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Salzsäure + Aceton =! Terrorismus. Kritische Bewertung der beginnenden Hausdurchsuchungsorgie 5.0 aus chemischer und juristischer Sicht. Chemikalien, eidgenössisches, Recht, SOKOMeise, Strafprozessrecht, Strafrecht

Autor:  Eru-Jiyuka
Und grade als man dachte, Politik und Justiz geht es bei diesem herrlichen Wetter der letzten Tage zu gut, um allzuviel Unsinn anzustellen und man könnte sich endlich mal etwas ausgiebiger den viel zu lange vernachlässigten Hobbys widmen, schneit (ja, Ende Juli. Das Wetter war dieses Jahr genug seltsam, um diese klimatisch unpassende Wendung zu rechtfertigen^^) schon wieder ein Fall rein, bei dem man sich einfach nur noch ganz schnell der nächstgelegenen Tischplatte hingeben möchte...

Wie immer, erst die gesammelte Medienberichterstattung zum Thema:
http://bazonline.ch/basel/stadt/Um-Mitternacht-auf-Balkon-Salzsaeure-gemischt/story/30283596
http://www.20min.ch/schweiz/basel/story/16110848
http://www.bluewin.ch/de/index.php/1926,852883/Nachts_auf_Basler_Balkon_atzende_Chemikalien_gemischt___Festnahme/de/news/regio/nor%E2%80%8Bd/?regio=&langRegio=
http://soaktuell.ch/index.php?page=/News/Basell-Chemikalien-um-Mitternacht-auf-dem-Balkon-gemischt-verhaftet_12427
http://www.badische-zeitung.de/basel/chemikalien-auf-dem-balkon--73637225.html

Also, versuchen wer mal ein bisschen Ordnung in das Chaos reinzubringen. Zunächst kurz den Sachverhalt aufzeigen, dann ausgiebiger die chemischen und juristischen Fehlschlüsse zerfetzen...

Nun dann: X, ein 31 Jahre alter Schweizer, hat um Mitternacht auf einem Balkon Salzsäure und Aceton in einem Eimer vermischt, um dieses Gemisch seinen Angaben nach als Reinigungsmittel zu benutzen. Dabei soll eine chemische Reaktion erfolgt sein, die dazu geführt haben soll, dass ätzender Dampf entstanden sei, der von einem Nachbarn bemerkt wurde. Dieser rief die Polizei, welche die offenbar entstandenen Geruchsemissionen für derart gravierend hielt, dass sie zunächst die Feuerwehr alarmierten, welche den Dampf mit Lüftern zerstreute, dann den X verhafteten, seine Wohnung durchsuchten und alle aufgefundenen Chemikalien sicherstellten.
Der Nachbar soll durch den Dampf geringfügig verletzt worden sein. (Atembeschwerden, starke Übelkeit und Augenreizungen, alles vorübergehend) Gefunden wurden bei der Hausdurchsuchung dann „einige Deziliter Salzsäure und Aceton“, sowie irgendwas anderes, was die Staatsanwaltschaft offenbar für wichtig genug hielt, mitzunehmen, natürlich aber nicht für so wichtig, auch die Öffentlichkeit ordnungsgemäss darüber zu informieren, was es denn nun war...


Wie man an dem vielen Konjunktiv ersehen kann, ist da schon mal chemisch sehr viel falsch. Und da das L. seit Dezember letzten Jahres ja keine praktische Chemie mehr betreiben darf, dankt es Major, die sich damit (also mit der Chemie^^) von Berufs wegen auseinander setzen darf, ganz herzlich für das Bereitstellen der im folgenden dargelegten fachlichen Fakten.

Erstmal zu den behaupteten illegalen Verwendungen der Substanzen
(Salzsäure und Aceton „werden im Herstellungsprozess von Sprengstoff sowie von Kokain und Methamphetamin verwendet“ -> 20min):

Äh, nein, SO stimmt das nun wirklich nicht. Ecgonylbenzoat ist, wie der Name überhaupt nicht andeutet, ein Extrakt des Coca-Strauches. Dieser enthält 0.5-2.5% an Alkaloiden, die zu 75% aus dem eben hier relevanten Kokain bestehen. Extraktionen von Alkaloiden werden üblicherweise mit einer Apparatur nach Soxleth durchgeführt und erfolgen unter Rückfluss des Extraktionsmittels, um Lösungsmittel zu sparen und effektiver extrahieren zu können etwa als bei einem „Kaltaufschluss“ oder offenem Verdampfen des Lösungsmittels.

Zu den üblichen Extraaktionsmitteln zählen Hexan, Chloroform, Dichlormethan, Diethylether und Ethylacetat. Aceton ist zwar ein Lösungsmittel, und könnte damit theoretisch auch Verwendung in einem Soxlethextraktor finden, doch ist das sehr unüblich. Spontan kann sich das L. nicht einmal an eine Vorschrift aus VC und Konsorten erinnern, welche Aceton als Extraktionsmittel benutzt... (falls jemand doch noch eine findet, bitte in der Kommentaren anfügen, ja?)

Wahrscheinlicher ist aber ohnehin, dass beim Kokain gemeint war, dass HCl(aq) für die Herstellung benötigt würde. (Das wäre auch von der Sprachstellung her passender...) Dummerweise ist auch das so nicht wirklich korrekt. Ja, es gibt von diesem Alkaloid auch ein gut lösliches Hydrochlorid-Salz und ja, dies wird auch als gängige Darreichungsform illegal kommerziell vertrieben, doch wird dafür nicht zwingend Salzsäure benötigt. Bei der üblichen Darstellungsweise werden die extrahierten Alkaloide (Ecognine) mit Natronlauge verseift, dann mit Benzoylchlorid und Methanol zum Kokain verestert.

Man kann das Ausgangsmaterial natürlich auch schlicht mit Kerosin, Salzsäure und ungelöschtem Kalkschlamm zusammenwerfen und diese Schlamperei dann wohlfeil und chemisch ungenau „Säure/Base-Extraktion“ nennen, aber dass da was brauchbares im Sinne von reiner Substanz bei rauskommt, darf wohl eher bezweifelt werden...
(60% Reinheit ist eine Beleidigung für jede noch so unsaubere ordentliche Darstellung und erinnert mehr an alchemythische Panscherei)

Aber auch das mit dem n-Methylamphetamin ist nur über viele Ecken und mit genügend penetranter Ignoranz stimmig. Mit Aceton bekommt man dort nämlich nur zu tun, wenn man die Syntheseroute über Phenylaceton und Methylamin wählt. Dabei ist Aceton aber immer noch kein Edukt sondern allenfalls ein (nicht notwendiger) Vorstoff, weil man Phenylaceton, wie es der Name nahelegt, auch (aber nicht ausschliesslich) durch Reaktion von geeigneten Substanzen [Benzol, Mangan(III)Acetat als Kat] mit Aceton herstellen kann. (Man kann dementsprechend Phenylaceton auch retrosynthetisch in Aceton zerlegen...)

Eine weit gängigere Methode zur Labordarstellung ganz ohne Aceton (dafür mit mehr Gift!) beschreibt Major hier: http://animexx.onlinewelten.com/weblog/14411/655300/

Und Salzsäure hat bei diesem Molekül schon gleich gar nichts zu suchen, wenn man mal davon absieht, dass es auch hier wieder ein Hydrochlorid-Salz von gibt und auch dieses verbotenerweise gehandelt wird...

Was leider in allen Medienberichten vergessen geht, obwohl für die Verhältnismässigkeit der Massnahme sehr wichtig, ist, dass Salzsäure und Aceton sehr viele legitime Anwendungsmöglichkeiten haben, so etwa:

HCl(aq)
Spoiler
1. Reinigungsmittel für anorganischen Schmutz
2. Kalkreiniger
3. Darstellung diverser Salze
4. Neutralisierung von Laugen
5. Lösen von Metallen (Überführung in die entsprechenden Metallchloride)
6. Lebensmittelzusatzstoff (E 507)
7. Darstellung von Wasserstoff (mit Zink)
8. Darstellung von Chlor (mit Kaliumpermanganat)
9. Ätzen von Platinen (mit Wasserstoffperoxid)
10. Herstellung von PVC (mit Ethin)
11. Beizen von Holz und Metallen
12. Entfernung von Mörtelresten
13. Flussmittel beim Löten
14. Säure/Basen-Titrationen
15. Scheidewasser in der Edelmetallverarbeitung (mit Salpetersäure)
16. Hilfsstoff bei der Verarbeitung von Bergwerkerzeugnissen (Roherze)
17. Holzverzuckerung
18. Regulierung des Ph-Werts von Aquarien/Pools.
19. Analytischer Trennungsgang (schwer lösliche Chloride)
20. Regeneration von Ionenaustauschern
21. Rostentferner
22. Gegenmittel für Iodflecken auf Haut und Kleidung
23. Gegenmittel für Brandflecken in Porzellan


H3C-C=O-CH3
Spoiler
1. Herstellung von Plexiglas
2. Nutzung als Nagellackentferner und zum verdünnen anderer Nitrozelluloselacke
3. Kleber für Polystyrol, Polyethylenterephthalat und ähnliche Polymere
4. Entfernung von durch Bauschaum verursachten Verunreinigungen
5. Edukt in chemischen Reaktionen zur Herstellung komplexer organischer Substanzen (Adoladditionen und Adolkondensationen)
6. Reinigungsmittel für Lack/Öl-Flecken
7. Reinigungsmittel für Leiterplatten
8. Exzellentes Lösungsmittel für Ethin sowie auch gut für Harze, Fette und Kolophonium
9. Komplexbildner mit geeigneten Kationen
10. Darstellung von Mesitylen (mit Schwefelsäure)
11. Darstellung von Iodoform (mit I/KI(aq) und Natronlauge)
12. Entfernung von Pflasterrückständen
13. Herstellung von Spachtelmassen (mit Epoxidharzen)


(Die Spoiler sind nur wegen den vielen Möglichkeiten gesetzt, die das Layout des Eintrags nicht zerfetzen sollen^^)

Weder der Besitz von Aceton noch derjenige von Salzsäure deutet daher in irgendwelcher Weise auf Drogendelikte oder ähnliche Straftaten hin.(Sie sind beide entgegen der Behauptung in Bild von BaZ und SoAktuell übrigens auch nicht giftig...)


Dann zu der Beschreibung des Desasters, dass da passiert sein soll:
Eine chemische Reaktion zwischen Salzsäure und Aceton soll dazu geführt haben, dass ätzender Dampf ausgetreten ist, dieser soll derart toxisch gewesen sein, dass ein umstehender Nachbar ohne direkten Kontakt zu den Substanzen körperliche Schäden davongetragen haben will und das ganze soll auch noch mit wenigen Dezilittern Substanz durchgeführt worden sein.

Auch dazu ist zu sagen, nein, so wie geschrieben kann das zweifelsohne nicht geschehen sein. Eine chemische Reaktion ist dadurch definiert, dass eine – wie auch immer geartete – Umwandlung von chemischen Stoffen vor sich geht, also dass zumindest ein Atom einer Substanz nach der Reaktion irgendwo anders befindet, als es zuvor war. Verlassen die Substanzen den Vorgang hingegen unverändert und allenfalls in einem anderen Aggregatzustand, so handelt es sich NICHT um eine chemische Reaktion.

Aceton lässt sich aber durch Salzsäure gleich welcher Konzentration jedoch weder dazu überzeugen, zum Chloraceton zu werden (dafür brauch man schon „richtiges“ Chlor, also Cl2, ob gasförmig oder als gekühlte Flüssigkeit ist wohl egal...), noch dazu, sich zum Isopropanol reduzieren zu lassen (dafür werden nicht Protonen benötigt, sondern starke Reduktionsmittel wie etwa Hydride. Wäre für Aceton m.E aber Verschwendung, NaH ist teuer...). Eine chemische Reaktion zwischen den beiden Stoffen kann daher definitiv ausgeschlossen werden.

Was aber ist denn dann da erfolgt? Nun, wenn die eine Naturwissenschaft nicht mehr weiterhelfen kann, ist es hilfreich, sich der anderen, in diesem Fall der Physik zuzuwenden. Da begibt sich das L. zwar wieder mal (Fn. 24) auf ziemliches Glatteis *hust* 2.4 in der Abschlussprüfung hatte *hust*, aber, wer nicht wagt, der nicht gewinnt, daher wenden wer uns mal ganz kurz dem wunder-fürchterlichen Gebiet der Thermodynamik zu. Diese kennt nämlich das Phänomen der sogenannten Mischungswärme, die von der Enthalpie der zu mischenden Stoffe abhängt. Auf deutsch – je nach dem, was man miteinander mixt, wird's also unterschiedlich warm oder kalt in der Lösung... Wie warm genau, dass wäre noch zu beweisen. Da man dazu rechnen muss und das L. dies von Berufs wegen schon nicht können darf (Judex non calculat), muss der Nachweis dafür, dass die Mischung von Salzsäure und Aceton allenfalls eine sehr geringe Hitze produzieren kann, aus fachspezifischen terminlichen Gründen ausnahmsweise nachgereicht werden.

Und an die BaZ, die Stärke einer Brönsted-Säure (HX + H2O -> H3O+ + OH-) bemisst sich nicht danach, welche Materialien sie auflösen kann, sondern wie gerne sie ihre Protonen abgibt, sprich zu wie viel Prozent sie in Wasser in Ionen zerfällt. (Dissoziation) Schon herkömmlicher Speiseessig kann etwa wunderbar Kupfer zum entsprechenden Acetat verbasteln. Deshalb behaupten zu wollen, Speiseessig sei eine „scharfe Substanz“ im Sinne von gefährlich, ginge aber wohl relativ deutlich fehl...

Um damit zum juristischen Teil des Eintrag zu kommen: Lassen wer das unsägliche neue Chemikalienrecht [1] doch einfach mal liegen und schauen stattdessen in die Strafprozessordnung, dort steht nämlich, welche Anforderungen allgemein an die Beschlagnahme von Gegenständen und an Hausdurchsuchungen zu stellen sind. [2]

Für ersteres ist Art. 263 StPO zuständig. Dieser besagt im wesentlichen, dass nur all die Dinge beschlagnahmt werden dürfen, und das die Beschlagnahme grundsätzlich auch von der Staatsanwaltschaft durchgeführt werden muss und nur ganz ausnahmsweise durch die Polizei qua eigener Kompetenz erfolgen darf. [3] (Die Staatsanwaltschaft kann sich freilich auf Art. 15 Abs. 2 StPO [4] berufen und dann im Endeffekt dennoch die Polizei losschicken, aber das ist ein anderes Problem.)

Zu prüfen ist also, ob den einkassierten Substanzen in casu Beweiswert zukommt oder ein Einziehungsgrund besteht. Zum ersten, Beweiswert hat etwas analog zum strafrechtlichen Urkundenbegriff nur dann, wenn es dazu geeignet ist, eine rechtserhebliche Tatsache zu belegen [5] und dieser Beleg nicht bereits anderweitig erbracht worden ist rsp. noch werden kann. [6] Der Beweiswert eines Gegenstands hängt sodann integral davon ab, was er überhaupt beweisen soll, sprich, welcher Straftatbestand überhaupt im Raum steht und ob der Gegenstand zum Nachweis dessen Erfüllung etwas beitragen kann.

In casu können, soweit man der nicht unzweifelhaften These folgen mag, dass die Mischung unmittelbar [7] zu körperlichen Schädigungen beim Nachbarn geführt hat, fahrlässige Körperverletzung nach Art. 125 StGB sowie fahrlässige Gefährdung von Leib und Leben mittels giftigen Gasen nach Art. 225 StGB vorliegen.

Letzteres mag nicht unbedingt einleuchten. Also, warum ist Salzsäure in flüssiger Form (und natürlich auch Aceton) juristisch gesehen ein „giftiges Gas“? Das liegt daran, dass diejenigen Strafrechtler, welche die Definition geschrieben haben, offensichtlich nichts von Chemie verstanden haben. Die allgemeine Kommentierung geht nämlich davon aus, giftige Gase seien „alle gasförmigen Stoffe, die in ihrer konkret verwendeten Menge geeignet sind, eine Leib oder Leben gefährdende Vergiftung hervorzurufen.“ [8]

Damit gilt folglich jeder Stoff als „giftiges Gas“, welcher eine gasförmige Phase hat und der in beliebiger Menge lebensgefährlich sein kann. Also auch Kochsalz...
(Sdp. 1465°C, LD50 3000mg/kg). Eine gewisse wissenschaftliche Korrektur wäre da bei der Neuauflage der Standartwerke zu wohl angebracht^^

Allerdings ist der Artikel trotzdem nicht einschlägig. Dies liegt daran, dass auch Fahrlässigkeit ein Mindestmass an persönlich vorwerfbarem Verhalten des Beschuldigten erfordert. Kann diesem gar kein Vorwurf gemacht werden, so ist sein Tun auch nicht fahrlässig! Netterweise ist die Fahrlässigkeit beim 225er sogar relativ klar definiert, so hantiert jemand nur dann fahrlässig mit „giftigen Gasen“, wenn er dabei eine objektive Sorgfaltspflicht verletzt, oder eine Aufgabe übernimmt, die fachlichen Sachverstand erfordert, über welchen er nicht verfügt. (spezifizierte Ingerenz)
Dafür muss er aber zuvorderst einmal selbst nach der allgemeinen Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge vorhersehen können, dass es bei der fraglichen Handlung voraussichtlich zu einer konkreten Gefährdung von Menschen oder Sachen kommen könnte. [9]

Anhand der obigen Berechnung ist dazu folgendes ersichtlich:
Muss man damit rechnen, dass sich die Substanzen beim Mischvorgang erwärmen -> Ja!
Muss man damit rechnen, dass durch die Wärme gasförmiges HCl entweicht -> Ja!
Muss man damit rechnen, dass bei wenigen Dezilitern Substanz derart viel HCl-Gas entweicht, dass dieses einen Nachbarn in einiger Entfernung körperlich schädigen kann?
-> Eindeutig NEIN!, weil kaum bis gar nicht plausibel
Damit fehlt es an der Adäquanz der Kausalität, mithin an der Fahrlässigkeit und die Strafbarkeit nach Art. 225 StGB ist folglich zu verneinen.

Die Verneinung von Art. 125 StGB verläuft analog. Die Kriterien sind dabei zwar etwas unbestimmter, doch der strafrechtliche Fahrlässigkeitsbegriff bleibt derselbe, sodass kein fahrlässiges Verschulden nach Art. 125 StGB vorliegen kann, wenn Vorliegen von Fahrlässigkeit zuvor bereits anderswo verneint wurde. Aber selbst wenn man gleichwohl irgendwo Strafbarkeit bejahen möchte, war die Mitnahme der Substanzen als Beweismittel unnötig. Diese können nämlich nur belegen, dass X. sie in Besitz hatte und allenfalls lässt sich am Füllstand noch erkennen, ob sie verwendet wurden. All dass ist aber völlig unerheblich, weil X. die Verwendung gar nicht erst bestreitet, er gab ja gerade zu Protokoll, dass er die Substanzen vermischt habe (um das Gemisch als Reinigungsmittel einzusetzen). Daher hätte es gereicht, auf die übereinstimmenden Aussagen von X., dem Nachbar sowie den Polizeibeamten abzustellen und allenfalls noch ein Foto der Substanzen für die Galerie sprich Asservatenkammer anzufertigen.
Aus dem Besitz dieser Chemikalien kann ohnehin auf nichts geschlossen werden. [10]

Bleibt noch die Möglichkeit, dass die Substanzen beschlagnahmt wurden, weil sie einzuziehen wären. Die Einziehung richtet sich Nach Art. 69 Abs. 1 StGB und darf nur für all jene Gegenstände erfolgen, „die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind“ und dies auch nur, wenn aus dem Gegenstand selbst eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Sittlichkeit oder Ordnung hervorgeht. Nach einem (m.E klar zu weit gehenden) alten Bundesgerichtsurteil [11] kann zwar schon ein Destilierkolben eingezogen so werden, doch ist sich die Lehre [12] mittlerweile recht einig darin, dass es nicht genügt, wenn ein Gegenstand in irgendeiner Weise in eine Straftat involviert war, sondern es muss vielmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Gegenstand weiter deliktische Verwendung finden wird, falls er nicht eingezogen würde. Dementsprechend ist auch eine Schusswaffe nicht bloss aufgrund des ihr innewohnenden Gefahrenpotential einzuziehen. [13]

Auf den Fall angewendet bedeutet dies, dass keine Chemikalie eingezogen werden darf,
von der nicht mit „suffisamment vraisemblable“ (hinreichender Wahrscheinlichkeit) angenommen werden darf, sie werde zukünftig in sicherheitsgefährdender Weise eingesetzt, auch dann nicht, wenn die betreffende Substanz allenfalls bereits in strafbarer Weise verwendet wurde.

Da es äusserst unwahrscheinlich ist, dass sich X. nach diesem Vorfall angesichts der negativen Konsequenzen nochmal dazu hinreissen lassen wird, Salzsäure und Aceton ohne Kühlung zu vermischen, handelt es sich bei seinem Verhalten nicht um ein hinreichendes Anzeichen künftiger Gefahr sondern allenfalls um eine "einmalige Entgleisung", "die sich aller Voraussicht nach nicht mehr wiederholen wird", was nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung für eine Einziehung klar nicht ausreicht.

Damit fehlt eine Rechtsgrundlage für die Beschlagnahme der Substanzen, diese ist rechtswidrig erfolgt.

Die bezeichneten Substanzen, und was auch immer sonst noch an Chemikalien eingepackt wurde sind dem Beschuldigten X. folglich gem. Art. 267 Abs. 1 StPO unverzüglich zurückzugeben.

Im Übrigen ist sowohl der Verwendungszweck als auch die Zeit der Ausführung entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft sehr wohl plausibel. Salzsäure ist, wie oben bereits angemerkt, ein gängiges Reinigungsmittel, welches sich durchaus auch in Kombination mit Aceton (oder halt einem anderen Lösungsmittel, Ethanol/Isopropanol dürfte als Zweitkomponente wohl noch gängiger sein...) in Fachkreisen grosser Beliebtheit zur Reinigung von Laborgerätschaften erfreut. [14] Auch das nächtliche Treiben kann dem X. nicht zur Last gelegt werden, das ist nämlich nicht verdächtig, sondern eher rücksichtsvoll.

Wer einen chemischen Versuch durchführen möchte, der von Emissionen begleitet sein könnte, hat mit Vorteil nicht nur für allfällige Unfälle entsprechende Gegenmittel bereit zu halten, sondern wählt Ort und Zeit auch nach der kleinstmöglichen Beeinträchtigung für umliegende Anwohner. 24 Uhr ist dafür geradezu prädestiniert, weil man um Mitternacht grundsätzlich auch damit rechnen darf, dass niemand in unmittelbarer Nähe rumfleucht, der sich durch etwaig entstehende Gerüche/Rauch belästigt fühlen könnte. [15]

In diesem Sinne ist auch die Zulässigkeit der Hausdurchsuchung zu prüfen. Diese wird durch Art. 244 Abs. 2 StPO geregelt. Demnach sind Hausdurchsuchungen (ohne Zustimmung des Bewohners) nur zulässig, wenn sie dazu dienen, eine zur Fahndung ausgeschriebene Person aufzufinden, zu beschlagnahmende Gegenstände sicherzustellen oder eine sich im Gang befindliche Straftat zu beenden rsp. ihr Ziel zu vereiteln. (Gefahr im Verzug)

Die Anwendung der ersten Regel scheitert daran, dass keine Fahndung nach der Person X. gem. Art. 210f. StPO vorliegt. Möglichkeit zwei erledigt sich, weil der Beweiswert der beschlagnahmefähigen Gegenstände gleich null ist und daher der Beweis nicht geführt werden darf. (Art. 139 Abs. 2 StPO)

Bleibt noch die dritte Rechtfertigung, und die ist leider nicht von der Hand zu weisen. Theoretisch muss dafür zwar ein hinreichender Verdacht bestehen, der auf tatsächlichen Anhaltspunkten basiert, de facto genügt aber ein Anfangsverdacht (02:32ff.), also die bloss gefühlte Vermutung, dass jemand eine bestimmte Straftat begeht.

Aufgrund der Aussagen des Nachbarn lässt sich kaum bestreiten, dass zumindest der Eindruck entstanden sein konnte, dass da Straftaten im Gang seien. Dass die Polizeibeamten ausgerückt sind und sich den Balkon mal angesehen haben, ist daher wohl nicht zu beanstanden.

Jedoch muss sich eine Durchsuchung nach Art. 244 Abs. 2 lit. c StPO strikt auf die vermutete Straftat beschränken, von der Durchsuchungskompetenz sind nur all jene Räumlichkeiten und Gegenstände umfasst, die mit der vermuteten Straftat voraussichtlich zusammenhängen.

Zwar dürfen Zufallsfunde sichergestellt werden (Art. 243 Abs. 1 StPO),
die reine Verdachtsausforschung hingegen ist nicht zulässig (Art. 141 Abs. 2 StPO).
Eine gezielte Suche nach Zufallsfunden nach dem erfolgreichen Sicherstellen der gesuchten Gegenstände (oder wie hier der Klärung der Sachlage) ist demnach genausowenig erlaubt, wie die Durchführung einer Hausdurchsuchung ohne konkreten Anlass, die rückwirkend mit den aufgefundenen Gegenständen begründet wird.

Soweit die Hausdurchsuchung also über eine Begutachtung des Balkons und der Beseitigung der störenden Dämpfe hinausging, war sie demzufolge ebenfalls rechtswidrig.

X. kann gegen die Hausdurchsuchung Beschwerde nach Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO wegen Rechtsverletzung gem. Art. 393 Abs. 2 lit. a StPO einlegen. Er kann damit insbesondere die Unverwertbarkeit der rechtswidrig erhobenen Beweise sowie die Rückgabe der beschlagnahmten Gegenstände erzwingen lassen.

Und wie kommt nun der Nachbar schliesslich zu seinem Recht (Ersatz notwendiger Heilungskosten), unter der (physikalisch wohl unhaltbaren) Prämisse, er sei durch den Mischungsvorgang direkt verletzt worden?

Als Zivilanspruch direkt aus einer strafbaren Handlung nach Art. 119 Abs. 2 lit. b StPO i.v. mit Art. 49 OR lässt sich dies mangels entsprechender Strafbarkeit des X. nicht ableiten.

Ebensowenig greift die allgemeine ausservertragliche Haftpflicht nach Art. 41 OR oder das Persönlichkeitsrecht nach Art. 28 ZGB, da diese beiden Anspruchsgrundlagen für Schadenersatz jeweils das Verschulden des Anspruchsgegners und damit zumindest leichte Fahrlässigkeit voraussetzen. [16] Bleibt folglich nur eine zivilrechtliche Kausalhaftung, welche definitionsgemäss kein Verschulden benötigt, sondern nur den Nachweis des Schadens und der natürlichen Kausalität, also nur die Zuordnung des schädigenden Verhaltens zur Verantwortung des Anspruchsgegners erfordert.

Kausalhaftungen sind aufgrund des ihnen innewohnenden Durchbruchs des Grundsatz der Haftung nach individuellem Verschulden zur Wahrung der Rechtssicherheit entsprechend selten, und werden immer nur zugunsten besonders gefährdeter Personen rsp. zu lasten ständiger Betriebsgefahren erlassen.

Erstaunlicherweise gibt es für Nachbarschaftsstreitigkeiten dennoch eine solche.
Sie versteckt sich sehr weit hinten im ZGB und wird gerne vergessen. (Jedenfalls kann sich das L. nicht daran erinnern, dazu in der Vorlesung über Haftpflichtrecht etwas gehört zu haben...) Nach Art. 684 Abs. 1 ZGB hat sich jedermann „übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.“ Zu diesen Einwirkungen gehört gem. Art. 684 Abs. 2 ZGB neben vielem anderen ausdrücklich auch „Luftverunreinigungen“ und „üblen Geruch“, halt eben alles, was man so unter dem Begriff „Emissionen“ verstehen mag. Art. 684 ZGB enthält allerdings nur ein Verbot, keine Rechtsfolge, sodass sich aus diesem Artikel selbst keine Anspruchsnorm für Haftung entnehmen lässt. Dafür existiert Art. 679 Abs. 1 ZGB als Generalnorm, der eine Kausalhaftung des Eigentümers für Schäden, die dadurch entstehen, dass jener sein Eigentumsrecht überschreitet, begründet.

Systematisch nicht ganz logisch (ZGB 679 steht in Kapitel A (Inhalt), die Beschränkungen und ZGB 684 aber in Kapitel B), aber von der h.L. aus Gründen des Rechtsgüterschutzes wohl zu Recht befürwortet, wird die Kausalhaftung nicht nur auf Überschreitungen des Eigentumsrecht, sondern auch auf das Nichtbeachten von Eigentumsbeschränkungen angewendet. [17] Damit kann der Schadenersatzanspruch von Art. 679 Abs. 1 ZGB auch gegenüber Schäden, die durch nach Art. 684 Abs. 2 ZGB unzulässigen Emissionen entstanden sind, durchgesetzt werden.

Sofern die körperlichen Schäden des Nachbars also tatsächlich ursächlich auf das Salzsäure/Aceton-Gemisch zurückführen lassen, was zumindest unwahrscheinlich klingt, hat er gegenüber X. zivilrechtlich Anspruch auf Ersatz der Heilungskosten.

Das L. gibt gerne zu, dass dieser letzte Schluss nun wirklich nicht mehr offensichtlich war und man das wohl als StA auch nicht in 15 Minuten rausgebastelt bekommen kann. *das auch nur wusste, weil ein Kommilitone sich schon mal erfolgreich drauf berufen hat* *für die Argumentationsbasis hier auch erst mal im Kommentar nachschlagen musste* Die in casu getroffenen Massnahmen sind dennoch, wie oben dargelegt, klar überzogen und weisen in eine unschöne Richtung, wieder hin zur allgemeinen Chemikalienhysterie...

Und nun abschliessend die Quizfrage: [18]
Sind das jetzt „sachdienliche Hinweise“ im Sinne der Internetzeitung Aargau-Solothurn, die man der Kriminalpolizei Basel-Stadt dringend mitteilen sollte? Meinungen dazu gerne in die Kommentare^^

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[1] Ob dieses mittlerweile auch schon das Mischen von Salzsäure und Aceton verbietet, ist nicht wirklich klar ersichtlich (teilweise sind die Rechtswirkungen über vierfache Querverweise zu entnehmen, die sich dabei lustig gegenseitig widersprechen...), es steht aber wohl zu befürchten. Zumindest darf man keine Anleitungen dazu schreiben, wenn die Mischung nicht auch kommerziell erhältlich sein darf. (Art. 75 Abs. 5 ChemV)

[2] Die Verhaftung überspringen wer jetzt einfach mal gnadenhalber, weil X. ja nur vorübergehend festgehalten und laut Sachverhalt auch zu keiner Zeit Haftantrag gegen ihn gestellt wurde. Aber so wirklich toll gemacht war das natürlich trotzdem nicht...

[3] Relevanter Wortlaut der Norm (Kürzungen vom -L.-, Original hier):

Art. 263 – Grundsatz

(1) Gegenstände einer beschuldigten Person können beschlagnahmt werden,
wenn die Gegenstände voraussichtlich:
a. als Beweismittel gebraucht werden
d. einzuziehen sind.

(3) Ist Gefahr im Verzug, so können Polizei Gegenstände zuhanden der Staatsanwaltschaft vorläufig sicherstellen.

[4] Relevanter Wortlaut der Norm (Kürzungen vom -L.-, Original hier):

Art. 15 – Polizei

(2) Die Polizei ermittelt Straftaten im Auftrag der Staatsanwaltschaft.

[5] Relevanter Wortlaut der Norm (Kürzungen vom -L.-, Original hier):

Art. 110 – Begriffe

(4) Urkunden sind Schriften, die bestimmt und geeignet sind, eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen.

[6] So können Beweisanträge etwa mit dem Argument abgeschmettert werden, sie würden ohnehin nur bereits bekannte Tatsachen hervorbringen. (Art. 318 Abs. 2 StPO)

[7] Im Recht spricht man bei einer solchen Ursachen-Wirkungskette vom sogenannten „adäquaten Kausalzusammenhang“. Grundlegendes dazu in verständlich bei MÜNCH/BORTOLANI-SLONGO „Praxisorientierte Einführung ins Privatrecht“ S. 47ff.
Wer sich mehr zutraut (oder vom Fach ist^^), kann auch mal in HONSELL „Schweizerisches Haftpflichtrecht“ reinschnuppern, das ist dann aber wieder hochjuristisch... (danke an Jim für die Wortschöpfung)

[8] Leider übereinstimmend und voneinander abschreibend:
DONATSCH/WOHLERS „Strafrecht IV“ S. 49
ECKERT/FLACHSMANN/ISENRING/LANDSHUT
„Tafeln zum Strafrecht – Besonderer Teil II“ T. 5
NIGGLI/WIPRÄCHTIGER „Strafrecht II“ S. 1302 die sich allerdings offen widersprechen, wenn sie einen Satz danach Bromdämpfe (T+!) aufgrund ihrer „industriellen Nutzung“ nicht als „giftiges Gas“ zählen lassen wollen.
[9] NIGGLI/WIPRÄCHTIGER S. 1307f.
Man merkt anhand der Kommentierung allerdings SEHR deutlich, dass Art. 225 StGB eigentlich allein auf Sprengstoffe ausgelegt ist und die „giftigen Gase“ da eher zufällig, möglicherweise sogar versehentlich hineingerutscht sind, zumal der Sprengstoffbegriff dadurch eigentlich tautologisch wird, da diese nach h.L. ja auch als „giftige Gase“ eingestuft werden können. (vorhandene Gasphase + kann tödlich wirken)
M.E wäre es deshalb dringend angezeigt, den Begriff „giftige Gase“ ersatzlos zu streichen.

[10] Der reine Besitz von Chemikalien ist, soweit SprstG oder BetmG nicht einschlägig, glücklicherweise immer noch nicht verboten, auch wenn ein entsprechendes europarechtliches Papier existiert, welche den Besitz von Salz-, Schwefel- und Salpetersäure in grösseren Konzentrationen als 3% für Privatpersonen unter Strafe stellen möchte. Also zukünftig keine Prüfsäure mehr für Juweliere und Goldschmiede... Knicklichter sind ja schon länger phöse -.-

[11] BGE 81 IV 217
Leider nur auf Französisch erhältlich, daher muss das L. dem Kommentar einfach mal glauben, dass da richtig übersetzt wurde. Zwischen „Destillierkolben“ (NIGGLI/WIPRÄCHTIGER) und „Brennapparat“ (Regeste BGer) besteht m.E aber ein grosser Unterschied, auch wenn es wohl bei beidem überzogen wäre...
Falls jemand von den Lesern gut Französisch kann und das übersetzen mag,
das L. wäre dafür unendlich dankbar^^ Gibt auch ne Belohnung für...
*sich dann noch was für ausdenkt*

[12] NIGGLI/WIPRÄCHTIGER „Strafrecht I“ S.1435
REHBERG „Strafrecht II“ S. 175ff.
MÜLLER „Repetitorium zum schweizerischen Strafrecht Kap. III F. 461
REHBERG/FLACHSMANN/KAISER „Tafeln zum Strafrecht – Allgemeiner Teil“ T. 83

Bestätigung dieser (zutreffenden!) Rechtsansicht durch das Bundesgericht in BGE 116 IV 117 E. 2a

[13] BGE 129 IV 81 E. 4.1 Satz 3f.

[14] Das Schwetlick-Organikum (S. 122f., 742) listet sowohl Salzsäure als auch Aceton als unverzichtbare Hilfsmittel zur korrekten Aufbewahrung und Entsorgung von Chemikalien sowie zur Reinigung von Glasgeräten.
(Und meine Güte, hat dass jetzt viel zu lange (mehrere Stunden Echtzeit o.O) gebraucht, das nach zu schlagen... Danke Adobe fürs nicht mehr richtig funktionieren und bei jedem Seitenwechsel 3 min freezen in neuster Version -.- So viel zum Sinn vom Updates^^)

[15] Auch das L. hat seine Schandtaten (etwa die unweigerlich von der Produktion sehr giftiger Stickoxide begleitete Herstellung von rauchender Salpetersäure aus Kaliumnitrat) aus nachbarschaftlicher Rücksicht bevorzugt zu Zeitpunkten durchgeführt, in denen es mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen konnte, dass es niemanden mit allenfalls anfallenden Emissionen belästigen würde. Dafür eignet sich die Nacht aus dem natürlichen Grund, dass dann üblicherweise die Leute schlafen, einfach am besten...

[16] Art. 41 OR erwähnt das in Abs. 1 ausdrücklich „sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit“, bei Art. 28 ZGB ergibt es sich erst aus der Klagebefugnis nach Art. 28a Abs. 3 ZGB, welcher der Kommentierung nach auf Art. 41 OR verweist und demnach die selben Anforderungen an einen Schadenersatzanspruch stellt.

Nachzulesen etwa bei TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO
„Das schweizerische Zivilgesetzbuch“ S. 105f.

[17] Ausführlich zum Komplex der Grundstücksverantwortung und dem Emissionsrecht:
TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO S. 882ff.

[18] Weil noch eine Schleichwerbung fehlt, hin und wieder wäre es vielleicht doch ganz gut gewesen, in Rechtsgeschichte/Römisches Recht mal nicht zu schlafen...

Das notwendige Tatsubjekt als Täter – Definitionsprobleme und Wertungswidersprüche im Eistee-Fall eidgenössisches, Recht, Sexualstrafrecht, Sinn?, Strafprozessrecht

Autor:  Eru-Jiyuka
0. Einleitung und Sachverhaltsdarlegung

Keine Ahnung, ob das auch nach Deutschland durchgedrungen ist, aber hier in der Schweiz hatten wer in den letzten Monaten einen sehr hoch gekochten Sachverhalt im Sexualstrafrecht, der sich im (un)sozialen Netzwerk Facebook abspielte. Es ging dabei um ein Sexvideo, dass von einem Unberechtigten eingestellt wurde und von Dritten weiter verbreitet wurde. Interessant am Verfahren war vornehmlich, dass auch gegen diejenige Person ermittelt wurde, die allein im Video zu sehen war. (Im folgenden Darstellerin genannt)
Vor einigen Tagen wurde dieser Fall nun abgeschlossen, wobei das Verfahren gegen die Darstellerin eingestellt wurde. Elf Jugendliche, welche das Video verbreitet hatten, haben geringe Jugendstrafen (Sozalstunden) erhalten.

Hier mal die gesammelte Medienberichterstattung dazu:
http://www.heise.de/tp/blogs/5/154062
http://www.tagesanzeiger.ch/panorama/KinderPornografie-Download-mit-rechtlichen-Konsequenzen-/story/19045531
http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/Junge-Frau-mit-privatem-Sexvideo-gemobbt-/story/12760436
http://www.20min.ch/schweiz/news/story/-Diese-Jugendstrafen-haben-Signalwirkung--27869991
http://www.20min.ch/schweiz/news/story/24755122
http://www.20min.ch/schweiz/news/story/29484258
http://www.20min.ch/schweiz/zuerich/story/29118954

Hm, ja... klingt im Ergebnis gut, auch das L. plädiert nachdrücklich auf Straflosigkeit der Darstellerin. Warum das L. mit der Arbeit der Staatsanwälte dennoch nicht zufrieden ist (und daher auch diesen Blogeintrag erstellt hat...)? Das liegt vorallem an der Begründung der Einstellung, die mehr schlecht als recht konstruktiv zusammengewürfelt wirkt. Ausserdem kommt sie zu spät, weil der Fall hinsichtlich der Darstellerin m.E direkt mit Nichtanhandnahmeverfügung erledigt hätte werden müssen, womit alle Beteiligten um vier Monate Stress erleichtert gewesen wären^^

Damit hat das L nun schon wieder den Schlusssatz vorweggenommen...
*sich das endlich mal abgewöhnen sollte* Konsequent wäre es jetzt zwar, den Anfang der Geschichte an den Schluss des Blogs zu setzen, dann versteht dass aber definitiv niemand mehr...

Daher, beginnen wir stattdessen doch mal munter locker-flockig (Hurray für die Schleichwerbung!) mit der Schilderung des Sachverhalts:

X, ein 15-jähriges Mädchen hat sich bei sexuell expliziten Handlungen (Masturbation mit der namensgebenden Flasche) selbst gefilmt. Dieses Video hat sie ihrem Freund Y zu dessen privatem Gebrauch überlassen. Y hat nach Beendigung der Beziehung zu X das Video auf Facebook veröffentlicht. Es wurde von den Jugendlichen A-L verbreitet. Das Verfahren gegen X wird nach Jugendstrafrecht aufgrund starker eigener Betroffenheit gem. Art. 21 Abs. 1 lit. d JStG eingestellt. Die Jugendlichen A-L wurden wegen Verstoss gegen Art. 197 Ziff. 3 StGB bestraft, wobei die Strafe gem. Art. 23 JStG aus einer persönlichen Arbeitsleistung in einer sozialen Einrichtung bestand. Gegen Y wurde (noch) nicht ermittelt.[1]

1. Keine Anwendbarkeit von Art. 197 Ziff. 3 StGB, Sinn und Zweck der Strafnorm

Der Sinn der Strafbarkeit der Kinderpornographie liegt ursprünglich darin, sexuellen Missbrauch besser aufzuklären und die daran beteiligten Täter leichter fassen und verurteilen zu können, weil nicht mehr der Missbrauch als solches bewiesen werden musste, sondern es genügte, den Umgang mit durch den Missbrauch hervorgebrachtem Bildmaterial zu belegen.

Bezeichnenderweise wurde die Norm vor dem Siegeszug der Internets erlassen[2], sodass damals noch mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, dass bei Fund grosser Zahl derartiger Bilder auch tatsächlich ein am Missbrauch beteiligter Täter gefunden war.

Das moderne Sexualstrafrecht soll eben gerade nicht mehr dem Aufrechterhalten fragwürdiger Moral dienen[3], sondern die sexuelle Selbstbestimmung des einzelnen schützen.

Es ist letztlich wieder ein klassisches Definitionsproblem. Der fragliche Film ist „Kinderpornographie“ im Wortsinne, nämlich Pornographie VON einem Kind, nicht aber in demjenigen Bedeutungssinne, welcher die Strafwürdigkeit begründet.[4]

Niemand hat die Darstellerin zu den erwähnten Praktiken gezwungen, diese hat vielmehr sogar den Film selbst angefertigt und diesen (mit ihrem Einverständnis) ihrem Freund zu dessen Privatgebrauch überlassen.

Es gibt im Sexualstrafrecht für solche Fälle das Rechtskonstrukt des sogenannten notwendigen Tatsubjekts.[5] Dem reinen Wortlaut nach wäre nämlich das Opfer einer Sexualstraftat bei einem jugendlichen Täter grundsätzlich ebenfalls nach Art. 178 StGB strafbar. Da dies ganz offensichtlich dem Schutzzweck der Norm zuwider laufen würde, wird der Täterkreis, also die Anzahl möglicher Täter mittels teleologischer Reduktion auf diejenigen Tatsubjekte beschränkt, die zur Ausführung der Straftat nicht notwendig sind, mithin weggedacht werden können, ohne dass die Rechtsgüterschutzverletzung entfällt.

Dieses Rechtskonstrukt hat auch Indizierungswirkung, sodass die unmündige Person sich selbst auch nicht in strafbarer Weise nach Art. 195 StGB der Prostitution zuführen oder sich selbst darin festhalten kann. Ebensowenig macht sich ein Kind nach Art. 178 StGB strafbar, in dem es an sich selbst sexuelle Handlungen vornimmt. Auch sind Jugendliche, die sich pornographische Darstellungen im Sinne von Art. 197 Ziff. 1 beschaffen, nicht strafbar, obwohl ihnen die entsprechenden Medien nicht überlassen werden dürfen. [6]

Eine Begründung dafür, weshalb die Anwendung dieses Prinzips auf Art. 197 Ziff. 3 StGB in vorliegendem Fall nicht greifen soll, erfolgt seitens der Staatsanwaltschaft nicht, es scheint vielmehr so, als hätte sie sich mit diesem Problem gar nicht erst befasst. Wendet man die Lehre von der Straflosigkeit des notwendigen Tatsubjekts an, so ist die Herstellung eines sexuell expliziten Videos für die alleinige Darstellerin auch nach Art. 197 Ziff. 3 StGB zwingend straffrei.

Das steht zugegebenermassen so (leider) nicht im Gesetzestext, ist aber geltende Rechtsprechung und wird vom Bundesgericht regelmässig dazu herangezogen, die Strafbarkeit von Kinderpornographie vor Art. 10 Abs. 1 EMRK und Art. 19 Abs. 2 UNO-Pakt II überhaupt zu rechtfertigen.[7]

Und bevor jetzt wieder jemand ankommt, und behauptet, es bestehe ein rechtserheblicher Unterschied zwischen der Ausführung einer sexuellen Handlung und deren Dokumentation, die von der Privatheit nach Art. 8 Abs. 1 EMRK umfasste sexuelle Selbstbestimmung hat auch meinungsrechtlichen Charakter, weshalb auch die Anfertigung von Informationsdokumenten über solche Handlungen nach Art. 10 Abs. 1 EMRK grundfreiheitlichen Schutz geniesst.[8] Soweit die Dokumentation einvernehmlich (oder wie hier selbständig) erfolgt, ist das demnach unerheblich.

Daher sollte man sich m.E vom Komplex des Art. 197 Abs. 3 StGB lösen und besser fragen, ob, wenn man gedanklich einmal den Straftatbestand der verbotenen Pornographie komplett streicht, nicht gleichwohl eine Grundlage für die Bestrafung des Verhaltens der fraglichen Jugendlichen besteht.

Und weil solche Gedankenspielereien immer etwas theoretisch anmuten, macht das L. das mit dem durchstreichen jetzt illustrationshalber mal wirklich. *Leuchtstift zück* So, das sieht dann so aus:



Sehr hübsch^^ [9] Also, Art. 197 StGB ist damit jetzt weg, aber es gibt da ja noch andere Artikel im
Gesetz...

Das eigentliche Problem i.c. ist ja das Einstellen und die Verbreitung des Videos auf Facebook, der damit verbundene Vertrauensmissbrauch und die Verletzung der Privatsphäre der Y. Dass Y als junges Mädchen ihre Sexualität erkundet und dies – warum auch immer – bildlich festhält, nimmt ihr hingegen – hoffentlich – niemand krumm. Jedenfalls aber lässt sich von rechtlicher Seite her nichts einwenden, weil das Verfügungsrecht über ihren Körper gem. Art. 10 Abs. 2 BV bei der Y selbst liegt.

Das verletzte Rechtsgut ist demnach gerade NICHT die sexuelle Integrität, sondern der Geheim- und Privatbereich! Damit erledigt sich die Zuständigkeit des Fünften Titels[10], welchen das L. da gerade auszugsweise experimentell rausgeworfen hat, eigentlich auch rechtlich endgültig...

2. Fehlerhafte Begründung der Einstellung, Möglichkeit zur Nichtanhandnahme verpasst

Da Art. 197 Ziff. 3 StGB nicht anwendbar ist, kann der Darstellerin kein strafrechtliches Fehlverhalten vorgeworfen werden. Was bedeutet dies nun strafprozessual? Nun, der Strafprozess wird gegen Beschuldigte geführt, also gegenüber Personen, bei denen ein begründeter Verdacht besteht, sie hätten eine bestimmte Straftat verübt. (Art. 111 Abs. 1 StPO) Offensichtlich Unschuldige können, sollen und dürfen nicht Gegenstand eines Strafprozess sein. Deshalb gibt es bei „Irrtümer“ der Strafverfolgungsbehörden, also dann, wenn diese versehentlich eine unschuldige Person verdächtigen oder beschuldigen, mehrere Möglichkeiten, das Verfahren aus Gründen der Effektivität vor der Verhandlung mit förmlichen Freispruch abzubrechen, um beiden Seiten die Auswirkungen unnötiger Ermittlungen zu ersparen.

Eine dieser Möglichkeiten ist die Einstellung des Verfahrens. Diese richtet sich nach Art. 319 StPO und kann beispielsweise dann erfolgen, wenn der Tatverdacht nicht erhärtet werden konnte, oder der Anwendung eines Strafartikels ein Rechtfertigungsgrund entgegen steht. Die Einstellung erfolgt gem. Art. 318 Abs. 1 StPO erst nach Abschluss aller Unterschuchungshandlungen der Staatsanwaltschaft.

Die besondere Betroffenheit des Täters an der eigenen Tat ist kein direkter, in der StPO geregelter Grund für eine Einstellung, er ergibt sich jedoch sowohl im Erwachsenen- wie auch im Jugendstrafrecht aus den Strafbefreiungsgründen des materiellen Strafrechts. Sowohl Art. 54 StGB wie auch Art. 21 Abs. 1 lit. d JStG listen die besondere Betroffenheit des Täters an der eigenen Tat als Strafbefreiungsgrund. Gem. Art. 319 Abs. 1 lit. e StPO ist ein Verfahren einzustellen, wenn nach Massgabe des Gesetzes auf Verfolgung oder Bestrafung verzichtet werden kann, sprich, wenn ein Strafbefreiungsgrund vorliegt.

Eine andere Möglichkeit ist die Nichtanhandnahme des Verfahrens. Gem. Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO hat die Staatsanwaltschaft die Nichtanhandnahme unmittelbar zu verfügen, wenn aufgrund des Vortrags des Anzeigenden oder der polizeilichen Vorermittlungen klar ist, dass das fragliche Verhalten des Verdächtigen keine Straftat darstellt. Diese Form der Nichtanhandnahme erledigt das Verfahren wie eine Einstellung wegen Strafbefreiung mit der Ausnahme, dass die verdächtige Person dabei nicht bloss straflos ausgeht, sondern auch gar nicht erst als Straftäter gilt.

Wie man die Nichtanhandnahme in der Praxis korrekt zu verfügen hat, erläutert eine Weisung der Schwyzer Oberstaatsanwaltschaft hier sehr schön.
(Offenbar ist die Schwyzer Oberstaatsanwaltschaft wesentlich rechtsstaatlicher ausgestaltet als die dortige Polizei...)

Demnach ist nicht nach Abschluss der Ermittlungsarbeiten einzustellen, sondern ohne weitere Untersuchungshandlungen der Staatsanwaltschaft durch diese direkt Nichtanhandnahme zu verfügen, wenn schon aufgrund der Aktenlage klar ist, dass keine Strafratsbestände verwirklicht wurden

In casu wäre daher spätestens nach Kenntnisnahme des Inhalts des fraglichen Videos sowie der Feststellung der Tatsache, dass selbiges von Y allein und ohne jeglichen äusseren Druck freiwillig aufgenommen wurde, die sofortige Verfügung der Nichtanhandnahme des Verfahrens gegen Y angezeigt gewesen.

Dies wäre für beide Seiten vorteilhaft gewesen. Y wäre vom Tatverdacht befreit worden und sie hätte damit nicht über vier Monate darum bangen müssen, ob ihr – an sich völlig natürliches – Verhalten nicht doch eine möglicherweise empfindliche Strafe nach sich zieht. Voraussichtlich wäre sie wohl auch nicht im Kollegenkreis derart gehänselt worden, wäre ihr Name direkt zu Beginn des Verfahrens reingewaschen worden. *das L. hätte das jedenfalls getan...*

Die Staatsanwaltschaft hätte sich auf die Ermittlung gegen X und die fraglichen Jugendlichen, welche das Video weiterverbreiteten, konzentrieren können und hätte sich nicht darin verzettelten müssen, entlastende Tatsachen oder Rechtsnormen für die Straffreiheit der Y zu finden.

Das zuständige Staatsanwalt hätte zudem Y als Zeugin gem. Art. 162ff. StPO befragen und dann zur Mitarbeit und zur Aussage, insbesondere über die Identität ihres ehemaligen Freundes X direkt anhalten können.(Bei einer Beschuldigten ist dies aufgrund deren Verweigerungsrechten nach Art. 113 Abs. 1 StPO nicht möglich...) Zudem wäre Y sicherlich weit kooperativer gewesen, wenn direkt zu Beginn des Verfahrens die Strafdrohung für sie weggefallen worden wäre und sie nicht als Sexualstraftäterin verunglimpft worden wäre... [11]

3. Anwendbarkeit von Art. 179quater StGB, Sinn und Zweck der Strafnorm

Wenden wir uns also dem einschlägigen Rechtsgut und damit dem Dritten Titel[12] zu. Dort bietet sich Art. 179quater StGB an, welcher die Aufnahme von Tatsachen aus dem Geheim- und Privatbereich ohne deren Einwilligung, sowie die Aufbewahrung und Zugänglichmachung an Dritte von solchen Aufnahmen unter Strafe stellt.

Zu prüfen ist also, ob sich die Handlung von X (Veröffentlichung des Videos auf Facebook) und diejenige der Jugendlichen A-L (Weiterverbreitung des Videos) unter diese Strafnorm subsumieren lässt.

Dass nicht nur die Ehre, sondern auch die Privatsphäre strafrechtlich geschützt ist, und der staatliche Schutz derer sich keineswegs nur in Art. 28 ZGB und damit in zivilrechtlichen Handlungsmöglichkeiten erschöpft, geht leider nur all zu gerne vergessen. Art. 179quater StGB ist daher ein bedauerlicherweise häufig übersehener Tatbestand, dementsprechend besteht relativ wenig Literatur und Rechtsprechung hierzu. (Ganze 3 Urteile in 43 Jahren, kein einziger BGE, kein einziges Urteil vor 2000...) Immerhin bestätigt das Bundesgericht in BGer 6B_131/2012 die Verurteilung des Obergerichts Zürich in einem sehr ähnlichen Fall.

Dort ging es um mittels Mobiltelefon und Fotokamera aufgenommene sexuelle Nötigung, die durch die Penetration einer schlafenden Frau mit Fingern, einer Banane und einer Karotte begangen (fragt nicht, wie das gehen soll, es steht so im Urteil...) und von den Tätern gefilmt wurde. Damit ist immerhin schon mal geklärt, dass sexuelle Aktivitäten zum „Geheim- und Privatbereich“ im Sinne der Norm zählen. Ebenso wird klargestellt, dass auch Handykameras Aufnahmegeräte darstellen. Fraglich ist aber, ob der Unwertsgehalt auch dann noch genügend hoch ist, wenn die Aufnahme mit Einwilligung der Darstellerin rsp. durch diese selbst erfolgt, dann aber unbefugt veröffentlicht und verbreitet wird, um die Strafwürdigkeit der Handlung zu begründen.

M.E ist dies klar zu bejahen. Auch vor dem Bestimmtheitsgebot des Art. 1 StGB ist es vertretbar, Art. 179quater StGB nicht nur auf Aufnahmen anzuwenden, die entgegen des Willens der Betroffenen erstellt wurden und dann verbreitet werden, sondern auch auf solche Aufnahmen, die zwar mit Willen der Betroffenen erstellt wurden, aber entgegen deren klarem Willen verbreitet wurden.

Der Verstoss gegen das Rechtsgut der Privatsphäre wird nicht schon deshalb inexistent, weil für die Aufnahme eine Einwilligung zu Privatgebrauch vorliegt. Art. 179quater StGB verlangt nicht zwingend eine strafbare Vortat. Insoweit besteht deshalb m.E klar keine Akzessorietät von der Einwilligung zur Aufnahme/Gebrauch auf die Erlaubnis zum veröffentlichen/verbreiten.

Diese Auslegung wird teilweise auch von der Lehre gestützt. Der Schutzzweck der Norm wird nämlich einvernehmlich darin gesehen, dass dem einzelnen einen Bereich zur Zurückgezogenheit zugesprochen wird, der von der Kenntnis der Öffentlichkeit absolut ausgeschlossen ist. Geschützt sei auch das Recht am eigenen Bild bei intimen Betätigungen.[13] Wenn dem so ist, kann es nicht darauf ankommen, auf welche Art und Weise dieses Kenntnisverbot unterlaufen wird, solange es durch die wie auch immer geartete unbefugte Verwertung einer Aufnahme erfolgt.

Demnach hat sich X wegen Zugänglichmachens einer den Privatbereich verletzenden Aufnahme gem. Art. 179quater StGB strafbar gemacht. Die Jugendlichen A-L haben wegen Aufbewahrung und Zugänglichmachung derselben Aufnahme gegen Art. 179quater StGB verstossen.

4. Problematische Kombinationswirkungen nach künftigem Recht

Man könnte letztlich auch einwenden, dass es sich bei der Frage, ob Art. 179quater StGB oder Art. 197 Ziff. 3 StGB einschlägig ist, um ein rein semantisches Problem handle, weil das Ergebnis (Milde Bestrafung der Jugendlichen) ja gleich sei. Dem ist jedoch keineswegs so. Die Verurteilung nach Art. 197 Ziff. 3 StGB zieht nämlich mittlerweile einen regelrechten Rattenschwanz an kombinierten Rechtsfolgen[14] nach sich.

Das beginnt mit der unsäglichen Lanzarote-Konvention. Diese sieht in Art. 37 Abs. 1 vor, dass die Identität und der genetische Fingerabdruck (DNA) jedes Sexualstraftäters zu Präventionszwecken aufgezeichnet werden muss und diese Informationen jedem Mitgliedsstaat für deren Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt werden müssen.

Die Schweiz sträubt sich mit ihrem Umsetzungsversuch glücklicherweise zwar noch gegen die Einrichtung eines solchen Registers, aber es ist auch nur eine Frage der Zeit, bis auch dies kommen wird, weil gegen diesen Artikel kein wirksamer Vorbehalt angebracht werden kann. (Dem L. persönlich hätte der Schwachsinn schon genügt, um die Konvention nicht zu unterzeichnen, aber das hatten wer ja schon mal...)

Das ist aber – natürlich – noch längst nicht alles. Es sind zurzeit nämlich zwei weitere Gesetzgebungsprozesse im Gange, die Auswirkungen auf Personen haben, welche als Sexualstraftäter verurteilt wurden. Einerseits ist dies der direkte Gegenentwurf des Ständerats zur sogenannten Pädophilen-Initiative. Dieser sieht in einer sehr komplizierten Kaskadenordnung (der Entwurf hat 27 Artikel, die Initiative nur einen einzigen!) vor, dass jedem, der eine Strafe nach Art. 197 Ziff. 3 verwirkt, ein Berufsverbot von mindestens einem Jahr droht (Art. 67 Abs. 2 nStGB, Art. 67 Abs. 3 lit. c nStGB).

Dieses gilt für alle „Tätigkeiten in Ausübung eines Haupt- oder Nebenberufs oder -gewerbes oder eines Handelsgeschäfts.“ (Art. 50a Abs. 1 nMStG), was auch immer das im Kontext nun heissen mag...

Die Höchstdauer dieses Verbots beträgt ordentlich 10 Jahre, kann aber vom Gericht ausserordentlich auch lebenslänglich ausgesprochen werden. (Art. 67 Abs. 6 nStGB) Diese Normen sind ausdrücklich auch auf Jugendliche anwendbar. (Art. 16a nJStG) Solche Massnahmen können auch nachträglich angeordnet werden. (Art. 67d nStGB) Ob sie entgegen Art. 2 Abs. 1 StGB auch rückwirkend anwendbar sein werden, ist noch nicht absehbar, aber wohl aufgrund des emotional aufgeladenen Themas nicht sehr unwahrscheinlich... (Und mal wieder werden Pädophile mit Kinderschändern verwechselt -.-)

Irgendwie hat das L. das Gefühl, dass dieser Entwurf ein Referendum geradezu herbei bittet^^ (Von ihm gibt's jedenfalls ein schallendes NEIN! In die Urne, sowohl für den Entwurf als auch die Initiative... Wäre wohl auch allgemein keine schlechte Idee, falls jemand noch unschlüssig ist... )

Andererseits die Einführung von Staatstrojanern als zulässige Überwachungsmethode in die StPO. (Man muss der NSA und der dortigen Postüberwachung natürlich technologisch sofort nacheilen -.-)
Nach Art. 269bis nStPO sowie Art. 269ter nStPO soll es neu der Staatsanwaltschaft gestattet sein, sogenannte „besondere technische Geräte“ zur Überwachung einzusetzen sowie „besondere Informatikprogramme“ in ein Datenverarbeitungssystem einzuschleusen. Angewandt werden dürfen diese neuen Massnahme für jedes Delikt des Katalogs von Art. 269 Abs. 2 lit. a nStPO, damit also auch für vermutete Verstösse gegen Art. 197 Ziff. 3 StGB.

Leider kann man gegen Bundesgesetze keine öffentlich-rechtliche Beschwerde erheben (Art. 190 BV), ansonsten würde das L. dagegen mal wieder prozessieren^^ Die Piraten (und andere junge Parteien) haben aber immerhin bereits eine Petition (die schon mit einer Gegenstimme abgeschmettert wurde) und ein Bündnis zum politischen Sturm auf das Gesetz zusammen gestellt: https://buepf.ch/

Wer künftig die falschen (auch fiktionalen!) Pornos guckt, oder versehentlich auf eine Seite mit solchen, neu strafbaren Daten gerät, muss also neben der ordentlichen Strafverfolgung auch mit folgendem Rechnen:

a. Eintrag ins (noch zu schaffende) Register für Sexualstraftäter
b. Abnahme und Speicherung von Personendaten und genetischem Fingerabdruck (DNA)
c. Weiterleitung dieser Informationen an alle Mitgliedsstaaten, die der Konvention angeschlossen sind
d. Allfällige zusätzliche und erneute Strafverfolgung nach weitergehendem Recht dieser Nationen.
e. Entzug der Lehrberechtigung sofern vorhanden und Berufsverbot für wenigstens ein Jahr in diversen Professionen, die irgendwas mit Kinderbetreuung zu tun haben.
f. Ständige Überwachung von Post- und Fernmeldeverkehr durch den Staatstrojaner


Beim Verstoss gegen Art. 179quater StGB tritt all dies hingegen nicht in Kraft, es hat sich (wie bei beinahe allen anderen Verurteilungen auch) mit der Verbüssung der Strafe... Und da es ganz offensichtlich ausser jedem Verhältnis stünde, sowohl X als auch die Jugendlichen A-L wegen ihren relativ gering wiegenden Rechtsgutsverletzungen die Zukunft durch solche Massnahmen vollständig und nachhaltig zu verbauen, erachtet das L. eine Verurteilung der vorgenannten wegen Art. 179quater StGB für wesentlich sinnvoller, als die Verurteilung bei selber Bestrafung nach Art. 197 Ziff. 3 StGB.

5. Zusammenfassung

I. Das Veröffentlichen und Verbreiten eines Sexvideos entgegen dem ausdrücklichen Willen der Darstellerin ist eine Straftat gem. Art. 179quater StGB.

II. Die Darstellerin eines sexuell expliziten Videos kann sich nicht selbst der Herstellung von Kinderpornographie gem. Art. 197 Abs. 3 StGB strafbar machen, weil sie zugleich notwendiges Tatsubjekt ist. (Sie wird künftig allerdings nach Art. 197 Abs. 8 nStGB e contrario strafbar sein, weil das Rechtskonstrukt des notwendigen Tatsubjekts durch die Umsetzung der Lanzarote-Konvention insoweit aufgegeben wird und die Ausnahmevorschrift nur für Jugendliche über 16 Jahren gilt)

III. Die Einstellung des Verfahrens gegen die Darstellerin ist im Ergebnis zu begrüssen, die Begründung über Art. 21 Abs. 1 lit. d JStG wegen besonderer Betroffenheit der Darstellerin erscheint hingegen verfehlt. Angemessener (und schneller) wäre eine Nichtanhandnahmeverfügung nach Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO (keine Tatbestandserfüllung) gewesen.

IV. Strafart und Strafmass der im Eistee-Fall Abgeurteilten erscheinen angemessen.

V. Die Stigmatisierung der Abgeurteilten als Sexualstraftäter hingegen erscheint unangemessen, und ist insbesondere in Hinsicht auf die künftig damit verknüpften Massnahmen (Entzug der Lehrbefähigung, Eintrag in ein entsprechendes Register sowie Überwachung durch Staatstrojaner) klar sinnentstellend.
Es verstösst wohl auch gegen Art. 11 Abs. 1 BV.

Übrigens, wem die Grundaussage (schnelle Nichtanhandnahme statt langwieriger Einstellung = doppelplus sinnvoll) bekannt vorkommt, ja in einer ähnlichen Verfahrenskonstellation hat sich das L. auch schon mal dafür ausgesprochen...

Und nur um dies noch einmal klar zu stellen, das L. ist keineswegs gegen harte Bestrafung tatsächlicher Sexualstraftäter. So hat er sich etwa über dieses Urteil, welches gegen einen Mann, der durch Nötigung und geschickte Täuschung sexuelle Dienstleistungen von etlichen (männlichen!) Kindern erzwungen hat, eine Freiheitsstrafe von acht Jahren verhängte, sehr gefreut. Das L. begrüsst den Entscheid sowohl im Ergebnis wie auch in der Begründung und von Strafart und Strafmass her in vollem Umfang.

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[1] Die Berichterstattung hierzu ist nicht sehr eindeutig. Laut einigen Medien wurde Y gar nicht erst strafrechtlich verfolgt, andere sprechen davon, das Verfahren sei (ohne Strafe) abgeschlossen, wieder andere halten eine künftige Verfolgung für ausgeschlossen oder zumindest unwahrscheinlich. Der Tenor der Kommentare jedenfalls drängt mehrheitlich auf Strafverfolgung von Y, was – wie im folgenden aufgezeigt – rechtlich wohl geboten wäre.

[2] Der bundesrätliche Entwurf samt zugehöriger Botschaft stammt aus dem Jahre 1985. (BBl 137 II 1091)
Laut Wiki begann der Aufstieg des Internets frühestens um 1993, es fand gegen Jahrtausendwende mehrheitliche Verwendung und soll sogar erst seit 2007 überwiegend allgemein verbreitet sein.

[3] Zustimmend NIGGLI/WIPRÄCHTIGER „Basler Kommentar, Strafrecht II“ S. 1197, REHBERG/SCHMID/DONATSCH „Strafrecht III“ S. 452

A.M. noch BGE 128 IV 201 E. 1.4.2 Satz 2, welcher m.E zu unrecht darauf abstellt, dass „Die Strafbarkeit pornographischer Darstellungen gemäss Art. 197 Ziff. 3 dem Schutz der öffentlichen Moral“ dient. (Und m.E ebenfalls zu unrecht subsumiert, der Verkauf harter Pornographie, die nicht unter Verletzung eines Rechtsguts hergestellt wurde, ausschliesslich an einen Kreis interessierter Erwachsener sei strafwürdig)

[4] Vgl. § 10 KO (und ja, das ist ein selbst gebasteltes Gesetz... ändert aber an der Grundaussage nichts^^)

[5] NIGGLI/WIPRÄCHTIGER S. 1103 bezeichnen es als „mitwirkendes Opfer“

[6] Inwiefern solche Täuschungsmanöver allenfalls Einfluss auf die strafrechtliche Verantwortung des
zu Unrecht Überlassenden haben können und insbesondere, ob irgendwann der agent-provocateur Vorbehalt zu dessen Gunsten greift, ist eine sehr spannende Rechtsfrage, die im Rahmen dieses Beitrags jedoch nicht behandelt werden kann... Ideen dazu gerne in die Kommis^^

[7] So etwa BGE 131 IV 64, E. 11.2 Satz 3:
Spoiler
Das Verbot kann seinen Zweck in diesem Bereich daher nur umfassend erfüllen, wenn ein Werk in jedem Fall als kinderpornographisch betrachtet wird, sobald daraus erkennbar ist, dass seine vorsätzliche Herstellung in der Schweiz nach Art. 187 StGB strafbar wäre

Neuer auch BGE 133 IV 31, E. 6.1.2 Satz 2:
Spoiler
Ein Werk ist schon als kinderpornographisch zu betrachten, wenn daraus erkennbar ist, dass seine vorsätzliche Herstellung in der Schweiz nach Art. 187 StGB strafbar wäre.

Das Bundesgericht geht dabei jeweils davon aus, dass jede Darstellung, die nach Art. 197 Ziff. 3 StGB strafbar ist, von einem sexuellen Missbrauch nach Art. 178 StGB geprägt wird.

Und nur ums nochmal deutlich festzuhalten: Soweit es dabei um die bildliche Darstellung echten, sexuellen Missbrauch an kindlichen Opfern geht, hält das L. die Begründung für überzeugend und die Kriminalisierung für dringend geboten, lediglich die Bezeichnung als Pornographie ist dann halt immer noch verfehlt. (Die Piraten haben dafür mal „Dokumentierter Missbrauch“ als Straftatnamen vorgeschlagen...) Für den fiktionalen Rest gelten §§ 1f. KO und da ist die Begründung des Bundesgerichts dann Kokolores, weil offensichtlich unzutreffend.

[8] Sogar der unbefugten Veröffentlichung und Verbreitung des Videos kommt ganz streng genommen der Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit nach Art. 10 Abs. 1 EMRK zu. Diese wird jedoch durch das Rechtsgüterschutzprinzip durchbrochen, weil gem. Art. 10 Abs. 2 EMRK zum Schutz von Rechten anderer Einschränkungen der Meinungsäusserungsfreiheit zulässig sind und diese Einschränkung gem. des bedingten Anspruchs auf staatliches Handeln durch Art. 35 Abs. 1 BV i.v. mit der Informationellen Selbstbestimmung nach Art. 13 Abs. 1 BV auch tatsächlich erfolgen muss.

[9] Bevor jemand aufschreit, das ist ein altes StGB (2006), welche ohnehin schon fast auseinanderfällt und daher bedenkenlos für solche Zwecke benutzt werden kann *sonst ja recht penibel im Umgang mit Gesetzbüchern ist*

[10] Kapitelüberschrift der Artikel 187-200 des schweizerischen Strafgesetzbuchs.
Die Kapitelüberschrift zeigt jeweils das geschützte Rechtsgut an, hier die sexuelle Selbstbestimmung

[11] Die Strafbefreiung erledigt auch bei Einstellung des Verfahrens nicht die Tatbestandsmässigkeit. Rein formal gesehen hat Y demnach bei diesem Verfahrensausgang gegen Art. 197 Ziff. 3 StGB verstossen und ist demnach (obwohl noch selbst Kind!) Sexualstraftäterin geworden. Immerhin bleibt ihr dank fehlendem Urteil Art. 37 Abs. 1 Lanzarote-Konvention erspart. Zu diesem künftigen Nonsens sogleich Punkt 4 dieses Beitrags.

[12] Kapitelüberschrift der Artikel 173-179octis des schweizerischen Strafgesetzbuchs.
Die geschützten Rechtsgüter sind die Ehre, die Privatsphäre sowie die informationelle Selbstbestimmung

[13] REHBERG/SCHMID/DONATSCH S. 345 fordern Straflosigkeit bei Einwilligung der Betroffenen, geben als Beispiel aber nur „TV-Aufnahmen nach dem Muster <<Big Brother>>“ an, womit sie wohl aussagen möchten, dass sich die Einwilligung sowohl auf Aufnahme als auch auf Veröffentlichung/Verbreitung erstrecken muss.

NIGGLI/WIPRÄCHTIGER S. 946 stimmen bezüglich des Rechtsguts zu, geben auf S. 948 aber zu bedenken, dass Verbreitungen nur im Rahmen von Photokopierer, genutzt zur Vervielfältigung von Tagebüchern, Bildern oder Plänen als Aufnahmegeräte angesehen werden können.

[14] „Kombinierte Rechtsfolge“ ist kein eigentlicher juristischer Terminus, sondern ein vom L. geschaffener Neologismus. Er erscheint jedoch insofern passend, als dass er den Sinn, nämlich den nicht mehr allzu seltenen Fall, dass eine Norm bei Erfüllung der Voraussetzung für ihre Anwendung nicht nur die von ihr selbst vorgeschriebenen Auswirkungen (Rechtsfolgen) zeigt, sondern auch diejenigen anderer Gesetzesartikel auslöst, klar wiedergibt und gleichzeitig sowohl kurz als auch prägnant ist.
Wie immer, falls jemand ne bessere Bezeichnung für das Phänomen hat, immer her damit^^ Vorschläge werden dankend angenommen...











Für einen kurzen Abriss zu den Kommentaren des letzen Blogeintrags: