin zuliebe nicht unglücklich oder verunsichert auszusehen und mit der Zeit fühlte sie sich auch tatsächlich besser. Die Alltäglichkeit ihrer Arbeit brachte sie zurück zu dem schon so gewohnten Zustand geistiger Akzeptanz, einer Akzeptanz, die nicht hinterfragte. In einer gewissen Art und Weise war dies ein betrüblicher Gedanke, doch er war ebenso leicht zu verdrängen, wie all die anderen. Sie fand sich erneut mit der Unsicherheit ab und vielleicht war es besser so, denn es erleichterte das Leben ungemein, sich nicht ständig von den eigenen Ängsten zerfressen zu lassen. Trotzdem mied Mireylle auf dem Heimweg die Straße, an der Simons Bande sie überfallen hatte. Die Kopfschmerzen, die sie an den folgenden Tagen geplagt hatten, begannen gerade erst wieder nach zu lassen. Natürlich gab es eine gewisse Versuchung, wieder in Gefahr zu geraten, um Shahaan herbeirufen zu können, doch eigentlich wollte sie nicht riskieren, hilflos dazustehen.
 

Der Wind wogte durch die goldenen Ähren eines Weizenfeldes, erfüllte das Land rundherum sanft mit Leben und verlieh ihm im warmen Schein der Sonne eine harmonische Atmosphäre. Ein dünner Trampelpfad zeichnete sich im Korn ab und führte zu einer größeren Stelle, an der sich Mireylle mit einer Decke und einem Rucksack im Weizen ausgebreitet hatte. Mit geschlossenen Augen lauschte sie dem Wind und atmete die vielen Gerüche tief ein. Sie liebte die Natur, weil ihr Frieden sie ansteckte und ihre Schönheit sie berauschte. Zudem meinte sie, eine Art Schein, ähnlich der menschlichen Aura, um die Pflanzen zu sehen und diese Art der Lebensenergie fand sie faszinierend. An Sonntagen ging sie gern hinaus in die Natur, auch wenn die Fahrt an schöne Plätze wie diesen länger dauerte.

Langsam drehte Mireylle sich auf den Rücken und strich eine Strähne beiseite, die sie kitzelte.

Als sie endlich die Augen öffnete, zuckte sie zusammen. Ihr Gegenüber stach in der friedlich hellen Landschaft hervor, in seiner schwarzen Ganzkörperkluft wie ein Vorbote der Dunkelheit anmutend. Das Wort „Dämon“ war vermutlich durchaus nicht unangebracht.

Mireylle setzte sich auf und blinzelte einige Male gegen die Sonne, gab ihm Zeit, etwas zu sagen, eine Erklärung zu formulieren, doch er schwieg. Nur ungenau konnte sie die Konturen seines Gesichtes ausmachen, doch sie kam zu dem Schluss, er würde über das Weizenmeer in die Ferne blicken. Als sie sich vollends erhob, zuckte keine Faser seines Seins, doch die Sicherheit, in irgendeiner Art und Weise genau beobachtet zu werden, ließ sie nicht los. Erst jetzt bemerkte sie erneut, wie unberührt seine Erscheinung von den äußeren Einflüssen blieb. Der Wind vermochte sein Haar nicht zu berühren und auch das Licht war unfähig, Schatten ins Schwarz seiner Kleidung zu bringen, die so dunkel war, als könnte sie auch das letzte Fünkchen Helligkeit dieser Welt einsaugen.

Eine ganze Weile standen sie so da, wortlose Schemen in einem wogenden Meer aus Gold. Mireylle wagte es nicht zu sprechen, besonders, da sie eine seltsame Anspannung in der Luft zu spüren begann. Es war ihr ein Rätsel, was er hier wollte und wohin er seinen Blick so konzentriert richtete. Die gesamte Situation schien kompliziert und irgendwie surreal. Ihre Scheu ablegend begann sie, sein Gesicht zu mustern, sich alle Züge einbrennend, forschend, ob sich irgendeine Regung in ihnen zeigte.

Während sie krampfhaft versuchte, ihr wild klopfendes Herz zu beruhigen, entschloss sie sich, zu handeln. Eine starke Böe fegte über das Land und beugte die leuchtenden Gräser. In die plötzliche Stille hinein erhob Mireylle ihre Stimme: „Shahaan“. Überrascht beobachtete sie, wie die Pupillen des Vampirdämons sich beinahe unmerklich verengten, als hätte sie ihn aus seinen Gedanken geschreckt. Sein Kopf drehte sich langsam zu ihr und die Andeutung eines Lächelns zeichnete sein Gesicht. „Mylady Mireille. Mögen die Schatten Euch an diesem jungen Tag umgehen.“ Mireylles Gedanken hielten einen Augenblick erstaunt inne. Trotz der fortgeschrittenen Mittagszeit bezeichnete er den Tag als jung und sie spürte die tiefere Bedeutung hinter diesem unscheinbaren Wort, die den bisherigen Tag als ereignislos, die folgende Tageszeit aber als reich an Hindernissen und Schwierigkeiten klassifizierte. Was mochte er nur vorhaben? Sie sah in die tiefe Aufmerksamkeit seiner Augen und schauderte bei der Vorstellung, er hätte den Sekundenbruchteil des Schweigens genutzt, um ihre Gedanken zu lesen.

Das Lächeln des Vampirdämons erschien ihr eine Winzigkeit breiter, doch sie konnte nicht sagen, ob sie es sich nur einbildete, als er weiter sprach. „Ich komme zu Euch, um Eure Zweifel zu zerstreuen und Euch Euere Unsicherheit zu nehmen, die Ihr gewiss empfindet. Schließlich nehmt Ihr eine Welt wahr, deren Existenz in der Eueren nicht nur bezweifelt, sondern von wissenschaftlicher Seite strikt abgelehnt wird. Ich kann Euch sicherlich nicht vorenthalten, dass ein Großteil dieser Euch fremden Welt auf völlig anderen Gesetzmäßigkeiten basiert, insbesondere für jemanden wie Euch, der zwischen den Welten wandeln kann.“

Mireylles Herz machte einen Satz. Ihr wurde heiß und kalt, während sie dem scheinbar lauten Nachklang seines Pochens lauschte. Sie sollte den Zutritt zu einer fremden Welt haben! Die Sehnsucht, eine solche Welt zu entdecken, erwachte im Grunde ihres Seins und übertönte die bedrückenden Erinnerungen an Jahre der Selbstzweifel mit Leichtigkeit.

Voller Hoffnung blickte sie auf und ins Gesicht des Vampirdämons, um ruckartig und panisch zurück zu weichen. In seinen geweiteten Augen sah sie den Schatten eines inneren Kampfes. Obwohl nach außen scheinbar regungslos, war seine Aura gänzlich in Bewegung, tobte wie ein Sturm um die Silhouette seiner Gestalt und vermochte sogar, den blassen Schimmer einer inneren Anstrengung auf sein Gesicht zu bannen. Erneut wurde ihr unangenehm bewusst, was das Wort „Vampir“ bedeutete und nur zu gut spürte sie das unbezähmbare Pulsieren des Blutes in ihren Adern. Von ihrer wachsenden Angst angetrieben, entfernte sie sich erst langsam, dann in einer kopflosen Flucht von der regungslosen schwarzen Gestalt.

Überstürzt rannte Mireylle davon, immer weiter, und ohne über ihr Ziel nach zu denken. Nicht nur einmal stolperte sie über Halme, die sich um ihre Knöchel wanden und zu Boden rissen, doch immer wieder trieben ihre Instinkte sie an, sich auf zu richten und weiter zu hasten. Erst nachdem sie das Feld verlassen hatte, begann sie sich Gedanken zu machen, wohin sie laufen sollte und sie blieb abrupt stehen. Ihr ging auf, wie sinnlos diese Flucht war, schließlich war ihr die Geschwindigkeit und Kraft nur all zu gegenwärtig, mit der der Vampirdämon damals gegen das andere Schattenwesen gekämpft hatte. Wie konnten Menschenbeine es mit einer solchen animalischen Macht aufnehmen? Falls er es wirklich beabsichtigte, und es gab allen Grund, daran zu zweifeln, war er fähig sie jederzeit und überall zu töten. Letztendlich erschien es ihr sinnlos, sich mit jemandem zu unterhalten oder ihn sogar zu retten, wenn man sowieso nur auf dessen Blut aus war. Beschämt und voller Angst senkte Mireylle den Kopf, atmete einige Male durch und drehte um. Selbst die Tatsache, dass er wie aus dem Nichts vor ihr stand, vermochte sie nicht aus ihrem tranceartigen Zustand zu reißen, der bei einem Blick in seine viel zu unergründlichen Augen in furchtlose Fügsamkeit überging. Was spielte Furcht jetzt noch für eine Rolle? Innerlich belächelte sie ihren innigen Wunsch, eine andere, ungewisse und geheimnisvolle Welt zu entdecken, denn es bedeutete im Gegenzug sich dieser Welt wehr- und ahnungslos aus zu setzen.Sie konnte nur hoffen, das, was ihn bisher bewogen hatte, sie am Leben zu lassen, würde sie weiterhin schützen.

„Ich muss Euch erneut um Verzeihung bitten, Mylady. Doch ich weiß, auch Ihr habt gespürt, wie stark die Instinkte sein können. Sie sind tief in uns verwurzelt und bilden den Nährboden unseres Seins. Das macht sie so mächtig gegenüber unserem Willen. Ich möchte Euch beteuern, dass Ihr keinen Grund zur Sorge habt. Doch ich spüre, Ihr habt auch Euere Instinkte gezähmt, und so habe ich nur die Möglichkeit, Euch für die Zukunft zu beruhigen. Seid versichert, von meiner Seite droht Euch keine Gefahr.

Ich möchte es für Euch begründen. Euresgleichen, Weltenwandler, gibt es nur sehr selten, denn sie entstehen nur durch magische Grenz- und Zufälle und ich bin neugierig, welche Fähigkeiten Ihr wohl besitzen mögt und welche Geschichte sich hinter Eurer Existenz verbirgt. So seht mich als Euren Freund, Mylady, die Neugier eines Vampirdämonen ist stets ein guter Freund.“

„Außer, diese Neugier bezieht sich auf das Aussehen meiner Innereien“, dachte Mireylle spöttisch und beobachtete entsetzt, wie ein breites Lächeln auf dem Gesicht des Dämons erschien.

Erneut in Schweigen gehüllt schritten die Beiden den schmalen Feldweg entlang, vorbei an dem dünnen Trampelpfad, der den Weg zu ihren Sachen kennzeichnete und auf den nahe liegenden Wald zu. Dort wichen sie schon bald vom Weg ab und begannen einen Marsch durchs Unterholz, dessen Ziel für Mireylle nach wie vor ein Rätsel war. Sie traute sich nicht, zu fragen, und es erschien ihr auch nicht unbedingt als notwendig. Es war immer noch völlig klar: Wenn er sie töten wollte, dann konnte er es jederzeit tun. Ob sie es nun im Voraus wusste oder nicht änderte nicht viel an der Tatsache. Mireylle entdeckte verwundert, wie diese Erkenntnis eine seltsam verquer erscheinende Art von Vertrauen zwischen ihnen Beiden schuf. Zudem war sie wirklich überrascht, wie leicht es ihr fiel, ihre Angst durch diese Gewissheit zu verdrängen. Sie war nicht sicher, ob es das war, was die Menschen als „Mut“ zu bezeichnen pflegten, denn schließlich glich es eher einer passiven Akzeptanz der Begebenheiten und das war in Mireylles Vorstellung das Gegenteil von Mut. Und doch fühlte sie sich unwillkürlich mutig, wie sie so neben einer völlig unbekannten, mächtigen und im Großen und Ganzen wohl furchterregenden Gestalt herging, ohne Angst zu verspüren.

Nach einer Weile ärgerte sie sich, so leichte Schuhe angezogen zu haben, denn der Boden war durch die Blätter nicht nur rutschig, sondern auch voller kleiner spitzer Steine, die schnell durch ihre dünnen Sohlen drangen. Völlig in ihre Gedanken versunken ging sie noch ein paar Schritte weiter, nachdem ihr geräuschloser Begleiter plötzlich stehen geblieben war. Als sie aufschaute, konnte sie beobachten, wie er innerhalb eines Sekundenbruchteils von der Stelle, an der er gestanden hatte, verschwand und nahe bei ihr wieder erschien.

„Mylady“, er sah sie durchdringend an und zog in Erartung der angedeuteten Bitte unwillkürlich die Augenbrauen zusammen. Er lächelte ein undurchschaubares Lächeln und beugte sich zu ihr hinunter, seine Hand auf ihre Schulter legend. „Mylady Mireylle, vertraut Ihr mir?“ Statt über seine Frage nach zu denken, widmete sich Mireylle der Untersuchung seiner Hand auf ihrer Schulter. Im ersten Augenblick gewichtslos und kalt erschien sie ihr jetzt als ein warmer Druck auf der Schulter. Mit skeptischem Blick erfasste sie die Präsenz, die seine gesamte Erscheinung auf ein Mal hatte. Das lange, schwarze Haar wogte im Wind, Schatten fielen über Gesicht und Kleidung und er schien von einem seltsamen, jedoch angenehmen Geruch umgeben.

Diesmal fragte Mireylle sich ernsthaft, wie tief er wohl in ihre Psyche dringen konnte und wie stark die Illusion sein würde, die er darin hervorrief. Andererseits war es auch durchaus möglich, dass er wirklich mehr Teil dieser Welt geworden war, um ihr die Botschaft einer Berührung vermitteln zu können. Die Fähigkeit besaß er zweifellos, denn nur durch sie hatte er damals etwas gegen Simon ausrichten können. Und außerdem… sie wusste nicht, in wie weit sie ihrer so genannten Fähigkeit vertrauen konnte, doch diese sagte ihr, sein Wesen wäre jetzt näher, voller, ganzer, als zuvor, die Aura nicht so zwiegespalten. Einen Moment zögerte sie noch, um abermals forschend in seine aufmerksamen Augen zu schauen. Dann war es entschieden: „Ja“. Er drückte leicht ihre Schulter, lächelte als Zeichen der Zufriedenheit kurz noch, dann zog er aus unbekannter Quelle ein schwarzes Tuch hervor.

„Dann habt Ihr sicher nichts dagegen, Euch blind auf meine Führung zu verlassen. Wenn ich Euch also die Augen verbinden dürfte?“. Von einem Moment auf den anderen waren ihre Augen von dem weichen Stoff umbunden, der sich eng an ihre Haut legte und ihr die Sicht in jede Richtung zuverlässig nahm. „Ihr braucht euch nur führen zu lassen und auf meine Stimme zu hören“. Er nahm sie an der Hand und führte sie langsam einen Hügel hinauf. Mit der Zeit wurde ihr Schritt sicherer, das Verstehen seiner Weisungen und des Druckes seiner Hand besser. Der Vampirdämon schien auch die Geschwindigkeit ihrer Sicherheit an zu passen, sodass sie immer schneller durch den Wald liefen.

Mireylle reagierte schnell auf de sanften Druck seiner Hand und wurde langsamer. Sie wähnte ein Hindernis, an dem man vorsichtiger vorbei gehen musste, doch sie blieben schon bald völlig stehen. Langsam entzog ihr Führer ihr seine Hand und ein Moment des stillen Atemholens füllte die Luft.

„Vor uns liegt ein mit Steinen gepflasterter Weg. Ich möchte Euch bitten, voraus zu gehen. Ich werde Euch mündlich weiter leiten, Ihr braucht Euch also nicht zu sorgen.“. Das ganze machte Mireylle stutzig. Wenn der Weg gepflastert und ungefährlich war warum gingen sie dann nicht beide weiter. Was war es, das er ihr verschwieg? Sie versuchte einen Eindruck von der Umgebung zu bekommen. Die Luft war hier frischer, feuchter, woraus sie schloss, vor einer Art Brücke zu stehen, die über einen kleinen Fluss oder etwas Derartiges führte. Aber eine gepflasterte Brücke, mitten im Wald, an die keine Straße grenze erschien ihr höchst verdächtig. Dann konnte es auch eine alte Ruine sein, die von einem Bach umflossen war, die wahrscheinlichere Möglichkeit. Aber warum, um alles in der Welt musste sie vorgehen? Einige Sekunden zögerte sie, wog ab, ob es einen Sinn hatte, ab zu lehnen und stimmte schließlich zu.

Die letzten paar Meter über den weichen Waldboden folgte er ihr noch, als sie den Fuß plötzlich auf kalten Stein setzte, blieb seine Stimme zurück. Seine sichere, melodische Stimme führte sie ruhig und kämpfte gegen ihre reißende Unsicherheit an. Mit schlotternden Knien machte sie Schritt um Schritt, fühlte den Boden vor sich mehrmals mit der Fußspitze ab, doch niemals fand sie etwas Gefährliches, keine Hindernisse und auch keine Löcher. Es schien sich um einen ziemlich gut ausgearbeiteten, makellosen Weg zu handeln. Verwirrt ließ sie sich weiter führen, stets darauf bedacht, nicht leichsinnig zu werden.

Sie hörte ein Rauschen. Erschreckt blieb sie stehen, denn der Boden unter ihren Füßen schien zu verschwinden. Sofort drang die Stimme des Vampirs bestimmend an ihr Ohr. „Lasst Euch nicht von den Welten verwirren, die Ihr hört. Ihr steht auf Steinpflaster, Mylady.“ Obwohl seine Worte sie verwirrten, schaffte die Ruhe seiner Stimme es, ihr wieder genug Sicherheit zu geben, um weiter zu gehen.

„Ihr seid angekommen“, eröffnete er ihr, als sie plötzlich wieder auf Waldboden trat. „Nehmt die Augenbinde ab, Mylady Mireylle.“

Mireylles Augen weiteten sich. Ein frischer Wind umspielte den Saum ihres Kleides und gab vor, der Auslöser der Gänsehaut zu sein, die sich auf die Haut ihrer Beine und Arme schlich. Sie hatte sich um 180 Grad gedreht und sah zu ihrem Begleiter hinüber. Ungläubig wanderte ihr Blick über den Weg, den sie gegangen war. Er fehlte. Vor sich sah Mireylle eine tiefe Schlucht, auf deren Grund ein breiter Strom vor sich hin gluckste. Die mit Efeu und Gräsern überwucherten Hänge fielen steil herab und wiesen nicht mal den Ansatz einer Brücke auf.

Der Dämon stand auf der anderen Seite.

„Aber , wie…?“

Mit einem Mal stand er an ihrer Seite und sah zur anderen Seite hinüber. „Ihr habt einfach eine örtliche Begebenheit meiner Welt ausgenutzt. Die bloße Behauptung, ein Steinpflaster läge vor Euch, hat gereicht, um Euren der Sicht beraubten Geist in jeder ihm zugänglichen Welt nach einem Steinpflaster suchen zu lassen. Mir ist natürlich unbekannt, ob Eurem Geist nur unsere beiden Welten zugänglich sind oder auch Weitere. Doch es scheint zumindest so, dass Ihr zunächst meine, mit der Euren eng verbundene, Welt aussucht. Schaut hinüber, Ihr könnt das Pflaster sehen.“

Der warme Druck seiner Hand auf ihrer Schulter schien sie mit etwas zu verbinden und das stets so verschwommene Bild von Auren vor ihren Augen wurde klarer. „Ihr seid den Weg in meine Welt nun schon einmal gegangen, darum fällt es Eurem Geist jetzt leichter, ihn abermals zu gehen und wirklich zu erkennen, was er vor sich sieht.“

Kein Lüftchen regte sich und auch kein ungewöhnlicher Laut durchdrang den Wald, doch der Vampir richtete sich mit unglaublicher Geschwindigkeit zu voller Körpergröße auf und starrte angespannt in die Ferne. Vor ihren Augen schien seine Aura zu vibrieren. Trotzdem legte sich der Sturm so schnell, wie er begonnen hatte. Er schien seine Gefühle wirklich gut unter Kontrolle zu haben. „Lasst uns zu Euerem Lager zurückkehren, Mylady.“

Mireylle fühlte sich trotz seiner beruhigenden Worte unsicher, als die Beiden raschen Schrittes über die Brücke gingen und den Hügel hinab marschierten. Erneut pulsierte etwas durch die Aura des Vampirs und veranlasste ihn, abrupt stehen zu bleiben. „Mylady, bedauerlicherweise drängt mich die Zeit, doch ich möchte Euch nicht orientierungslos in diesem Wald zurücklassen. Vergebt mir bitte, dass ich die Reise auf diese Art beschleunige.“ Noch ehe sie reagieren konnte, hatte der Vampirdämon sie hoch gehoben und rannte mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit durchs Unterholz. Innerhalb weniger Sekunden waren sie neben ihrer Decke im Weizenfeld angekommen. Eilig wurde Mireylle abgesetzt und eine Verbeugung angedeutet, bevor die schwarze Gestalt verschwand.
 

Ihre Blicke folgten stumpf den vom Wind erfassten Plastikabfällen, die zwischen den Häuserblocks hin und her huschten. Die Abendschatten hatten sich wie ein dreckiger Schleier über die baufälligen Gebäude gelegt. Und der Geruch von Fäulnis wehte von den umgekippten Mülltonnen herüber, um die Vergänglichkeitsstimmung zu unterstreichen, die diese Gegend schon vor Jahrzehnten erfasst hatte. In Gedanken versunken ließ Mireylle ihre Füße den Weg bestimmen, den sie nach Hause nahm.

Den Radau in den Quergassen missachtend ging sie weiter. Die Vertrautheit einer gewissen Gasse bemerkte Mireylle erst, als eine nur allzu bekannte Stimme sie begrüßte.

„Na, du kleines Miststück? Hättest du lieber mal nen anderen Weg genommen. Diesmal kommst du mir nicht so locker davon. Was immer du letztes Mal gemacht hast, du Hexe, heute kriegst du deine Strafe.“ Das bösartige Blitzen in Simons Augen verdeutlichte Mireylle, in was für eine Situation sie da geraten war. Die Schatten schienen die Kerben in Simons Gesicht betonen zu wollen, als er das Taschenmesser aufklappte und zu grinsen begann. Augenblicklich holte Mireylle aus und schlug ihm mit aller Kraft aufs Handgelenk. Das Messer fiel zu Boden und Mireylle nutzte die Gelegenheit, um an Simon vorbei zu fliehen. Einer seiner Kumpel erschien vor ihr und hielt sie am Elenbogen fest. Von der Wucht herumgerissen rannte sie fast wieder in Simon hinein, der die scharfe Waffe bereits wieder in Händen hielt. Seine Haltung war angespannt, sein Gesicht wies einen Zug des Wahnsinns auf, der Mireylles Blut gefrieren ließ.

So unwillkürlich, wie beim letzten Mal schrie sie einen Namen, klammerte sich an die Hoffnung, die an diesem Wort hing, ein Versprechen, an das sie in diesem Augenblick mehr glauben wollte als konnte. Doch die Hoffnung schrie aus ihr. Immer wieder nannte sie den Namen des Vampirdämonenlords, während sie sich aus den harten Griffen ihrer Angreifer zu winden versuchte. Obwohl mehrere der Tritte, die sie austeilte, saßen, schien das an ihrer Lage nicht viel zu ändern, eher noch hatte sie die Bande wütend gemacht.

Als nächstes erinnerte sie sich daran, am Boden zu liegen, die Arme fest um den schmerz- verkrampften Magen geschlungen, den metallischen Geschmack von Blut auf der Zunge. Simons hagere Gestalt beugte sich über sie, etwas Kaltes berührte ihren Hals. Ohnmächtig sinnierte Mireylle darüber, warum ihr Gefühl sie nicht vorgewarnt hatte, wie es das immer tat, wenn sie sich böswilligen Geistern näherte. Im Nachhinein konnte sie nicht einmal sagen, ob sie nichts gespürt oder die Vorzeichen einfach nur erfolgreich aus ihrer Wahrnehmung ausgeblendet hatte.

Der Druck auf ihren Hals verschärfte sich, ein leichtes Vibrieren der Klinge war zu spüren.

„Komm schon, Simon, das lohnt sich nicht“

So einfach diese Worte klangen, so unglaublich mächtig erschienen sie Mireylle in diesem Augenblick. Jemand zog Simon von ihr weg. Dieser weigerte sich erst, gab nach einem bittenden „Komm schon, Mann!“ aber nach. Wie eine Strafe für die augenblicklich eintretende Erleichterung holte Simon aus und Mireylle schaffte es gerade noch, die Unterarme schützend vor ihr Gesicht zu halten. Der Schmerz tiefer Schnitte durchzog ihren Körper. Nur am Rande ihres Bewusstseins bemerkte sie, wie die Bande aus der Gasse floh. Ihre Aufmerksamkeit galt dem warmen Sprudeln auf ihrer kalt gewordenen Haut.

Erst nach einer ganzen Weile, so schien es, wurde ihr bewusst, wie gefährlich der hohe Blutverlust sein konnte. Mit unendlicher Mühe schaffte sie es, zum Rucksack zu kriechen, sich auf zu richten und die Reste der Frischhaltefolie aus dem großen Fach zu kramen. Diese band sie so eng, wie sie konnte, um die Unterarme. Mireylle versuchte krampfhaft, die Folie auch am linken Arm durch einen Knoten zu fixieren, doch immer wieder entglitt ihr das glatte Material.Wann immer sie versuchte, sich zu konzentrieren, vernebelte sich ihre Sicht, alles wurde einen Moment lang schwarz und als sie wider zu sich kam, war lag sie in sich zusammengesunken am Boden. Die Zeit schlich dahin, während sie sich bemühte, den Blutfluss am linken Arm zu unterbinden. Monoton redete sie sich ein, der erste Verband sei ihr gelungen und hielte einen Blutverlust am rechten Arm zurück. Sie musste also die Besinnung lange genug behalten könne, um den zweiten zu verbinden und sich aus dieser verdammten Gasse zu schleppen.

Endlich schafften ihre blutbeschmierten Finger es, einen Knoten in das widerspenstige Material zu zwingen. Erleichtert strich sie einige Schweißperlen von der Stirn und ließ sich niedersinken. Endlich hatte sie es geschafft. Geistesabwesend strich sie mit der Hand durch die Blutlache, während ein dunkler Schatten sich über all ihre Wahrnehmung legte.
 

Dunkelheit. In stiller Finsternis glitt sie dahin, ahnungslos, orientierungslos, ziellos. Sie fühlte, wie sie immer tiefer zu versinken schien, als würde sie die Barrieren unendlicher Welten aus Schwärze durchdringen, um dem Kern dieses Chaos aus Nichts immer näher zu kommen. Willenlos ließ sie sich sinken, machte sich keinerlei Gedanken, ob eine Bewegung etwas bewirken würde. Ob es überhaupt etwas an ihr gab, das eine Bewegung hätte ausführen können.

Aus der Unendlichkeit über sich sah sie ein Licht auf sich zukommen, starrte das Phänomen gleichgültig an, bis seine Wärme sie berührte. Etwas in ihr erbebte, zerbrach, als würde ein Panzer aus Kälte von ihr abfallen. Die Wärme weckte etwas in ihr, etwas, das nach oben, aus dem Dunkel heraus strebte. Durch einen inneren Drang getrieben glitt sie aufwärts, folgte dem Schein durch zahllose der Barrieren zurück. Zurück an die Oberfläche.
 

Bleierne Schwäche breitete sich in ihr aus, als sie wieder zu Bewusstsein gelangte. Mireylle war kaum fähig, ihre Umgebung zu analysieren. Nach einem ewigen Moment des Kräftesammelns öffnete sie die Augen und blickte in Lord Shahaans erregtes Gesicht. Im Nachhinein realisierte sie seinen Arm, der sie in eine aufrechte Haltung brachte, und seine Hand, die die ihre fest umklammert hielt. Wärme schien direkt aus seinem Körper in sie zu strömen und ihr neue Lebensgeister ein zu flößen. Sein Gesichtsausdruck bildete einen schreienden Gegensatz zu der Geborgenheit, die ihr seine Wärme gab. Es schien ein wenig verzerrt, die gelben Augen glühten in Tönen von Gold und Bronze. Sie fragte sich nur beiläufig, ob es das Blut war.

Ihr Bewusstsein als stabil erfassend hob Shahaan das Mädchen hoch und trug sie in ihre Wohnung. Er wechselte dabei die Welten, ohne sich großartig Gedanken zu machen, denn sie war zu benommen, um diese Vorgänge erfassen zu können. So ruhig er vermochte sprach er einige Worte der Heilung, wechselte die Verbände und wusch das Blut ab. Zuletzt legte er ihr die Hand auf die Stirn.

„Ich bitte Euch um Entschuldigung, Mylady Mireylle. Andere Angelegenheiten haben mich viel zu lange aufgehalten, sodass ich Euere Unversehrtheit nicht schützen konnte. Ich habe einen Heilzauber auf Euch gelegt, doch in dieser Welt wirkt er nur schwach. Bitte schlaft jetzt. Ich werde wiederkommen, um nach Euch zu sehen.“
 

In einem Höllentempo raste das Fahrzeug über die Straße. Die vier Insassen genossen die Geschwindigkeit, hüpften im Beat der Musik und stießen mit ihren Bierflaschen an.

„Hab echt gedacht, du bringst die kleine um die Ecke, Simon!“ tönte es laut von der Rückbank, gefolgt von einem herzhaften Rülpsen.

„Fang nicht wieder mit dem Scheiß an, Nico! Wär doch bescheuert, wegen so ner kranken Tusse in den Knast zu wandern!“

„Jaja, Jens, is ja gut, wir wissen, dass das ganz schlau von dir war, ihn aufzuhalten.“ Der rundliche Kerl auf der Rückbank gab seinem Vordermann einen Klaps auf die Schulter. „Haste schon gut gemacht“.

„Ach was! Verdient hätte sie es ja! Wer weiß, was bei der alles im Hexenkessel landet! Die hat bestimmt schon ein paar Leichen im Keller.“

„Schnauze, Nico! Hab ich euch nicht gesagt, dass ich nichts mehr davon hören will? Wir wollen heut Abend einen drauf machen und nicht über diese Hexe reden.“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, drückte Simon kräftig aufs Gaspedal.

Das Auto bretterte auf Höchstgeschwindigkeit über die leere Autobahn, zwei helle Lichtkegel auf den Asphalt vor sich werfend. Plötzlich sprang ein Schatten durch das Licht.

„Scheiße!“ Mit voller Wucht stieg der Bandenboss auf die Bremse und riss das Steuer herum, doch dem Schatten konnte er nicht entkommen. Entsetzt kämpften alle gegen die Airbags an uns starrten mit einem Mal auf die Windschutzscheibe, als Etwas sich mit beiden Füßen darauf stellte und das Ding mit bloßen Händen in zahllose Scherben zerbrach.

Simon kroch über den Boden. Er wusste nicht, was passiert war, nicht einmal, was genau ihm passiert war, doc die Taubheit, die seinen Körper durchzog sagte ihm unmissverständlich, dass seine Zeit abgelaufen war. Das einzige, woran er denken konnte, war diese Hexe und er war sicher, sein Ableben ihr verdanken zu können. Aber so einfach wollte er sie nicht davon kommen lassen. Er hatte geglaubt sie würde an den tiefen Schnittwunden verbluten, oder zumindest ein paar Tage bewusstlos im Krankenhaus verbringen, aber anscheinend hatte dieses Miststück sich verdammt schnell erholt. Er würde nicht zulassen, dass sie mit der Sache durchkam. Sollten sich ab jetzt andere um sie kümmern. Mangels eines anderen Mediums schrieb er seine letzten Worte mit dem eigenen Blut auf den Einband der Straßenkarte, die zufällig neben ihm gelandet war: Mireylle Savaiere.
 

Ein durchdringender Laut riss Mireylle aus ihrem tiefen Schlaf. Es war ein aufdringlicher, schriller und ausdauernder Signalton. Sie brauchte eine Weile, um zu registrieren, worum es sich handelte. Verwirrt streckte sie sich und griff auf die kleine Kommode und zog unabsichtlich das gesamte Telefon hinter dem Hörer her auf die Schlafcoach.

„Mireylle Savaiere?“, ließ sie mit schwacher Stimme verlauten.

„WAS HAST DU JETZT SCHON WIEDER ANGESTELLT??“ Der unverkennbare Tonfall ihrer Mutter klang schrill durchs Telefon. „Was denkst du dir mir die Polizei ins Haus zu bringen? Ich dachte, ich spinne, als die plötzlich vor der Türe standen! Ich dachte, die Probleme hätten ein Ende, wenn du endlich raus bist, und jetzt kommt schon die Polizei zu uns? Kannst du dir vorstellen, wie ich dagestanden…“. Mireylle brachte schleunigst einen Sicherheitsabstand zwischen ihr Ohr und den Hörer.

Die Polizei? Na ja, etwas anderes würde ihre Mutter wohl kaum dazu bewegen bei ihr anzurufen. Eine Art Nebel durchwirkte ihren Verstand und hinderte sie daran, schnell zu klaren Gedanken zu kommen. Was um alles in der Welt wollte die Polizei von ihr? Der Überfall… man konnte sie wohl kaum für Simons Angriff auf sie zur Rechenschaft ziehen wollen? Widersinnig. Vielleicht hatte man die Blutlache in der Gasse entdeckt und einer von Simons Kumpeln hatte ihn verpfiffen? Eigentlich hatte sie keine Lust auf irgendwelche Gerichtsverfahren, sie war einfach bloß müde.

„… und fragen mich, wo du dich gestern Nacht rumgetrieben hast! Als ob ich ne Ahnung hätte. Aber ich kann denen ja schlecht sagen, das interessiert mich ’nen Scheißdreck. Und dann sagen die was von vier Leichen. Ich dachte, ich hör nicht richtig! Kannst du mir mal sagen…“ Mireylles Hand glitt ohnmächtig hinab und zog den Hörer mir sich.

Vier Leichen! Simons Bande? Oh Gott! Was hatte der Vampirdämon nur getan? Am ganzen Leib zitternd hob sie das Telefon wieder ans Ohr.

„… dich noch nie für ganz dicht gehalten habe aber, dass du gleich vier umbringst, das trau ich dir mit deiner mickrigen Statur einfach nicht zu. Außerdem gehörst du mieses Stück eh nicht zu denen, die sich erwischen lassen. Und der Polizist sagte, dein Name stand mit Blut geschrieben auf irgend so ’nem Wisch am Tatort! Kannst du dir vorstellen, was die Nachbarn denken? Ich …“

Mireylle rastete aus, wie so oft, wenn sie mir ihrer Mutter sprach. Die Leute waren ihr schon immer wesentlich wichtiger gewesen. Wegen den Leuten hatte sie Mireylle nicht schon nach einem Jahr ins Kinderheim abgeschoben, das äußerte sie Mireylle gegenüber oft genug. „Weißt du was, Mutter? Das ist mir völlig egal, was die denken!! Wenn mich die Polizei befragt, dann sag ich ihnen, dass du Mitwissende warst. NA, WAS HÄLST DU DAVON?“ Zornig schmiss sie den Hörer aufs Telefon. Nur wenige Sekunden später begann es wieder zu klingeln. Mireylle stand schwankend auf und zog das Kabel raus.

So nicht, Mutter! Nicht du, nicht jetzt.

Sie war an der Wand entlang zu Boden gesunken. Das Telefon umklammernd begann sie in einem Sturm unaufhaltsamer Tränen zu zerfließen. Heftige Schluchzer schüttelten ihren Körper. So wie sie ihre Mutter kannte, hatte sie der Polizei ihre Adresse gegeben. Also würde sie es bald mit denen zu tun bekommen. Sie fühlte sich zu schwach, um weg zu laufen. Müde fragte sie sich, wie ihr Name an den Tatort gekommen war. Warum musste ihr das passieren? Kaum hatte sie endlich einmal das Glück der Gewissheit erlangt, zerfiel ihr gesamtes Leben im Chaos. Sie hatte nichts mehr. Keinen Ort, an dem sie Zuflucht suchen konnte, keine Kraft, nach einem solchen Ort zu suchen. Sie konnte kaum die Überwindung aufbringen, an eine Flucht zu denken. Es erschien ihr alles so sinnlos. Von Schwindel geplagt schleppte sie sich bis zu der Schlafcoach, doch sie erhielt keine Gelegenheit, sich darauf nieder zulassen. Die Türklingel schellte schrill und nachdrücklich. Mireylle blieb teilnahmslos stehen, von der Situation völlig überfordert. Warum war Shahaan nicht zurückgekommen? Wo blieb dieser verdammte Dämonenlord, nachdem er sie ins Unglück gestürzt hatte?

Benommen vernahm sie polternde Schritte im Treppenhaus. Sie hatten also vor, ihre Wohnung zu stürmen?

Als sie von einer rauen Stimme an die Tür gerufen wurde, folgte sie der Anweisung völlig gedankenlos.

„SIE SIND HAPTVERDÄCHTIGE IN EINEM MORDFALL! ÖFFNEN SIE DIE TÜR!“ donnerte es von der anderen Seite. In einem Anflug von Neugier sah Mireylle durch den Spion, um sogleich zurück zu weichen und sich zu übergeben. Irgendwer hatte ihr ein Foto von vier um die Reste eines Autowracks verteilten, bis zur Unkenntlichkeit zerfetzten Leichen davor gehalten. Doch zwei Dinge konnte sie auf dem A4 Bild genau erkennen: Simons entstelltes Gesicht und Ihren Namen, mit Blut auf den Einband eines Buches geschmiert. Das Bild geisterte ihr immer wieder durch den Kopf, während sie an der Säure würgte. Die Stimme hinter der Tür nahm an Intensität zu, als Mireylle sich kraftlos und bebend an die Wand drückte.

„WIR WERDEN DIESE TÜR EINBRECHEN, WENN SIE SIE NICHT AUGENBLICKLICH ÖFFNEN!“

Ihr war schleierhaft, was genau die Reaktion ausgelöst hatte, aber plötzlich wurde Mireylle unglaublich klar, dass sie nicht in die Hände der Polizei gelangen wollte. Voller Entschlossenheit raffte sie sich auf, wischte die Tränen fort, griff nach ihrem Rucksack und schmiss ein paar existenzielle Dinge hinein. Dann rannte sie zum Fenster, riss es auf und kletterte auf die Feuerschutzleiter. Entsetzt sah sie auf die Beamten herab, die die Leiter bereits von unten erklommen. Wie ein gehetztes Tier entschloss sie sich zu einer Flucht nach oben, obwohl ihr die Aussichtslosigkeit dieser Flucht völlig klar war. Alle ihre verbliebenen Kräfte zusammennehmend kletterte sie bis aufs flache Dach des Gebäudes. Nachdem sie sich mühsam über den Rand gehievt hatte, rannte sie alle Kanten auf der Suche nach einem weiteren Fluchtweg panisch ab. Doch alle Leitern waren bereits blockiert.

Angsterfüllt wirbelte sie herum, als die Dachtür aufsprang und Männer daraus hervor stürmten. Mireylle wich langsam bis an den Rand der Abgrenzung zurück, warf noch einen panischen Blick hinab. Es gab keine Hoffnung.

Die Beamten verlangsamten ihren Gang und versuchten, beschwichtigend zu wirken, doch keines ihrer Worte drang bis zu Mireylle durch. Sie wollte frei sein, das war alles. In einer Kurzschlusshandlung kletterte sie über das Geländer. Die Schwäche ihrer Arme, mit denen sie sich festhielt, war ihr ebenso bewusst wie gleichgültig. Noch nie hatte sie sich so frei gefühlt. Sie ließ sich zurückkippen, der Tiefe unter ihr entgegen. Einige der uniformierten Männer rissen erschrocken die Augen auf, einer rannte vor, um sie am Loslassen zu hindern. Mireylle lächelte.

Sie war im Begriff, ihre Hände zu lösen, als sie warme Arme spürte, die sie von hinten umfassten. Eine pechschwarze Strähne strich über ihr Gesicht. Vertraute Geborgenheit erfüllte Mireylles ganzen Körper. Sie ließ los und beobachtete genussvoll die Gesichter der verwirrten Polizisten, als die Beiden vor ihren Augen in der Luft zu Schatten zerfielen.
 

Ein trüber Nebel lag über dem grauen Felsgestein des kleinen Gebirges und verlieh der abendlichen Stimmung etwas Gespenstiges. Die Lichter der nächsten Ortschaft erloschen eines nach dem Anderen in der Ferne des Tales. Kühler Wind pfiff zwischen den Felsen und brachte die Frische der Nacht mit sich.

Zitternd wartete Mireylle auf ihren Retter. Zugegebenermaßen begann sie sich Sorgen zu machen, auch wenn sie inzwischen an die langen Wartezeiten in dieser Hinsicht gewöhnt hätte sein müssen. Die Vorstellung, in der so lebensfeindlichen Umgebung alleine zu sein, beunruhigte sie. Außerdem fühlte sie deutlich die tiefe Erschöpfung, die die Wunden und die Flucht ihrem Körper zugefügt hatten.

Überraschend wie immer tauchte der Vampirdämonenlord neben ihr auf, ohne auch das geringste Geräusch zu verursachen. Mit zutiefst ernsthafter Miene schraubte er eine lederne Feldflasche auf und reichte sie Mireylle auffordernd. „Das wird Euch vorerst stärken, Mylady. Trinkt es bitte aus, denn erneut muss ich Euch um etwas bitten, auch wenn ich damit noch viel tiefer in Euerer Schuld stehe, als ich es sowieso schon tue. Ich werde mir später Zeit nehmen, mich ausführlich bei Euch zu entschuldigen und Euch den Grund für meine Unfähigkeit Euch heute zu Hilfe zu eilen erklären“.

Mireylle deutete ein Nicken an, weil ihre Kräfte zum Antworten nicht mehr reichten und schnupperte misstrauisch am Flaschenhals, aus dem ein silbriger Dampf hervor stieg. Es roch bitter. Nach einem Moment der Überwindung hob sie das Gefäß an die Lippen und nahm einen kräftigen Schluck, weshalb sie einige Sekunden danach mit Husten und Keuchen verbringen musste. Das Zeug schmeckte unerträglich und brannte wie Feuer. Mireylle war sich sogar sicher, eine große Menge Alkohol heraus zu schmecken. Doch die Wirkung der Flüssigkeit war durchschlagend: Sämtliche Kräfte kamen mit sofortiger Wirkung zu ihrem Körper zurück, all ihre Sinne schienen sensibilisiert. Ihre Augen vermochten die Dunkelheit zu durchschauen und sie hatte das Gefühl, jedes Staubkorn über den Boden gleiten zu hören.

„Bitte trinkt alles aus“, wiederholte der Vampir.

„Aber es ist fürchterlich!“ Mireylle war vollkommen sicher, so viel Überwindung nicht aufbringen zu können. Doch die Augen ihres Begleiters blieben ernst.

„Ihr werdet die Kräfte brauchen, die es Euch schenkt“

So etwas wie Empörung regte sich in Mireylle. Weshalb gehorchte sie ihm eigentlich? War sie dieser finsteren Gestalt, deren Erscheinen ihr gesamtes Leben zerstört hatte, irgendetwas schuldig? Sie brauchte nicht zu tun, was er verlangte. Schließlich spürte sie deutlich, wie dringend sie sich ausruhen musste, und an Wunderheilungen durch zwielichtige Mittelchen glaubte sie schon lange nicht mehr. Drogen würden ihr nur helfen, auch den letzen Funken Lebensenergie aufzubrauchen, um dann umzukippen und ins Jenseits zu wandern. Ärgerlich sah sie in das Gesicht ihres Gegenübers und plötzlich wurde ihr klar, dass sie keine Wahl hatte. Vor ihr stand die wohl einzige Person, die sie tatsächlich für Etwas brauchte. Der Rest der Welt hatte ihr immer nur das Gefühl gegeben, überflüssig zu sein, ein fehlerhaftes, ersetzbares Zahnrad im Gefüge der Gesellschaft.

Auch wenn er an der polizeilichen Fahndung nach Mireylle schuldig war, hatte er sie nicht doch gerettet? Wenn die Welt nicht auch ohne ihn einen Vorwand gefunden hätte, sich ihrer zu entledigen, dann hätte sie doch nur ein unerfülltes, sinnloses Leben geführt, zerrissen von Zweifeln und Wahnsinn. Wer weiß, wie lange es gedauert hätte, bis sie eines Morgens aufgewacht wäre, um sich in einer Gummizelle wieder zu finden? Jedenfalls war es jetzt nicht mehr zu ändern, sie konnte und wollte nicht zurückkehren. Vielleicht verspielte sie damit ihr Leben, aber wenigstens geschah etwas, wenigstens hatte sie die Möglichkeit, nützlich zu sein und eine neue Welt zu entdecken, wenn er sie ließ. Ihr war einfach danach, einmal mit ihrem Leben zu spielen.

Mireylle lächelte das ironische Lächeln einer Besiegten und trank die Feldflasche in wenigen Zügen aus. „So, was ist es, das ich für Euch erledigen soll?“ Sie achtete nicht auf ihre Stimme, die ein wenig ungeduldiger klang, als gewollt.

„Nach dieser Sache werdet ihr Gelegenheit haben, Euch zu erholen, Mylady Mireylle. Aber nun muss ich Euch mit einer wichtigen Aufgabe betrauen. Vor Euch seht ihr einen Berg, doch in meiner Welt stehen wir im Inneren eines gewaltigen Gebirges. Es ist keine natürliche Höhle, sondern ein geheimes Netz von Katakomben, in denen wir uns aufhalten. Ich befinde mich mehr hier als dort, denn die Katakomben sind durch einen Zauber geschützt. Doch für Euch ist es möglich, in beiden Welten gleichzeitig materialisiert zu sein. Der Schutz kann Euch also nicht davon abhalten, etwas aus den Katakomben zu nehmen und es mit in diese Welt zu bringen.“

Innerlich lachte Mireylle. Es war also ihre Aufgabe, etwas aus einer verzauberten Höhle zu holen. Sie wollte gar nicht abschätzen, wie hoch ihre Chancen zu überleben standen. Was immer der Dämon ihr erzählte, wenn es so einfach war, etwas aus seiner Welt in die ihre zu holen, dann konnte er es eigentlich auch selbst tun, das hatte er ihr schließlich mit der Feldflasche demonstriert. Doch es machte keinen Sinn, sich unnötig den Kopf zu zerbrechen. Allem Anschein nach wollte der Vampirdämon dieses Etwas dringend besitzen und er würde sie nicht losschicken, wenn er es für unmöglich hielt. Es wäre nur eine Zeitverschwendung.

Sie nickte.

Die Astrale

Kalter Wind empfing die beiden Wanderer auf ihrem Weg an der Flanke des Berges entlang. Er zerrte an ihrer Kleidung, als wollte er sie zurückhalten, doch er vermochte sie nicht umzustimmen. Unerschütterlich gingen sie weiter, einem unsichtbaren Pfad folgend. Erst nach einer scheinbaren Ewigkeit blieben sie stehen. Sie verharrten an einer unbedeutend wirkenden Stelle, doch Mireylle sah klar, was sie erreicht hatten. Die verschwommenen Schatten ihrer Wahrnehmung verdichteten sich und hinterließen ein deutliches Bild, das sich wie eine Folie über das Abbild ihrer Welt legte.

Der Vampir sah eine Weile durchdringend auf die Felswand, bevor er sich schließlich zu Mireylle umdrehte. „Ab hier kann ich Euch nicht mehr begleiten, Mylady. Doch der Weg dürfte nicht schwer zu finden sein. Ich werde ihn Euch, nach einer alten Karte, die in meine Hände gekommen ist, beschreiben. Doch erst müsst Ihr lernen, zu betreten, was vor Euch liegt. Euer Blick kann die Welten passieren, aber auch Euer Körper kann dies tun. Es ist wie bei der Brücke im Wald. Versucht, die Schwingung meiner Welt zu spüren, ihren eigensinnigen Rhythmus, und in diesem Rhythmus mit zu schwingen. Wenn Euere Seele das schafft, wird Euer Körper ihr folgen. Könnt Ihr es?“.

Mireylle sah ihn nur kurz unsicher an, dann schloss sie gehorsam die Augen und lauschte auf den Takt der Welten. Sie konzentrierte sich und es gelang ihr, die beiden markanten Herzschläge der zwei Welten herauszufiltern. Beide brannte sie in ihren Geist ein. Neugierig entschied sie sich für einen und ließ ihn im Dunkeln ihres Inneren erklingen. Als sie die Augen öffnete, musterte sie ihre Welt, ganz ohne Trübungen und Überlappungen. Sie schien ihr wesentlich friedlicher als zuvor. Aber die Ruhe, die über ihr lag, hatte auch etwas Endzeitliches, bemerkte Mireylle mit Schrecken. Von der starken Empfindung irritiert schloss sie erneut die Augen und ließ den anderen Rhythmus erklingen, um sich in seine Welt zu flüchten. Augenblicklich vertiefte sich das Dunkel, Mireylle erkannte rein gar nichts. In natürlicher Panik ging sie in sich und mühte sich ab, die gewohnte innere Schwingung wieder herzustellen. Stimmt. Katakomben waren dunkel.

„Gut“, erklang Shahaans Stimme neben ihr, „Ihr seid soweit“.

Mireylle sah ihn an, beobachtete den neugierigen Ausdruck seines Gesichtes, seine Augen, die durch sie hindurch sahen, tiefer blickten, als menschliche Augen vermochten. Endlich entschloss er sich dazu, die Augen abzuwenden. Sie verloren ihren durchdringenden Charakter, doch er fing sie erneut mit seinem Blick, als er ihr die Route durch das vor ihr liegende Labyrinth beschrieb. Seine Stimme hallte laut und einprägsam wie ein immerwährender Reigen in ihrem Kopf wider. „Ich werde Euch hier erwarten.“ Er zögerte. „Noch ein Wort, bevor ihr losgeht. Ich bin mir sicher, Ihr habt dort drin nichts außer den mechanischen Fallen, von denen ich Euch erzählte, zu befürchten. Hier.“ Der Vampir reichte ihr eine Glaskugel, die mit Licht gefüllt zu sein schien, und eine weitere, in der so etwas wie wabernde Schwärze gefangen war. „Die Eine wird Euch als Lichtquelle dienen, doch sie erlischt nach etwa einer Stunde. Die andere wird Euch die letzte Tür öffnen, sobald Ihr davor steht. Achtet darauf, nicht allzu lange im Schatzsaal zu verweilen.“

Eine Weile musterte er sie, versuchte etwas zu erkennen, doch schließlich gab er es von der Zeit gedrängt auf. Ein Lächeln spielte sich auf seine Lippen. „Ihr solltet jetzt losgehen, dann habt Ihr es schneller hinter Euch, Mylady. Ich erwarte Euere Rückkehr ungeduldig“.
 

Dichte Wolken hingen Unheil verheißend über dem Palastberg. Lord Virayal rutschte unruhig in seinem Thron vor und richtete sich zu einer aufmerksamen Haltung auf. Irgendetwas Wichtiges ging in seinem Reich vor, etwas Untergründiges, das an der Substanz seiner Macht kratzte, wie ein unbändiger Reißstrom an seinen Ufern. Der alte Herrscher spürte die Erschütterung der Magie, doch trotz all der Jahre und der Erfahrung konnte er ihren Ursprung nicht ermitteln. Die Ahnung umfasste seinen Geist, zerrte an seinem Bewusstsein und entfesselte die Mächte der Natur in seinem Inneren. Instinkte brachen über ihn herein, wie sie es schon seit Jahren nicht mehr geschafft hatten, überschwemmten sein Bewusstsein und bahnten sich ihren Weg an die Oberfläche. Eine Schweißperle rann dem Lord über die nachdenklich gerunzelte Stirn, ein stummer Zeuge der Angst, elementarer Angst um die eigene Machtposition.

Die Stellung der Machtträger im Reich der Schatten gründete sich unmittelbar auf dem Recht des Stärkeren. Intelligenz war ebenso grundlegend wie körperliche und magische Macht, wenn man sich eine Führungsposition erarbeiten wollte. Und nur jene, die aus den zahllosen Machtkämpfen als Sieger hervorgingen, bekamen die Chance, vom Fürsten als Lord eingesetzt zu werden. Was die Verwalter seines Reiches anging, erlaubte der dunkle Fürst sich, einzugreifen und auszuwählen. Schon oft hatte der Aufständische, der einen Lord besiegt und um seinen Thron gebracht hatte, durch den Fürsten einen grausamen Tod gefunden und ein gleichberechtigter Anwärter wurde in die Stellung eingesetzt. Ebenso pflegte der Fürst schwach gewordene Verwalter zu ersetzen.

In einem impulsiven Anflug von Grauen sprang Lord Virayal wider seine Gewohnheit auf. Die rasche Bewegung machte ihm erbarmungslos sein Alter und auch seine körperliche Nachlässigkeit bewusst. Aus seiner eigenen Schwäche heraus entflammte in ihm ein gewaltiger Zorn. Er wandte seine in dämonischer Wut leuchtenden Augen seinem jungen Kammerdiener Lamerian zu und der Bursche keuchte unter dem Gewicht des vernichtenden Blickes.

„Herr, kann ich Euch irgendwie zu Diensten sein?“, presste er zitternd und mit zu Boden gesenkten Augen hervor.

Der Lord machte eine unwirsche Bewegung mit der Hand und Lamerian flog förmlich aus der Tür, noch ehe sein Herr das Wort „Raus“ zuende gebrüllt hatte. Virayal bedauerte einen Moment, wie schnell seine sonst so allgegenwärtige Gelassenheit verflogen war. Etwas Großes geschah um ihn herum. Als würde er im Begriff stehen, einen substanziellen Teil seiner Macht zu verlieren. Mit dem Geschick langer Übung beschwor er das Bild seines Heerlagers. Sein Blick suchte die gesamte Umgebung ab, durchblickte jeden dunklen Winkel und erforschte jede Unebenheit der Umgebung. Aber so lange er auch forschte, so intensiv er sich auch darauf konzentrierte, er vermochte keine Gefahr zu erkennen. Doch sein Heer war mit Sicherheit das schwächste Glied seiner Macht. Er konnte sich gut vorstellen, dass einer der anderen Lords plante, es aus einem Hinterhalt an zu greifen und mit einem Mal komplett auszulöschen, um sich anschließend einen freien Kampf mit Lord Virayal zu leisten.

Etwas rührte sich im Gefüge der Macht. Virayal zögerte. Eine Verschwörung? Etwas nahte ihm, doch er fand sich unfähig zu erkennen, woher oder was. Die astrale Struktur des Wesens klang in seiner Wahrnehmung so leise und sanft wie ein Lüftchen, das Seidenvorhänge am offenen Fenster leicht schaukeln lässt. Ebenso schwach und verstreut erschien es ihm, schwankend, als sei es eine Wahrnehmung, für die ihm das richtige Sinnesorgan fehlte. Es musste dieser Welt fremd sein, doch wie fand ein solches Wesen den Weg in diese Welt? Seit jeher war es keinem Geschöpf vergönnt, zwischen den Welten zu wandeln. Dafür sorgten die Astrale, indem sie diese Welt in ihren Fugen hielten. Sie schützten ihre Grenzen vor Eindringlingen und setzten die Wesen dieser Welt in ihr gefangen. Niemand vermochte die Grenzen zu passieren. Man munkelte, selbst der Fürst besäße diese Fähigkeit nicht.

Ein Weltenwandler? Der Lord zuckte innerlich zusammen, als ihm ein schrecklicher Gedanke kam. Falls, ja, falls es eine Möglichkeit gab, zwischen den Welten zu wechseln, so konnten Wesen völlig anderer astraler Struktur hier eindringen. Und sie würden unfassbar weit eindringen können, da sämtliche um sein Reich gewobene Schutzzauber auf die astralen Formen dieser Welt ausgelegt waren. Ein Eindringling konnte an Orte gelangen, die von uralter, mächtiger Magie geschützt waren, da sie für ihn völlig wirkungslos verblieb.

Das Blut des Lords raste, als sein Geist alle magisch geschützten Säulen seiner Macht durchging und schließlich auf das wahrscheinlichste Opfer eines gezielten Feldzuges gegen ihn stießen, welches man mit dieser Fähigkeit verhältnismäßig einfach stehlen konnte. Der größte Schatz der Katakomben! Das 7. Astral!

Er merkte kaum, wie seine Finger zitterten, während er sich dem mit uralten Symbolen und Runen überfüllten Kreis in der Saalmitte näherte, mit dessen Hilfe er fähig war, eine Verbindung mit den direkt unter seinem Palast liegenden Katakomben herzustellen.

Einem meditativen Singsang gleich schallten die Worte der Beschwörung durch das uralte Gemäuer. Die kräftige Stimme des Lords hallte abwechselnd hoch und tief von den runenübersäten Wänden wider. Töne erklangen und ließen jedem im Umkreis des Palastes das Blut gefrieren. Momente der Stille lösten ein panisches Rasen der Herzen aus. Ein Gesang, so alt wie die Nacht, so mächtig wie die Finsternis, einst geschaffen, um einen noch gewaltigeren Zauber zu zähmen. Erdacht, um eine Magie der alten Zeit für die Mächte dieser Ära beherrschbar zu machen. Die Katakomben, gewoben aus den archaischen Pfaden der Macht, einst Bollwerke der längst vergessenen Zauberkünste, hatten erst dadurch zu einer geheimniswahrenden Stätte dieser Zeit werden können.

Virayal sah das beschworene Bild nicht mithilfe von Licht und Dunkel, sondern nutzte die Sinne eines Magiers. Sein Geist fand sich in einer der antiken Stätten wieder und folgte sogleich eilig den Wegen des unterirdischen Labyrinthes, vorbei an den einst so vertrauten Bauwerken des verborgenen Heiligtums. Schnell legte er den Weg zurück, welchem auf dieser Welt nur er und der Fürst hätten ungestraft folgen dürfen.

Einem schweren Schlag gleich traf die Erschütterung der Macht auf den Astralkörper des Lords. Der wichtigste Sockel seiner Macht, aus dessen Kraft so viele Zauber dieses Landes gewoben waren, war von seinem Altar entfernt worden. Schleichendes Entsetzen packte die alte Seele des Lords und rang mit seinem Verstand um die Vorherrschaft. Es war ihm nur zu bewusst, welche unbändigen Mächte nun in seinem Reich entfesselt worden waren. Längst geschlagene und durch Magie unterworfene Widersacher würden bald die neu erlangte Freiheit nutzen, um in einen Feldzug gegen ihn zu ziehen. Urkräfte würden sich manifestieren und das Land mitsamt sämtlichen Besitztümern des Lords verwüsten. Die Pfade der Urmagie würden wieder ungebändigt fließen wollen und die magische Entladung der aufgestauten Kräfte würde nur Zerstörung zurück lassen.

Er schluckte. Als sein Geist die Suche nach dem Eindringling zum zweiten Mal aufnahm, begann das magische Gefüge bereits zu schwanken und der Beschwörungskreis im Palast vibrierte unter der magischen Überlastung durch sich unkontrolliert entladende Kräfte.

Endlich entdeckte er das Wesen, es warf einen Blick zurück und begann zu rennen, als es ihn erkannte. Ein merkwürdig verschwommenes Leuchten begleitete den Astralkörper des fliehenden Diebes, doch Virayal ließ sich nicht ablenken. Sein Blick blieb auf den vor Magie strahlenden Gegenstand in dessen Händen geheftet. Die Magie waberte wie dunkles Licht um das Astral und umschlang langsam aber sicher den Arm seines Trägers.

Erstaunt beobachtete der Lord die Verbindung zweier potentiell unterschiedlicher Astralmachtträger und versuchte zu ermessen, welche Wirkung eine solche Verbindung wohl haben würde. War das die verborgene Schutzmacht der Astrale?

Die kalten Wände warfen Virayal das panische Schluchzen einer weiblichen Stimme zu. Sein Ziel bog in diesem Moment in großem Tempo um eine Ecke, an der die Jagd schon einmal vorbeigezogen war. Hämische Freude durchzog den Geist des Lords. Er musste ihr das Astral nur noch abnehmen und es zurückbringen.

Der Mund des alten Herrschers sprach Worte einer längst vergessenen Sprache in den Beschwörungskreis und ermöglichte seinem Astralkörper eine schnellere Fortbewegung. Der Lord ignorierte die Spannung, die bereits jetzt in der Luft um den Palast knisterte.

Er machte einen schnellen Satz auf sein Opfer zu und streckte sich nach dem Arm des fliehenden Mädchens.

Im Moment der Berührung geschah etwas Unerwartetes. Die Astralhand wurde mit gewaltiger Kraft von der astralen Verbindung des Mädchens und des Gegenstandes angezogen, sie verbanden sich scheinbar. Der Palastberg erzitterte. Die Schwingung des Astrals ergriff Besitz von der Seele des Lords, zog ihn mit sich. Plötzlich, irgendwo in den Sphären seines Geistes, explodierte Etwas. Grelles Licht schoss zwischen den beiden Gestalten hervor und lieferte den Anlass zu einer magischen Entladung. Die ganze Welt schien zu vibrieren, als die Berührung auseinander gerissen wurde. Das Mädchen flog gegen eine der stark

bebenden Wände und verschwand in einer Raum-Zeit-Enklave, die sich spontan durch die Überladung gebildet haben musste.

Lord Virayal kam leise keuchend inmitten des Beschwörungskreises zu sich. Schatten und Lichter waren ihm aus den Katakomben gefolgt und aus unerfindlichen Gründen nahm sein geistiges Auge die astralen Schwingungen farblich überspitzt wahr. Mit letzten Kräften versuchte er, aus der Kreismitte zu kriechen, während die Vibration der Überladung immer drohender wurde und eine baldige Entladung ankündigte. Wenige Sekundenbruchteile später tobte unermessliche magische Spannung durch den Palast und fand seinen Entladungsschwerpunkt im Kreisinneren. Das Gemäuer erzitterte und kurz darauf barst die Decke des Gebäudes Molekül für Molekül in der Energie der Entladung.
 

Grausames Chaos rauschte über den Palast hinweg. Es hinterließ nichts weiter als verbrannte Ruinen. Dort, wo noch vor kurzem wahre Monumente archetektonischer Kunst gestanden hatten, waren kaum noch Wände zu finden. Doch hier und da regte sich Leben unter den Trümmern. Die Großen des Hofes hatten das Chaos mithilfe ihrer magischen und körperlichen Macht überstanden.

Vom Stolz getrieben richtete Lamerian sich schlagartig wieder auf. Nicht auf die Wunden achtend eilte der wunderschöne Dämon durch die Überreste der vergangenen Pracht zu dem ehemaligen Saal des Lords. Schnell lief er auf den angeschlagen wirkenden Körper seines wirr vor sich hin murmelnden Herren zu und streckte die Hände magisch tastend aus, um die Gefahr der verbliebenen Magiemenge zu erfassen. Doch eine astrale Manifestation ließ ich in der Bewegung erstarren. Er wagte kaum von seinem schwach atmenden Herrscher aufzusehen, während eine Gestalt neben den Beiden erschien. Die Macht umwaberte den Ankömmling wie ein dichter, schwarzer Lichtnebel.

„Er lebt, Herr“, flüsterte Lamerian unterwürfig zu Boden blickend der Gestalt zu. Doch es kam keine Antwort. Verwirrt schaute Lamerian hoch und traf auf grüne Augen, die nur Kälte ausstrahlten. Ein dünnes Lächeln durchzog das perfekte Gesicht. In einem Reflex warf der Diener sich zurück und entfernte sich von seinem wehrlosen Herrn. Die kalten Augen sahen ihm dabei interessiert nach. An eine Wand stoßend hielt Lamerian an und drückte sich an den berstenden Wall, letzten Schutz suchend. Doch sein Blick blieb starrend auf der nicht allzu großen Gestalt des Fürsten hängen.

Er hatte den Herrscher dieser Welt noch nie persönlich gesehen, doch seine Macht war unermesslich und ihre besondere Schwingung allen Bewohnern dieser Welt bekannt. Die dünne Gestalt des Fürsten entsprach der eines Halbwüchsigen. Noch nicht zu der vollen Größe eines Mannes gewachsen, die Muskeln und Proportionen noch nicht zu denen eines Kriegers gereift, eher schmächtig anmutend. Doch die schwarze Kleidung und das rabenschwarze Haar stärkten den Eindruck jahrhundertelang geformter Verwegenheit. Niemand kannte sein wahres Alter.

Der Fürst schaute den sich am Boden windenden Lord an, legte dabei den Kopf etwas schief und lauschte dem sinnlosen Gebrabbel des alten Herrschers. Er blinzelte, dann war sein Interesse verflogen. Erschrocken versuchte Lamerian, sich noch enger an die Wandruine zu drücken, als dunkle Macht durch die Luft strömte und der Körper seines Herren leicht in der Luft schwebend in Flammen aufging. Der Fürst schaute sich den verbrannten Leichnam noch einen Sekundenbruchteil an und verschwand, nichts weiter zurücklassend.

Wem wollte er das Land überlassen? Er hatte den alten Lord für seine Schwäche und Dummheit bestraft, doch wer sollte nun seinen Platz einnehmen? Lamerian richtete sich auf. Schnellen Schrittes raste er auf den Toten zu, um nach einem bestimmten Gegenstand zu suchen.

Als einige weitere Dämonen im zerstörten Raum erschienen, standen sie einem wunderschönen Mann gegenüber, der in all seiner Pracht leuchtete. Der Ring der Macht an seiner rechten Hand schimmerte im schwachen Licht der Sonne. Sein Gesicht wurde von einem arroganten Lächeln geziert.
 

Der Raum war einfach und licht, von zwei simplen Landschaftsbildern geziert. Imitate, wie man sie in Billigläden so oft sah. Die kurzen Vorhänge waren beiseite gezogen, um die Lüftung des kleinen Zimmers zu beschleunigen. Das Bett war frisch bezogen und ordentlich hergerichtet worden.

Mireylle ließ sich erschöpft und immer noch zitternd darauf nieder. Zunehmend spürte sie, wie alle Kräfte aus ihrem Körper wichen. Das Adrenalin hatte ihr zwar kurzzeitig geholfen, doch seine Wirkung ließ bereits nach. Sie schloss die Augen, doch die Einsamkeit und Verwirrung, in der Shahaan sie zurückgelassen hatte, weigerte sich zu weichen. Tränen strömten über ihre Wangen und zehrten an ihrem geschwächten Geist. Leise, sanft und überwältigend legte die Ohnmacht sich über Mireylles Sinne. Doch diesmal gelang es ihr nicht, Mireylle mit sich ins Dunkel zu ziehen, denn Shahaans willensstarker Griff zog sie sogleich zurück ins Bewusstsein.

Mireylle öffnete die Augen, als der Duft frischen Brotes ihr entgegen schlug. Der Vampirlord hielt ein Tablett mit Obst, belegten Brötchen und Orangensaft in der linken Hand. Verblüfft dachte sie darüber nach, wie schwer das Ganze sein musste. Doch er gebrauchte nur eine Hand, mit der er das Tablett am Rand festhielt.

Mireylle wischte die Tränen ab und griff gehorsam wie ein Kind nach dem dargereichten Tablett, stellte es auf ihren Schoß und nahm eines der beiden Brötchen in die Hand. Doch bei der Vorstellung hinein zu beißen wurde ihr schlagartig übel.

„Ihr müsst essen, Mylady. Euer Körper braucht die Nährstoffe und auch Flüssigkeit, um seine Verluste aus zu gleichen.“ Wie immer, wenn er ihr etwas einredete, war die Stimme des Lords sanft und einprägsam.

Selbstverständlich war Mireylle klar, wie Recht er hatte, doch seine beeinflussende Art begann sie zu ärgern. Eine von ihr selbst lange unbemerkt gebliebene Flamme des Stolzes auf ihre geistige Unabhängigkeit kämpfte sich in ihrem Inneren an die Oberfläche. Sie beschloss, zum letzten Mal gehorsam zu sein, wenn er diese Technik anwendete. Mireylle wusste um ihre Angst, ihm zu widersprechen, doch sie war sich sicher, diese beim nächsten Mal bändigen zu können. Sie biss in das Brötchen.

Geduldig und regungslos wie eine Statue wartete der Dämon, bis sie fertig war. Sein wachsamer Blick zwang sie förmlich weiter zu essen, bis das Tablett komplett geleert war, doch er sprach kein Wort.

Mireylle ihrerseits vermied es aufzusehen. Sein Verhalten machte sie nur wütend, aber ihr war bewusst, was die Bezeichnung „Lord“ aussagte. Er war ein Befehlshaber und keinen Widerspruch gewöhnt. Mehr noch, er erwartete sofortige Ausführung jeglichen Befehls. Und er hatte sie in eine Lage gebracht, in der sie völlig von seiner Willkür abhängig war. Folgsam schlürfte sie den letzten Schluck Saft.

Der Dämon hatte den Raum kurz verlassen und kehrte mit einer weiteren Karaffe voll Saft und einer Flasche Sprudelwasser zurück, die er auf dem kleinen Nachttischchen abstellte.

„Ruht Euch jetzt besser aus, ich werde einen Heilzauber über Euch legen. Zudem habe ich noch einige Dinge zu erledigen, sodass ich Euch für die Nacht hier alleinlassen werde. Ich werde am Morgen zurückkehren.“

Wider rannen Tränen von Zorn und Machtlosigkeit über Mireylles Gesicht. Sie hatte so viel getan, hatte auf der Flucht vor einem schwarzen Schatten in Todesangst durch finstere Tunnel gejagt, hatte ihm den merkwürdigen leuchtenden Kristall aus fallenübersäten Katakomben geholt. Oh, und ganz nebenbei hatte sie ihr bisheriges Leben aufgegeben, das hieß, die Reste dieses Lebens. Doch der Dämon sprach kein Wort des Dankes, keine Ermunterung gelangte über seine Lippen. Das einzige, das er gesagt hatte, als sie ihm den Kristall reichte war: „Das ist sehr gut. Ich freue mich, Euch so schnell wieder zu sehen. Lasst uns gehen“. Es war Mireylle nur zu klar, wie gleichgültig sie dem Dämon im Vergleich zu dem geborgenen Gegenstand war. Nur ein Mittel zum Zweck.

Manipulativ wie immer legte Shahaan seine Hand auf ihre Schulter und sie realisierte betrübt, wie sehr sie ihm schon verfallen war, wie stark die Wirkung dieser kleinen Berührung auf sie zu wirken vermochte. Sie schloss die Augen und folgte mit ihren Sinnen der sich ausbreitenden Wärme seiner Hand.

„Geht, Lord Shahaan“, sagte sie fest, um sich endlich zu befreien. Ihr Blick blieb standhaft auf seine Augen gerichtet. Keine Kompromisse. Sie wollte stark sein, schließlich hatte auch sie ihren Stolz. Wenn er sie jetzt noch brauchte, würde er es nicht wagen, ihr etwas zu tun, und ihrem Wunsch folgen.

Ein Moment der Spannung zog sich zwischen den Beiden, bevor er die Hand von ihrer Schulter nahm. Überraschender Weise verbeugte der Lord sich.

„Ich werde am Morgen wiederkommen und Euch erneut um einen Dienst bitten, also empfehle ich Euch, solange auszuruhen, Mylady. Ihr habt mir heute sehr geholfen, seid Euch meiner Dankbarkeit gewiss. Ich wünsche eine gute Nacht.“

Der Vampir wandte sich um und verließ das Hotelzimmer, indem er in Schatten zerfiel.
 

Am nächsten Tag erwachte Mireylle erst spät. Müde schaute sie aus dem Fenster in den wolkenverhangenen Himmel. Sie drehte sich im Bett und griff nach ihrem Rucksack, um eine Armbanduhr hervor zu kramen. Halb elf. Ihr Magen meldete knurrend den etwas zu niedrigen Füllstand. Mit einem Seufzen richtete Mireylle sich auf und stellte erstaunt fest, dass es ihr schon deutlich besser ging. Ihr Körper fühlte sich wesentlich erholter und zeigte keine Probleme mit dem Kreislauf mehr. Die Verbände ihrer Unterarme waren ausgetauscht worden, Shahaan musste also schon einmal wiedergekommen sein, während sie noch geschlafen hatte. Doch er schien es für unklug gehalten zu haben, sie zu wecken. Vielleicht wollte er sie im Besitz all ihrer Kräfte wissen, wenn er sie erneut auf eine gefährliche Mission schickte.

Langsam stand sie auf und schleppte sich mit dem Rucksack ins Bad, um sich so frisch zu machen, wie es mit ihren Wunden eben möglich war. Erst nachdem sie die Tür des Bades erneut hinter sich zu gezogen hatte, bemerkte sie den wartenden Lord. Schüchtern strich sie eine nasse Strähne hinters Ohr.

„Guten Morgen, Mylady Mireylle. Ihr habt Euch sichtlich erholt, wie fühlt ihr Euch?“, erkundigte der Vampirdämon sich in einem aufrichtigen Ton. Mireylle war nicht sicher, ob er den vorhergehenden Abend ignorieren oder sie einfach nur wieder mit seinem Charme einhüllen wollte. Doch eines war ihnen beiden klar, das wusste sie: Nachdem sie einmal misstrauisch geworden war, was die gesamte Illusion, die er um sich schuf, betraf, war es nicht mehr möglich, diese wieder aufzubauen, denn das Misstrauen ließ nicht nach, wenn es sich erst ein mal eingenistet hatte. Abermals schärfte Mireylle es sich ein, vor weiteren Täuschungen auf der Hut zu sein, sie hatte nie eine Marionette werden wollen. Und doch musste sie sich eingestehen, wie schwierig es war, sich nicht von dieser Stimme, diesem Ton, der Mimik und Gestik und vor allem von diesen mächtigen Augen beeinflussen zu lassen. Er spielte ein abgekartetes Spiel, dessen Regeln, dessen Ziel sie noch nicht einmal kannte. Sie wusste nicht, was sie tat. Auch nicht, für wen. Vielleicht hatte sie gestern Abend einem bösartigen Dämon zu mehr Macht verholfen. Der Gegenstand, der so gut versteckt wurde, so sehr von Magie geschützt wurde, bedeutete Macht, mit Sicherheit.

Trotz all dem fiel es Mireylle schwer, bis ins tiefste ihres Herzens daran zu glauben. Er konnte sehr wohl böse sein, überheblich und verwegen, seine Aura strahlte all dies aus, aber er hatte ihr geholfen, irgendwie.

„Wesentlich besser, danke“, brachte sie nach einer kurzen Pause hervor, die auch dem Dämon sicher genug Zeit gelassen hatte, sich über ihre Gefühlslage klar zu werden. Sie wussten es beide.

„Denkt Ihr, Ihr seid bereit aufzubrechen, sobald Euer Haar getrocknet ist?“. Eine Frage und eine Aussage.

Fasziniert beobachtete Mireylle, wie die aufrichtige Besorgnis um ihre Gesundheit auf seinem Gesicht erschien und in ihrer Wahrnehmung ausgerechnet die Aussage, sie würden bald aufbrechen, betonte. Ein Befehl. Sie nickte.

Bald darauf brachen sie auf. Überraschender Weise gingen sie nicht auf die Art, auf die sie in das Hotel gekommen waren. Der Vampirdämon nahm Mireylle bei der Hand und führte sie mit den Worten „Schließt die Augen und folgt mir, Mylady“ durch die Grenzen der Dimensionen hinein in seine Welt. Mireylle lauschte dem Takt, schwang mit dem Rhythmus.

Das erste, was sie sah, war eine prächtige Kutsche, die auf einem düsteren Wadweg vor ihnen hielt. Das Gefährt war schwarz und mit silbernen Schnörkeln verziert. Ein feingliedriges Wappen schmückte die Türen, doch Mireylle fiel es schwer, etwas in dem komplizierten Kunstwerk zu erkennen, das nicht an Hände oder Augen erinnerte. Dieses Zeichen strahlte deutlich aus, man würde stets beobachtet und gelenkt.

Mireylle drehte den Kopf und das, was vor den Wagen gespannt war, erregte ihre volle Aufmerksamkeit. Die Pferde, wenn man sie so nennen mochte, waren pechschwarz und ihr dünnes Fell glänzte metallisch. Zudem hatten die Tiere sechs lange, dünne Schwänze, die in einem Büschel Fell endeten. Die langen, spitzen Zähne der muskelbepackten Geschöpfe erregten Ehrfurcht, die Mireylle einige Schritte zurückstolpern ließ. Umso überraschter war sie, als der Vampirdämon an ihr vorbei zu den Zugtieren ging und einem von ihnen sanft über den Nasenrücken fuhr. Das schwarze Geschöpf schloss die Augen und legte die Ohren an, die sechs Schwänze kringelten sich in die Höhe. Einwenig erinnerte es Mireylle an einen Hund, doch das bunte Glitzern der spaltbreit geöffneten Augen verdrängte den Eindruck schnell.

Der Dämon wank sie zu sich und Mireylle näherte sich widerstrebend dem furchterregenden Tier. Auf eine stumme Aufforderung legte sie die rechte Hand auf das Fell am Hals. Es war sagenhaft weich und warm.

„Thevire“, eröffnete der Vampirdämonenlord ihr mit einem liebevollen Beiklang in der Stimme. Mireylle glaubte, so etwas wie Aufrichtigkeit auf dem Gesicht ihres Begleiters zu sehen.

Sie gewann an Mut und strich dem Thevir über den Nasenrücken. Das Tier schnurrte leise.

„Sehr treue, mutige Tiere“. Im Gesicht des Dämons erschien ein ironisches Lächeln, während er die beiden Wesen mit einer Art Besitzerstolz betrachtete. „Außer sie sind der Meinung, mächtiger als ihr Besitzer zu sein. In diesem Fall reißen sie einen in Stücke.“

Das Lächelnde Gesicht Mireylle zugewandt, ging er voraus zum Wagen und öffnete die Türe. „Weshalb es für Euch nicht sehr empfehlenswert ist, ihnen ohne einen mächtigen Beschützer zu nahe zu kommen“

Tatsächlich gelangte ein wütender Unterton in das Schnurren des Thevirs, als Lord Shahaan sich entfernte. Mireylle entschloss sich, keine persönlichen Erfahrungen mit dem Verhalten von Theviren zu machen und folgte der einladenden Geste des Dämons.

Lord Shahaan musste die Kutsche an diesem Morgen für sie beide vorbereitet haben, doch Mireylle war immer noch nicht ganz klar, warum sie in seiner Welt reisen mussten. Während das Gefährt sich in Bewegung setzte, begann sie sich zu fragen, welche Aufgabe er diesmal wohl für sie haben würde.

Nach einer Weile war Mireylle dem Erbauer der Kutsche für die dicken Polster der Sitzbänke wirklich dankbar. Sie fuhren jetzt schon sehr lange mit dem altertümlichen Gefährt und die Abwesenheit von Stoßdämpfern hatte definitiv ihre Nachteile. Besonders, wenn man ausgerechnet Wald- und Wiesenwege bevorzugte. Selbstverständlich war Mireylle nach wie vor erstaunt, dass die Thevire ihren Weg auch ohne einen Kutscher fanden, aber sie vermutete, Shahaan könne sie mittels Gedanken lenken.

Alles an dieser Welt erschien Mireylle sonderbar und befremdlich. Zum einen sprühte ihre gesamte Umgebung vor magischer Ausstrahlung, doch zum anderen konnte sie die Aura ihres Begleiters hier nicht mehr erkennen. Sie fragte sich, ob sie damit zurechtkommen würde, wie diese Welt funktionierte und ob sie nicht am Ende feststellen würde, wie viel schöner ihre eigene Welt im Vergleich war. Doch mehr als alles andere fragte sie sich, was der Vampirlord mit ihr vor hatte.

Die schwarze Gestalt des Dämonen saß Mireylle gegenüber und schien in Gedanken vertieft. Mireylle sah nach der Zeit. Drei Uhr. Langsam wurde der Hunger nachdrücklich. Sie beschloss, Shahaan nach etwas Essbarem zu fragen, doch im letzten Moment wagte sie nicht, ihn zu stören und senkte betrübt den Kopf.

„Ihr seid hungrig, verzeiht“, erklang Shahaans Stimme warm und melodisch. Er musste ihr Aufrichten und wieder Zusammensinken bemerkt haben. Der Vampirdämon bückte sich und zog eine Truhe unter dem Sitz hervor, deren Befestigung er zuvor mit einem schlurfenden Geräusch gelöst hatte. Der Behälter präsentierte belegte Brote und einige Flaschen Orangensaft, sowie einige Stoffservietten und edle Gläser.

Nur kurze Zeit nachdem sie gegessen hatte, hielt die Kutsche an. Mireylle hörte auf darüber nach zu denken, wovon ihr Gegenüber sich wohl ernährte, und sah aus dem Fenster.

Der wolkenverhangene Himmel schien sich an diesem Ort zu besonderer Dunkelheit entschieden zu haben, denn obwohl in der Ferne überall Sonnenstrahlen durch die Risse der Wolkendecke schienen, herrschte an diesem Ort beständige Dunkelheit. Der Himmel über der Anhöhe, vor der sie standen, war völlig schwarz.

Nagendes Unbehagen begleitete Mireylle, als sie ausstiegen.

Der Dämon las einen Moment lang in ihren Augen, bevor er ihr erklärte, dass ihre Aufgabe hier eine ganz ähnliche sei, wie in den Katakomben. Sie sollte einen Gegenstand aus der Mitte der Steinkreise holen, die sich af dem Hügel vor ihr befanden.

„Allerdings wird dieser Auftrag wesentlich einfacher sein, als der letzte, Mylady. Gestern seid ihr dem Herren des 7. Astrals, Firmeo, begegnet, den ihr für mich bergen solltet. Doch das 2. Asral, Requiesco, ist für dessen Herren ebenso unerreichbar wie für jeden anderen Bewohner dieser Welt. Ihr, Mylady, seid die Einzige, die die magischen Banne zu durchschreiten vermag.“ Er sah in die Ferne. „Selbstverständlich sollten wir uns hier nicht allzu lange aufhalten, wenn das Objekt erst mal in Eueren Händen ist, doch die Grenze zu meinem Land ist nicht weit von hier und Lord Alesan dürfte nicht wagen, diese zu überschreiten, wenn er keinen neuerlichen Krieg beginnen will.“

Einen Moment lang verarbeitete Mireylles Verstand die Aussage. Doch die unheilvolle Atmosphäre, die über dem Ort hing, überdeckte die beruhigende Wirkung seiner Worte. Sie war sich nicht so sicher, den Steinkreis unbehelligt beschreiten zu können. Zudem glaubte sie den Worten des Dämons nicht unbedingt. Andererseits, welchen Zweck hätte es, sie in diesem Fall zu belügen? Wenn sie die Aufgabe zu leicht nahm und ihre Mission scheiterte, verspielte er die einzige Chance, an dieses so genannte Astral zu kommen. Seit dem vorhergehenden Abend glaubte Mireylle, für Shahaan einigermaßen wichtig zu sein. Schließlich hatte er sich ihrem Befehl gefügt du hatte das Zimmer verlassen, obwohl es für ihn mit Sicherheit eine Demütigung bedeutete hatte, von ihr Befehle entgegen zu nehmen.

Sie begegnete dem wartenden Blick des Dämons und fühlte sich plötzlich gedrängt, etwas zu tun, doch einige Fragen stahlen sich in ihren Kopf und begannen wild rotierend immer mehr Ungewissheiten aufzuwirbeln. Würde sie nach diesem Auftrag für den düsteren Lord unbrauchbar werden? Sie zögerte.

„Was wird geschehen, wenn ich Euch das Astral bringe?“ Ihre Stimme zitterte leicht.

Der Dämon grinste einnehmend. „Seid unbesorgt. Abgesehen davon, dass es noch ein paar Astrale gibt, an die ich mit Euerer Hilfe kommen möchte, sind Euere außergewöhnlichen Fähigkeiten für mich noch in vielerlei Hinsicht von Nutzen. Zudem möchte ich noch hinzufügen, dass auch Dämonen nicht undankbar sind, Mylady Mireylle“.

Er hatte ihre Frage so verstanden, wie sie es gemeint hatte, als könnte er ihre Gedanken lesen. Mireylle schauderte innerlich ein wenig. „Und ich brauche wirklich nur dort hinauf zu gehen? Ist denn kein Zauber vonnöten, um an das Astral zu kommen?“ Ihre Entscheidung war bereits zugunsten des Dämons gefallen.

„Nein, es braucht kein Verlies geöffnet zu werden, wie beim letzten Mal und die Banne, die darüber gelegt wurden, können gegen Euch nichts ausrichten. Seid Ihr bereit?“

Mireylle nickte. Für einen Augenblick schloss sie die Augen und sammelte ihren Mut, ehe sie sich aufmachte, den Hügel zu erklimmen.

Schon nach einigen Schritten spürte sie einen Anstieg der Temperatur, genau wie in dem Verlies. Auch hier konnte sie den Pulsschlag dieser Welt immer deutlicher hören, der in ihrem Inneren widerhallte. Die Luft um sie herum schien immer dichter zu werden, doch sie konnte Mireylle den Weg nicht erschweren.

Sie fragte sich, ob es dich vielleicht um einen Schutzzauber handelte, dessen Nachklang sie zu spüren bekam. Zwar hatte der Vampirdämon ihr versichert, die Zauber dieser Welt seien nicht auf sie ausgelegt, doch andererseits hatte er die Heilung ihres Körpers durch Magie beschleunigen können.

Mireylle wurde etwas langsamer, als sie sich dem innersten Steinkreis näherte. Irgendwie erinnerte sie der Anblick an das Stonehenge. Eine Art Ehrfurcht ergriff sie, als sie die unsichtbare Barriere zum Kreisinneren durchschritt und das sanfte Leuchten des in der Mitte schwebenden Kristalls auf ihr Gesicht fiel. Unsicheren Schrittes näherte sie sich dem Astral, um es nach einem kurzen Zögern in die Hände zu schließen. Einige Augenblicke war sie vor Furcht wie erstarrt, doch nichts geschah. Unwillkürlich entglitt ihr ein erleichtertes Seufzen.

In Gedenken an Shahaans Worte straffte Mireylle die Schultern und beeilte sich, zu der Kutsche zurückzukehren. Das Astral in ihren Händen pulsierte, seine Wärme kroch ihre Arme hoch und wand sich langsam um ihren ganzen Körper. Es erschien ihr seltsamer Weise ebenso vertraut wie das letzte Astral.

Der Dämon erwartete sie unten am Hügelansatz und seine Augen leuchteten erwartungsvoll beim Anblick des Astrals. Mireylle beschleunigte ihren Schritt und begann auf der Stelle zu rutschen. Wild mit den Armen rudernd schlitterte sie die letzten paar Meter runter und ein sicherer Griff des Lords bewahrte sie vor einem recht peinlichen Sturz.

Ärgerlich registrierte sie, wie ihr Herz etwas höher schlug, als sie die unbeabsichtigte Nähe wahrnahm. In dieser Welt war der Dämon mit seinem ganzen Sein präsent und Mireylle atmete überrascht den angenehmen Ledergeruch seines Mantels tief ein.

Vielleicht brauchte sie einen Augenblick zu lange, um sich zu sammeln und den korrekten Abstand wieder herzustellen. Ein wenig verlegen streckte Mireylle Shahaan das Astral entgegen.

Lord Shahaans Gesicht wirkte ebenso ausdruckslos wie beim letzten Mal, doch er sah keinen Grund das erfreute dämonische Leuchten seiner Augen zu unterdrücken, als er den Kristall entgegennahm.

Mireylle wusste nicht, was geschehen war. Sie hatte in dem Augenblick, in dem Lord Shahaan das Astral berührte nur ein grelles Leuchten gesehen, doch während der Dämon in sich zusammenbrach, wandte sie sich reflexartig von der unglaublichen Hitze ab, die zwischen ihnen entstanden war. Langsam senkte Mireylle die Hände und spähte ängstlich auf die Szene. Der fallengelassene Kristall lag neben ihr auf dem Boden und sein samtenes Strahlen bedeckte den auf Knien hockenden Vampirdämon. Shahaans Kopf war gesenkt und seine Finger krallten sich krampfhaft in den Boden. Der Körper des Lords wurde ruckartig geschüttelt und zum ersten Mal vernahm Mireylle, dass er tatsächlich atmete. Stoßweise drang ein gepresstes Keuchen aus seiner Kehle, das Mireylle Angst einjagte.

Während sie nichts gegen ihre zitternden Beine unternehmen konnte, welche sie immer weiter zurückweichen ließen, als wäre Shahaan ebenso gefährlich, wie ein verletztes Raubtier, versuchte sie die letzten paar Momente zu verarbeiten. Ein Fluch musste den Lord getroffen haben. Dies war eine Welt der Magie und er selbst hatte ihr erklärt, sie sei die einzige, die gegen die Schutzflüche gewappnet war, welche die Astrale schützen. Sie musste den Fluch aus der Kreismitte mitgebracht haben. Er schüttelte den sonst so unantastbar mächtigen Lord und Mireylle befürchtete, er würde das nicht lange überstehen. Doch was konnte sie schon tun? Sie wollte ihm helfen, doch sie war nicht fähig, irgendeine Magie einzusetzen. Das war zu viel für sie. Sie konnte in dieser fremden Welt nicht gegen unbekannte Kräfte ankämpfen. Trotzdem schrie alles in ihrem Inneren, sie müsse etwas unternehmen. Von ganzem Herzen wünschte Mireylle sich, sie könnte ihm irgendwie helfen.

Krampfhaft gegen ihre Angst und die Kälte, die ihren Körper befallen hatte, ankämpfend versuchte Mireylle einen Schritt auf den zuckenden Shahaan zuzumachen, doch ihre Beine verweigerten einfach den Dienst.

Sie musste, sie wollte helfen. Vielleicht würde ihre Anwesenheit helfen, den Fluch zu vertreiben, der ihr selbst nichts anhaben konnte. Oder möglicherweise konnte sie durch eine Berührung ihre Abwehr gegen diese Magie aus Shahaan übertragen. Er hatte sie von ihrer Verzweiflung erlöst, sie aus der zerstörenden Einöde ihres Alltags befreit und ihr Hoffnung auf eine bessere Zukunft, auf Glück gegeben, auch wenn es ihr schwer fiel, sich das Letzte einzugestehen. Mireylle wollte etwas tun, doch sie konnte keinen Schritt vorwärts machen.

Leidend schrie sie auf, als Shahaan völlig zu Boden ging. Nun umzuckten seinen Körper rötliche Blitze, es war unverkennbar Magie.

Eine Träne der Ohnmacht rann Mireylles Wange hinab und nahm alle verbliebenen Kräfte mit sich. Unvermittelt knickten Mireylles Beine ein und sie fand sich zitternd am Boden.

Wieso traf es sie so? Er konnte furchtbar sein, Furcht erregend und brutal, das wusste sie spätestens seit dem Foto von Simons Leiche. Und trotzdem. Alles in ihr schrie vor Angst um ihn. Vielleicht wollte sie nur nicht für noch mehr Tote verantwortlich sein, vielleicht konnte sie niemanden sterben sehen, ob er nun gut oder böse war. Doch irgendwo in den Weiten ihres Bewusstseins war ihr klar, wie sehr sie an ihm hing. Sein verfluchter manipulativer Charme!

Ein Grollen ließ Mireylle aufschrecken und als sie sich umwandte, sah sie in weiter Ferne einen Schatten, der sich mit unglaublicher Geschwindigkeit auf sie beide zu bewegte. Eine Gefahr! Der Herr des Kristalls?

Mireylle fühlte, wie sich etwas veränderte. Sie kroch schnell auf Shahaan zu. Die magischen Blitze missachtend beugte sie sich über ihn und packte den Lord an den Schultern.
 

Mireylle fand sich in einem pulsierenden Chaos aus rotem Licht und Dunkelheit. Verwundert irrte sie in dem endlosen Labyrinth umher. Doch ihre Angst schwand mit jedem Schritt, den sie durch die wohlige Wärme tat. Erst nach einer scheinbaren Ewigkeit realisierte sie, warum diese Wärme ihr so vertraut war. Shahaan war ihr so nah, wie nie zuvor, auf eine Art, die sie nicht ganz begreifen, nur fühlen und erahnen konnte. Mireylle erstarrte. Die Verbundenheit mit Shahaans Geist glich dem Gefühl, das sie gehabt hatte, als der Dämonenlord sie aus ihrer Ohnmacht zurückgeholt hatte. War sie in ihrer Panik wieder bewusstlos geworden oder war sie Shahaans Geist durch die Berührung vielleicht gefolgt?

Hoffnung blitzte gleich einem Sonnenstrahl an einem wolkenverhangenen Himmel in Mireylle auf. War es ihr möglich, ihn zurückzuholen? Augenblicklich verfiel sie in einen Trab. Etwas leitete sie in eine bestimmte Richtung und Mireylle entschied, ihrem Gefühl zu folgen. Shahaan musste da irgendwo sein.

Mit einem Mal hatte sie irgendeine Barriere durchschritten und fand sich in einem gewaltigen Raum wieder, dessen Grenzen von den Schatten verschluckt wurden. In der hell erleuchteten Mitte des Raumes bot sich Mireylle ein verwirrendes Bild. Zwölf Personen standen in einem Kreis zusammen und stritten sich energisch. Erstaunt beobachtete Mireylle die so unterschiedlich und zugleich so ähnlich wirkenden Personen.

Das Kind unter ihnen schrie. Es war ein Kind von 4 oder 5 Jahren mit schulterlangen schwarzen Strähnen, in ungewöhnlicher Leinenbekleidung in hellen Brauntönen. Sein Gesicht war vom Schreien ganz verzerrt, die zusammengekniffenen Augen schon geschwollen. „Wo sind Mama und Papa? Was habt ihr mit ihnen gemacht?“

„Sei ruhig! Sie sind tot, klar!“, brüllte eine wesentlich ältere schwarzhaarige Gestalt in Uniform das Kind an. „Wir haben andere Probleme. Der Fürst ist eine Bedrohung für alle Dämonen! Und er ist wahnsinnig! So kann das nicht weitergehen!“

„Halt dein vorlautes Mundwerk!“, donnerte eine der Gestalten. Seine Stimme war ebenso bedrohlich wie sein Äußeres. In schwarzem Leder eingekleidet, das hüftlange pechschwarze Haar blutverklebt, das Gesicht zu einer sadistischen Grimasse verzogen, strahlte er pure Gefahr aus. „Niemand ist so mächtig wie der Fürst! Er ist unser aller Herr! Wir müssen ihm dienen, statt ihn zu bekämpfen!“

„Der Fürst steht der Rettung unserer Welt im Weg! Wir müssen gegen ihn vorgehen!“, erklärte, wie Mireylle nun erkannte, eine ältere Version Shahaans.

„Ich werde diese Welt einnehmen! Sie wird mein sein!“, meinte ein anderer.

„Wir müssen sie alle vernichten! Und jeden versklaven, der sich gegen uns stellt!“

„Ich hasse ihn!“

„Ich werde den Fürsten vor dir beschützen!“

„Wir müssen fliehen, solange wir noch können. Was interessiert uns diese Welt? Wenn wir den Groll des Fürsten auf uns ziehen, wird er uns sofort vernichten!“

„Lasst uns alle Mächte dieser Welt gegen ihn bündeln!“

„Und uns damit selbst vernichten? Die Zeit läuft ab!“

„Ihr seid so einfältig! Was versprecht ihr euch davon, ihm zu helfen? Wir müssen nur uns selbst helfen. Wir müssen ihn vernichten, um diese Welt zu erhalten!“

„Was interessiert uns die Welt? Soll sie doch enden, untergehen. Die anderen werden ihr folgen! Das dürfte ein nettes Schauspiel werden…“

„Mir ist egal, was mit der Welt passiert! Wir müssen die drei Teile wieder vereinen!“

„Ja, genau diese Einstellung hat uns an diesen Punkt gebracht“ Die schwarze Gestalt trat einen Schritt auf ihren Nachbarn zu und hob drohend eine Faust.

„Was soll das? Woher hätten wir wissen sollen, dass der Fluch noch immer auf dem Astral liegt?“, schrie dieser ihn an.

„Alles, was wir wollen, ist ein armes, hilfloses Kind retten.“

„Ich will überhaupt nichts retten!“

„Ruhe! Da wirst du schon noch rauswachsen!“

„Ha! Uns ist doch alles egal! Vampirdämonen haben keine Gefühle der Zuneigung! Selbst Hass ist für uns schwer zu erlernen-“. Der junge Dämon verstummte und sah zu Boden.

Einen Moment lang war es still.

„Was hat uns in diese Situation gebracht?“, fragte ein älterer Shahaan.

Erleichtert begann die Runde wieder ihren Streit.

„Genau! Wir sterben gerade, also sollten wir mal versuchen, uns was einfallen zu lassen!“ Mireylle war sich sicher, den heutigen Shahaan zu hören. Die Umgangssprache hörte sich aus seinem Mund so seltsam an.

Was für eine Runde war das? Shahaan in verschiedenem Alter. Und sie stritten, während der tatsächliche Vampirdämon außen litt und starb. Erneut kamen sie vom Thema ab und beschuldigten sich gegenseitig. Sie vergaßen wieder, an einer Lösung zu arbeiten.

Mireylle war nach wie vor verunsichert. Verbissen fragte sie sich, ob sie einfach einen Schritt vorgehen und die Gruppe ansprechen sollte. Nach kurzem Zögern entschied sie sich, etwas zu unternehmen. Gerade, als sie sich aus dem Schatten wagen wollte, bemerkte sie eine weitere Gestalt, die sich in der Finsternis versteckte. Ein schwarzer Mantel verbarg sie und eine Kapuze bedeckte den größten Teil des Gesichts, doch Mireylle erkannte deutlich, wie die Gestalt grinste.

Instinktiv wusste Mireylle, was zu tun war. Sie rannte auf den stummen Beobachter zu und riss ihm die Kapuze vom Kopf. Das schöne Gesicht einer blinden Frau mit weißem Haar wurde enthüllt. Erschrocken stolperte Mireylle einige Meter zurück, doch überraschender Weise stieß sie nicht gegen den Rücken einer Gestalt aus der Runde, sondern fiel glatt hindurch.

„Was willst du?“, sprach eine verzerrte Stimme. Mireylle konnte nicht sagen, aus welcher Richtung sie gekommen war, doch sie war sicher, dass die Stimme der bleichen Frau gehörte, auch wenn diese ihre Lippen nicht bewegt hatte.

„Ich bin hergekommen, um Lord Shahaan zu helfen! Bist du es, die ihn so quält?“ Mireylle konnte selbst kaum fassen, wie mutig sie sich plötzlich fühlte, obwohl sie weder einen Schutz noch Waffen hatte. Ihr war zwar nicht ganz klar, wie sie ihr Gegenüber dazu bringen wollte, Shahaan frei zu lassen, doch sie wollte es versuchen. Sie hatte nichts zu verlieren. Schließlich kannte sie sowieso keinen Weg hier raus.

Die helle Gestalt hob skeptisch eine Braue. „Warum solltest du so etwas wollen, Tochter der Lumini?“

Die Bezeichnung verwirrte Mireylle. Sie wurde offensichtlich verwechselt. Doch dieser Name schien etwas zu bewirken, denn die Stimme klang wesentlich nachgiebiger als zuvor. Also würde sie die Frau nicht berichtigen. „Er hat auch mich gerettet. Ich möchte ihn nicht sterben lassen!“

„Das ist dumm von dir, doch ich werde deinem Wunsch folgen und gehen. Wenn du ihm helfen willst, musst du den richtigen Teil seiner Seele retten. Du musst sie ins Licht bringen.“

„Welches Licht?“, fragte Mireylle verwirrt. Sie bekam die Gelegenheit, Shahaan zu retten, es war unfassbar.

Die Gestalt grinste. „Folge meinem Licht. Es wird dich führen.“ Die Frau begann zu stahlen. Ihr helles Licht durchstrahlte den Umhang und blendete Mireylle. Gleichzeitig schien die Frau immer kleiner zu werden und Mireylle erkannte erst spät, dass sie sich in Wirklichkeit in der Dunkelheit entfernte. Der Weg, auf dem sie verschwunden war, lag wie ein schwarzer Tunnel vor Mireylle an dessen Ende ein schwacher Lichtpunkt zu sehen war.

Der Fluchtweg! Mireylle drehte sich zu der Gruppe um und bemerkte erst jetzt die plötzliche Stille. Alle Augen ruhten auf ihr. Unwillkürlich sank sie ein wenig in sich zusammen. Wie konnte sie ihnen erklären, was passiert war? Sie schienen sie beide bisher gar nicht bemerkt zu haben und sahen recht überrascht aus.

Ein Beben ging durch den Raum, das Mireylle beinahe von den Beinen riss. Die Zeit wurde knapp!

„Ihr müsst mir folgen! Fragt nicht! Ich werde euch hinaus bringen!“ Etwas anderes fiel ihr nicht ein. Sie musste versuchen, alle zu retten. Woher sollte sie wissen, wer der Richtige war? Entgegen Mireylles Erwartung sahen die Gestalten sich an und nickten Mireylle dann ernst zu.

Mireylle fühlte sich in der Rolle der Führenden ein wenig unwohl, doch sie hatte keine Wahl. Langsam ging sie vor. Irgendwie fiel es ihr schwer, sich vorwärts zu bewegen, als würde irgendeine Kraft sie zurück halten. Instinktiv sah sie hinter sich, doch sie konnte nichts Derartiges erkennen. Die Gruppe folgte ihr unsicher. Nach einigen weiteren Metern beschlich Mireylle das Gefühl, sie könnten den Weg nicht sehen, der vor ihnen lag. Sie erweckten den Eindruck von Blinden, die versuchen, sich an einem neuen Ort zu orientieren.

Indes wurde es immer anstrengender für Mireylle, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Sie kämpfte sich Schritt für Schritt vor, versuchte sich nur auf den Weg zu konzentrieren, doch ihre Beinmuskulatur war bis aufs Äußerste gespannt.

Sie zuckte vor Schmerz zusammen, als ihr etwas in die linke Wade schnitt. Und dieser kurze Moment hatte genügt, um etwas zu zerstören. Sie wirbelte herum und versuchte den Ursprung des Schreis zu erkennen, doch sie konnte gerade noch sehen, wie die letzten Reste einer Gestalt zu Staub zerfielen. Sie hatte einen verloren! Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Sie hatte einen verloren. Was, wenn er der Richtige gewesen war? Doch dazu hatte sie jetzt keine Zeit. Er war verloren und sie musste wenigstens die Anderen hier raus bringen. Entschlossen ging sie wieder los. Doch erstaunlicherweise fiel ihr das Gehen jetzt viel leichter. Waren sie etwa das, was Mireylle zurückhielt? Eine Art Gewicht, das sie tragen musste? Mireylle wusste nicht, wie lange sie sie alle führen konnte, ehe sie zusammenbrach. Ihre Kräfte begannen erneut zu schwinden. Unglücklich sah sie zurück.

Einer der Shahaans blieb stehen und hielt einen Weiteren zurück. „So wird keiner von uns es schaffen. Ich bleibe zurück.“

Der Zurückgehaltene nickte Mireylle zu: „Ich ebenfalls. Geht weiter. Blickt nicht zurück“.

Der Widerspruch blieb Mireylle im Hals stecken. Sie hatten Recht. Lächelnd nickte sie und nahm den kleinen Shahaan bei der Hand, als sie erneut losging. Sie versuchte, sich so schnell wie möglich zu entfernen, doch die Schreie hallten laut durch die Dunkelheit.

Immer und immer wieder wurde es schwieriger und jedes Mal blieb jemand zurück, ohne dass sie es verhindern konnte. Mireylle war unfähig, jemanden auszusuchen, der im Nichts verschwinden sollte, doch aufhalten konnte sie sie nicht.

Wenigstens die letzten zwei wollte sie retten. Selbst der egoistische und bedrohliche Shahaan war zurück geblieben. Nur noch das Kind an ihrer Hand und der Jugendliche Shahaan waren verblieben. Das Gehen war nun einfacher, doch es änderte sich mit jedem Schritt mehr zum Gegenteil.

Nach einer scheinbaren Ewigkeit waren Mireylles Kräfte so gut wie verbraucht. Sie atmete schwer und litt unter den Wunden an ihrem Körper, deren Zahl stetig wuchs. Doch sie würde es schaffen. Sie war sich sicher, dem Ziel schon ein wenig näher gekommen zu sein.

Verwirrt blickte sie zurück. Der Jugendliche Shahaan war stehen geblieben.

„Lord Shahaan! Warum bleibt ihr zurück?“ Tränen traten ihr in die Augen.

Er lächelte, doch seine Augen waren voll Trauer. „Mein Name ist Remon Shahaan. Nicht Lord. Und wenn ich weiter bei euch bleibe, wird keiner von uns es je schaffen.“

„Wir müssen es versuchen!“

„Nein. Ich will nicht, dass ihr beide sterbt.“

Verzweifelt suchte Mireylle nach Worten. „Aber du hast doch gesagt, Vampirdämonen können keine Sympathie empfinden! Warum sorgst du dich um uns?“

Er zuckte mit den Schultern. „Geht jetzt.“

Kälte umfasste Mireylle. Sie wollte ihn nicht zurücklassen, doch sie nickte steif. In einer fließenden Bewegung wischte sie die Tränen beiseite und ging weiter. All ihre Hoffnung lag nun bei dem Kind.

Sie war noch nicht weit gegangen, als Remon hinter ihr „Warte!“ rief. Verwundert drehte sie sich zu ihm. Er begann bereits zu Staub zu zerfallen, doch er konnte noch lächeln. „Wie heißt du überhaupt?“

Sie lächelte ihn ebenso traurig an. „Mi- Mireylle!“

Als erneut Kälte ihren Körper erfasste zwang sie sich, sich abzuwenden und ging weiter. Ihr Griff um die Hand des Jungen wurde fester, während sie sich auf den Schmerzensschrei gefasst machte. Doch sie hörte nur ein unterdrücktes Ächzen und ein Wort, das leise durch die Dunkelheit glitt. „Mireylle“
 

Der Himmel war schwarz. Eisiger Wind und peitschender Regen hatten Mireylles Körper fast erfrieren lassen. Erneut war sie unsicher, was passiert war. Als Remon sich aufgelöst hatte, waren sie und der Kleine mit unglaublicher Geschwindigkeit auf das Licht zu gezogen worden.

Mireylle richtete steif sich auf. Sie hatte in der feuchten Erde neben Shahaan gelegen, eine Hand auf seiner. Stumm betrachtete sie die lebensfeindliche Umgebung und versuchte, einen klaren Gedanken zustande zu bringen. Sie fror. Da vorne kam Etwas, oder Jemand, auf sie zu. Shahaan.

Ruckartig drehte sie sich zu ihm um und rutschte im Matsch aus. Plötzlich lag sie völlig dreckig ganz nahe bei ihm und starrte dem Lord direkt ins Gesicht. Etwas regte sich darin. Er öffnete die Augen und Mireylle schloss erleichtert die Ihren. Sie hatte es geschafft. All ihre Kräfte waren aufgebraucht, doch sie hatte es geschafft.
 

Traumprinz saß auf einem dicken Ast des längst vertrockneten Baumriesen Neneb und schaute dem Lord und seinem neuen Spielzeug zu. Genussvoll beobachtete er die kleine Rettungsaktion der Fremden, ein verträumter Schlag seiner langen Wimpern unterlegte seine Stimmung. Die Fähigkeit des Mädchens in einen fremden Geist einzudringen verwunderte und verlockte ihn zugleich. Er hatte eine Ausstrahlung wie die ihre schon lange Zeit nicht mehr gesehen. Fast gelüstete es ihn, Lord Shahaan um diese Spielfigur zu betrügen, doch andererseits war er neugierig, welchem Pfad sie wohl folgen würde. Er entschied sich, ihr noch eine Weile zuzusehen.

Traumprinz streckte sich und schwang sich mühelos noch einige Zweige höher, um Lord Alesans Gesandten in der Ferne besser zu erkennen, der sich den Beiden mit hoher Geschwindigkeit näherte. Das Mädchen brach entkräftet zusammen, doch sie hatte den Fluch gebrochen und Traumprinz spürte, wie jemand erleichtert aufatmete, irgendwo. Er lächelte. Zuneigung war eine nur allzu dumme Schwäche.

Während der Vampirdämon sich aufrichtete und geschickt mit einem äußerst effektiven Magieschöpfungsritus begann, nahm die Intensität des Regens zu und entwickelte sich zu einem Unwetter. Traumprinz wischte sich das eisige Nass aus dem Gesicht und zog seine Ballonmütze noch etwas tiefer. Lord Shahaan rannte nun mit dem Mädchen im Arm und dem Astral in der Tasche seines Umhangs zur Kutsche, sprang hinein und schon rauschte das nachtschwarze Gefährt in der Dunkelheit davon.

Klug. Im Moment war er zu geschwächt, um sich einer Konfrontation mit Alesans Laufburschen zu leisten. Ein ironisches Lächeln schlich sich auf Traumprinz’ Gesicht. Der Lord war völlig entkräftet, voller Schlamm und so zerzaust gewesen, wie wohl noch nie in seinem Leben. Ein interessanter Anblick. Einen Moment wog er ab, dann entschied Traumprinz sich zugunsten der beiden Flüchtenden. Lächelnd hinterließ er eine Illusion für Alesans Hündchen und löste sich auf.

Er materialisierte sich wieder im Saphirpalast. Lord Rineesahim Karigurou blickte ruhig zu der schlanken, dunkelbunten Gestalt auf. „Du solltest meine Autorität durch dein unerlaubtes Eindringen nicht allzu oft untergraben, kleiner Wanderer“, bemerkte er und vertiefte sich wieder in das uralte Dokument auf seinem Schoß. Er studierte die altertümlichen Schriftzeichen noch bis zum Ende des Absatzes, schnaufte verdrießlich und rollte das Pergament auf. „Immer dasselbe. Sie vergessen, die einzelnen Teilschritte der Araguanischen Beschwörungen zu erläutern. Äußerst bedauerlich.“ Karigurou seufzte erneut und fuhr sich nachdenklich mit den Fingern durch den Bart, dann schaute er wieder zu Traumprinz, der nach wie vor geduldig wartete. Die Augen von Traumprinz schillerten bunt in Erwartung der nächsten Reaktion des Lords.

„Also, Traumprinz, was ist dein Anliegen? Weshalb dringst du erneut so unverschämt in meinen Palast ein?“

„Es war nicht mein Ansinnen, Euch zu belästigen, Lord. Aber ich dachte, Ihr wärt an der neuesten Kunde von Lord Shahaan interessiert, Rineesahim Karigurou, vierter Lord dieser Welt.“, antwortete Traumprinz mit spöttischem Unterton.

Doch Karigurou überhörte dies mit voller Absicht. Er hatte sich längst an die Frechheit des kleinen Dämons gewöhnt und ab und zu unterhielt ihn dieses wagemutige Verhalten. Traumprinz war eine Kuriosität unter den Dämonen. Seine Aura und Macht war unerspürbar, seine Herkunft und Rassenzugehörigkeit ungewiss. Doch manchmal konnte er durchaus von Nutzen sein und so sah Lord Karigurou ihm schon aus reiner Neugier einiges nach. „Dann bitte ich dich, mir diese Neuigkeiten zu eröffnen, mein junger Träumer“. Seine blassblauen Augen fixierten die dünne Gestalt wissbegierig.

„Ich komme gerade aus der zweiten Lordschaft und ich sah dort Lord Shahaan, der sich nun im Besitz eines weiteren Astrals befindet, in Richtung seines eigenen Reiches eilen.“

„Dann hat er also noch eines an sich gebracht. Ich durchschaue noch immer nicht, was er damit bezweckt, welchen Nutzen ihm das Ganze bringt. Schließlich würde der Fürst wohl kaum zulassen, dass Shahaan seine Kräfte mehrt, um die Länderein der anderen Lordschaften einzunehmen.“

„Wieso nicht? Schließlich vergrößert auch Ihr Euer Reich an seinen Grenzen. Das scheint den Fürsten nicht sonderlich zu kümmern.“

„Da hast du Recht, einer Vergrößerung hat er sich noch nicht entgegengestellt, doch darauf, dass es immer genau vier Reiche für die Lordschaften gibt, achtet der Fürst seit Jahrhunderten. Er würde eine solch große Verschiebung des Gleichgewichtes nicht dulden.“

„Und doch duldet er das Entfernen der Astrale von ihren vorbestimmten Plätzen.“. Traumprinz Blick war ernst. Zu ernst. Er entspannte sich und setzte ein lockeres Lächeln auf. „Das Gerücht geht um, Lord Shahaan hätte den Kristallpalast des Fürsten gesehen. Wer weiß, welche Gunst er sich von unserer aller Herr erbeten hat…“

Die Stimme des Lords war hart und klar, als er antwortete: „Das halte ich nur für ein Gerücht. Der Fürst erlaubt niemandem, sich seiner Residenz zu nähern. Sie liegt in einer anderen Sphäre, zu der er jemandem erst den Zutritt gewähren müsste und wieso sollte er das wohl tun? Er verabscheut die Nähe dieser Welt mit all ihren Bewohnern. Warum sollte er also einem von uns eine Audienz gewähren?“

„Ich weiß nicht. Neugier?“. Traumprinz lächelte ironisch, als er sich in den Schatten auflöste.
 

Lord Karigurou starrte nachdenklich auf die Stelle, an der Traumprinz dunkelbunte Gestalt bis eben noch gestanden hatte. Konnte der Fürst überhaupt noch Neugier empfinden? Empfand er tatsächlich noch irgendetwas? Selbst die Abscheu, die er ihm eben noch zugebilligt hatte stellte der Lord jetzt in Frage. War es nicht viel eher so, dass der Fürst schon längst in Gleichgültigkeit versunken war und nur ab und an einige gelangweilte Spielzüge auf dem Spielbrett dieser Welt führte, damit sie in ihrer traditionellen Form weiter existierte?

Der Fürst war zweifellos das mächtigste Wesen dieser Welt, doch seine Bedeutung für sie war längst vergessen. Lord Karigurou wusste aus einigen alten Schriften einiges über den Fürsten, das seit Jahrhunderten in Vergessenheit geraten war. Diese Person, dieses Wesen war für die Welt, in der sie alle existierten, elementar wichtig. Er hatte einen Zweck, eine Funktion, eine Aufgabe. Doch niemand wusste, worum es sich dabei handelte. Und so waren auch die Beweggründe und Handlungen des Fürsten stets unerklärlich und in den Nebel des Geheimnisvollen gehüllt.

Der älteste der Lords dachte nach. Wenn die Behauptung über Lord Shahaan stimmte, wenn er den Fürsten tatsächlich im Kristallpalast aufgesucht hatte, war das ein ernst zu nehmendes Problem. Die jüngsten Handlungen des Vampirdämonen waren in der Tat recht verdächtig und das hatte vielleicht etwas mit dem Fürsten zu tun. Selbstverständlich war Lord Shahaan von Anfang an ein sehr bemerkenswerter und außergewöhnlich handelnder Regent gewesen, doch eine Verstrickung mit dem Fürsten konnte ungeahnte Früchte tragen, was Karigurou als potentiell gefährlich einstufte. Zu der Tatsache, dass der Vampirdämon von Anfang an hohe Ansprüche auf die Ländereien der drei anderen Lords geäußert hatte, kam nun erschwerend hinzu, dass er die altmagischen Astrale sammelte, denen unerforschte aber gewaltige Kräfte innewohnten. Das Ganze entwickelte sich zu einem Problem und vermutlich würde Karigurou am Ende nichts anderes übrig bleiben, als den ambitionierten Vampir mithilfe einiger geschickter Intrigen aus dem Weg zu schaffen. Ein Großteil der Vorbereitungen war bereits getroffen, er musste sich nur entschließen, den einzigen ihm intellektuell annähernd ebenbürtigen mächtigen Dämon dieser Welt auszuschalten. Um vielleicht eines Tages aus genau diesem Grund vor Langeweile wahnsinnig zu werden.

Der Lord seufzte unentschlossen und griff in den Korb mit Pergamentrollen, um noch ein wenig nachzuforschen. Vielleicht fand er ja in der nächsten Schrift Aufzeichnungen über die ihm noch unerschlossene Beschwörungskunst von Araguan. Seine Augen huschten über einige Zeilen, dann hielt er inne. Der Fürst hatte Lord Shahaan sein Nachbarland beinahe geschenkt, indem er de dortigen Lord durch einen seiner schwächlichen Gefolgsleute ersetzt hatte. Warum hatte er Lord Virayal nur beseitigt? Wollte er diese Welt in Shahaans Hände legen? War es ein Spiel, dessen Ziel ein Krieg zwischen den Lords war?

Und Traumprinz, Traumprinz, der überall und nirgends war, der über seltsame Fähigkeiten verfügte und ihm aus unerfindlichen Gründen Bericht erstattete. Was führte dieses Kind von einem Dämon im Schilde und was erzählte er den anderen Lord wohl von ihm? War es vielleicht ein Fehler, der kuriosen Gestalt freie Hand zu lassen?

An der vergoldeten Tür des Saales ertönte ein leises Klopfen. Lord Karigurou hob den Kopf und sandte kurz seine Sinne aus.

„Tritt ein, Walukar.“ Wie von selbst schwangen die schweren Flügel der Tür auf und gewährten dem dahinter Wartenden Eintritt. Der Dämon trat rasch ein und schritt, den Blick gesenkt, bis zur Mitte des Raumes, um sich mit einem Kniefall vor seinem Lord zu verbeugen. Erst dann wagte er es, diesen anzusehen und ein Wort an ihn zu richten.

Im Hintergrund schwang die Tür leise zu und verwehrte neugierigen Ohren zu lauschen.

„Mein Lord, weiser Herr über dieses Land und Beschützer seiner demütigen Untergebenen, ich habe eine gute Neuigkeit. Es ist uns gelungen, das gesamte Bataillon der Rebellen fest zu nehmen.“ Der Blick Walukars blieb erwartend auf das Gesicht Lord Karigurous gerichtet, der wohlwollend nickte, um anzudeuten, er möge weiter sprechen. Erfreut setzte Häscher Walukar seinen Bericht fort. „Wir haben sowohl die Soldaten des Widerstandes als auch deren Anführertrio festsetzten können. Die Namen der drei Köpfe dieser Rebellion lauten Ralaf Mansir, Karanee Buandin und Asarnias Kamano. Des Weiteren wurden 65 Männer, 24 Frauen und 17 Kinder sowohl menschlicher als auch dämonischer Natur festgenommen. Ich erwarte Euere Anweisung, mein weiser Herr.“

Lord Karigurou nickte den Traditionen gemäß bedächtig und erteilte dann seinen Befehl.

„Hinrichten!“, hallte laut und deutlich, jedoch bar jeder Aggression von den Wänden wieder.

Der Häscher wirkte unsicher. Einen Moment lang beobachtete der Lord das Spiel seiner Gesichtszüge, dann entschloss sein Diener sich doch zu einer Frage: „Auch die Kinder, auch die Dämonenkinder?“

Mit einem Mal war die Luft im Thronsaal zum Schneiden dick. Dieser nichtswürdige Untergebene wagte es, die Entscheidung seines Lords in Frage zu stellen, ihm zu widersprechen? Die gerechte Wut eines Regenten flammte in Lord Rineesahim Karigurou auf und ließ das Herz Walukars panisch hämmern. „Ja, auch die Kinder! Besonders die Dämonenkinder!“, sagte der Herrscher scharf. Und in seinem Blick lag blanker Zorn.

„Vergebung! Vergebt mir, oh Lord! Ich war dumm, vergebt Euerem treuen Diener!“, flehte Walukar.

Lord Karigurou starrte ihn an. Außerhalb dieses Saales war Walukar ein stolzer, unbezwingbarer Dämon, der seine Aufträge stets sehr gut ausführte. Die Gegenwart des Lords war der einzige Umstand, der ihn so mit Ehrfurcht erfüllte. Der Lord entschied, es bei einer Drohung zu belassen und bewegte die linke Hand auffordernd. Der Dämon verneigte sich mehrmals dankbar und eilte aus dem Raum.

Der Lord griff erneut nach einer Schriftrolle und ging damit zu den großzügigen Fenstern des Saales. Nach einem langen und bedächtigen Blick auf die Dächer seiner Hauptstadt rollte er das Pergament auf und schritt in die Zeilen vertieft auf seinen Thron zu.

Verlorene Wege

Strahlender Sonnenschein erfüllte den Palast, wurde an den Rubinkuppeln des monumentalen Bauwerkes reflektiert und erleuchtete den großen Platz, auf dem sich die Kutschen der Gesandten und hohen Dämonen drängten. In der Ferne jenseits des Parks knarrten die Angeln des Osttores und gewährten einer weiteren Kutsche Einlass, die recht schnell die lange, schmale Kopfsteinstraße entlang raste und einige Vögel aufschreckte.

Am Fuße der breiten Haupttreppe bremste das Gefährt so scharf, dass die davor gespannten Thevire vor Schmerz aufheulten. Ohne weiter auf die Tiere zu achten, sprang ein Dämon in Kriegerkluft aus der Kutschentür und stieß den herbeieilenden Diener des Lords beiseite, der ihm am Kopf der Treppe geschäftig entgegeneilte. Der junge Dämon stürzte von der Wucht aus dem Gleichgewicht gebracht zu Boden und seiner Natur entsprechend leuchteten die Augen des Dieners einen Moment lang hasserfüllt auf, ehe er sich besann und die Beherrschung wiedergewann. In diesen wenigen Augenblicken war der Krieger bereits durch die Eingangstür und bis ans Ende der Eingangspassage gerannt.

Der Empfangsdiener Medirior am Kopf der Treppe sah zu, wie der stürmische Dämon die Stufen erklomm. „Der Lord empfängt im Moment einen Gesandten des Achatreiches, Heerführer Haguren. Es ist Euch gestattet, im 1. Vorsaal zu warten. Ich werde Lord Shahaan von Euerer Anwesenheit in Kenntnis setzen.“

Surell Haguren schnaubte spöttisch und verlangsamte seine Schritte keinesfalls. Er war nicht der Typ, der warten konnte. Erst als Medirior sich vor der Tür aufbaute, hielt Surell an. Die starke Aura, die sich mit einem Mal überall ausgebreitet hatte, erinnerte ihn daran, vor welch starkem Gegner er stand. Sich undeutlich an das Wort „Respekt“ erinnernd entschied der Krieger sich für die diplomatischere Methode.

„Ich bin der Heerführer der Osttruppen! Remon wird mich sicher nicht aus den Unterredungen mit Gesandten ausschließen wollen. Lasst mich durch, Medirior!“

„LORD Shahaan hat mir aufgetragen, jeden Bittsteller anzukündigen und…“, begann der Empfangsdiener immer noch erbost.

„Ich bin aber kein Bittsteller! Ich habe dringend etwas mit dem Lord zu besprechen!“ Surell brüllte jetzt und seine eigene Aura flammte vor Wut bedrohlich auf.

Doch noch ehe der immer noch pflichtbesessene Medirior etwas erwidern konnte, flogen sämtliche Türen bis zum Thronsaal auf und die Stimme des Vampirdämonenlords schallte laut durch die Säle. „Tritt ein, Surell Haguren. Man hört dich auch so bis hier her!“

Genugtuung strahlte Medirior aus den Augen des Heerführers entgegen, ehe dieser sich abwandte und schnellen Schrittes zum Lord marschierte.

An der Tür wurde Surell langsamer um die Szene zu analysieren, die sich ihm bot. Lord Shahaan saß locker in seinem Thron und stützte das Kinn mit einer Hand, während er mit scheinbar gelangweilter Miene dem achatenen Gesandten lauschte. Die Rubine der vielen Silberringe an seinen Händen warfen rote Lichtpunkte auf das Gesicht des Boten und schienen ihn ständig zu irritieren. Surell glaubte leichte Belustigung im Mundwinkel seines Herren erkennen zu können.

„Gesandter Selibim… Glaubt Euer Herr nicht, dass es ein wenig zu früh für derartige Erklärungen ist? Jemand, der erst seit so kurzer Zeit den Rang eines Lords trägt, sollte daran arbeiten, seine Position zu sichern, statt wesentlich erfahrenere Herrscher irgendwelcher Diebstähle zu beschuldigen und zu unsinnigen Konfrontationen an den Grenzen herauszufordern.“ Die arrogante Gelassenheit in Shahaans Stimme ließ den Gesandten schaudern. Trotzdem verteidigte er den Standpunkt seines Herren nachdrücklich.

„Mein Herr ist völlig sicher, dass Ihr nun im Besitz des Astrals seid, welches in die magischen Bahnen unseres Reiches eingeflochten war.“, setzte er an.

Als hätte er seine letzten Worte nicht gehört, fuhr Lord Shahaan fort: „Lamerian hat genug Probleme im Landesinneren, jetzt, wo die magisch gebannten Gegner seines Vorgängers wieder befreit sind. Ehrlich, was verspricht er sich von dieser Herausforderung? Der magische Schutz des Rubinreiches ist noch völlig intakt. Die magischen Stürme, die euch plagen, berühren uns nicht. Alle Faktoren sind auf unserer Seite, also was soll das Ganze?“

Der Gesandte stutzte empört bei der unförmlichen Anrede seines neuen Lords, doch erst als Shahaan geendet hatte, wagte er, die Stimme zu erheben. „Ich möchte Euch doch sehr bitten, respektvoller von meinem Herren zu sprechen, Lord. Ich bin hier, um Euch von der Kriegserklärung in Kenntnis…“

Lord Shahaans Gesichtszüge verfinsterten sich kunstvoll. „Es ist genug! Seid ruhig!“. Kurz dachte er nach. „Ihr werdet im dritten Vorsaal warten, Gesandter Selibim!“. Die Drohung in der Stimme des Vampirdämons ließ den Boten erneut erschaudern und seine Wut über eine solch respektlose Behandlung unterdrückend entfernte er sich in Begleitung einer Saalwache.

Nachdem sich die Türen hinter ihm geschlossen hatten, richtete der Lord sich unversehens auf, seine Haltung wurde geschäftlicher und eines Regenten würdig. Seine Augen hatten Surell eingefangen und eine stille Begrüßung lag in seinem Blick.

„Was hast du zu berichten, Surell? Ist an der Grenze zu Karigurou etwas vorgefallen?“.

Surell hasste es, seinen Herren und Freund zu enttäuschen. Seine Augen wanderten schamvoll zu Boden. „Wir haben das Dorf Malidors Ruh an seine Truppen verloren, gestern Nacht“.

Der aufmerksame Blick des Lords fixierte den Heerführer, wanderte über die frische magische Wunde am Kinn zu den zerschlissen wirkenden Kleidern. Der kurze Zorn verflog und wich der Berechnung.

„Wie viele haben wir verloren?“

Der Lord machte ihm keinen Vorwurf, es war unerträglich. Surell fühlte die Schuld schwer auf seinen Schultern lasten. Hätte er nur einen klügeren Zug getan, wäre er doch nur besser vorbereitet gewesen! Immer noch sah er zu Boden. Remon wollte ihm nicht die Erlösung einer Strafrede schenken, stattdessen musste er selbst mit seinen Versäumnissen fertig werden. „47 der hohen Dämonenkrieger sind gefallen, Lord Shahaan“. Er zögerte. „Ich war gekommen, um Euch um weitere Truppen zu bitten. Ich werde das Dorf für Euch zurückgewinnen!“. Der Heerführer hielt bei Shahaans ablehnender Geste irritiert inne.

„Was soll der respektvolle Ton, Surell?“

Die Augen des Kriegers weiteten sich. „Du willst mir die Männer verwehren, Remon?“. Mit einem Ruck richtete Surell sich zu voller Größe auf, jeder Muskel seines Körpers spannte sich.

„Du hast es doch gehört. Ich werde Männer an der Achatgrenze brauchen. Lassen wir Karigurou doch dieses kleine Dorf.“, erklärte der Vampir seelenruhig. Er fürchtete nicht, die anwesenden Wachen und Diener könnten den Respekt verlieren, weil er Surell diese Art des Umgangs gestattete.

„Ich kämpfe schon seit Monaten, um es endlich für uns zu sichern! Außerdem dachte ich, du nimmst diesen Lamerian nicht ernst!“

„Trotz allem ist er jetzt ein Lord und ich…“. Der Lord verstummte, während er seine Sinne anspannte. Surell folgte seinem Beispiel ebenso wie die anderen Anwesenden und entdeckte nun ebenfalls den Eindringling, der magisch beschleunigt auf den Rubinpalast zueilte. Es stank nach Alesans Männern.

Etwas rührte sich in den Augen des Vampirdämonen. Er gab einigen Dienern einen Wink und sie eilten sofort aus dem Raum, um die unausgesprochenen Aufträge auszuführen. Mit einer Geste bedeutete er Surell, sich auf einem der Sitze links vom Thron niederzulassen. Shahaan selbst stand kurz auf, glättete die Falten seines Umhangs und setzte sich in so einer herrschaftlichen Pose auf den Thron, dass jeder, der ihn sah, vor Ehrfurcht erstarren musste.

Geduldig erwartete der ganze Saal nun den überraschenden Besucher, der auf dem Weg zum Thronsaal von ungewöhnlich vielen rechtschaffenen Dienern aufgehalten wurde, denen er jedes mal etwas erzürnter seinen Namen, seinen Rang, seinen Herren und den Grund seines Besuches erklären musste, um dann eine Weile stehen gelassen zu werden, bis man ihm letztendlich Einlass gewährte.

Der gesandte Lord Alesans wirkte äußerst wütend, als die letzte Tür vor ihm langsam aufgezogen wurde. Der erste Kammerdiener eilte mit gesenktem Blick herein und warf sich theatralisch zu Boden, als er den Ankömmling ankündigte.

„Mein Lord, vergebt mir die Störung. Ein Gesandter des Lords Alesan, der hohe Dämon Fernais Malevue begehrt eine Unterredung mit Euch. Seid ihr geneigt, ihn zu empfangen?“

„Lasst ihn eintreten“, donnerte die würdevolle Stimme des Vampirdämonenlords und unter unzähligen Verbeugungen eilte der Diener zur Tür, um Malevue hereinzugeleiten.

Surell beobachtete den Lord genau. Er wusste, was jetzt kommen würde, der Diener hatte den Anlass dazu gegeben. Der Gesandte war zwar ein hoher Dämon, doch er schien keine namhaften Vorfahren zu haben. Angestrengt unterdrückte der Heerführer den Drang zu lachen und seine Hände krampften sich in die Armlehnen, als er Malevue so arrogant wie möglich von oben bis unten musterte.

Lord Shahaan bedachte Alesans Laufburschen mit einem ungefälligen Blick. „Los, sprecht rasch! Ich habe zu wenig Zeit, als dass ich sie an irgendeinen dahergelaufenen Boten verschwenden könnte. Welche Botschaft habt Ihr für mich?“

Mit innigstem Vergnügen beobachtete Surell, wie Malevues Körper vor Wut zu beben begann, doch er wagte es nicht, gegen den Lord aufzubegehren. Mit aller Macht hielt er seine Aura zurück, um den Zorn Shahaans nicht auf sich zu lenken. Ein typischer Feigling, der sich leicht einschüchtern ließ. Ganz, wie Surell von Lord Alesans Diener erwartet hatte. Zugegeben, nur wenige hatten die Macht, gegen Shahaans Charisma zu bestehen. Doch ein würdiger Vertreter eines Lords musste Augen haben, deren Blick nie bricht.

Der Gesandte trat vor und deutete eine leichte Verbeugung an. „Werter Lord Shahaan. Ihr habt eines der Astrale unseres Landes entwendet. Mein Lord Alesan verlangt hierfür eine Erklärung und fordert das geraubte Astral mit sofortiger Wirkung zurück. Es-“

Shahaan war aufgesprungen, seine Augen flackerten, sein Umhang bauschte sich im astralen Wind seiner Wut. „Du wagst es? Ein namenloser Dämon wie du wagt es, hierher zu kommen und mich, einen der vier Lords dieser Welt völlig grundlos des Diebstahls zu bezichtigen?“.

„Herr, es gibt Beweise…“, setzte Malevue noch einmal an.

Der Raum erbebte. „Wie bitte?“, donnerte die Stimme des Vampirlords.

„Herr, Ihr wurdet gesehen. Lord Alesan ist sehr erzürnt. Er droht Euch mit einer kriegerischen Auseinandersetzung, falls das Astral nicht sofort an seinen Platz zurückkehrt!“

„Alesan scheint ja sehr nachlässig geworden zu sein, wenn er so einen unfähigen Unterhändler wie dich zu mir schickt. Du bist eine Beleidigung für all meine Sinne. Du Unwürdiger besitzt die Unverschämtheit, vor mich zu treten und mir den Krieg zu erklären? Einem dahergelaufenen Boten werde ich keine Beachtung schenken, einem namenlosen, selbsternannten hohen Dämon wie dir nicht! Du solltest vor Dankbarkeit zerfließen, dass ich dich nicht auf der Stelle in Staub verwandle! Wie kannst du es wagen? Verschwinde hier! RAUS!“ Das Wüten Shahaans riss die Tür auf und Malevue schlitterte rückwärts auf den Ausgang zu.

„Und richte Lord Alesan, wenn er dein wahrer Herr ist, aus, er solle das nächste Mal einen würdigeren Dämon als Boten schicken, falls er keine kriegerische Auseinandersetzung mit meinem Reich riskieren will! Ich werde mich solange mit Wichtigerem beschäftigen! Seine Botschaft empfange ich gerne, wenn ich aus dem Krieg gegen Lamerians Truppen zurückgekehrt bin.“

Malevues Züge verfinsterten sich, als er durch Shaaans Magie aus dem Raum geschmissen wurde. Hinter der zugeklappten Tür hörte Surell ihn wüten und als er spürte, wie Alesans Gefolgsmann begann, Magie zu wirken, richtete er einen fragenden Blick an den Vampirdämon, der inzwischen wieder selbstgefällig grinsend auf seinem Thron saß. Er nickte und Surell verschwand aus dem Saal.

Als er zurückkehrte, klebten Blutspritzer an seiner Kleidung. Er grinste.

„Ich hoffe, du hast genug von ihm übrig gelassen, um Alesan meine Botschaft auszurichten, Surell“, sprach der Lord, ohne sich zu ihm umzudrehen.

Die Gefolgschaft war aus dem Thronsaal verschwunden, nur zwei Dienerinnen waren zurückgeblieben, um dem Lord beim Umkleiden behilflich zu sein. Die eine brachte das festliche Gewand weg, das Shahaan eben noch getragen hatte, während die andere dem Lord seine Waffengurte umschnallte.

„Ich habe mich entschieden, Lamerian platt zu machen. Seine Aufdringlichkeit ärgert mich. Außerdem hat man von seiner Grenze aus eine bessere Ausgangslage, um Alesan anzugreifen. Außerdem muss ich auf diese Weise zunächst keine Rechenschaft vor Alesan ablegen, das gebieten die alten Kriegsvereinbarungen und Alesan ist so dumm sich an diese zu halten.

Ich habe Lamerians Gesandtem schon Bescheid gegeben. Er floh so schnell wie der Wind.“ Der Lord lachte. Seine Hand tätschelte sein treues Schwert Hadesschatten.

Die Entscheidung des Lords überraschte den Heerführer und ärgerlich dachte er an ihre kürzliche Auseinandersetzung zurück. „Du postierst meine Männer also an Lamerians Grenze?“

„Ja, das werde ich. Ich werde die Boten entsenden, um alle nötigen Truppen an seine Grenze zu bewegen.“

„Dann werde ich selbst meine Truppen benachrichtigen“, schloss Surell, verabschiedete sich mit der Andeutung einer Verbeugung und eilte auf die Tür zu.

Doch noch ehe er sie erreichte, holten ihn die scharfen Worte des Vampirs ein. „Nein, Surell! Du wirst diesmal keine Truppen führen.“ Einen Moment lang setzte das Herz des Heerführers aus und eine erdrückende Stille nahm den Raum gefangen. Konnte der Lord das gemeint haben, was er gerade gehört zu haben glaubte? Ruckartig drehte er sich auf dem Absatz um und stürmte wütend auf seinen grausamen Herren zu.

„Du willst mir die Führung entziehen, Vampirdämon?“, raunte seine Stimme hasserfüllt.

Die beiden mächtigen Dämonen standen sich gegenüber, die scharfen Klingen ihrer Schwerter felsenfest gegeneinander gepresst. Eine schiere Unendlichkeit lang standen sie bewegungslos. Ein eiserner Kampf, Wille gegen Wille. Dann sprach der Lord.

„Ich brauche dich hier im Palast. Es sind Fähigkeiten wie deine gefragt“, begann er mit besänftigender Stimme, doch Surell holte aus und schlug vorwurfsvoll noch einmal den Stahl seiner Klinge gegen Hadesschatten.

„Komm mir nicht damit! Ich weiß genau, dass du mich damit für mein Versagen bestrafen willst! Wie kannst du mich nur so demütigen? Ich werde das nicht hinnehmen!“

Das Gesicht Shahaans blieb unbewegt. „Dies ist keine Strafe, sondern ein Auftrag höchster Wichtigkeit. Und selbst wenn es eine wäre, hättest du zu folgen!“, sprach der Lord ruhig, aber bestimmt weiter. „Ich beauftrage dich hiermit, Mylady Mireylle, die ich in diesen Palast mitgebracht habe, unter Einsatz deines Lebens zu beschützen.“

Aufgebrachte Blicke durchbohrten den Lord, doch er war sich seiner Entscheidung sicher. Mireylle musste geschützt werden und sie durfte nicht zur Schlacht mitkommen. Das würde alles nur komplizierter machen. Außerdem wollte er sie nicht in seiner Nähe haben. Aus irgendeinem Grund bereitete ihre Gegenwart ihm seit kurzem Unbehagen. Sie hatte sein Leben gerettet, doch wieso sie dazu fähig gewesen war, war ihm immer noch nicht ganz klar. Allerdings hatte sie eine tiefe Verbindung zu seinem Geist aufgebaut und zu viele Einblicke in sein Wesen gehabt. Irgendwie fühlte er sich nun verletzlich, wenn er bei ihr war. So ganz konnte er sich diese Anhäufung von Ängsten und Gefühlen nicht erklären, doch er befürchtete, sie könnte irgendeine Art magische Bindung zu ihm hergestellt haben, die er nicht abschütteln konnte. Und die Besorgnis, die ihn während der Tage ihrer anhaltenden Ohnmacht erfüllt hatte, war ein ihm ein so unbekanntes und abstoßendes Gefühl, dass er sie am liebsten so weit wie möglich von sich weg haben wollte.

Widerwillig begann er seine Entscheidung in Frage zu stellen. Hatte er sich auf diesen Krieg mit Lamerian nur eingelassen, um ihr zu entfliehen und wieder einmal einfach nur kaltblütig morden zu können? Begann seine so lang verschlossene dämonische Natur nun hervor zu brechen? Nein. Er wollte Lamerian beseitigen. Je weniger Reiche sich seinen Plänen widersetzten, desto besser. Auf diese Weise würde er uneingeschränkten Zugang zu jedem Ort des Achatreiches haben. Es würde seine Suche deutlich erleichtern.

Allerdings war Shahaan sich in Bezug auf Lord Alesan noch nicht ganz sicher. Ein weiteres Reich einzunehmen bedeutete eventuell, den Ärger des Fürsten auf sich zu ziehen. Etwas, das der Vampirdämon sich im Moment noch nicht leisten konnte und wollte. Der Fürst würde ihm noch früh genug in die Quere kommen.

Und Mireylle brauchte er noch. Nicht nur ihre Fähigkeit, die magischen Bannkreise urzeitlicher araguanischer Magie zu durchdringen, sondern auch die verborgenen Talente, die sich zeigten und vielleicht noch zeigen würden, reizten seine Neugier.
 

Das Schimmern der Edelsteine sprang von Wand zu Wand des großen Raumes und huschte spielerisch über die golddurchwirkten Tapeten und die vergoldeten Rahmen der Gemälde, um sich dann in der Weite des Raumes zu verlieren und, mehr als Ahnung einer Reflektion, denn als tatsächliches Licht, die altertümlichen Sessel mit den spiralenartigen Armlehnen zu streifen, die am prächtig mit Schnitzereien verzierten Holztisch mittig im Raum aufgestellt waren. Die Mittagssonne schien hell in den Raum und ließ die Wärme draußen erahnen.

Die geschäftigen Laute im Raum verklangen, als es drei Male bedeutungsschwer an der Tür klopfte.

„Einen Moment!“, ertönte Mireylles Stimme, etwas gepresster und unglücklicher, als es ihr eigen war.

Lautes Rascheln und leises Keuchen gefolgt von Mireylles gedämpftem Gezeter erklang, gefolgt vom raschen Trippeln schneller Füße.

„Wir sind soweit, mein Herr“, erklärte Marissa, die die Ungeduld des Lords spüren konnte und sofort flog die schwere Eingangstür auf.

Lord Shahaan trat in Surells Begleitung ein und seufze, als er weder Mireylle noch die Näherin erkennen konnte. Die Beiden standen hinter der in einer Raumecke spontan aufgestellten Trennwand und arbeiteten daran, das Mädchen aus dem unfertigen Kleid heraus und in ein gesellschaftsfähiges hinein zu bekommen. Nach einigen Momenten der Eile spazierte eine rothaarige junge Dame in einem hellblauen langen Kleid, welches türkis schimmerte, hinter der Blicksperre hervor und strich verlegen eine Strähne ihres zerzaust wirkenden Schopfes hinter das Ohr. Den Blick hebend entdeckte sie den Heerführer und indem sie sich der belehrenden Worte Arianas besann, grüßte sie den Unbekannten höflich. Er deutete eine leichte Verneigung an, doch der sanfte Hauch von Arroganz schimmerte trotzig in seinen Augen.

Es handelte sich offensichtlich um einen Dämon. Dies zu erkennen gehörte zu den Fähigkeiten, die sie sich in den wenigen Tagen im Rubinpalast angeeignet hatte. Es war in den meisten Fällen auch nicht allzu schwer. Beinahe jeder Dämon, besonders unter den Mächtigen, die am Hofe lebten, hatte eine exotische Haar- und Augenfarbe, wie auch der unbekannte Dämon mit den dunkelgrünen Haaren, den Shahaan in ihre Gemächer mitgebracht hatte. Mireylle musterte ihn genau, um das von Gelb durchzogene Braun seiner Augen zu erkennen und unwillkürlich wanderte ihr neugieriger Blick immer wieder zu der grauen Narbe am Kinn des Dämons. Bis jetzt hatte sie geglaubt, Dämonen könnten jegliche Wunden heilen, und hatte sich damit die Makellosigkeit der stärkeren Dämonen erklärt.

Nach einem weiteren Blick erkannte Mireylle hinter der Haarpracht des Fremden sogar die leichte Neigung zu Spitzohren, die sämtlichen Dämonen eigen war. Dieses Merkmal war stichhaltig, wenn man es denn erkennen konnte, denn die Verformung war wirklich nur minimal. Wie Ariana ihr erklärt hatte, handelte es sich dabei um ein vererbliches Merkmal, welches durch die erste wahrhaft dämonische Tat hervortrat. Um was für eine Tat es sich handelte, hatte Ariana mithilfe einer ablenkenden Phrase verschwiegen.

„Dies ist der hohe Dämon Surell Haguren, Sohn des mächtigen Deridras Haguren und seiner edlen Ehefrau Visanine, Heerführer der Osttruppen.“, stellte der Lord seinen Begleiter förmlich vor.

Beinahe schon unwillkürlich analysierte Mireylle die Aussage. Shahaan hatte ihr nicht nur mitgeteilt, dass es sich um einen hohen Dämon und Heerführer handelte, sondern auch seine Herkunft eingehend erläutert. Surell Haguren stammte von reinblütigen hohen Dämonen ab. Sein Vater war in der Schlacht gestorben, eine Botschaft, die durch den Ausdruck „mächtig“ vermittelt wurde. Die Mutter hatte nicht als Dämon im Krieg gekämpft und war daher eine „edle“ Frau. Sie war noch am Leben, sonst hätte sie „ehrenwert“ gehießen.

„Und dies, Surell Haguren, ist Mylady Mireylle, deren Sicherheit ich in deine fähigen Hände lege.“.

Bei dem Wort „Mylady“ zuckte etwas in Hagurens Gesicht und nicht zum ersten Mal vermutete Mireylle, diesem Wort läge eine ihr noch unbekannte, tiefere Bedeutung zugrunde, denn alle anderen Damen im Palast wurden nur mit „Lady“ angesprochen. Doch wie schon einige Male zuvor legte sie die in ihr brodelnde Frage beiseite, die niemand bereit war, ihr zu beantworten.

„Ihr wollt mir eine Wache zur Seite stellen, Lord Shahaan?“, fragte sie stattdessen mit unzufriedenem Unterton. Verblüfft bemerkte Mireylle, wie sehr sie sich schon an die altertümliche Sprechweise gewöhnt hatte, mit der sie es nun den ganzen Tag zu tun hatte. Zu Anfang hatte sie sich immer Shahaans Sprache angepasst, die sie verdächtig an die alten Romane erinnerte, die sie einst in der Schule hatte lesen müssen. Die hierarchischen Systeme in dieser Welt glichen der Renaissance ihrer Welt, obgleich die Entwicklungen sich geringfügig unterschieden. Doch langsam wurde Mireylle in ihrer Wortwahl sicherer. Arianas täglicher Unterricht trug mit Sicherheit seinen Teil dazu bei.

Shahaan hob eine Augenbraue, ein belustigter Ausdruck huschte über sein Gesicht. „Surell Haguren ist keinesfalls eine gewöhnliche Wache. Seine Aufgabe ist es, Euer Leben zu behüten, Mylady. Er wird Euch bei all Eueren Unternehmungen außerhalb dieser Gemächer Gesellschaft leisten. Dies ist während meiner Abwesenheit zwingend notwendig, denn, auch wenn die Dämonen gelernt haben, sich meiner Herrschaft zu beugen, ihre Natur ist und bleibt intrigant und eigensinnig.“. Der Lord lächelte und einleichtes Glimmen erschien in seinen Augen.

„Eurer Abwesenheit, Lord Shahaan?“, hackte Mireylle alarmiert nach. Sie hatte nicht damit gerechnet, allein im Schloss zurückgelassen zu werden, auch wenn es ihr hätte klar sein müssen.

„Wie es seit der vorigen Woche klar ist, stehe ich im Krieg mit einem anderen Lord. Ich werde, wie es der Brauch ist, selbst an dieser Schlacht teilnehmen. Macht Euch bitte keine Sorgen“, setzte er rasch noch hinzu, als er den Ausdruck in Mireylles Gesicht sah, „Es handelt sich hier um einen Krieg, der nur auf eine Machtprobe zwischen mir und dem jüngst zur Macht gekommenen Lord Lamerian hinausläuft. Ein Kräftemessen, bei dem ich unmöglich unterliegen kann.“. Er schaute sie an. Sie schien nicht wirklich beruhigter zu sein. „Es ist wirklich keine große Sache, Mylady Mireylle. Etwas beinahe alltägliches in dieser Welt.“.

Noch immer trat keine Veränderung ein. Ihr Gesicht zeigte Angst und noch immer vernahm der Lord das schnelle Hämmern ihres Herzens. Er wollte sie zuversichtlicher stimmen, sie ruhig und von Furcht befreit wissen. Fast wünschte er sich, den Krieg nie angezettelt zu haben.

Mit einem Mal entbrannte heißer Zorn in dem Vampirdämon. Zorn auf dieses schwächliche Mädchen, die fähig war, seinen klaren Verstand zu manipulieren. In einer dämonischen Regung öffnete er den Mund zu einer barschen Bemerkung, doch etwas hielt ihn zurück. Er durfte sie vor Surell nicht unhöflich behandeln, sonst würde ihr Wert in dessen Augen augenblicklich sinken und ihn dazu bewegen, seine Aufgabe erneut an zu zweifeln. Zudem konnte es auch zu einem schlechten Verhältnis zwischen den beiden führen und im Moment musste er das Mädchen bei Laune halten.

„Sobald ich zurückkehre, werde ich einen kleinen Ball geben, damit Ihr Euer neues Ballkleid ausführen könnt, Mylady, welches Euch sicher ebenso wunderbar ziert, wie dieses. Bis dahin verabschiede ich mich schon einmal von Euch, Mylady.“.

Sich tief vor ihr verbeugend ergriff der Lord Mireylles Hand und küsste sie.

„Ich hoffe, Euch bei meinem Aufbruch am heutigen Abend noch einmal zu Gesicht zu bekommen, Mylady“, erklärte der Lord, kurz bevor er zusammen mit seinem Begleiter das Zimmer verließ.

Mireylle stand noch immer verwirrt und regungslos mitten im Raum, als er die Tür hinter sich schloss.
 

Als sie am Abend zusammen mit Ariana und bereits von Surell Haguren gefolgt auf den Hof hinaus spazierte, fühle sie sich noch ebenso zerstreut.

Eine große Menge von höfischen Dämonen hatte sich auf dem großen Platz versammelt und hier und da konnte Mireylle ein bereits bekanntes Gesicht erkennen. Skeptisch beobachtete sie, wie die hohen Dämonen eine Gasse vor ihr bildeten und sie damit bis vor zu dem stolzen und mächtigen Thevir, in dessen Sattel Lord Shahaan in prächtigen Kriegsgewändern saß, ließen. Sie blickte sich Hilfe suchend nach der weisen Ariana um, doch diese nickte ihr nur zu. Zögernd setzte Mireylle den Weg fort. Der Lord schenkte ihr ein einnehmendes Lächeln und sprach einen förmlichen Gruß, doch sie spürte, wie sich die Blicke der anderen in ihren Rücken bohrten, nachdem er das Wort „Mylady“ ausgesprochen hatte. Durch die viele Aufmerksamkeit verwirrt und verlegen senkte Mireylle den Blick, während sie seinen Gruß förmlich erwiderte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, ihr Kleid würde nicht im Dunkeln nicht nur schimmern, sondern fluoreszieren.

Zu ihrer Überraschung sprang Lord Shahaan von seinem Thevir und hob mit den Fingerspitzen ihr Kinn. Sie sahen sich in die Augen. Wollte er sie aufbauen, weil sie so offensichtlich den Kopf hängen ließ? Sie vor den anderen an ihren Stolz erinnern? „Senke niemals den Kopf“, hatte Ariana ihr immer wieder gesagt. Ihr Blick versank in seinen leuchtenden Augen, als der Moment sich hinzog.

Völlig unerwartet näherte Shahaan sich ihr und küsste sie. Hinter sich hörte Mireylle Arianas erschrockenes Einatmen die plötzlich eingetretene Stille zerreißen.

„Shahaan“, keuchte Mireylle. Doch dieser legte sanft einen Finger auf ihre Lippen.

„Mein Vorname ist Remon, Mylady“. Ein weiterer Kuss folgte.

„Auf bald!“, flüsterte der Lord und schwang sich auf seinen Thevir. Im Handumdrehen war er in der Ferne verschwunden und ritt seinen Truppen hinaus, die unweit der Hauptstadt postiert worden waren. Wie das Brausen des Meers erhob sich das allgemeine Geflüster, während Mireylle von Ariana sanft zurück in den Palast bugsiert wurde. Surell folgte ihnen still.

Vor Mireylles Gemächern gab Ariana dem Heerführer ein Zeichen zu warten. Nach einer Weile trat sie hinaus und die beiden Dämonen spazierten Seite an Seite den langen Gang entlang und die Treppe hinauf zu den Gemächern Arianas.

Erst nachdem sie die Tür sicher verschlossen wusste, brauste sie auf: „Was hat er sich nur dabei gedacht? Das Mädchen ist völlig durcheinander!“.

„Na was wohl? Vermutlich das Selbe wie bei der Vergabe dieses Titels an ein Menschenmädchen!“

„Aber was sollte das? Jetzt hat er die dämlichen Gerüchte bestätigt und noch weitere geschürt. Was sollte ihm das bringen, Surell?“, sprudelte Ariana hervor.

„Jetzt wissen alle Bescheid, dass sie dem Lord wichtig ist, Ariana. Das bietet ihr zusätzlichen Schutz. Sie haben sich so wie so schon ihren Teil zusammengereimt. Er hat ihnen eine entsprechende Show geliefert. Die Fähigkeiten dieses Mädchens scheinen ihm wirklich viel wert zu sein, so wie er darauf bedacht ist, sie zu behüten.“

„Aber wieso musste er sie denn gleich zur Mylady machen? Ich verstehe es nicht! Und sie auch nicht. Sie hat keine Ahnung.“.

„Denk an die alte Magie, von der die Mylady geschützt wird, Ariana. Sie ist kein Dämon, weshalb er ihr allen magischen Schutz zur Verfügung stellen musste, den er konnte.“

„Wir dachten, er würde niemals eine Mylady erwählen!“. Ein Schatten huschte über Arianas Gesicht, dem eine einzelne Träne folgte.

Surell seufzte und zog die schöne Gestalt an sich. „Ein hoher Dämon sollte sich nicht so sehr seinen Gefühlen hingeben, Ariana.“, sagte er sanft und strich über ihr Haar. „Außerdem ist sie nur ein Spielzeug in seinen Händen. Es hat nicht die Bedeutung, die es unter anderen Lords hätte. Shahaan würde niemals eine Mylady in diesem Sinne auswählen, daran hat sich nichts geändert. Für ihn ergibt dieses System keinen Sinn, das wissen wir doch schon lange“.

Ariana hatte sich beruhigt und schaute nun wieder von ihrem üblichen Charme umgeben zu ihm auf. Sie lächelte. „Bleibst du?“, fragte sie mit samtener Stimme.

Ohne Zögern nickte der Heerführer lächelnd. Sie verschmolzen in der Berührung ihrer Lippen.
 

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Noch immer fassungslos saß Mireylle auf ihrem Bett und starrte die verzierte Wand an, ohne diese tatsächlich zu sehen. Der Lord benahm sich äußerst seltsam, seit er vom Fluch des Astrals getroffen worden war. Gleich nach ihrer Ankunft in seinem Palast hatte er in aller Eile Gemächer für Mireylle ausgesucht und ihr Ariana als Lehrerin und Gesellschafterin zugeteilt, woraufhin sie ihn beinahe eine Woche lang nur zu den Mahlzeiten zu Gesicht bekommen hatte.

Mireylle fragte sich, ob er wohl zornig war, weil sie seine Seele aufgesucht hatte, weil sie ein wenig Einblick in sein Innerstes gehabt hatte. Nicht, dass ihr seitdem irgendetwas in Bezug auf Shahaan klarer geworden wäre. Oder doch? Das Meiste war nur ein Gewirr aus Satzfetzen gewesen und hatte ihr seine Bedeutung nicht eröffnet. Gut, sie hatte ihn in verschiedenen Altersstufen erlebt, aber verriet es so viel von ihm? Sich auf das Bett fallen lassend dachte Mireylle an ihre Kindheit und Jugend zurück und seufzte.

Es verriet dem geschickten Beobachter nahezu alles. Erst jetzt wurde ihr klar, wie aussagekräftig ihr Erscheinungsbild immer gewesen war.

Trotzdem verstand sie Shahaans Verhalten nicht ganz. Was sollte das bei seiner Abreise? Was hatte er mit diesem Kuss eigentlich bezweckt? Wie hatte die Wärme seiner Lippen ihr Herz schmerzen und ihren Stolz schreien lassen! Wütend schlug Mireylle beide Hände vor ihr Gesicht. Zornesheiße Tränen zerrannen zwischen ihren Fingern, während ihr Herz stürmisch pochte. Er hatte sie verwirrt und sie spürte beinahe, wie sehr es ihn amüsierte. Er spielte nur zu gerne mit Gefühlen, das wusste sie, doch dieses Wissen änderte nichts daran, dass er Meister dieser Kunst war. Aber so einfach würde sie Shahaans Charme nicht verfallen. Schon seit sie von seiner Rache an Simon wusste, hatte Mireylle sich versprochen, niemals zu dem Werkzeug dieses uneinschätzbaren Wesens zu werden, wie sehr er sie auch lockte.

Einen unendlichen Moment lang lag sie still, verdrängte jeglichen Gedanken aus ihrem Geist, bis nichts blieb, außer purem Gefühl. Ihr Geist schwang im Einklang mit dem unruhigen Rhythmus dieser Welt. Stille, grenzenlose Stille.

Mit einem plötzlichen Ruck sprang Mireylle auf, die Augen in Ehrfurcht vor der Tragweite ihres grimmigen Entschlusses geweitet. Dies war nicht ihre Welt, nicht der Ort, an den sie gehörte. Hier war sie nur ein Spielzeug in den Händen derer, die mächtiger waren als sie, ein Gast, eine Gefangene. Und ein ewiger Sklave ihrer eigenen Unwissenheit. Nein, hier gehörte sie einfach nicht hin. Sie musste zurückkehren! Zurück in ihre eigene Welt, wo sie ihr Geschick noch weitgehend selbst bestimmen konnte. Sie konnte neu anfangen, wo immer sie auch landete. Sie würde einen Weg finden, schließlich kannte sie die Spielregeln.

Aufgeregt rannte Mireylle zum Schrank und holte alles heraus, das sie aus ihrer Welt hierher mitgebracht hatte. Nachdem sie sich eilig umgezogen hatte, setzte sie den Rucksack auf und schaute sich noch einmal gedankenverloren im Raum um. Ein wenig bedauernd schloss sie letztendlich die Augen und konzentrierte sich auf den Rhythmus der Welten. Sorgfältig unterschied sie die beiden Schwingungen und trennte sie voneinander. Die Schwingung ihrer Welt war schwach an diesem Ort, doch trotzdem war Mireylle fähig, sie zu erkennen. Langsam begann sie, ihren Geist mit dieser Schwingung in Einklang zu bringen, den eigensinnigen Rhythmus ihrer Welt zu verinnerlichen.

Unerwartet schoss eisige Kälte durch ihren Körper, ihn wie ein eisiges Feuer verbrennend. Erschrocken und weinend vor Schmerz riss sie die Augen auf, doch sie erkannte kaum Etwas. Schemenhaft loderte das Bild des Palastzimmers vor ihren Augen auf, als würde sie durch blaues Feuer der Kälte hindurch schauen. Es riss ihr beinahe die Haut vom Leib und machte sie nahezu besinnungslos vor Schmerz.

Ein Schatten erschien dort, wo die Tür sein musste. Mireylle öffnete den Mund, um zu schreien, doch sie brachte keinen Ton hervor. Der Schatten vollführte verschwommene Bewegungen und plötzlich erschien mitten in der Luft vor ihr ein grellrotes Zeichen, dessen komplexe Linienführung sie glasklar erkennen konnte. Einen kurzen Augenblick dauerte es noch, dann verschwanden die Eisflammen und ihr Körper fühlte sich angenehm taub an. Vor ihr stand der Heerführer. Sie registrierte das Fehlen seiner Oberbekleidung und, nachdem ihre Knie eingeknickt waren, auch Ariana, die im Morgenmantel in der Tür stand. Dann verlor sie die Besinnung.
 

Einem Vorboten des Unterganges gleich zog die Dunkelheit über dem Dorf herauf. Angst und Schmerz lagen bleischwer in der Luft und umschlossen alles mit ihrem eisigen Griff. Schwermütig und übermächtig wogte die Verzweiflung durch die Herzen, erstickte jegliche Hoffnung schon im Keim und tötete nach und nach jedwedes Gefühl.

Mahalin starrte. Sie sah und konnte doch nichts erkennen. Den bei ihr ankommenden Bildern konnte sie eine Bedeutung zuordnen. Ihr geliebter Ehemann lag vor ihr auf dem Boden. Ganz rot. Und sein Kopf lag einen halben Meter von ihm entfernt. Seine Augen blass und leer. Der zerfetzte Körper ihres Söhnchens lag nahe der Tür. Gerade hatte sie ihn noch in ihren Armen gehabt. Dann hatte der Dämon ihr ihn entrissen. Stählern umfasste seine Hand Mahalins Handgelenk, sein Blick voller Freude und Gier auf ihren halb entblößten Körper gerichtet.

Während sie seinen Willen teilnahmslos über sich ergehen ließ, dankte sie Erde, Himmel und dem Fürsten. „Oh ihr Mächte! Euch sei Dank, dass ich meine kleine Lazina in den Wald geschickt habe! So hat sie wenigstens eine geringe Chance. Zumindest schenkt es ihr wertvolle Minuten. Ich bitte Euch… gebt ihr eine Chance!“. Ihre Gedanken schwiegen, während der Letzte Funken Hoffnung aus ihr rann, wie Blut aus einer offenen Wunde. Müde schloss sie die Augen, um sich den Anblick des Dämonenkriegers zu ersparen während die Zeit sich bis ins Unendliche zog. Ihr Körper zuckte, dann erschlaffte er wieder.

Unfähig zu einer weiteren Regung lauschte ihr verlöschender Geist den schweren Schritten fester Schuhe vor dem Haus, dem Knistern der Flammen und den Schreien von Stimmen, die ihr vertraut gewesen waren.
 

Seiner eigenen Aufregung entsprechend beschleunigte Fernais Malevue seinen Schritt, als er auf den östlichen Schlossgarten und damit seinen Herren zulenkte. Eine Verbeugung andeutend näherte er sich dem Lord. „Ich habe schlechte Nachrichten“.

Lord Alesan reagierte nicht und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Zielen. Mit aller Ruhe kniff er das linke Auge zu und fixierte seinen Blick am Pfeil entlang auf die Zielscheibe. Seine schulterlangen, goldenen Puppenlocken zitterten vor Anspannung, doch seine feingliedrigen Finger hielten Pfeil und Bogen trotz der starken Spannung felsenfest und sicher. Der Pfeil traf die fünfhundert Meter entfernte Zielscheibe genau in der Mitte. Ein selbstzufriedenes Grinsen im Mundwinkel drehte der Lord sich geschmeidig zu Malevue um.

„Was ist es Fernais? Sag bloß, Remon wollte das Astral nicht rausrücken?“. Bei Malevues zögerlichem Nicken wurde das Grinsen des Lords breiter. „Hmmmm, dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als unsere kleine Drohung wahr zu machen?“.

Kindliche Freude klang aus Alesans Stimme. Malevue senkte den Kopf. Er zögerte. Das jugendliche Erscheinungsbild seines Herren sollte einen nicht vergessen lassen, welch einen Dämonen man vor sich hatte. Alesan war mächtig. So mächtig, dass er sich leisten konnte, jeglicher Laune nachzugeben. Verstimmte man ihn, konnte das das Letzte gewesen sein, was man in seinem Leben getan hatte.

„Lord Shahaan steht im Krieg mit dem neuen Herrn des Achatreiches, Lord Alesan“. In gespannter Erwartung blickte Malevue zu Boden.

Eine Zornesfalte, die so gar nicht zum Puppengesicht des Lords passen wollte, bildete sich auf dessen Stirn. „Du meinst, ein richtiger KRIEG? Mit Beteiligung der Lords? Kein Geplänkel an der Grenze?“. Malevue nickte nachdrücklich und das Gesicht Alesans begann sich vor Wut zu röten. Die Finger wurden bleich, wo sie sich um den Bogen schlossen, dessen Holz unter dem Druck zu knirschen begann. In seiner Wut erinnerte der Lord an ein wütendes kleines Mädchen, doch die Lächerlichkeit dieser Tatsache wurde durch die zerstörerische Macht, die aus ihm strömte, völlig überdeckt. Es machte jeden in der Umgebung schaudern.

Aus der Gruppe, die dem Lord bei seinen Zielübungen Gesellschaft geleistet hatte, trat ein Dämon hervor und legte dem Lord beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. „Was solls? Wir sind im Recht, wir sollten das Rubinreich trotzdem angreifen!“

Malevue sah hoffnungsvoll zum Sprecher auf und dankte ihm im Stillen für seinen Mut. Doch der Lord ließ sich dadurch keinesfalls beruhigen, er explodierte förmlich vor Wut, die Stimme halb aggressiv, halb hysterisch, als er den Dämon ohne sich umzudrehen anschrie. „Es ist das Gesetz des Fürsten! Es ist sein Gesetz, dass ein Lord, der bereits im Krieg steht, nicht von einem weiteren Reich angegriffen werden darf! Ich werde nicht so dumm sein, mich darüber hinweg zu setzen! Ich werde nicht so dumm sein, seinen Zorn auf mich zu ziehen! Er ist erbarmungslos! Seht, was er mit Virayal, dieser alten Schlange, angestellt hat! Nicht mehr als ein Häufchen Asche ist von ihm übrig geblieben, und dabei ist der Grund für die Bestrafung noch nicht einmal klar ersichtlich! Einfach so! Ich werde nicht so verdammt dämlich sein, seinen Zorn durch einen solchen Gesetzesbruch mit voller Absicht auf mich zu ziehen!“

„Shhhhhh…“, hauchte Anareas, der nun beide Hände auf die Schultern des Lords gelegt hatte. Seine Finger glitten langsam unter die goldenen Locken und massierten sanft die Kopfhaut des Lords, sein Gesicht hatte er bereits in der Lockenpracht versenkt. „Beruhige dich, Villy.“, hauchte er.

Der Lord hatte die Augen geschlossen, seine Züge wirkten entspannt. Beschämt senkte Malevue den Kopf. Diese Dinge gingen ihn nichts an, er war nur ein Gesandter. Außerdem war das die perfekte Gelegenheit zu gehen und damit sein Leben zumindest für eine Weile zu behalten. Als Lord Villian Alesan seine Augen einen Spaltbreit öffnete, verbeugte Malevue sich mehrmals und verließ nach Alesans gewährendem Nicken die Gruppe in Richtung des Schlosses.

Seine Schritte lenkte er ohne weiteres Nachdenken auf einen bestimmten Flügel des Schlosses und bestimmten Gemächern zu. Zahlreiche Saphire schmückten die Tür, an die seine Hand leise klopfte. Das Schloss klickte während Magie die Tür aufgleiten ließ. Gehorsam trat Malevue ein und schaute sich in dem vertrauten Raum um. Als er sie erblickte, machte er eine tiefe Verbeugung. Sie mochte es so.

„Mylady Deiedra. Es ist, wie ihr es sagtet. Lord Shahaan lehnt nicht nur die Rückgabe des Astrals ab, sondern entzieht sich auch dem angedrohten Krieg durch einen Trick, wenn man es so nennen mag.“ Die Mylady saß in ihrem prächtigen Sessel und lächelte gelassen. Sie war der schönste weibliche Dämon des Reiches und wer weiß, vielleicht der ganzen Welt. Man war geneigt, es zu glauben, wenn man ihren wundervollen Körperbau, ihre edlen Züge, ihre lange, formvollendete Lockenpracht, die sich schwarz über ihre Schulter ergoss, und ihre fesselnden, tiefgrünen Augen sah, in denen man sich vergessen konnte. Ihre Finger spielten mit einer Locke.

„Wie hat er es denn gemacht? Hat er sich auf eine kriegerische Auseinandersetzung mit Lamerian, diesem Hitzkopf, eingelassen?“. Erneut lächelte sie, als Malevue nickte.

„Ja, das passt zu ihm. Wenn er schon gegen Alesan kämpft, dann will er ihn auch in den Boden stampfen. Und das geht von der Achatgrenze aus weit besser, vor allem, wenn man im Besitz der achatenen Bergtruppen ist. Und das wird er schaffen. Lamerian mag ein mächtiger Dämon sein, doch er gehört weder zu den Klügsten, noch zu den Geschicktesten, wenn es ums regieren geht, das hat er in den letzten Tagen deutlich gezeigt. Ich frage mich, ob mein Freund Sarabias das nicht auch sieht? Na ja, vielleicht ist ihm die Aussicht auf den Titel eines Lords nicht mehr ganz so angenehm, nach der Art des Todes, den der gute Virayal sterben musste. Wie hat mein Lord darauf reagiert, Fernais?“

Malevue begegnete ihrem neugierigen Blick und eine leise Ahnung beunruhigte ihn. „Er hat getobt, Mylady“.

„Das war mir schon klar“, zischte sie ungeduldig. „Was hat er nun vor?“

Malevues schuldbewusster Blick verriet ihn.

„Du weißt es nicht? Warum?“. Ihre Stimme hatte den sonst so melodischen Klang abgestreift.

„Der Lord war sehr wütend, ich bin froh, dass ich gehen konnte, Mylady!“, versuchte er sich zu rechtfertigen, doch es nützte nichts. Ihr Blick war erbarmungslos.

„Da tobt mein Lord mal und du rennst davon und verlierst die Möglichkeit, mir wichtige Informationen mitzuteilen? Liegt dir denn so wenig an deiner Ehefrau, Fernais? Vergiss nicht, dass ich sie immer noch in meiner Gewalt habe!“

„Nein, das tue ich nicht. Ich bitte Euch um Vergebung, Mylady. Das wird nie wieder vorkommen.“

„Ich hoffe es sehr. Ich bin es leid, ständig jemand zu suchen, der deine Fehler ausbügelt!“. Selbst im Zorn war ihr Gesicht noch wunderschön, selbst in den Phasen ihrer Grausamkeit war es das. Er wusste es genau. Und selbst in Momenten wie diesen fiel es schwer, sich vorzustellen, welch hartherzige Mörderin sie auf einem Schlachtfeld war.

„Geh, Malevue. Ich werde nach dir schicken.“

Mit einer ehrerbietigen Verbeugung verließ der Dämon die Gemächer. Jetzt wollte er nur eines. Er musste Conni sehen. Mit aller Macht hielt er seine Beine davon ab, loszurennen. Diese Blöße würde er sich nicht geben. Der Weg durch die Verzweigten Gänge des Palastes erschien ihm unendlich lang und nicht zum ersten Mal verfluchte er die langen und umständlichen Wege, die in diesem Flügel für die Dienstboten errichtet wurden.

Als er sich dem Dienstbotentrakt an der Küche vorbei näherte, sah er sie schon herannahen.

Im Gegensatz zu ihm rannte sie. Es gab verschiedene Arten von Dämonen, aber die Mächtigeren neigten dazu, ihre Schwächen nicht derartig zu demonstrieren. Unwillkürlich musste er lächeln. Ein Lächeln, das er nur ihr schenkte.
 

Als Mireylle erwachte, spürte sie einen leichten ziehenden Schmerz überall auf der Haut, in dem sie eine Nachwirkung des seltsamen kalten Feuers vermutete. Es war ihr in ihre Träume gefolgt und hatte Unmengen von Fragen aufgeworfen. Mit dem Öffnen ihrer Augen erhielt sie die Bestätigung dessen, was sie wahrgenommen hatte. Sie befand sich noch immer in Shahaans Welt. Sie war hier gefangen. Mühevoll richtete sie sich auf und ließ einen resignierten Blick durch den leeren Raum schweifen, nur um sich erschöpft wieder in die Kissen fallen zu lassen.

Es musste ein Zauber gewesen sein, der sie in dieser Welt zurückgehalten hatte, anders konnte sie es sich nicht erklären. Leider hatte sie von diesen Dingen keinerlei Ahnung, also musste sie jemanden finden, der ihr das Geschehene erklären konnte. Ariana würde sicher wissen, was passiert war, schließlich war sie, soweit Mireylle das richtig verstanden hatte, ein magisch begabter Dämon. Sie war gewiss im Stande, Mireylle zu helfen. Doch Mireylle zögerte, den Gedanken weiterzuführen. Es war sinnlos. Ihr Gefühl sagte ihr, sie würde es durch Ariana nicht erfahren. Der Zauber, der sie hier festhielt, musste irgendwie auf sie gelegt worden sein. Da sie den meisten Anderen, die ihr in dieser Welt begegnet waren, völlig gleichgültig war, konnten es nur Shahaan oder Ariana oder aber dieser Heerführer gewesen sein. In diesem Fall war von deren Seite keinerlei Hilfe zu erwarten, eher das Gegenteil würde der Fall sein, denn wenn Shahaan sie so unbedingt für seine Zwecke brauchte, würde er sie bestimmt mit jeglichem verfügbaren Mittel an diese Welt binden.

Sie würde Ariana nicht fragen können. Trotzdem ging Mireylle der Vorfall mit dem Astral nicht aus dem Kopf. Was wäre, wenn das Astral oder diese Magie, die es geschützt hatte, doch eine Wirkung auf sie zeigte? Etwas magisches war damals mit ihr geschehen, als sie in Shahaans Geist eindringen und ihn wieder in die Realität zurückholen konnte. Vielleicht hatte der Bann sie da schon befallen.

Wieder einmal war sie unsicher. Sie fürchtete, das Falsche zu tun, deshalb würde sie vermutlich gar nichts tun. Und erneut in Selbstmitleid zerfließen, in Sehnsucht nach ihrer Welt und der Angst vor ihrer eigenen Wehrlosigkeit Träne um Träne vergießen. Ein erster Vorbote des Sturmes rann bereits über ihre linke Wange und hinterließ ein salziges Prickeln auf ihrer derzeit so empfindlichen Haut.

Vor der Tür regte sich etwas und nach kurzem Lauschen entschied Mireylle sich, den Schlaf vorzutäuschen. Jemand im Gewand eines Hofdieners trat herein und durch die Wimpern schielend erkannte Mireylle das blaue Zeichen auf der Uniform, das auf einen höfischen Dämonen hindeutete. Umständlich verschloss der Diener die Tür und stellte das silberne Tablett auf dem Tisch ab. Dann warf er einen Blick zu Mireylle hinüber und hielt lächelnd inne. „Wie geht es Euch, Mylady?“

Mireylle war einen Moment lang enttäuscht, so durchschaubar zu sein, sah aber ein, wie sinnlos ein weiterer Täuschungsversuch wäre. „Ich lebe. Das spüre ich am ganzen Körper.“, antwortete sie leise. Ihre Stimme hörte sich rau an. Sie musste sich räuspern, ehe sie weiter sprechen konnte. „Verzeiht, Girall, aber woran erkennt ihr eigentlich, ob ich wach bin?“. Die Frage war aus ihr herausgesprudelt, noch ehe sie darüber hatte nachdenken können. Sie fragte nach dieser Welt. Ein erster Versuch, sich mit ihren Regeln vertraut zu machen. Also sagten ihre Instinkte ihr, sie würde noch eine ganze Weile bleiben müssen.

Bei ihrer Frage hob Girall eine Augenbraue. Es war eher ungewöhnlich, geradezu ungebührlich, einem Menschen solch eine Frage zu beantworten, doch es war das Mädchen, welches Lord Shahaan zur Mylady ernannt hatte und so dachte er über eine Antwort nach. „Es ist das Zusammenspiel zahlreicher Dinge, Mylady. Doch bei Menschen sind Atem, Herzschlag, Geruch und Gefühle ausschlaggebend. Man könnte sagen, dies alles bekommt eine andere Färbung, einen anderen Beigeschmack, wenn das Bewusstsein sich in den Vordergrund rückt.“. Den Bruchteil einer Sekunde zögerte er, weiterzureden. „Bei Euch ist es etwas anders, Mylady. Vielleicht liegt es an… Nun, man muss sich zumindest mehr anstrengen.“

Der abgebrochene Satz hatte sofort Mireylles Aufmerksamkeit geweckt, doch auf ihre Bitte, den Satz zu beenden, antwortete Girall mit einem „Euere Herkunft, Mylady“. Es klang ehrlich, es sah ehrlich aus und er hätte es wirklich gemeint haben können, doch irgendetwas in Mireylle spürte die Lüge. Da war noch mehr. Mehr, das sie erfahren musste. Und Girall schien genau der Richtige zu sein. Er verplapperte sich gerne. Natürlich hegte sie die Vermutung, er täte dies mit Absicht, da hohe Dämonen nicht so unbeherrscht waren, etwas zu erzählen, das sie verborgen halten wollten, doch ihr fiel kein ersichtlicher Grund für so etwas ein. Außerdem war es ihr gleich, solange sie erfuhr, was sie wissen wollte.

„Sag, Girall, warum bin ich noch hier? Du weißt, dass ich gehen wollte, nicht wahr? Aber ich konnte es offensichtlich nicht. Warum?“. Mireylle wusste nicht, ob sie sich mit dieser Offenheit zu weit herausgelehnt hatte, doch wer nicht wagte konnte auch nicht gewinnen. Girall musterte sie einen Moment lang, dann zupfte er umständlich an den Ärmelrüschen seines Hemdes und begann leise zu sprechen. „Ich denke nicht, dass es im Sinne meines Herren wäre, wenn Ihr ginget, Mylady. Das könnte ein Grund dafür sein. Ich sollte Euch so etwas natürlich nicht erzählen, aber es ist die Wahrheit und ich denke, sie wird Euch so wie so klar.“

Er nahm sie ernst. Endlich nahm sie hier einmal jemand als denkende Person ernst. In diesem verfluchten Palast wurde sie von allen stets nur mit Halbwahrheiten abgefertigt, und Girall, obgleich ein Palastdiener auch ein hoher Dämon, gestand ihr die Fähigkeit zu, Dinge zu erkennen und zu verstehen. Sie lächelte. „Weißt du vielleicht, wie es ihm gelingt, mich hier festzuhalten? Es muss Magie sein, aber wie kann er sie über mich ausüben und wie werde ich den Zauber los?“.

„Ihr seid neugierig, Mylady. Neugierig auf diese Welt, wo Ihr sie doch gerade erst verlassen wolltet. Eine Ironie des Schicksals, nicht wahr, dass ihr sie erst begreifen müsst, um ihr entfliehen zu können? Es gibt unzählige Arten, Magie auf jemanden auszuüben. Und es ist auch ein ungeschriebenes Gesetz, dass diese Dinge nicht an Menschen weitergegeben werden dürfen.“

Mireylle fuhr hoch. Jetzt wollte er ihr doch alles vorenthalten! „Nur, weil ich ein Mensch bin? Was fürchtet ihr Dämonen denn so, dass ihr uns Menschen euere Weisheiten verheimlicht?“.

„Beruhigt Euch, Mylady!“, flüsterte Girall recht scharf und sah sich um. Er erweckte den Eindruck, auf mehr als nur Geräusche und Bilder zu achten. Als er sich wieder sicherer war, sprach er weiter. „Ich habe nie die Absicht geäußert, mich an dieses Gesetz zu halten. Aber trotzdem gibt es nicht viel, was ich Euch zu diesem Thema sagen kann. Die Möglichkeiten sind zu vielfältig. Ich weiß nur sicher, dass es viel Kraft kostet, einen beständigen Bann auszuüben, wie dieser es sein muss. Und über Entfernungen ist es noch schwieriger. Er muss den Zauber an den astralen Machtstrom gekoppelt oder einen Magielieferanten im Palast gelassen haben. Vielleicht auch beides, aber wer weiß das schon so genau?“

„Man braucht also immer eine Magiequelle?“. Auf seltsame Weise erinnerte es Mireylle an Strom. Energiequelle und Verbraucher, an dem etwas geleistet wird. In diesem Fall ist die Leistung das Binden an diese Welt.

„Ja. Die meiste Reichsmagie ist in den Magiestrom dieser Welt eingebunden und mit den Astralen gekoppelt. Verbrauchte Magie kehrt in den Magiestrom zurück, Mylady. Aber dieses Wissen wird Euch wohl kaum weiterhelfen. Ihr müsstet die Quelle finden und von dem Bann lösen und dazu seid ihr ohne magische Begabung nicht fähig.“

Mireylle seufzte. „Gibt es denn gar keinen anderen Weg?“

„Es kommt ganz auf den Bann selbst an, Mylady. Doch um ihn beispielsweise vom Strom der Welt zu lösen, müsstet ihr Magie wirken. Große Magie sogar, da mein Lord seine Magie auf vielfältige Art schützt. Und ein Lord besitzt ganz besondere Magie im Strom der Welt. Ihr habt da nicht viel Hoffnung, außer ihr bringt ihn dazu, Euch loswerden zu wollen.“. Einen Moment lang sah er ihr in die Augen. „Aber das wäre vermutlich auch keine Gute Idee und sie würde Euch mit hoher Sicherheit nicht heimbringen.“

Entmutigt sah Mireylle zu Boden. Es war also nicht möglich. Sie war seine Gefangene. Der Diener setzte sich neben sie auf das Bett und sah mit ihr zu Boden, dann tätschelte er ihre Schulter, um sie zu trösten. Ehe er ging, dachte er daran, Mireylle auf das gebrachte Frühstück hinzuweisen. Hinter ihm fiel die Tür klickend ins Schloss.

Mireylles Blick fixierte die Wand. Sie hatte also keine Chance, keine Möglichkeit, zu entkommen. Wieder einmal hatte sie keinerlei Einfluss auf ihr Schicksal. Es war zum Davonlaufen, nur das es vermutlich sehr dumm wäre, den Schutz des Palastes zu verlassen. Dies war eine hierarchische Gesellschaft und einfache Menschen standen in ihr ganz unten.

Außerdem fiel es Dämonen leicht, jemanden zu finden, sie erspürten ihn, wie Girall angedeutet hatte.

Etwas regte sich in Mireylles Kopf, ein Gedanke nahm langsam, aber zielstrebig Form an. Bei ihr war es anders, das hatte der Diener ihr gesagt. Es war schwieriger, sie zu erspüren, weil sie aus einer anderen Welt kam. Wenn es ihnen wirklich schwer fiel, hatte sie die Möglichkeit, sich relativ frei im Palast zu bewegen. Mireylle konnte also auch in Shahaans Gemächer eindringen, wenn kein Zauber sie daran hinderte, und damit war sie auch fähig, nach dem magischen Bann oder Gegenstand zu suchen, der sie hier festhielt. Natürlich gab es in dieser Hinsicht zahlreiche Hindernisse, unter anderem die Tatsache, dass sie keine Ahnung hatte, woran man einen solchen Gegenstand oder Zauber erkennen konnte, ob sie überhaupt fähig war, so etwas zu erkennen. Zudem war ihr von Girall auch ausdrücklich gesagt worden, solche Banne seien schwer bis gar nicht zu brechen, schon gar nicht ohne Magie. Andererseits musste Mireylle irgendeine Art von Magie besitzen, dessen war sie sich aufgrund allen Geschehenen völlig sicher, auch wenn sie wiederum ahnungslos dastand, was das Nutzen dieser geheimnisvollen Magie betraf. Schließlich hatte sie es nie gelernt, noch nicht einmal richtig gesehen. Mireylle wusste nicht, ob es überhaupt möglich war, das zu beherrschen, was sie in sich vermutete. Das Etwas, welches sie zwischen den Welten wandeln, in magische Felder eindringen und die Seelen anderer betreten ließ. Sie war nicht sicher, woher das Gefühl kam, doch der Gedanke, der sich in ihr formte, war: „Es ist warm“.

Verwirrt suchte sie nach dem Ursprung dieser Regung und gab schließlich auf. Sie musste etwas über Banne in Erfahrung bringen, das ihr bei der Suche half. Sie würde sich einen geschickten Weg ausdenken, um endlich einige Antworten von Ariana zu bekommen, denn sie zweifelte daran, mehr durch Girall in Erfahrung bringen zu können. Und dann würde sie sich auf die Suche machen.

Langsam erhob sie sich und bemerkte mit leichtem Ärger das lange, dünne Seidengewand, welches ihr auch beim letzten Mal, bei ihrer Ankunft im Palast angezogen worden war. Sie war an diesem Tag sehr schwach und ständig einer Ohnmacht nah gewesen. Als sie am nächsten Morgen aufgewacht war, hatte sie das dünne Kleid bemerkt und sich verzweifelt gefragt, was mit ihren Sachen geschehen war. Mit diesem Kleidungsstück hätte sie beinahe genauso gut nackt sein können. Es hatte einen kleinen Kampf mit Ariana gekostet, aber sie hatte es geschafft, ihre geliebte Jeans zumindest bis in den Schrank zu argumentieren. Seitdem steckte sie ständig in umständlichen Kleidern mit Unterkleidern, Rüschen und Schleifen, in die kein normaler Mensch ohne Hilfe hinein kam. Mit einem inneren Zusammenzucken dachte sie an ihren ersten Versuch, aus so einem Gestell herauszukommen. Ariana würde ihr vermutlich nie vergeben.

Mireylle ging zum Schrank und entdeckte aufatmend ihre Sachen darin. Jemand hatte sie fein säuberlich aufgehängt. Sie besah den sonstigen Inhalt des Schrankes eine Weile und zog dann das verhältnismäßig einfache türkisblau schimmernde Kleid heraus. Irgendwie konnte sie es kaum erwarten, mit ihren Nachforschungen anzufangen.

Kaum, dass sie sich angezogen hatte, erklang ein gedämpftes Klopfen an der Tür. Ariana betrat den Raum und schien diesen sofort auszufüllen. Wie immer hatte sie sich makellos schön gemacht. Ihre goldene Lockenpracht fiel ihr in formvollendeten Wellen über die Schulter und ihre Augen strahlten. Erneut musste Mireylle sich zusammenrissen, um den Blickkontakt nicht abzuwenden. Arianas leuchtend gelbe Augen reizten nicht nur den Sehnerv. Vielmehr gaben sie sehr betont das Wesen der dämonischen Augen preis, indem sie durch den hohen Kontrast die natürlichen Schlitzpupillen betonten. Sie hatte wahrlich den Blick einer Katze, schließlich funktionierten Dämonenpupillen ebenso.

Mit wenigen Schritten war Ariana bei Mireylle und ergriff ihre Hand. „Wie geht es dir?“, fragte sie besorgt.

Mireylle ignorierte das leichte Prickeln auf der Haut. „Gut. Wirklich. Was ist eigentlich passiert?“. Jetzt würde es Ariana schwer fallen, der Frage auszuweichen.

Sie zögerte den Bruchteil einer Sekunde, ehe sie zu einer Antwort ansetzte. „Magie, Mireylle. Ein Zauber, den du durch deinen Versuch, unsere Welt zu verlassen, ausgelöst hast. Surell Haguren hat dich aus dem magischen Feuer geholt…“.

„Was war das für ein Zauber? Wieso konnte ich diese Welt nicht verlassen? Wieso wirkt jemand einen Zauber, der mich hier festhält?“. Nun hatte sie Ariana festgenagelt. Sie musste ihr nun den Urheber des Bannes nennen, der sich vermutlich überraschender Weise als Lord Shahaan erweisen würde. Ariana war nun gezwungen, die Karten offen zu legen und das kleine Komplott gegen Mireylle aufzudecken. Mireylle konnte förmlich sehen wie sie sich wand und nach einer anderen Möglichkeit suchte.

„Nun…“, begann Ariana zögerlich. „Vielleicht sollten wir uns kurz hinsetzen.“.

Sie schritt durch die Räume und ließ sich elegant in einem der Sessel nieder, Mireylle ließ sich in einen anderen fallen und wartete gespannt die große Wahrheit ab. Sie fragte sich, ob es sich um eine Vorführung ihrer Schauspielkunst handelte, als Ariana mit verlorener Miene aus dem Fenster schaute.

„Vielleicht ist es besser, ich sage es dir, ehe irgendein Anderer es dir eröffnet und du alles missverstehst“, hauchte sie dem Fenster zugewandt. Dann fixierte ihr Blick das verwirrte Mädchen. „Wie du vermutlich schon ahnst, ist ‚Mylady’ ein ganz besonderer Titel. Es war im Anbeginn der Zeiten nicht vorgesehen, dass mächtige Dämonen, wie die Lords es nun einmal sind, einen festen Gefährten haben. Es liegt an der Natur der Dämonen, Mireylle. Wir sind in dieser Hinsicht keineswegs so treu, wie die Menschen es sind oder zumindest zu sein versuchen. Unser Ehrgeiz lag nie auf dem Gebiet der persönlichen Einschränkung. Doch im Sinne eines archaischen Bedürfnisses der Blutsnachfolge und einer Verteilung der Aufgaben ergab sich nun die Erfordernis einer Gefährtin für die Lords. Und so setzte es sich in allen vier Reichen durch, dass der Lord sich eine Lady erwählte, welche zeitlebens an seiner Seite war und ebendiese Aufgaben übernahm. Zum Schutz dieser Gefährtin wurden elementare magische Banne in der alten magischen Kunst an den Titel der Gefährtin geknüpft, die eine Analogie zu den Schutz- und Machtzaubern darstellen, welche den Lord mit seinem Reich verbinden. Selbstverständlich hat sie nur einen Bruchteil seiner Macht, doch der Schutz ist beinahe ebenso stark wie der des Lords. Der Titel der Gefährtin ist angelehnt an den Namen der ersten Dame, die an der Seite eines Lords seine Macht teilte. In der alten Sprache hieß er Miylaidie. Weshalb auch der Titel bis heute ‚Mylady’ ist.“. Ariana hielt inne, als sie den Schock in Mireylles Blick erkannte und legte ihre Hand mit einem besänftigenden Lächeln auf Mireylles Knie.

„Es ist… wie Heirat?“, fragte das Mädchen verstört.

„Ja, das ist es. Doch natürlich gibt es Unterschiede. Die Menschen lassen ihren Bund von einem Bürgermeister absegnen. Die Dämonen erhalten ihren Segen nur vom Lord oder der Mylady. Doch der Lord erwählt seine Mylady nur. Von wem sollte er den Bund auch absegnen lassen? Der Fürst schert sich nicht um diese Dinge. Zudem ist es unter Dämonen nicht so bindend wie eine Heirat, was den Umgang betrifft.

Aber ich komme vom Thema ab. Lord Shahaan hat dir den Titel verliehen. Aber er tat es, um dich zu schützen. Jemand ohne magische Begabung ist zu anfällig für höfische Intrigen und deshalb… wählte er diese mächtige uralte Magie, um dich davor zu bewahren.“

Mireylle war einfach nur perplex. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Shahaan hatte sie also geheiratet, oder zumindest etwas Vergleichbares, und hielt es nicht für nötig, sie davon in Kenntnis zu setzen? Geschweige mal zu fragen. Zu ihrem Schutz? Es klang logisch, es war sogar durchaus logisch. Auch ohne Magie war das höfische Leben in der Geschichte ihrer Welt von tödlichen Intrigen nur so gespickt gewesen. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr schien sie sich an die Logik dieser Entscheidung zu gewöhnen, obgleich es ihr schleierhaft war, warum Ariana nicht schon seit langem die Mylady des Reiches war. Sie hatte nie einen Hehl daraus gemacht, wie häufig sie Shahaans Bett teilte.

Das Ganze rückte auch den theatralischen Abschiedskuss endlich ins richtige Licht. Mireylle begriff und akzeptierte, als eine Kombination aus natürlichem Überlebensinstinkt und Logik die Empörung besiegte.

„Es ist dieser Schutz, der dich hier aufgehalten hat. Er hat dich vor deiner eigenen Welt geschützt. Wir werden mit Remon darüber reden, sobald er zurückgekehrt ist.“.

Sie log. Ganz klar und offensichtlich log Ariana sie an und Mireylle war zu verblüfft von dieser Wende, um zu widersprechen. Das konnte nicht der Grund dafür sein. Er hatte sie von Anfang an so genannt und trotzdem war sie frei gewesen, sich zwischen den Welten zu bewegen. Mireylle fragte sich, wie lange Ariana sie schon belog, doch irgendein Teil von ihr sagte Mireylle, dass nur der letzte Teil gelogen war. Wahrheit war ein guter Trick, um eine Lüge zu überdecken. Eine in Wahrheit eingebundene Lüge erschien einem viel eher glaubhaft und Ariana kannte dieses Mittel. Wie jeder gute Lügner versuchte sie nicht, das Thema schnell zu wechseln, sondern steigerte sich erst hinein, um dann auf etwas Weiterführendes umzuleiten. Sie erzählte Mireylle von einigen Intrigen am Hof, die tödlich geendet hatten und erklärte ihr, wie ungenau das Wissen um die alte Magie war, welche unter anderem für die titelbezogenen Banne verwendet worden war. Sie entstammte einer alten Zeit und Sprache, welche im Laufe der Jahrtausende vergessen worden und im Umbruch der Zeiten untergegangen war. Hatte Shahaan nicht etwas Ähnliches gesagt? Die Magie, die ihr nichts anhaben konnte, war sie nicht auch aus dieser Zeit? Weshalb sollte diese Magie also irgendeine schützende Wirkung auf sie haben? Oder war sie etwa anders, als die Magie der Astrale. Die schwere Tiefe ihrer Ahnungslosigkeit wurde Mireylle nur allzu bewusst.

Schon bald überredete Ariana Mireylle auf ihre bestimmende Art zu einem Spaziergang durch den Park, womit das Thema im Allgemeinen als abgeschlossen galt, sie würde darüber kein weiteres Wort mehr verlieren.Im Gang begegneten die beiden Surell, der mit mürrischem Gesichtsausdruck den Gang entlang marschierte und ihnen nur einen knappen Gruß gönnte.

„Er ist nun mal ein Krieger“, entschuldigte Ariana seine schroffe Art. „Es ist ihm zuwider im Palast herumzusitzen während der Lord Krieg führt.“

Ariana verbrachte den gesamten Tag bei Mireylle und ließ sie keinen Moment aus den Augen. Möglicherweise ahnte sie, Mireylle nicht ganz überzeugt zu haben. Sie erteilte Mireylle im Laufe des Tages Unterricht in höfischem Benehmen und erzählte ihr ein wenig von den Sitten und Bräuchen dieser Welt. Es war die Aufgabe, die Shahaan ihr zugedacht hatte. Doch den größten Wert legte die schöne Dämonin auf Mireylles Äußeres. Sie zwang sie erneut die Hofschneiderin stundenlang über sich ergehen zu lassen, bestellte einen Juwelier in den Palast und wählte Unmengen kostbaren schmuck für sie aus. Arianas Bemühungen endeten alles in allem damit, dass Mireylle sich wie ein Schmuckstück fühlte. Vor allem die unangenehme Art, wie Ariana sie durch den Palast führte, um sie insgeheim den anderen Dämonen zu präsentieren, machte Mireylle sauer. Trotzdem ließ sie alles mit sich machen und gehorchte jeder Anweisung in der Hoffnung, Ariana würde sie dann schneller in Frieden lassen. Sie hätte ohne die Gesellschaft der Dämonin eh nichts mit sich anzufangen gewusst, wie sie sich immer wieder ins Gedächtnis rief.

Nach dem allabendlichen Unterricht im Lesen und Schreiben wurde Mireylle endlich alleine gelassen. Ein wenig grimmig stellte sie fest, wie miserabel sie im Schreiben dieser Sprache, die der ihren so ähnlich war, vorankam. In dieser Welt hatte niemand Wert auf einfache, schnell zu schreibende und zu lesende Buchstaben gelegt. Vielmehr war jedes einzelne Exemplar ein kleines Kunstwerk und Mireylle fiel es schwer, sich vorzustellen, wie man auf diese Weise Wissen verbreiten konnte. Nun, vermutlich war das hier nicht so wichtig, wenn man den Entwicklungsstand dieser Welt betrachtete.

Mireylle ließ sich reichlich zeit, nachdem sie das Licht gelöscht hatte. Sie wollte sichergehen, nicht verfolgt zu werden und vielleicht wartete Ariana ja noch vor der Tür. Leise schlich sie zu ihrem Schrank und holte die Jeans und ein Top hervor. In einem ballfähigen Kleid würde sie viel zu eingeschränkt sein. Langsam zog sie sich um und schlich im vom Mond erzeugten bläulichen Zwielicht zur Tür. Sie legte ein Ohr an den dünnen Spalt zwischen den beiden Türflügeln, um zu lauschen. Soweit sie das beurteilen konnte, war niemand in der Nähe. So geräuschlos sie konnte drückte Mireylle die Klinke runter und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Nachdem sie sich sicher war, schlich sie hinaus.

Der Gang lag still und verlassen vor ihr. Mondlicht fiel sanft auf die dicken Teppiche und tauchte den Flur in ein friedliches Halbdunkel. Nach reichlicher Überlegung hatte sie sich entschieden, auf dem Weg zu Shahaans Flügel so weit wie möglich den Hauptwegen zu folgen. In der Nacht waren keine Boten unterwegs und andere Diener nahmen eher die kurzen Dienstbotenwege, die das Gebäude auf unsichtbare Art durchdrangen. Mireylle ging sich stets umschauend die vier breiten Treppen hoch, wobei sie ständig darauf achtete, sich hinter Statuen zu verstecken, wenn patrouillierende Wachen in der Nähe waren. Zu ihrer eigenen Verwunderung fiel es ihr nicht weiter schwer und deshalb maß sie der Behauptung, sie wäre schwerer zu erspüren, nun höhere Bedeutung zu. Scheinbar konnten die magisch eher schlecht ausgerüsteten Dämonenwachen sie gar nicht aufspüren, denn sie gingen einmal äußerst nah an ihr vorbei, ohne Notiz von ihr zu nehmen. Zugegebener Weise hatte Mireylle sie Luft angehalten und ihr Herz eisern beruhigt, doch es war gelungen. Froh, der Gefahr entkommen zu sein, schlich sie durch die Tür zum Flügel des Lords und erschrak fast zu Tode, als sie zwei Wachen beinahe in die Hände gelaufen war. Sie hatte sie hinter der Biegung eines Ganges nicht bemerkt. Unsicher, ob sie den gelangweilten Söldnern aufgefallen war, machte sie Kehrt und sprintete einen der Gänge entlang, um sich hinter der nächsten Abzweigung zu verbergen. Alarmiert hielt sie abrupt inne, als ein Gefühl sie warnte. Sie spickte um die Ecke und entdeckte zwei Wachen, die langsam auf sie zuschlenderten. Mireylle rannte einen Teil des Weges zurück um an einer früheren Kreuzung einen anderen Weg einzuschlagen, doch sie hörte bereits leise Stimmen, als sie dieser näher kam. Sie blickte um die Ecke und zog ihre Nase blitzschnell zurück, als sie ein weiteres Wächterpaar bemerkte. Nun war sie eingekesselt. Früher oder später würden die Wachen an der Kreuzung ankommen und Mireylle hätte keinen Fluchtweg. Der Geschwindigkeit der Schritte nach zu urteilen, würde es eher früher als später sein.

Die Schritte kamen nun in wirklich rascher Folge und nur viel zu spät erkannte sie, dass die Wachen rannten. Man hatte sie also gesehen. Die beiden rauen Stimmen tauschten ein paar aufgeregte Worte und Mireylle hörte das schleifende Geräusch von Metall, das aus einer Schwertscheide gezogen wurde. Einen Moment kam ihr die Vorstellung, mit einem Schwert bedroht zu werden, beinahe lächerlich vor. Jemand, der aus ihrer Zeit stammte! Jemand aus dem Zeitalter der Technik würde von einer simplen, schlecht gearbeiteten Metallkonstruktion bedroht werden und vielleicht sogar dadurch sterben. Es war nur allzu ironisch.

Mireylles Herz begann hemmungslos zu pochen als die Schritte unmittelbar nah kamen. Das war das Ende. Sie wusste nicht, was geschehen würde, doch selbst wenn sie überlebte, hatte sie ihre Chance mit Sicherheit verwirkt. Sie lehnte sich gegen die Wand und ließ sich mit geschlossenen Augen langsam zu Boden gleiten.

Plötzlich quietschte eine Tür und ein Ruf ertönte. Die Schritte hielten inne und die Erklärungsversuche der Wachen verstummten in einer Art furchtsamer Stille. Erst jetzt erkannte sie die Stimme, die nun mit den Wachen sprach. Es war Girall.

Ängstlich legte Mireylle sich auf den Boden und spickte um die Ecke. Die beiden Söldner hatten ihr den Rücken zugewandt, nur Girall stand noch so, dass er sie im Augenwinkel bemerken konnte, wenn sie versuchte sich auf die andere Seite der Kreuzung zu schleichen. Girall drehte sich mitten im Gespräch von Mireylle weg und zeigte auf etwas am anderen Ende des Ganges. Ohne lange zu zögern sprang Mireylle auf die Beine und huschte über den Gang. Girall hatte sie unbewusst gerettet.

Kopflos rannte sie den Gang hoch und wünschte sich nichts sehnlicher, als die Sicherheit ihres Bettes. Der Schrecken saß ihr noch tief in den Knochen. Vor der Nächsten Kreuzung wurde sie langsamer und versicherte sich erst, dass niemand im Quergang war, ehe sie weitereilte. An der nächsten Biegung musste sie nach links und schon konnte sie durch die Tür aus dem Flügel flüchten.

Doch erneut hörte sie Stimmen und rannte kopflos zu der freien Kreuzung zurück. Sie schaffte es gerade noch so, um die Ecke zu sprinten, ehe Wachen in den Gang einbogen. Panisch versuchte sie, sich zu beruhigen, als sie weiter rannte. Ihr Atem ging nun schwer und ihr Herz raste. Schweiß rannte ihr übers Gesicht und den Rücken herunter. So würden die Dämonensinne sie bald entdecken. Sie rannte weiter in die Stille der Dunkelheit flüchtend.

Erst als sie sich in einem von Fenstern gesäumten Gang wieder fand erkannte sie, dass sie sich hoffnungslos verlaufen hatte. Ihre Orientierung war in diesem Teil des Flügels gleich Null. Sie näherte sich dem markanten Eingang eines der gewaltigen Balkone und als sie vorbeischleichen wollte, erkannte sie zu ihrem Schrecken, dass sich jemand auf dem Balkon befand. Mireylle wagte es, genauer hinzusehen und erkannte den Heerführer Surell Haguren. Er stand an die Abgrenzung gelehnt da, doch obwohl er ihr zugewandt war, konnte er Mireylle nicht sehen. Er hatte den Kopf in den Nacken geworfen und die Augen geschlossen. Das leichte Hemd, das er trug, erlag ebenso wie das Haar dem Spiel des Windes und Mireylle fragte sich, ob es Dämonen wohl angeboren war, so ausdrucksstarke Posen zu wählen. Das Bild, das er bot, war ebenso fesselnd, wie bewegend.

Nur mit Mühe schaffte sie es, sich abzuwenden und an dem Balkonzugang vorbei zu schleichen. Sie rannte wieder los, als sie sich wieder mit dem Weg auszukennen glaubte.

Nach einer Weile stellte Mireylle verzweifelt fest, dass sie sich völlig verirrt hatte. Noch nicht einmal zu dem Fenstergang zurück hatte sie es geschafft. Sie war verloren in einem Labyrinth aus Gängen, das sich immer enger um sie gezogen zu haben schien und allmählich vermutete sie, mitten in einen Schutzzauber gerannt zu sein.

Müde ließ sie sich auf den Boden sinken und lehnte sich an die Wand. Nun hatte sie doch verloren. Zu erschöpft, um in Panik zu geraten schloss sie die Augen und begann zu schniefen. Wenn man sie hier überhaupt jemals fand, würde es ihr schwer fallen, sich herauszureden und Ariana würde sie keinen Moment lang unbeaufsichtigt lassen. Vielleicht würde sie sie sogar einsperren und Shahaan benachrichtigen. Es war vorbei und Mireylle entschied, dass trauerndes Weinen an dieser Stelle durchaus angebracht war. Verzweifelte Tränen rannten heiß über ihre Wangen und zornig schlug sie gegen die Wand, um ihrem Schmerz Luft zu machen. Sie verharrte in der Berührung, als sie die Wärme spürte. Sie öffnete die Augen und sah wie blaue Muster in der Wand aufleuchteten, da wo ihre Hand sie berührte. Erschrocken zog Mireylle diese zurück und die Zeichen erloschen in einem leichten Nachglimmen. Neugierig streckte sie die Hand erneut aus und berührte die Tapete mit der Fingerspitze.

Als würde das Licht aus ihrem Finger rinnen, breitete es sich an der Wand aus und brachte zahlreiche Schnörkel zum Leuchten. Mireylle meinte ein Muster zu erkennen und legte entschlossen die gesamte Handfläche auf. In ihrer Vermutung bestätigt zögerte sie einen Moment, ehe sie beide Hände fest auf das Zeichen presste und ein komplexes Pentagramm zum hellen glühen brachte. Völlig unerwartet leuchtete es grell auf und Mireylle spürte, wie sie durch die Wand gesogen wurde.
 

Die Finsternis, in der sie sich wieder fand, roch feucht und abgestanden. Sie konnte rein gar nichts erkennen und stolperte bar jeglicher Hoffnung an der steinernen Wand entlang. Irgendwo hörte sie ein glitschiges Tropfen und mit jähem Grauen fragte sie sich, wo sie hineingeraten war. Hier standen ihre Chancen, entdeckt zu werden definitiv schlechter als im Palastgang. Auch war ihr nicht klar, wie sie es geschaffte hatte, das Pentagramm zu aktivieren, aber vielleicht lag es ja an der titelgebundenen Magie. Nach einer Weile wurde ihr das Gewicht bewusst, das sie zu Boden drückte. Sie musste sich tief unter der Erde befinden. Sie befand sich unter dem Palast. Der Gedanke erschien in ihrem Kopf und setzte sich durch, bis er zu Gewissheit wurde. Irgendwie glaubte sie die Anwesenheit des Palastes zu spüren. Es war ähnlich wie die Aura des Lebenden, die sie in ihrer Welt stets sehen und spüren konnte. Möglicherweise gewöhnte sich dieser Sinn ja an Shahaans Welt.

Und tatsächlich begann sie in der Finsternis etwas wahrzunehmen. Es war, als ob sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten, nur konnte sie diese dabei ebenso gut geschlossen halten. Das Glimmen von Leben erfüllte den Moosverseuchten Gang und Mireylle begann seine Konturen zu erkennen. Wie von selbst beschleunigten ihre Füße den Gang, als sie sicherer wurde. In der Ferne glaubte sie eine Treppe zu erkennen. Bei dieser Stelle angelangt fühlte Mireylle erst mit der Fußspitze nach, ehe sie den Aufstieg wagte. Der Treppenaufgang war schmaler, feuchte Wände schmiegten sich an Mireylles Schultern.

Während Mireylle die endlosen Gänge durchstrich und lange, gewundene Treppen empor kletterte, zog sich die Zeit endlos dahin. Doch die dunkle Stille des unterirdischen Labyrinths erfüllte sie unerwarteter Weise nicht mit Schrecken. Sie hatte stattdessen etwas Beruhigendes und Vertrautes an sich. Leben schien durch die Gänge zu pulsieren.

Mit einer Zielstrebigkeit, die sie selbst verblüffte, fand Mireylle ihren Weg von Ebene zu Ebene, wobei sie nur dem Licht des Lebens folgte. Das Gefühl von Wärme nahm mit der Zeit immer weiter zu, bis die Luft um sie herum tatsächlich wärmer wurde. Sie näherte sich der Quelle, dem Ursprung. Sie kannte diese Magie. Es war einer der magischen Pfade, den die Magie auf ihrem Weg um die Welt nahm. Mireylles Sinne begannen zu schwirren und mit einem Mal fühlte sie sich leicht und befreit.

Nahezu elanvoll erklomm sie die nächste Treppe und fand sich vor einer Tür wieder. Unsicher hielt sie inne und dachte nach, dann presste sie beide Handflächen auf das alte Holz und es begann zu leuchten. Wie schon zuvor erschien ein komplexes Pentagramm und leuchtete blitzartig auf. Mireylle starrte das Pentagramm an, zu dem ihre Instinkte sie geführt hatten. Es geschah nichts. Das hatte sie nicht erwartet. Unbehagen breitete sich in ihr aus und wich einem Anflug von Verzweiflung. Nach einer Weile stöhnte sie laut auf und betätigte die Türklinke. Mit einem leisen Quietschen schwang die Tür auf und eröffnete Mireylle den Weg zu einem beleuchteten Gang. Man gewöhnte sich ziemlich schnell an Magie.

Am anderen Ende des Ganges befand sich ein Torbogen, durch den perlmutternes Licht fiel. Mireylle ging auf Zehenspitzen darauf zu und lugte in den Raum.

Der Anblick verblüffte sie und ließ sie ein paar Schritte vortreten. Es fiel ihr schwer, die Situation zu erfassen.

Es handelte sich um einen runden Raum, in dessen Mitte sich ein Wesen auf einer gehobenen runden Plattform befand, welches Mireylle spontan als Einhorn einordnete. Das Licht ging von dem Wesen aus, das auf den Boden der Plattform gesunken war. Die Augen des Tieres waren weit aufgerissen und das Weiße darin hatte einen ungesund gelben Stich. Irgendetwas hielt das Einhorn auf dieser Plattform fest. Mireylle wagte nicht, weiter vorzutreten. Stattdessen betrachtete sie die hüfthohen Säulen genauer, die einen Kreis um die Plattform bildeten und ebenso wie diese einen Teil des dreidimensionalen Pentagramms bildeten, dessen Linien wie leuchtende Fäden den Raum durchzogen. Mireylle erschrak, als sie in den leuchtenden Magiebündeln, die über einigen der Säulen schwebten, die vertraute Form von Astralen erkannte. Es waren vier.

Die Magie in der Luft war zum Schneiden dick. Das Einhorn gab ein erbarmungswürdiges Geräusch von sich, doch so leid es Mireylle auch tat, sie traute sich nicht, durch die magischen Linien hindurch zu schreiten. Sie wusste nicht, womit sie es hier zu tun hatte. Es wurde zweifellos von Shahaan errichtet und war somit ein mächtiges magisches Gerüst. Nun, daran bestand sowieso kein Zweifel, doch diese Magie konnte ihr vielleicht auch Schaden zufügen. Nach einem weiteren Geräusch schaute Mireylle gequält zu dem Einhorn hinüber und ein irrationaler Teil von ihr gab nach und veranlasste sie, einen Schritt auf das magische Gebilde zu zu machen. Im letzten Moment gewann die Vernunft oder auch die Angst überhand und hielt Mireylle an. Dem armen Geschöpf in die traurigen Augen blickend schloss Mireylle schließlich die ihren und dachte an Tierschutz. Irgendwie hatte ihre Welt doch so ihre Vorteile. Noch nie hatte ein Wesen sie mit solchen Augen angeschaut.

Sie sehnte sich nach ihrer Heimat, nach dem vertrauten Rhythmus des Lebens und plötzlich konnte sie ihn im Puls dieser Welt vernehmen. Sie streckte ihren Geist umsichtig danach aus und zog sich zurück, als ein Lodern über ihre Fingerspitzen rann. Blitzartig öffnete sie die Augen und erkannte gerade noch, wie die bläulichen Flammen von ihren Fingern wieder in den Bannkreis gezogen wurden und darin verschwanden.

Es fiel ihr buchstäblich wie Schuppen von den Augen. Das war der Ursprung des Zaubers, der sie hier festhielt. Und das Einhorn bildete zusammen mit den Astralen die magischen Quellen für den Bann. Hass brandete in ihr auf, heiß und lodernd, alles verzehrend. Shahaan quälte ein armes Wesen zu Tode, um sie ihrer Freiheit zu berauben. Er spielte nur mit ihr, die ganze Zeit! Und zu allem Übel war sie nicht fähig, ihn dafür zu hassen. Sie wusste um seine Methoden, darum, wie er sie mit Lügen, Gesten und Blicken um den Finger wickelte und doch war sie nicht fähig, ihn zur Gänze zu verdammen, sie konnte es einfach nicht. Zornig entschied sie, es zu versuchen. Sie wollte ihre Freiheit! Wenigstens so konnte sie ihm ihre innere Stärke beweisen, das heißt, wenn er es nicht für Dummheit hielt, wenn er sie tot hier auffand.

Mireylle atmete noch einmal durch und machte einen Schritt vorwärts. Sofort begannen die Ringe des Pentagramms sich um sie zu drehen und rot zu glühen. Die Luft um Mireylle flimmerte und begann zu knistern, kleine aber grelle Explosionen fanden um sie herum statt, hielten aber einen Abstand von einigen Zentimetern um ihren Körper. Mutiger geworden bewegte Mireylle sich durch das Gebilde und ignorierte die Ringe, die sich immer schneller drehte. Hoffnungsvoll hob das Einhorn den Blick, als das Mädchen sich näherte. Der Abstand der Explosionen verringerte sich und Mireylle rannte nun durch das Pentagramm. Sie streckte ihre Hand zu dem Einhorn aus und spürte einen Sog, als diese die unsichtbare Wand durchdrang. Ein Flackern folgte und dann bildeten sich Risse in der magisch strahlenden Kuppel. Das Einhorn erhob sich schwankend und sprang hindurch. Es flackerte erneut und Mireylle schrie vor Schmerz auf. Keuchend presste sie die verletzte Hand an ihre Brust und versuchte, wieder aus dem magischen Feld hinaus zu gelangen. Das Einhorn lief und kroch abwechselnd über den Boden, auch über ihm entstanden Explosionen, doch sie wurden von rötlichen Blitzen begleitet. Irgendwie gelang es dem Wesen, die äußerste Grenze des Pentagramms zu durchschreiten, wonach es sich aufrichtete und ohne einen Blick zurück davon galoppierte.

Mireylle sah dem undankbaren Wesen fassungslos nach. Sie selbst kam nicht so gut voran. Irgendetwas machte ihr die Beine bleischwer, sodass sie kaum den einen vor den anderen setzen konnte. Die kleinen Explosionen prickelten bereits wie Funken auf ihrer Haut und sie spürte, wie ihre Kräfte sie verließen.

Mit einem Ruck war der Schutz um sie herum durchbrochen und wilde Magie ergriff von Mireylle Besitz. Sie riss an ihren Gliedern, verkrampfte ihr Herz und ließ Schmerzen wie Wellen über sie hereinbrechen. Vor Mireylles Augen verschwamm alles und sie sah ihre eigene Kindheit. Der Zauber folterte sie mit den Bildern von Erinnerungen, die sie längst verkraftet zu haben glaubte. Etwas zerrte an ihrem Sein und für einen Moment spürte sie, wie ihre Seele sich von ihrem Körper löste.

Daraufhin entflammte in ihr ein Licht, das sie von innen zu verbrennen schien, aber es band sie wieder an ihren Körper. In dem Moment, in dem sie in ihn zurückgekehrt war, trat ein Augenblick vollkommener Stille ein, wie die Ruhe vor dem Sturm, und das Glimmen wurde dunkler. Mit einem Mal geschah eine mächtige Entladung und mit ohrenbetäubendem Krach leuchtete Mireylle selbst auf.

Das nächste, woran sie sich erinnerte, war ihr Gesicht auf kaltem, feuchten Boden und völlige Dunkelheit. Sie fiel in Ohnmacht.

Langsam kam sie zu sich, als sie Stimmen durch die wattige Benommenheit ihres Bewusstseins vernahm. Sie öffnete die Augen, aber die Finsternis versteckte die Person vor ihr, die redete. Sie erkannte Arianas Stimme im Hintergrund, sie schien sehr aufgeregt. Erst danach wurde ihr klar, dass der Heerführer zu ihr sprach. Er hatte sie aufgerichtet und fühlte ihren Puls. Er schien auf etwas zu warten. Dann drang die Frage zu ihr durch.

„Mädchen, lebst du?“. Mireylle versuchte zu antworten, doch es gelang ihr nicht. Sie nahm alle Konzentration zusammen und schaffte, die Lippen zu bewegen. Sie hauchte ein ‚Ja’.

Surells Muskeln in ihrem Rücken entspannten sich ein wenig.

„Wie viele Finger siehst du?“, fragte er, doch Mireylle konnte in der Dunkelheit nichts erkennen. Ein Moment angespannter Stille folgte.

„Ariana, mach bitte noch eine Lichtkugel, näher bei ihr“, sagte er. Ein zischendes Geräusch erklang und Mireylle spürte Wärme nahe ihrer Wange.

„Verdammt!“, keuchte der Heerführer.

Blut und Knochen

Als Mireylle wieder zu sich kam, saß sie an eine der Steinwände gelehnt. Die Kälte des Gesteins war ihr bereits tief in die Knochen gestiegen und schwächte ihren angeschlagenen Körper noch mehr. Verzweifelt klammerte ihr Geist sich am Bewusstsein fest. Sie verstand nicht. Die Luft um sie herum war nun in Bewegung und obwohl sie es in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, wusste Mireylle um die offene Tür. Angestrengt sammelte sie ihre Konzentration, um das Geschehen um sie erfassen zu können.

Trippelnde Schritte durchquerten den Raum.

„Oh, Remon wird uns alle zusammen umbringen. Er wird völlig durchdrehen. Bei ihm weiß ich ehrlich gesagt wirklich nicht, was er machen wird. So etwas ist noch nie geschehen! Wer weiß, wozu er imstande ist, wenn er einmal ernsthaft wütend ist!“, jammerte Arianas bekümmerte Stimme.

Surells Stimme erklang ganz in der Nähe. „Jetzt mach uns nicht verrückt! Am Ende nimmt er das ganze wissenschaftlich. Außerdem beugen wir gerade größerem Schaden vor, oder?

Es ist in der Tat merkwürdig, dass so etwas möglich war. Remon unterläuft nie ein Fehler in der Magie! Sie hätte den Kreis weder betreten noch lösen können dürfen.

Ich verstehe es nicht. Aber das Astral da. Ich frage mich, ob…“, er seufzte. Schwere Schritte näherten sich und kurz darauf ergriff Surell Hagurens warme, starke and Mireylles Schulter.

„Mädel, bist du wach?“, er wartete nicht ab. „Sag, hast du eins der Astrale angerührt?“

Ein keuchendes Husten schüttelte Mireylle, ehe sie eine Verneinung hervorbringen konnte.

Der Griff wurde einen Moment lang fester, dann ließ er sie los.

„Oh, verdammt!“, rief Ariana aus.

„Wir können immer noch hoffen, dass es durch die magische Entladung heruntergefallen ist, Ariana. Wer kennt schon den Zugang zu diesem Ort?“.

„Na, sogar dieses Menschenmädchen hat ihn scheinbar problemlos gefunden!“. Ariana kreischte nun beinahe. Es war wider ihre Art, sich solche Blöße zu geben, also musste etwas wirklich Schreckliches geschehen sein.

„Hör auf, dich aufzuregen! Das steht dir ganz und gar nicht. Zeichne lieber weiter, solange ich die Berechnungen mache. Und mach bitte weniger Licht, ich muss die magischen Pfade ganz genau erkennen können.“

Sie sollte weniger Licht machen? Es war doch völlig finster! Vielleicht handelte es sich um ein Licht, welches nur Dämonen zu sehen vermochten.

„Bist du sicher, dass du das schon schaffst? Ich meine…“, die Dämonin klang besorgt. Ob Surell wohl verletzt war?

„Keine Sorge, die Droge hat ihre Wirkung schon verloren, mein Geist ist völlig klar.“, antwortete Surell fest. Eine Droge? Dämonen nahmen keinerlei Rauschmittel zu sich, weil sie es nicht ertrugen, ihrer klaren Sinne beraubt zu sein, das hatte Ariana ihr einmal erklärt. Sie tranken Weine, da diese auch andere Wirkungen hatten und die Trübung der Sinne bei geringen Mengen unwesentlich ausfiel, doch eine richtige Droge?

Eine schiere Ewigkeit zog sich dahin und ließ Mireylle in einer Kulisse aus trippelnden Schritten, leisem Schaben, wie von Kreide auf Gestein, und dem ständigen leisen Murmeln Surells warten und frieren. Sie spürte bereits, wie die Ohnmacht stärker wurde, doch sie wollte unbedingt erfahren, was sie taten. Es war wichtig genug, um Mireylle in ihrem geschwächten Zustand auf eiskaltem Boden abzusetzen, anstatt sie kurz zu ihrem Bett zu tragen. Aber vielleicht war es ab jetzt auch egal, was mit ihr passierte, weil der Lord sie für das, was sie getan hatte, umbringen würde.

„Ich bin soweit“, sagte Surell. Trippelnde Schritte erklangen und die Kreide glitt rasch über den Boden, um hier und da etwas hinzuzufügen, dann trat Ariana zu Surell.

„Stell dich bitte da hinüber“, sagte er.

„Gut. Ich gebe dir soviel ich kann, aber ich brauche nachher noch etwas für meinen Schutzzauber.“

Eine Pause entstand, während sie irgendwo hin ging, dann begann Surell leise zu flüstern. Mireylle vernahm das Rauschen seiner Ärmel im Wind der Bewegungen, zu dem sich ein immer lauter werdendes Dröhnen gesellte. Es erinnerte Mireylle ein wenig an das Geräusch einer Stimmgabel, doch es war wesentlich penetranter und irgendwie verzerrt.

Erneut schien die Zeit sich ins Unendliche zu ziehen. Mireylle wurde mit jeder Sekunde schwächer und obwohl Surells volle Stimme immer mehr anschwoll entglitt Mireylles Geist dem Bewusstsein.

Während um sie herum Magie gesponnen wurde, verfiel Mireylle in einen unruhigen Schlaf. Sie spürte die Realität am Rande der Traumebene, spürte die mächtige Vibration des Lebens, die sich geräuschvoll in grellbunten Farben über sie ergoss, sie mit in hohen Tönen anschrie, vielstimmig und voller Schmerz. Schmerz. Alles schien darin zu versinken. Er zerriss Mireylle und trug sie in Wellen des Leids über die Welt, von ihrem Körper losgerissen. Ihre Wahrnehmung bot ihr nur unverständliche Bilder, Dinge und Gefühle, die sie nicht kannte und nicht einordnen konnte. Ein Teil von ihr wies den Erfahrungen, die nicht die ihren waren, Emotionen zu. Es überreizte all ihre Sinne.

Die Wolken und Strahlen aus Licht und Schmerz, die sie mit sich getragen hatten, verdunkelten sich zunehmend, bevor sie den Abgrund erblickte, dem sie unaufhaltbar entgegen getragen wurde. Es war eine Finsternis, wie sie sie noch nie gesehen hatte. Sie sog das Licht förmlich ein, in einem wirren Strudel verschlang sie das Licht der Magie und damit auch das Leben. Schwärze, so unendlich wie das All. Erbarmungslos und kalt. Mireylle versuchte zu schreien, doch sie hatte keine Kehle, die hätte schreien können, keine Arme um sich festzuhalten und auch nichts, das ihr Halt hätte geben können. Grauen breitete sich in ihr aus. Das, was sie erwartete war schlimmer, als der Tod. Auf der anderen Seite der Finsternis gab es nichts. Das Nichts, wesentlich schlimmer, als der Tod. Ein Unterschied, dem Lebenden nicht zu vermitteln, doch eine Seele kannte ihn.

Etwas erschien vor ihr, eine strahlende Silhouette, waberndes Licht, das menschenähnlich zu sein versuchte. Seine Umrisse wurden vom Abgrund angezogen, verschwanden im Nichts, doch sein Licht schien unerschöpflich von Innen zu kommen.

Das Wesen wandte ihr Gesicht Mireylle zu und ihr blieb kaum die Zeit, seine Konturen zu erblicken, als sein brennender Blick Mireylle traf. Er brannte sich in ihre Augen ein und seine Flammen schlugen tief in Mireylles Herz ein. Einem Kometen gleich trafen sie Mireylles Innerstes und schlugen sie zu Boden, zurück in ihren Körper.

Mireylle beugte sich im Bett auf und schrie, dann sank sie bewusstlos in die Finsternis der Kissen.
 

„Immer bist du so negativ! Wir werden den Krieg gewinnen, Finior!“ Haleas lachte und streckte sein Übungsschwert stolz dem Himmel entgegen.

Was machte es schon, wenn sie den Vampirlord herausforderten? Er war für seine Stärke bekannt, doch das Achatreich besaß eine ausgezeichnete Armee, während die des Rubinreiches durch die ständigen Kämpfe an den Grenzen zum Jadereich geschwächt war. An den Grenzen zu Lord Karigurou sollte der Vampirdämon schon unzählige gute Dämonenkrieger verloren haben. Außerdem sagten die Gerüchte, Lord Shahaan würde sogar eine kleine Menschenarmee führen. Wenn er selbst die schwächlichen Krieger der Menschen aufbot, mussten seine Truppen äußerst geschwächt sein.

Haleas Vater, Magistror, hatte ihm von den Gerüchten am Hofe erzählt. Ein seltsamer kleiner Dämon, den niemand kannte, hatte Lord Lamerian von Lord Shahaans Schwäche berichtet. Er hatte sich angeblich bei einem magischen Akt im Saphirreich völlig verausgabt und hatte sich angeblich immer noch nicht davon erholt. Zudem war Lord Alesan nun ebenfalls gegen den Vampirdämon aufgebracht, was diesem noch früh genug Probleme an der Grenze bescheren würde.

Haleas glaubte nicht an die Möglichkeit, ihr Reich könnte im Krieg unterliegen. Seine Eltern und älteren Brüder waren in den Krieg gezogen und er kannte sie gut, ein Heer, auf dessen Seite sie standen, konnte praktisch nicht verlieren. Auch Finiors Familie befand sich bei den Truppen. Sie beide waren zu jung für den Krieg und wurden zurückgelassen. Eine Unverschämtheit, schließlich war allseits bekannt, wie mächtig schon die jüngsten Dämonen im Kampf sein konnten und er und Finior stammten aus sehr guten Familien.

„Sie hätten uns mitnehmen sollen“, sagte er mehr zu der Holzpuppe, mit der er übte, als zu seinem Freund.

Finior schlug einige Male auf seine Puppe ein, wich dem Arm des Gestells geschickt aus und schlug noch einmal von hinten zu, sprang zur Seite und rollte sich ab. Sofort war es wieder auf den Beinen und bearbeitete das Holz unerbittlich. Sein Kampfstil glich eher einem Tanz, als einer ernsthaften Auseinandersetzung und doch war sein Gesicht vor Wut und Anstrengung verzerrt. Mit sechzehn einhalb Jahren war er bereits beinahe Kriegsfähig, doch man hatte ihn trotzdem zurückgelassen.

„Kampf!“, schrie er dem jüngeren zu und augenblicklich kreuzten sich die beiden Holzklingen. Die Luft begann zu schwirren, als die beiden Gegner über den Übungsplatz sprangen und einander an ihre Grenzen Trieben. Haleas wich einem von Finiors Vernichtungsschlägen durch mehr Glück als Verstand aus, indem er sich zu Boden fallen ließ und schaffte es, seine Beine mit voller Wucht in dessen Magen zu rammen. Mit einem zweiten Angriff schlug er das Schwert aus den Händen des Freundes. Ruckartig rollte er zur Seite, sprang auf und rannte mit gehobener Waffe auf Finior zu. Finior blieb keine Zeit mehr zu seiner Waffe zu sprinten, voller Zorn rannte er seinerseits auch auf Haleas zu und der jüngere Dämon verlangsamte erschrocken seine Schritte, doch es war bereits zu spät. Finior verlor nie.

Holz splitterte und feine Späne segelten durch die Luft, als Finiors geballter Hass auf die wehrlose Waffe traf. Haleas Schutzschild wurde mit einem Mal davon gefegt und der Junge flog in hohem Bogen gegen eine der Wände. Geschwächt rutschte er zu Boden. Doch Finior war schon zur Stelle. Er baute sich vor ihm zu voller Größe auf, sein Schatten verdeckte die letzten Strahlen der Sonne.

„Ich bin nur ein Kind und sieh, was ich mit dir anstellen kann, du Idiot! Na, willst du immer noch in den Krieg ziehen, mächtiger Haleas? Willst du immer noch Blut und Knochen für deinen Lord geben?“. Sein Gesicht brannte und seine Glieder zitterten vor Wut. „Du hast keine Ahnung, wovon du redest! Was hast du von dieser Welt gesehen, außer Luxus und Spiel? Sei dankbar, dass es andere sind, die die Dummheit des neuen Lords mit ihrem Leben bezahlen!“. Einem Amboss gleich flog Finiors Hand gegen die Steinwand hinter Haleas und schlug eine Delle in das stabile Material.

Haleas senkte den Blick. Er konnte nicht antworten. Ihm fehlte es nie an Mut oder Worten, doch dies war etwas anderes. Er schwieg. Langsam verzog sich der Schatten über ihm und wehmütig sah er Finiors schlanker Gestalt nach, die quer über den Hof im großen Torbogen verschwand.

Der junge Dämon seufzte und wischte sich Schweiß und Blut aus dem Gesicht. Das Gesicht dem Himmel entgegengestreckt genoss er den lauen Abendwind und versuchte zu verstehen.

Doch es gelang ihm nicht. Finior dachte so viel anders als er. Er hatte ein unglaubliches Potential, doch er zeigte keinerlei Machtstreben, wie es den Dämonen eigen war. Vielleicht lag es an seiner Intelligenz, möglicherweise änderte sie die Art zu denken, oder sogar die Wahrnehmung. Manchmal fiel es Haleas schwer, Finiors Reaktionen nachzuvollziehen. Er reagierte dann verspätet und völlig unlogisch. Aus Haleas Sicht war das zumindest so.

Auch Haleas selbst war nicht dumm und äußerst geschickt, doch schon jetzt konnte er die Übermacht seines Freundes spüren. Er würde ihn nicht einholen können, das wusste er, doch obwohl es ihn manchmal wirklich ärgerte, reagierte er bei Finior anders als bei anderen Dämonen. Vermutlich sah er in ihm keine Gefahr. Zumeist bestand Haleas Ehrgeiz darin, dem Kindheitsfreund ebenbürtig zu werden.

Er seufzte und wand einen kleinen Heilzauber an, obwohl Finiors Stimme in seinem Gewissen ihm vorbetete, wie überflüssig Magieeinsatz in solchen Situationen war. Dämonen heilten ohnehin sehr schnell. Haleas wischte den Gedanken mit einem selbstironischen Lächeln beiseite und richtete sich auf, um Finior zu folgen. Ob er sich wohl schon wieder beruhigt hatte? Haleas straffte die Schultern. Er würde gehen und es herausfinden.

Außerdem hatte er Hunger.
 

Lauer Wind und Gezwitscher wehten durch das geöffnete Fenster herein, doch der Morgen weigerte sich, dem erwachenden Mädchen sein Licht zu offenbaren. Die dürre Gestalt rieb sich die Augen und blinzelte. Sie wiederholte dies mehrere Male, dann sprang sie unvermittelt auf und stolperte mit ausgestreckten Händen auf das offene Fenster zu. Auf ihrem Weg zur Quelle des frischen Windes stieß sie sich an mehreren Möbelstücken und kippte einen der reich verzierten Sessel um. Man konnte hören, wie ihr Atem immer schneller ging um dann einen Moment völliger Stille zu hinterlassen, als sie am Fenster angekommen war.

Einige Sekunden vergingen, in denen sich nur der Stoff des beinahe durchsichtigen Schlafhemdes und das tiefrote Haar des Mädchens im Wind ballten, während die Sonne warm auf ihre Unterarme fiel.

Die Welt schien zu erbeben, als sie unerwartet aufschrie. Der entsetzte Ton zog sich durch den gesamten Palastflügel und erreichte einen jeden im Schlosspark und im Vorhof. Erdauerte an, ebenso wie die Woge des Schreckens, die über die schutzlose Gestalt hereingebrochen war, die bar jeglicher Orientierung durch das Zimmer stolperte. Sie erschrak und schrie bei der Begegnung mit etwas Unbekanntem erneut auf. Als es sie festzuhalten versuchte, begann sie unkontrolliert darauf einzuschlagen, tobte und schrie noch mehr, als sie die Übermacht spürte. Eine starke Hand umfasste Mireylles Handgelenke und eine weitere presste sich ihr vorsichtig auf den Mund.

„Beruhige dich“, sprach eine Stimme sanft, die Mireylle kaum als die Surells erkant hätte. Doch sie wollte nicht. Niemals hätte sie gedacht, dass der Verlust ihres Augenlichts sie so schwer treffen würde, doch es war, als fehlte ihr nicht nur das Sehen, sondern auch jegliches Gefühl. Es fehlte ihr wie die Luft um Atmen.

„Ganz ruhig, junge Mylady“, sprach er auf sie ein. Mireylle hörte auf, sich zu winden und ihr gedämpftes Schreien ertrank in hilflosem Schluchzen. Der Dämon presste sie an sich und strich ihr beruhigend über den Kopf. Er erntete unaussprechliche Dankbarkeit und auch so etwas wie Unverständnis. Gehörte Seelsorge auch zu den Aufgaben, die ihm von Shahaan übertragen wurden, oder war es eine Handlung nach der Art der Dämonen, um sie zu verwirren und Macht auf sie ausüben zu können?

Einen Augenblick konnte sie sich einreden, es sei ihr gleichgültig, doch dann nahm die Skepsis überhand. Mireylle beruhigte sich und riss sich los. Stets bemüht, im Gleichgewicht zu bleiben, machte sie einige Schritte rückwärts und richtete ihre blinden Augen aus purer Gewohnheit auf die Stelle, wo der Dämon stehen musste. Es galt ihre Situation einzuschätzen. „Was ist passiert?“, fragte sie wesentlich härter, als beabsichtigt.

Er zögerte, dann entschied er sich für eine Äußerung. „Du bist erblindet. Woran erinnerst du dich?“. Mireylle schnaubte bei der Bemerkung stumpf.

„Ich war unter dem Palast und habe einen Raum betreten. Dort war ein Einhorn gefangen, in einem Kreis aus Magie.“

„Es war ein magisches Tripelpentagramm, um genau zu sein“, unterbrach der Heerführer sie. „Und dann?“

Mireylle dachte nach. „Ich dachte dies wäre es, das mich an euere Welt bindet, und habe versucht, mich zu befreien, indem ich das Einhorn entfernt habe. Es war vermutlich die Quelle der magischen Macht.“

Der Dämon pfiff. „Das hast du selbst erkannt? Ja, es war eine der Quellen, doch dadurch, dass sie fehlte, hätte nicht viel passieren dürfen. So wie ich das sehe, war es die Quelle des Zaubers, der den Kreis vor deinem Eindringen geschützt hat. Remon wird stinksauer sein, wenn er erfährt, dass er sich verrechnet hat. Das passiert dem sonst nie.“. Der Dämon klang jetzt beinahe gesellig. Mireylle hatte den gesamten Zauber also zerstört. Shahaan würde deswegen definitiv wütend sein, womit sie sich in einer wirklich gefährlichen Situation befand.

Und Surell Haguren wurde plötzlich freundlich.

„Warum bin ich erblindet?“, fragte sie schließlich.

„Das weiß ich nicht so genau. Vermutlich ist es eine Folge der magischen Entladung, allerdings hätte sie dich eigentlich umbringen müssen.“.

Deswegen war er also so nett. Er war einfach nur erleichtert, Shahaan ihren Tod nicht erklären zu müssen.

„Es ist aber vermutlich nicht dauerhaft“, bemerkte er. „Du weißt schon. Regeneration.“

„Ich bin kein Dämon, ich besitze keine regenerativen Kräfte“, erklärte Mireylle. Spielte er mit ihrer Hoffnung?

„Ach, was! Was immer du bist, du besitzt sie. Deine Haut ist nach dem magischen Brand völlig verheilt. Du hast keine Ahnung, wie du im ersten Moment ausgesehen hast, Mädel!“

Mireylle stockte. Es war also tatsächlich etwas mit ihrer Haut passiert und das Prickeln und die Empfindlichkeit rührten daher, dass die Haut noch völlig neu gewesen war!

„Was ist mit den Astralen? Sind sie in Ordnung?“, fragte sie.

„Wisse wir nicht so genau. Eins ist heruntergefallen, aber wir können nicht feststellen, ob es noch ganz ist. Ich meine: Keiner kann es berühren oder in Magie einflechten, außer er ist ein Lord. Oder eine Mylady.“, fügte er hinzu.

Surells Sätze warfen so einige Fragen auf, doch Mireylle war unfähig, sich darüber Gedanken zu machen. Das, was ungesagt blieb, beschäftigte sie zu sehr. Was würde nun passieren?

„Geht ihr nun zu Lord Shahaan?“.

Die Finsternis um Mireylle begann zu prickeln, als der Dämon einige schwere Atemzüge tat. Es war kaum zu bemerken, er hatte sich gut im Griff, doch Mireylles Ohren hatten an Schärfe gewonnen.

„Das wird geregelt.“, antwortete er unverbindlich.

Schritte erklangen gedämpft und es klopfte.

„Das wird Mary sein. Sie kümmert sich solange um dich. Bis bald.“. Mit diesen Worten ging er zur Tür und ließ Mary ein, die höflich grüßte. Dann ging er seinerseits durch die Tür. Mitten in der Bewegung verharrte er. „Mach keine Dummheiten, klar?“.

Mireylle dachte daran, ihm einen zornigen Blick zu widmen und entschied sich dagegen. Sie schnaubte nur. Eilige, sichere Schritte verhallten in der Ferne, während Mary durch den Raum rannte und die Möbel richtig stellte.

Mireylle kannte das Menschenmädchen. Sie war für Shahaans Gemächer zuständig und hatte sich auch schon einige Male um Mireylles Zimmer gekümmert.

„Hallo, Mary“, grüßte sie und versuchte zu einem der Sessel zu gelangen. Augenblicklich kam Mary herbei und führte sie.

„Ist alles in Ordnung, Mylady? Wegen Ihrer Augen, meine ich.“

„Ich sehe nichts, aber ich muss mich wohl fürs erste damit abfinden, nicht wahr?“, erwiderte Mireylle.

„Ja“, sagte Mary in ihrer unschuldigen Art und machte sich wieder an die Arbeit.

Nun hatte Mireylle ja reichlich Zeit, um nachzudenken.
 

Der Krieg zog sich wie ein Schatten über das gepeinigte Land und drang tief in das Achatreich. Er hinterließ nur Verwüstung und Berge von Leichen. Das zunehmend von Stürmen und Urmächten gepeinigte Land ächzte unter dem mächtigen Schlag des Vampirlords und ging nach und nach in die Knie, obwohl es an der Front immer noch verbissen verteidigt wurde.

Es zerbarst von innen, denn die beiden Astrale, die bisher die Pfade der Magie bestimmt und Schutzzauber aufrecht erhalten hatten, fehlten dem Achatreich nun.

Der Heerführer nahm die Berichte des Boten interessiert entgegen. Er lehnte sich in seinem Empfangssessel vor und seine Augen leuchteten, seine Hände zuckten aufgeregt. Doch nach Abschluss des Berichtes verzichtete Surell erneut darauf, dem Boten eine Nachricht mitzugeben. Viele Tage waren nun vergangen, an denen er zögerte, Remon von der Sache mit den Astralen zu unterrichten. Das Schlimmste von allem aber waren die ständigen Fragen des Mädchens. Seit einer geschlagenen Woche bearbeitete sie ihn schon und es fiel ihm von Mal zu mal schwerer in diese hellblauen, von der Blindheit getrübten Augen zu sehen und sie zu belügen. Es war unsinnig, denn schließlich konnte sie ihn nicht sehen, nicht mit ihrem Blick einfangen oder fixieren, und trotzdem leuchtete zunehmend Entschlossenheit daraus hervor und lähmte seine Zunge. Irgendwie hatte er das Gefühl, sie würde dennoch erkennen, was er dachte.

Er nahm Ariana ihre ständigen Streiche sehr übel. Wann immer sie sich unbeobachtet fühlte, vollführte sie kleine Zauber, die Mireylle stolpern oder anstoßen ließen. Es war eine dumme und Kindische Art, Rivalität auszutragen, und irgendwie passte es ganz und gar nicht zu der schönen und stolzen Dämonin. Ein wenig erinnerte es ihn an ihre Jugend, als Ariana sich ab und an die Zeit damit vertrieb, Bedienstete in den Keller zu locken und ihre sadistischen Spielchen mit ihnen zu treiben. Aber das war schon über hundert Jahre her und lag bereits weit hinter ihnen.

Er seufzte, als der Bote abzog, und wandte sich wieder den langweiligen Verwaltungsgeschäften zu, über die Shahaan ihn aus unerfindlichen Gründen wachen ließ. Vielleicht traute er Desando, seinem Verwalter, nicht. Es war unnötig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen und so setzte er sich an den Arbeitstisch und begann die Dokumente zu überfliegen.

Im Ohrwinkel hörte er schnelle Schritte näher kommen und sah auf, als die Tür aufgestoßen wurde. Es war das Mädchen. Sie sah ziemlich aufgeregt aus und starrte ich direkt an.

„Ich sehe wieder etwas!“, verkündete sie freudestrahlend und ein Lächeln stahl sich auf Surells Züge.

„Ist das alles?“, fragte sie, doch der vorwurfsvolle Tonfall wollte ihr nicht gelingen. „Ich habe den Morgen gesehen. Du weißt nicht, wie schön alles plötzlich ist! Freu dich doch mal mit mir!“.

Grinsend erhob sich der Heerführer und ging zu dem unruhigen Geschöpf hinüber.

„Ich habe den ganzen Morgen lang mit Mary über Farben gesprochen! Ach, es ist wundervoll!“.

„Wie gut ist deine Sicht?“, erkundigte der Dämon sich.

Mireylle senkte den Kopf, schaute aber augenblicklich wieder fest in seine Augen. „Nun, ich sehe vorwiegend Licht und Schatten, ich kann auch Farben gut erkennen, doch das meiste verschwimmt zu bunten Flecken. Aber für jemand, der eine ganze Weile gar nichts gesehen hat, ist das schon mehr als genug. Ich habe problemlos alleine hergefunden!“

„Es bringt Hoffnung“, bemerkte Surell. „Komm, wir machen gleich einen Spaziergang, damit du mehr von der Welt siehst!“, fügte er mit einem Blick auf den Arbeitstisch an.

Er hatte vergessen, wie dumm es war, mit dem Mädchen alleine zu sein. Die erste unangenehme frage folgte innerhalb kürzester Zeit. Sie hatten es nicht einmal aus dem Palastflügel geschafft, dachte er wehmütig. Und er hatte ihr einen ganzen Spaziergang versprochen. Wo war sein verdammter dämonischer Verstand hin?

Er mochte sie irgendwie, die am Schmerz gewachsene Entschlossenheit und ihre Art, seine Gedanken ohne jegliche Magie zu lesen, beeindruckte ihn einfach. Sympathie durfte man bei Dämonen nicht überbewerten. Unter Dämonen führte das oft zu mehreren nächtlichen Verabredungen, aber selten zu mehr. Mit Menschen ließen sie sich gar nicht erst ein.

Er schreckte aus seinen Gedanken und sah überrascht in Mireylles klare Augen, die ihn fesselten.

„Ich habe dich etwas gefragt!“ Empörung drang aus ihrer Stimme und einen Moment lang dachte der Dämon daran, was andere Dämonen wohl hinter seinem Rücken sagten, weil er das Menschenmädchen derart formlos mit sich sprechen ließ. Dann fiel ihm ein, wie wenig er sich um das Gerede dieses höfischen Packs scherte.

Aber auch diesmal würde er ihr nichts sagen.
 

Der Bote verließ den Raum. Surell hatte geschwiegen. Schließlich hatte er mit Arianas Hilfe alles wieder in Ordnung gebracht. Es gab keinen Grund zur Sorge. Die Probleme, die den Lord beschäftigten, wogen weitaus schwerer. Der Lord des Achatreiches weigerte sich, an der Front gegen Shahaan anzutreten und zog es stattdessen vor, seine gesamte Streitmacht im Kampf zu opfern. Auf diese Weise würde kein einziger Dämon des Achatreiches mehr leben, wenn Shahaan es endlich für sich gewann. Dies würde seine weiteren Pläne behindern.

Um kleine Vorfälle im Palast konnte der Lord sich gerade nicht kümmern. Auch wenn diese weitaus geheimnisvoller waren, als das Verhalten Lamerians.

Seufzend legte er die Papiere zur Seite, als er Mireylles Nahen gewahr wurde. Allmählich hatte ihr Auftauchen nach der Audienz der Boten rituelle Züge angenommen. Er horchte auf, die wütende Entschlossenheit ihrer Schritte erkennend. Innerlich rüstete er sich für eine diplomatische Schlacht.

Wider sein Erwarten hielt sie vor der Tür inne, um sanft anzuklopfen. Auf Surells Aufforderung trat sie schweigend ein und verschloss die Tür. Das Mädchen sah im Nähertreten zu Boden und viel zu spät bemerkte der Heerführer die Wärme ihrer Wangen und den schnellen Herzschlag.

Ihre Augen durchbohrten ihn. „Ich habe mit dem Bote gesprochen“, sagte sie mit bebender Stimme. „Und mit den drei anderen.“.

Surell war verwirrt, denn keiner von ihnen hatte die Befugnis, Informationen an Dritte weiterzugeben. Was konnte sie wissen?

„Vielleicht liegt es daran, wie dieser Tag begonnen hat, daran, dass Marys Verschwinden offenbar keinen weit und breit kümmert. ‚Sie ist nur eine Bedienstete’, hat Ariana gesagt! Aber sie wollte gestern Abend noch einmal zu mir kommen und heute früh will immer noch keiner wissen, wo sie sein könnte. Ich verstehe es nicht!“.

„Mireylle…“, begann der Dämon in beruhigendem Tonfall. Die Magie, die er dabei wirkte wurde ihm erst durch den hasserfüllten Blick des Mädchens bewusst. Augenblicklich stockte er.

„Hör auf! Ich kenne diese Tricks inzwischen gut genug, also beleidige meine Intelligenz nicht damit! Ich will deine Meinung dazu auch gar nicht wissen. In dieser Hinsicht unterscheidest du dich nicht im Geringsten von den anderen Dämonen. Eure verdammte Arroganz!“.

Wut pulsierte unvermittelt in Surells Adern. Instinktiv richtete er sich auf.

„Ihr könnt nicht derart mit mir reden, Mylady!“, presste er hervor.

„Du hast mich belogen!“, donnerte die Stimme des Mädchens. „Ich verlange zu wissen, warum du Shahaan nicht informiert hast!“

„Du hast nicht die Befugnis…“, setzte Surell an.

„Ha! Du hörst dich schon so an, wie sie! Ihre Mittel sind dir also recht, wenn es dir gerade nützt. Ich bin die Mylady, auch wenn es nur ein Trick ist. Gerade deswegen funktioniert es. Es ist eben ein ziemlich guter Trick, weißt du? Deshalb habe ich auch alles von den Boten erfahren, was ich wissen musste. Der Zauber der Autorität beeindruckt sie weitaus mehr, denn der Schutz, der um mich liegt.“

„Es ist meine Entscheidung, was ich ihm berichte und was nicht. Es geschieht auf meine Verantwortung, also halte dich da raus, Mylady!“. Er konnte nicht fassen, wie sehr sie ihn aus der Ruhe gebracht hatte. Wie konnte sie glauben, der fadenscheinige Titel würde bei ihm etwas nützen?

„Wenn du keinen Boten schicken willst, dann nutze die Gelegenheit und geh persönlich zu ihm! Ich sehe doch, wie sehr du hier leidest!“ Sie senkte den Kopf. „Nur um auf mich aufzupassen.“, fügte sie kleinlaut hinzu.

Ihre Feststellung hatte den Heerführer völlig aus der Bahn geworfen. Wieso kümmerte es sie, wie es ihm dabei ging, von Shahaans Schlacht ausgeschlossen zu sein? Er fragte sich, wie oft sie ihn beobachtet hatte in den Momenten, in denen er sie und Shahaans Befehl in die ewige Finsternis wünschte.

„Das kann ich nicht. Ich kann dich hier nicht alleine lassen.“. Ariana würde ihr bei erster Gelegenheit einen tragischen Unfall bescheren. „Es war Remons ausdrücklicher Befehl. Und er war nicht diskussionsfähig, glaub mir“. Ein schwaches Lächeln stahl sich auf Surells Lippen.

„Ich verstehe überhaupt nicht, wie er einen Heerführer zurücklassen konnte. Du bist für derartige Aufträge nicht geeignet.“. Anstrengung spiegelte sich in den Zügen des Mädchens, als sie mit sich rang. „Wir sollten sowieso beide gehen, schließlich habe ich seinen Bannkreis zerstört“.

Sie wollte also die Verantwortung übernehmen, bemerkte der Dämon anerkennend.

„Er könnte dich umbringen“.

„Wir werden sehen.“, antwortete Mireylle langsam und empfing ein anerkennendes Lächeln.

Sie hatte den Test bestanden, es war ihr ernst. Surell sah alle dagegen sprechenden Gründe als entkräftigt an. Sie sollte eine Chance bekommen, ihren Mut auszuleben, und ihm selbst kam dieser Vorwand nur mehr als gelegen, wie ihr zweifelsohne bewusst war.

Im Hinterkopf begann er bereits die Planung ihres Aufbruches. Ariana musste sich um die bürokratischen Aufgaben und den Schutz der Astrale kümmern, solange sie fort waren.

Es würde sich schwierig gestalten, denn der unbekannte Feind innerhalb des Palastes wartete mit Sicherheit nur auf eine solche Gelegenheit. Seit der letzten Erschütterung der Magie spürte er ebenso wie die anderen Dämonen eine gewisse Schwäche in seiner Magie und der Kampf wurde damit zunehmend von physischen Fähigkeiten bestimmt. Immer noch verwundert erinnerte sich der Dämon an Mireylles Reaktion auf die magische Erschütterung. Sie hätte sie gar nicht spüren dürfen, doch sie erwachte schreiend aus ihrer Bewusstlosigkeit, nur um nach dem Ende der Erschütterung wieder in diese zu verfallen.

Er sah forschend in das Gesicht des Mädchens, das ihm voller innerer Anspannung entgegenstarrte. „Ich werde mich um die Sache mit Mary kümmern. Anschließend kläre ich mit Ariana die Bewachung der Astrale ab. Bist du nun zufrieden?“. Die Frage erwies sich als rhetorisch. Die Augen des Mädchens strahlten, als sie ihn breit anlächelte.

„Wann brechen wir auf?“

„Noch heute Nacht. Ich sage Girall, er soll dir ein Mädchen schicken, das dir beim Packen hilft.“ Damit ließ Surell sich in den Sessel fallen und nahm einige Unterlagen zur Hand.

Aus den Augenwinkeln sah er Mireylle zur Tür schreiten und sie öffnen. Sie stockte in der Bewegung drehte sich noch einmal zu ihm und knickste blitzschnell, ehe sie hinaus eilte. Ariana beherrschte die Rolle der Lehrmeisterin voll und ganz.

Erst nachdem das Mädchen gegangen war, sprang Surell aus dem Sessel, schwang die Tür zum Balkon auf und streckte sich glücklich in der Sonne. Endlich wieder etwas Bewegung.
 

Sie brachen im schwindenden Licht der Dämmerung auf. Surells Idee, zu Pferd zu reisen, wurde sofort verworfen, als Mireylle ihm ihre Unfähigkeit auf diesem Gebiet eingestand. In ihrer Welt bewegte man sich auf andere Weise über größere Strecken hinweg. Sie nannte das Fortbewegungsmittel „Auto“ und schon nach kurzer Einführung dieses selbst fahrenden Gerätes erkannte der Heerführer dessen Komplexität. Das Mädchen hatte schon oft versucht, ihm zu erklären, auf welche Weise die Menschen in ihrer Welt ihr Leben vereinfacht hatten, doch ihre Ausführungen langweilten ihn zumeist, da ihm von vielen der Dinge jegliche Vorstellung fehle und das Gespräch zumeist mit einer Auseinandersetzung alltäglicher Aufgaben von Dienern und Menschenvolk endete. Für diese Dinge interessierte sich der Dämon noch nie, eine Eigenschaft, die Mireylle während der langen Kutschenfahrt mindestens ebenso oft bemängelte, wie das Fehlen so genanter Stoßdämpfer, von denen Surell von Beschwerde zu Beschwerde eine immer deutlichere Vorstellung gewann.

Nachdem das Mädchen schlussendlich eingeschlafen war, saß er noch lange wach. Obwohl es vielleicht logischer gewesen wäre, machte er sich wenig Sorgen um Shahaans Reaktion. Letztlich konnte der Lord ihn nur wegen seiner Unaufmerksamkeit strafen, es war kein tatsächlicher Schaden entstanden. Erneut betrachtete er das entspannte Gesicht des Mädchens und fragte sich, warum sie so dringend auf eine Benachrichtigung bestand. Offensichtlich war sie sich sicher, nicht selbstständig in ihre Welt zurückkehren zu können, denn sonst hätte sie es mit Sicherheit bereits getan. Vielleicht hoffte sie in dieser Sache auf Shahaans Hilfe, doch dieser würde ihrem Wunsch nicht nachgeben, falls er dafür überhaupt Verantwortung trug. Möglicherweise hatte das Mädchen den Kuss auch falsch verstanden und stellte dem Lord auf diese Art nur nach, doch eigentlich traute Surell ihr mehr Intelligenz zu. Sie hatte das Wesen der Dämonen recht schnell erfasst und fiel kaum noch auf die übliche kleine Gemütsmagie herein, die die Dämonen zu jedweder Gelegenheit nutzten.

Abermals wanderte sein Blick zu dem ruhenden Gesicht des Mädchens. Sie hatte sich beim Einstieg in die Kutsche mit ihrem Kleid sehr ungeschickt angestellt. Anschließend war sie unruhig auf der gepolsterten Sitzbank umhergerutscht und nun hatte die Müdigkeit sie übermannt und den geringen Komfort vergessen lassen. Was Shahaan wohl mit ihr vorhatte?

Sie war in Bezug auf diese Welt ebenso ahnungslos, wie ein Kind, aber gleichzeitig sprachen ihre Augen von völliger Klarheit. Sie schien zu verstehen, zu erfassen. Sie hätte ein Dämon sein müssen, wäre es in dieser Welt vielleicht gewesen. Sie begann bereits, ihre natürliche Zurückhaltung zu überwinden und ihrem Gefühl und Intellekt zu folgen. Doch bisher war sie noch auf keinerlei Widerstand gestoßen. Er war gespannt, wie sie sich in einer schwierigeren Situation verhalten würde.

Er würde es nicht wagen, sich in Remons Pläne einzumischen, soviel war sicher.

Seufzend klappte er das Buch zu und betrachtete den vergoldeten Einband kurz, ehe er es unter die Sitzbank schob und die Kissen aufschüttelte. Auch er würde seine Kräfte brauchen, wenn sie Remon Shahaan gegenüber standen.

Sie hielten in einem kleinen Städtchen an der Grenze und rasteten einen halben Tag, ehe sie weiterfuhren. Surell hatte entschieden, diesem im Bezug auf die Realität des Lebens offensichtlich verzärtelten Mädchen nicht allzu viel von den Lebensumständen der Menschen oder den Auswirkungen des Krieges zu zeigen. Trotzdem hatte er nach dem unvermeidlichen Umgang mit einfachen Menschen bereits einen strengen Zug in den Augen des Mädchens festgestellt, der ihm ein wenig Sorgen machte. Es war die Art subtiler Unzufriedenheit, die einen Sturm herauf zu beschwören vermochte.
 

Die ausgebildeten Sinne eines Dämonenkriegers weckten Surell, lange bevor sie ihr Ziel erreichten. Forschend beugte er sich vor und zog die schweren, blauen Vorhänge beiseite, um die Tageszeit festzustellen. Er hatte bis in den Mittag herein geschlafen und dem Mädchen war es in der warmen Dunkelheit der Kutsche ebenso ergangen. Das grelle Licht fiel auf sie und sie begann das Gesicht verziehend zu erwachen. Der Dämon lächelte, richtete mit einigen raschen Bewegungen sein Äußeres und band sich sein Schwert um, ehe er die Tür öffnete und aus der fahrenden Kutsche sprang. Irgendwo da draußen tobte die Schlacht.

Kampfmagie prickelte in der Luft und lockte den Heerführer. Seine scharfen Augen konnten bereits das Heer ausmachen. Vom Ruf der Schlacht beflügelt beschleunigte er seine Schritte, bis er mit höchstmöglicher Geschwindigkeit auf die kämpfenden Heere zueilte. Sein Übermut ließ ihn springen und im Überschlag theatralisch die Waffe ziehen. Einem dichten Netz gleich, flog seine Magie Surell voraus und setzte den Schutz vieler naher Gegner außer Gefecht, während sein geschicktes Schwert eine breite Schneise in das blau gewandete Feld zog.

In der Kutsche richtete Mireylle sich alarmiert auf, als sie das Kampfgeschrei wahrnahm. Ihr Herz schien bei dem Blick aus dem Fenster einen Moment seine Aufgabe zu vergessen. Doch sofort nahm es seine Arbeit umso energischer auf, um dieses Versäumnis schnellstmöglich nachzuholen. Vor der Kutsche erstreckte sich ein weites Feld, das einmal von Weizen bewachsen gewesen sein mochte, aber nun lagen die schutzlosen goldenen Halme zertreten von den Füßen unzähliger Kämpfer in einem Dreck, der Mireylle mit Schrecken erfüllte. Nicht Wasser, nein, Blut tränkte nun die verwüsteten Felder und im erbarmungslosen Licht des Mittages erkannte Mireylle mit Schrecken Berge von Leichen. Unfähig, sich von der Grausamkeit abzuwenden, die diesen Wesen widerfahren war, starrte sie die achtlos aufgehäuften Körper an und zitterte. Ihr Blick riss sich erst davon los, als eine Brise den widerlichen Verwesungsgestank zu ihr hinübertrug. Mit Tränen in den Augen wendete sie sich ab und vertraute ihre letzte Mahlzeit dem Erdboden an.

Die Kutsche hielt mit einigem Abstand von der Schlacht und völlig benommen stolperte Mireylle hinaus. Ihr Blick wanderte zum Ort des Geschehens und alles in ihr schrie vor Schmerz, ein Schmerz, der nicht ihr selbst zu entspringen schien. Das schwindende Leben schrie, während der namenlose Schatten des Unterganges sein Gewand über die Welt breitete.

Der Krieg wanderte über das Feld und blind, wahllos, ja beinahe teilnahmslos schlug er links und rechts Schneisen der Vernichtung in das überfüllte Feld. Wo immer er hielt senkte sich Finsternis über die Welt hinab, ließ das Blut der Kämpfer gefrieren und riss jegliche Hoffnung aus den Seelen der Krieger, noch ehe ihr Herz seinen letzten Schlag tat und ihre Seele für immer in das ewige Nichts verschwand. Dem stummen Takt der Vernichtung folgend wogte das Heer im Kampf und der schmerzerfüllte Todesschrei der Seelen fraß sich tief in Mireylles Sein.

Mit jedem Schrei, jedem Schwertstich, starb das Leben, all seine Essenz. Gefühle, Sehnsüchte und Hoffnungen fielen Mut, Stolz und Überzeugung zum Opfer. Warum? Was war der Grund? Niemand suchte nach einer anderen Lösung, das Leben erfüllte die Dämonen offensichtlich mit keinerlei Ehrfurcht. Mit plötzlich aufkeimender Entschlossenheit hob Mireylle ihren leidenden Blick und kalte Wut spiegelte sich nun in ihren Augen wider. Sie war sich selbst nicht im Klaren darüber, woher dieser Mut, das mürrische Selbstvertrauen, kam, das sie nun den Kriegern entgegen bewegte.

Keinerlei Gefühl drang zu ihr durch, als Mireylle sich mit raschen Schritten dem spritzenden Blut näherte.

Viel zu spät sprang der alte Dämon auf dem Kutschbock auf, er hatte ihr Fortgehen nicht wahrgenommen. Verwirrt lief er ihr nach, doch sie war bereits viel zu nahe an den Kämpfenden. Sie lief in ihr eigenes Verderben, doch zu seiner Verwunderung achtete niemand auf das Mädchen, das sich mit schlafwandlerischer Sicherheit zwischen den kämpfenden Gestalten durch das Schlachtfeld bewegte. Er zog seine Waffe, er musste versuchen, sie zu schützen, sonst war sein Leben verwirkt. Der Dämon starb noch ehe er die Schlacht erreichte. Seine Magie hatte den Pfeil nicht aufhalten können.

Mireylle ließ sich von ihren Beinen immer tiefer in das Schlachtfeld tragen. Am Rande ihrer Wahrnehmung war sie sich der Schlacht gewahr, irgendwie notierte sie auch Surells stürmisches Vordringen in ihre Nähe, doch nichts konnte sie in ihrer inneren Kälte berühren. Ihr Ziel war die Mitte des Schlachtfeldes, ihr magisches Zentrum, wo die Magie in Stabilität einer Wand glich. Ein Bann zog sie dorthin. Der Ort, an dem die Magie am stärksten und die Welt gleichzeitig am schwächsten war. Es erinnerte sie an das Nichts, dem sie im Traum entgegen gezogen worden war. Der Punkt, dem das verflossene Leben haltlos entgegenströmte.

Gebannt blieb sie stehen, unfähig einen weiteren Schritt zu tun. Erst das knallende Geräusch nahe bei ihr aufeinander treffender Schwerter riss Mireylle aus ihrer Trance. Erschrocken drehte sie den Kopf und zuckte zusammen. Gleich neben ihr stand Surell und hielt das Schwert eines Angreifers auf, der es auf Mireylle abgesehen hatte. Schweiß perlte über das Gesicht des Heerführers und ein schwer zu deutender Zug spiegelte sich darauf wider.

Sich der Gefahr erst jetzt gewahr werdend sank Mireylle auf den Boden und folgte mit ihrem Blick furchtsam dem Heerführer, der sie im Kampf schützend umkreiste.
 

Ein neuer Gegner stürmte auf ihn ein. Zorn und Entschlossenheit standen in seinen Zügen, als er Magie und Kraft gleichermaßen in den Kampf schleuderte. Mit geschickten Zügen parierte Surell den Angriff immer wieder. Doch Mireylle erwies sich in seinen Kampfzügen als Hindernis. Er musste die ganze Wucht der Schläge hinnehmen, statt einfach geschickt auszuweichen und seinen Gegner ins Leere stolpern zu lassen. Auch musste er für ihren magischen Schutz sorgen, denn die verwirrende Magie, die bis vor kurzem ihren Weg durch das Schlachtfeld ermöglicht hatte, war mit einem Mal gewichen und hatte ein einfaches Mädchen zurückgelassen.

Ein Teil von Surell fragte sich, wie sie wohl auf die Brutalität der Schlacht reagieren würde, doch als er einen flüchtigen Blick zu ihr hinüber warf, hing der ihre entsetzt an Remon Shahaan, dessen Magie einen weiten leeren Kreis gleich neben ihnen schuf.
 

Der Lord ließ immer nur drei Kämpfer zu sich durch. Seine Augen brannten in rotem Licht, während sein treuer Begleiter Hadesschatten glatt durch Fleisch und Knochen der Herausforderer schnitt. Mit beinahe erregtem Gesichtsausdruck schloss der Vampir die Augen, als warmes Blut ihm entgegenspritzte um Kleidung, Haar und Gesicht gleichermaßen zu benetzen. Noch ehe Mireylle den Eindruck des kurzen Momentes verarbeitet hatte, drehte der Vampir sich eindrucksvoll und tötete zwei weitere Gegner. Sein im Zopf zusammengefasstes schwarzes Haar hatte sich in blutverkrusteten Strähnen aus diesem heraus gelöst und wirbelte theatralisch durch die Luft. Der Lord tanzte den Tanz des Todes. Sein Kampfstil glich einem Tanzritus, der Tod und Blut heraufbeschwor und mit seiner Eleganz und Schönheit der Brutalität des Krieges spottete.

Unfähig, diesen Anblick weiter zu ertragen, wandte Mireylle den Blick ab. Die Zeit zog sich dahin, als sie den Kampf zu durchschauen begann. Das angreifende Heer war von den Hügeln herangezogen, doch trotz seiner hohen Stärke sank die Anzahl der Angreifer mit zunehmender Geschwindigkeit. Mireylle hatte angefangen, die beiden Heere anhand der Rüstungen und der Farben zu unterscheiden. Weit und breit konnte sie nur Dämonen erkennen, doch keinen, der dem Lord in seiner Art glich. Die Augen aller besaßen das dämonische Leuchten, doch keine Augen erstrahlten in dem rot des Vampirs, keine Magie hatte denselben metallischen, trockenen Beigeschmack. Er hatte sich als Lord der Vampirdämonen vorgestellt, doch er schien der einzige derartige Dämon zu sein. Es hatte eine Andeutung, ein Spott in dem Wort gelegen, den sie damals nicht zu erfassen vermochte. Auch jetzt blieb die tiefere Bedeutung ihren gequälten Sinnen verwehrt.

Schon bald konnte sie kaum noch Angreifer entdecken, nur an den äußeren Rändern des Heeres tobte noch der Kampf. Einige Dämonen begannen bereits, die Leichen magisch aus dem Schlachtfeld zu entfernen. Mireylles Blick folgte ihrem stummen Flug zu den Totenhügeln. Währenddessen erschlug Surell den letzten nahen Angreifer und auch der Lord entfernte nun den magischen Bannkreis und kam schnellen Schrittes zu ihr.

Surell hatte gerade zu einigen vorwurfsvollen Worten angesetzt, doch er hielt inne, um den Lord sprechen zu lassen. Dieser ließ seinen Blick forschend über die Gesichter beider wandern.

„Begebt euch zum Lager. Ich lasse für Mylady Mireylle ein Zelt räumen. Bringt sie dort unter, dann kommt ihr zu mir, Surell Haguren“. Damit nickte er ihnen beiden zu und ging davon. Mireylle sah seinem sicheren, federnden Schritt nach und ihr wurde schlecht, als alle Eindrücke auf einmal über sie herein brachen.

Surell holte ein Taschentuch hervor und reichte es ihr, bevor er ihr aufhalf. Sie gingen langsam und Mireylle wankte dabei gefährlich. Ihre Beine fühlten sich an wie Gummi und weigerten sich beständig, sie zu tragen. Nach einigen Metern wurde Surell es leid. Die Blicke der Dämonen in der Umgebung waren ihnen neugierig gefolgt und missbilligend betrachteten sie die Schwäche des Menschenkindes.

Mit einem schnellen „Wenn Ihr erlaubt, Mylady“ hob Surell sie an und trug sie in Richtung des Lagers davon.

In der Mitte des Zeltlagers angelangt setzte Surell Mireylle ab, die sich neugierig umsah. Sie hatte noch nie ein militärisches Lager gesehen. Ganz in der Nähe erkannte sie Shahaan, der mit scharfer Stimme Befehle gab und sich nebenbei mit einem feuchten schwarzen Tuch Gesicht und Hände abwischte. Seine Augen leuchteten noch immer in unangenehmen Rot.

Ein Schatten bewegte sich nahe des ihm nächsten Zeltes und weckte Mireylles Aufmerksamkeit mit der vorsichtigen Art seiner Bewegungen. Die Flanke des Zeltes gewährte der Gestalt Schutz vor dem verräterischen Licht und ließ ihn nahe an Shahaan heran kommen. Viel zu spät erkannte Mireylle die Gefahr und wunderte sich über das Schweigen des Heerführers. Trotz ihrer Verunsicherung rannte sie einige Schritte vor und öffnete den Mund zu einem warnenden Ruf, als in der Hand des Schattens eine Klinge aufblitzte und die Gestalt blitzartig auf den Lord zu schoss. Doch Shahaan schien den Jungen bereits lange wahrgenommen zu haben und drehte sich schwungvoll um, noch ehe dieser nahe genug war, um ihm Schaden zufügen zu kommen. Es wirkte, als prallte der junge Krieger von einer Wand ab. Die Klinge flog ihm in hohem Bogen aus der Hand und er fiel rückwärts stolpernd zu Boden. Als er zu Shahaan aufblickte, hatte dieser Hadesschatten bereits gezückt.

Mit Schrecken bemerkte Mireylle, dass der Junge kaum Sechzehn Jahre alt war.

„Wie ist dein Name?“, donnerte Shahaans Stimme.

„Ich bin Haleas, Sohn des mächtigen Matistros Adivian und der erhabenen Valentine Adivian!“, entgegnete der Junge stolz.

„Ah. Adivian, ein mächtiger Name. Dein Stolz ist dein Untergang, Junge. Hast du geglaubt du wärest fähig das zu tun, Kind, was wesentlich mächtigere und erfahrenere Dämonen nicht zu tun vermochten? Oder wolltest du mir mit diesem feigen Übergriff nur spotten?“. Die Stimme des Lords triefte vor Verachtung.

„Ihr seid der Mörder meiner gesamten Familie, Lord! Durch Euere Hand sind mir Vater und Mutter ebenso genommen, wie meine drei Brüder. Ich habe Rache geschworen, selbst wenn ich nicht im Heer unseres Reiches mitkämpfen darf. Selbst wenn es mich mein Leben kostet! Ihr seid ein wahrer Vampirdämon! Ein ruchloser Abschlachter, der Nichts im Sinn hat, als Blut und Macht! Ihr habt Euch dem Fürsten widersetzt und seid tief in unser Reich eingedrungen, um es zu erobern und um Euere Mordlust zu befriedigen! Wie ein Dieb habt ihr uns unserer beiden Astrale beraubt und habt unser Reich den Urmächten ausgeliefert, nur um Euere Macht zu vergrößern! Ihr widert mich an!“. Der Junge spuckte zu Boden und starrte Shahaan fest in die Augen, auch wenn der Schweiß ihm in Strömen den Rücken hinunter rannte. Mireylle war schockiert. Sie konnte mit dem Jungen mitfühlen, der alles verloren hatte. Verzweiflung hatte ihn zu dieser Dummheit getrieben. Und Stolz verbot ihm nun, um sein Leben zu flehen. Mireylle ahnte schreckliches, als die Augen des Vampirdämonen aufblitzten. Mit einer um Aufschub flehenden Geste rannte sie vor, doch Surell hielt sie zurück. Wütend drehte sie sich nach ihm um, doch sein Blick war warnend.

„Du hättest den Mund halten und um dein Leben flehen sollen, um erst Erfahrung sammeln und mich später erneut herausfordern zu können. Doch dein Stolz ist der Ursprung deiner Dummheit. Das ist es nicht, was einen wahren Dämon ausmacht, Junge.“. Noch ehe Mireylle erschrecken konnte, hatte der Lord ausgeholt und der Kopf des Kindes rollte über den Boden. Entsetzt schrie sie auf. Er war noch ein Kind gewesen.

Plötzliche Entschlossenheit packte sie und ließ sie vorstürmen.

„Das hättet ihr nicht tun dürfen!“, schrie sie den Vampir an, dessen Züge einen vagen Anflug von Erstaunen preisgaben. „Er war noch so jung!“.

„Es liegt nicht in Euerem Ermessen, darüber zu entscheiden, Mylady“, erwiderte er mit ruhiger Stimme. Ein leichter warnender Unterton schwang in seinen Worten mit. „Gerade, da ihr eigentlich überhaupt nicht hier sein dürftet, Mylady Mireylle. Wenn Ihr also so gut wärt, mir Euer Erscheinen zu erklären?“

Mireylle war verblüfft. Er ging einfach über ihren Einwand hinweg und wechselte das Thema. Seine Gleichgültigkeit dem Leben gegenüber ärgerte sie zunehmend.

„Ich bin hier, um herauszufinden, wie ihr es geschafft habt, mich an diese Welt zu binden, Lord!“, schmetterte sie ihm entgegen.

„Hier seid ihr in Lebensgefahr. Ihr hättet das Schloss nicht verlassen dürfen.“. Er antwortete wieder nicht!

„Meint ihr Euere Gegner? Oder vielleicht Euch selbst, Lord? In Eurer Nähe fühle ich mich kaum sicherer denn bei Euerem Feind.“.

„Nun, Ihr scheint Euch doch außergewöhnlich sicher zu fühlen, wenn Ihr es wagt, so mit mir zu sprechen, Mylady. Ich bitte Euch, Euch in Euer Zelt zurückzuziehen, während ich mich mit Surell Haguren unterhalte. Ich werde Euer Anliegen danach mit Euch besprechen.“

„Nein, ich werde diesem Befehl nicht folgen! Antwortet mir jetzt! Wieso haltet ihr mich hier fest?“.

Nun schien der Lord ernsthaft verärgert. Zum ersten Mal erschienen wahre Emotionen auf seinem Gesicht, ehrlicher als alles zuvor. „Seid nicht so dumm, mir zu widersprechen, Mireylle!“

„Werdet ihr mich dann auch köpfen, wie diesen armen Jungen da, Lord?“.

„Erwartet ihr von mir, dass ich meinen Feind erst reifen lasse? Er wäre mir nie gewachsen gewesen, Mädchen. Doch sein Leben wäre einzig und allein von dem Drang geleitet gewesen, mich zu vernichten. Früher oder später hätte es ebenso geendet wie jetzt.“

„Wo ist Euer Respekt vor dem Leben nur geblieben? Ohne mit der Wimper zu zucken habt ihr das Leben dem Nichts überlassen!“

Verblüffung lief wie ein Schauer über sein Gesicht, um es kalt zurück zu lassen.

„Haltet Euch aus meinen Entscheidungen raus, Mylady! Ihr geht zu weit!“

„Es ist, wie der Junge sagte. Euch interessiert nichts als Macht. Nichts als Blut und Knochen! Und auch mich erfüllt das Leuchten Euerer Augen mit Ekel. Euere Erregung, gezeugt durch Tod und Blut!“.

Wütend beobachtete sie, wie die Augen des Dämons sich unwillkürlich weiteten. Sein zorniger Blick wand sich von ihr ab.

„Meredas! Bring die Mylady zu ihrem Zelt und sorge dafür, dass sie darin auf mich wartet.“, rief er einem der verdutzten Dämonen in der Nähe zu.

„WAS?“, erwiderte Mireylle ungläubig. Ein Dämon nahte.

„Mylady…“, grüßte er und richtete einen auffordernden Blick auf sie. Sie würde sich beugen, der Zwang war zu mächtig. Trotzdem warf sie Shahaan noch einen hasserfüllten Blick zu, ehe sie sich abführen ließ.

Meredas geleitete Mireylle bis zu einem geräumigen Zelt mit großem rotem Banner. Er folgte ihr nicht in das Innere, obwohl sein Blick sie dorthin geleitete. Mireylle beobachtete aus dem Augenwinkel, wie er schweigend davor Aufstellung bezog.

Schwäche befiel sie, als sie sich ihrer Machtlosigkeit gewahr wurde, und Tränen rannen ihr die Wangen herunter, während sie sich umsah. Ein geräumiges Bett und ein großer Tisch waren die größten Gegenstände des Raumes, einige Kisten und Truhen säumten die Wände des Zeltes. Sie ging zum Tisch und bediente sich an dem Wasserkrug, der darauf stand. Doch es verstärkte nur den Fluss der Tränen. Erschöpft warf sie sich auf das Bett, um sich auszuweinen, und nickte letztendlich ein.

Mireylle erwachte, als ein merkwürdiges, ebenso fremdes wie vertrautes Gefühl sie packte. Sie sah sich instinktiv im Zelt um und erblickte tatsächlich eine Gestalt, die in den Schatten auf einer der Kisten saß. Es konnte nicht der Lord sein. Die Gestalt war von kleinerer Statur, der Körperbau eher filigraner Art. Zudem hockte ihr Besucher in einer Art und Weise auf der Kiste, die für den Vampirlord äußerst ungebührlich sein würde.

In der Dunkelheit leuchteten die Augen kurz auf. Erschrocken richtete Mireylle sich auf und ihrem Schrei vorbeugend legte die Gestalt einen Finger auf die Lippen. „Pssssst, Mylady. Ihr solltet uns nicht verraten.“

Er sprang auf und trat vor, seine Hand lockte sie näher heran. Er war alles andere als das, was sie erwartet hätte. In einer gewissen Weise erinnerte seine Kleidung Mireylle an ihre eigene Welt.

Er trug eine Schwarze Hose mit Nietengürtel, an einer der Gürtelschlaufen hing eine Kette aus schwarzen Perlen und weißen Würfeln, die ihren Abschluss in einem kleinen Totenschädel fanden. Die Schuhe sahen verdächtig nach lila Sneakers aus. Das dunkelrote Netzshirt wollte so gar nicht zu der grellgrünen Ballonmütze passen. Ein weiterer Totenschädel hing als Ohrring am linken Ohr des jungen Dämonen.

„Verzeih, wenn ich so offen bin, Mireylle. Aber glaubst du wirklich, Lord Shahaan würde dich jemals wieder in die Freiheit entlassen?“

„Wer bist du?“, wollte Mireylle nun wissen. Die Aura des Jungen war verzerrt, auf seltsame Art.

„Nenn mich Traumprinz. Meine Augen und Ohren sind praktisch überall, ich bin sehr neugierig. Also wunder dich nicht.

Nun, glaubst du wirklich, Shahaan würde dich gehen lassen? Vorausgesetzt du überlebst seinen heutigen Zorn, heißt das.“

Mireylle dachte nach. Was hatte sie sich hiervon versprochen?

Er hatte Recht. „Nein, nicht wirklich“.

Ein breites Grinsen zierte das Gesicht von Traumprinz. „Das würde ich an deiner Stelle auch so sehen. Also warum bleibst du bei ihm? Du solltest dir deinen Weg zurück zu deiner Welt selbst suchen. Sag Danke für den Schutz, den dir der Titel der Mylady gibt und geh nach einem Weg zurück suchen.“

„Aber wonach sollte ich suchen? Ich bin hier verloren“.

Traumprinz hob skeptisch eine Auenbraue. Dann sah er theatralisch zur Decke und tippte dabei mit dem rechten Zeigefinger an sein Kinn. „Hmmmm…. Mal sehen…. Ich würde sagen… Nach einem Weg in deine Welt! Wie bist du vorher dorthin gelangt?“

„Ich bin ihrem Puls gefolgt“, erwiderte sie schlicht.

Traumprinz schlug mit der Faust in die offene Hand. „Na also! Das heißt: Du musst nach einem Ort suchen, an dem du deine Welt spürst.“

„Die Katakomben unter dem Palast!“

„Ha! Lag es wirklich an den Katakomben?“

Das hatte sie vermutet. Die Katakomben, wo die Magie floss. „Der Fluss der Magie! Es ist Elementare Magie, frei und uralt, nicht wahr?“

Ein glückliches Lächeln breitete sich in Traumprinz Gesicht aus. „Da hast du Recht. Aber ich würde dir nicht empfehlen, dorthin zurückzukehren“.

„Du willst unbedingt, dass ich Shahaan verlasse. Warum?“

„Oh, ich kenne ihn schon ziemlich lange, weißt du? Außerdem wird sein Wille anderenfalls immer dein Leben dominieren“.

„Aber alleine bin ich schutzlos“.

„Unsinn. Dass das nicht stimmt, solltest du inzwischen schon gemerkt haben. Du kannst es nicht steuern, aber du bist keinesfalls schutzlos. Ähm…“ Er fummelte an einer Gürtelschlaufe herum und streckte ihr dann die Kette entgegen. „Das kannst du haben. Es ist magisch und verstärkt den Schutz, den du durch deinen Titel hast. Es aktiviert ihn bei Gefahr. Uuuund: Ich werde ab und an nach dir sehen, abgemacht?“

Mireylle wusste kaum, wie ihr geschah, doch mechanisch nahm sie den Gegenstand entgegen.

„Wie sollte ich den Magiefluss suchen?“

„Oh, lass dich von deinem Gefühl leiten. Das wird dich nicht täuschen.“

Sie wollte diese Welt verlassen, doch der Hass, den sie noch immer in den Knochen spürte, hielt sie zurück. „Aber wer wird diesen Wahnsinn aufhalten?“

Traumprinz lachte lange. „Denkst du denn, du wärst dazu imstande? Niemand wird den Wahnsinn dieser Welt aufhalten können, denn er ist überall. Er hat sie schon längst vergiftet, durch und durch. Du kannst ja eine Widerstandsbewegung heraufbeschwören, aber würde das nicht ebenso in Blut und Tod enden?“

Mireylle zögerte, ehe sie die nächste Frage stellte: „Was passiert mit dem Leben? Was ist das Nchts?“

„Es ist die Leere zwischen den Welten, die Leere, die sie trennt. Und das Leben wird dorthin gesogen, ganz wie du vermutet hast“, sagte er mit plötzlichem Ernst.

„Wer bist du?“

„Traumprinz!“. Er lachte.

„Wer bist du, Traumprinz?“

Wieder wurde sein Blick ernst. „Das ist nicht so wichtig. Ich bin noch nicht einmal. Nicht wichtig.“ Er verschwand einfach.

Nach einiger Zeit der Verwirrung fällte Mireylle eine Entscheidung. Sie würde suchen gehen. Sie hatte nichts zu verlieren, außer der Ungewissheit.

In diesem Moment trat Surell ins Zelt. Er trug die Truhe mit ihren Sachen.

„Da hast du dich ja ganz schön was getraut, Mylady. Ich bin immer noch erstaunt, warum Remon dich nicht auf der Stelle zu Staub gemacht hat, ehrlich. Allerdings war das wirklich sehr beeindruckend, wie jemand ohne magische Macht das mächtigste Wesen weit und breit angeschrieen hat.“. Er lachte nur kurz und stellte die Truhe ab, dann wurde sein Gesicht ernst.

„Ich hoffe, dass sich das nicht rächt. Dämonen sind sehr stolz, und Remon ganz besonders.“

„Schon gut, Surell, mach dir keine Gedanken. Du hast mit der Sache mit den Astralen genug Probleme, vermute ich mal. Also mach dir keine Sorgen um mich. Ich komme schon zurecht.“

Einen Augenblick sah der Dämon unentschlossen aus, dann entspannte er sich und nickte.

„Wenn du meinst, Mylady“

Sie lächelte aufmunternd. Sie würde diese Dinge auf andere Art lösen. „Ja. Könntest du mich jetzt bitte allein lassen, ja? Sei mir nicht böse.“

Der Heerführer kratzte sich am Hinterkopf und nickte anschließend. Langsam und nicht ohne Zögern verließ er das Zelt.

Sofort schlug Mireylle die Truhe auf und zog Jeans und ein Shirt an. In ihren Rucksack packte sie einige Kleinigkeiten, vor allem aber ihre Wasserflasche, die sie zuvor auffüllte, und sämtliche Nahrungsmittel, die die in dem Zelt finden konnte. Sie machte sich aus einem großen Tuch sogar ein Bündel, um mehr tragen zu können.

Irgendwo im Lager hörte sie einen Aufschrei. Nach und nach entwickelte sich Lärm, den Mireylle als Kampflärm erkannte. Es fand also ein nächtlicher Übergriff statt. Das kam ihr mehr als gelegen.

Bevor sie aus dem Zelt trat, konzentrierte sie sich kurz. Sie musste nur nutzen, was sie hatte. Wenn sie es nicht wollte würde niemand sie bemerken. Voller Vertrauen griff sie nach dem Kettchen, das sie an ihrer Hose befestigt hatte und kletterte dann unter der Rückwärtigen Wand des Zeltes hervor. Glücklicherweise befand sich niemand in der Nähe. Langsam und vorsichtig schlich sie aus dem Lager und dem Wald entgegen. Dieser Teil des Lagers war wie ausgestorben. Auf halbem Weg sah sie ein Pferd. Sie konnte zwar nicht reiten, aber bei einer Flucht war ein Pferd mit Sicherheit hilfreich. Sie ging langsam darauf zu und strich ihm beruhigend über das Fell.

Es handelte sich um ein ruhiges und unterwürfiges Tier, das sogar Mireylles seltsamen Aufstieg zuließ. Sie hatte keine Zeit gehabt, nach einem Sattel zu suchen und begnügte sich mit dem bereits vorhandenen Zaumzeug. Nach einem problematischen Beginn schaffte sie es, das Pferd in die gewünschte Richtung zu steuern und sich mit einiger Geschwindigkeit vorwärts zu bewegen. Am Rande des Waldes hielt sie an und drehte sich vorsichtig um, um noch einmal zum Lager zurück zu blicken. Es tat ihr Leid um Surell. Er hatte sich zu einer angenehmen Gesellschaft entwickelt. Aber sie musste nun gehen und einen Weg zurück suchen. Innerlich Abschied nehmend drehte Mireylle sich wieder um und ritt in den Wald.

Wind, der über das Land streicht (1)

Schon bald bedauerte Mireylle ihren spätabendlichen Aufbruch. Es war sehr schnell dunkel geworden. Im Wald machte sich völlige Finsternis breit und gab dem Zwielicht nur hier und da Platz, wenn das fade Licht des Mondes sich durch einen Riss im Blätterdach stahl. Kühler Wind strich durch das Unterholz und zwang Mireylle ihren Pullover aus dem Rucksack zu kramen. Das von den Bewegungen des Reiters verwirrte Pferd tänzelte auf der Stelle hin und her und beinahe hätte Mireylle ihre Tasche verloren.

Das Gefühl, viel zu langsam voran zu kommen, erfasste Mireylle und machte sie unruhig. Auch das Pferd spürte diese Unruhe und erschwerte Mireylle zunehmend seine Lenkung. Mireylles einziger Gedanke war es, sich so schnell wie möglich von dem Lager und damit Shahaan zu entfernen. Wer wusste schon, wie stark die Wahrnehmung des Lords und seines Gefolges sein konnten, wenn sie jemanden suchten. Und ob Traumprinz Schutz wirklich funktionierte, ob all das, was er ihr erzählt hatte zutraf, konnte sie nicht sicher wissen. Sie hoffte, wie versprochen, irgendwann einen magischen Pfad wahrzunehmen und diesem bis zu einem der Hauptpfade folgen zu können. Dort würde sie versuchen, in ihre Welt zurückzukehren und all das hier zu vergessen. Was sie täte, wenn sie trotz allem nicht zu ihrer Welt wechseln konnte, wusste Mireylle nicht.

Die Dummheit ihres Unterfangens wurde ihr umso klarer, je tiefer die Dunkelheit unter den Bäumen wurde. Sie kannte sich trotz Arianas und Surells Bemühungen kaum in dieser Welt aus, sie kannte ihre Geschöpfe, ihre Regeln noch immer nicht. Die fremdartigen Tierschreie konnte Mireylle nicht identifizieren und auch das Rascheln und Knacken im Unterholz machten sie nervös.

Erschrocken zuckte Mireylle zusammen, als alles um sie herum zu vibrieren begann. Ihre Sinne nahmen nur zwiespältige Dinge wahr, doch bald war sie sich sicher, dass es sich nicht um ein Erdbeben handelte. Nicht die Erde sondern die Welt selbst schien zu schwingen. Es musste die Magie sein, die Magie der Welt, die erzitterte.

Plötzlich erstrahlte der Wald in grellem Licht und geblendet schrie Mireylle auf. Ihr Arm huschte mechanisch schützend vor ihre Augen, doch selbst er strahlte in diesem seltsamen Licht, das alles zu durchströmen schien. Von dem Aufschrei erschrocken bäumte sich das bereits sehr nervöse das Pferd auf und Mireylle stürzte zu Boden. Geblendet sah sie die strahlende Gestalt des Pferdes zwischen den leuchtenden Pflanzen verschwinden. Das Geklapper der Hufe verschwand bald in der Ferne.

Mireylle sah dem Geschöpf nach, doch das Sehen, über das sie nun verfügte, zeigte ihr keine gewohnten Konturen. Vielmehr blendete es sie mit der Vielfalt seiner Eindrücke. Das Lebenslicht jedes Wesens, einer jeden Lebensform, strahlte und glitt in friedlicher Eintracht und fließenden Übergängen eines ewigen Kreislaufs durch die Welt. Hier spürte Mireylle nichts von dem Sog des fernen Nichts. Doch sie konnte die Erschütterung wahrnehmen, die sich durch alle Lebensenergie zog, als sei ein Grundpfeiler der Welt gefallen.

Wie blind stolperte Mireylle durch das Unterholz und versuchte ihr Gepäck mehr durch Tasten denn durch Sicht wieder zu finden. Irgendwo raschelte etwas. Das Schaben von Metall erklang und ließ Mireylle das Blut gefrieren. Die Klinge war ganz nah. Langsam drehte sie sich um und erblickte eine hell leuchtende Gestalt. Die Klinge selbst konnte sie nicht erkennen, doch sie sah die Magie, die auf dem schweren Metall lag.

So plötzlich, wie sie gekommen war, verschwand die magische Sicht und Mireylle fand sich in völliger Finsternis, an die sich ihre Augen nur mit Mühe wieder gewöhnten.

„Wer bist du?“, fragte die scharfe Stimme eines jungen Mannes. Sie war voller Entschlossenheit. Etwas blitzte metallisch dicht vor ihr.

„Nur ein einfaches Mädchen auf der Durchreise“, antwortete Mireylle vielleicht etwas zu schnell.

„Du bist mit Sicherheit kein einfacher Mensch. Bis eben gerade haben meine Sinne dich nicht erfassen können, wer also bist du?“

„Auf mir liegt ein schützender Zauber, da hast du Recht“, erwiderte sie langsam. Er verfügte über Magie. Ein Dämon also. Hatte man sie so schnell entdeckt? Panisch fragte sie sich, was er wohl hören wollte. „Aber ich selbst besitze weder Macht noch Waffen, also nimm bitte die deine weg.“

Der junge Dämon rührte sich einen Moment lang nicht, dann glitt das Schwert geräuschvoll in seine Scheide zurück.

„Bist du auf der Flucht? Keine Sorge, ich gehöre nicht zu den Rubintruppen.“, erklärte er.

Mireylle atmete auf. Schließlich hatte er die Waffe weggesteckt. „Ja“

„Mein Name ist Finior. Und falls du nicht auf der Seite des Vampirlords bist, so bist du auf meiner Seite. Wie heißt du?“

Ihr Name würde sie vielleicht verraten. Spätestens, wenn man öffentlich nach ihr suchte. „Ich bin Mira“.

„Nun, Mira. Dein Pferd ist auf und davon.“

Mireylle erhob sich und sah einen Augenblick lang in die Richtung, in die ihr Reittier verschwunden war. „Ja. Ich hoffe, dass ich trotzdem fliehen kann.“

„Dämonen sind gute Sucher. Ihre Sinne leiten sie“, erwiderte Finior mit fester Stimme. „Allerdings besteht durchaus die Möglichkeit, dass genau diese Sinne ihnen auf der Suche nach dir nicht weiterhelfen. Deine Aura ist selbst aus dieser Nähe für mich kaum fassbar und meine Macht gehört nicht zu den Geringen. Was ist dein Ziel?“.

Unentschlossenheit bestimmte Mireylles Denken. Sie kannte ihr Gegenüber nicht und selbst wenn, sie würde einem Dämon nicht so schnell trauen. Allerdings wusste er möglicherweise, wo sie den Magiefluss finden konnte. „Bisher hatte ich kein bestimmtes Ziel“, antwortete sie. „Ich wollte nur weglaufen und meinen eigenen Weg suchen“. Es war mehr, als sie hatte sagen wollen, aber die aufmerksame Stille ihres Gegenübers lud geradezu zum Sprechen ein. Auch eine Art von Magie. Sie schwieg.

„Das ist es?“, fragte Finior nach einer Weile. Etwas Abschätziges klang in seiner Stimme mit. „Nun, ich empfehle dir, in diese Richtung zu gehen“. Er zeigte zwischen eine Baumgruppe.

„Es ist die Gegend, die vom Rubinheer bereits heimgesucht wurde. Der gesamte Südwestliche Bereich unseres Landes ist verwüstet worden. Allerdings hat der Lord dort kaum Truppen zurückgelassen. Ich wünsche dir Glück, Mira“. Damit drehte er sich um und marschierte in Richtung des Zeltlagers davon.

Mireylle sah ihm nach und gleich zwei Gründe bewegten sie, als sie ihm nachrannte. Er hatte sie gesehen und er würde Shahaan mit Sicherheit unterliegen.

„Warte“, keuchte sie. Er war sehr schnell. „Warte! Finior!“. Er reagierte nicht. „Verdammt! Du wirst genauso sterben, wie dieser Junge!“

Der Dämon hielt inne und eine gespannte Stille lag in der Luft. „Wie war sein Name?“, erklang Finiors Stimme flüsternd.

Sie konnte sich kaum entsinnen. „Seine Familie hieß Ad.. Adiva?“

„Adivian.“, flüsterte er erneut. „Haleas, mein Jugendfreund“. Er ließ sich zu Boden fallen und Mireylle nutzte die Gelegenheit, um das letzte Stück Weg zwischen ihnen beiden zurückzulegen und sich neben Finior zu setzen. Dieser hatte den Kopf in den Knien versenkt und beide Arme darüber geschlagen. Silbrig schimmerndes Haar floss über seine gesenkten Schultern. Auf ein Mal wirkte er mit dem riesigen Schwert an seinem Gürtel unbeholfen. Seine Kleidung erschien wie eine Maskerade, die bei der ersten Verunsicherung aufgeflogen war.

Mehr ahnte sie das Schluchzen, als sie es hörte, doch sie tat nichts. Sie konnte ihm nicht helfen. Die Trauer um einen geliebten Freund musste unerträglich sein und Mireylle glaubte nicht, etwas Aufbauendes sagen zu können. Er hatte nicht langen leiden müssen, doch das half nicht. Sie blieb einfach nur sitzen. Irgendwie wollte sie ihn nicht alleine lassen.

Nach einer Weile sah er auf. Die Arme um die Knie geschlungen starrte er geradeaus und das Mondlicht gab vage Umrisse seiner Züge preis. „Wie ist er gestorben? Ist er dem Lord gegenübergetreten?“.

Mireylle nickte automatisch. Der Dunkelheit gewahr werdend fügte sie ein leises „Ja“ hinzu. Einzelheiten waren unwichtig.

Eine schiere Ewigkeit lang hockten sie still nebeneinander, dann begann der junge Dämon zu reden. „Ich könnte jetzt da hinunter rennen und dem Lord all meine Wut und Macht entgegenschleudern. Es würde mir sofortige Genugtuung geben und mich auch augenblicklich töten. Ich weiß um die Mächte, die die Lords schützen, ebenso wie um die Kraft des Vampirdämons. Dem habe ich derzeit nichts entgegen zu setzen.

Ich frage mich, warum Haleas dies für sich nicht ebenso erkennen und einen anderen Weg suchen konnte.

Vielleicht… nein, mit Sicherheit bin ich ein Feigling unter den Dämonen. Auch ich habe eine Familie zu rächen, doch ich wäre nie so weit gegangen. Ich bin kein Held. Ich habe nicht die Kraft, mein Land zu retten. Nicht einmal Haleas habe ich retten können.“ Eine Pause trat ein.

„Ich hänge zu sehr am Leben, auch wenn ich nichts mehr habe. Alles, woran mein Herz hing, ist nun fort, doch ich möchte leben. Auch wenn mein Leben von nun an von Rache gesteuert werden wird. Tod und Verderben für das Rubinheer und ihren Lord werden meine Ziele sein.

Aber zunächst muss ich mächtiger werden, ich muss mich zurückziehen und planen.“

Mireylle seufzte unwillkürlich. Es war, wie Shahaan es ihr gesagt hatte. Aber dies rief nur die Brutalität hervor, mit der Shahaan gegen dieses Reich vorging.

„Ich gehe auch, ich werde untertauchen. Du kannst mich gern begleiten, wenn du mir trauen willst“.

Mireylle überlegte nicht lange. Ohne Begleiter war sie orientierungslos. Außerdem hatte dieser Dämon etwas Ehrliches an sich. Innerlich musste sie sich belächeln. Vermutlich war sie bereits das Opfer seiner dämonischen Überzeugungskräfte geworden. Doch obwohl sie die Einsamkeit hätte gewohnt sein müssen, scheute Mireylle sich, allein durch diese fremde Welt zu ziehen. Die wenigen Menschen, mit denen sie hatte sprechen können, hatten ihr von den Gefahren erzählt. Magie und magische Geschöpfe, gegen die sie machtlos sein würde. Sie nickte. „Ja, gerne. Aber ich bin langsam. Ihr Dämonen habt einen äußerst schnellen Schritt“.

Finior nickte und wies in eine Richtung. „Wir beschleunigen unseren Gang auf magischem Weg. Man könnte sagen, wir bremsen die Zeit. Aber Ich werde keine Magie anwenden, ehe wir nicht eine gewisse Sicherheitsentfernung zum Heerlager haben. Ich werde versuchen, keine magischen Spuren zu hinterlassen, denen ein Sucher folgen könnte.“.
 

Traumprinz hockte nahe dem Lager auf einem Baum und starrte gedankenverloren in die Ferne. Shahaan musste die Abwesenheit seines neuen Spielzeugs bald bemerken. Er war gespannt, wie der Lord darauf reagieren würde. Plötzlich seiner Umgebung gewahr werdend fühlte er sich tief in die Rinde des Baumes und folgte seinem Lebenssaft bis in die Seele des Lebewesens, um das junge Geschöpf nach seinem Namen zu fragen. Es war ein gesunder und starker Baum. Vielleicht würde er eines Tages zu einer wichtigen Stütze der Welt heranwachsen und von großer Bedeutung für die Geschichte sein. Doch das hing allein von der Zeit ab. Ob sie ihm wohl noch reichen würde? Noch war er zu jung, als dass Traumprinz seinen Namen hätte kennen können. Eggdragell.

Traumprinz war sich seiner Leichtsinnigkeit durchaus bewusst. Aus dieser Entfernung konnte Shahaan ihn zufällig erspüren, besonders, da er nach dem Mädchen suchen würde. Trotzdem war er bereit, diese Gefahr einzugehen.

Im Lager regte sich etwas und der Dämon spitzte die Ohren.

Surell Haguren rannte über den Platz auf Lord Shahaan zu. Sein Gesicht wies einen Zug der Sorge auf. Lord Shahaan wendete sich dem eilenden Dämon zu, noch ehe dieser etwas gerufen hatte. Alarmiert forderte sein Blick den Heerführer zu reden auf.

„Ich habe nach ihr gesehen. Nach Mireylle. Sie ist nicht in ihrem Zelt. Außerdem hat sie ihr Kleid abgelegt und ist mit der Bekleidung aus ihrer Welt, ihren anderen Sachen und einigen Vorräten verschwunden. Ich denke, sie ist geflohen, Remon.“

Der Lord nickte. Traumprinz konnte den sanften Hauch seines Ärgers erspüren, ehe sich die Sinne des Lords seinem Aufenthaltsort näherten und ihn zwangen, schnell zu verschwinden.

„Sie muss schon ein ganzes Stück weit weg sein, ich erfasse sie nicht mehr.“

„Ich weiß. Aber könnte es nicht an…“, begann der Heerführer.

„Eigentlich habe ich mich an die Art ihres Manas gewöhnt, Surell. Zumindest habe ich das angenommen. Du hast Recht. Möglicherweise ist ihr magischer Schutz nun, da sie sich auf der Flucht befindet, stärker, als zuvor.

Du bist sicher, dass es keine Entführung war? Es könnte auch ein starker Schutzzauber eines Feindes sein.“

„Jemand, der sie alles hat mitnehmen lassen? Ich glaube es eher nicht. Weshalb sollte jemand Interesse an ihr haben? Vermutlich ist sie nur vor dir geflohen. Aber deshalb ist sie trotzdem in Gefahr.“

„Jetzt erweist es sich als Dummheit, die anderen Dämonen auf ihre Bedeutung hingewiesen zu haben.“. Er brauchte sie noch. Diese Tatsache und eine irrationale Regung riefen in Shahaan den Wunsch hervor, sich gleich auf die Suche nach dem Mädchen zu machen. Doch das würde er einem anderen Dämon überlassen müssen. Der Krieg konnte nicht warten und der Tag, da Lamerian sich ihm stellen musste, nahte. „Meredas! Ich habe einen Auftrag für dich.“

Überrascht beobachtete der Lord, wie sein Heerführer die Fäuste ballte und zu Boden starrte.

Meredas trat zu den Beiden und salutierte. Noch ehe der Lord sich mit seiner Anweisung an den Leutnant richten konnte, ergriff Surell das Wort.

„Lass mich nach ihr suchen, Remon! Ich habe viel Zeit mit ihr verbracht und kenne nicht nur ihr Mana, sondern auch ihre Gewohnheiten und Eigenarten. Ich denke, ich werde bei dieser Suche schneller Erfolg haben.“

Der Lord musterte seinen Freund durchdringend. „Du weißt, dass ich dir schon einen anderen Auftrag anvertraut habe, Surell Haguren. Du musst zu diesem zurückkehren.“

„Aber im Palast ist ein Spion, der seinem Herrn bereits von ihr berichtet haben wird. Es kommt jetzt auf Geschwindigkeit an.“

„Du weißt, dass ich wütend bin, Surell. Hier erwartet sie durchaus kein besseres Geschick“, bemerkte der Lord mit Spott.

Surell verbeugte sich steif. „Ich werde sie in jedem Fall suchen gehen, Remon. Entscheide du, ob du mir den Auftrag geben willst.“

„Du entziehst mir deine Treue, Heerführer? Wegen einem einfachen Menschenkind? Bist du des Wahnsinns?“, donnerte die Stimme Shahaans nun. Mit einem Mal war es völlig ruhig. Sämtliche Gespräche um sie herum verstummten in gespannter Erwartung.

Surell reckte den Hals und legte den Kopf herausfordernd schief. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich kann mich nicht entsinnen, einem Lord jemals die Treue geschworen zu haben. Ich bin ein Dämon und meine Natur ist der Eigensinn. Ich folge nur, wohin ich auch selbst gegangen wäre.

Mireylle ist keinesfalls ein einfaches Menschenkind, wie du sehr wohl weißt. Ihre Fähigkeiten haben meine Neugier geweckt.“

„Es reicht!“, donnerte der Lord erneut. Eine unangenehme Spannung breitete sich aus. Man konnte den nahenden Kampf förmlich spüren. „Ich war stets froh, dich in meinem Gefolge zu wissen, mein Freund. Ich möchte dir auch weiterhin bedenkenlos den Rücken zuwenden können, Surell. Auch wenn ich diese Regung eines Dämons unwürdig achte, will ich deinem Wunsch ein letztes Mal nachgeben. Geh. Such nach ihr. Ein Beschützer wie du ist einer Mylady würdig, da hast du recht.“

Samtene Entspannung breitete sich aus, als Surell nickte und sich noch einmal verbeugte. „Ich danke dir, Lord. Dann mache ich mich bereit.“. Stürmisch schritt der Heerführer davon und überließ die gespannte Masse sich selbst.

Der Lord aber wandte sich an Meredas: „Mach dich bereit“, sagte er leise. „Du wirst ihm in sicherer Entfernung folgen und sehen, dass er sie auch zu mir zurückbringt.“

Der Lord sah dem pflichtbewussten Leutnant eine Weile nach, doch seine Gedanken verharrten bei Surell. Hatte das verwirrende Mana dieses Mädchens auch ihn gefangen genommen? Ihre Seelenmagie unterschied sich von denen der Dämonen. Seine feinen Sinne hatten jede Einzelheit erspürt, die die oberste Schicht ihres Manas ihm hatte freigeben wollen und einem Kunstliebhaber gleich betrachtete es das Meisterwerk der Natur und staunte über seine Schönheit und Komplexität. Es erinnerte ihn an das Sinnesraubende Staunen, das ihn beim magischen Anblick des Fürsten erfasst hatte.

Ebenso fesselnd war das Mana des Mädchens über ihn hereingebrochen und hatte einen Funken in ihm entzündet, der ihm ebenso ekel wie wertvoll war.

Gedankenverloren betrat der Lord sein Zelt und ließ sich einer jugendlichen Regung folgend auf sein Bett fallen, um das Gefühl zu ergründen, das es gewagt hatte, seine vampirische Kälte zu durchbrechen. Ihr von Abscheu erfüllter Blick hatte zu verletzten vermocht.
 

Mireylle folgte Finior nun schon einige Stunden. Ihr Weg führte die beiden durch dichtes Unterholz, über eine hügelreiche Waldlandschaft. Mit voranschreitender Zeit lichtete sich der Himmel jenseits des Blätterdaches und hüllte den Wald in nebliges Zwielicht. Erste vereinzelte Vogelrufe erklangen von den Baumwipfeln.

Obwohl Finior seinen Schritt nicht magisch beschleunigte, kam er unheimlich schnell voran und zwang Mireylle damit zu einem leichten Trab. Jedoch wagte sie es nicht, um einen langsameren Marsch zu bitten, denn mit fortschreitender Zeit wuchs ihre Angst, von einem Verfolger eingeholt zu werden. Schließlich kam ein Dämon, der sich nicht verstecken musste, unheimlich schnell voran. Der Rücken des jungen Dämons wurde bald zu einer gewohnten Aussicht und ihre Augen gewöhnten sich zunehmend an das verzierte braune Leder seines Wamses.

Bald rasteten sie unter einem Baum, dessen dicke Wurzeln aus der Erde hervorstanden und hervorragende Sitzgelegenheiten boten. Mireylle teilte etwas von ihrer Verpflegung mit Finior, der die Nahrung dankend annahm. Ihre Rast währte jedoch nicht lange. Finiors angespannter Blick in die Ferne erlaubte auch jetzt keinerlei Widerspruch. Mireylles an Märsche nicht gewohnte Beine schmerzten, als sie sich wieder auf den Weg machten.

Zügig packte sie ihren Vorratsbeutel wieder zusammen und nickte zum Zeichen ihrer Aufbruchsbereitschaft. Sie hatten kein Wort gewechselt.

Aus ihren Gedanken schreckend stellte Mireylle fest, dass Finior schon ein ganzes Stück Vorsprung hatte und rannte, um ihn einzuholen. „Wie groß ist die Gefahr, dass wir gefunden werden?“, fragte sie den jungen Dämon, der mit sturer Miene voranschritt.

Es dauerte eine Weile, ehe er zu einer Antwort ansetzte: „Du wirst also definitiv verfolgt, hm? Ich habe der Sicherheit halber einen Verschleierungszauber über uns gelegt. Der betreffende Verfolger wird es also schwer haben, unsere Fährte aufzunehmen. Es kommt ganz auf seine magischen Fähigkeiten an. Ich kann dir nicht sagen, wie schnell er vorankommt. Ich weiß nur, dass sich im Abstand mehrerer Kilometer hinter uns kein Dämon aufhält. Hier im Wald sind die Sinne sehr klar.“ Er wandte sich ab und ging wieder etwas schneller.

Mireylle hastete hinter ihm her. Er war viel schweigsamer und verschlossener als bei ihrer Begegnung. Vielleicht war es nur ein Gefühlsausbruch gewesen.

Einige Stunden später wurden der Schmerz in ihren Beinen und die Müdigkeit unerträglich. Sie wurde zunehmend langsamer und immer öfter blieb Finior stehen, um mit kaltem Blick und angespannter Haltung auf sie zu warten.

Doch diesmal hielt Finior grundlos an und drehte sich einer Richtung des Waldes zu, aus der Augenblicke später Rascheln zu vernehmen war. Es kam immer näher und Mireylle beobachtete, wie Finiors Hand sich langsam auf das Heft seines Schwertes zu bewegte. Augenblicklich blieb sie stehen und starrte angespannt in dieselbe Richtung.

Blitzschnell schoss ein Dämon aus dem Gebüsch hervor und noch ehe Mireylle die Situation erfasst hatte, waren die Klingen der beiden Dämonen aufeinander geknallt. Ein Kräftemessen.

Der Angreifer sah verwahrlost aus. Er trug eine zerfranste Lederrüstung und hatte einen seltsamen Behälter auf dem Rücken, der verschiedenste Waffen beherbergte. Diese waren so befestigt, dass der Träger leicht nach ihnen greifen konnte, wenn er eine Waffe brauchte.

Mireylle hätte ihn auf 20 Jahre geschätzt, hätten seine Augen nicht das Leuchten höheren Alters gezeigt.

„Unterstehst du dem Befehl eines Lords?“, presste er unter zusammengebissenen Zähnen hervor.

Finior machte einige Ausfallschritte, um sich in eine bessere Position zu bringen und nutzte die Augenblicke um nachzudenken. „Nein“, antwortete er wahrheitsgemäß.

Die Züge des Fremden entspannten sich und einen Augenblick später rutschte seine Klinge geräuschvoll in eine der Halterungen. „Gut. Wartet einen Moment.“, versetzte er und rauschte davon. Als der Fremde kurz darauf zurückkehrte, trug er ein Kind in den Armen. Eilig setzte er das Mädchen vor ihnen ab.

„Passt bitte auf sie auf. Ich hole sie wieder ab.“ Sogleich war er erneut im Dickicht verschwunden und überließ Finior und Mireylle ihrer Verwunderung.

Das Kind stand verunsichert zwischen ihnen. Ihre kleinen Hände umklammerten eine zerrissene Kette. Es sah erbärmlich aus. Die Augen in dem kleinen Gesicht wirkten eingefallen, die zerfransten Stellen des verdreckten Kleides offenbarten Schürfwunden.

Mitleid und Wut erfassten Mireylle. Sie hockte sich hin und sprach das Kind mit sanfter Stimme an. Zu ihrer Verwunderung wich das Mädchen zurück. Nach Hilfe suchend sah Mireylle hoch zu Finior. Auf seinen Lippen war ein freudloses Lächeln erstarrt. Er nickte ihr zu.

Erneut redete Mireylle freundlich auf das Mädchen ein, doch das Kind wich abermals zurück. Mireylle sah Angst in ihren Augen. Sie strich sich die Haare zurück und zeigte dem Kind ihr Ohr. „Ich bin ein Mensch, kein Dämon. Ich tue dir nichts.“ Diesmal wich sie nicht zurück. Der Blick des Mädchens klammerte sich unsicher an Mireylles Gesicht. „Ich bin Mira. Und du?“

Es dauerte einen Moment, ehe sich die Lippen des Kindes lautlos zu bewegen begannen.

„Lazina“, flüsterte das Mädchen ihr mit rauer Stimme zu.

Mireylle lächelte aufmunternd. Vorsichtig ergriff sie die Hand des Kindes. „Lass uns gehen, Lazina. Wir müssen jetzt weiter. Dein Begleiter holt dich später ab, hat er gesagt. Solange passen wir auf dich auf, ja?“.

Die Kleine nickte und sah zu Boden.

„Gehen wir?“, fragte Mireylle. Das neuerliche Nicken veranlasste Mireylle sich mit dem Mädchen an der Hand aufzurichten und Finior einen auffordernden Blick zuzuwerfen. Sie setzten ihren Weg nun wesentlich langsamer fort. Auch dies besprachen sie mit keinem Wort.

Ein Dämon, der mit einem Menschenkind durch den Wald jagte, war offensichtlich ungewöhnlich.

„Finior! Weißt du, wer das war?“, erkundigte Mireylle sich.

„Nein. Ein Fremder.“, antwortete dieser nach einer Weile.

Gerade als Mireylle ansetzte, ihn wegen des Mädchens zu fragen, drehte er den Kopf in Voraussicht des nahenden Raschelns und einen Augenblick später erschien der Fremde wieder vor ihnen.

Erstaunt beobachtete Mireylle, wie sich Finiors Züge weiter verhärteten. Er zog sein Schwert. „Geht beiseite!“, donnerte seine Stimme und seine Anspannung ließ Mireylle gehorchen. Sie suchte mit dem Mädchen hinter einem breiten Baumstamm Schutz.

Irgendetwas berührte einen Sinn, der Mireylle noch ungewohnt war, doch sie ahnte ein Nahen. Bald darauf konnte sie drei große nahende Gestalten erkennen und sie fragte sich, ob dieser neue Sinn ihre magische Sicht ersetzte. Sie drückte das Kind an sich und starrte zu Finior und dem Fremden hinüber.

Beide hielten sich in kampfbereiter Position.

Ein letzter Farnstrauch wurde beiseite geschoben und zwei massige Dämonen mit gewaltigen Klingen erschienen in Begleitung eines Thevirs auf der Lichtung.

„Haben wir dich!“, knurrte der größere von beiden, der den Thevir am Zügel führte.

„Jetzt sterbt ihr!“, sagte der andere mit einem gehässigen Grinsen auf den Lippen.

Mireylle beobachtete, wie Finior und der Fremde die Angriffe der schweren Waffen abwehrten. Auch der Thevir griff an und entblößte dabei gewaltige Reißzähne.

Verzweifelt parierte Finior die Klinge des Größeren und wich dabei den Zähnen und Klauen des Tieres aus, doch er geriet zunehmend in Bedrängnis. Doch auch der andere Angreifer erwies sich als guter Kämpfer und so konnte der Fremde Finior nicht helfen. Die Angreifer drängten die beiden systematisch zusammen und gegen den breiten Stamm, hinter dem Mireylle kaum zu atmen wagte.

Finior ächzte, als er über eine Wurzel stolperte. Er schwankte, schaffte es jedoch, das Gleichgewicht zu halten. Schweiß bedeckte sein Gesicht, während er den Kampf in hohem Tempo fortsetzte. Der Fremde hatte alarmiert zu Finior hinüber gesehen und sprang bei der nächsten Gelegenheit auf den großen Dämon zu. In perfekter Zusammenarbeit hatten die beiden den Großen mit wenigen Zügen entwaffnet, doch sein Gefährte nahte und holte aus. Zu spät bemerkte der Fremde den Angriff. Er hätte sowieso nicht früher ausweichen können, ohne den Erfolg seiner Aktion zu gefährden. Nun war das Schwert ihm bereits zu nahe, um ihm zu entkommen. Trotzdem schaffte er es, das Schlimmste zu verhindern. Energischer als zuvor führte er den Schlagabtausch weiter, obwohl ihm Blut in dicken Strömen aus Wange und Schulter quoll und seine Kleider in dunkles Rot tauchte.

Finior musste sowohl den Thevir abwehren, als auch den großen Dämon von der Suche nach seiner Waffe abhalten. Ein Schatten lief über sein Gesicht, ehe er entschlossen die Waffe hob und den Großen köpfte. Der Thevir heulte auf und beendete seinen Angriff. Stattdessen wandte er sich dem Überlebenden Angreifer zu und attackierte plötzlich diesen. Wenige Augenblicke später durchtrennte der Fremde den zweiten Angreifer auf Taillenhöhe.

Finior ließ sich, den Baum im Rücken, zu Boden gleiten. Der Fremde hingegen setzte eine fröhliche Miene auf, wischte sich mit dem Ärmel das Blut aus dem Gesicht und Mireylle bemerkte, dass die Wunde sich bereits geschlossen hatte. Eine feine weiße Narbe war zurückgeblieben. Er schritt zum Thevir und strich diesem verträumten Blickes über das Fell, ehe er sich zu Boden fallen ließ und mit einem Band aus seiner Tasche den Oberarm verband.

Mit zornigem Blick verfolgte Finior die Bewegungen des Fremden. Der Schweiß des jungen Dämons funkelte als letztes Zeichen der Anstrengung in dem durch das Walddach einfallenden Licht.

Der Fremde bemerkte das Starren und wandte sich nach Finior um. „Danke, mein Freund. Alle Drei waren mir deutlich zu viele.“. Nach einem prüfenden Blick in Finiors Gesicht setzte er beschwichtigend noch hinzu: „Du bist wirklich gut“.

Selbst Mireylle, die inzwischen mit dem Mädchen vorgetreten war und sich nun nahe Finior auf eine Wurzel setzte, bemerkte den Anflug eines stolzen Lächelns, der sich auf den Zügen des jungen Dämonen zeigte. Sie drehte das Mädchen vom Anblick der Leichen weg und mit einem zweiten Blick erkannte sie den Zug der Ironie, der auf seinen Lippen lag.

„Wie ist dein Name?“, fragte Finior nach einem langen Moment des Schweigens, in dem Mireylle sich wünschte, sie würden weiterziehen. Noch immer fühlte sie sich wie paralysiert.

„Mein Name ist Minas Tinir. Ich bin ein Rebell. Falls ihr also doch einem Fürsten folgt, sollten wir den Kampf hier und jetzt austragen.“ Minas Antwort kam prompt. Er sprach so schnell wie er kämpfte und seine raschen Bewegungen zeigten seine energische Natur. Die leicht schief gelegten Dämonenaugen hatten einen neckischen Zug.

„Schicksalsbote.“, sagte Finior und fixierte den Älteren. „Wer gab dir solch einen Namen, Rebell?“.

Minas lachte auf. „Es ist der Name, den mir unsere Aufstandsbewegung gegeben hat. Ich legte den Namen meiner Geburt dafür ab.“.

Finior nickte bedächtig und erhob sich. „Ich bin Finior aus dem Hause der Veredas. Ich werde keinem Lord mehr folgen. Die egoistischen Wünsche dieser machtgierigen Tyrannen haben sowohl meine Familie, als auch meinen Kindheitsfreund zugrunde gerichtet. Ich würde mir euren Aufstand gerne ansehen, Minas.“
 

Der Wind riss rau an den Wipfeln der Bäume, fegte über das Rubinlager hinweg und ließ die Zeltplanen in der einbrechenden Dunkelheit flattern. Barmherzig trug er den scharfen Geruch des Todes hinweg und brachte Frische. Allmählich stieg die Luftfeuchtigkeit an und schon bald erhob sich der Duft nasser Erde, bevor letztendlich ein Platzregen einsetzte.

Entgegen seinem Willen war Traumprinz hierher zurückgekehrt. Er stand in sicherer Entfernung nahe dem Waldrand und beobachtete das Geschehen mit fremden Augen. Alles um ihn strömte, es atmete, schrie, hoffte, litt. Müde sammelte er sich, um die Wahrnehmung auf das zu konzentrieren, weswegen seine Füße ihn hierher getragen hatten.

Er sah hinüber, erfasste das Wesen des Lords mit allem, was es war. Seine Sinne zerlegten alle Farben der Seele, alle Nuancen der Magie, alle Sphären des Seins. Und er genoss jede Facette dieser Existenz, alles, was dieser Dämon war, gewesen war, was er sich angeeignet hatte und was ihm noch offen stand.

Die Sorge in den Zügen des Lords erzürnte ihn, mehr denn irgendein Ereignis jemals zuvor.

Das Fremde in Traumprinz fällte eine grimmige Entscheidung. Traumprinz schloss die Augen und atmete schwer. Er würde der Anweisung folgen, doch darüber hinaus hatte er keinerlei Gehorsam versprochen und würde sich seinen Spieltrieb keinesfalls nehmen lassen. Sie würden ja sehen, wer von ihnen stärker war.

Er lächelte.

Es kostete kaum Konzentration, sich in die vierte Sphäre zu versetzen. Innerhalb kürzester Zeit befand er sich mitten im Opalpalast und musterte Karigurou. Wie immer beugte sich der greise Dämon über einige Schriftrollen und versuchte ihnen die Wahrheit des Vergangenen zu entlocken. Es bereitete Traumprinz stets ein gewisses Vergnügen, den Lord bei seinen Bemühungen um die alten Sprachen zu beobachten, die Traumprinz selbst makellos beherrschte. Doch diesen Gefallen würde er dem alten Karigurou nicht tun. So blieb die Sache interessanter. Zunächst.

Traumprinz trat der Aufforderung des Lords folgend aus dem Schatten. Karigurou las noch einige Zeilen, ehe er die Schriftrolle beiseite legte und Traumprinz aufwendigen Begrüßungsritus mit gleichgültigem Blick musterte. Diesen Spott hatte der kleine Dämon sich nicht entgehen lassen wollen.

„Was führt dich hierher, kleiner Wanderer? Wie du siehst studiere ich noch immer die araguanischen Künste und wünsche deshalb durchaus nicht, von einem dreisten Eindringling wegen irgendwelchen Nichtigkeiten unterbrochen zu werden.“. Der Lord sprach ebenso langsam wie scharf, obwohl seine Züge noch immer völlige Ruhe demonstrierten.

Traumprinz schenkte ihm ein schelmisches Grinsen. Er legte den Kopf schief und sprach gleichsam zu einem Kind. „Ohhh. Ich dachte, es würde Euch interessieren, mein lieber Lord, wie es zurzeit um Euren geliebten Rivalen, den Vampirlord steht.“

„Durchaus“, erwiderte der Lord gelassen.

„Nun“, begann Traumprinz und hockte sich der fehlenden Sitzgelegenheit wegen auf den Teppich. „Wisst Ihr von dem Mädchen, das er sich ins Haus geholt hat?“.

„Meine Quellen behaupten, er habe sie sogar zur Mylady ernannt. Ein Schritt, der mich zutiefst überrascht hat. Ich wähnte uns beide diese Angelegenheit betreffend in derselben Überzeugung.

Es heißt, sie mute wie ein Menschenkind an, doch verschiedene Dinge liefern Hinweise auf eine andere, mir noch unklare Abstammung. Möglicherweise ist sie die Nachkommin der araguanischen Sagengestalten, der magisch begabten Menschen, von denen die alten Schriftrollen undeutlich Kunde tun? Derer, die diese als Zauberer und Zauberfrauen bezeichnen? Ich glaubte diese Rasse ausgerottet.

Doch andererseits habe ich auch die Rasse der Vampirdämonen einst für ausgelöscht gehalten.“

Traumprinz machte die ehrfurchtsvollste Verbeugung, die ihm das Sitzen gestattete. „Ihr seid ein gelehrter Mann, Lord. Und ich muss der Wahrheit genüge tun und Euch berichten, wie diffus die Hinweise auf die Herkunft des Mädchens sind.“. Er schwieg.

„Nach meinem Ermessen ist die nun einzig interessante Frage, was der Lord mit diesem Mädchen vorhat. Er wird wohl kaum sein Herz verschenkt haben.“

Traumprinz grinste. „Ich denke nicht, dass dies sein Wunsch war. Etwas anderes macht sie für ihn interessant, Lord Karigurou.“.

Der Lord kniff ein wenig die Augen zusammen, während er überlegte, wie viel er dem wankelmütigen Dämon verraten konnte. Doch die herausfordernden Worte des Dämons und die Erfahrung aus langem Umgang mit Traumprinz räumten diesem einen gewissen Spielraum ein. „Es hat mit den Astralen zu tun, würde ich annehmen. Obwohl er sich schon seit einiger Zeit nicht in Besitz eines weiteren Astrals gebracht hat.“

„Es liegt im Bereich des Denkbaren, dass ihn die Kriegsherausforderungen zweier Reiche davon abgehalten haben“, spottete Traumprinz.

Erneut überging Karigurou die Frechheit. „Was also ist es, das du mir sagen wolltest? Du wolltest sicher nicht auf einen Plausch über mir bereits bekannte Tatsachen vorbeikommen?“

„Ihr habt Recht!“. Traumprinz sprang auf. „Dieses Mädchen… es ist aus seinem Kriegslager geflohen. Lord Shahaan hat sogar Heerführer Haguren auf ihre Fährte gesetzt, Lord.

Dies fand ich durchaus interessant.“

Wie schon so oft zerfiel der freche Dämon plötzlich in Schatten.

Drei wesentliche Hinweise. Sie war von einer ganz besonderen Art. Etwas, worüber sich nachzuforschen lohnte. Zudem war sie entflohen, irgendwo an der Grenze zwischen Achat- und Rubinreich. Also musste er sehen, wie er sie gefangen nehmen konnte. Dies konnte durchaus interessant werden.

Ein weiterer interessanter Hinweis war der Ausdruck „Ich denke nicht, dass dies sein Wunsch war.“ gewesen. Es eröffnete Möglichkeiten.

Auch das würde er noch herausfinden.
 

Die hoch stehende Sonne schenkte der Welt eine Welle der Hitze. Ihre Strahlen brannten heiß auf Mireylles Rücken. Sie scheuerte das Wäschestück noch einmal und spülte es im Flusswasser aus, ehe sie es auswrang, geschickt faltete und in den Trog legte, der am flachen Ufer stand. Vorwurfsvoll sah sie zum Himmel auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es würde ein harter Tag werden.

Ihr Blick wanderte über das Dorf, das ihr inzwischen so vertraut geworden war und die Frauen, die sich an der seichten Flussbiegung versammelt hatten, um zu waschen. Sie spähte über die Ebene hinüber zu dem Lager, wo die Männer trainierten, die nicht auf Missionen waren. Abends würde sie zusammen mit einigen Knaben das Bogenschießen üben und danach würde Finior sie vielleicht wieder in Selbstverteidigung oder Schwertkampf unterrichten. Doch nur wenn seine Gruppe nicht allzu spät von der Mission zurückkehrte.

Zwar war es den Menschenfrauen untersagt, in die Schlacht zu ziehen, doch die Rebellen hatten sich über diese alten Regeln hinweggesetzt und boten auch Frauen Lehrgänge in der Kampfkunst an. Gewöhnlich mussten die Frauen Prüfungen in Kraft, Geschick und Willenskraft absolvieren, doch Mireylle wurde aus anderen Gründen ausgebildet. Genau genommen hatte Finior mit Minas ihre magische Begabung diskutiert, welche sie nicht nur schützte, sondern sie auch vor den Blicken ihrer Feinde verbarg, und sich durchgesetzt.

Mireylle war ihm dankbar. Auf seltsame Art verstand Finior sie. Ohne allzu viel über Mireylle zu wissen, erriet er, wie dringend sie sich schützen können wollte. Vielleicht wirkte sie hilflos auf ihn.

Während sie sich wieder an die Arbeit machte, gedachte Mireylle der Enttäuschung bezüglich der magischen Pfade. Sie hatte zusammen mit Finior einen der Pfade nahe dem Dorf aufgesucht, doch auch dort hatte sie nicht zurückkehren können. Finior hatte ihre Versuche stumm beobachtet und sie ebenso wortlos zurückgeleitet. Ihre letzte Hoffnung war ein stärkerer magischer Pfad geworden, nachdem einer von Minas Männern, Litian, ihr erklärt hatte, dass es sich bei dem von ihr besuchten Pfad um einen der Nebenpfade handelte.

Ihr Blick glitt gen Westen, zu den Bergen, hinter denen irgendwo der große Pfad verlief, mitten im Territorium Lord Lamerians und unerreichbar fern.

Und obwohl sie begonnen hatte, sich im Dorf der Rebellen sicher zu fühlen, wünschte Mireylle sich, weiterzukommen, nicht auf ewig hier zu verharren. Dieser neue Zug an sich überraschte Mireylle. Sie wollte mehr. Mehr sehen und hören von dieser fremden Welt. Und sie war entgegen ihrer früheren Art bereit, Gefahren einzugehen. Deshalb wollte sie lernen, sich selbst in dieser Welt schützen zu können. Die ersten Schritte zur Unabhängigkeit waren schon gemacht. Hier bei den Rebellen fühlte sie sich frier als je zuvor, obwohl es auch hier fesselnde Regeln und Gesetze gab.

Und Mireylle fühlte hier einen Ort des Rückzuges gefunden zu haben. Bei Maviane, der Frau, die sie in ihr Heim aufgenommen und gleich einer Tochter in ihr Herz geschlossen hatte, und bei den anderen Menschen, die so freundlich und aufgeschlossen waren. Sie alle trugen den Traum der Freiheit in sich und sie alle hatten dafür eigene Gründe. Dies war ein Punkt, der Mireylle manchmal sogar Angst machte. Nach einem vollen Monat friedlicher Eintracht war eines Abends die Meldung einer gescheiterten Mission gekommen und die rundliche, liebevolle und gutmütige Maviane brach in kopflosen Zorn aus. Erst da erfuhr Mireylle, wie Maviane ihren Ehemann, zwei Töchter und vier Söhne durch die Dämonenkrieger eines Landverwalters verloren hatte. Ihr war nichts geblieben, nur der Hass. Zielstrebigkeit und Überzeugung waren in der wütenden Stimme der Frau gewesen, als sie von ihrem Beitritt bei den Rebellen berichtete. Sie wollte sie unterstützen, um den Preis ihres Lebens, wenn es nötig war. Sie half den Kriegern, indem sie sich mit anderen Frauen um Medizin, Unterkunft und Verpflegung kümmerte.

Mireylles lieb gewonnene Hausherrin hatte sich in ihrer Wut verändert, ein Zug des Wahnsinns, Nachkomme der Verzweiflung, war auf ihre Züge getreten. Doch mit dem Moment verflog dieses Gefühl in Mireylles Wahrnehmung und nur der Schleier einer dumpfen Ahnung blieb in ihr zurück.

Erneut wischte Mireylle sich über die verschwitzte Stirn und spähte zum Waldrand. Noch immer konnte sie keinen zurückkehrenden Trupp sehen. Möglicherweise wurden die Rebellen im anderen nahegelegenen Lager, dem Dorf Wegzweig, aufgehalten. Mireylle wagte nicht am Erfolg der Mission zu zweifeln. Minas plante immer nur sichere Züge und er war ebenso bei dieser Waffenbeschaffungsmission dabei wie Finior, Elantes und Lemond. Diese vier zählten zu den mächtigsten Dämonenkriegern des Lagers. Der Übergriff auf den Waffentransport Lord Lamerians musste einfach geglückt sein.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Mireylle eine Bewegung und sah die kleine Lazina auf dem Feldweg zum Fluss rennen. Mireylle freute sich, sie so aufgeweckt zu sehen. Nach dem Verlust ihrer Familie und aller, die sie gekannt hatte, und den anderen schrecklichen Erlebnissen, die das Mädchen danach im Wald gehabt hatte begann sie nun endlich sich zu erholen und wieder die Wesenszüge eines Kindes anzunehmen. Nur durch Glück war das Mädchen dem Übergriff auf ihr Dorf entkommen und war auf ihrer Flucht vor den Soldaten Minas Trupp über den Weg gelaufen. Außer Minas und dem Mädchen war niemand der Übermacht entkommen.

Mireylle beeilte sich mit den restlichen Wäschestücken. Gerade als sie das letzte Stück auswrang, war Lazina am Strand angekommen. „Mira, bist du schon fertig?“, rief sie Mireylle zu. Diese nickte und nahm den Wäschetrog, um zum Ufer zu stapfen. Lazina kam ihr ungeachtet ihres langen Rockes entgegen. „Hängen wir die Wäsche jetzt auf?“, fragte sie.

„Ja. Hat Mavi dich geschickt?“

Lazina nickte eifrig. „Mhm, das Essen ist bald fertig. Mavi sagt, die Männer sollten längst zurück sein. Sie hat Mimbakuchen gebacken und ich hab geholfen. Ich durfte die Eier holen.“

Während das Mädchen plapperte, gingen sie zu den Wäscheleinen und Mireylle hängte die sauberen Wäschestücke auf. Verblüffend, wie schnell sie sich an die fast mittelalterlichen Methoden dieser Welt gewöhnt hatte.

Zusammen gingen sie nach Hause und setzten sich an Mavianes reichlich gedeckten Tisch. Sie hatte mit der Rückkehr der Truppe gerechnet und für acht Personen gekocht. Im Gegensatz zu Mireylle schien sie sich um die Verspätung der Männer zu sorgen und ihre nervöse Erwartung steckte Mireylle und Lazina an.

Plötzlich hallte ein Gefühl in Mireylle wieder. Sie hielt inne und lauschte der Stille. Sie spürte eine Mischung aus Schmerz, Zorn und Benommenheit nahen. Unter den ankommenden erkannte sie Finiors und Minas besondere Ausstrahlung. Erschrocken stürmte Mireylle aus dem Haus und sah die deutlich reduzierte Gruppe vom Wald her nahen.

Die zurückkehrenden Krieger sahen schrecklich aus. Einige humpelten und wurden von ihren Kameraden gestützt, die meisten trugen schwere Wunden, welche sie nur notdürftig verbunden hatten. Selbst Minas an ihrer Spitze war verletzt. Mireylle rief die Rückkehr der Männer aus und eilte der Gruppe entgegen. Lazina und Maviane, die ihr aus dem Haus gefolgt waren, liefen zum Hospital um alles vorzubereiten. Mireylle spähte im Rennen nach Finior. Wieder seine Gewohnheit lief er nicht neben Minas her. Ihre Blicke durchstachen die dreißig Mann starke Gruppe und entdeckten schließlich Elantes, der Finior stützte. Vor Schreck blieb Mireylle stehen. Die silbernen Haare des Dämons standen vor getrocknetem Blut, sein Gesicht und sein Körper waren von Wunden überzogen und durch den dicken, blutgetränkten Verband um den Magen konnte man den schweren Schnitt erkennen, wo die notdürftigen Bandagen verrutscht waren. Eine Bewegung fing Mireylles Blick und sie sah Minas mit einem Lächeln winken. Irritiert fixierte sie seine Züge. Genugtuung brannte in ihnen.

Mireylle kam ihnen die letzten paar Meter entgegen und schob sich umsichtig durch die Gruppe zu Finior durch. Er war Totenbleich und schlief vor Schwäche beinahe im Gehen. Innerlich fluchte Mireylle über den Stolz der Dämonen, der Finior untersagt hatte, sich tragen zu lassen. Sein schlechter Zustand traf sie sehr. Auch wenn er nur wenige Worte mit ihr wechselte half er ihr stets.

Mireylle sah sich um und merkte sich die Anzahl der schwer Verletzten. Sie bedeutete Elantes, sich zu beeilen und rannte vor, um Krankenbetten für sie vorzubereiten. Einige Helfer eilten ihr bereits mit Tragen entgegen.

Die Heilfrauen hatten sich im Hospital eingefunden, Menschenfrauen sowie magisch begabte Dämonen liefen umher, um alles für eine schnelle Versorgung vorzubereiten. Maviane kam Mireylle mit besorgter Miene entgegen. „Was ist passiert, Kind?“

Mireylle schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, aber zehn der Männer fehlen und die anderen sind alle verwundet, viele schwer. Ich muss zu Leha, sie soll Finior zuerst behandeln. Er ist mehr tot als lebendig.“

Die mächtigste Heilerin des Dorfes stand am Kopf des Krankensaals und dirigierte die anderen. Ihr scharf geschnittenes Gesicht zeigte die prozedurale Strenge einer erfahrenen Heilkundigen. Die Augen der höchsten Heilerin fixierten Mireylle scharf, als diese sie unterbrach. „Ja?“

„Zwölf Schwerverletzte sind unterwegs und Finior sieht sehr schlecht aus. Ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt. Sein Bauch trägt eine tiefe Wunde. Kannst du…“

„Schon gut, ich kümmere mich um ihn. Hilf Maviane, das Operationszimmer vorzubereiten.“. Sofort richtete Leha ihre volle Aufmerksamkeit wieder auf die Vorbereitungen und eilte dann selbst davon, als die ersten Verletzten herein getragen wurden.

Mireylle folgte Lehas Anordnung und schon bald war das Operationszimmer bereit, einen Patienten aufzunehmen. Die Tür sprang auf und zwei Dämonen trugen Finior hinein und legten die Trage auf den Operationstisch. Mireylle schluckte bei seinem erbärmlichen Anblick betroffen. Leha betrat entschlossen den Raum und machte sich in einer Ecke fertig. Das Desinfektionsmittel glich im Geruch dem aus Mireylles Welt. Es war abscheulich.

„So, nun alle raus hier“, bellte Leha. Noch ehe Mireylle reagieren konnte, fügte sie „Ihr beiden helft mir.“, hinzu.

Mireylle und Mavi halfen Leha, den unordentlichen Verband zu entfernen und die Wunde zu waschen. Magisch zugefügte Wunden heilten nur schwer, selbst bei Dämonen. Und bei besonders schweren Flüchen musste man alle chirurgischen und magischen Mittel benutzen, damit der Patient überlebte. Mireylle hatte Leha erst ein Mal bei einer Operation geholfen. Am schlimmsten war das Blut, doch Mireylle hatte gelernt sich zusammenzureißen und den Schwindel zu unterdrücken, der sie beim Anblick offener Wunden packte. In einem Rebellenlager musste man sich mit der Zeit daran gewöhnen.

Eine tiefe Schnittwunde durchzog Finiors Bauch. Nicht nur das Fleisch hatte gelitten. Selbst das Gedärm darunter quoll blutend hervor, als sie die letzten Reste des Verbandes entfernten. Mireylle wandte den Blick ab und schluckte erneut. In ihrer Welt hätte der Patient als tot gegolten. Vermutlich wäre er das auch bereits gewesen, aber dieser Dämon hatte den ganzen Weg bis ins Dorf überstanden. Er musste einfach überleben, es fehlte ihm offensichtlich nicht an Lebenswillen. Eilig wischte Mireylle die verstohlenen Tränen beiseite und ergriff Finiors eisigen Hände, während Leha schon die erste Heilmagie zu wirken begann und langsam in Singsang versank. Maviane ergriff Nadel und Faden und vernähte das Gewebe über den magisch verheilenden Gedärmen. Kurz verschwand die Trübe aus Finiors Blick und er sah an ihr vorbei zur Decke, musterte diese verwirrt, dann schwanden seine Sinne. Mireylles aufkeimende Hoffnung verflog augenblicklich. Lehas Beschwörungen klangen immer härter, immer brüchiger. Erschrocken beobachtete Mireylle, wie der Heilerin die Kräfte schwanden. Die sonst so unbezähmbare Dämonin verwelkte unter der Anstrengung, doch noch immer beherrschte Entschlossenheit ihre Züge.

„Die Wunden heilen, aber er schwindet!“, presste sie angestrengt hervor. „Ich kann ihn kaum halten!“

Maviane verließ den Raum. Sie wollte eine weitere Heilerin rufen. Doch sie alle waren beschäftigt, das wusste Mireylle. Es hatte so viele schwer verwundete gegeben. Sie konnte ihn so nicht sehen. Sie konnte ihn nicht einfach sterben lassen. Leha stand vorn übergebeugt über Finior, die Hände auf der Wunde, in leises Murmeln verfallen. Wieso dauerte es so lange? Auch Mireylle konnte Finior schwinden spüren. Nein! Das durfte nicht passieren! Sie wollte ihn nicht sterben sehen. Sie begann zu weinen, still schluchzend hielt Mireylle die eisige Hand und die tränen rannen ihr in Strömen über die Wangen. Und mehr und mehr schwand Finior ihnen unter den Händen weg.

Ruckartig wischte sie die Tränen beiseite. Sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Leha tat es auch nicht. Sie kämpfte verbittert um sein Leben. Mireylle wollte diesem Beispiel folgen. Sie wünschte, ihr helfen zu können, doch selbst wenn sie irgendeine Magie besaß war sie unfähig, diese ein zu setzten. In einem irrwitzigen Anflug von Hoffnung, Wahn und Aberglauben legte Mireylle die freie Hand auf Finiors Herz. „Geh nicht!“, flüsterte sie. Spürte sie da tatsächlich Wärme unter ihrer Hand? Der letzte Rest seiner Körperwärme?

„Geh nicht, bleib bei uns Finior!“, wiederholte sie immer wieder. Ihr Herz griff nach der Wärme, um sie in ihm festzuhalten. Einbildung vermutlich, doch es half ihr.

Sie konnte es. Die Gewissheit stellte sich plötzlich und unerwartet ein und ließ jeden Zweifel verblassen. Eine Stimme hallte in Mireylles Kopf wieder:

Ja. Tu es, Tochter der Lumini.

Bei Mireylle hatte sich die magische Sicht eingestellt und zum ersten Mal erblickte sie einen schwindenden Lebensstrom. Er leuchtete nur schwach in einem blassvioletten Ton und entwand sich aus dem Raum, dem Himmel entgegen. Einem Faden gleich zog er sich hin, weg von dem Körper, der ihn so sehr brauchte. Instinktiv ergriff Mireylle de Faden mit ihrem Blick und zog ihn mit aller Kraft zurück in den kalten Körper. Sein Lebensstrom leuchtete heller, glomm und strahlte dann blendend hell. Undeutlich spürte Mireylle wie die Kraft aus ihr heraus rann und Finiors Lebensstrom umfing. Sie ächzte unter der Anstrengung. Die ungewohnte Konzentration ließ ihren Kopf schmerzen und forderte immer mehr Willenskraft, doch sie konnte bereits erkennen, wie der Lebensstrom seinen Körper zu umfangen begann und sein Mana sich wieder bildete, das magische Grundgerüst seiner Seelenmagie. Seufzend ließ sie von ihm ab und die magische Sicht verschwand. Er würde überleben.

Glücklich stellte sie fest, dass Finiors Hände wärmer geworden waren. Auch Leha beendete gerade die körperliche Heilung. Sie sah völlig fertig aus. Schweiß rann ihr über das Gesicht, das selbst blass und wächsern geworden war. Sie nickte Mireylle zu und ging zum Waschbecken, um das Blut von den Händen zu spülen und frisches abgekochtes Wasser zu holen. Mireylle wollte ihr helfen, aber Finiors Griff um ihre Hand wurde fester. Mireylle drehte sich nach ihm um und erkannte ein Leuchten in seinen verschleierten Augen. Er lächelte ihr zu. „Du hast ein wunderschönes Mana“, flüsterte er mit versonnenem Blick und schloss die Augen. Mireylle behielt das erwiderte Lächeln auf den Lippen und half Leha einen Verband um die magisch verschlossene Wunde zu wickeln. Dann wischte sie Finiors Gesicht.

Leha sah sich die Wunden darauf an und winkte müde ab. „Selbst für die reichen meine Kräfte nicht. Eine der Anderen muss das erledigen, ich brauche eine Verschnaufpause. Hoffentlich haben die anderen sich auch so gut geschlagen wie wir.“

Kurz entschlossen legte Mireylle eine Hand auf seine Gesichtswunde und konzentrierte sich, doch nichts geschah. „Heile“, sprach sie beschwörend, aber es erfolgte keine Reaktion. Verwirrt blickte sie zu Leha.

Diese nickte. „Das habe ich geahnt. Vielleicht hast du es nicht wahrgenommen, aber das was du getan hast hat keine einzige Wunde heilen können.“

Mireylle schaute erstaunt. War es doch nur Einbildung gewesen? Aber warum fühlte sie sich dann so ausgelaugt?

Doch Leha lächelte aufmunternd. Dann wurde ihr Gesicht ernst. „Es war beängstigend. Das was du mit ihm getan hast. Wir Heilerinnen sind fähig, Wunden zu heilen, die guten sind fähig, einen Körper zu retten, selbst wenn der Geist in ihm schwindet.

Das ist einer der Schocks, die eine Heilerin in ihrer Ausbildung überstehen muss. Jede von uns heilt einmal einen Körper und stellt fest, dass der Patient tot ist, obwohl sein Körper lebt. Er wird zu einer leeren Hülle.

Deswegen werden wir ausgebildet, darauf zu achten, ob es sich überhaupt noch lohnt den Körper zu retten. Manchmal gelingt es, den eist zurückzuholen, indem man schnell heilt und all seine Magie in den Körper hineinpumpt. Es gibt schwierige Beschwörungen und Rituale dazu, den Geist etwas verharren zu lassen. Doch man braucht mehrere Heilerinnen, da man nicht beides zusammen machen kann.“

„Das habe ich getan? Ihn ein wenig festgehalten?“, unterbrach Mireylle sie erstaunt.

Doch ein lächeln spielte sich auf Lehas Lippen, das nur schwer zu deuten war. „Nein“, antwortete sie. „Du vermagst etwas viel schrecklicheres zu tun. Ich frage mich, ob du ihn wohl auch tot zurückgeholt hättest.“

Mireylle verstand nicht, was Leha meinte. Verwirrt blickte sie ihr in das ironisch verzogene Gesicht.

„Du konntest seine Wunden nicht heilen, Mira. Doch deine Magie hat seine Seele gepackt und in den sterbenden Körper zurückgezogen.

Verstehst du?

Du hast seine Seele an den Körper binden können. Selbst wenn dieser bereits tot gewesen wäre. Ich weiß nicht, wie lange die Bindung halten würde, doch deine Macht hätte es vermocht, einen lebenden Geist an einen toten Körper zu fesseln.

Versteh mich nicht falsch. Diese Fähigkeit ist wunderbar. Sie gehört zu den Dingen, die man mit der Dämonenmagie nicht fassen kann. Aber auch sie birgt ihre Gefahren in sich. Du darfst sie nicht ohne Heilzauber gebrauchen, sonst wirst du etwas Widernatürliches erschaffen.“

Mireylle nickte und lehnte sich gegen eine Wand. Das verschlug ihr die Sprache.

I einem Anflug von Pflichtbewusstsein richtete sie sich auf, wusch die Hände und trat aus dem Operationszimmer, um weiter zu helfen. Der Krankensaal war in purem Chaos versunken. Der Geruch von Desinfektionsmitteln hatte sich mit dem metallischen Duft des trocknenden Blutes vermischt und erregst erneuten Ekel in Mireylle.

In ihrer Erschöpfung wankte sie nur langsam durch die Reihen und erst viel zu spät wurde sie der Schreie gewahr die von außen in die Krankenstation drangen.

Schrecken breitete sich in ihr aus, als sie zur Tür eilte und diese aufriss. Aus der Ferne näherte sich eine Gruppe von etwa Hundert Dämonen in den Söldnergewändern Lord Lamerians.

Die wenigen unverletzten Rebellenkrieger griffen zu ihren Waffen, doch die Aussichtslosigkeit dieses Kampfes war bereits abzusehen. Sie standen gegen eine Übermacht.

Wind, der über das Land streicht (2)

Das Gemetzel hatte bereits begonnen, als Minas aus seiner Hütte stürmte und mit Elantes eine magische Schutzmauer zu errichten versuchte. Doch die Angreifer überrannten die spontane Barrikade einfach und gelangten immer tiefer ins Dorf. Mireylle stand noch immer wie angewurzelt inmitten von staubiger Hitze und starrte ungläubig die Übermacht der Söldner an. Was für eine Chance hatte das Dorf jetzt noch, selbst wenn Minas doppelt so entschlossen kämpfte? Sie schwankte und stolperte ein paar Schritte rückwärts, fiel über ihre eigenen Beine und kroch anschließend rückwärts durch den Staub. Mireylle fühlte sich erbärmlich und schwach, aber noch nie hatte sie dem Tod, der völligen Vernichtung allen, was sie lieb gewonnen hatte, so nahe in die Augen gesehen. Verängstigt richtete sie sich auf und lief geduckt zurück ins Hospital, dessen Eingang noch am besten geschützt war. Die allgemeine Panik missachtend blieb sie in der Tür stehen und beobachtete das Geschehen, während ihr Kopf unentwegt nach einer Lösung suchte. Der Wunsch, wie ein Märchenheld hinaus zu stürmen und sich der Übermacht zu stellen brannte tief in ihr, obwohl ihr ihre eigene Schwäche nur allzu bewusst war. Sie hätte den verzweifelten Rebellenkriegern nur im Weg gestanden und würde zudem noch beschützt werden müssen. Indem sie ihnen aus dem Weg ging, leistete sie das Beste, was sie konnte. Und je mehr Krieger sie blutend zu Boden fallen sah, desto bewusster wurde ihr, dass sie niemals würde töten können.

Inzwischen wurde Mireylle klar, dass sie die Menge der Angreifer überschätzt hatte. Es schienen jetzt nur knapp doppelt so viele Söldner wie Rebellen da zu sein. Doch noch immer waren es zu viele Gegner, denen die verletzten und erschöpften Rebellen zu trotzen hatten. Minas sprang und verstärkte sein Auftreffen auf dem Boden magisch zu einer Erdwelle, die seine vier Angreifer aus dem Gleichgewicht brachte. Er wirbelte herum und erschlug einen von ihnen, wurde selbst jedoch von der Klinge eines zweiten am Schwertarm geschnitten. Die Wunde verschwand augenblicklich. Im Zorn tötete Minas den zweiten und warf sich den anderen beiden entgegen.

Unweit wütete der Heerführer Lamerians wie ein Sturm. Angewidert wendete Mireylle den Blick von diesem Blutbad ab. Ihr Geist suchte nach einem Weg zu helfen. Warum sollten andere ihr Leben zum Schutz des Lagers geben und sie nicht? Vielleicht war sie unfähig zu töten, doch sie konnte die Feinde wenigstens verwunden, auch wenn sie ihre Hände damit nicht mehr in Unschuld waschen konnte. Doch war dies in dieser Situation überhaupt noch möglich? Zu viele starben hier auch zu ihrem Schutz. Sie bewegte sich an der Hauswand entlang von Minas und den anderen fort und bückte sich im Schatten einiger Tonnen nach dem Bogen eines gefallenen Kriegers und vermied dabei, ihm in die Augen zu sehen. Nur umständlich konnten ihre zitternden Finger den Köcher von seinem Rücken lösen.

Mireylle atmete durch und legte den Pfeil auf die Sehne. Beim Zielen bemerkte sie einige der Jungen, mit denen sie das Bogenschießen gelernt hatte. Auch sie hatten zu den Waffen gegriffen. Mireylle verschoss einige Pfeile, mit denen sie drei Gegner an Oberschenkel und Schultern erwischte. Das Amulett hielt sie vor den Blicken ihrer Feinde verborgen.

Ihren letzten Pfeil anlegend sah sie zu Minas hinüber, der nun völlig von Gegnern umringt war. Ihr Stutzen hatte jedoch nichts mit der Übermacht um Minas oder der verlangsamten Heilung seiner Wunden zu tun. Irgendetwas lag in der Luft, einer bekannten Melodie gleich oder einem wärmenden Strahl ihm Herzen. Sie wusste nicht, ob sie ihn schon erkannte, ehe sie ihn sah, doch widersinniger Weise freute Mireylle sich über Surells Anblick.

Mit beeindruckender Geschwindigkeit raste der Dämon auf das Schlachtfeld zwischen den Häusern zu und erschlug jeden, der die Uniform Lamerians trug. Sein Blick schwang suchend umher. Er wusste um ihre Nähe.

Mireylle holte erneut tief Atem und schoss einem von Minas Gegnern den Pfeil ins Bein. Surells Augen folgten der Flugbahn des Pfeils und richteten sich auf Mireylle. Sogleich kämpfte er sich zielstrebig zu ihr durch. Er musste sie trotz des Zaubers gesehen haben. Vielleicht, weil er ihr nicht feindlich gesinnt war, überlegte sie. Erst nachdem er sich ihr auf einige Schritte genähert hatte, begann er zu lächeln. Er schenkte ihr ein Lächeln, das vor Wiedersehensfreude und Triumph strotzte.

„Na endlich!“, sagte er und drückte sie an sich, nur um augenblicklich loszulassen und einen anschleichenden Gegner abzuwehren. „War gar nicht einfach, dich zu finden, Mireylle“.

Alle grimmige Entschlossenheit fiel von Mireylle ab und ihre Antwort blieb ein leises Schluchzen.

Surell lachte und drückte sie noch einmal an sich. „Soll ich ihnen gegen Lamerians Truppe helfen?“, fragte er mit einem Schwenk zu den Rebellen am Eingang des Hospitals.

Mireylle nickte und sah Surell nach, der sich wieder in den Kampf stürzte. Sein Kampfstil zeigte Energie und trug so etwas wie einen verspielten Zug. Mireylle entschied, sich weiter vorzuwagen und einige Pfeile ein zu sammeln. Ihre Blicke folgten aber dem elanvollen Heerführer Shahaans, der bereits eine breite Schneise ins Feld der Angreifer geschlagen hatte.

Noch ehe Mireylle es geschafft hatte, einen neuen Köcher zu finden, war der Kampf beendet. Minas erschlug gerade seinen letzten Gegner, während Surell seine Waffe mit dem Hemd seines letzten Gegners abwischte und in die Scheide steckte. Die Rebellenkrieger begannen bereits, das Feld zu räumen und Verletzte wegzutragen, als Surell zu ihr zurückkehrte. Minas folgte ihm, doch sein Blick federte nicht so sehr wie sonst, er musste sich sehr verausgabt haben.

Elantes stieß gerade zu ihnen, als Minas Luft holte. „Wer bist du, Fremder? Du kämpfst wie ein großer Krieger. Unter wessen Befehl stehst du?“

Surell drehte sich nicht einmal zu ihm um. „Wo können wir reden, Mir-“.

„Mira“, fiel Mireylle ihm ins Wort. Er wollte reden, das gab Anlass zu hoffen. Doch sie begann plötzlich zu zittern, als das Grauen um das Geschehene und tonnenschwere Schuldgefühle über sie hereinbrachen. Unfähig, Surell zu antworten stand sie nur da und starrte durch ihn hindurch auf die Leichen, die verstreut auf der Straße lagen. Sie schienen vor ihren Augen zu vergehen. Mireylle nahm die aus ihnen schwindende Lebensenergie wahr und die Tränen brachen aus ihr hervor, als sie spürte, dass dieses Leben nie wieder in diese Welt zurückkehren würde. Sie starrte die schwindende Energie an und spürte den Schwindel in sich aufsteigen. Nur vage registrierte sie den auf sie einredenden Surell, der sie am Arm packte, als sie zu schwanken begann. Wie gern wäre sie einfach in Ohnmacht gefallen, doch etwas hielt sie bei Bewusstsein und zwang sie das zerstörende Schauspiel zu Ende zu beobachten. Mireylle beugte sich von Surell weg und übergab sich. Anscheinend würde ihr keine Art der Demütigung erspart bleiben.

Surell nahm sie auf die Arme, doch ihr Verstand hatte sich wieder etwas geklärt und sie befreite sich strampelnd aus ihnen. „Ich kann alleine stehen, danke“, murrte sie.

Erst jetzt bemerkte sie Minas Wut darüber, weiterhin ignoriert zu werden. Er packte Surell bei der Schulter und riss ihn zu sich herum. Surell gab nach und drehte sich um, sein Blick ein kaltes Feuer. „Was willst du, Junge?“

„Ich bin der Führer dieser Männer, Minas Tinir, und kein Junge!“, raunte der Rebell. „Also erklär dich. Wer bist du und was machst du hier? Unter wessen Befehl stehst du?“

Surell hob kunstvoll eine Augenbraue und sprang unerwartet hoch, zog sein Schwert und rammte es tief in den Boden, sodass dieser unter der Kraft erbebte. Minas und Elantes hielten mit einem Mal wieder ihre Waffen in den Händen. „Ich bin ein Dämon und ein Krieger. Und so wie es die Art der Dämonen ist, stehe ich nur unter meinem eigenen Befehl und bin hier weil dies mein Wunsch ist. Und von welchen Männern redest du da? Ich sehe nur einen Haufen Verletzter, keine kampffähige Truppe, die man führen könnte.“

Minas Zähne knirschten vor Zorn. „Willst du mich herausfordern? Das kannst du haben! Für dich reichen meine Kräfte allemal!“ Er hob erneut das Schwert, um Surell zu drohen.

Mireylle war das ganze ebenso leid, wie Elantes, der ihr einen bittenden Blick zuwarf. Es widerstrebte ihm, jemanden zu bekämpfen, der eben noch an seiner Seite gekämpft hatte. Sie trat vor und legte ihre Hand auf den Arm des Heerführers. „Bitte“

Erneut wandte Surell sich ihr zu. „Reden wir?“

Sie nickte ergeben.

„Nun gut. Mein Name ist Surell und ich bin wegen Mira hier. Euch geht das nichts an.“, erklärte er den beiden anderen. „Habt ihr was dagegen, uns ein wenig Privatsphäre zu gönnen?“

Nach kurzem Zögern steckte Minas sein Schwert weg und zusammen mit Elantes ging er los, um den anderen mit den Leichen zu helfen.
 

Mireylle und Surell wandten sich ab und liefen schweigend nebeneinander her in Richtung des Flusses. Die Dämmerung riss das Land nun endgültig an sich und tauchte die Welt in dunkle Rottöne.

„Warum bist du weggegangen?“, sagte Surell leise mehr zum Fluss als zu ihr.

„Du hast sie denken lassen, wir wären ein Paar, ich habe es in Minas Augen gesehen. Hättest du dir nicht etwas anderes einfallen lassen können?“

„Nun, ich hätte ihnen wohl besser gesagt, dass ich ein Häscher des Vampirlords bin und die Mylady zu ihm zurück zu bringen gedenke?“

Sie lachte trocken. „Gedenkst du das, ja? Warum hast du ihnen überhaupt geholfen? Du hättest mich packen und verschwinden können. Und behaupte jetzt ja nicht, du hättest es für mich getan.“

„Tja vielleicht möchte ich es mir mit der Mylady einfach nicht verderben?“

Ein zynischer Zug zierte Mireylles Gesicht, als sie ihm einen langen Blick schenkte. „Na sicher. Dein Blutdurst erscheint mir da viel plausibler. Für dich ist der Tod nur ein Spiel! Deine Hände stecken bis zu den Schultern im Blut anderer!“

„Ah, dann war das, was du getan hast, wohl was ganz anderes, wie? Deine Pfeile flogen wohl nur zufällig in Richtung der Kämpfenden?“

„Ich habe sie nur verletzt! Sie nur aufzuhalten versucht!“, erwiderte sie mit bebender Stimme.

„Versucht Ihr, Euch vor der Schuld zu drücken, Mylady? Diese Männer wurden von den Rebellen nur getötet, weil sie sich nicht verteidigen konnten. Du hast sie getötet, und wenn es nur verzögert war, mach dir da lieber keine Illusionen.“

„Nein! Das wollte ich nicht!“, schrie Mireylle und hämmerte wütend gegen seine Brust. Die Verzweiflung machte sie wahnsinnig. „Was hätte ich denn tun sollen? Sie kamen um alles zu zerstören, was ich lieb gewonnen hatte. Alle, durch die ich mich sicher und geborgen gefühlt hatte! Was hätte ich denn tun sollen?“

Surell hielt ihre wild um sich schlagenden Hände fest und zog sie zu sich. „Schon gut. Entschuldige.“

„Ich wusste nicht, was ich tun sollte.“, schluchzte sie an seine Brust gepresst.

„Du hattest keine Wahl, die gibt es nie. Und nun beruhige dich, du benimmst dich albern, Fräulein Unabhängig.“

Augenblicklich besann sie sich. Er hatte Recht. Sie stieß sich von ihm weg und ging davon, suchte Schutz in der Dunkelheit. Wie hatte sie sich nur so beschämend vertraut an ihn pressen können? Sie benahm sich genau wie das geistlose, schwächliche Mädchen, das sie nie hatte sein wollen. „Entschuldige, Surell“, sprach sie fest, als der Dämon sie einholte. „Als ich ging, wollte ich stark und unabhängig sein. Ich wollte weggehen und diese Welt für immer verlassen, deren Spielregeln ich so schlecht kenne. Und ich wollte keine Spielfigur für Shahaan sein. Aber ich habe keinen Weg zurück gefunden und nur noch wenig Hoffnung.

Und nun bist du hier, um mich zu dem zurückzubringen, wovor ich geflohen bin. Es hat länger gedauert, als gedacht, doch nun bist du hier.

Aber ich durchschaue es nicht ganz. Was machen wir gerade, wir beide?“

“Nun, ich betrachte es als Diskussion.“

Hoffnung flammte in ihr auf und tiefes Unverständnis. Er hatte doch sicher seine Befehle, oder war es, wie er es Minas gesagt hatte? Handelten Dämonen in solchen Fällen einfach eigenmächtig? Ja, was für ein Fall war es überhaupt?

Seine Gegenwart machte sie seltsam geborgen, auch wenn er derjenige war, der ihr vermutlich schon bald ihre Freiheit nehmen würde. „Darüber, ob ich zurückkehren muss?“

„Nein“, antwortete er schmunzelnd und hielt sie auf. Seine Arme schlangen sich um ihre Taille. „Darüber, wie lange ich noch warten muss“.

Surells warme Lippen legten sich auf die ihren. Noch ehe Mireylle sich sicher war, ob sie das wollte, überschüttete der Dämon sie mit fordernden Küssen, die all ihre Zweifel ertränkten. Ihr Herz pochte einfach zu schnell. Sie hatte ihre eigene Zuneigung zu ihm bemerkt, aber ein Teil von ihr hatte es immer für die Auswirkung seiner dämonischen Ausstrahlung gehalten. Nun war sie nicht mehr so sicher.

Die Dunkelheit schenkte ihr Schutz, als sie ihre Arme um seine Schultern legte. So ließen Schuldgefühle sich leicht verdrängen.

„Wirst du mich zurückbringen?“, fragte sie sanft.

Surell grinste breit. „Ich weiß nicht. Was meinst du, sollte ich?“

„Wenn du Shahaans Zorn fürchtest, solltest du das. Aber mir wäre es lieber, hier zu bleiben. Diese Leute treten mit ihrem Leben für ihre Rechte ein. Sie alle haben einen Grund, die Lords zu bekämpfen. Wirst du ihnen helfen?“. Ihr Blick wanderte zurück zum Dorf, wo die Anderen noch immer mit den Folgen des Übergriffs kämpfen mussten.

„Ich bin Remon Shahaans Freund, vielleicht der einzige, den er hat. Wir kennen uns schon seit Jahrhunderten. Ich weiß nicht, ob ich sein Vertrauen enttäuschen will. Und auch nicht, ob ich es überhaupt kann.“. Im Grunde hatte er den Vampirdämon wohl schon enttäuscht, sonst hätte dieser Surell keinen Spion nachgeschickt. Wenn er sich dafür entschied, ihr Zeit zu geben, würde er seinen Verfolger töten müssen.

Erneut zog er Mireylle an sich. „Ich kann dir Zeit geben, Kleine, doch nicht mehr. Glaub mir, es nützt nichts, sich gegen ihn zu stellen. Er wird seinen Willen bekommen und falls er ihn sich mit Gewalt nehmen muss, wird niemand etwas zu Lachen haben. Weder ich, noch du, noch dein kleines Rebellenvölkchen hier. Nur weil sie mächtig genug sind, um Waffen und Pläne zu stehlen oder kleinere Truppen zu vernichten, die sich auf dieses Gebiet verirren, sind sie der Macht eines Lords noch lange nicht gewachsen. Und Remon besitzt nicht nur die uralte Magie seines Titels. Er ist ein schlauer Kopf und ein mächtiger Magier und im Kampf somit nicht zu besiegen, auch wenn er kein hervorragender Kämpfer wäre.

Wir sollten uns nicht allzu offensichtlich gegen ihn stellen, wenn wir es auf ein langes Leben abgesehen haben.“

Mireylle löste seine Hände und ging ein Stück davon in die Dunkelheit. Surells Zuneigung verwirte sie, ließ ihr keine klaren Gedanken. Das war so unerwartet gekommen. Sie hatte immer heimlich auf eine romantische Begegnung, auf einen strahlenden Ritter auf einem weißen Ross gehofft. Sie hatte an wiederholte Zuneigungsbekundungen und Umsorgungen geglaubt, die eines Tages ihr Herz erweichen würden.

Stattdessen stand Surell plötzlich von fremdem Blut bespritzt vor ihr und küsste sie, ohne zu fragen. Und wider Erwarten war ihre eigene Reaktion Sehnsucht, nicht Abscheu, gewesen. Sie wollte, dass es echt war, ob es in Wahrheit seine Magie war, spielte keine Rolle. Und sie hasste es.

Ruckartig drehte sie sich zu Surell um, der sie mit einem seltsam wissenden Blick ansah und sie erstarrte, als die Welt wieder aus den Fugen geriet. Ihre Wahrnehmung war mit einem Mal wieder ganz und gar von Magie erfüllt. Und sie spürte den Sog und das Grauen. Die Welt erzitterte, als eine unbekannte Macht das Leben aus ihr riss. Mireylle versuchte zu schreien, aber erneut konnte sie die eigene Stimme nicht hören. Vor ihrem inneren Auge schwebte die Öffnung, durch die das Leben ins ewige, ewige Nichts gesogen wurde und erfüllte Mireylle mit neuerlichem Entsetzen. Nicht der Tod, sondern weitaus schlimmer. Ein Ende ohne Neubeginn, eine Zerstörung, eine Nichtexistenz, die so viel erschreckender war als alles andere.

Und schon spürte sie Leere, die sich wie ein Schleier über sie zu legen versuchte. Auch ihr Leben, ihr vom Körper noch gehaltenes Leben, wurde von diesem Sog angezogen. Nein, das wollte sie nicht zulassen! Sie musste sich doch irgendwie retten können. Und auch die anderen, die hier dem Tod soviel näher waren, als sie. Sie musste es können. Hatte sie nicht auch Finiors Seele festhalten können? Sie versuchte, die strahlenden Farben der Magie zu ignorieren und konzentrierte sich auf ihren inneren Rhythmus. Und sie hielt sich selbst fest. Ihre Wahrnehmung wanderte zu Surell. Er spürte es auch, und auch ihm machte es Angst. Sie griff nach seinem Geist und hielt ihn fest. Einem Netz gleich warf sie ihr Gespür aus und hielt jedes Leben in einem weiten Umkreis fest. Sie griff nach dem Dorf, den Bäumen und Tieren, den Insekten und den Fischen im Teich. Selbst nach dem Fluss des Wassers. Und eine bleierne Schwere befiel sie, ganz wie damals, als sie Shahaan zu helfen versuchte. Sie versuchte, alles zu retten, aber es zehrte sie auf, hielt sie einer Last gleich auf.

Plötzlich wurde alles schwarz und nur am Rande der Wahrnehmung bemerkte Mireylle das Zittern ihrer Beine, das Rasen ihres Herzens und die Kälte ihrer Hände. Surell hielt sie.

Dann verschwamm alles.

Surell nahm Mireylle hoch, als sie das Bewusstsein verlor. Er warf noch mal einen Blick zurück auf die Stelle, an der sie gestanden hatte. Die magische Entladung hatte alles im Umkreis von einigen Metern in Stücke gerissen. Der Heerführer analysierte das Geschehene, während er sich auf den Weg zurück machte. Er musste sie ins Bett tragen.

Die Welt hatte wieder eine Welle der Leere durchlebt und Mireylle hatte es gespürt, es magisch gespürt, nicht nur leicht und intuitiv eine Depression empfunden, wie normale Menschen. Ihre Magie hatte reagiert und dann war ihr Mana blendend weiß erstrahlt und hatte sich einem Deckmantel gleich ausgebreitet. Er hatte den Schutz sofort gespürt, die Leere hatte aufgehört, an ihm zu zehren. Ihre Magie verirrte Magiereste zusammengezogen und sie hatten den Naturgesetzen entsprechend gegensätzlich zu Mireylles Bemühungen reagiert und das aufprallen der gegensätzlichen Magien hatte schon wenige Augenblicke später in eine magische Entladung gemündet, die Mireylle mit voller Wucht traf. Es war ein Wunder, dass sie dies erneut überlebt hatte, aber in ihr steckte eine starke Macht, dessen war er jetzt völlig sicher.

Surell seufzte und betrachtete ihr bewusstloses Gesicht. Er hatte es versehentlich mit Blut verschmiert, das noch an seinen Händen geklebt hatte, so wie auch den Großteil ihrer Kleidung. Der Dämon in ihm lauschte auf ihren Puls. Die Tatsache, dass dieser sich stabilisierte, beruhigte ihn ein wenig. Es war dem Heerführer ungewohnt, sich Sorgen zu machen, doch er konnte nicht anders. Was hatte sie nur mit ihm angestellt? Er lächelte.

Kräfte, die binden

Ein leises Summen weckte Mireylle. Die Sonne stand schon sehr hoch und tauchte ihr Schlafzimmer in helles Licht. Ein Schatten fiel auf das Bett und als Mireylle hochsah, um seinen Ursprung zu suchen, erschrak sie. Traumprinz saß kopfüber an der Decke und starrte sie an.

„Die Leere…“, begann Mireylle.

Traumprinz drehte sich in der Luft um und schwebte über dem Bett. „Du hast versucht, es aufzuhalten. Was für eine Anmaßung. Und was für eine Ironie!“

„Wie meinst du das?“, fragte Mireylle verwirrt, aber der Dämon lächelte und winkte ab.

„Fürchtest du die Leere, die alles zu sich zieht? Spürst du die Erschütterung der Welt, ihre Verzweiflung?“, fragte er.

Mireylle zögerte. „Das und viel mehr. Es ist das Grauen. Wieso geschieht das? Sind es Risse in der Welt? Es fällt mir schwer, mir das vorzustellen. Aber andererseits bin ich seitdem ich in diese Welt gekommen bin Unglaublichem gegenüber nicht mehr so skeptisch.“

„Du bist auf dem richtigen Weg. Es sind die Risse, durch die die Leere zu uns gelangt. Doch du verstehst nicht. Gar nichts. Die Astrale binden die uralte Magie.“

„Aber… dann ist es meine Schuld? Ich habe sie von ihren Bestimmungsorten entfernt!“

Er lächelte. „Natürlich. Schuld ist etwas, das die Ewigkeit überdauert.“

Mireylle spürte es in dem Klang seiner Stimme. Er meinte etwas anderes. Unsicherheit und Verwirrung brandete in ihr auf. Wieso vertraute sie seinen Worten so sehr? Ein Name lag ihr auf der Zunge, doch sie wagte nicht, ihn auszusprechen. Würde er sie nur verwirrt ansehen, oder, viel schlimmer, würde er antworten? Sie brannte darauf. „Lumini?“

Traumprinz Lächeln erstarrte. Seine Stimme war tief und ernst, als er sprach: „Die Lumini. Suchst du deinen Ursprung? Ich warne dich. Dort wird auch deine Bestimmung lauern, Serenha Tsiu Linn. Der Schatten wird durch dich das Schicksal erfüllen.

Falls du die Vergangenheit suchst, Serenha, dann lass dich vom Prinz Ha di Sha zu den Ruinen der Lumini führen, zu der Oase Shi Wahlh Veresh, er kennt sie gut. Gehe zu den stillen Riesen von Au Tiu Ainn, Serenha. Suche die Wahrheit, ich werde dich nicht halten.“ Traumprinz Augen wurden schmal. „Traumprinz wird dich beobachten.“

„Was soll das alles bedeuten? Ich verstehe kein Wort! Serenha? Du meinst nicht mich!“, begann Mireylle, doch Traumprinz unterbrach sie.

„Ich kann dein Ahnen spüren. Ja, erinnere dich, Serenha!
 

Wind im Schatten,

Licht in den Blättern,

Feuer im Herzen,

Blut in der Luft…
 

Wärme in den Flügeln,

Kälte in der Ahnung,

Flucht in der Unschuld,

Trug in der Wahrheit…
 

Wind, der über das Land streicht…
 

Oh, ja. Ich erinnere mich.“ Und Traumprinz verschwand, löste sich vor ihren Augen auf.

Noch immer hallte die Melodie des fremdsprachigen Liedes in Mireylle wider, das Traumprinz gesungen hatte. Mireylle verstand jedes Wort, auch wenn sie sie vermutlich nicht nachsprechen konnte. Serenha, die Hohepriesterin. Erst jetzt wurde Mireylle die Bedeutung des Wortes klar. Doch wer war Prinz Ha di Sha, Prinz Wind-des-Schattens? Und diese Oase. Der Name war ihr so bekannt vorgekommen, so vertraut. Shi Wahlh Veresh, der Hain von Luft und Seele.

Traumprinz behielt Recht, Mireylle ahnte, dies alles schon vorher gekannt zu haben. War sie einst die Serenha gewesen? Welches Schicksal war es, von dem der Dämon gesprochen hatte?

War es ein Schicksal, das sie suchen wollte? Hatte sie mit Shahaan diese Welt zerstört? Zu viele Fragen drängten sich ihr auf. Traumprinz, wer war dieser seltsame Dämon? Er schien der Serenha nicht wohlgesinnt zu sein, doch Mireylle hatte er bei der Flucht geholfen.

Schritte näherten sich und die Tür schwang knarrend auf. Surell trat ein und näherte sich dem Bett. „Es geht dir schon besser?“

Düstere Entschlossenheit war in Mireylles Herzen immer stärker geworden. Es war eine Welt, und vermutlich war es auch ihre Welt, die Welt aus der sie stammte. All das wäre ihr als Mensch ihrer Welt nicht möglich gewesen. Das Wissen, das sie eigentlich nicht haben dürfte, die Erinnerungen, welche nicht die ihren sein konnten. Die Vergangenheit griff nach ihr und Mireylle spürte eine Sicherheit, die tief in der Erde wurzelte. Vielleicht konnte sie etwas tun, bestimmt sogar. Schließlich hatte ihre Magie dem Sog entgegenzuwirken vermocht! Sie musste es wissen.

Ganz von allein suchten Mireylles Hände den Weg in Surells. Ihr Blick musterte sein irritiertes Gesicht. Dämonen spürten, was in anderen vor sich ging. „Was sagt dir der Begriff Lumini, Surell?“

Der Heerführer überlegte kurz uns schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung, eigentlich nichts. Wie kommst du darauf?“

Seine Frage missachtend suchte sie einen anderen Hinweis. „Serenha? Shi Wahlh Veresh? Au Tiu Ainn? Die stillen Riesen?“ Doch Surell schüttelte weiterhin nur den Kopf.

„Die Menhire“, antwortete eine Stimme von der Tür. Finior betrat den Raum. „So wurden sie früher genannt. Stille Riesen. Es stand in einigen alten Schriften unserer Bibliothek. Sie sind die letzten Zeugen Jahrtausende alter Kulturen. Es gibt viele von ihnen, allein im Achatreich sind es ein Dutzend. Warum fragst du nach ihnen?“ Er trat näher und Mireylle konnte die Blässe in seinem Gesicht erkennen. Doch er wirkte ganz anders als sonst, wenn er trainierte, sich für den Kampf rüstete oder Pläne diskutierte. Die sture Verbissenheit hatte sich seit dem Tod seines Freundes in Finiors Züge gefressen, doch nun wich sie weitgehend einem Ausdruck, der schon fast philosophisch anmutete.

Mireylle zögerte, etwas von ihrem neu erlangten Wissen preis zu geben, vor allem, da es sich um Ahnungen und die Worte eines Fremden handelte.

„Was für eine Magie war es, die du gestern gewoben hast? Ich habe noch nie einen solchen Bannkreis gesehen.“, fragte Surell. „Eins steht fest. Du bist keinesfalls ein Mensch. Menschen haben keine Magie.“

„Das ist nicht wahr“, wandte Finior ein. „Ich fand es in den alten Schriften des Achatpalastes. Die Mythen von magisch begabten Menschen, die man Zauberer nannte. Sie sind wie viele andere Arten von dieser Welt verschwunden. Doch du kannst aus mehreren Gründen keine von ihnen sein. Der wichtigste ist aber die fein gesponnene Magie, die du gewirkt hast. Die Magie der Zauberer soll wesentlich gröbere Züge getragen haben, als die der Dämonen, und Surell war über die Feinsinnigkeit deiner Magie erstaunt.“

Surell nickte zustimmend. Seine Augen musterten Mireylles Gesicht, als versuchte er, ihre Gedanken zu erahnen. Diese Geste erinnerte sie an Lord Shahaan und sie wandte sich ab. Sie schlang das Tuch, mit dem sie zugedeckt worden war, enger um sich und stand auf. „Hast du sicher nichts über die Namen der Stillen Riesen gelesen, Finior? Sagen dir die Worte Shi Wahlh Veresh oder Au Tiu Ainn etwas?

Ich möchte diese Orte besuchen und herausfinden, wer ich bin.“

Unvermittelt stand Surell hinter ihr. „Was ist nur los mit dir, Mireylle? Woher die plötzliche Entschlossenheit?“

Finior sog den Atem zischend ein.

„Surell!“. Mireylle drehte sich zu Finior um, raste an ihm vorbei und verschloss krachend die Tür. „Achte auf deine Worte!“

„Ich bin ein Dämon, Mireylle. Ich weiß immer, was ich sage, und du willst diesen Ort doch sowieso verlassen, stimmts? Dann können wir auch etwas ehrlicher sein, nicht wahr?“

Surells provokante Stimmführung verfehlte ihre Wirkung nicht. Doch Mireylle gestattete es sich nicht, ihren Zorn zu zeigen. Sie hatte sich zu lange in der Gesellschaft von Dämonen aufgehalten, um sich nicht nach den Zweck dieser offensichtlichen Falle zu fragen. Mireylle war sicher, dass er das Rebellenlager tatsächlich verlassen wollte. In einem Streit würde sie mehr verraten, als in einem besonnenen Gespräch. Vermutlich war es das. Sie atmete langsam durch und setzte eine freundliche Miene auf. „Ich denke nicht, dass wir das tun sollten, Surell. Bitte zerbrich nicht das, was mich schützt.“ Sie warf einen prüfenden Blick auf Finiors Gesicht und las darin stummes Einverständnis. Ihr Verstand wollte diesem Eindruck nicht ganz trauen, doch sie gab sich vorerst zufrieden und ging zu Surell, der beleidigt aus dem Fenster starrte. Ein ungewöhnliches Bild des streitfreudigen Heerführers, dachte sie. Mireylle legte ihre Hände auf Surells Arme und suchte den Blick des Dämons. Dieser grinste das Fenster an, umschlang sie sanft und drückte sie an sich. Der letzte Rest von Mireylles Ärger verflog im warmen Rasen ihres Herzens. Sie war sich nicht sicher, ob dieses Rasen, die Freude, ihn zu sehen, ihm nahe zu sein, bereits Liebe war, doch das Gefühl war stärker als jedes andere Gefühl dieser Art, das sie jemals gehabt hatte. Kein Wunder, dass so man die Liebe als eine Schwäche bezeichnete.

Als Surell sich bückte, um sie zu küssen, blickten seine Augen über sie hinweg. Sie fixierten Finior, der hinter Mireylle bei der Tür stand, und verengten sich, ehe ihre Lippen sich berührten.

Mireylle löste sich von Surell und drehte sich Finior zu. „Wärst du bereit, mich zu den Stillen Riesen zu führen, Finior? Ich möchte nach Hinweisen meiner Herkunft suchen.

Mach dir bitte keine Gedanken wegen meines Namens. Ich wusste damals nur nicht, ob ich dir vertrauen kann, und habe deshalb gelogen. Ich dachte, meine Verfolger würden sich nach mir erkundigen, aber Surell hat mich auch ohne dies gefunden.

Was ist deine Antwort?“

Finiors Augen strahlten die Intelligenz geradezu aus. Sie flimmerten kurz, als er eine Entscheidung traf. „Soweit ich Minas nicht allzu lange im Stich lassen muss, bin ich bereit, dir einige der Stillen Riesen zu zeigen.

Du suchst nach deiner Herkunft und kennst sie nicht. Ich bin neugierig auf das, was du in Erfahrung bringst. Deine magische Begabung ist ein faszinierendes Thema.“

„Ich bin froh, dass du das so siehst. Ich brauche wirklich deine Hilfe.“

Surell legte eine Hand auf ihre Schulter. „Ich werde mitkommen.“

Die Tür flog krachend auf. „Und wohin geht die Reise?“, donnerte Minas. Sein Schwert deutete auf Mireylle und Surell. „Geh beiseite.“, sagte er zu Finior und schob ihn mit der Linken in Richtung der Tür. „Das ist Surell Haguren, ein Heerführer des Rubinlords. Und auch sein treuer Freund, wie man sagt. Kämpfe, Haguren!“

Mireylle trat auf Minas zu und hob besänftigend die Hände. „Hör zu Minas, er ist nicht in Shahaans Auftrag hier. Er ist nur…“

„Aus dem Weg, Mädel!“, donnerte Minas und schleuderte ihr etwas entgegen.

Noch ehe Mireylle die Schwingung von Magie als solche erkannte hob Finior die Stimme und brach den auf sie zukommenden Zauber mit einem Gegenspruch. Minas Blick traf ihn wie der Schlag einer Peitsche, doch das wahre Ziel des Rebellen blieb Surell, den er nun belauerte. Surell hingegen stand ruhig da, seine Hand lag auf dem Schwertgriff und ein Grinsen zierte seine Züge.

Minas verzog als Antwort einen Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln.

Mireylle stand neben Finior, der sie am Arm zurückhielt. Auch er hatte die Hand an der Waffe, doch er machte nicht den Eindruck, sich einmischen zu wollen. Sie beobachtete die beiden Kämpfer wie gebannt. Surell in seiner bedrohlichen Ruhe und Minas, der ihn mit gezückter Waffe lauernd umrundete. Sie beide trugen die Euphorie der Kampflust auf ihren Gesichtern.
 

„Wie steht es um deinen Auftrag, mein Diener? Was gibt es neues aus dem Rubinpalast zu berichten?“ Die Stimme der Mylady reflektierte an den Steinwänden und verlor sich in der Weite eines großen Raumes.

Die Stimme ihres Dieners antwortete nach einer kurzen Pause des Überlegens. „Mit meinem Auftrag geht es nicht voran, Mylady. Adriana lässt den Raum der Astrale nicht aus den Augen und erneuert die Schutzbanne jeden Tag. Sie lässt sämtliche Zugänge von der Palastgarde bewachen. Ich habe schon einiges versucht, um die Wachen weg zu locken und die Banne zu umgehen, aber meine Bemühungen blieben bis jetzt erfolglos. Ich kann nicht mehr viel unternehmen, Herrin, ohne meine Identität preis zu geben und nun kommt erschwerend hinzu...“

Die Lippen der Mylady wurden schmal. Das alles dauerte zu lange. „Ich brauche Ergebnisse, und zwar sofort!“

„Herrin, der Lord ist zurückgekehrt! Er ist gestern Abend eingetroffen!“ Seine Stimme tiefte von Unterwürfigkeit.

Mylady Deiedra unterdrückte einen Wutausbruch, doch ihre Stimme wurde dünn und zuckersüß. „Und warum, mein Diener, ist das nicht die erste Nachricht, die du mir weitergibst? Ich denke doch, dass dieses Wissen so fundamental wichtig ist, dass ich mein Vorgehen komplett umstellen muss. Also wäre es sinnvoll, dass du solche Nachrichten demnächst SOFORT ausrichtest.“

Er keuchte am Ende der langen Leine, die ihn in die Hände der Mylady legte. „Vergebung, Herrin!“

Deidara ließ den Zauber vergehen und wartete ab, während der Diener nach Atem heischte. „Ist das Mädchen bei ihm?“

„Nein, Herrin. Man sagt, sie wäre ihm entkommen und er hätte ihr den Heerführer Haguren nachgesandt.“

„Surell?“, sie wirkte erstaunt. „Dass er sich eine solch langweilige Aufgabe geben lässt ist höchst seltsam. Aber vielleicht ist diese Aufgabe ja gar nicht so anspruchslos, wie es sich im ersten Moment anhört. Schließlich hat sie es geschafft, Lord Remon Shahaan zu entkommen. Faszinierend und höchst bemerkenswert.“ Die Mylady ließ ihre Gedanken schweifen und von ganz allein entwickelten sie Theorien und spannen Szenarien. „Nun, was die Astrale angeht, werde ich wohl wieder meinen Diener Girall einschalten müssen. Ich habe ihn seit dem Vorfall mit dem Mädchen nicht mehr gesprochen, doch er hat gute Arbeit mit Shahaans kleinem Menschenkind geleistet.

Und du, mein Diener, wirst mich genauestens über jeden Schritt informieren, den Lord Shahaan tut. Ich will wissen, was er tut, mit wem er redet, wohin er geht, was er liest, selbst was er isst und trinkt. Alles. Mir darf nicht das kleinste Detail entgehen.

Ich werde weitere Dämonen einschalten, um ihn aus dem Palast fort zu locken. Ich will diese Astrale, sie alle. Und bald, schon sehr bald, werde ich mir die Urzauber des Rubinreiches aneignen.“ Sie belächelte sich selbst. Man redete nicht so viel von seinen Wünschen, sonst wandten sich diese gegen einen. Diesen Fehler hatte sie schon sein über einem Jahrhundert nicht mehr begangen. Vielleicht wurde sie ja langsam alt. Undenkbar, wenn man sie ansah, doch sie gehörte zu den ältesten Dämonen ihrer Zeit. „Nun gut“, sagte sie. „Ich überlasse dich deinem Auftrag und…“

Der Diener keuchte plötzlich und fiel ihr ins Wort. „Verzeiht Herrin, ich muss abbrechen. Etwas geschieht!“ Die Verbindung verschwand augenblicklich.

Mylady Deidara öffnete die Augen und blinzelte gegen das grelle Licht der Kerzen. Was konnte geschehen sein? Eine Entdeckung. Diese Art der Kommunikation war doch gefährlich, auffällig. Und sie musste ihre anderen Diener dringend aktivieren, ehe die Sache aus dem Ruder lief.

Shahaan war zurückgekehrt und er ließ nach diesem Mädchen suchen, was die Vermutung nur bestätigte, dass das Menschenkind etwas mit den Astralen zu tun hatte. Irgendwie war sie ihm beim Diebstahl der Astrale behilflich. Möglicherweise war etwas an ihrer magischen Begabung dran, von der Girall geredet hatte.

Und diese Schwankungen im magischen Gefüge, die sich immer mehr häuften, machten der Mylady Sorgen. Wenn sie mit dem Entfernen der Astrale von ihren Bestimmungsorten zusammen hingen, dann hatte Remon sich sehr verändert. Sie lächelte. Oder er hatte sich kein bisschen verändert und war noch immer der abenteuerlustige Genius, der er schon immer gewesen ist. Auf dem Gebiet der Magie gab es dieser Tage wohl keinen solchen Pionier wie Remon Shahaan.

Wie auch immer. Sie spürte einen Schatten über der Zukunft liegen und Remon war des Unheils Vorreiter. Sie musste ihn aufhalten, ehe es zu spät war. Und wenn sie dabei an seine Macht und sein Reich gelangte, war dies durchaus nicht zu verachten.

Die Welt war im Wandel, und sie, Mylady Deiedra, war zum ersten Mal sein fünf Tausend Jahren wieder unsicher. Sein Sieg hatte Shahaan so mächtig gemacht.

Die Tür knarrte leise und nur aus Entgegenkommen sah die Mylady auf und betrachtete den goldhaarigen Jungen, der verkrampft an den Türrahmen lehnte und sie mit Feuer in den Augen fixierte. Die Statur eines Knaben vermochte nicht die Macht zu kaschieren, die der Lord in sich trug.

„Einen guten Abend, Villian, mein Gemahl. Welch seltener Besuch mich heute beehrt.“

Der Knabe stand mit einem Mal dicht vor ihr und seine Puppenlocken zitterten vor Wut. „Wage es nicht, mich zu verspotten, Deiedra.“, zischte Lord Alesan. „Deine zweihundert Jahre mehr machen dich nicht viel weiser als mich, Mylady. Und auch nicht mächtiger“.

Die Mylady lächelte. Nein, mächtiger machten sie sie tatsächlich nicht. Doch für die Weisheit spielte Zeit keine Rolle. „Wie ihr wünscht, mein Lord. Womit also kann ich euch behilflich sein? Hat Euer Gespiele Anareas Euch heute nicht zufriedengestellt?“

Das Dämonenfeuer glühte in den Augen des Lords auf. „Lass ihn aus dem Spiel!“, ertönte seine Stimme in ihrer vollen Höhe. „Sonst überlege ich mir vielleicht, meine Rechte als Gemahl einzufordern, Mylady.“

„Daran habt Ihr schon lange das Interesse verloren, mein Herr. Weswegen seid Ihr hier?“

Sie massierte eine ihrer Schläfen, während der Lord vor ihr sich sichtbar entspannte.

„Weißt du, was Shahaan plant? Ihr beide kennt euch schon so lange.

Er hat den Krieg gewonnen, in den Lamerian ihn verstrickt hat. Und er hat es trotz der alten Gesetze des Fürsten gewagt, den Thron des Achatreichs an sich zu nehmen. Das hat es noch nie gegeben. Doch warum bestraft der Fürst ihn nicht?“

„Ihr denkt sicher an das Gerücht um Shahaans Besuch im Fürstenpalast?“. Sie wusste, worauf die Frage hinauslief, doch auch sich selbst hatte Deiedra dies nicht beantworten können.

„Hälst du es für möglich, dass Remon Shahaan im Auftrag des Fürsten handelt?

Er erobert eines der Reiche und stiehlt die Astrale, die diese Welt stützen. Doch trotzdem ereilt ihn keine Bestrafung. Der Fürst ist gnadenlos, das bleibt unbestritten.“

„Und die Welt…“, begann sie.

Mit einer nervösen Handbewegung strich der Lord eine Locke aus dem Gesicht. „Die Welt beginnt zu schwinden. Diese Schwankungen der Magie, sie verschlingen sie nach und nach. Was ist, wenn der Fürst unserer überdrüssig ist?“. Der gewohnte hysterische Unterton schlich sich in die Stimme Alesans.

Doch Deiedra schenkte ihm nur einen spöttischen Blick. „Was, mein Lord, würdest du denn dann tun? Würdest du hinausziehen, um gegen den Fürsten anzutreten?

Welchen Sinn hat es, darüber nachzudenken, ob Shahaan mit ihm im Bunde ist? Es ändert nichts an dem, was du als nächstes zu tun gedenkst. Nur, weil er den Schutz des Fürsten genießen könnte, willst du ihm doch sicher nicht die Astrale überlassen, die die Magie unseres Landes seit dem Beginn der Zeit stützen? Auf diese Weise würdest du ihm das Saphirreich schenken.“

„Was also empfiehlst du mir zu tun, Deiedra? Soll ich mein Heer auf das Rubinreich losschicken? Soll ich meinen Hals und vielleicht auch den deinen riskieren, indem ich den Günstling des Fürsten herausfordere?“

Deiedra erhob sich und blickte tief in die Augen ihres Gemahls. „Wenn Shahaan sein Werk fortsetzt, wird diese Welt Stück für Stück zerfallen! Sieh, was es schon jetzt mit der Magie anrichtet! Es gibt Zeiten, da schwindet meine Macht! Und die eines jeden magischen Wesens ebenso. Was fühlst du in den düsteren Stunden, wenn das Gefüge der Magie zu schwanken beginnt, wenn sie in uns schwindet und nichts zurücklässt, als Leere und Hoffnungslosigkeit? Kannst du die Welt nicht vergehen fühlen, nicht den Schatten des Untergangs spüren, der auf ihr lastet?“ Langsam sank die Mylady in die weichen Polster ihres Sessels und schloss die Augen. Sie atmete langsam durch, ehe sie erneut die Stimme erhob. „Ich versuche herauszufinden, was Lord Shahaan plant und wie man ihn aufhalten kann. Gleichzeitig werde ich versuchen, seine Macht im Rubinpalast zu untergraben. Du, mein Gemahl, solltest deine Truppen an beiden Grenzen verstärken. Jetzt, da Lord Karigurou gesehen hat, dass der Fürst es zulässt, könnte er auf den Gedanken kommen, seine Macht zu verstärken, um Shahaan zu trotzen. Vielleicht auch, um sich zu einem neuen Fürsten aufzuschwingen, einem Herrscher, der alle vier Länder und deren Urmächte besitzt. Und das Saphirreich wird nur ein Meilenstein auf seinem Weg zu diesem Ziel sein.

Shahaan ist zurzeit mit anderem beschäftigt. Er sucht nach dem Gör, das er zur Mylady seines Landes gemacht hat. Sie scheint ihm entwischt zu sein, was nur bestätigt, dass es keine törichte Wahl gewesen ist.“

„Wir müssen also versuchen, Shahaan zu schwächen, ohne Karigurou zu stärken, nicht wahr? Ich denke, du hast Recht.

Es wird wie in alten Zeiten sein, Deiedra, nicht wahr? Wir arbeiten wieder ausnahmsweise demselben Ziel entgegen.“

„Ich habe deine Pläne immer unterstützt, wenn es die meinen nicht durchkreuzt hat, Villian.“

Der Lord lachte auf. „Sicher, wenn sie dich auf dem Thron hielten. Aber genug davon.

Ich frage dich: Kann man ihn nicht mit der Eigenart seiner Spezies drankriegen, Mylady? So, wie es damals mit allen seiner Art gemacht wurde? Es müsste auch bei ihm wirken.“

Deiedra schwieg und erhob sich. Nachdenklich streifte sie durch den Raum, den Blick Alesans im Rücken. Am Kamin blieb sie stehen und ihre behandschuhten Finger strichen seidig über einige Flakons, die auf dem Sims standen.

Die Relikte uralter Machtkämpfe, bunte Kristalle mit einst wertvollen Flüssigkeiten. Der Lord öffnete eine Hintertür des Raumes und begab sich tiefer in die Gemächer der Mylady.

Als er zurückkehrte hielt er lächelnd ein vergilbtes altes Buch in der Hand. „Du hast nicht viel verändert, meine Liebe. Ich habe es auf Anhieb wieder gefunden.“

Sie nickte stumm und er begann umsichtig, das Werk uralter Magie durchzublättern. Als er bei einer Seite verharrte, trat Deiedra zu ihm und überflog die vergilbenden Zeilen und die Skizzen.

„Er ist sehr mächtig geworden. Niemand kann sagen, wie er es damals überlebt hat, doch nun wird es schwer sein, ihn auf diese Weise zu besiegen. Die Mächte zweier Länder ruhen in ihm. Ich bin nicht scher, ob ein dreidimensionales Pentagramm dieser Art ihn auch nur halten könnte. Das heißt…“ Sie drehte sich weg und ging erneut nachdenklich auf und ab.

Alesan klappte das Buch zu und legte es auf einen der feingliedrigen Sofatische. „Kerumenium.“, sagte er. „Könntest du es zusammenbrauen?“

Die Mylady wandte sich mit einem vorwurfsvollen Blick zu ihm um. „Selbst wenn ich eine Dienerin die Zutaten zusammenmischen lasse, würde ich dennoch für Tage meine Magie verlieren, denn sie können die nötigen Zauber nicht wirken und ich könnte es nicht aus der Entfernung tun!“

Doch anstatt den Gedanken zu verwerfen, nickte Alesan nur. „Und die Schutzzauber der Mylady würden dich ebenfalls vorübergehend verlassen, ich weiß.“

Entgeistert sah Deiedra den Lord an. „Ich wäre völlig ausgeliefert!“

Lord Alesan kam auf sie zu und legte eine seiner Knabenhände auf ihre Schulter. „Und ich werde dich schützen. Du weißt, ich habe meine Wahl nie bereut, im Gegenteil.

Ich geben natürlich zu, dich ab und an von Herzen gehasst zu haben, meine Liebe, aber ich habe nie deine Bedeutung für unsere Herrschaft über dieses Reich verkannt. Wenn du dich bereit erklärst, das Kerumenium zu brauen, werde ich dich daraufhin schützen, persönlich. Und wenn es dein Wunsch ist, werde ich Anareas töten. Dies ist mir wichtiger.

Keiner beherrscht die alten Zauber der Tränkebrauerei so wie du.“. Er grinste auf eine Weise, die ihn wirklich wie den siebzehnjährigen Knaben erscheinen ließ, dessen Körper er hatte.

„Lass dein Spielzeug ruhig am Leben. Nach ihm werden andere kommen.

Aber ich werde den Trank brauen, so sehr es mir um meinen Jugendfreund Leid tut. Du hast Recht, Villian. Dies ist wichtiger.“
 

Die kalten Flure der Katakomben reflektierten seine Schritte, als der Vampirdämon sie im Eilschritt durchquerte. Seine Wahrnehmung war bis ans Äußerste angespannt, ihm durfte nichts entgehen. Und da war es wieder, eine Kräuselung im Fluss der Magie, die er als uncharakteristisch erkannte. Eine hauchdünne Spur durchzog die Gänge und sie stammte weder von ihm, noch von denen, die als einzige hier gewesen sein durften.

Remon Shahaan erspürte die starken, warmen Stränge von Surells Magie, die Vorboten eines mächtigen Schutzbannes. Auch Arianas Macht durchströmte Luft und Gestein, verstärkte und nährte den Zauber des Heerführers. Über all dem lag der kaum wahrnehmbare Nachgeschmack einer magischen Entladung, an der eindeutig Mireylles ungewöhnliche Art der Magie beteiligt gewesen war. Nur schwer konnte der Dämonenlord sich von der Betrachtung der feingliedrigen magischen Gespinste lösen, die die Zeugen ihrer ehemaligen Anwesenheit in den Katakomben waren. Die fremdartige Schönheit dieser Magie erstaunte und fesselte Remon Shahaan noch immer.

Doch er war nicht deswegen hierher gekommen. Der Lord war einem Duft innerhalb des Bouquets von Magie gefolgt, der nicht hierher gehörte. Er folgte der Spur des Eindringlings. Arianas Zauber schienen den Eindringling nicht abzuschrecken, denn viele der Spuren waren nicht älter als drei Tage. Er lächelte innerlich. Vor drei Tagen hatte er selbst eine Nachricht an den Rubinpalast geschickt und seine Statthalter über den Sieg des Rubinreiches informiert. Möglicher Weise hatte es sich um einen Agenten des Achatreiches gehandelt, der nach dieser Nachricht keinen weiteren Sinn sah, in Shahaans heiligstes einzudringen. Die Rache der Vampirdämonen war berüchtigt. Zudem besaß der Vampirlord nun die Macht zweier Lords. Dies war eine überwältigende Erfahrung gewesen.

Die Schlachten um das Achatreich hatten sich lange hingezogen, denn Lamerian war immer tiefer in das Land hinein geflohen. Ohne den Lord des Reiches besiegt zu haben, konnte man es nicht wirklich einnehmen und so fanden sich immer wieder Dämonen im Reich, die ihr Leben für ihren Lord opferten. Auch das vordringen ins Reichsinnere hatte sich schwierig gestaltet. Die durch das fehlende Astral entfesselten Urmächte hatten Stürme und Gewitter unheimlicher Ausmaße verursacht. Magie war ziellos umher geflogen und hatte sich an den unmöglichsten Stellen in den undenkbarsten Gestalten manifestiert und für Unruhen, Krankheiten und Verletzungen im Heer gesorgt. Gestalten, die schon längst ihren Platz in den Sagen dieser Welt gefunden hatten, gingen, plötzlich befreit, umher und stifteten Unheil, wo sie auch waren. Nur durch seine Kenntnisse der alten Magie hatte Shahaan einen Schutz gegen diese Monster der Urzeit entwickeln können, doch im Achatreich selbst kämpfte die Bevölkerung schwer mit den Plagen der Vergangenheit.

Doch die Teile des Landes, die das Heer des Vampirdämonen bereits erobert hatte, wurden nach und nach von der Urmagie des Rubinreiches erfasst und geschützt.

Remon Shahaan erinnerte sich genau daran, wie ihm schließlich der Geduldsfaden gerissen war. Wie lange hätte er dem Achatlord noch nachjagen sollen?

Die Nacht war finster gewesen, als Remon es erneut gespürt hatte. Den Sog, der der Welt die Magie nahm. Jene mit großem magischem Talent litten am meisten darunter. Doch es war nicht die Art des Vampirdämons, sich der Verzweiflung dieser dunklen Stunde zu ergeben. Rasende Wut erfasste den Lord und zerschmetterte alles im Umkreis einer halben Meile, als die Magie zu ihm zurückkehrte. Augenblicklich sandte er sein Gespür in alle Richtungen aus um Lamerian zu erspüren. Seine Sinne bis an ihre Grenzen angespannt schuf er einen magischen Suchkreis und durchforstete das Achatreich geistig nach einer winzigen Spur fremder Lordmagie.

Das Heer hinter sich lassend folgte Remon Shahaan der Spur Lamerians bis tief ins Land. Dort, in den Bergen von She Re, stellte er den flüchtigen Lord.

Lord Shahaan fand das Lager Lamerians zur Mittagsstunde des folgenden Tages in einem Pass des She Re Gebirges. Der Achatlord, der sein Nahen im letzten Augenblick gespürt hatte, gab es auf, seine magische Aura zu verstecken und schleuderte dem nahenden Rubinlord all seine Macht entgegen. Shahaan hatte nur lächeln können, als er die grobe magische Verteidigung mit wesentlich weniger Machteinsatz durchbrach.

Der Uralte Bann der Lordmagie baute sich undurchdringlich um Lamerian auf. Mit seinem treuen Schwert Hadesschatten zerschlug Remon nach und nach die Eckpunkte des Schutzbannes, während seine Magie das Grundgerüst der Schutzmagie zu erhalten suchte. Eine magische Entladung würde ihn seinem Ziel nicht näher bringen. Er durfte das magische Gefüge nicht unkontrolliert zusammenbrechen lassen.

Lamerian schleuderte seinem Angreifer Flüche entgegen und der Rubinlord wurde unter dem Gewicht der Bannzauber langsamer. Wer einen Lord angriff tat das immer auf eigene Gefahr. Shahaan hatte seine Schutzmagie unterdrückt, denn sonst hätten die Lordmagien einen Kampf der beiden Herrscher unterbunden. Und nun stand er nur einen halben Meter vor dem Achatlord und atmete schwer unter der Last der Magie. Siegessicher zog Lamerian sein Schwert und führte einen Streich gegen den Rubinlord. Ein blutiger Striemen durchzog den Oberkörper des Vampirdämonen, der nicht einmal gezuckt hatte. Ein magischer Schutz hatte verhindert, dass das Schwert Lamerians den Rubinlord in der Mitte durchtrennte. Und erst jetzt erkannte der Achatlord, welch einen Fehler er begangen hatte.

Die Augen des Vampirdämonen glühten durch das fließende Blut rot auf und die sagenumwobene Macht seiner Rasse flammte heiß auf. Mit Leichtigkeit bewegte der Vampirdämon sich vorwärts und durchstieß das Herz Lamerians. Hadesschatten glühte heiß in der Wunde, als die Urmächte des Achatreiches sich vor Schreck zusammenkrümmten und verwirrt nach einem Ausweg suchten.

Lamerian strauchelte rückwärts. Keine Magie der Welt konnte eine solche Wunde heilen. Nicht eine Wunde, die von diesem Metall verursacht wurde. Benommen betrachtete Lamerian die schwarze Klinge, die durch die Schwertmagie leise surrte. Blut triefte von der Klinge. Mit glühenden Augen stieß der Vampirdämon erneut zu.

Durch eine trübrote Schicht blickend sah Lamerian, wie der Rubinlord genussvoll das Blut von der Klinge leckte, während die Urmagien zweier Reiche um sie herum miteinander kämpften und alles zerstörten, das ihnen in den Weg kam.

Die Erinnerung an den Moment, in dem die beiden Urmächte der Reiche verschmolzen, ließ das Herz Remon Shahaans höher schlagen. Eine Lordmacht an sich zu binden, sie in sich aufzunehmen, war wie schon beim ersten Mal eine eckstatische Erfahrung gewesen. Dieser Höhepunkt wurde von zahlreichen magischen Entladungen begleitet, in denen sich die inkompatible Magie aus den alten Zaubern löste. Doch nach der Vereinigung beider Mächte hatte eine nie gekannte Kraft den Körper des Lords durchströmt. Und ein Teil von ihm fühlte sich an die grenzenlose Macht des Fürsten erinnert. Vielleicht fühlte es sich ja so an.

Nach seinem Sieg war der Vampirdämonenlord mit dem Siegelring des Achatreiches zur Hauptstadt des Reiches, Messine, geeilt und hatte dort seine Macht demonstriert.

Systematisch hatte Remon Shahaan alle politischen Gegner festnehmen und ausschalten lassen, die seiner Vormachtstellung gefährlich werden konnten. Doch er hatte nicht vor, den Sieg länger als unbedingt nötig auszukosten. Er wusste, dass er in den Rubinpalast zurückkehren musste. Deshalb setzte er einen seiner Heerführer als Statthalter ein und gab ihm die wichtigsten militärischen Befehle. Perijdos würde sich um die letzten versprenkelten Truppen Lamerians kümmern.

Shahaan hatte dringende Dinge im Rubinreich zu erledigen und außerdem hasste er dieses Land. Das Achatreich befand sich jenseits jedes Gleichgewichtes. Der Lord hielt nichts davon, schwächere Wesen als Sklaven zu behandeln. Das machte einem am Ende nur Probleme. Aus diesem Grund waren das Achat- und das Jadereich die Urkessel von Rebellentruppen.

Zudem brachten die roten Berge von Messine lange verdrängte Erinnerungen zurück.

Und nun ging Lord Shahaan durch die Katakomben seines eigenen Palastes und suchte nach der Spur eines Intriganten oder Spions, der es gewagt hatte, bis zur Schatzkammer vorzudringen.

Eine plötzliche magische Verbindung explodierte in der angespannten Wahrnehmung des Lords und ließ ihn leise fluchen. Jemand baute einen Fernsprechzauber auf, eine sehr verdächtige Magie. Sie wurde von Dämonen deshalb nicht genutzt, da dafür eine der sprechenden Parteien seinen Geist der jeweils anderen unterwerfen musste. Nur auf diese Weise funktionierte die Übertragung und kein Dämon sank für gewöhnlich soweit, sich einem anderen im Geiste zu unterwerfen. Nur Spione taten das.

Noch ehe der erste Impuls verklungen war, raste der Lord durch die Gänge. Er musste den Ursprung der Magie finden. Als er die Treppen zum Palast erklommen hatte, war er sich sicher, dass die Magie in einem Teil der Katakomben gewirkt wurde. Im Laufen band er sein langes Haar zu einem Zopf und instinktiv tastete seine linke Hand nach der Schwertscheide. Er folgte der Spur in westlicher Richtung. Die Türen des Palastes flogen auf, als er auf sie zukam und viele bedienstete wichen hektisch zurück, um ihm nicht in die Quere zu kommen. Der Lord wank einigen der Palastwachen zu ihm zu folgen.

An einer Treppe hieß er sie zu warten und eilte diese auf Samtsohlen hinab. Vielleicht konnte er das Gespräch erst belauschen. Er dachte kurz nach, entschied sich dann für einen Zauber und legte diesen um sich, um verräterische Geräusche zu unterdrücken. Ein weiterer wesentlich komplexerer Zauber begrenzte die magische Strahlung seiner Aura.

Er gelangte zu einer versteckten Tür, die er sofort erkannte. Die Geheimnisse des Palastes waren für ihn kein Hindernis, er hatte ihn einst ausführlichst erkundet und innerlich kartografisiert.

Ein Ohr an die Tür gelegt schloss Shahaan die Augen und lauschte in das Gestein. Seine Finger glitten über die Wand und bewegten in ihrem Inneren einen komplexen Schließmechanismus. Etwas klickte am Rande des Hörbaren und auf leichten Druck schwang ein Teil der Steinwand beiseite.

Eine Frauenstimme schlang sich sie Wendeltreppe hinauf: „…dich deinem Auftrag und…“.

Jemand ließ ein keuchen erlauten, als Shahaan sich dem Gewölbe am Fuß der Treppe näherte und die Stimme verstummte.

„Verzeiht Herrin, ich muss abbrechen. Etwas geschieht!“, sagte die verängstigte Stimme eines Mannes. Er trug eine schwarze Kutte und stand inmitten eines sorgfältig gezeichneten Bannkreises. Der Lord bemerkte allerdings einige Stellen, an denen die Kreide leicht verwischt und verweht worden war. Dieser Bannkreis wurde schon seit einiger Zeit genutzt. Ein weiterer Bannkreis rotierte im Inneren des ersten und vervollständigte damit den zweidimensionalen Zauber. Er zerfiel und prasselte in feinen Funken wie Staub zu Boden, als der Vermummte sich umwandte.

Remon stieg die letzten Stufen hinunter und lehnte sich an den Türrahmen. Er fragte sich, ob der Spion soviel Mut hatte, der geheimen Tür an der gegenüberliegenden Wand des Raumes entgegenzueilen. Doch sein Gegner zog es vor, ihn zu enttäuschen. Der Lord hörte ein Knacken und rannte los. Er ergriff den Dämon an den Schultern und schüttelte ihn. Sein Blick drang tief in die Augen des Spions und zwang ihn, bei Bewusstsein zu bleiben.

„Was waren deine Befehle?“, fauchte der Lord.

Grüner Schaum troff aus dem Mund des Dämons und angewidert ließ Remon ihn fallen. Manche Gifte waren der Magie nicht zugänglich. Dieses war mit einem entsprechenden Bann belegt worden.

„Verdammter Mist“, kommentierte der Lord nur, als er mit dem Stiefel die kreidespur verwischte. Langsam begab er sich wieder auf den Weg nach oben. Die Leiche würde er dort verrotten lassen.

Ein feines Lächeln stahl sich auf seine Züge. Ohne das Gift hätte er die Frauenstimme wohl nicht erkannt. Sie hatte durch den Zauber so verzerrt geklungen. Deiedra ließ ihn also noch immer ordnungsgemäß ausspionieren. Sie konnte durchaus für das fehlende Astral verantwortlich sein. Die Frage war jetzt nur noch, was ihr Diener mit dem Astral gemacht hatte.

Aufbruch

Manchmal weiß man nicht, was es ist. Eine Bewegung, ein Augenblick, ein Funkeln in den Augen und schon fühlt man sich seltsam gebunden.

Die Luft in Mireylles Zimmer flirrte. Minas Augen strahlten im dämonischen Glühen, als die Kampflust Überhand nahm. Surells Blick leuchtete ebenfalls, doch er demonstrierte eine eisige Zurückhaltung, die Minas in Rage versetzte.

Mireylle für ihren Teil spürte aber kaum Angst um einen von beiden. Minas war noch immer geschwächt und Surell würde einen Kampf um ihretwillen vermeiden, wenn sie ihn richtig einschätzte. Die Situation erzürnte sie viel mehr.

„Minas, Surell, hört auf damit. Das ist einfach nur dumm.“

Minas lodernder Blick huschte blitzschnell und bedrohlich zu Mireylle hinüber, fixierte aber augenblicklich wieder Surell. Dieser seufzte und zog seine Waffe. Die Reaktion kam schon einen Sekundenbruchteil später. Der angespannte Rebell machte einen Satz vorwärts und warf dabei mit einigen Zaubern um sich.

Surell duckte sich erstaunlich tief, um dem Schwertstreich zu entkommen und sprach einen einzigen Schutzzauber. Er drehte sich leicht um die eigene Achse und schlug mit voller Kraft nach Minas Schwert. Er traf es am Heft, genau neben der Parierstange. Mireylles Herz blieb beinahe stehen, denn im ersten Moment glaubte sie, Minas Finger hätten den Schlag nicht überstanden.

Tatsächlich stolperte der Rebell einige Schritte vorwärts, schaffte es aber, die Waffe nicht fallen zu lassen.

Statt zu einem neuen Schlag auszuholen drückte Surell den Schaft mit eisiger Kraft nieder. Minas Gesicht verfärbte sich vor Anspannung, er begann zu zittern und ließ seinen Zweihänder schließlich zu Boden fallen. Surell bückte sich nach der Waffe und hielt sie gegen das Licht, während Minas noch auf allen Vieren am Boden keuchte. Mit geübtem Blick musterte der Heerführer die Waffe und ließ sie schließlich einige Male locker aus dem Handgelenk rotieren.

Minas richtete sich auf und starrte den Heerführer zornig an. „Kerumid?“, keuchte er.

Surell lächelte ihn über den Rand der Klinge hinweg an. „Ja, es wurde mit eingeschmiedet. Die Schwertmagie ist damit völlig wirkungslos, aber dafür wird der Gegner bei der leichtesten Berührung sehr stark geschwächt. Das Metall war ein Familienerbe. Für Anschläge auf den Lord gedacht. Du weißt ja, wie das ist.

Ich habe es dann nach meinen Vorstellungen genutzt und du musst zugeben, dass es äußerst effektiv ist.“

„Wäre ich nicht geschwächt gewesen…“, begann Minas, doch Surell winkte ab.

„Sicher, aber du warst es. Ziemlich kopflos für einen Anführer. Nun wundert mich das Schlamassel von gestern gar nicht mehr.

Schon gut, beruhige dich.

Was ich dir vermitteln möchte ist: Du lebst noch. Ich bin also nicht als Feind hier. Lass mich in Frieden und ich lasse euch in Frieden. Euere kleine Revolte interessiert weder mich noch Lord Shahaan, also nutzt die Gelegenheit und werdet stärker, ehe ihr Aufsehen erregt.

Ich bin nur wegen Mireylle hier und werde dieses Lager vermutlich schon recht bald verlassen. Es gibt also keinen Grund für Anfeindungen.“

Minas ballte die Hände zu Fäusten. „Ich hasse alle Lords und jene, die ihnen dienen. Ich hasse die Unterdrückung, die Perversität, die ihr alle an den Tag legt. Eure Zeit ist gekommen, lange wird es nicht mehr so bleiben!“

Surells Züge wurden ernster und er gab Minas seine Waffe zurück. „Hör zu, Rebell. Keiner der Lords ist so sehr auf soziale Gerechtigkeit bedacht wie Lord Shahaan. Er mag dafür Beweggründe haben, die nicht gerade deinen Idealen entsprechen, doch er hat schon so einige Gesetze zum Schutz von untergebenen Menschen und Dämonen erlassen. Also genau das getan, wofür ihr euch angeblich einsetzt. Keiner leistet in der Hinsicht so viel wie er und du wagst es, ihn zu beleidigen?

Wie alt bist du? Knappe 80 vielleicht? Was hast du denn schon von der Welt gesehen? Du bist nur noch so ein heißblütiger Mistkerl, der nicht weiß, wo sein Platz ist. Wärst du wirklich zu etwas fähig, würdest du schon längst eine wichtige Position im Palast eines Lords einnehmen und von da aus etwas für die Leute tun, die dir angeblich so wichtig sind. Das würde eindeutig weniger ihrer Leben fordern. Aber du willst es auf die Weise, ja?

Ich respektiere das. Als junger Dämon hatte ich auch Träume, aber ich wusste immer genau, was ich tat. Du bist völlig verblendet und ich habe wirklich keine Lust, dich weiter in deine Schranken zu weisen, wenn du nicht ein Fünkchen Selbstkritik besitzt.

Sei dankbar für das Leben, das ich dir gelassen habe und lass uns in Frieden.“. Mit großen Schritten durchquerte Surell den Raum und packte Mireylle sanft am Oberarm, seine Augen fixierten Finior. „Wenn du uns führen willst, schlage ich vor, dass du ein paar Dinge einpackst. Wir werden die Pferde vorbereiten, die uns euer Anführer freundlicher Weise zur Verfügung stellt.“

Mireylle sah zurück zu Minas. Der Dämon stand wie erstarrt. Irgendetwas hatte Surell in ihm getroffen und der verlorene Ausdruck auf seinem Gesicht machte ihr Sorgen. Allerdings widersprach er Surell nicht, und das war im Moment das Wichtigste. Der Rebellenführer würde sich bald erholen. Er hatte einen gesunden Willen.

Draußen vor dem Haus hatten sich einige der Krieger versammelt und musterten Surell misstrauisch, als er heraustrat. „Euer Anführer hat uns drei gute Pferde für eine Mission gewährt. Ich nehme nicht an, dass ihr Thevire besitzt?“

„Doch, ein paar.“, sagte Finior und trat auch heraus. Einer davon gehört mir. Aber Mireylle kann keinen Thevir reiten. Er würde sie in Stücke reißen, wenn wir wegsehen.“

„Sie reitet mit mir. Ein starker Thevir kann uns beide tragen und ist immer noch schneller als ein Pferd.

Dann also zwei Thevire.“, wandte er sich wieder an die Menge.

Einer der Dämonen nickte und ging davon, Finior verschwand in Richtung der Kriegerwohnhäuser, zweifellos um seine Sachen zu packen.

„Geh und pack ein paar Sachen, die du für eine Reise brauchst. Dann besorgst du ausreichend Nahrung für drei Tage, ein bis zwei große Wasserflaschen, die man einem Thevir umhängen kann und eine kleine für jeden von uns. Wir brauchen auch Schlafsäcke. Ich muss noch kurz in den Wald, ein paar Sachen holen.

Könnte etwas länger dauern.“ Ein Lächeln umspielte seine Züge als er Mireylle gedankenverloren über die Wange strich. Im nächsten Augenblick war er bereits mit einer unglaublichen Geschwindigkeit losgelaufen. Eine Schneise in der sich langsam auflösenden Menge zeigte, welchen Weg er genommen hatte. Mireylle wandte sich ab und ging hinein.

Das Packen hatte sie nach wenigen Minuten beendet. Sie besaß noch immer nicht viele Kleider. Dafür hatte sie eine Leinenhose bekommen, die sie jetzt auch trug.

Als sie in die Gemeinschaftsküche ging, um die nötigen Vorräte zu besorgen, wich Mavi ihr aus. Da ihr auch sonst niemand helfen wollte, hatte sie keine großen Wasserflaschen gefunden und stand etwas verloren da.

Finior betrat den Saal und trat an ihre Seite. Er drückte ihr feste Lederschuhe und eine zusammengerollte Hose in die Hände. „Die wirst du brauchen. Die Schuhe dürften etwa deine Größe haben.

Was musst du noch packen?“ Er zog den Lederrucksack an sich und überprüfte die Vorräte. Seine Wasserflasche fischte er heraus und befestigte sie am Gürtel. Mireylle tat es ihm nach.

„Wir brauchen noch große Flaschen für die Thevire“, sagte sie.

Finior öffnete ein paar Schränke und legte noch einige Lebensmittel in den Rucksack. „Gut, die sind im großen Vorratslager.

Komm“, fügte er hinzu, als sie stehenblieb und die zornigen Gesichter anstarrte, die sie musterten.

Langsam setzte sie sich in Bewegung und folgte Finior.

„Die Thevire sind gesattelt und stehen im Stall bereit.

Mach dir keine Gedanken um die anderen. Niemand hier ist begeistert, dass ein Heerführer hierher gekommen ist. Sie sehen eure Freundschaft als Verrat an der Rebellion, aber das ist Unsinn, nicht wahr? Wenn ich Surells Worte überdenke, hat er völlig Recht. Dies hier ist dumm und aussichtslos. Er und sein Lord werden nichts gegen die Rebellion tun, weil sie keine Bedrohung darstellt. Es stimmt, dass die Unterdrückung im Rubinreich sehr viel abgeschwächter ist, als in den anderen Reichen. Die Menschen und niederen Dämonen haben keine Motivation, sich aufzulehnen.

Naja, und die Leute sind ziemlich sauer, dass Surell Finior so fertig gemacht hat. Sie haben ihn noch nie so niedergeschlagen gesehen.

Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, was es gewesen ist. Diese Dinge müssen Minas schon vorher klar gewesen sein, bis auf die Dinge, die ihn beleidigt haben natürlich.“ Er grinste. „Wo ist dein Heerführer denn eigentlich hin? Das dauert schon recht lange.“

„Ich weiß es nicht. Er meinte, er müsse noch etwas aus dem Wald holen. Und dass es länger dauern könnte.

Wie geht es dir, Finior. Du bist noch immer blass. Bist du sicher, dass wir gleich heute aufbrechen sollten?

Dass soll kein Angriff auf deine Ehre als Dämon werden.“, fügte sie hinzu, als sich sein Gesicht verhärtete.

Aus heiterem Himmel begann Finior zu lachen.

„Warum lachst du? Ich habe es ernst gemeint.“, sagte Mireylle vorwurfsvoll.

Finior versuchte zu antworten, doch der erste Ansatz ging in Gelächter unter. „Das ist… Das ist es ja! Du hast es ernst gemeint und es auch so gefühlt! Meine Ehre als Dämon!“ Er lachte. „Ich bin gerade mal zwanzig Jahre alt, zu wenig Zeit um die so genannte Ehre der Dämonen zu erringen. Außerdem bin ich längst zu der Überzeugung gelangt: Ehre ist etwas, das man sich selbst gibt. Meine Ehre ging drauf, als ich Haleas aus den Augen verlor und ihn in seinen Tod rennen ließ. Wenn sich jemand um meine Gesundheit sorgt, fühle ich mich nicht in meiner Ehre verletzt. Schon gar nicht, wenn es demjenigen dabei um mich und nicht um meine Kampfkraft geht. Es ist eine recht angenehme Erfahrung und in der Welt der Dämonen auch eine seltene.“

Sie setzten sich auf einen Baumstamm, der neben dem Stall lag und als Sitzgelegenheit für wartende Krieger diente.

„Was ist mit Minas?“, wollte Mireylle wissen.

Finior zuckte mit den Schultern. „Er wird sich erholen. Und ich auch. Der Überfall ist schrecklich schief gegangen und nun sind die Kräfte der Rebellen geschwächt. Das heißt dem Dorf stehen ein paar Wochen Ruhezeit bevor. Das hoffe ich jedenfalls.“

„Was ist eigentlich passiert? Wie hat man euch derart zurichten können?“

„Der tatsächliche Überfall auf den Waffentransport war sogar sehr einfach. Sehr wenige Wachen hatten den Transport begleitet. Wir haben die Beute dann im Nachbarrebellendorf abgeliefert und uns auf den Rückweg gemacht. Aber im Wald hat uns ein ganzes Battalion der Achatarmee erwartet. Wir hatten nicht damit gerechnet, noch mehr Soldaten zu begegnen. Manche haben auf ihren Pferden geschlafen.

Jedenfalls war es ein ziemlich aufreibender Kampf, denn wir sind in viele magische Fallen getappt, die sie für uns vorbereitet hatten. Ein weiteres Battalion muss in der Nähe gewesen sein. Die, die uns bis ins Dorf verfolgt haben. Es müssen einige hervorragende Magier unter ihnen gewesen sein, keiner von uns hat ihre Anwesenheit gespürt. Aber andererseits waren wir alle sehr geschwächt.“ Er grinste verlegen. „Mich hat es ziemlich schwer erwischt, wie du weißt. Ich habe alle meine Magie aufgebraucht, um ein paar der magischen Fallen zu lösen. Ich hätte nicht gedacht, dass es mich völlig auslaugen würde. Danach war ich praktisch wehrlos. Man kann so gut mit dem Schwert sein wie man will. Wenn man mit einem Langsamkeitsbann oder einem Schmerzbann belegt wird, nutzt einem das rein gar nichts.

Ein Glück, dass Dämonenfleisch so schnell heilt. Meine Wunde spaltete mich beinahe in zwei Teile.

Leha ist eine sehr gute Heilerin. Und dass du mir geholfen hast, weiß ich auch.“ Ich kann es jetzt noch fühlen. Eine seiner Hände tastete nach seiner Brust.

Es war die Stelle, an der Mireylles Hand bei der Heilung gelegen hatte.

„Eine Mischung aus Licht und Wärme, die mein Herz gepackt und mich im Leben festgehalten hat. Ich habe noch nie eine solche Magie gespürt.“

Mireylle war froh, ihn wieder auf den Beinen zu sehen, aber sie fragte sich, ob der Großteil seines Gepäcks aus Verbandszeug bestand. Auch wenn die inneren Verletzungen bei der Heilung verarztet wurden, existierte die Wunde noch immer.

In der Ferne sah sie eine Lichtreflexion und erkannte einen Reiter. Es konnte von der Statur her nicht Surell sein. Schon bald erkante sie einen der Botschafter, die Nachrichten aus dem benachbarten Rebellendorf brachten. Er brachte das Pferd in den Stall und verließ ihn, ohne die beiden Gestalten auch nur eines Blickes zu würdigen.

Finiors Blick folgte dem Boten. „Ich frage mich, was es ist. Aber das werden wir schon erfahren, wenn wir zurück sind.“

„Du könntest ja hingehen. Sie werden dich schon nicht ausschließen. Und vielleicht ist es wichtig. Surell ist schließlich noch nicht da.“

„Aber er kommt. Dort drüben.“

Mireylles Blick folgte Finiors Wink und tatsächlich entdeckte sie einen Schatten, der sich sehr schnell auf sie zu bewegte. „Ich weiß gar nicht, warum wir Reittiere brauchen. Ihr beide könnt so schnell sein, wenn ihr wollt. Und Surell könnte mich ja tragen.“

„Ja, aber dies alles ist Magie. Es ist ermüdend und zehrt an Kräften, die wir vielleicht für anderes brauchen werden. Außerdem gibt es jetzt diese Wellen der Magielosigkeit.“

„Die verstehe ich nicht. Habt ihr denn nicht trotzdem Magie?“

Finior lächelte. „Magische Begabung bedeutet nicht unbedingt, viel Magie im eigenen Körper speichern zu können. Es ist die Fähigkeit, Magie für seine Zwecke zu lenken und zu formen. In den Phasen der magischen Dürre sind wir wie ausgelaugt. Das, was unsere Fähigkeiten mit Leben erfüllt, ihnen ihre Substanz gibt, verschwindet von einer höheren Macht angezogen und lässt uns als leere Gefäße zurück. Die Fähigkeit existiert zwar noch, doch es ist nichts mehr da, wodurch sie Einfluss auf die Umgebung ausüben könnte.

Es ist schwer zu erklären.“

„Heißt das, in diesen Dürrephasen, wie du sie nennst, seid ihr völlig wehrlos?“

Finior lachte. „Nein. Nicht völlig…“.

Sie beide sahen auf zu Surell, der seinen Lauf vor ihnen abgebremst hatte. Haar und Kleidung des Heerführers flatterten in Erinnerung an vergangene Geschwindigkeit. Die Arme in die Hüften gestemmt stand er vor ihnen, beeindruckend wie ein Gott. Seine Augen ein Meer aus Gold, in dem man auf ewig versinken konnte.

Der junge Dämon musterte Mireylles Gesicht. „Das ist ebenfalls keine Magie“, sagte er. „Aber eigentlich meinte ich unser kämpferisches Geschick.“

Eine warme Brise wirbelte den Staub auf und schwoll zu einem Windsturm, als sie die Thevire aus dem Stall holten. Innerhalb kürzester Zeit war der Himmel von einer bedrohlich wogenden Dunkelheit erfüllt.

Mireylle fröstelte. War dies ein gewöhnliches Unwetter?

Surell hob sie auf seinen Thevir, nachdem er sein Gepäck an dessen Hüfte festgeschnallt hatte. Der Körper des Tieres glühte warm unter ihr. Der Dämon selbst bestieg das Reittier hinter ihr und zog die Zügel zurecht. Es waren normale Zügel, wie man sie auch für Pferde nutzte, doch sie bestanden aus einem wesentlich widerstandsfähigeren Material. Auch hierin erkannte Mireylle Finiors Logik. Man konnte Thevire zwar durch reine Willenskraft lenken, doch es kostete Konzentration, die man für anderes brauchen konnte.

Der Reitwind prickelte auf ihrer Haut, als die Geschöpfe sich in Bewegung setzten und den größten Teil der Felder in weniger als einer Minute hinter sich brachten. Nahe dem Wald bremsten Finior und Surell die Thevire ab und ließen sie am Waldrand entlang trotten, während sie ihre Umgebung mit allen Sinnen ausleuchteten.

Was Mireylle zunächst für eine optische Täuschung gehalten hatte, gewann mehr und mehr an Realität, als es sich in immer rascherer Folge wiederholte. Winzige Blitze durchzuckten die Luft. Das musste am Gewitter liegen. Dies war Magie, sie spürte es so, wie man Elektrizität riechen konnte. Ein magisches Unwetter braute sich über der ganzen Ebene zusammen und Mireylle betete zum Schicksal, es möge kein Werkzeug eines magischen Wesens sein.

Finior nickte den beiden zu und entschied sich für eine Richtung. Surell folgte.
 

Jemand klopfte an der Tür. Elantes seufzte und erhob sich von der Bettkante. Ein Dämon, der seine Aura verbarg, stand hinter der Tür. Er zog sie unter dem leisen Quietschen der Angeln auf und schleuderte dem ungebetenen Gast ein unwirsches „Was ist?“ entgegen.

Der jüngere Dämon blinzelte nicht einmal aber Elantes hörte eine Unregelmäßigkeit seines Herzschlags.

„Ein Bote aus Rehims Dorf ist eingetroffen. Er bittet um Empfang.“.

Leises Knurren entwich den Lippen des Kriegers. „Gib ihm ein Quartier und zeig ihm die Küche. Minas empfängt gerade niemanden.“, raunte er und schlug die Tür wieder zu.

Sein besorgter Blick glitt zum Gesicht des Rebellenführers und er seufzte erneut. Langsam durchquerte er den Raum und nahm wieder seinen Platz an der Bettkante ein. Minas Augen fixierten noch immer die Decke. In ihnen lag völlige Ausdruckslosigkeit. Ein beängstigendes Schauspiel. Minuten vergingen, in denen Elantes nur dem flachen Atem des Rebelenführers lauschte. Seine Hand lag locker auf Minas’.

Elantes erwachte ruckartig aus seiner Apathie, als seine feinen magischen Sinne zu schreien begannen. Er stand auf und durchquerte den Raum. Mit einem lauten Rascheln zog er die dunklen Vorhänge beiseite und musterte entgeistert den Himmel. Schwarze Wolken verdeckten ihn völlig und magische Sphären flackerten in ihrem Inneren.

Wurden sie etwa angegriffen? Nur ein Lord besaß die Macht, solche Urmagien zu beschwören. Minas schien es völlig kalt zu lassen, als habe er es erwartet. Oder es erreichte ihn in seinem Stadium der Verzweiflung nicht mehr. Eine Möglichkeit, die Elantes augenblicklich verwarf.

Vor dem Fenster zerrte der Wind an den Bäumen und schleuderte alles wild umher, das nicht in irgendeiner Weise befestigt worden war. Leute rannten umher. Doch sie stellten ihre Versuche, ihr Eigentum zu retten schon bald ein und zogen sich in die Häuser zurück.

Mit ohrenbetäubendem Krach schlug ein grüner Blitz in einen der Bäume innerhalb des Dorfes ein und brannte diesen in kürzester Zeit völlig nieder.

Magie summte in der Luft, als einige Dämonen begannen, einen magischen Schild über das Dorf zu legen. Das magische Gespinst erschien angesichts der magischen Gewalt des Sturmes nahezu lächerlich. Es schwankte im magischen Wind und riss immer wieder. Hier fehlte es deutlich an magischer Macht, doch das war nach den Geschehnissen der letzten Tage kein Wunder. Niemandes Fähigkeiten hatten Zeit gehabt, sich zu erholen.

Ohne Minas fehlte ihnen nicht nur die Kraft, es fehlte ihnen an Motivation. Auch wenn sie angesichts des erschreckenden Sturm ihr Bestes gaben, Minas konnte es schaffen, das Doppelte an Macht aus ihnen hervorzulocken. Das war seine besondere Magie.

Es verletzte jeden von ihnen zutiefst, den hitzköpfigen Rebell derart niedergeschlagen zu sehen. Wäre Reila noch am Leben, könnte sie ihn wieder auf die Beine bringen. Doch das Blut der jungen Dämonin war schon vor langer Zeit im Boden eines Schlachtfeldes versickert.

Wieder spürte Elantes den magischen Schild zusammenbrechen. Doch das Zucken in Minas Zügen beschäftigte ihn viel mehr. Hoffend näherte er sich dem Bett des Rebellen.

Und tatsächlich erhob Minas Tinir sich und sein alter Glanz kehrte wieder zu dem Rebellenführer zurück. Er sah zu Elantes auf und grinste schief. „Genug des Selbstmitleids! Kümmern wir uns um dieses Unwetter!“

Mit diesen Worten stand er auf und umarmte Elantes freundschaftlich. Im nächsten Augenblick stürmte er wehenden Umhangs hinaus.

Elantes gesellte sich ihm und den anderen Dämonen hinzu. Mit vereinten Kräften bauten sie den Schutzschild wieder auf. Allein die Anwesenheit des Rebellenführers verstärkte ihre Kräfte. Sie alle schienen zu vergessen, was sie bekümmerte. Angesichts der magischen Macht des Gewitters würde es eine lange Nacht werden, doch niemand störte sich mehr an dieser Herausforderung.
 

Im Thronsaal sah Shahaan von den Schriftrollenbergen auf und fluchte lautstark. Erneut war ein Schutzband der Urmagie gerissen. Irgendwo zwischen dem Achat- und Rubinreich war unkontrollierte magische Macht entfesselt worden. Es geschah wesentlich schneller, als gedacht. Die Entfernung der Astrale aus ihren Sockeln war mit Sicherheit der Grund, auch wenn er sie noch immer in die magischen Pfade einband.

Möglicherweise wäre das Gleichgewicht noch immer erhalten, hätte nicht ein Unwissender eins der Astrale aus dem magischen Kreis entfernt. Ohne das Mädchen wäre es überhaupt nicht möglich gewesen. Ein magisches sechsdimensionales Konstrukt in einem magischen Pfad zu zerstören! Kein Dämon hätte dies überleben können und sie war einfach so hindurch geschritten.

Ein Wink genügte, um sämtliche Türen des Thronsaals zuschlagen zu lassen. Der Lord stellte sich in dem Pentagramm inmitten des Raumes auf und begann die Urmächte der Astrale anzurufen. Fließendem Samt gleich wand sich die Magie durch seine Aura, seinen Körper und seinen Verstand. Gekonnt unterdrückte er die Euphorie, die diese Menge an Macht zwingend auslöste, und konzentrierte sich auf die Beschwörungen. Wenn er die Augen schloss, versank er in der Wahrnehmung seiner magischen Sinne, die dem Wogen aus Farben, Formen und Wärme eine Bedeutung zuordnen konnten. Sein Geist ebnete Wege, öffnete Kanäle, lenkte Ströme um und verband sie zur gegenseitigen Beeinflussung. Er gab ihnen nicht nur Richtung, Form und Menge, sondern auch Regeln und Gesetzmäßigkeiten vor. Der Lord verband sie mit dem Leben und der Magie der Umwelt und ließ sie angemessen auf diese reagieren. Seine Finger und Gedanken zogen Linien und Zeichen in der Luft, deren Bedeutung der Urmacht vor Urzeiten eingeprägt worden war.

Sein Geist schien zu schweben sich vom Körper zu lösen und immer wieder ermahnte der Lord sich, an seiner fleischlichen Hülle festzuhalten.

Mit einem letzen Blick überprüfte der Vampirdämon den Aufbau seines Zaubers, ehe er der Macht gestaltete, sich voll und ganz in diesem zu entfalten. Kanalisierte Magie strömte durch ihn hindurch in die Welt zurück, euphorisierte ihn bis an die Grenze, löste sich zunehmend von seiner Aura und wurde hart wieder in die vorgegebenen Bahnen gedrängt.

Eine scheinbare Ewigkeit rang der Lord mit den entfesselten Urmächten, doch die Zeit floss in der Dimension der Magie wie Honig. Es geschah so vieles und trotzdem schien nur ein Augenblick vergangen zu sein.

Als die Urmacht sich endlich seinem Willen beugte, entließ er den Zauber, nahm ihm seine Macht. Er würde sich nun selbst erhalten und solange halten, bis das Ungleichgewicht erneut zu stark am Gefüge der Welt zerrte.

Seines Körpers erst jetzt wieder wirklich bewusst sank Shahaan auf die Knie. Sein Körper war kalt und in eisigem Schweiß gebadet, doch er spürte nur Hitze, ein Brennen auf der Haut, das auf einen viel zu hohen Temperaturunterschied zur Umwelt hindeutete. Er entließ seufzend den Zauber, der die Türen verschlossen hielt und den Lord des Reiches in dem Palast schützte.

Eine der Türen sprang augenblicklich auf und Ariana stürmte herein. Eine neugierige Menge drängte sich schweigend an der Tür. Seine Diener hatten gelernt, sich ihm nicht zu nähern, wenn er sich in diesem Zustand befand. Es gab nur wenige Ausnahmen.

Ariana de Lahfandala gehörte dazu. Sie sank zu ihm herunter, legte beide Arme um ihn und sprach einen Wärmezauber.

Die aufeinander gepressten Zähne des Lords hörten auf, klappern zu wollen und nach und nach erwärmte sich auch der Rest seines Körpers. Ariana wich auf eine schickliche Entfernung zurück und reichte Shahaan ein großes Taschentuch, das sie aus irgendeinem unsichtbaren Winkel ihres mehrschichtigen Kleides zog.

„Danke“, flüsterte der Lord und wischte sich das Gesicht ab.

Ariana lächelte versonnen und drehte sich energisch nach den Dienern um. „Was steht ihr da so rum? Der Lord wünscht mit Sicherheit, ein heißes Bad zu nehmen.“

Einige der Diener verneigten sich und eilten davon.

Shahaan indes erhob sich und zog seine Gewänder zurecht.

Er fühlte sich ausgelaugt. Diese Art von Magie nahm immer alles und gab nichts zurück. Seine Aura füllte sich nur langsam wieder mit der nötigen Grundmagie auf. Jeder Dämon wusste das und doch käme niemand auf den Gedanken, ihn jetzt zu reizen. Diese Ausgelaugtheit ließ einen leicht reizbar werden und außerdem bedeutete es nicht das Ende seiner Kräfte, nur die Überschreitung einer Grenze.

Es war, wie das Sprichwort sagte. Wer große Magie wirkte, stand stets mit einem Bein im Grabe und mit dem anderen im Nichts. Und doch verlor er deswegen nicht den Halt.

Trotz seiner Müdigkeit strotzte sein Gang nur so vor demonstrativer Energie als er sich zu seinen Gemächern aufmachte.

Nach und nach ließ der Lord Schals, Mäntel, Übergewänder und die restliche Bekleidung zu Boden des Badezimmers sinken und legte sich in das angenehm heiße Wasser. Die Hitze prickelte wohlig auf seiner Haut. Ebenso wie die meisten anderen hohen Dämonen lehnte er Hilfe im Bad ab. Er konnte seinen Rücken auch selber schrubben. Mit Magie, falls es nötig war, aber ohne fremde Hilfe. Zum einen war dies wesentlich sicherer, zum anderen nutze er die Entspannung und Abgeschiedenheit des Bades gerne zum Nachdenken.

Surell war noch immer nicht von seiner Suche zurückgekehrt. Sein Verfolger hatte aber bisher keinen Fund gemeldet. Nur Spuren, denen der Heerführer folgte. Sie zogen sich um die Alais Wälder und die Grenze zum Achatreich, ebenso wie um Randtruppen des Achatreiches, die sich um die Rebellenaufstände und Übergriffe zu kümmern begonnen hatten, nachdem die Versorgung des Heeres an der Grenze sekundär geworden war.

Die Rebellen hatten einfach zu viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Nach seinen Informationen wurde ein größerer Vergeltungsschlag auf sie geplant. Falls Mireylle bei ihnen Zuflucht gefunden hatte, wurde es nun gefährlich für sie. Doch für diesen Fall wollte Surell den Kampf überwachen.

Ein kurzer Ärger kam und verflog wieder. Surell würde schon auf sie achten, wenn sie sich dort aufhielt. Ob sie ihre Magie wohl schon zu kontrollieren lernte? Ob sie sich dieser Macht bereits so bewusst war, dass sie den Wunsch verspürte, ihrer Herr zu werden?

Er schloss die Augen und versuchte, an gar nichts zu denken. Zu vieles drängte sich in seinem Kopf.

Er hörte leise Schritte und erkannte den Gang, noch ehe die Tür auf und wieder zu schwang. Er brauchte sie nicht zu sehen, um sie zu erkennen, voll und ganz. Er ließ den Augenblick zu lange währen, ehe er die Augen öffnete und ihr entgegensah.

Ariana stand nahe der Tür. Ihr goldenes Haar fiel locker über ihre Schultern auf das Seidentuch, das sie um ihren Körper geschlungen hatte. Sie lächelte und löste die Spange, die es zusammenhielt. Der Stoff flatterte leise zu Boden und legte sich über seine abgelegte Kleidung.

Das Wasser plätscherte leise, als ihre Beine darin versanken. Trotz der Hitze des Wassers brannte sein Schoß dort, wo ihre Hüfte ihn berührte. Ihr Mund näherte sich, um ihn zu küssen, doch der Vampirdämon zuckte zurück, als das Bild eines anderen Mädchens vor seinen Augen flackerte. Sie hatte ihn eine Bestie genannt, ihm mit ihren einfachen Worten einen uralten Spiegel vorgezeigt…

Irritiert sahen sie sich in die Augen, beide verwirrt von der Situation. Arianas Augen verengten sich kurz auf diese Weise, die andeutete, ihn durchschaut zu haben.

Zornig griff der Lord nach ihrem Kinn und lächelte ironisch, ehe er ihre Lippen an die seinen zog. Er war nicht ganz so einfach zu durchschauen. Niemand vermochte das. Niemand? Er lächelte in sich hinein. Vielleicht durchschaute Nuon ihn, ein wenig zumindest.
 

Der Speisesaal des Rebellenlagers duftete nach frischem Brot und diversen Würsten. Es war der allmorgendliche Geruch dieses Ortes, doch den ausgezehrten Dämonen erschien er wesentlich verlockender als gewöhnlich.

Sie hatten den Schild die ganze Nacht erhalten, bis das Gewitter sich irgendwann am Morgen gelegt hatte. Minas hatte ebenso wie die anderen die Magie gespürt, die dieses Gewitter gebunden und seine magische Macht abgeleitet hatte. Entweder diese magische Manifestation störte jemanden bei einem höheren Plan oder sie hatten einen ziemlich mächtigen Gönner.

In jedem Fall schien in absehbarer Zeit keine Gefahr zu drohen und so beendeten sie den Schutzzauber am frühen Morgen und machten sich auf, um sich im Speisesaal zu stärken.

Minas unterhielt sich mit Elantes und Lemond über den Überfall, den die Soldaten auf die Rebellentruppe verübt hatten. Wenn das Militär nun seine Taktik änderte, mussten sich die Rebellendörfer zusammenschließen und sich schnell ausbreiten. Nur auf diese Weise hatten sie eine Chance. Eine schnelle, schlagkräftige Reihe von Kämpfen und somit die Sicherung und Vergrößerung ihres Einflussbereichs. Er diskutierte mit Elantes gerade einen der Lähmungszauber, mit dem die Soldaten den Rebellen besonders zugesetzt hatten, als sich Karis, ein Bote aus dem Dorf des Rebellen Rehim, sich räusperte.

Minas ließ Elantes noch in aller Ruhe ausreden und hob erst dann den Kopf. Mit einem sachten Nicken deutete er an, zuzuhören.

„Mein Herr Rehim sendet mich mit einigen neuen Botschaften, Herr Minas Tinir. Aber eine davon ist wirklich sehr wichtig.“

Minas hob unterbrechend die Hand. „Wie oft soll ich dir sagen, dass ich nicht mit Herr angeredet werde?“.

Der Bote nickte. Er hatte es eilig, die Botschaft weiterzugeben. „Das Achatreich ist an den Rubinlord gefallen, Führer Minas. Vor einigen Tagen hat der Rubinlord den Achatlord geschlagen und die Kräfte dieses Landes erhalten.

Mein Herr meint, dies ändert vieles. Er ruft eine Ratsversammlung ein, hier in Euerem Dorf.“

Minas schwieg. Das war tatsächlich eine wichtige Information, und was für eine! Lord Remon Shahaan hatte das Land übernommen und seine Macht verstärkt. Die Soldatentruppen hatten nun keine Beschäftigung mehr und würden die Rebellen bald verstärkt jagen.

Sie hatten jetzt nicht viele Möglichkeiten. Sie brauchten einen Plan.
 

Kühler Wind blies den Theviren und ihren Reitern entgegen, als sie durchs Unterholz jagten. Die Stille nach dem Sturm war beinahe drückend. Alles schien vor Schreck den Atem anzuhalten. Mireylles Gedanken waren kaum fähig, sich von der alles umfassenden Dunkelheit zu lösen. Ständig bildete sie sich ein, verzerrte, eilende Gestalten in der ferne zu erkennen. Ab und an, wenn ein verirrter magischer Blitz in der Nähe vorbeischoss, erwachte ihre magische Sicht und ließ sie erschaudern. Auf ein grelles Licht folgte schnell die Erkenntnis, dass die Lebenslichter aller Wesen an Helligkeit verloren hatten.

In diesem Wissen spürte Mireylle die Kälte des Windes noch deutlicher, die ihr entgegenraste, sie umschlang und sich bis in ihr Innerstes zu stehlen suchte. Zitternd drückte sie sich an Surells warmen Körper.

Der Dämon verstand und öffnete mit einer raschen Handbewegung seinen Mantel. Er zog Mireylle enger an sich, legte den Mantel auch um sie und schloss einige der Knöpfe.

Sofort umfing sie wohlige Wärme. Vorsichtig versteckte Mireylle auch ihren Kopf unter dem Mantel und schlang die Arme um Surell. Sie zwang ihn, seine vorgebeugte Haltung aufzugeben, aber diesen winzigen Moment brauchte sie einfach.

Und wieder wurde ihr klar, wie wenig sie sich selbst verstand. Wie kam es von der zwangsweise zusammen verbrachten Zeit über angehende Freundschaft plötzlich zu so einer Vertrautheit? Es waren eigentlich nur wenige Tage, nein für sie waren es nur ein paar Stunden, seit Surell angekommen war. Und in diesem Moment konnte sie sich nicht vorstellen, ohne ihn zu sein. Plötzlich fühlte sie sich so sicher. Seitdem sie diese Welt betreten hatte, war sie immer so unsicher gewesen, aber seit Surell sie an sich gezogen hatte, war diese nagende Unsicherheit verschwunden. Es fühlte sich echt an. So sehr sie ihm als Dämon auch misstrauen wollte, sie konnte es nicht. Diese Wärme erstickte jeglichen Widerstand im Keim.

Nach einigen Stunden hielten sie an, weil Mireylle völlig erschöpft war. Sie war das Reiten nicht gewöhnt und außerdem fühlte sie sich seit ihrem letzten Zauber seltsam ausgelaugt.

Inzwischen war es auch tiefe Nacht. Sie machten kein Feuer, denn nur die wenigsten Geschöpfe trauen sich in die Nähe von Dämonen, und diese fürchten sich nicht vor Feuer. Außerdem war Licht nur allzu verräterisch und konnte Truppen des Achatreiches auf sie aufmerksam machen.

Im Dunkeln aßen sie alle ein wenig von den Vorräten, doch kaum ein Wort wurde gewechselt. Jeder war in seine eigenen Gedanken versunken.

Finior löste etwas von dem Thevirgepäck und warf es zu ihnen herüber. Es waren die dicken Schlafdecken, die sie hier als Schlafsack bezeichneten. „Ich halte die erste Wache“.

Sie breiteten ihre Decken nahe beieinander auf einer ebenen Stelle aus und rollten sich ein. Nur wenige Augenblicke später zuckte die vor Müdigkeit sofort eingeschlafene Mireylle zusammen, als sie etwas an der Hüfte berührte. Surell war noch näher herangekommen und zog sie samt ihrer Decke mit in seine hinein. Beinahe panisch entwand Mireylle sich, aber Surells Hand an ihrem Oberarm hielt sie eisern fest. „Sei nicht albern“, flüsterte er ihr zu und zog sie wieder zurück. „So wird dir wärmer sein. Du bist es doch nicht gewohnt, auf nacktem Boden zu schlafen, Mädchen.“

Mireylle beruhigte sich und ließ sich wieder von ihm umarmen, während sie ihre Decke über sie beide warf. In seinen Armen war es trotz des kalten Untergrundes unheimlich warm. Allerdings sorgte gerade diese Wärme dafür, dass sie nicht einschlafen konnte. Ihr war über und über heiß.

„Hey, kleine Mylady, dein Herz rast ja richtig. Mache ich dich so nervös?“, flüsterte Surell belustigt.

In ihrem Stolz gekränkt setzte Mireylle zu einer Erwiderung an, aber in diesem Moment berührten warme Lippen ihren Hals und alle Gedanken verflogen.

„Es ist irgendwie seltsam. Du bist noch immer die Mylady des Rubinreiches und somit eigentlich Remons Frau, das weißt du, nicht wahr? Menschen legen Wert auf solche Dinge. Und…“. Er schnaubte belustigt. „…irgendwie schwirrt mir das jetzt durch den Kopf.

Wer bist du nur, Mireylle? Ich könnte dich bei bestem Willen keiner der bekannten Rassen zuordnen. Die Magie, die du gewirkt hast. Diese Art, die Magie zu binden, die Lebensmagie zu beschwören. Ich hielt es bislang für unmöglich. Ich habe noch nie von solcher Magie gehört, wenn man natürlich von den Sagen absieht, nach denen die Welt und die Magie von den Erleuchteten geschaffen wurde, aber das sind nur Märchen. Du brennst sicher auch darauf, mehr herauszufinden, stimmts?“

Mireylle nickte zustimmend, er konnte es fühlen.

„Ich werde dir helfen, es herauszufinden, versprochen. Und jetzt schlaf, du wirst deine Kräfte morgen brauchen.“

Mireylle hatte das Gefühl, erst vor einigen Minuten eingeschlafen zu sein, als sich Surell neben ihr plötzlich aufrichtete.

So vorsichtig er konnte schlüpfte er aus den Decken und griff nach seinem Schwert. Ein schabendes Geräusch erklang, als er es zog. Alarmiert öffnete Mireylle die Augen.

Surells Blicke durchbohrten das Unterholz, als suchte er nach etwas. Finior erschien neben ihm. Auch seine Waffe war gezückt.

„Es sind nur fünf oder sechs. Bei deinen Kampfkünsten sollte das kein Problem sein oder?“

„Hast du sie sehen können? Wer ist es?“

„Ich würde sagen, versprenkelte Resttruppen, aber in unserer Nähe sind nur fünf oder sechs. Ich schütze Mireylle mit einem Zauber.“

Surell lachte leise. „Sieht es für dich aus, als hätte sie einen Zauber nötig?“. Sie beide sahen zu Mireylle, die grade in den Decken saß.

„Welche Art von Magie ist das? Ich kann sie kaum wahrnehmen!“

„Frag mich nicht, aber dieser Zauber schützt sie schon, seit sie aus dem Lager Lord Shahaans geflohen ist.

Das hat meine Suche ganz schön erschwert!“, sagte er an sie gerichtet.

Ein Rascheln sauste durchs Unterholz und binnen weniger Augenblicke hatte Surell bereits einen Angreifer niedergestreckt. Ein weiterer kämpfte gegen Finior. Erneut schien das gesamte Buschwerk in Unruhe zu geraten und drei neue Angreifer erschienen. Mireylle kroch langsam von der Gruppe weg. Sie fühlte sich wesentlich sicherer, wenn sie etwas festes, wie einen Baum, im Rücken hatte. Seltsamer Weise war sie nicht sonderlich beunruhigt, auch wenn sie ihre Augen nicht vom Kampf lösen konnte. Ihre Gedanken kreisten um Traumprinz. Sein Geschenk schützte sie also tatsächlich. Es machte sie also für Angreifer unsichtbar. Deswegen hatte sie bei dem Übergriff auf das Dorf so viel Glück gehabt. Die fremden Soldaten hatten zwar ihre Pfeile, aber nicht sie selbst erkennen können.

Noch im Rubinpalast hatte Surell ihr von der magischen Spur erzählt, die jedes Wesen hinterließ. Es war wie ein Nachhall der eigenen Aura. Diese Spur und die Aura selbst wurden von Traumprinz’ Geschenk scheinbar unsichtbar gemacht. Sonst hätten die Dämonen sie bei einem optischen Unsichtbarkeitszauber erkennen können, das wusste sie. Ariana hatte ihr auch ein wenig über Magie beigebracht. Nicht genug, um sich gegen Magie wappnen zu können, aber genug, um dies zu verstehen. Mit reiner Unsichtbarkeit konnte man nur magisch unbegabte Wesen täuschen, denn sie legte nur einen die Umgebung imitierenden Mantel über sie. Ihre Ausstrahlung blieb weiterhin wie sie war, für alle magisch begabten Wesen sichtbar.

Mit einem Anflug von Abscheu erkannte Mireylle ihre eigene Abstumpfung gegenüber dem Tod. Langsam aber sicher gewöhnte sie sich an die ständigen blutigen Kämpfe und deren Opfer, doch noch immer rebellierte ihr Inneres gegen diese Kälte. Sie konnte nicht mit ansehen, wie das Leben aus den Toten entwich. Es war nicht widerlich, wie es die Leichen oftmals waren, doch es drehte ihr trotzdem den Magen um. Das Verschwinden des Lebens. Irgendwas in ihr schrie bei jedem Tod auf, als würde eine noch viel größere Sünde geschehen. Als sei das Ende eines denkenden Wesens nicht alles Unrecht, das hier geschah.

Sie zuckte zusammen, als etwas knapp über ihrem Kopf in den Baum einschlug. Noch ehe ihr bewusst wurde, dass der magische Schild um sie nicht mehr wirkte, rollte sie sich erschrocken zur Seite. Dieser Dämon hatte ihr genau in die Augen gesehen. Sie sah auf. Ihr aus dem Nichts gekommener Angreifer schaute sich verwirrt um, als suchte er sie. Der Schild schien also doch noch zu wirken, aber vielleicht war er für diesen Dämon nicht stark genug. Verzweifelt kroch sie zur Seite und hoffte dem Dämon würden ihre Handabdrücke im Staub entgehen. Doch die Dunkelheit war für Dämonen kein Hindernis. Der Fremde hielt inne und strich mit dem Finger über die Stelle, wo eben noch ihr Ellbogen aufgelegen hatte.

Mireylle richtete sich auf und warf einen flehenden Blick zu Surell und Finior hinüber, doch die beiden wirbelten noch immer in einem wilden Kampf durch die Gruppe der Angreifer.

Surell gelang es, einen von ihnen zu töten, doch seine Aufmerksamkeit galt noch immer den anderen dreien. Von ihm konnte sie keine Hilfe erwarten. Noch ehe sie ihren Hilfeschrei beendet haben würde, wäre sie schon das Opfer ihres Häschers.

Der Dämon schnüffelte und richtete sich auf. Erneut trafen seine Augen die ihren. Benommen konnte Mireylle nur das pochende Rasen ihres Herzens wahrnehmen, als er sich ihr grinsend näherte.

Surells Augen huschten zu der Stelle hinüber, an der er Mireylle vermutete. Zu seinem Entsetzen erblickte er nicht nur Mireylle, sondern auch einen Dämon, dessen gezückte Klinge bereits auf ihren Hals zuraste. Ein Adrenalinstoß mobilisierte all seine Kräfte. Magie wogte um ihn herum und schlug einer Peitsche gleich alle drei feindlichen Dämonen neben ihm zu Boden. Selbst Finior wurde davon geweht, doch das realisierte Surell nur am Rande seines Bewusstseins. All seine Gedanken kreisten nur um die Klinge, die sich wie in Zeitlupe auf Mireylle zu bewegte. Magie beschleunigte seine Schritte, all seine Bewegungen, bis aufs Äußerste, als er mit gezogener Waffe heranraste.

Mireylle fiel im Zurückweichen Rückwärts, als die Klinge immer näher kam, langsam, ganz langsam, als fiele sie durch Sirup. Die Waffe des Angreifers berührte ihren Hals, Surells Klinge raste heran und berührte seine Waffe. In diesem Augenblick wirbelten Mireylles Hände schneller, als Surell es für möglich gehalten hätte durch die Luft und ein strahlendes Licht flammte zwischen den Dreien auf. Geübt rollte Surell sich ab, als die strahlende Magie ihn mit einer erschreckenden Kraft davon schleuderte. Mireylles Angreifer überschlug sich in der Luft und kam mit beiden Beinen auf einem Baum zum stehen, der dicke Stamm brach augenblicklich. Sein Ziel blieb aber weiterhin das Mädchen. Surell lächelte. Diesmal würde er schneller sein, er war wesentlich mächtiger als dieser Dämon. Und wesentlich geschickter.

Sein Blick richtete sich sanft auf das rothaarige Mädchen, das noch immer langsam zu Boden fiel, ihre Augen im Schrecken noch immer weit aufgerissen.

Mit einem geschickten Manöver wirbelte er zu ihrem Angreifer, schlug ihn entzwei und raste heran, um das fallende Mädchen aufzufangen. Sie war erneut ohnmächtig geworden.

Finior kämpfte indes bereits gegen den ersten der drei Angreifer, der sich wieder hatte aufrichten können. Vermutlich würden sie es in Kürze mit viel mehr Soldaten zu tun bekommen. Die eben gewirkte Magie war zu stark gewesen, um unbemerkt zu bleiben.

Heerführer Haguren nickte beifällig, als Finior seine drei Gegner mustergültig erschlug. Der blick des jungen Dämonen war vorwurfsvoll, als er dem seinen begegnete. Kaum zu glauben, wie jung dieser Dämon war. Seine Fähigkeiten waren überragend. Surell selbst wusste nicht zu sagen, ob er in diesem Alter schon so mächtig gewesen war. Durchaus möglich, dass er einem zukünftigen Lord gegenüberstand.

Er löste sich von dem hellen Blick des Jungen und strich Mireylle sanft durchs Haar. An den Ansätzen schimmerte es silbern. Sie hatte erneut auf seltsame Art Magie gewirkt und war danach in Bewusstlosigkeit gefallen. Ihre Aura glitzerte und prickelte in seiner Wahrnehmung. Am Rande bemerkte er das nahen von über einem Dutzend Auren, Dämonenauren. Er winkte Finior zu sich und legte ihm das Mädchen in die Arme. „Du passt jetzt auf sie auf, ich kümmere mich um die da.

Bleib genau hier stehen, verstanden?“

Der Junge Dämon nickte zur Erwiderung ernst.

Ohne zu zögern zog Surell mit der Schwertspitze einen weiten magischen Kreis und einen weiteren um Finior und Mireylle. In wenigen Sekunden befanden sie sich an Rande eines gewaltigen Pentagramms. Finior folgte den Linien und Zeichen, die Surell zog und deutete nach und nach die komplexe Beschwörung. Seine Vermutungen bestätigten sich, als der Heerführer das Gebilde vom Boden löste und in die vierte Dimension kippte. Ein weiterer magischer Bannkreis folgte. Finior schnaubte missbilligend, als er das Gebilde erkannte. Dies war eindeutig übertrieben. Dieser Zauber konnte ein Heer vernichten und Surell wob ihn nur, um zehn, zwanzig Dämonen auszuschalten? Gut, er würde ihn und Mireylle schützen, aber alles in allem war es Verschwendung.



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Kommentare zu dieser Fanfic (17)
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Von:  Armida
2008-09-28T18:48:39+00:00 28.09.2008 20:48
Hey,
tut mir leid das ich jetzt erst dazu komme einen Kommi zu hinter lassen, aber ich hab in letzter Zeit echt viel zu tun.
Ich fand das Kapitel wieder klasse.
Langsam hab ich das Gefühl das Mireylle in diese Welt gehört (also dort geboren ist) und irgendwie als sie klein war in die andere Welt geraten ist.
Ich freu mich schon auf das nächste Kapitel.

LG Armida
Von:  Armida
2008-08-26T11:29:15+00:00 26.08.2008 13:29
Endlich geht es weiter *Luftsprung mach*.
Also jetzt Surell und Mireylle, bin mal gespannt was daraus wird. Und was Surell jetzt mit Mireylle anstellt. Freu mich schon total aufs nächste Kapitel.

LG Armida
Von:  Armida
2008-06-03T14:42:06+00:00 03.06.2008 16:42
Hey,
endlich komm ich dazu ein Kommi zu hinterlassen. Musste mir nochmal das vorherige Kapitel durchlesen.
Ich finde das neue Kapi ist dir gut gelungen. Ich hatte nur ein paar Probleme die ganzen Charaktere auseinander zu halten und musste teilweise etwas zurück gehen, um nachzuschauen wer wer war (z.B. Finior). Schwer lesbar fand ich es nicht und unverständliches war so weit ich mich erinnere nichts dabei. Schade fand ich nur das du an so einer Spannenden Stelle einen Schnitt gemacht hast.

Armida

Von:  Armida
2008-05-10T20:15:15+00:00 10.05.2008 22:15
Hey,
*vorsichtig um die Ecke schauen* tut mir leid das ich jetzt erst ein Kommi schreibe hatte in letzter Zeit Schulstress ohne Ende. Darüber habe ich vergessen dir einen Kommi zu hinterlassen, dann hatte ich endlich wieder Zeit da wusste ich nicht mehr was im Kapitel vorkam *verlegen hinterm Ohr kratz*, also musste ich es nochmal lesen und dann kam ich wieder nicht zum schreiben.
Aber jetzt, hammer fand ich das Mireylle nach den Zauber/Bann/Elektrischer Schlag/whatever erblindet ist, hatte auch gedacht das sie jetzt blind bleibt -ein kleiner Teil von mir hatte es sogar gehofft, hey jeder von uns ist ein bisschen sadistisch veranlagt- das sie jetzt endlich auch von Shahaan trennt find ich gut, wird auch irgendwie Zeit. Glaub aber nicht das Shahaan das sich so gefallen lässt, bin mal gespannt wie es weiter geht.
Und was Traumprinz an geht, ihn find ich irgendwie richtig süß. Ich denke das er so ähnliche Kräfte/Talente/Magie/whatever hat wie Mireylle.

Armida

Von:  Hoellenhund
2008-02-20T14:52:51+00:00 20.02.2008 15:52
Hallo!
Endlich bin ich mal zum Weiterlesen gekommen!^^ War ja dieses Mal auch ein recht langes Kapitel.


Was ich zunächst anmerken möchte, ist, dass es mich stört, dass du oft vor und hinter wörtlicher Rede keine neue Zeile beginnst. Ich persönlich finde, das stört den Lesefluss, besonders als Mireylle Shahaan im Kornfeld sieht und du selbst als die beiden UNTERSCHIEDLICHEN Personen sprechen, keine neue Zeile beginnst.
Komischerweise hast du das später nicht mehr gemacht xD

Natürlich hat mir auch dieses Kapitel wieder sehr gut gefallenl. Besonders mochte ich die Art, in der du Mireylle in die andere Welt hast übertreten öassen, das fand ich sehr spannend und stilvoll. Leider ist mir etwas entgangen, wie sie dann wieder in ihre Welt zurückgekehrt ist - indem sie noch einmal über die Brücke ging? Es würde mich freuen, wenn die Stelle noch ein wenig klarer werden würde ^_^
Aber insgesamt bin ich wirklich positiv überrascht darüber, wie viel Spannung und Aktion du in dieses Kapitel gebracht hast - der Dämon, das Überwechseln in die andere Welt, der Straßenkampf. Das alles hast du schön und packend beschrieben und es hat mich wirklich gut bei der Stange gehalten ^.^

Ich hoffe ich komme bald zum Weiterlesen, denn jetzt wird es richtig interessant. Ich frage mich sowieso die ganze Zeit, aus welchem Grund ein Vampirdämon (was immer das nun eigentlich ist) ein Mädchen wie Mireylle brauchen sollte - ist es nur diese Höhle? Und was wird sie wohl für ihn holen müssen? Es ist bestimmt ein Hochverräter oder sowas *grins* Ich bleibe gespannt.

-------------
Hier zu den Textstellen, die mir beim Lesen aufgefallen sind^^

-"Sie sollte den Zutritt zu einer fremden Welt haben!"
Das soll Shahaan davor gesagt haben? Ich konnte das aus seiner Rede über die Verwirrungen, dass Mireylle eine andere Welt SEHEN kann, nicht herauslesen, ehrlich gesagt @.@

-"Nicht nur einmal stolperte sie über Halme, die sich um ihre Knöchel wanden und zu Boden rissen"
Das finde ich ehrlich gesagt etwas übertrieben. Vor allem in einem KORNFELD. Korn kann sich nicht um Knöchel schlingen *g* Das ist gar nicht flexibel genug.
Oder wolltest du damit sagen, dass die Halme, über die sie stolperte, aus der ANDEREN Welt kamen? Das wäre ja durchaus möglich. Das würde ich allerdings anmerken, weil es mir als Leser nicht ganz klar wurde.
Wenn du im realen Kornfeld stolpern lassen möchtest (auch wenn mich das an einen Effekt aus amerikanischen Horrorfilmen erinnert) würde ich hier eher sagen, dass sie in der Hast über ihre eigenen Füße fällt oder vielleicht über Steine/Erdbrocken im Feld =)

-"Sie konnte nur hoffen, das, was ihn bisher bewogen hatte, sie am Leben zu lassen, würde sie weiterhin schützen."
Über den Satz bin ich gestolpert. Vielleicht kannst du das noch mal anders formulieren. Man stolpert irgendwie darüber, dass du das "dass" weggelassen hast und bekommt das Gefühl, du hättest bei dem "das" das 2. s vergessen und dann stolpert man über den Satz =)

-"Sie traute sich nicht, zu fragen, und es erschien ihr auch nicht unbedingt als notwendig."
Entweder "und es erschien ihr auch nicht als unbedingt notwendig" oder "es erschien ihr auch nicht unbedingt notwendig". Aber deine Satzstellung ist glaube ich so nicht korrekt^^

-"er sah sie durchdringend an und zog in Erartung der angedeuteten Bitte unwillkürlich die Augenbrauen zusammen."
Da hast du einen Tippfehler. "Erwartung". Und ich vermute mal, dass sie die Augenbrauen zusammenzieht, sonst ergibt es für mich keinen Sinn, in der Satzstellung klingt es aber, als würde er es tun.

-"als Etwas sich mit beiden Füßen darauf stellte und das Ding mit bloßen Händen in zahllose Scherben zerbrach."
Das DING? Das klingt aber nicht sehr fein formuliert *gg*

-"Die Leute waren ihr schon immer wesentlich wichtiger gewesen."
Wichtiger als Mireylle oder wichtiger als ihre Tochter, würde ich noch anfügen, sonst weiß man nicht genau, was du meinst.

-"Dann rannte sie zum Fenster, riss es auf und kletterte auf die Feuerschutzleiter."
Diese kleine Szene erscheint mir zu mühelos. Davor und auch kurz danach beschreibst du wieder, wie schwer Mireylle das alles fiel, aber hier fehlt es irgendwie^^
Von:  Hoellenhund
2008-02-11T07:57:27+00:00 11.02.2008 08:57
[Fanwork - Comment for Comment Zirkel]

Hier ist also endlich der Kommentar von mir, du hast lange darauf warten müssen^^

Also erst einmal möchte ich sagen, dass mir das erste Kapitel schon sehr gut gefallen hat.
Ich mag deine Art zu beschreiben, wie du Stilmittel einsetzt. So wirken deine Beschreibungen sehr lebendig und sind angenehm zu lesen, was auch nötig ist, da dein Text sehr beschreibungslastig ist.
Das möchte ich dir ein klein wenig ankreiden, denn dadurch wirkt das Kapitel vor allem am Anfang etwas träge. Du schaffst es zwar, durch deine schönen Beschreibungen Stimmung aufkommen zu lassen, ABER: Show, don't tell! Du erzählst sehr ausführlich, was Mireylle widerfährt, wie sie lebt. Wieso entscheidest du dich nicht gleich zu Beginn für eine Szene, die genau das zum Ausdruck bringt? Eine Szene aus ihrem alltäglichen Leben, die aufzeigt, was du so lang erklärst.
Im Anschluss würde ich die Beschreibung ruhig noch nachschieben, denn sie ist sehr stimmungsvoll, aber gerade zum Einstieg würde eine Handlung den Leser meines Empfindens nach besser ins Geschehen führen.

Aber nach dieser leicht mühseligen Einführung geht es höchst interessant weiter, man wird endlich ins Geschehen eingelassen und erfährt mehr über das Leben und Aussehen von Mireylle.
Hier hat mir vor allem die Kampfszene zugesagt, die hast du wirklich hinreißend beschrieben; das liegt dir wirklich gut. Davon könnte ich mir eine Scheibe abschneiden *gg* Es ist wirklich fesselnd.

Auch die Beschreibung von Mireylles Empfindungen und Gedanken gefällt mir besonders gut. Man kann sich richtig gut in sie hineinfühlen und mitfiebern. Das habe ich nur selten bei Geschichten und auch Büchern erlebt, weshalb es mich besonders fasziniert. Zwar erinnert mich deine Art zu Beschreiben sehr an meine eigene, ich glaube aber, du kriegst es besser hin *g* In jedem Fall gelingt es dir sehr gut.

In der Szene, in der Myrille zusammengeschlagen wird, würde ich mir noch ein paar dieser Empfindungsbeschreibungen wünschen, vor allem, bevor sie mit dem Kopf gegen wie Wand schlägt.

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Insgesamt hat mir das Kapitel also sehr gut gefallen: Es ist fesselnd geschrieben, man kann sich sehr gut in die Charaktere hineinversetzten und vor allem die Einblicke in das Empfinden von Mireylle im Bezug auf die Aura anderer Menschen hat mich beeindruckt.
Das einzige, was mir nicht gefallen hat, waren die genannten Kleinigkeiten und, dass mir die Geschichte etwas holter-die-polta beginnt. Du bringst zwar am Anfang zum Ausdruck, dass Mireylle schon sehr lange so lebt und erst plötzlich dieser Vampirdämon erscheint, doch beim Lesen bekommt man diesen Eindruck irgendwie nicht richtig. Es scheint, als würde alles damit beginnen und daher wirkt es irgendwie etwas hals über Kopf. Auch aus diesem Grund würde ich empfehlen noch eine kleine Szene vor die Erläuterung am anfang zu schieben, einfach um dem Leser ein besseres Zeitgefühl zu geben. Und natürlich wegen "show, don't tell!"^^
Es gefällt mir sehr, dass du nicht gleich alles aus Mireylles Leben voranstellst sondern ihren Alltag ganz allmählich aufdeckst. Dadurch bleibt es interessant und ich liebe deine schönen Beschreibungen und deinen Schreibstil allgemein.
Ich kann nur sagen: Weiter so!

Ich werde die Geschichte weiterlesen, denn sie gefällt mir wirklich richtig gut, vor allem den Vampirdämon finde ich zum "anbeißen" *g* Aber dann nicht im Namen des Zirkels sondern ganz privat ^.~
Die Geschichte kommt direkt zu meinen Favouriten. Mal schauen, wann ich weiterlese =)

Kleinigkeiten:

>"eine Welt, die sie nicht einmal aussperren konnte"
Diese Formulierung finde ich seltsam gewählt. Eine Welt kann man ja schließlich so oder so nicht aussprechen ;) Vielleicht solltest du stattdessen so etwas wie "beschreiben" sagen^^

>"Zwar waren zu dieser Zeit mehr Schrecken der anderen Welt unterwegs, doch andererseits war sie ihnen egal"
Bezug ist schwer zu erkennen. Wer war wem egal? (Das Problem entsteht glaube ich vor allem dadurch, dass man beim Lesen automatisch den Eindruck hat, dass es sich nicht auf "Schrecken" beziehen kann, weil einem Schrecken normalerweise nichts egal sein kann)

>"nerviger Beobachter"
Das Wort "Nervig" scheint hier nicht zu passen, da du dich sonst sehr gewählt ausdrückst. Vielleicht lieber "lästig" oder "aufdringlich"

>"ohne ein Geschöpf oder ein Lebewesen ihrer Welt zu erblicken."
Der Begriff "Lebewesen" schließt "Geschöpfe" schon mit ein^^

>"seinem Gegner einen entscheidenden Schlag verpasste"
Hier wieder ein Wort, das aus dem Wortschatz zu springen scheint, weil es umgangssprachlich wirkt. Vielleicht lieber "versetzen" statt "verpassen"^^

>"dass er mir ihr redete"
Wieder das^^ ich würde evtl. "sprach" statt "redete" verwenden^^

[Fanwork - Coment for Coment Zirkel]
Von:  Armida
2008-01-27T13:21:13+00:00 27.01.2008 14:21
Also dieses Kapitel fand ich echt Hammmer, konnte gar nicht mehr aufhören mit dem lesen, schade das jetzt an so einer interessant Stelle schluss ist. Schreib bloss weiter sonst bekommst du mächtig ärger mit mir.
Mireylle tut mir richtig leid, sie hat in letzter Zeit nur Pech.

Armida
Von:  YuMorino
2008-01-07T16:36:30+00:00 07.01.2008 17:36
hi!!^^
erst einmal entschuldigung das ich nicht schon früher das kommi hinterlassen konnte hatte keine zeit!!v.v
das kapi war super echt der hammer nur dieser dumme simon ist echt und war ein böser mieser kerl!!
aber ein glück das der jetzt weg ist obwohl sie dadurch noch nur noch mehr ärger hat!!
aber echt genial das mit dem weg über der schlucht!!
bin schon gespannt wei es weitergeht!!
bis dann yu
Von:  Armida
2008-01-06T17:37:23+00:00 06.01.2008 18:37
Ich hinterlasse jetzt schon mal ein Kommi, je nachdem wie es weiter geht bekommst du vielleicht noch eins *hehe*. Bis jetzt find ich das Kapi gut, freu mich schon auf den restlichen Teil.
Von:  Nochnoi
2008-01-03T18:17:27+00:00 03.01.2008 19:17
So, erstmal muss ich mich entschuldigen, dass das mit meinem Kommi so lange gedauert hat, aber ich bin im Moment gerade sehr im Stress und hatte keine wirkliche Zeit, mich mit deinem Kapitel zu beschäftigen. Jetzt aber konnte ich wieder etwas erübrigen und ich bin wie schon zuvor gefesselt ^.^

Also dein Schreibstil ist klasse - ich glaube, das habe ich dir zwar schon mal gesagt, aber ich tue es gerne immer wieder ^.~
Und alles ist so schön verworren und undurchsichtig, ganz wie ich es mag ^^ Die ganze Situation ist schwer einzuschätzen und besonders Shahaan ist ein mysteriöser und damit äußerst interessanter Charakter ^___^ Ich bin immer noch nicht dahintergekommen, auf welcher Seite dieser Kerl überhaupt steht und was seine Pläne sind. Außerdem ist diese Sache mit den Astralen äußerst geheimnisvoll.
Ebenso bin ich neugierig, was es nun mit diesem ominösen Fürsten auf sich hat >.< Offenbar scheint er ja der Herr aller Dinge zu sein und ich bin wirklich gespannt, welche Rolle du ihm zugedacht hast!

Also kurz zusammengefasst: Das Kapitel war spitze!

Liebe Grüße
Nochnoi


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